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Zwei Bände füllen die Kleinen Erzählungen und Nachgelassene Schriften, darunter eckte 'Perlen', die es lohnen, wieder entdeckt zu werden. Ob es durch die Prärien in Nordamerika geht, in die Wirren der südamerikanischen Revolutionen, in die Goldfelder Kaliforniens oder um die Förderung des Petroleums - stets finden wir interessante Erzählungen und kleine Skizzen aus der Mappe eines wirklichen Abenteurers und Weltreisenden.
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Seitenzahl: 1088
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Gesammelte Schriften
von
Friedrich Gerstäcker.
Kleine Erzählungen und nachgelassene Schriften. I.
Volks- und Familien-Ausgabe, Zweite Serie
Band 20 der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften,
H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Hinweis: Die im 19. Jahrhundert verfassten Texte Friedrich Gerstäckers enthalten Bezeichnungen, die heute nicht mehr in dieser Form verwendet werden.
In dieser unbearbeiteten Werkausgabe wurden sie unverändert übernommen.
Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage
Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2021
Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig
Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2022
Meine Selbstbiographie zu einem Bilde in der Gartenlaube.
Erstveröffentlichung: Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt, Nr. 16, Seiten 244-24, 1870
Mein lieber Keil!
Sie verlangen von mir eine Art von Biographie zu meinem eigenen Bilde, aber das ist eine gefährliche Arbeit. Soll ich mich selber denunciren und eigenhändig bestätigen, daß ich ein Menschenalter hindurch einer der größten Herumtreiber gewesen bin, die es überhaupt giebt, und schon lange polizeilich eingesteckt sein würde, wenn ich mein „ungeordnetes“ Leben nur auf einen kleinen Kreis beschränkt hätte, während ich es, im Gegentheil, nach allen Kräften und Seiten ausgedehnt?
Sie werden mir allerdings einwerfen, daß ich mich ja selber schon in meinen Reisebeschreibungen verrathen habe – aber glauben Sie das nicht. Es giebt factisch noch verschiedene Menschen, die alles Ernstes wissen wollen, daß ich meine zahlreichen Reisen gar nicht wirklich gemacht, sondern sie nur beschrieben hätte. Herbert König behauptet sogar, ich wohne, in der Zeit meiner angeblichen Abwesenheit, bei einem Bäcker in Magdeburg im dritten Stock hinten heraus.
Doch was thut’s? Die Sache läßt sich weder mehr leugnen noch bemänteln – vielleicht nur in etwas entschuldigen.
Was mich so in die Welt hinausgetrieben? – Will ich aufrichtig sein, so war der, der den ersten Anstoß dazu gab, ein alter Bekannter von uns Allen, und zwar niemand Anders als Robinson Crusoe. Mit meinem achten Jahr schon faßte /2/ ich den Entschluß, ebenfalls eine unbewohnte Insel aufzusuchen, und wenn ich auch, herangewachsen, von der letzteren absah, blieb doch für mich, wie für tausend Andere, das Wort „Amerika“ eine gewisse Zauberformel, die mir die fremden Schätze des Erdballs erschließen sollte.
Ewig unvergeßlich bleibt mir dabei ein preußischer Landrath, ein Herr von P., mit dessen Söhnen ich sehr befreundet war. Er betrachtete natürlich jeden Menschen, der nach Amerika wollte, als einen mit den vortrefflichen deutschen Verhältnissen Unzufriedenen, und sprach sich entschieden mißbilligend über meine Absicht aus. Als ich aber trotzdem darauf bestand, redete er mich plötzlich Französisch an. Die französische Sprache ist meine schwache Seite, noch bis auf den heutigen Tag, wenn ich auch seitdem oft gezwungen war, darin zu verkehren. Die plötzliche Anrede brachte mich außerdem in Verlegenheit; ich antwortete nur stotternd, und der Landrath, auf’s Aeußerste indignirt, sagte verächtlich: „Und Sie wollen nach Amerika gehen und können nicht einmal Französisch?“
Ich ging trotzdem und führte nun dort drüben in den westlichen Staaten, nachdem mich freundliche Landsleute im Osten erst vorsichtig um Alles betrogen, was ich mitgebracht, ein allerdings genügend wildes und abenteuerliches Leben. Ich durchzog zuerst die ganzen Vereinigten Staaten quer durch von Kanada bis Texas zu Fuß, arbeitete unterwegs, wo mir das Geld ausging, und blieb endlich in Arkansas, wo ich ganz und allein von der Jagd lebte, bis ich dort halb verwilderte. Ich weiß mich noch recht gut der Zeit zu erinnern, wo meine sämmtliche Wäsche in einem einzigen baumwollenen Hemd bestand, das ich mir selber wusch, und bis zu dessen Trockenwerden ich so herumlief; nur dann und wann trieb mich die Sehnsucht wieder einmal in civilisirte Staaten zurück, aber auch nur auf so lange, bis ich mir mit schwerer Arbeit wieder etwas Geld verdient hatte, um dann, mit einer neuen Ausrüstung, mein altes Leben von Frischem zu beginnen.
Aber es war das doch nur ein zweckloses Umhertreiben, denn zu verdienen ist auf der Jagd nichts. Wo es viel Wild giebt, hat es keinen Werth, und wo es Werth hat, ist es zu mühsam und zeitraubend, es zu erbeuten. Sechs und /3/ ein halbes Jahr hatte ich aber doch in solcher Art verbracht, bis mich das Heimweh nach dem Vaterlande packte, und ich beschloß, dahin zurückzukehren. Was ich da wollte? – Nur meine Mutter und Geschwister einmal wiedersehen und dann in den Wald zurückkehren – was hätte ich auch in Deutschland gesollt? In ein geregeltes und besonders in ein abhängiges Leben paßte ich nicht mehr hinein, und daß ich einst Schriftsteller werden sollte oder könnte, wäre mir nicht im Traum eingefallen.
Geschrieben hatte ich in Amerika natürlich nichts, als Briefe an meine Mutter, und um diese in einem regelmäßigen Gange zu halten, eine Art von Tagebuch geführt. Wie ich mir nun erst in Louisiana das Geld zu meiner Heimreise verdient, nahm ich in New-Orleans Passage auf einem deutschen Schiff, erreichte Bremen und blieb nur einen Tag in Braunschweig, um dort, wo ich den größten Theil meiner Knabenjahre verlebt, alte Freunde zu besuchen. Dort wurde ich gefragt, ob ich der Gerstäcker sei, der seine Reise in den damals von Robert Heller redigirten „Rosen“ veröffentlicht habe. Ich verneinte das natürlich mit gutem Gewissen, denn ich kam frisch aus dem Wald heraus und kannte weder „die Rosen“ noch irgend eine andere der neueren deutschen Zeitungen; aber die Leute, die jene Artikel gelesen hatten, erzählten mir jetzt Scenen aus meinem eigenen Leben und setzten mich dadurch in nicht geringes Erstaunen, denn woher konnten sie das wissen?
In Leipzig erst, wo ich meine Mutter wiederfand, wurde mir das Räthsel gelöst. Sie hatte mein Tagebuch an Robert Heller gegeben und dieser den größten Theil desselben in seinen „Rosen“ aufgenommen. So hat mich denn Robert Heller eigentlich zum Schriftsteller gemacht und trägt die ganze Schuld, denn in Dresden wurde ich später veranlaßt, diese einzelnen Skizzen zusammen zu stellen und ein wirkliches – mein erstes Buch – zu schreiben.
Die schriftstellerische Thätigkeit sagte mir allerdings in sofern zu, als ich dabei ein vollkommen unabhängiges Leben führen konnte, aber ich hatte selber kaum eine Idee, daß ich je etwas Selbstständiges schaffen könne – die einfache Erzählung /4/ meiner Erlebnisse ausgenommen. Ich war damals achtundzwanzig Jahre alt, wandte mich Übersetzungen aus dem Englischen zu, und verdiente mir dadurch wenigstens meinen Lebensunterhalt. Allerdings kam mir manchmal bei der Uebertragung einzelner Erzählungen wohl der Gedanke, daß ich etwas Derartiges auch wohl selber schreiben könne, denn in den vielen Nächten am Lagerfeuer im Walde hatte ich derartige Dinge oft gehört und im Gedächtniß bewahrt, auch viele wunderliche Charaktere selber kennen gelernt. Meine ersten Versuche dahin erzielten aber nur einen sehr geringen Erfolg; ich mußte mit meinem Manuscripte von Redaction zu Redaction laufen, und dann immer wieder das verwünschte Achselzucken!
Meine erste Erzählung druckte die Brockhaus’sche Buchhandlung im damaligen „Pfennig-Magazin“ ab, dann nahm die damalige „Wiener Zeitschrift“ eine größere Erzählung: „Die Silbermine in den Ozark-Gebirgen“ wie eine zweite: „Pantherjagd“ an und zahlte mir dafür ein Honorar von – fünf Gulden. Bäuerle von der „Theaterzeitung“ wollte dagegen eine andere, die er sich jedoch nicht einmal Mühe nahm zu lesen, selbst nicht umsonst in sein Blatt aufnehmen, und mir lag doch damals hauptsächlich daran, nur bekannt zu werden. Es ist mir später die Genugthuung geworden, daß Herr Bäuerle diese nämliche Erzählung, die später in das Englische übersetzt wurde und von da in die „Indépendance belge“ überging, aus dem Französischen in das Deutsche zurückübersetzt (natürlich ohne meinen Namen) in sein Blatt aufnahm und dann auch noch für die jetzt verstümmelte Erzählung jedenfalls Uebersetzungshonorar bezahlen mußte.
Im Jahr 1845 schrieb ich meinen ersten Roman: „Die Regulatoren“, der freundlich vom Publikum aufgenommen wurde, aber ich bekam, nachdem ihn ein paar Buchhandlungen abgelehnt (jetzt ist er stereotypirt worden), nur ein sehr geringes Honorar dafür, und das Jahr 1848 legte nachher fast jede belletristische Unternehmung lahm.
Ich hatte mich unter der Zeit verheirathet, fühlte auch, daß ich unter solchen Umständen, mit harter Arbeit, wohl meine kleine Familie ernähren könne – aber weiter nichts, /5/ und lebenslang Uebersetzer bleiben? der Gedanke war mir entsetzlich. Ich fühlte jetzt die Kraft in mir, etwas zu schaffen, und faßte den allerdings kecken Entschluß – denn ich war ohne alle Mittel und hatte Weib und Kind –, die todte Zeit in Deutschland zu benutzen und – eine Reise um die Welt zu machen. Ich trat augenblicklich mit der Cotta’schen Buchhandlung in Unterhandlung, um Correspondenzen für das Beiblatt der Augsburger Zeitung zu liefern – die Herren gingen endlich darauf ein, mir vierhundert Thaler Vorschuß zu zahlen. Das damalige Reichsministerium bewilligte mir außerdem (und die Leute sagen, ich sei der Einzige, der damals etwas vom deutschen Reich gehabt) fünfhundert Thaler, um die verschiedenen deutschen Colonien im Auslande zu besuchen, und mit neunhundert Thalern trat ich guten Muths eine Reise, die neununddreißig Monate dauerte, an.
Indessen hatte ich einen Roman: „Pfarre und Schule“ beendet, für den ich von der Georg Wigand’schen Buchhandlung vierhundert Thaler (in Raten an meine Frau während meiner Abwesenheit zu zahlen) erhielt; für das Weitere verließ ich mich, wie schon oft im Leben, auf den lieben Gott und mein gutes Glück – und beide haben mich nicht im Stiche gelassen. Daß ich von den neunhundert Thalern nicht die ganze Reise machen konnte, ist natürlich, aber wo mir auch das Geld ausging, und das geschah verschiedene Male – bekam ich, doch jedenfalls allein auf mein ehrlich Gesicht, an allen fremden Plätzen von deutschen Kaufleuten die nöthige Summe auf Wechsel an die Cotta’sche Buchhandlung, der ich denn auch fleißig Berichte schickte, durch die ich der Sorge für meine Familie enthoben ward. Erst in Australien fand ich wieder fünfhundert Thaler, die Kaufmann Schletter in Leipzig dort für mich deponirt hatte, und wenn ich auch in Java wieder eine frische Summe aufnehmen mußte, hatte ich doch von da an gewonnen.
Im Jahr 1852 kehrte ich nach Deutschland zurück und fand nicht allein die Meinen wieder, sondern auch die Verlagsbuchhändler (eine sehr wichtige Menschenklasse für einen jungen Schriftsteller) viel freundlicher, als sie sich mir je gezeigt. Ich selbst hatte durch diese Reise einen fast übermäßig reichen /6/ Hintergrund für meine Novellen und Romane gewonnen, und arbeitete jetzt acht Jahre unverdrossen fort, bis mich 1860, nicht etwa Mangel an Stoff – denn ich hatte damals schon genug, um für mein Leben auszureichen, – doch neue Wanderlust und das Bedürfniß erfaßte, die schwächer werdenden Bilder jener fremden Welt auf’s Neue aufzufrischen. Ich machte eine achtzehnmonatliche Tour durch Südamerika, wobei ich mein Augenmerk besonders auf früher noch nicht besuchte oder neu entstandene Kolonien richtete, wie vorzüglich in Ecuador, Peru, Chile und Brasilien.
Im Jahr 1861 kehrte ich nach Europa zurück; ich hatte lange keine Briefe von daheim gehabt – meine Frau war krank geworden und – gestorben; eine trübe Wiederkehr. Es litt mich auch nicht lange in Deutschland. Schon im Frühjahr 1862 ging ich mit dem Herzog von Coburg nach Egypten und Abyssinien, machte dann in den Jahren 1867 und 1868 meine letzte Reise nach Nordamerika, Mexiko und Venezuela und bin jetzt scharf daran, meine Erinnerungen auszuarbeiten.
Was ich Alles geschrieben? ich will Ihren Raum hier nicht mit der Aufzählung meiner verschiedenen Schriften füllen – und wie ich es geschrieben? – Es ist mir von verschiedenen Seiten, und oft sehr vornehm, vorgehalten worden, daß ich ein rein praktischer Mensch wohl, aber kein Gelehrter sei – lieber Gott, es muß auch solche Käuze geben und ich räume das gern ein. Ich habe mich nie in rein wissenschaftlicher Art mit Pflanzen-, Stein- oder Thierkunde beschäftigt, meine Augen dagegen fest auf den Punkt gehalten, der von den meisten Naturforschern auf das Gründlichste vernachlässigt ist – auf die Menschen, und zwar auf die Völker, wie sie jetzt auf der Erde leben. Ebenso durchzog ich vorzugsweise die Länder, denen sich unsere deutsche Auswanderung zugewandt, und daß ich es nicht ganz nutzlos gethan, hat mir jetzt wieder so mancher warme Händedruck da draußen in fremden Ländern und an Stellen bewiesen, wo ich nicht einmal hoffen durfte, einen entfernten Bekannten zu treffen, und trotzdem überall warme Freunde fand.
„Und wollen Sie nicht wieder bald einmal auf Reisen gehen?“ /7/ werde ich von vielen Leuten, die mich als eine Art von Perpetuum mobile zu betrachten scheinen, gefragt. Quien sabe! Ich bin allerdings, wie Sie wissen, noch in den „besten Jahren“ und gerade etwa vierundfünfzig, habe also „nichts versäumt“, will es aber doch jetzt noch eine Weile abwarten und nur erst den Stoff verarbeiten, der mir zunächst auf dem Herzen liegt, – was dann weiter wird? – es ist das Unglücklichste, was ein Mensch auf der Welt thun kann: Pläne auf Jahre hinaus zu machen, wo er nicht einmal Herr über den nächsten Tag ist. – Was kommen soll, kommt. Ich habe völlig Zeit, es ruhig abzuwarten, und die verfliegt mir außerdem rasch genug, denn ich lebe ja jetzt in meinen Erinnerungen.
So alt bin ich freilich geworden, daß ich das Leben, was ich geführt, nicht noch einmal von Anfang an durchkosten möchte, aber ich würde es auch gegen kein anderes der ganzen Welt eintauschen, denn bunt und mannigfaltig war es zur Genüge – ich habe Jahre lang in großen Städten, von Comfort umgeben, und ebenso im wilden Urwalde von Wildfleisch und zu Zeiten sogar von Sassafras-Blättern oder einem alten Kakadu gelebt – ich bin Gast von gekrönten Häuptern und Feuermann auf einem Mississippi-Dampfer wie Tagelöhner gewesen, aber ich war stets frei und unabhängig wie der Vogel in der Luft, und mit Lust und Liebe zu meinem Berufe, den ich mir nicht gewählt, sondern in den ich eigentlich hineingewachsen bin, mit einer Fülle von Erinnerungen und noch genug Schaffenskraft, mich ihrer zu erfreuen, ja auch mit dem Bewußtsein, manches Gute gethan und manchem Menschen genützt zu haben, fühle ich mich hier an meinem Schreibtische genau so wohl, als ob ich da draußen auf flüchtigem Renner durch die Pampas hetzte oder unter einem Fruchtbaum am Meeresstrande der donnernden Brandung gegen die Korallenriffe lauschte.
Da haben Sie meine Lebensbeschreibung, lieber Keil. Ich bin, wie gesagt, kein Gelehrter, aber
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald, in Strom und Feld“;
/8/ und in diesem Sinne kann ich mich wirklich und wahr einen „Schriftsteller von Gottes Gnaden“ nennen, als der ich mich zeichne
Ihr alter getreuer
Friedrich Gerstäcker.
Braunschweig, im März 1870.
Der Herr von der Hölle.
Erstveröffentlichung 1869: Im Mondenschein [Der Herr von der Hölle. Eine verzweifelte Geschichte.]
Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Herausgegeben von Ernst Dohm und Julius Rodenberg. Band 5, Seiten 385-412. Leipzig: A. H. Payne
1. In Verzweiflung.
Ueber dem freundlichen Lahnthal stand der Mond1 und warf sein mildes Licht auf die bewaldeten Höhen, auf den blitzenden kleinen Strom und auf einen von Menschen schwärmenden Platz nieder, der sich aber dort unten seinen eigenen Lichterglanz gebildet hatte und wahrlich den sanften Schmelz nicht achtete, der da draußen, in unbeschreiblichem Zauber, auf der Landschaft lag.
Wunderliche Welt! Wunderliches Menschenvolk darin, das sich überall einnistet und ausbreitet und die Natur selber seinen Leidenschaften dienstbar macht.
Oben auf den Bergen lag der stille Frieden Gottes. Versteckt auf der in Myriaden von Thauperlen funkelnden Wiese, die schlanken, geschmeidigen Körper scharf in dem Schatten der Mondenstrahlen abgezeichnet, äste sich ein kleines Rudel Rehwild, und darüber hin strich die Nachtschwalbe mit ihrem melancholischen Ruf – die Grille zirpte, und leise rauschte in der vom Rhein herüberwehenden Brise das junge saftige Buchenlaub. Unten aber im Thal, aus der Erde Grund /10/ herauf, quoll geheimnißvoll aus rätselhafter Tiefe der heiße Quell – noch Blasen werfend in der kühlen Abendluft, wie er sich den unterirdischen Gluthen eben entrungen, und daneben, ja sogar darüber hatte das Menschenvolk seine Wohnungen selbst in den starren Fels hineingebohrt und hauste da nach Herzenslust.
Wie ein Palast hob es sich dort mit hohen, luftigen und jedem nur erdenkbaren Luxus ausgestatteten Räumen, von rauschender Musik durchströmt, von zahllosen Lampen erhellt, und mitten darin, das Centrum des Ganzen bildend – der eigentliche Blocksberg, zu dem in der Nacht des ersten Mai der böse Feind seine Anhänger zieht, sie dort zu einem wilden Fest vereinigend, – standen die grünen Tische mit Gold, Silber und Banknoten bedeckt. Das Auge der Opfer, die sich um die gefährlichen Stellen drängten, sah aber nicht den milden Mondenglanz, der draußen an den Hängen lag – ihr Ohr vernahm nicht einmal die rauschende Musik umher, viel weniger noch das geheimnißvolle Murmeln der unterirdischen Quellen, denn nur an dem blitzenden, klingenden Gold auf den Tischen hingen die Sinne. Was kümmerte sie die Welt, und wenn sie sich in ihrer ganzen Pracht entfaltet hätte!
Aus den hell erleuchteten Räumen in die Mondnacht hinein schritt eine kleine schmächtige Gestalt, das Antlitz todtenbleich, das dünne röthliche Haar wirr um die Schläfe hängend und dabei so vollständig rath- und gedankenlos, daß er selbst ohne Hut hinaus in’s Freie wollte. Der Portier an der Thür wußte aber besser, was sich schickt; er war außerdem Menschenkenner und hatte die kleine dürftige Gestalt schon aufmerksam betrachtet, als sie die erleuchtete Halle nur betrat – ja sogar dem fadenscheinigen Rock den Eintritt verweigern wollen. Jetzt reichte er ihm schweigend und mit einem bedauernden Achselzucken – denn ein Trinkgeld stand nicht in Aussicht – den Hut, und der kleine blasse Mensch stürmte hinaus – fort. Und nicht einen Blick warf er umher – zwischen den Bänken, Tischen und Stühlen, die draußen unter den Schattenbäumen im Freien standen, wand er sich hindurch, der schmalen eisernen Brücke zu, die über die Lahn führt. Diese überschritt er; /11/ an dem Bassin vorüber, in welchem die heißen Wasser abgekühlt werden, ging er, den Blick fest auf den Boden geheftet, – drüben passirte er das letzte Haus und schlug sich dann, hügelan, in ein kleines Wäldchen hochstämmiger süßer Kastanien hinein, das, von Blüthen bedeckt und wie mit Silber übergossen, seine ganze Pracht entfaltete.
Aber was kümmerte den Unglücklichen die herrliche Mondnacht und der Schmelz der Blüthen! Finstere Gedanken zerquälten sein Hirn, und mit festverschränkten Armen schritt er durch den kleinen Kastanienhain bis zum obern Rand hinan, wo er sich aus Sicht von jeder menschlichen Wohnung, von jedem begangenen Wege befand. Dort erst hielt er an und warf den scheuen Blick umher.
Es dauerte übrigens nicht lange, bis er das gefunden, was er zu suchen schien: einen starken, gerade ausgehenden Ast eines der stärkeren Kastanienbäume, und dort – wie an einem Ziel angelangt, die Stirn in finstere Falten gezogen, das Auge düster drohend, schleuderte er seinen Hut zu Boden und begann seine Vorbereitungen zu einem letzten, verzweifelten Schritt.
Er knöpfte seine Weste auf und schlang ein nicht dickes, aber sehr festes Seil los, das er sich um die Taille gewunden hatte. Dann, ohne sich auch nur einen Moment zu besinnen, machte er mit kundiger Hand an dem einen Ende eine Schleife und warf das andere Ende über den Ast.
Hier aber traf er auf eine Schwierigkeit, auf die er anfangs nicht gerechnet haben mochte. Der Ast stand vortrefflich aus, aber er war für seine kleine Statur zu hoch, wie der Baum ebenfalls zu dickstämmig, um ihn zu erklettern – der angehende Selbstmörder schien wenigstens in solchen gymnastischen Künsten nicht geübt.
Er hielt jetzt einen Moment in seiner Arbeit inne, um sich zu überlegen, wie er dies Hinderniß am besten überwinden könne. Es war auch in der That nicht so leicht, und er dachte gerade daran, sich vielleicht einen bequemeren Baum auszusuchen, als er plötzlich zusammenschrak; denn dicht und unmittelbar neben sich hörte er eine Stimme, die mit der größten Ruhe und Unbefangenheit sagte:
/12/ „Der Baum ist ein bischen unbequem – Sie hätten sich einen etwas niedrigeren Ast aussuchen sollen. Ich glaube, der dort drüben wäre besser geeignet.“
Der Selbstmörder fuhr wie von einer Natter gestochen herum und sah unter den Bäumen, aber gerade von einem Strahl des hindurchbrechenden Mondlichtes getroffen, die Gestalt eines anständig gekleideten Herrn, der dort mit dem Rücken an dem Stamm einer Kastanie lehnte und allem Anschein nach schon dort gewesen sein mußte, als er selber den Platz betrat, denn die Schritte eines Nahenden hätte er jedenfalls gehört. Der aber doch zur Verzweiflung getriebene junge Mensch war nicht in der Stimmung, Rücksicht auf irgend Jemanden zu nehmen. Was hatte der Lauscher hier zu thun? Ihn an seinem Vorhaben zu verhindern? Die Folgen über ihn, und mit seiner rechten Hand blitzesschnell in die Tasche greifend, zog er ein kleines Einschlagmesser heraus öffnete dasselbe rasch und sagte dann mit drohender Stimme:
„Was wollen Sie hier? Wie sind Sie hierher gekommen? Beim Himmel, wenn Sie versuchen wollten, mich hier zu stören, so haben Sie sich an den falschen Mann gewandt. Wo ich im Begriff bin, mein eigenes Leben in die Schanze zu schlagen, können Sie sich wohl denken, daß ich keine Rücksicht auf das eines Fremden nehme. Fort von hier! Wenn Sie nur den geringsten Versuch machen sollten, mir zu nahen, so renne ich Ihnen dies Messer in den Leib.“
„Aber, verehrter Herr,“ sagte der Fremde, ohne sich durch die Drohung einschüchtern zu lassen, oder auch nur eine Bewegung zu machen, als ob er dem Gebot Folge leisten wolle, „ich habe nicht die entfernteste Absicht Sie zu stören, oder Ihnen in einem guten Vorsatz hinderlich zu sein. Ich stehe Ihnen im Gegentheil mit Vergnügen zu Diensten, wenn ich Ihnen dabei in irgend etwas nützen kann.“
Der Unglückliche betrachtete ihn noch immer mißtrauisch. Es war eine nicht übermäßig große, schlanke Gestalt mit regelmäßigen, aber blassen Gesichtszügen – oder gab ihm nur das grelle Mondlicht diese Färbung? Nach der neuesten Mode gekleidet, quollen unter seinem Cylinderhut volle rabenschwarze Locken vor, und indem er jetzt den leichten Ueberrock zurück /13/ schlug – als ob ihm etwas warm darunter würde, zeigten sich verschiedene bunte Decorationen auf seiner Brust. Er gehörte jedenfalls den höheren – wenigstens den bevorzugten Ständen an.
„Ich verstehe Sie nicht,“ sagte der Unglückliche, nachdem er den Fremden ein paar Momente in düsterem Schweigen betrachtet hatte; „Sie wollen mir helfen, meinem Leben ein Ende zu machen, das ich nicht im Stande bin, länger zu ertragen? Weshalb?“
„Sie nennen gleich den Grund mit,“ sagte der Fremde mit einer leichten Handbewegung. „Wenn Sie wirklich nicht im Stande sind, es länger zu ertragen, so ist es Ihnen doch eine Last, und was sollte mich da abhalten, Ihnen zu nützen? Weil die Handlung vielleicht ungesetzlich ist? Die Sache würde komisch sein, wenn sie nicht auch ihre ernste Seite hätte – aber entschuldigen Sie,“ unterbrach er sich selber, „wenn ich Sie durch mein Geschwätz so lange aufhalte. Der Ast da ist Ihnen ein wenig zu hoch, ich habe aber, als ich hierher kam, dort drüben eine kleine Leiter stehen sehen, die der Gärtner wahrscheinlich zu irgend einem Zweck benutzt; ich glaube, daß dieselbe Ihrem Zweck vollständig genügen wird, und wenn Sie erlauben, hole ich Ihnen dieselbe – ich bin den Augenblick wieder hier.“ – Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, ging er vielleicht zwanzig Schritt unter den Bäumen hin und kehrte wirklich gleich darauf mit einer kleinen Leiter zurück, die er neben dem Unglücklichen mit der unbefangensten Miene von der Welt an den Baum lehnte.
Der Selbstmörder hatte ihn noch immer im Verdacht, daß alles dieses nur ein Vorwand sei, um an ihn hinan zu kommen, damit er plötzlich auf ihn springen und ihn an der That verhindern könne; er trat auch ein paar Schritte von dem Manne zurück und hielt das gezückte Messer noch immer in der Hand – fest entschlossen, keiner menschlichen Gewalt zu weichen. Der Fremde aber achtete nicht einmal auf die drohende Bewegung, und als er die Leiter so gestellt hatte, daß man jetzt von ihr aus bequem den Ast erreichen konnte, wandte er sich wieder ab, ging zu seiner alten Stelle und sagte dann ruhig:
/14/ „So, lieber Freund, jetzt sind Sie nicht im Geringsten mehr gehindert; wenn Sie die Schlinge gemacht und um den Hals gelegt haben, brauchen Sie nur die Leiter mit den Füßen umzustoßen, und das Resultat wird ein vollständig befriedigendes sein. – Bitte, geniren Sie sich auch nicht etwa meinetwegen; ich bin schon sehr häufig Zeuge solcher oder ähnlicher Handlungen gewesen und vollständig daran gewohnt.“
Der junge Mensch war, als er diese Stelle betrat, fest entschlossen, seinem wahrscheinlich verfehlten Leben ein Ende zu machen, und er hätte auch alle Schwierigkeiten, die sich ihm da in den Weg stellen konnten, in seiner doch nun einmal verzweifelten Stimmung überwunden. Dieses Entgegenkommen eines Fremden aber, diese wahrhaft entsetzliche Gefälligkeit, mit der er die Hand lieh, einen Mitmenschen zum Selbstmörder zu machen, ja das kalte, ironische Lächeln, das auf seinen Zügen lag, strich ihm doch wie ein eisiger Reif über die Seele, und starr den Blick auf ihn geheftet, rief er:
„Mensch oder Teufel, der Du bist – hebe Dich weg von mir! – Eine eigene Angst überkommt mich in Deiner Nähe – fort und laß mich allein sterben!“
Ein Lächeln flog über die Züge des Fremden.
„Es ist sehr freundlich von Ihnen,“ sagte er, „daß Sie mich mit dem vertraulichen Du anreden, und wenn Sie nicht in solcher entsetzlichen Eile wären, die mondbeschienene Erdoberfläche zu verlassen, so könnte es vielleicht zu einer näheren Bekanntschaft führen – doch die Menschen sagen: des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und wer sich aus diesem Himmelreich selber eine Hölle machen will, dem,“ setzte er achselzuckend hinzu, „kann man es natürlich nicht wehren. Ich störe außerdem nie ein Vergnügen – also à revoir mon cher, denn – wenn Sie Ihren Vorsatz ausführen, soupiren wir vielleicht heut Abend noch zusammen.“
Damit lüftete er leicht den Hut, drehte sich ab und wollte den Platz eben verlassen, als der junge Verbrecher, vielleicht durch die Verzögerung und das Zusammentreffen mit einem Fremden – möglicher Weise auch durch die furchtbare Bereit /15/ willigkeit wankend gemacht, mit der dieser ihn in seinem Vorsatz zu bestärken schien, ihn noch einmal anrief:
„Und ist das alle Hülfe, die Sie mir leisten wollten?“
Der Fremde drehte sich lachend um und sagte:
„Wünschen Sie vielleicht Geld von mir zu borgen?“
„Teufel!“ knirschte der junge Verbrecher zwischen den Zähnen, wandte sich ab und ergriff jetzt entschlossen die Leiter – was auch hatte er auf Erden noch zu suchen – aber der Fremde schien sich anders besonnen zu haben. Er ging nicht, sondern kehrte um, kam bis auf fünf Schritt etwa, wo der junge Mann schon die Schlinge befestigte, heran und sagte:
„Hören Sie einmal, lieber Freund. Sie scheinen mir ein nicht unbedeutendes Ahnungsvermögen zu besitzen. Warten Sie noch einen Augenblick mit Ihrer Abreise, es wär’ doch möglich, daß ich auch hier auf Erden noch eine Beschäftigung für Sie fände.“
„Sie? für mich?“ sagte der junge Selbstmörder mit finsterem Blick. „Wer sind Sie denn überhaupt?“
„Der Teufel,“ sagte der Fremde ruhig – und nur mit einem leisen spöttischen Zug um die Lippen. „Sie nannten ja vorhin meinen Namen.“
„Der Teufel?“ rief der Unglückliche, und ein eigenthümliches Zittern flog über seinen Leib – die stille Nacht – der fahle Mondschein, der einsame Ort, ja die unheilige Absicht selbst, in der er sich hier befand, das alles mochte zusammenwirken, um sein Herz mit einem unbestimmten Schauder zu erfüllen – aber das konnte doch nur Momente dauern, und mit heiserer Stimme lachte er wild auf:
„Das wäre in der That ein vortrefflicher Gesellschafter für meine Reise – wenn es überhaupt einen Teufel gäbe. – Nur so viel ist sicher, ein Herz haben Sie nicht, oder Sie könnten nicht mit einem Menschen in meiner Lage Ihren Scherz noch treiben. Fort! Sie sind nicht im Stande, mir zu helfen.“
„Das käme auf einen Versuch an,“ sagte der Fremde. „Sie brauchen jedenfalls Geld, weiter nichts.“
„Und selbst eine kleine Summe könnte mir nichts nützen,“ sagte der junge Spieler finster, „mein Unglück liegt tiefer – /16/ ich habe meinen Beruf verfehlt, und jede Hülfe jetzt würde nur dazu dienen, mein Schicksal um Monate – ja vielleicht Wochen hinaus zu zögern.“
„Ihren Beruf verfehlt? Caramba!“ sagte der Fremde (und der Teufel soll allerdings immer nur spanisch, aber dabei anständig fluchen) „an solchen Leuten habe ich eigentlich von jeher ein Interesse genommen. Ich verkehre am allerliebsten mit Menschen, die ihren Beruf verfehlt haben. Kommen Sie herunter und lassen Sie uns ein halbes Stündchen mit einander plaudern; wollen Sie sich nachher noch absolut hängen, so haben Sie die ganze Nacht vor sich, und kein Mensch wird Sie daran verhindern. Was sind Sie eigentlich?“
„Zuerst beantworten Sie mir die nämliche Frage, die ich vorhin an Sie gerichtet,“ sagte da der junge Mann, der jetzt von der Leiter wieder herabstieg, aber trotzdem noch mit einem heimlichen Grausen in das bleiche Antlitz des Fremden sah.
„Und habe ich das nicht schon gethan?“ sagte dieser ruhig. „Ich bin wirklich der Teufel.“
„Sie treiben Ihren Spott mit mir,“ rief der junge Mann, indem er aber doch die Gestalt des Fremden mit einem scheuen Blick überflog.
„Wie soll ich mich legitimiren?“ erwiderte achselzuckend der Fremde; „glauben Sie etwa, daß ich mit Hörnern und Pferdefuß herumlaufe, wie mich einzelne alberne Menschen schildern, um Kinder und Schafsköpfe damit fürchten zu machen? Mit einer solchen Gestalt könnte ich mich natürlich vor Niemandem blicken lassen. Am Tag aber von Geschäften überladen, besuche ich gern Abends im Mondenschein die Erde und gehe dann eben mit dem Monde; denn irgendwo scheint er doch die ganze Nacht.“
„Und was wollen Sie von mir?“ sagte der junge Mann scheu, und fühlte wie ein Zittern durch seine Glieder lief – „meine Seele?“
Der Fremde lachte laut auf. „Glauben Sie wirklich, daß ich mich einer einzigen lumpigen Seele wegen hier eine Stunde zu Ihnen gesellt hätte? Das wäre der Mühe werth! Ich habe meine Freude an ganz anderen Dingen und, wie gesagt, viel mehr Vergnügen daran, Leute, die ihren Beruf /17/ verfehlt haben, in die richtige und passende Bahn zu bringen, als sie abfahren zu sehen, ohne daß sie der Welt – und mir etwas genützt hätten. Wie heißen Sie?“
„Guido Lerche.“
„Und Ihr bisheriger Beruf?“
Guido Lerche schwieg und sah düster nach dem Fremden hinüber, endlich sagte er: „Schriftsteller – Dichter – aber wenn Sie der wirklich wären, für den Sie sich ausgeben, so müßten Sie doch auch mich und meinen Beruf kennen.“
Achselzuckend erwiderte der Fremde: „Die Menschen sagen allerdings häufig: „Der Teufel soll alle Schriftsteller und Schriftstellerinnen Deutschlands kennen“; es ist das aber nur eine ganz gemeine Schmeichelei – ich bin es nicht im Stande. Sie müssen mich deshalb entschuldigen. – Wahrscheinlich schreiben Sie anonym?“
Guido Lerche biß sich auf die Unterlippe; er stand schon gewissermaßen mit einem Fuß in einer andern Welt, aber die kleine Eitelkeit dieser hatte ihn trotzdem noch nicht ganz verlassen; der Fremde aber, der es bemerken mochte, sagte etwas freundlicher:
„Kommen Sie, lieber Herr Lerche – lassen Sie vor der Hand noch den Strick los und uns Beide einmal vernünftig mit einander sprechen. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich schon vielen Leuten geholfen habe, und sobald Sie sich nur ein klein wenig anstellig zeigen, ist die Sache auch gar nicht etwa so schwer. Nur mit dummen Menschen mag ich nichts zu thun haben, oder die brauchen mich vielmehr nicht. Sie arbeiten mir auch sehr häufig durch ihre Dummheit in die Hände, und anfangen läßt sich doch nichts mit ihnen – man muß sie eben einfach gehen lassen.“
„Und Sie wollen mir helfen?“ sagte Lerche, ohne aber bis jetzt noch seine Stellung zu verändern – „und wie das anfangen? Soll etwa meine unsterbliche Seele der Preis sein?“
„Seien Sie nicht kindisch,“ erwiderte der Fremde; „wenn mir etwas an Ihrer ‚unsterblichen Seele‘ läge, so brauchte ich Sie ja nur nicht zu stören. Sie machen sich überhaupt von Ihrer Seele und meinem Verlangen danach einen total falschen Begriff und beurtheilen die Sache einfach wie /18/ der große Haufe nach den verschiedenen Märchen, die sie darüber hören, und die gewöhnlich geradezu abgeschmackt sind.“
In Guido Lerche’s Herzen dämmerte in dem Moment zuerst wieder eine Hoffnung. War es denn nicht möglich, daß er hier einen reichen – und dann natürlich verrückten Engländer gefunden hatte, der zufällig Zeuge seines beabsichtigten Selbstmordversuchs gewesen, und nun in seiner barocken Weise ihm zu helfen wünschte? Er mußte wenigstens wissen, was der Fremde, der sich für den Teufel ausgab, eigentlich von ihm wolle und ob er in ihm einen Retter gefunden – der letzte Ausweg blieb ihm ja dann noch immer unverwehrt. Er ließ den Strick los, trat von den untersten Sprossen der Leiter herunter und die Arme verschränkt auf den Fremden zu, der ihn ruhig, wo er stand, erwartete. Jetzt sagte er freundlich:
„Kommen Sie, Herr Lerche, wir wollen uns da drüben, am Rand des kleinen Wäldchens, unter einen Baum setzen, wo der Thau das Laub nicht getroffen hat, und dort erzählen Sie mir einfach – aber, wenn ich bitten darf, so kurz als möglich, Ihre Schicksale. – Ich bedarf nur der Andeutungen und verstehe ganz vortrefflich zwischen den Zeilen zu lesen.“
Lerche betrachtete ihn aufmerksam. Wie ein Engländer sah er eigentlich nicht aus – schon die schwarzen, gelockten Haare sprachen dagegen – weit eher wie ein Italiener oder Spanier; er hatte auch außerordentlich weiße und zarte Hände, und in der seidenen feuerrothen Cravatte funkelte ein prachtvoller Diamant. Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt aber der Fremde der bezeichneten Stelle zu, und es war in der That ein wundervoller Platz, wie man ihn sich nicht reizender hätte aussuchen können.
Voll und klar stand der Mond am blauen, sternbesäeten Himmel; nur hier und da zogen lichte und durchsichtige Wolkenschleier darüber hin und warfen für Momente einen Halbschatten auf die Erde. Ueber ihnen wölbte sich das breite Dach des Kastanienbaumes – vor ihnen lenkte sich allmälig der leise ablaufende Hang dem kleinen Strom entgegen, unfern von dem, aus eingeschlossenen Mauern hervor, die weißen Dämpfe der dort zum Abkühlen gesammelten /19/ heißen Quelle stiegen. – Drunten im Thal aber und drüben auf dem andern Ufer der Lahn blitzten die Lichter der zahllosen Hotels, und von dort her tönte auch noch die rauschende Melodie eines lustigen Galopps, zu der sich die geputzten Paare auf dem Parket des Saales im Kreise schwenkten. Still und majestätisch aber lagen dahinter die mondbeschienenen und dicht bewaldeten Hänge der Berge, und stiller, heiliger Frieden ruhte über dem ganzen Bilde.
Der Fremde schien die prachtvolle Scenerie selber mit Wohlgefallen zu betrachten. Er warf sich auf das weiche Laub nieder, und den rechten Ellbogen auf den Boden stützend, sagte er:
„Allerliebste Gegend hier – und so kühl und frisch heut Abend. Bitte, Herr Lerche, nehmen Sie Platz, und nun erzählen Sie mir einmal, was Sie eigentlich zu einem Schritt getrieben, den Ihr Menschen doch nur einmal im Leben wagen könnt, während Ihr dabei völlig und unrettbar in das Dunkel einer geheimnißvollen Zukunft hinausspringt. – Merkwürdig – nicht einmal ein unvernünftiges Pferd springt über eine Bretterwand, wenn es nicht sehen kann, wo es drüben im Stande ist, die Füße hinzusetzen.“
„Und weshalb nehmen Sie ein solches Interesse an mir?“ sagte Lerche düster, indem er aber doch der Einladung Folge leistete und sich neben dem Fremden auf das wie aufgeschüttete Laub niederwarf.
„Werden Sie nicht langweilig,“ erwiderte der Fremde – „woher vermuthen Sie, daß ich überhaupt Interesse an Ihnen nehme? Ich will nur sehen, ob Sie sich hier aus der Welt nicht noch nützlich machen können – wäre das nicht der Fall, so würde ich Sie nicht weiter belästigen. Also erzählen Sie frisch von der Leber weg; es ist noch früh, und Sie haben übrig Zeit.“
„Aber,“ sagte Lerche.– „wenn ich mich einem vollkommen Fremden anvertrauen soll, so muß ich doch wenigstens im Ernst wissen, mit wem ich es zu thun habe. Wer sind Sie? Wie heißen Sie?“
„Wer ich bin, habe ich Ihnen schon vorhin gesagt. Wie ich heiße? Ihre Nation hat zahllose Namen für mich – /20/ manche sogar beleidigender Art, wenn mich die kindliche Einfalt derartiger Menschen überhaupt beleidigen könnte.“
„Sie treiben Ihren Scherz mir mir,“ sagte Lerche – „Ihr gutes Herz verleitet Sie, einem Unglücklichen zu helfen, ohne ihn zu Dank verpflichten zu wollen.“
„Mein gutes Herz?“ lachte der Fremde jetzt wirklich grell und unheimlich auf. – „Das ist vortrefflich, Herr Lerche, ich fange wirklich an zu glauben, daß Sie ein Dichter sind, denn Sie haben Phantasie. Mir ist schon viel im Leben nachgesagt, aber ein gutes Herz – hahahaha – das ist in der That äußerst komisch! Aber bitte, beginnen Sie. – Mit wem Sie es zu thun haben, wissen Sie jetzt. Doch geniren Sie sich nicht. Neues können Sie mir nicht berichten, denn im Leben der Menschen wiederholen sich ja derartige Dinge, und nur von Ihrem sechzehnten Jahre fangen Sie an – die Kindergeschichten brauche ich nicht zu wissen. Wer war Ihr Vater?“
„Ein Weinhändler,“ sagte Lerche, der sich doch nicht recht behaglich fühlte – aber es mußte ein Engländer sein, denn ein anderer Mensch wäre gar nicht auf den Gedanken gerathen, sich direct für den Teufel auszugeben.
„Ein Weinhändler! – hm – das ist gut,“ nickte sein Nachbar zufrieden – „und zu welchem Lebensberuf wurden Sie bestimmt?“
„Ich sollte demselben Geschäft folgen,“ sagte Lerche – „hatte aber keinen besondern Trieb dazu. Der harten Arbeit als Küper war mein schwächlicher Körper nicht gewachsen – ich fühlte immer einen Hang zur Poesie und ging frühzeitig zum Theater.“
„Sehr gut,“ nickte der Teufel – „aber damit ging es nicht.“
„Nein,“ sagte Lerche zögernd – „Intriguen und Chicanen wurden gegen mich gesponnen.“
„Natürlich,“ lächelte sein Nachbar – „Sie finden nie einen schlechten Schauspieler, gegen den nicht die bösartigsten Intriguen angezettelt werden.“
„Aber ich war kein schlechter Schauspieler,“ fuhr Lerche auf.
/21/ „Bitte, fahren Sie fort,“ nickte der Andere. „Sie verließen die Bühne, weil der schlechte Geschmack des Publikums Ihre Verdienste nicht zu würdigen wußte, und gingen – ?“
„Nach Amerika –“
„Caramba,“ sagte der Fremde wieder – „das ist weit! Aber es gefiel Ihnen auch dort nicht?“
„Nein – das materielle Volk da drüben hat keinen Sinn für Poesie – in der That keinen andern Gedanken, als immer nur Geld – Geld – Geld. – Wenn ich hätte mit Spitzhacke und Schaufel arbeiten wollen –“
„Aber das wollten Sie nicht!“
„Nein, es drängte mich nach Deutschland zurück –“
„Sie borgten das Geld zur Ueberfahrt –“
Herr Lerche sah ihn überrascht an. – „Es blieb mir nichts Anderes übrig,“ sagte er.
„Selbstverständlich,“ nickte der Fremde.
„Hier in Deutschland warf ich mich auf die Schriftstellerei,“ fuhr Lerche fort, dem der Gegenstand unangenehm sein mochte, „aber der Teufel soll die Buchhändler holen!“
„Bitte!“ sagte der Fremde.
„Es ist nichts als Protection, Schwindel oder Betrug. – Ich habe Romane geschrieben, bei denen mir selber die Haare zu Berge stiegen – Gedichte, die ich vorgelesen und bei denen mich die Zuhörer zuletzt um Gottes willen baten, aufzuhören, weil ihre Nerven zu sehr angegriffen wurden und sie die Thränen nicht mehr zurückhalten konnten – umsonst, ich fand keinen Verleger. – Dann warf ich mich auf die dramatische Kunst – ich schrieb Dramen, die von einer ergreifenden Wirkung hätten sein müssen, wenn ich eine einzige Direction gefunden, die sie aufgeführt – Operntexte – Alles vergebens – ich wurde der Verzweiflung preisgegeben.“
„Und wovon lebten Sie die ganze Zeit?“ frug der Fremde.
„Ich – suchte mich so ehrlich als möglich durchzubringen –“
„Natürlich durch weitere Schulden –“
„Ich mußte allerdings Gelder aufnehmen,“ sagte wieder zögernd Herr Lerche – „ich – konnte nicht verhungern.“
/22/ „Hm – ich weiß jetzt genug,“ sagte der Fremde trocken, „und es bleibt mir noch übrig, Sie um Auskunft zu bitten, was Sie zu diesem letzten verzweifelten Schritt getrieben?“
„Mein Unglück ist bald erzählt,“ sagte Herr Lerche. „Ich hatte einen Band meiner besten Gedichte zusammengestellt – den Extract meiner Poesie, wenn ich es so nennen könnte – eine 59er Auslese Cabinetswein – der Buchhändler wollte mir kein Honorar geben, verstand sich aber dazu, den Band in Commission zu verlegen und hübsch auszustatten. – Jahre vergingen – ich schrieb endlich an den Geldmenschen und bat ihn um Abrechnung – die Abrechnung kam. Sie enthielt auf der einen Seite den genauen Kostenüberschlag für Druck, Papier, Buchbinder, Insertionsgebühren, auf der andern Seite den Absatz – es blieben noch sechs Gulden Saldo zu seinen Gunsten.“
„Das war kein brillantes Geschäft,“ sagte achselzuckend der Fremde.
„Nein,“ fuhr Lerche düster fort, „da trieb mich die Verzweiflung, und ich nahm die sechs Gulden und ging damit zum grünen Tisch –“
„Entschuldigen Sie,“ sagte der Fremde, „Sie müssen sich da versprochen haben. Sie sagten mir vorher, daß die sechs Gulden zu seinen, also des Verlegers, Gunsten gewesen wären. Folglich waren Sie ihm dieselben noch schuldig; wie konnten Sie also damit zur Spielbank gehen?“
„Ich borgte mir die sechs Gulden vom Wirth auf meinen Reisesack,“ sagte Herr Lerche.
„Sehr gut,“ nickte der Fremde. „Sie arbeiteten dadurch mit doppelt negativem Capital – vortrefflich! Also Sie gingen zur Spielbank – verloren aber natürlich.“
„Auch den letzten Gulden,“ bestätigte Lerche, „und die Verzweiflung trieb mich endlich hier heraus.“
„Aber wo bekamen Sie den Strick so geschwind her?“
Herr Lerche zögerte diesmal sehr lange mit der Antwort, endlich sagte er: „Da ich Ihnen nun doch einmal Alles gebeichtet habe, sollen Sie auch das erfahren. Ich hatte ihn mir gekauft, um mich daran im Hotel aus dem Fenster zu /23/ lassen, wenn ich, wie voraussichtlich, meine Wirthshausrechnung nicht bezahlen konnte.“
Der Fremde richtete sich bei den Worten im Nu in die Höhe, und dem jungen Mann die Hand hinüberreichend, sagte er freundlich:
„Herr Lerche, ich kann Sie meiner vollen Hochachtung versichern. Sie haben unbestreitbar Talent, denn daran hätte ich selber nicht gleich gedacht. – Ich müßte mich auch sehr irren, oder Ihre Zukunft ist gesichert. Erlauben Sie mir jetzt nur noch eine Frage, und glauben Sie nicht, daß ich sie indiscret thue; aber ich muß es zu Ihrem eigenen Besten wissen. – Wie viel Schulden haben Sie, und vor allen Dingen, wem schulden Sie?“
Herr Lerche schwieg, aber nicht aus Zurückhaltung, denn allerlei Gedanken kreuzten ihm das Hirn. Der großmüthige Fremde wollte jedenfalls seine Schulden bezahlen, und er machte sich nun im Geist einen Ueberschlag, wie viel er angeben sollte, ohne dabei etwas zu vergessen. Endlich schien er damit im Reinen und sagte:
„Meinem Schneider schulde ich dreißig Thaler –“
„Selbstverständlich!“ lautete die Antwort.
„Meinem Schuhmacher fünfzehn, sind fünfundvierzig. – Meinem Wirth für Essen und Wohnung hundertundsechzig, macht zweihundertundfünf, dem Buchhändler acht Thaler, sind zweihundertunddreizehn – im Frühstückskeller zweiundvierzig Thaler etwa, macht zweihundertfünfundfünfzig. – Meiner Wäscherin elf Thaler – gleich zweihundert-sechsundsechzig, und dann – habe ich noch zweihundertfünfzig Thaler baar Geld aufgenommen.“
„Von wem?“ frug der Fremde.
„Von der ersten Liebhaberin unseres Theaters.“
„In der That? Eine Herzensneigung?“
„Nein.“
„Auf Wechsel?“
„Nein.“
„Also auf Ehrenwort?“
„Ja,“ sagte Herr Lerche zögernd, während der Fremde einen Blick nach dem Baum hinüberwarf, an dem der Strick noch /24/ hing. „Was sich also mit meiner Schuld hier in Ems auf etwas über fünfhundert Thaler belaufen würde.“
„Also einem Wucherer sind Sie nichts schuldig?“
„Nein – fünfhundert Thaler könnten mich retten.“
„Was nennen Sie retten?“ sagte der Fremde verächtlich. „Wenn Sie die fünfhundert Thaler bekämen und Ihre Schulden wirklich damit bezahlten, so wären nur Ihre Gläubiger besser daran, Sie selber aber genau auf dem alten Fleck wie vorher. Nur in dem Fall, daß Sie dieselben nicht bezahlten,“ setzte er langsamer hinzu – „wären Sie gebessert, aber auch nur für eine kurze Zeit, denn das alte Elend würde doch immer wieder über Sie hereinbrechen. Um Ihnen wirklich zu helfen, Herr Lerche, dazu gehört mehr als fünfhundert Thaler.“
„Oh, Sie sind so gütig!“ sagte Lerche, wirklich betroffen von den Worten.
„Dazu gehört,“ fuhr aber der Fremde fort, ohne von dem Lob die geringste Notiz zu nehmen, „daß Sie selber den Beruf finden, der für Sie paßt, und darin will ich Ihnen behülflich sein. Alles Andere ist nur ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein und hält Sie allein ein paar Monate länger am Leben, womit, nebenbei, Niemandem besonders gedient wäre.“
„Aber was verstehen Sie unter einem Lebensberuf?“ sagte Lerche, dessen Hoffnungen bei den Worten einen gelinden Stoß bekamen; denn baar Geld wäre ihm viel lieber gewesen, als ein Lebensberuf.
„Lassen Sie mich aufrichtig sein,“ sagte der Fremde, „denn nur dadurch kann ich Ihnen beweisen, daß ich es gut mit Ihnen meine – Sie haben nichts gelernt und von einem Beruf zum andern übergewechselt; Sie können auch nichts Selbstständiges und Vernünftiges schaffen, sonst würden Sie jedenfalls einen Verleger für Ihre Arbeiten gefunden haben. Ihr sonstiger Charakter läßt nichts zu wünschen übrig, und ich würde Ihnen ohne Weiteres eine Auswanderungs-Agentur vorschlagen, wenn Ihnen Ihre poetische Neigung darin nicht im Wege stünde. So weiß ich nur noch einen Ausweg für Sie, auf dem Sie sich Ihr Brod jedenfalls verdienen können: /25/ Sie müssen Theaterrecensent werden und sich wo möglich an einer Theaterzeitung und Agentur betheiligen.“
„Aber die mißglückten Versuche, die ich selber –“ sagte etwas schüchtern Herr Lerche.
„Bester Freund, die lassen Sie dann Anderen entgelten,“ lachte sein freundlicher Rathgeber; „denn wer selber etwas schreiben kann, wird natürlich nicht Recensent. Ihre Gewissenhaftigkeit steht Ihnen doch hoffentlich nicht dabei im Wege? – Und überdies,“ fuhr der Fremde leichthin fort, „werden Sie mit der Zeit auch so verbittert werden, daß Ihnen die Galle schon von selber kommen wird, und nichts in der Welt nährt besser als Galle –“
„Ich habe immer das Gegentheil geglaubt,“ wagte Lerche eine schüchterne Entgegnung; denn wenn ihm der Fremde nichts weiter geben wollte, als den Rath, so hätte er ihn eben so gut können sich selber überlassen, und dann wäre jetzt Alles überstanden gewesen.
Der Fremde würdigte ihn keiner Antwort; er hatte still vor sich nieder gesehen und leise dazu mit dem Kopfe genickt.
„Eine Auswanderungs-Agentur würde Ihnen nicht genügen,“ sagte er endlich – „je mehr ich mir die Sache überlege, desto mehr bin ich davon überzeugt. Daß Sie aber als Recensent Ihr Glück machen werden, ist gewiß. Wir sprechen uns wieder.“
„Verehrter Herr,“ bemerkte Lerche endlich, „das ist Alles recht schön und gut, aber wie soll ich dazu gelangen, selbst nur darin einen Anfang zu bekommen?“
„Ich gebe Ihnen einen Empfehlungsbrief mit an die Theater-Agentur in X.,“ sagte der Fremde, „die bringt Sie in die rechte Bahn – ich stehe mit ihr in Geschäftsverbindung.“
„Aber womit käme ich selbst nach X.?“ seufzte Lerche; „ich habe keinen rothen Heller mehr im Vermögen. Wenn Sie mir nur wenigstens die fünfhundert Thaler auf mein ehrliches Gesicht borgen wollten. – Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –“
Der Fremde lachte laut auf. „Die Menschen,“ sagte er endlich, nennen mich immer einen „dummen Teufel“, aber so /26/ dumm ist der Teufel denn doch wahrhaftig nicht, daß er einem deutschen Dichter Geld borgen sollte. – Caramba, die Idee ist nicht übel!“
„Sie nennen sich immer den Teufel,“ sagte Lerche, dem es doch anfing, unheimlich in der Nähe des blassen Mannes zu werden, noch dazu, da sich dieser direct weigerte, ihm irgend welchen Vorschuß zumachen; „wenn Sie nun wirklich der Herr wären – und ich muß Ihnen gestehen, daß ich mir bis dahin ein solches Wesen anders gedacht habe –“
„Mit feuersprühenden Augen und Hörnern, wie?“ lächelte der Fremde.
„Wenn auch vielleicht nicht so – aber doch –“
„Und was wollten Sie vorhin sagen?“
„Wirklich also den Fall genommen,“ wiederholte Lerche, „so wäre es doch für Sie ein Leichtes, mir auch ohne directen Vorschuß zu Geld zu verhelfen. Sie brauchten mir nur einen einzigen Thaler anzuvertrauen, und drüben an der Spielbank könnte ich –“
„Das geht nicht,“ unterbrach ihn kopfschüttelnd der Fremde; „ich – habe mit den Herren da drüben einen ganz bestimmten Contract und kann nicht gegen mein eigenes Geld spielen.“
„Aber wie soll ich hier fortkommen?“
„Hm,“ sagte der Fremde und sah ihn von der Seite an – „und wenn ich Ihnen nur die geringste Summe anvertraute, so machten Sie doch Dummheiten, liefen wieder hinüber und wären Ihr Geld in einer Viertelstunde los – denn Segen ist nicht darin.“
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –“
Der Fremde pfiff durch die Zähne. – „Sie halten mich für eben so leichtgläubig wie Ihre erste Liebhaberin,“ sagte er; „aber ich will Ihnen wenigstens von hier forthelfen,“ setzte er hinzu. „Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß mir nicht viel daran liegt, wenn Sie sich hier hängen, denn es entsteht dadurch immer ein unangenehmes Gerede für die Bank. Was Sie dann im Land drin thun, kümmert mich nicht. Uebrigens sehe ich ein, daß Sie sich nicht selber zu helfen wissen, denn zum directen Stehlen scheinen Sie mir zu ungeschickt. Sie müssen deshalb etwas Geld in die Hand /27/ bekommen – aber so viel sage ich Ihnen, werfen Sie ein einziges Stück des von mir erhaltenen Geldes auf den grünen Tisch, so verschwindet es im Nu, hinterläßt nichts als einen häßlichen Fleck und – die Folgen haben Sie sich nachher selber zuzuschreiben.“
„Und wie viel würden Sie die Güte haben –“
„Hier sind zwanzig Gulden,“ sagte der Fremde, indem er in die Tasche griff und die Silberstücke Herrn Lerche hinreichte, „das wird gerade hinreichen, um Sie nach X. zu bringen.“
„Und dort dann?“
„Geben Sie diese Karte in der Redaction des Theaterblattes ab; der Eigenthümer ist ein guter Freund von mir.“
„Und wie soll ich hier im Hotel meine Rechnung bezahlen?“
„Bester Freund,“ lachte der Fremde, „die Idee mit dem Strick ist viel zu ausgezeichnet, als daß ich dazu beitragen möchte, sie zu vereiteln. Wenn Sie aber meinem Rath folgen, so befestigen Sie das Seil so, daß Sie es, wenn Sie unten sind, nachziehen können – es wird lang genug sein, und Sie können es vielleicht noch einmal gebrauchen.“
Lerche schauderte zusammen – war es die Berührung des Geldes oder der Gedanke an einen nochmaligen Selbstmordversuch, auf den der Fremde so kalt und fast höhnisch anspielte – aber das Geld brannte ihm nicht in der Hand, wie er anfangs in der That gefürchtet hatte, und scheu und leise sagte er nur:
„Verlangen Sie einen Schein dafür?“
Wieder legte sich der Zug von kaltem Spott über die unheimlichen Züge des Fremden.
„Glauben Sie, daß ich lumpiger zwanzig Gulden wegen einen Pact mit Ihnen eingehen würde, oder daß mich etwa gar nach Ihrer Seele verlangt? – Reisen Sie vollkommen ruhig, ich werde Sie nicht weiter beunruhigen; denn daß selbst mir ein Schein von Ihnen nichts hülfe, wissen Sie genau so gut wie ich.“
„Und wie soll ich Ihnen danken?“
„Daß Sie augenblicklich in Ihr Hotel zurückgehen, Ihre /28/ Sachen in Ordnung bringen und dann gleich den Nachtzug nach Gießen benutzen.“
Lerche hatte sich bemüht, den auf der Karte fein gestochenen Namen bei Mondenlicht zu lesen, aber war es nicht im Stande – die Karte selber schien schwefelgelb und trug einen grellrothen schmalen Rand.
„Es steht nur mein Name darauf,“ sagte der Fremde, der es bemerkte, „Edler von der Hölle – also auf Wiedersehen, lieber Freund!“ Und rasch richtete er sich empor, nickte dem jungen Mann vertraulich zu und war schon in den nächsten Secunden in den dunkeln Schatten des Kastanienwäldchens verschwunden.
2. In Ruhe.
Lange Jahre waren nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen – lange, bewegte Jahre, und wenn auch die Welt im Allgemeinen ruhig weiter ging, so verbitterte sich doch das rastlose Menschenvolk indessen die kurze, ihm hier vergönnte Spanne Zeit nach besten Kräften. Nationen schlugen sich mit Nationen und vertrugen sich wieder, und nur im ganz Kleinen bohrten sich die einzelnen Exemplare der „Gesellschaft“ hartnäckig ihren Weg. Was auch da draußen im Großen und Ganzen geschehen mochte, es kümmerte sie nicht, denn nur ihr eigenes Interesse trieb sie weiter, um – in dem allgemeinen Drängen und Treiben nach vorwärts – noch womöglich für sich selber einen Sitzplatz zu bekommen.
Selbst nicht, während auf dem Welttheater große Effect- und Sensationsstücke gegeben wurden, hatte das Stadttheater zu X. aufgehört, den geschichtlichen Dramen mit Offenbach’schen Opern und Possen Concurrenz zu machen, und auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“, ging es mit In /29/ triguen und Vorwärtsdrängen, mit diplomatischen Ränken und Kniffen, ja oft mit offenem Kampf und Hader genau so zu, wie draußen in der Weite.
In einer der Hauptstraßen in X., aber weit hinten in einem nicht besonders reinlich gehaltenen Hofe, von dem aus man noch zwei dunkle, schmale Treppen hinaufsteigen mußte, befand sich das Redactionsbureau der X-er Theaterzeitung, und wenn das Entrée schon nicht besonders versprechend war, das Innere des Bureaus sah eigentlich noch ungemüthlicher aus.
Es bestand aus einem einzigen langen Gemach mit drei Fenstern nach dem dunkeln Hof hinaus und mochte einmal in früherer Zeit geweißte Wände und weiße Gardinen gehabt haben, die aber jetzt nur ein etwas lichteres, brochirtes Muster auf dunkelbraunem Grunde zeigten. An jedem Fenster stand ein doppeltes Stehpult, von denen aber nur zwei einfach besetzt waren – das obere stand leer, obgleich darauf gehäufte offene Briefe und kleine Broschüren auch die zeitweilige Benutzung dieses anzeigten.
An den beiden anderen arbeiteten zwei – an jedem ein Einzelner – etwas dürftig aussehende Individuen mit bleichen Gesichtern und Schreibärmeln – blutjunge Menschen, die sich hier für ihr kärgliches Brod die Finger wund schrieben, und dafür, wenn auch nur indirect, in die Kunst eingeweiht wurden, ein solches Geschäft zu führen. Sie waren nämlich stete Zeugen der dort eintreffenden Besuche – geschäftlicher wie „freundschaftlicher“ Art, und wenn sie weiter nichts dabei lernten, so gewannen sie doch dort in einer Woche mehr Menschenkenntniß, als wenn sie sich Jahre lang in dem Strudel der großen Welt herum getrieben hätten.
Der Raum selber sah wüst genug aus; eine Unmasse von Broschüren lag über den Boden, theils zusammengebunden, theils einzeln, zerstreut, so daß sich die Hausmagd sogar nicht einmal mehr mit dem Besen dazwischen getraute. Möbel gab es dabei fast gar nicht, zwei Rohrstühle ausgenommen und ein altes, steinhartes Sopha mit einem Ueberzug, von dem sich schon seit Jahren die Farbe nicht mehr erkennen ließ. Der „älteste Mann“ im Geschäft erinnerte sich auch nicht, je ge /30/ sehen zu haben, daß irgend Jemand gewagt hätte, sich darauf zu setzen.
Sonst hingen noch an den Wänden eine Anzahl von Lithographien, Photographien und Stahlstichen berühmter Künstler, an denen man auch genau wissen konnte, ob sie dem Bureau mit oder ohne Rahmen geschenkt waren. – Die ohne Rahmen waren nämlich nur einfach mit Stiften an die Wand genagelt, und wenn den Betreffenden daran lag, ihr Bild hier erhalten zu sehen, nun so mochten sie einen Rahmen nachliefern.
Der Briefträger kam und legte ein Paket Briefe auf den Schreibtisch des Principals, Herrn Cuno Köfer’s, der aber noch nicht erschienen war, denn er liebte Morgens seine Ruhe. Unter den Briefen befanden sich zwei unfrankirte; der Postbote zeigte sie aber nur lächelnd Einem der jungen Leute und schob sie dann wieder in die Tasche zurück. Er kannte die Geschäftsordnung im Hause – unfrankirte Briefe wurden nie angenommen, denn man hatte zu bittere Erfahrungen mit deren Inhalt gemacht. Gewöhnlich waren sie in einem mehr als groben Styl geschrieben und wimmelten von Injurien, enthielten aber stets, statt der Unterschrift, die Photographie des Betreffenden, und auf die ließ sich nicht klagen; denn die konnte ein Jeder einkleben.
Uebrigens kamen solche „kleine Unannehmlichkeiten“ auch zuweilen in frankirten Briefen vor, wanderten dann aber gleich in den Ofen, denn – dem Papierkorb durfte man sie nicht anvertrauen, oder die Schreiber hätten sich darüber lustig gemacht.
Trotz der frühen Morgenstunde saß aber schon ein „Besuch“ im Comptoir, dem Einer der jungen Leute das Sopha angewiesen, der aber trotzdem einen Rohrstuhl vorgezogen hatte. Es war ein noch blutjunger Mensch, etwas auffallend gekleidet. Er trug seine braunen lockigen Haare, sorgfältig gebrannt, in einem großen Toupet auf der rechten Seite, vollkommen moderne Kleidung, eine himmelblaue seidene Cravatte, eine große Tuchnadel, eine goldene Uhrkette und ziegelrothe Glacehandschuhe. So zuversichtlich er sich aber auch sonst seinem ganzen Aeußern nach benehmen mochte, hier schien er sich in einer etwas gedrückten Stimmung zu befinden. Er saß – /31/ die Füße eingezogen und den wohlgebürsteten Hut zwischen den Knieen, auf seinem Rohrstuhl, als ob er fürchtete, daß derselbe jeden Augenblick mit ihm zusammenbrechen könne. Er sah auch verschiedene Male nach seiner Uhr – die Zeit verging ihm jedenfalls sehr langsam, aber er wagte nicht, den entschiedenen Wunsch auszusprechen, Herrn Köfer gleich zu sprechen – er wußte recht gut, daß er den betreffenden Herrn dann in böse Laune gebracht hätte, und das wollte er vermeiden.
Wohl dreiviertel Stunden mochte er so gesessen haben, ohne daß aber die Schreiber die geringste Notiz von ihm nahmen, als plötzlich die eine Seitenthür aufging und Herr Köfer selber, ohne weitere Anmeldung, auf dem Schauplatz erschien.
Die beiden Schreiber verbeugten sich mit einem achtungsvollen „Guten Morgen“, und der Besuch erhob sich ebenfalls rasch von seinem Sitze. Herr Köfer hatte aber keinen Blick für sein „Bureau“. Den gewöhnlichen, selbstverständlichen Morgengruß seiner „Leute“ beantwortete er mit einem grunzenden, unarticulirten Laut, der wahrscheinlich „Morgen“ heißen sollte, aber eben so gut jedes andere Wort bedeuten konnte. Von dem Besuch nahm er gar keine Notiz, sondern trat nur zu seinem Pult, wo er die dort liegenden Briefe aufnahm und mit überreifer Erfahrung in derartigen Correspondenzen flüchtig sortirte, ehe er daran ging, einen oder den andern zu erbrechen.
Dann öffnete er den ersten, sah nur nach Ueber- und Unterschrift, dann den zweiten ebenso, und nahm eben den dritten auf, als der Besuch sich doch glaubte bemerkbar machen zu müssen, und deshalb sich räusperte und ein paar Schritte vortrat.
Herr Köfer war kein hübscher Mann. Schon in den Fünfzigen, mit einem Kopf voll dünner Haare, die jetzt mit Weiß gesprenkelt waren, mit den fast zu deutlich hinterlassenen Spuren von Pockennarben, mit kleinen grauen, etwas wässerigen Augen und einem fast zahnlosen Munde, lag ein gewisser Zug von Verbissenheit in dem fetten Gesicht – den man freilich seinem ganzen Geschäft zu Gute schreiben mußte. Das brachte der Aerger über die Undankbarkeit der Menschen im Allgemeinen /32/ und der Bühnendichter und Schauspieler im Besondern zur Genüge mit sich.
Auch sein Aeußeres war nicht sehr versprechend, denn geistig thätige Menschen verwenden gewöhnlich nicht viel auf das – Herr Köfer verwandte sogar nur ein Minimum darauf. Er war noch in seiner „Morgentoilette“, d. h. er hatte sich noch nicht einmal gewaschen und gekämmt und nur einen Schlafrock übergezogen – und was für einen Schlafrock! Neu mußte er allerdings einmal ein Prachtstück gewesen sein, mit rothem, ächt gefärbtem Futter, mit wollenem, großblumigem türkischen Damast und einer hellblauen Schnur, mit eben solchen riesigen Quasten daran, aber, Du lieber Gott, der Zahn der Zeit nagt sogar an felsigem Gestein – an Granit und Porphyr – weshalb nicht auch an einem Schlafrock, so unappetitlich derselbe auch aussehen mochte. Der türkische Damast starrte von Schmutz, sowohl an den Aermeln wie an den Taschen und vorn herab, die Ränder glänzten ordentlich. Auch ein altes rothbaumwollenes Taschentuch, das ihm rechts mit einem langen Zipfel heraushing, erschien nur wie eine nichts verbessernde Draperie. Das Hemd, welches er außerdem ohne Halstuch und nur vorn mit einem Band zugebunden trug, gehörte – wenn nicht einer andern Generation, doch jedenfalls einer andern Woche an, und der große goldene Siegelring, der ihm dabei am rechten Zeigefinger stak, konnte nicht dazu dienen, die Toilette zu erhöhen.
Als er des jungen Fremden ansichtig wurde, warf er einen eben nicht freundlichen Blick auf ihn, erwiderte seinen Gruß auch nur durch ein ähnliches Knurren wie vorher, und sagte dann mürrisch:
„Sind Sie denn noch in X., Herr von – Wie heißen Sie gleich?“
„Von Goldstein, Herr Köfer.“
„Ja so – also Herr von Goldstein – ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie hier den Erfolg unserer Anfragen nicht abwarten sollten!“
„Aber ich kann nicht fortkommen, verehrter Herr,“ sagte der junge Mann schüchtern – „wenn Sie nur im Stande /33/ wären, mir hier zwei oder drei Gastrollen auszuwirken – ich würde mich ja mit einem sehr mäßigen Honorar begnügen.“
„Und weshalb sprechen Sie nicht selber mit dem Director?“
Der junge Schauspieler zuckte mit den Achseln. „Es war Alles vergeblich,“ sagte er, „dreimal habe ich schon den Versuch gemacht.“
„Und was soll ich Ihnen denn nützen?“ frug Herr Köfer barsch; „habe ich ein Theater, oder soll ich Sie hier im Comptoir spielen lassen? Sie sehen, ich bin beschäftigt, Herr von – von Goldstein, und kann auch in der That nichts weiter für Sie thun.“
„Wenn Sie nun,“ bemerkte der junge Schauspieler schüchtern, indem der Agent schon wieder einen Brief aufbrach – „mir auf die künftige Gage, von der ich Ihnen ja doch die ausbedungenen Procente schulde, nur einen kleinen Vorschuß leisten wollten – nur so viel, als ich nothwendig brauche, um –“
„Ein Austernfrühstück zu geben – heh?“ sagte Herr Köfer mit einem malitiösen Lächeln – „glauben Sie, daß ich ein Millionär bin, um den herumvacirenden Herren Schauspielern mit Darlehen unter die Arme zu greifen, und habe ich nicht etwa schon genug Verlust durch Ihre ewigen Störungen gehabt?“
„Aber an wen sonst soll ich mich wenden?“ sagte Herr von Goldstein in halber Verzweiflung. „Sie kennen meine Familie – Sie wissen, daß Ihnen das Geld unverloren ist, wenn sie sich auch jetzt von mir losgesagt.“
„Thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich ungeschoren,“ bemerkte Herr Köfer, indem er wieder einen Brief öffnete. „Glauben Sie denn, daß ich von der Luft lebe, und habe ich schon das Geringste von Ihnen gehabt – Scherereien und Abhaltungen und Correspondenzen ausgenommen? – Sie waren bis jetzt nicht einmal im Stande, mir das ausgelegte Porto zu vergüten, und glauben dann auch noch, man soll da Lust und Liebe zur Sache behalten und mit Eifer darangehen?“
,,Aber ich weiß nicht einmal, wie ich hier fortkommen soll!“
/34/ „Das geht mich nichts an,“ brummte Herr Köfer, indem er den jungen Mann gar nicht mehr ansah, „verkaufen Sie Ihre goldene Bummelage an der Uhr, man kann auch ohne das ein guter Schauspieler sein – oder machen Sie sonst, was Sie wollen.“