Kleiner Angehörigenbegleiter - Lioba Werth - E-Book

Kleiner Angehörigenbegleiter E-Book

Lioba Werth

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Beschreibung

Wer in die Situation gerät, einen Angehörigen bei einer Erkrankung oder entstehenden Hilfsbedürftigkeit begleiten zu wollen oder zu müssen, wird mit Vielem konfrontiert: Die emotionale Belastung der Krankheitssituation, das Überschreiten der eigenen körperlichen und psychischen Grenzen, sich verändernde Beziehungsmuster und Abhängigkeiten voneinander, pflegerische und medizinische Herausforderungen sind nur einige der Aspekte. Trotz immensem Engagements wird Überforderung nicht ausbleiben, denn wer von uns ist schon dafür ausgebildet, mit einer solchen Extremsituation professionell umgehen zu können? Dieses Buch vermittelt Ihnen das nötige psychologische Grundverständnis, um dem Patienten sowie der Begleitungssituation adäquat begegnen zu können. Ein solches Hintergrundwissen wird Ihnen die Belastung nicht nehmen können, aber auf feinfühlige Weise eine klärende Sichtweise auf die Erlebnisse verschaffen und mit zahlreichen konkreten Tipps und Hinweisen die Patientenbegleitung erleichtern.

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In Gedenken an meine Eltern, meine Schwiegermutter und an Marita

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Über die Herausforderung, Patienten zu begleiten

1.1 Was es bedeutet, Angehöriger von Patienten zu sein..

1.2 Das Miteinander verändert sich

1.2.1 Das Du und Ich, das Wir verändert sich

1.2.2 Die Kommunikation verändert sich

1.3 Belastungsfaktoren entstehen

1.3.1 Grundbedürfnisse werden gekappt

1.3.2 Besondere Risikofaktoren wirken sich aus

1.3.3 Eine Überforderungsspirale entsteht

1.4 Der Krisenverlauf eines Angehörigen

1.5 Zusammenfassung

1.6 Literatur

2 Was wir an Gefühlen erleben

2.1 Wissenswertes über Gefühle

2.1.1 Warum sind Ihre Gefühle bedeutsam?

2.1.2 Mit Gefühlen gut umgehen

2.2 Mitleid oder Mitgefühl?

2.3 Schuld

2.4 Scham

2.5 Angst

2.6 Hilflosigkeit

2.7 Trauer bzw. Traurigkeit

2.8 Ärger, Wut, Zorn

2.9 Gefühllosigkeit

2.10 Zusammenfassung

2.11 Literatur

3 Was die Patienten durchleben

3.1 Krankheit als Krise

3.1.1 Phase 1: Schock und Verleugnung

3.1.2 Phase 2: Aufbrechende Gefühle

3.1.3 Phase 3: Langsame Neuorientierung

3.2 Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein

3.2.1 Die Situation „Patient zu sein“

3.2.2 Das Schmerzerleben

3.3 Angst

3.4 Scham

3.5 Verzweiflung

3.6 Zusammenfassung

3.7 Literatur

4 Nach sich selbst schauen

4.1 Was Selbstfürsorge ist

4.2 Warum uns Selbstfürsorge so schwer fällt

4.2.1 Das schlechte Gewissen plagt uns

4.2.2 Glaubenssätze können es uns schwer machen

4.2.3 Unsere Bedürfnisse werden nicht berücksichtigt

4.2.4 „Ich kann es nicht kommunizieren“

4.3 Zusammenfassung

4.4 Literatur

5 Wirksame Regeneration betreiben

5.1 Schluss mit den Mythen

5.2 Prinzipien wirksamer Regeneration

5.3 Basics, die Ihnen die Kräfte erhalten

5.3.1 Abschalten und den Kopf frei bekommen

5.3.2 Pausen nutzen

5.3.3 Kraft-Räume zum Auftanken aufsuchen

5.3.4 Bewegung nutzen

5.3.5 Ein soziales Netz haben, in Kontakt gehen

5.4 Akut-Interventionen und Nothilfe

5.4.1 Intervention als betroffener Angehöriger

5.4.2 Intervention als Außenstehender

5.5 Zusammenfassung

5.6 Literatur

6 Die Begleitung richtig „anpacken“

6.1 Eine klare Entscheidung über Ihre Rolle treffen

6.1.1 Wie ist die Situation?

6.1.2 Wie und wo sieht sich Ihr Patient?

6.1.3 Wie steht es um Sie?

6.2 Der Überforderung gezielt entgegenwirken

6.2.1 Planung und Vorsorge

6.2.2 Typische Stolpersteine meistern

6.3 (Emotional) Hilfreiches in die Situation hineingeben

6.3.1 Mut haben

6.3.2 Würdevoll sein

6.3.3 Geborgenheit schenken

6.3.4 Glückserleben unterstützen

6.4 Zusammenfassung

6.5 Literatur

7 Fazit

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Dieses Buch richtet sich an all jene, ...

... die sich als ANGEHÖRIGE (seien es Familie oder Freunde) in der Situation wiederfinden, dass ein ihnen nahestehender Mensch durch einen (gesundheitlichen) Schicksalsschlag hart getroffen wurde oder bspw. aufgrund seines Alters zunehmend hilfsbedürftiger wird und nun einer Begleitung bedarf. Dieses Buch zeigt grundlegendes Wissen zum Erleben dieser Patienten auf und thematisiert ausführlich all die Fragen, die Sie sich als Angehöriger zu Ihrer eigenen Betroffenheit stellen. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und einem reichen Schatz an praktischen Tipps und Erfahrungen hilft es Ihnen dabei, auf jene Ihre ganz persönlich passenden Antworten zu finden.

… die enge VERTRAUTE DER ANGEHÖRIGEN sind und wissen wollen, wie sie diese unterstützen können. Die Kenntnis über die phasen- und themenbedingten unterschiedlichen Herausforderungen bietet hierfür viele Möglichkeiten und speziell ausgewiesene Reflexionsfragen hilfreiche Gesprächsansätze.

... denen als AUSSENSTEHENDE eine solche Situation begegnet, für die sie sich mehr Hintergrundwissen und Verständnis der Zusammenhänge wünschen. Dieses Buch kann Ihnen helfen zu verstehen, was sich im Erleben der Beteiligten abspielen mag.

... die als PROFESSIONELLE BEGLEITER vor der Aufgabe stehen, Patienten wie Angehörige zu beraten und zu begleiten und sich psychologisches Hintergrundwissen aneignen möchten. Dieses Buch könnte ein kleiner Leitfaden oder ebenso auch eine Lektüreempfehlung für Ihre Ratsuchenden sein.

All diesen Menschen und ihrem unermesslichen Einsatz ist dieses Buch gewidmet. Möge es Ihnen die Situation verstehbarer und damit leichter machen, Mutmacher und Kraftgeber sein.

Lioba Werth

Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit verwende ich die männliche Form, wenn ich von Angehörigen, Patienten, Partnern, Behandlern oder Therapeuten spreche. Selbstverständlich sind in sämtlichen Fällen sowohl Frauen als auch Männer gemeint.

1.1 Was es bedeutet, Angehöriger von Patienten zu sein

Angehörige, Zugehörige, Zuhörende, Helfende, Anteilnehmende, Anpackende, Mitfühlende, Begleitende, Bestärkende, Tragende, Tröstende, Aufbauende, Haltgebende, Hoffnungsspendende, Wegbereitende, Impulsgebende, Anspornende, Beruhigende, Vertraute und vieles mehr – wer Sie sind, welche Rollen Sie einnehmen und vor allem welch immense Bedeutung Sie für die Erkrankten haben. Es gibt kein einzelnes Wort, das all die Vielfalt, die Aufgaben, die emotionale Bedeutung zusammenfasst. Wenn in diesem Buch von Ihnen, den Angehörigen, gesprochen wird, dann meine ich damit all dies und das große Unerwähnte ebenso. Was wären Patienten und was wäre die Gesellschaft ohne Sie – die Angehörigen!

Wer ist Angehöriger? So persönlich sich die Rolle des Angehörigen auch anfühlt, so klar ist dies im psychologisch-medizinischen Kontext auch ein fachlicher Terminus. Als Angehörige werden hier „all diejenigen Personen verstanden, die sich in einer vertrauten, häufig auch verpflichtenden Nähe zum Patienten befinden (George & George, 2003, S. 16) und gegenüber dem Betroffenen Verantwortung empfinden, sich angehörig fühlen und bereit zur Unterstützung (jedweder Art) sind“ (Reifegerste, 2019). Gemäß dieser (sozial-)psychologischen Sichtweise sind nicht ausgeführte Pflegehandlungen oder Dienstleistungen oder biologische Verwandtschaftsverhältnisse ausschlaggebend, sondern vielmehr die Verantwortungsübernahme, die anteilnehmende Sorge und damit die Unterstützung für den anderen entscheidend, um jemanden als „Angehörigen“ zu bezeichnen (Klie, 2014).

Die wichtige Funktion/Bedeutung von Angehörigen. Als Angehöriger sind Sie neben den genannten Rollen (Zuhörender, Mitfühlender, Tröstender ...) auch ein Möglichmacher, denn die Selbstbestimmung und Verantwortungsübernahme des Patienten wird in einigen Fällen erst durch Ihre Einbeziehung ermöglicht: Zum Ersten trifft dies zu, wenn ein Patient seinen Willen gerade nicht selbst vertreten kann (bspw., wenn der Angehörige als Bevollmächtigter oder Betreuer auftritt) oder zum Zweiten, wenn Sie als Angehöriger das Selbstvertrauen des Patienten in der Interaktion mit dem Patienten stärken und dieser somit seine Wünsche besser geltend machen kann. Zum Dritten „Sind die Angehörigen auch ein wichtiger Bestandteil der Patientenentscheidungen (George & George, 2003). Medizinische Entscheidungen über Behandlung und Pflege werden oft nicht allein vom Patienten getroffen, sondern im Kontext des sozialen Netzwerks und sind damit auch abhängig von den Vorstellungen von Familienmitgliedern und Freunden (Epstein, 2013). Wichtige Voraussetzung für die Patientenautonomie sind zudem Informationen, die gefunden und verarbeitet werden müssen (Soellner et al., 2009). Häufig sind Patienten damit überfordert, sodass Angehörige sie dabei unterstützen diese Informationen zu finden, zu filtern und einzuordnen (Cutrona et al., 2016). Schließlich (...) leisten sie einen wichtigen Beitrag zur körperlichen, aber vor allem auch zur psychologischen und sozialen Gesundheit (d. h. Lebensqualität) der Patienten, z.B. indem sie wichtige Informationen über zentrale Bedürfnisse und Gewohnheiten eines Patienten liefern (Woods et al., 2009).“ (aus Reifegerste, 2019; siehe auch nachfolgenden Kasten).

Wenn wir in diesem Buch darüber sprechen, was es ist, was Sie für den Patienten tun, gilt es, drei zentrale Begrifflichkeiten zu unterscheiden: Pflegeverantwortung, Pflege und Begleitung.

Pflegeverantwortung. Möglicherweise übernehmen Sie als Angehöriger Pflegeanteile im engeren Sinne, das heißt die körperliche Pflege. Vielleicht haben Sie diese aber auch aufgeteilt oder ausgelagert (an professionelle Pflegedienstanbieter) oder begleiten Ihren Angehörigen in einer stationären Einrichtung, in der für alles Körperliche bereits gesorgt ist. Als Angehöriger organisieren Sie dafür vermutlich zahlreiche der oben genannten Dinge im Hintergrund. Auch dieses Zusammenhalten der Fäden ist eine Form der Pflegeverantwortung bzw. Wahrnehmung von Pflegeaufgaben im weiteren Sinne. Vermutlich werden Sie Ihren Patienten auch in weiteren wichtigen Aspekten unterstützen:1 Sie unterstützen bei der selbstständigen Einnahme von Mahlzeiten, motivieren zum Trinken oder Bewegen, lesen aus der Tageszeitung vor, erzählen, machen mit dem Patienten Spiele und – vor allem – hören zu und teilen sein emotionales Erleben. Kurzum, Sie durchleben mit ihm die Höhen und Tiefen der Krankheitsbewältigung und tragen vor Ort oder im (organisatorischen) Hintergrund zum Gelingen des Ganzen bei.

Wie Sie sehen, müssen nicht unbedingt pflegerische Handlungen im engeren Sinne übernommen werden, um als pflegender Angehöriger zu gelten. Entsprechend lautet die formale Definition: „Vielmehr können unter pflegenden Angehörigen alle einer pflegebedürftigen Person nahestehenden Menschen verstanden werden, die dieser regelmäßig und nicht erwerbsmäßig bei der Lebensführung helfen. Dazu gehören zum Beispiel die Unterstützung beim Gehen, An- und Auskleiden, Waschen oder beim Toilettengang. Aber genauso werden etwa auch die Unterstützung beim Einkaufen, Kochen, Putzen, bei der Medikation, bei finanziellen Angelegenheiten, Behördengängen oder Arztbesuchen hinzugerechnet. Ebenso kann die Organisation der Pflege oder die emotionale Unterstützung als relevante Tätigkeiten pflegender Angehöriger angesehen werden.“ (aus ZQP, 2023).

Viele Menschen übernehmen private Pflegeverantwortung neben ihrer Erwerbstätigkeit (Büscher et al., 2023). Es gibt hierbei Geschlechtsunterschiede: Männer übernehmen in der Patientenbegleitung eher Aufgaben und Themen der Organisation, Frauen eher die Pflege im engeren Sinne. Geschlechtsunabhängig verteilt sich die private Übernahme der Pflegeverantwortung auf diese Zielgruppen:

56,2% für (Schwieger-) Eltern

21,9% für (Ehe-) Partner

12,8% für (erwachsene) Kinder

9,1% für andere Personen

Patientenbegleiter. Der Begriff „Patientenbegleiter“ bzw. „Patientenbegleitung“ wird überwiegend für sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich tätige Personen verwendet, die sich als „Patientenbegleiter“ anbieten (kostenfrei oder kostenpflichtig). Solche Patientenbegleiter ergänzen die Arbeit der behandelnden Ärzte, Therapeuten und Sozialdienste und übernehmen Aufgaben, für die der Arzt häufig nicht ausreichend Zeit hat. Sie geben Empfehlungen zu Hilfsmitteln, die den Alltag erleichtern können und vermitteln Kontakte, zum Beispiel zu Pflege- oder Sozialdiensten vor Ort. Sie unterstützen bei der Frage, welche Möglichkeiten der Rehabilitation vor Ort gegeben sind oder ob die Pflege zu Hause oder über Kurzzeitpflege organisiert werden kann. Besonders häufig helfen die Patientenbegleiter, den Wechsel eines Patienten von der stationären in die ambulante Behandlung zu erleichtern. Beispielsweise stellen sie sicher, dass der Patient nach einem Klinikaufenthalt zu Hause gut versorgt ist und minimieren so das Risiko, dass er aufgrund einer unzureichenden häuslichen Versorgung erneut ins Krankenhaus eingewiesen werden muss.

Als Angehöriger werden Sie möglicherweise die Unterstützung eines solch offiziellen Patientenbegleiters in Anspruch nehmen oder aber einige bis alle dieser Aufgaben selbst wahrnehmen. Im Rahmen dieses Buchs wird von letzterem Fall ausgegangen, so dass Sie dann herausgreifen können, was für Sie relevant ist und was Sie an Aufgaben an andere delegieren können bzw. wollen.

Die herausfordernde Situation eines Angehörigen

Einen Patienten zu begleiten, ist keine einfache Sache, sondern ein emotional und energetisch höchst anspruchsvolles Unterfangen. Dies gilt selbst dann, wenn man bis dato ein gut eingespieltes, sich blind verstehendes Miteinander hatte. Was macht das Miteinander von Ihnen und dem Patienten so herausfordernd?

Die Krankheit dominiert. Es ist ganz natürlich, dass die Krankheit in den Fokus rückt, zum Ersten ist sie der Übeltäter, der Ihrer beider Leben aus der Spur geworfen hat. Zum Zweiten ist sie der Taktgeber für den Tagesablauf oder die notwendigen Handlungen, zum Dritten ist man von Sorge geprägt und damit immer wachsam für alles, was mit der Krankheit zu tun hat und zum Vierten ist die Erkrankung meist tagesformabhängig oder wechselnd, so dass man sie stets im Blick haben und sich daran ausrichten muss (oder meint, dies tun zu müssen). Die Angehörigen stehen daneben, sind aber doch irgendwie mittendrin, werden von der Dynamik des Geschehens „verschluckt“ bzw. vereinnahmt. Die Gefahr ist, dass sich das Leben des Patienten und das des pflegenden Angehörigen vermischen und zwar so sehr, dass sich das des Angehörigen nahezu auflöst und er das des Patienten mehr oder minder mitlebt. Dabei vergessen sie oft eine wichtige Person: sich selbst.

So allmächtig die Krankheit auch erscheinen mag, so sind es doch Sie, der ihren Einflussradius auf Sie selbst entscheiden, die Grenzen ziehen kann, darf und muss. Vermutlich stehen Sie morgens auf und das Erste, woran Sie denken, ist genau die Krankheit (oder der Patient) und dann geht es los und sie dominiert den gesamten Tagesverlauf und abends gehen Sie mit diesen Themen und Gedanken wieder ins Bett. Darüber hinaus bestimmen die Rhythmen des Patienten den Ablauf Ihres Tages. Nachvollziehbarerweise, denn der Patient ist schließlich hilfsbedürftig, es geht um seine Gesundheit, Schmerzen, Empfindungen. Als pflegender Angehöriger stellen Sie daher (einen Großteil) Ihrer Bedürfnisse, ja, alles Mögliche in Ihrem Leben zurück, stimmen Vieles auf die Krankheit ab und genau damit geben Sie jener eine unglaubliche Macht. Die hat sie aber nicht automatisch. De facto ist die Erkrankung des Patienten nur ein Teil Ihres Lebens und Sie entscheiden, was Sie ihr unter- und was überordnen. Geben Sie der Krankheit nicht die Macht, dass sie alles, Ihr ganzes Leben, beherrscht, sondern betrachten Sie sie als das, was sie ist: als nur ein Teil des Ganzen. Sorgen Sie daher gut für sich (siehe Kapitel 4, Selbstfürsorge), denn Ihr Leben gibt es auch und wenn Sie sich hier vernachlässigen, dann werden Sie nicht durchhalten können. Es gilt, Grenzen zu wahren zwischen dem Leben des einen und dem des anderen und sich auch mal abzugrenzen, denn nur so lässt sich auch das eigene Leben weiterleben.

Das Patientsein gerät meist zu sehr in den Mittelpunkt. Nicht das Kranksein, sondern das Menschsein gehört in den Mittelpunkt. Diese gedankliche Unterscheidung macht viel aus: Die Krankheit ist nur ein Teil des Patienten bzw. des Menschen. Er ist nicht die Krankheit, sondern sie ist ein Aspekt von ihm und seinem Leben. Der Patient ist nicht nur Erkrankter oder Pflegebedürftiger, sondern darüber hinaus auch Vater/Mutter, Opa/Oma, Freund/ Freundin. Er liebt sein Hobby, liest gerne, lacht gerne, hat kleine/ erwachsene Kinder und Enkelkinder. Er ist ein vollwertiger Mensch wie wir alle und ja, die Krankheit (oder Behinderung) spielt in seinem Leben eine Rolle – aber eben auch nur eine neben vielen anderen. Sehen Sie den Menschen, stellen Sie ihn in den Mittelpunkt, nicht die Erkrankung.

Gleiches gilt für den Patienten: Wenn sich alles in seinem Leben nur noch um die Krankheit dreht, was hat er dann noch außerhalb der Krankheit an Leben? Genau, nichts! Der Krankheit so viel Raum zu geben, kann folglich für niemanden von Ihnen gut sein. Bringen Sie freudige andere Themen ein – Kinder sind eine wunderbare Abwechslung, ein Haustier und ähnliches. Beteiligen Sie ihn an Ihrem Leben, dem von Freunden und Familie, sperren Sie ihn nicht davon aus (nach dem Motto, „wir erwähnen ihm gegenüber lieber mal nicht, dass dort gefeiert wird, während er hier im Bett liegt“) – er hat doch schöne Bilder im Kopf, wenn Sie davon erzählen und er freut sich auf die News dazu, wenn Sie zurückkommen und vielleicht schöpft er aus all dem ja auch Kraft, um sich aufzurappeln, damit er zukünftig daran teilhaben kann.

Multitasking und neue Rollenübernahmen kosten Kraft. Begleitende Angehörige versuchen für den Patienten oft alles in einem zu sein: starker Partner, Pflegekraft, Mutmacher, Organisator, Ruhepol und vieles mehr. Sie spüren, dass der Erkrankte all dies braucht und springen empathisch und voller Zuneigung in diese Rollen. Diese sind allerdings schwer unter einen Hut zu bekommen, manche widersprechen einander gar. Die wichtigste Botschaft ist daher: Geben Sie ganz viele dieser Rollen ab, denn die wichtigste Rolle, die Sie als Angehöriger haben und die Sie eben nicht abgeben können, ist die der emotionalen Begleitung des Patienten. Wenn Sie von den anderen Rollenübernahmen so überlastet sind, dass Sie emotional keine Reserven mehr für Begleitung haben, ist der Patient zwar gut versorgt („satt und trocken“), aber einsam oder emotional allein gelassen und das wäre allzu schade. Alles andere ist auch wichtig, lässt sich aber gut organisieren bzw. delegieren und ist lediglich eine Frage des guten Managements (siehe Abschnitt 6.1).

Die Beziehung, das Miteinander wird anders, wenn wir pflegen. Die Liebe wird nicht weniger, sie wird aber vermutlich anders gegenüber demjenigen, den ich pflege. Das Miteinander verändert sich dadurch, dass sich Kompetenzen verschieben, Abhängigkeiten entstehen und dass das, was vielleicht zuvor balanciert war, nun fremdartig oder unausgewogen ist. Was zuvor zwischenmenschlich auf Augenhöhe war, ist in Schieflage geraten und wir müssen etwas dafür tun, um die Augenhöhe wiederherzustellen (siehe Abschnitt 1.2):

Es beginnt damit, dass Sie

kein Mitleid

haben sollten mit dem Patienten, sondern

Mitgefühl

(siehe

Abschnitt 3.2

).

Selbstbestimmung

(siehe

Abschnitt 1.2.2

) schafft Augenhöhe, beispielsweise „Wie möchtest du deine Medizin nehmen? Möchtest du kämpfen oder nicht? Möchtest du die Schmerzen eher betäuben oder aushalten? Was ist dein Weg? Ich gehe ihn mit!“ und nicht „Du solltest kämpfen, lass dich nicht unterkriegen!“, nur weil Sie dies möchten und dem Patienten dazu auffordern.

Kommunikation

auf Augenhöhe gestalten (siehe

Abschnitt 1.2.2

).

Den Patienten nicht auf seine Krankheit reduzieren, sondern ihn

als vollwertigen, wenn auch veränderten Menschen sehen und behandeln

(siehe obiger Abschnitt).

Offen sein für die

Veränderung im Miteinander

. Würdigende Worte und einen ebensolchen Umgang für die entstehenden Abhängigkeiten finden (vgl.

Abschnitt 1.2.1

, Das Du und Ich verändert sich).

Wichtige Funktionen, die Angehörige oft übernehmen

(in Anlehnung an Reifegerste et al., 2017)

Angehörige ...

treffen zentrale Gesundheitsentscheidungen für den Patienten, der selbst noch nicht oder nicht mehr dazu in der Lage ist suchen nach Gesundheitsinformationen für den Patienten (Reifegerste et al., 2017) organisieren die Inanspruchnahme professioneller Leistungenhelfen mit konkreten Handlungen (bspw. Kochen, Körperpflege, Transport) oder begleiten den Patienten beim Arztbesuch (Rosland et al., 2011) stehen dem Patienten emotional zur Seite (Wilz & Meichsner, 2015) pflegen, indem sie unbezahlt eine pflegebedürftige Person mehrere Stunden pro Woche zu Hause oder in einer Einrichtung unterstützen (Lamura et al., 2006) nehmen Auswahl, Organisation und regelmäßige Beobachtung eines Pflegeheims wahr betreiben Abstimmung mit dem betreuenden Pflegepersonal.

Unter Pflegeverantwortung zählt nicht nur die körperliche Pflege, sondern auch Hilfe bei Einkäufen, seelische Unterstützung, Begleitung von Arztbesuchen, Organisation des täglichen Lebens und mehr.

Herausforderungen für Angehörige

Die Krankheit des anderen dominiert Der Patient steht im Mittelpunkt, der Angehörige mittendrin; Grenzen zwischen seinem und dem eigenen Leben verschwinden Multitasking und Multi-Rollenübernahme für den pflegenden Angehörigen Die Beziehung wird anders, Kompetenzen verschieben sich, Abhängigkeiten entstehen

1 Hierfür kann man auch professionelle Patientenbegleiter hinzukaufen/buchen oder je nach örtlichem Angebot Ehrenamtler in Anspruch nehmen. Erste Informationen hierzu erhalten Sie oft in den zuständigen Bürgerbüros, bei Kirchen, Krankenkassen, der Arbeiterwohlfahrt oder anderen sozialen Einrichtungen sowie bei kommerziellen Pflegeanbietern.

1.2 Das Miteinander verändert sich

Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Ein Mensch, der in eine Krise gerät, verändert sich (vgl. Abschnitt 3.1). Wer Patient wird, verändert sich und mit ihm das gesamte Beziehungsgeflecht zu Ihnen. Wer Patientenbegleitung oder Pflegeverantwortung übernimmt, verändert sich. Das „Du und Ich“, wie Sie zu einander standen, miteinander umgingen, wie Sie Ihre Rollen verteilt hatten, wie das Machtgefüge zwischen Ihnen war, wer wobei das Sagen hatte, wer welche Eigenschaften an den Tag legte – all das wird nicht mehr so sein, wie es einmal war. Es wird sich neu finden. Ja, es wird sich sogar neu finden müssen, je nach Art und Verlauf der Erkrankung und Begleitung vielleicht sogar immer wieder aufs Neue. Krankheit und insbesondere deren Krisenbewältigung verändern alle Beteiligten und das auf vielfältige Weise. Was passiert und wie Sie dem optimal begegnen können, erfahren Sie in den nachfolgenden Abschnitten, zum einen bezüglich des Beziehungsgeflechts (Abschnitt 1.2.1) und zum anderen bezüglich der Kommunikation (Abschnitt 1.2.2).

1.2.1 Das Du und Ich, das Wir verändert sich

Eine Erkrankung wirbelt privat wie beruflich einiges durcheinander, sie „mischt sich ein“, ungefragt und in alle Bereiche:

Die erkrankte Person verändert sich. Eine Krise durchläuft ganz unterschiedliche Phasen und ist im speziellen eine Phase des Reifens (vgl. Abschnitt 3.1). Schritt für Schritt, mal zügig, mal überraschend, mal schleichend werden wir ganz neue Aspekte am anderen kennenlernen und höchstwahrscheinlich sogar positiv überraschende, denn wir werden nach und nach ein reiferes Gegenüber antreffen. Das ist ein spannender Prozess – sofern man offen für ihn ist. Die Veränderung wird unweigerlich geschehen, auch dann, wenn Sie an dem Bild festhalten, was Sie von dem Erkrankten bislang hatten. Einerseits wird diese Veränderung durch einen Reifungsprozess bedingt sein – seien Sie froh, dass dem so ist, denn derjenige muss ja eine Krise bewältigen, das heißt, sich einlassen auf einen Prozess mit unsicherem Ausgang und sich verändern, um ihn zu bestehen. Würde er sich nicht verändern, würde er nichts bewältigen. Andererseits gibt es natürlich auch krankheitsbedingte Veränderungen, bspw. zunehmende kognitive Verwirrtheit im Zuge einer Demenz oder im Zuge eines Hirntumors. Alle Menschen verändern sich im Laufe ihres Lebens, auch Sie und auch ohne eine Krise. Blicken Sie doch einmal zu Ihrem eigenen Selbst vor 10 Jahren zurück – erkennen Sie sich noch wieder? Was hat Sie geprägt, was haben Sie gelernt, losgelassen, erkannt? Auf eine gewisse Art ist eine krankheitsbedingte Krise ein Reifungsbeschleuniger. Werden oder bleiben Sie schlichtweg neugierig und gespannt auf den Menschen, der jetzt aus Ihrem Patienten werden wird (siehe Abschnitt 1.2.1) – und auch auf das, was es mit Ihnen macht, was Sie über das Leben lernen und über sich selbst etc. Neugierig auf jemanden und seine Veränderung sein – möglicherweise werden Sie nun einwenden, dass dies ja sein mag, aber bei einem Demenzpatienten vielleicht nicht so passend sei – und doch, auch in diesem Falle wird es Ihnen helfen, mit ihm umzugehen, wenn Sie neugierig auf ihn sind. Demenzpatienten ziehen sich in ihre eigene Welt zurück, sie reisen sozusagen innerlich immer wieder zurück in die Vergangenheit. Seien Sie daher gespannt darauf, welche Phasen des Lebens Ihr Patient hervorholt, welche er aufgreift, welche er immer wieder durchlebt, was sie wohl für ihn bedeuten.

Die Rollen verändern sich. Im Rahmen der Erkrankung bzw. unmittelbar bei Diagnosestellung verschieben sich die Rollen, die beide bislang innehatten. Sie sind nun nicht mehr nur Ehemann und Ehefrau oder Eltern und Kind oder Freund und Freundin, sondern der Erkrankte wird zum Patienten, der Angehörige zum Begleiter. Die Begleiterrolle ist allerdings eine Doppelrolle: zum einen ist man Unterstützer, zum anderen muss man gleichzeitig für sich selbst einen Umgang mit der Situation finden, also auf ein Gleichgewicht zwischen Unterstützung geben und Selbstfürsorge achten. Letztendlich sind damit beide, Patienten wie Angehörige, psychisch ähnlich stark belastet, wenn auch aufgrund unterschiedlicher Herausforderungen. Die bisherigen Rollen treten in den Hintergrund. Die neue Rollenverteilung lässt sich nicht verändern, sie ist situationsgegeben da, doch wie Sie diese füllen wollen (auf welche Weise will ich begleiten? Vgl. Abschnitt 6.1), wie Sie die Art des Miteinanders, der Kommunikation und des Machtgefüges gestalten können, werden Sie nachstehend erfahren.

Das Machtgefüge verändert sich. Es entstehen Abhängigkeiten und damit ein neues oder verändertes Machtgefüge: Der eine ist auf einmal abhängig vom anderen – beide bedingen einander auf ihre ganz eigene Art: Während der Patient von den Hilfestellungen des Angehörigen abhängig ist, erweist sich der Angehörige wiederum als abhängig vom Pflegebedarf und den Auswirkungen der ganzen Pflegesituation auf das eigene Leben, das er derzeit nicht so leben kann, wie es geplant war. Auf diese Weise verändern die neuen Rollen das bisherige Machtgefüge bzw. etablieren ein solches möglicherweise auch erstmalig.

Macht wird definiert als „die Fähigkeit eines Menschen, eine oder mehrere Personen zu einem bestimmten Denken oder/und Verhalten zu führen, das sie ohne sein Zutun nicht angenommen hätte“ (in Anlehnung an Friedberg, 1992; aus Werth & Steidle, 2021, S. 503). Machtverteilungen sind oft nicht sofort sichtbar, sie werden aber recht deutlich, wenn es zu einem Streit oder einer Krise kommt.

Möglicherweise war der Patient bislang der machtvollere Part in der Beziehung (bspw. war er der Geldverdiener, erledigte alle Formalitäten, traf alle wichtigen Entscheidungen etc.) und ist nun „außer Gefecht gesetzt“ und damit „entmachtet“. Den Angehörigen/Begleiter manövriert dies daraufhin in gänzlich unvertraute Bereiche, in denen er besagte Aufgaben nun übernehmen muss. Oder aber umgekehrt, der Angehörige war bislang der machtvollere Part, bestimmte mit seinen Aktivitäten und Entscheidungen das Familiengeschehen und wird nun durch die Zentrierung rund um den Patienten in die „defensive“ Begleiterrolle geschickt und muss sein Leben gewaltig umkrempeln und hintenanstellen. Beide Szenarien werfen im jeweils eigenen Leben Vieles durcheinander. In Abhängigkeiten zu leben ist immer schwierig und widerstrebt dem natürlichen Bedürfnis nach Einflussnahme und Autonomie (Lammers et al., 2016). Ob Macht sich negativ auswirkt und uns ungut verändert, erweist sich als abhängig von der Art und Weise, wie wir sie leben (Galinsky et al., 2006; Inesi et al., 2012; Keltner, 2016; Lammers et al., 2015):

Wird Macht ausgespielt oder geht man miteinander auf

Augenhöhe

, mit Wertschätzung und Respekt um?

Agiert man mit

Empathie

für die andere Seite oder wächst die Ich-Bezogenheit zunehmend?

Auf Basis welchen

Wertesystems

, Moralkodex und Anspruchs wird gehandelt? (Ein höherer moralischer Standard schützt uns davor, dass Macht uns nicht korrumpiert.)

Denkt man im „

Wir

“ und geht es um das Gelingen der (gemeinsamen) Situation oder geht es ums Ausleben der eigenen Verwirklichung und Verstetigung der Machtposition?

Die Symmetrie der Beziehung verändert sich. „Eine vorher symmetrische Beziehung, in der es in der Regel ein wechselseitiges Geben und Nehmen gab, wird zu einer einseitigen Beziehung: Die Betroffenen sind plötzlich in der Patientenrolle und haben alle Hände voll mit sich selbst zu tun. Die Angehörigen (Partner, erwachsene Kinder, andere Verwandte oder Freunde) sind in der Rolle der Kümmerer. Diese Einseitigkeit ist zunächst eine sinnvolle Krisenreaktion. Auf längere Sicht kann sie problematisch werden, wenn nämlich nur noch die Belastung der Betroffenen im Vordergrund steht und die Belastungen der Angehörigen daneben keinen Raum mehr finden.“ (aus Wickert, 2021, S. 4)

Daher steht für Sie an, solch einseitige Beziehungsmuster aufzulösen und wieder symmetrisch zu kommunizieren. Symmetrisch meint hier, dass beide Seiten (Sie und der Patient) sich mitteilen und nicht asymmetrisch nur der Patient zählt. Dies tun Sie, indem Sie sich selbst mit Ihren (ja nun mal vorhandenen) Gedanken und Gefühlen nicht aussparen, sondern einbringen: Teilen Sie mit dem Patienten nicht nur vermeintlich Positives oder Neutrales, sondern (in dosierter Weise) auch Ihre eigenen Befürchtungen und belastenden Gedanken, denn sie sind ein wichtiger Teil von Ihnen. Nur so stellen Sie Nähe und echte Beziehung her.

Die Gefühle füreinander können sich verändern. Wenn sich die Umstände ändern, ändern sich möglicherweise auch die Gefühle füreinander. Das mag sich befremdlich anhören, doch ist es durchaus typisch: bei den einen werden die Gefühle füreinander stärker, sie wachsen durch die gemeinsame Krisenbewältigung noch näher zusammen. Bei den anderen werden sie weniger oder kippen sogar in Neutralität bis Ablehnung. Ursächlich sind zwei Mechanismen: a) Krisen lassen bestehende Konflikte mehr an die Oberfläche kommen und b) Belastungen machen uns verletzlicher und nicht jeder reagiert auf Belastung mit dem Bedürfnis nach Nähe, manch einer geht lieber auf Abstand. Und letzteres wird in einer Patientenbegleitung oft schwierig. Auch ein Auf und Ab ist möglich, Sie befinden sich schließlich in einem Prozess, in dem sich viele Dinge immer wieder verändern, so auch Ihre Gefühle füreinander.

Wieder einmal gilt: Es gibt kein richtig oder falsch, keine Bewertung von Gefühlen. Sie sind da und sie sind, wie sie sind, daher brauchen Sie sich nicht für sich ändernde Gefühle schämen oder rechtfertigen. Die Frage ist eher: wie gehen Sie mit der sich verändernden oder geänderten Gefühlslage um?

Wird die Beziehung

inniger

, dann achten Sie darauf, dass Sie nicht zu sehr verschmelzen, sondern ausreichend auch an sich und Ihre Stabilität denken.

Treten

konfliktreiche

Gefühle auf, so ist die Frage, ob diese im Miteinander klärbar sind oder aber Ihnen von professioneller Seite geholfen werden kann, so dass Sie sich wieder im Reinen fühlen und den Patienten begleiten können.

Tauchen stark

ablehnende

Gefühle auf oder kommen die Gefühle dem andere gegenüber ganz ins Schwinden, dann ist die Frage, ob Sie die richtige Begleitung sind oder nicht jemand anderes geeigneter wäre. Auch dies ist gut mit einem professionellen Dritten klärbar (siehe auch

Abschnitt 6.1

, „Darf ich den Partner verlassen, obwohl er pflegebedürftig ist?“).

Kurzum: Patienten und Angehörige leben trotz der gemeinsamen Herausforderung in völlig unterschiedlichen Welten. Verbindung und Verbundenheit können entstehen, indem Sie Ihre Welten überlappen lassen. Nur wenn Sie Ihre Realitäten miteinander teilen, den Anderen an Ihrer Wirklichkeit teilhaben lassen und sich zugleich auch für die des anderen interessieren, respektvoll und mit moralischem Anspruch agieren, kann es auch in diesen Zeiten der großen Veränderungen weiterhin ein nahes Miteinander geben.

1.2.2 Die Kommunikation verändert sich

Wie schwierig Kommunikation ist, davon bekommt man erst in Krisenzeiten eine wirkliche Idee. Wir sprechen dann vielleicht durchaus oft miteinander, reden aber dennoch aneinander vorbei. Beispielsweise wenn wir als Angehörige versuchen, dem Patienten Sachverhalte möglichst schonend beizubringen und dafür die Tatsachen „ein bisschen“ verdrehen. Oder wir bestrebt sind, unsere eigene Wut oder Hilflosigkeit zu kaschieren und dem Patienten gegenüber nicht einfühlsam, sondern seltsam angestrengt und verkopft erscheinen. Oder wir suchen so lange nach geschickten Formulierungen, dass der richtige Moment lange vorbei ist und die ausgefeilte Formulierung doch nur wie ein Vorwurf klingt – eben, weil der Zusammenhang nun fehlt. All das ist normal und manches Mal unvermeidlich. Die typischen Herausforderungen von Angehörigen in der Kommunikation mit Patienten sind:

Sprachlosigkeit. „Der Diagnose-Schock lässt uns oft sprachlos werden. Irgendwie hat man es ja vielleicht kommen sehen oder zumindest geahnt und selbst wenn nichts davon zutrifft, ist man geschockt. Doch wie geht man nun mit der fatalen Diagnose und der neuen Realität um? Es fehlen einem die Worte. Andererseits muss man ja irgendetwas sagen – bloß was?“ (aus Teusen, 2020a, S. 37).

Angst vor Offenheit. Im Gesprächsverlauf fehlt es oft „an Mut, offene Fragen zu stellen; es dominiert die Angst vor ehrlichen Antworten. Allzu oft wünscht man sich, die Gedanken des anderen lesen zu können und auf dessen Wünsche ebenso lautlos zu antworten. Das alles geht nicht, und trotzdem versucht man es immer wieder. Statt das Kind beim Namen zu nennen, suchen wir nach Ausreden, ringen mit Worten, verstecken uns hinter Allgemeinplätzen.“ (aus Teusen, 2020a, S. 58f). (...) So fällt es uns schwer, Worte und Empfindungen in Einklang zu bringen, weil man den anderen nicht verärgern will, weil man ihn nicht verletzen will, oder einfach nur, weil man lästigen Diskussionen aus dem Weg gehen möchte. Probleme tauchen beispielsweise regelmäßig auf, wenn wir Ja sagen, aber Nein meinen. Wir neigen mehr zur Verschleierungstaktik als zu offenen Worten.“ (aus Teusen, 2020a, b).

Falscher Schutzimpuls. Es passiert immer wieder, dass wir Angehörigen den Patienten vor schweren und belastenden Themen schützen wollen, ihm Informationen zu seinem vermeintlichen Schutz vorenthalten oder auch Dinge mit uns selbst ausmachen, anstatt sie mit demjenigen gemeinsam zu besprechen. Infolgedessen hat der Patient keine Chance, sich selbst zu äußern oder mitgestaltend einzubringen. Das gut gemeinte „Abpuffern“ führt gegebenenfalls sogar dazu, dass der Patient sich ausgeschlossen und allein gelassen fühlt. Übrigens: auch Kinder sollten in die Geschehnisse einbezogen und informiert werden. Sie spüren ohnehin, was in der Luft liegt und werden nur verunsichert, wenn man es ihnen verschweigt.

Tipps für eine gelingende Kommunikation

„Man sollte die Wahrheit dem anderen wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann – nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen.“Max Frisch

Wie also kann es gehen, was kennzeichnet eine gute Kommunikation? Eines vorweg – ein Patentrezept der richtigen Kommunikation, der perfekten Worte gibt es nicht. Allzu individuell sind die Situation, die Diagnose und auch die Beteiligten und ihr Beziehungsgeflecht. Einige bewährte Hinweise für die spezielle Situation „Angehöriger-Patient“ werden nachstehend zusammengetragen:

Aufrichtige Präsenz anstelle von Floskeln. „Kopf hoch, das wird schon!“ – Ja, wird es das denn aus seiner Sicht? Vermutlich gerade nicht. Ein typischer Patientenwunsch, der sich in der Praxis zeigt, lautet: „Sagt mir nicht, es wird alles gut; sagt mir, dass ihr mich liebhabt.“ Was der Patient braucht, ist Folgendes: Zu hören, was wahr ist, zu fühlen, dass man an seiner Seite ist und zu erfahren/wissen, was man fühlt. Die vermeintlich gut gemeinte „gute Miene“ kommt ganz und gar nicht gut an (nach dem Motto: Sie gehen zum Patienten und tun so, als wäre alles gut oder heute ein guter Tag und gehen dann aus dem Zimmer und sagen zu den anderen „Oh mein Gott, das wird nix mehr, wie schlimm er heute aussah“). Patienten berichten immer wieder, dass sie die Widersprüchlichkeit im Austausch spüren. Sie merken, dass die Angehörigen "Hü“ sagen und „Hott“ meinen oder etwas untereinander absprechen und ihm nicht sagen („Meine Angehörigen glauben, ich wüsste das nicht, ich spiel‘ das mit, aber eigentlich ist mir klar, dass ...“ oder „Ich hör doch, dass die tuscheln, ich sehe doch ihren Gesichtern an, dass ..., aber keiner sagt mir was“). Versetzen Sie sich einmal in die Situation des Patienten: Würden Sie diesen Umgang für sich wollen? Der Patient wird damit zwar möglicherweise gut umsorgt, doch erhält er zugleich auch einen aufrichtigen Umgang auf Augenhöhe? Wohl kaum. Wer meint, den Patienten auf diese Weise zu schonen, sollte sich bewusst sein, dass er ihn vielmehr in emotionale Unsicherheit versetzt – und das ist alles andere als Schonung. Wieviel mehr Nähe und Vertrauen würden Sie erzeugen, wenn Sie aufrichtig miteinander umgingen!

Verwenden Sie keine oder nur wenige Du-Botschaften: „Du darfst nicht aufgeben!“, „Du musst kämpfen“, „Du solltest jetzt abc tun!“. Du-Botschaften bevormunden den anderen, womit sowohl die zuvor genannte Augenhöhe als auch die Selbstbestimmung verletzt werden (vgl. Abschnitt 2.1.2, Kasten). Sie sind dem anderen gegenüber in keiner Form weisungsbefugt. Wollen Sie den Patienten und seinen Wunsch des Umgangs mit der Erkrankung bzw. der Situation respektieren? Dann fragen Sie ihn oder bitten Sie um etwas, sprechen Sie allenfalls Empfehlungen aus („ich könnte mir vorstellen, dass abc eine gute Strategie wäre... wie siehst du das für dich?“) und betonen Sie bei Bedarf auch gerne, dass Ihnen xyz hier gerade besonders wichtig sei (bspw., dass er sich überwindet, etwas mitzumachen oder ähnliches). Ihr Gegenüber ist Patient und vollwertig. Allein er entscheidet, was er zu tun oder zu lassen gedenkt; Du-Botschaften sprechen ihm diese Freiheit implizit ab.

Empathisch zu sein bedeutet unter anderem auch, die Gründe für das Verhalten des anderen zu verstehen. Selbst wenn man den Betroffenen schon lange kennt, kann man manchmal seine Reaktion auf die Diagnose oder andere Krankheitsaspekte nicht nachvollziehen. Anstatt richtig zuzuhören, was er zu sagen hat, versucht man, dessen Bedenken zu entkräften. Besser wäre es, offene Fragen zu stellen, um mehr über die Beweggründe des anderen herauszufinden („Was befürchtest du ...?“, „Wie geht es dir bei der Vorstellung ...?“, „Was möchtest du gerne wissen, wenn wir gleich in der Klinik ...?“). Insbesondere einfühlsame Fragen zu stellen lässt Sie mehr darüber erfahren, wie es dem Betroffenen geht, ob und wie man ihn dabei unterstützen und an seiner Seite sein kann – und zwar unabhängig davon, für welchen Weg sich der Betroffene entscheidet: beim Kämpfen und beim Nicht-Kämpfen, beim Schmerz aushalten ebenso wie beim Schmerz betäuben und notfalls auch dabei, jede weitere Behandlung abzulehnen. Achten Sie jedoch darauf, dass Ihre Fragen nicht übergriffig oder vorwurfsvoll klingen. Neugier hingegen ist durchaus erlaubt. Dazu gehört vor allem, vorgefasste Meinungen (bspw. über gewisse Krankheitsbilder) und Vorstellungen (bspw. wie man mit einer Diagnose umzugehen hat) beiseite zu schieben und Offenheit zu praktizieren: „Sag mal, was würde dir in deiner Situation helfen?“. Wenn der Erkrankte bereit ist, Ihnen zu antworten, werden Sie viele wichtige Dinge über ihn lernen und in Beziehung zu ihm kommen. Dies gilt übrigens auch bei Demenzpatienten – fragen Sie hier aber bevorzugt nach Alternativen (bspw. „Möchtest du Orangensaft oder Wasser?“ statt „Was möchtest du trinken?“), um sie nicht zu überfordern.

Hinspüren, was gerade gebraucht wird: Reden, zuhören, schweigen oder konkrete Lösungen anbieten? Welches Bedürfnis hat der Patient? Möchte er eine Lösung oder Hilfestellung für etwas von Ihnen oder aber möchte er nur, dass zugehört (und nicht kommentiert oder bewertet) wird? Sollten Sie es nicht sicher erahnen können, dann fragen Sie gerne nach – nachfragen ist besser als mutmaßen und falsch agieren, denn bei letzterem sind Enttäuschung und Missverständnisse vorprogrammiert. Vielleicht finden Sie gemeinsam auch ein knackiges Codewort für das, was Sie gerade an Zuwendung vom anderen brauchen, ohne es jedes Mal aufs Neue näher erläutern zu müssen: bspw. „mir wäre grad nach ... einem Arm“ (für in den Arm genommen werden ohne reden zu müssen), „... Rotwein“ (für einfach nur zuhören), „... Blaumann“ (für umsetzbare Lösungen finden), „... Kaffeepause“ (Pause vom Problem, mal so tun, als wäre nichts) etc. Dies könnte helfen, die jeweiligen Bedürfnisse schneller zu verstehen und zu befriedigen.

Eigene Gefühle kommunizieren. Als vertrauter, nahestehender Angehöriger haben Sie Gefühle, die für den zu Begleitenden relevant sind, die ihn etwas angehen. Mit Ihren Gefühlen werden Sie für ihn spürbar. Da das Wichtigste ist, dass Sie Nähe zueinander finden, dürfen Sie durchaus Ihre Gefühle einbringen und beispielsweise sagen, dass Sie traurig sind (weil das Schicksal Ihnen beiden dies beschert), dass Sie unsicher sind (ob Sie ihn gerade gut versorgen), ja, selbst, dass Sie Angst haben (bspw. wie die Kinder die Situation verkraften werden) – nur nicht so, dass der Patient Sie nun seinerseits trösten und stabilisieren muss. Sätze wie „Ich weiß gar nicht, wie mein Leben ohne dich weitergehen soll. Du darfst nicht sterben. Du darfst mich nicht allein lassen. Bitte stirb nicht ...“ sind, so sehr sie auch Ihr Inneres widerspiegeln mögen, dennoch belastend für den Patienten, sie erschweren ihm die Situation. Sofern Sie jedoch sagen würden „Ich bin so traurig über die Situation, dass das Schicksal uns nun so mitspielt/ unsanft auseinanderreißt und so dankbar, dass wir uns bis dato hatten und noch haben. Du bist das größte Geschenk/die Liebe meines Lebens“ wäre dies vermutlich ebenso wahr, klingt jedoch sehr anders und ist vor allem viel weniger belastend für den Patienten, vermutlich sogar noch tröstlich.

Berichten Sie weder Gefühle, die Sie nicht haben (um dem anderen vermeintlich etwas Gutes zu tun) noch verschließen Sie Ihre Gefühle vor ihm, denn das macht beide Seiten einsam, statt sie zu verbinden. Traurigkeit etwa verschwindet nicht, wenn man sie verschweigt, im Gegenteil, es tröstet wesentlich mehr, sie miteinander auszuhalten, als sie mit sich allein auszumachen. Seien Sie authentisch und nutzen Sie die Kostbarkeit von Gefühlen und der Brücke, die sie Ihnen in der Begleitung bauen können. Agieren Sie mit Mitgefühl und Empathie und tun Sie definitiv niemals so, als wäre nichts, denn dann wirken Sie unglaubwürdig und unaufrichtig und Ihre Beziehung ist gestört. Patienten sind unfassbar sensitiv für emotionale Schwingungen und spüren daher sehr genau, wer mit ihnen ehrlich und transparent umgeht und wer nicht.

Körpersprache beachten. Auch wenn der Patient nichts sagt, drückt er sich aus. Über nonverbale Signale der Mimik, Gestik und Haltung erfahren Sie sehr viel darüber, wie es ihm geht. „Jeder Mensch spricht nicht nur mit Worten, sondern unterstreicht das Gesagte ganz automatisch durch Gesten, Mimik und Stimmlage. Sie können sich, wenn Sie beispielsweise von Gewissensbissen geplagt sind, noch so sehr bemühen, einen souveränen Eindruck zu machen; das schlechte Gewissen steht Ihnen dennoch buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Und nicht zu vergessen: Ihr Gesprächspartner, (…) kennt Sie schon lange, oft sogar ein Leben lang. Menschen haben ein feines Gespür für Zwischentöne (auch demente Personen) und ebenso für ernste Worte. Zwischen dem, was man sagt, und dem, was man fühlt, liegen manchmal Welten – und noch mal größer ist der Unterschied, was bei unserem Gegenüber ankommt.“ (aus Teusen, 2020b, S. 14)

Helfen Sie sich beispielsweise, bevor Sie das Patientenzimmer betreten, damit, sich zunächst selbst in eine gute eigene Körpersprache zu bringen, tief durchzuatmen, eine entspannte Körperhaltung einzunehmen ... Und wenn Sie in der Interaktion mit dem Patienten sind und merken, dass die Situation ungut wird, Ihre Körpersprache „hakt“ oder destruktiv wird, dann gehen Sie lieber einmal kurz raus und „resetten“ sich, als dass Sie die Situation ungut weiterlaufen lassen. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: So vorzugehen bedeutet nicht, dass Sie etwas vorspielen, was nicht ist, sondern nur, sich selbst so zu regulieren oder zu stimulieren, dass Sie in einer guten und stabileren Ausgangslage sind, aus der heraus Sie dann (authentisch) gut agieren können.

Nehmen Sie ein hilfreiches Mindset ein. Lernen Sie den anderen mit der Erkrankung neu kennen, seien Sie neugierig auf ihn (vgl. Abschnitt 1.2.1). Wenn Sie das Patientenzimmer betreten, wird entscheidend sein, in welcher Verfassung Sie sind: Wenn Sie Lust darauf haben, den Patienten zu treffen und (in seiner Verfassung) kennenzulernen, werden Sie ganz anders den Raum betreten, sich dem anderen zuwenden und Interesse signalisieren, als wenn Sie dies nicht haben und nur in Ihrer Pflichtausübung oder abgehetzt sind. Was Sie einbringen, wirkt sich aus, ob Sie wollen oder nicht. Mit dem richtigen Mindset machen Sie es sich leicht. Übrigens: das geht auch für wenige Minuten, beispielsweise wenn Sie nur 15 Minuten haben, so können Sie ausstrahlen: „In dieser Zeit bin ich ganz bei dir und bist du der wichtigste Mensch für mich, freue ich mich auf unsere Begegnung, welcher Art sie auch sein mag.“ Vielleicht gefällt Ihnen dieser Satz oder Sie nehmen sich einen anderen Satz, der Sie unabhängig Ihrer momentanen Stimmung resettet und an Ihre Werte und Haltung erinnert, die Sie dem Patienten entgegenbringen möchten.

Kurzum: Um dem Patienten im Sinne des obigen Zitats nicht „ein nasses Tuch um den Kopf schlagen“, sind all jene Kommunikationsmuster konstruktiv, die den offenen Austausch (seien es Wünsche und emotional bedeutsame Themen) beinhalten. Denn sie erleichtern den Umgang mit der belastenden Situation. Als destruktive Kommunikationsmuster hingegen erweisen sich Verhaltensweisen wie Rückzug, Schweigen, ausschließlich oberflächliche oder gar feindselige Kommunikation, denn sie erhöhen den Stress.

Würdige Kommunikation

1. Keine Floskeln („Kopf hoch, das wird schon“), keine Verschleierung gemäß dem Patientenwunsch „Sagt mir nicht, es wird alles gut; sagt mir, dass ihr mich liebhabt“

2. Keine oder nur wenige Du-Botschaften (Du sollst, du musst ...)

3. Fragen stellen („Was willst du und wie kann ich dir dabei beistehen?“)

4. Eigene Gefühle (dosiert) kommunizieren

Traurigkeit verschwindet nicht, wenn man sie verschweigtNicht so tun, als wäre nichtsMit Empathie und Mitgefühl agieren

5. Reden, zuhören, schweigen – hinspüren, was gerade gebraucht wird

6. Körpersprache beachten

7. Hilfreiches Mindset einnehmen: Lernen Sie ihn mit der Erkrankung neu kennen, seien Sie neugierig auf ihn

1.3 Belastungsfaktoren entstehen

Die Pflege einer nahestehenden Person kann eine sehr erfüllende Aufgabe sein, zugleich aber auch eine möglicherweise (oder sogar in den meisten Fällen) extrem belastende und die eigene Gesundheit gefährdende. In der Fachliteratur gelten pflegende Angehörige daher als die „unsichtbaren, zweiten Patienten“, da sie durch

chronischen Stress

eingeschränkte körperliche Gesundheit

erhöhte Depressionsraten

auffallen (Cuijpers, 2005; Ernst & Weißflog, 2013; Pinquart & Sörensen, 2003b; Schulz & Beach, 1999, Schulz & Sherwood, 2008; Wilz & Meichsner, 2012). Dass Pflege anstrengend ist und auch belastend sein mag, liegt auf der Hand, doch warum werden pflegende Angehörige dabei selbst krank? Schließlich hat Pflege doch auch ihre schönen Seiten, kann Freude machen, eine wohltuende Nähe erzeugen und vieles mehr (Pendergrass et al., 2023; ZQP, 2022; vgl. Kasten). Was also liegt hier vor, dass das Ganze so kippen kann?

Die Antwort gliedert sich wie der nachfolgende Abschnitt in drei Teile:2 Zum einen geraten pflegende Angehörigen in einen Prozess gekappter Grundbedürfnisse (Abschnitt 1.3.1), mit dem sie adäquat umgehen sollten. Da dies meistens nicht gut gelingt, ist es typisch, dass sie in eine sogenannte Überforderungsspirale geraten (Abschnitt 1.3.3), aus der sie meist nur mit professioneller Hilfe wieder aussteigen und zum dritten können zusätzlich noch spezielle Risikofaktoren vorliegen, die die Belastung nochmals verstärken (Abschnitt 1.3.2). Spätestens dann sind entsprechende Belastungs- und Krankheitssymptome auch bei den pflegenden Angehörigen vorzufinden. Was Sie tun können, damit Sie als Angehöriger nicht ein unsichtbarer Patient hinter dem eigentlichen Patienten werden, erfahren Sie in den nachfolgenden Abschnitten.

Die positiven Seiten, die pflegende Angehörige erleben