Klima-Bullshit-Bingo (SPIEGEL-Bestseller) - Jan Hegenberg - E-Book

Klima-Bullshit-Bingo (SPIEGEL-Bestseller) E-Book

Jan Hegenberg

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Beschreibung

Jan Hegenberg entlarvt in seinem neuen Buch »Klima-Bullshit-Bingo« die gängigsten Scheinargumente gegen Klimaschutz! Ein unterhaltsames Nachschlagewerk, das fundierte Antworten auf Vorwände wie »Deutschland alleine kann die Welt nicht retten!«, »Ja, aber China« und »Die Experten sind sich nicht einig« liefert. Dieses Buch rüstet für jede Stammtischdiskussion und zeigt, wie Klimaschutz wirklich funktioniert.

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Seitenzahl: 256

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Jan Hegenberg

KLIMA-BULLSHIT-BINGO

Jan Hegenberg

KLIMABULLSHITBINGO

Klimaschutz zerstört die Wirtschaft! … und andere Stammtischparolen widerlegt

Originalausgabe

1. Auflage 2024

Verlag Komplett-Media GmbH 2024, München

www.komplett-media.de

ISBN: 978-3-8312-0635-3

eISBN: 978-3-8312-7169-6

Auch als E-Book erhältlich

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Elisa Garrett, Bayreuth

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Satz: Daniel Förster, Belgern

Druck & Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Gedruckt in Deutschland

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind

urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom

Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen,

Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen

Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Für Birdy, Niko, Ella und Leni

INHALT

Vorwort

Was ist überhaupt ein gutes Argument?

BULLSHIT 1 Aber heute hat es geschneit!

BULLSHIT 2 Persönlicher Klimaschutz bringt doch gar nichts!

BULLSHIT 3 Aber in E-Autos ist Lithium!

BULLSHIT 4 Wenn die E-Autos alle gleichzeitig aufladen, geht hier überall das Licht aus!

BULLSHIT 5 Pflanzt doch einfach mehr Bäume!

BULLSHIT 6 Klimaschutz bringt gar nichts, wenn die Überbevölkerung nicht gestoppt wird!

BULLSHIT 7 Ich brauche kein E-Auto, Ich tanke einfach prima Wundersprit!

BULLSHIT 8 Ich brauche kein E-Auto, Ich tanke einfach Frittenfett!

BULLSHIT 9 Die Energiewende ist gescheitert, lasst uns weiter Erdöl verbrennen!

BULLSHIT 10 Deutschland ist mit seiner Energiewende der Geisterfahrer der Welt!

BULLSHIT 11 Jetzt sind wir von Stromimporten abhängig!

BULLSHIT 12 Ich trenne doch schon Müll!

BULLSHIT 13 Veggieburger sind reine Chemie, Ich esse Fleisch für die Umwelt!

BULLSHIT 14 Klimaschutz zerstört die Wirtschaft!

BULLSHIT 15 Irgendjemand wird schon was Schlaues erfinden!

BULLSHIT 16 Ich lass mir doch mein Auto nicht verbieten!

BULLSHIT 17 E-Autos sind auch wieder nur Autos, die bringen keine echte Veränderung!

BULLSHIT 18 Aber China!

BULLSHIT 19 Windräder sind hässlich!

BULLSHIT 20 Das bringt doch nichts mehr, wir werden sowieso alle sterben!

BULLSHIT 21 Dafür haben wir zu wenig Strom!

BULLSHIT 22 Aber nachts scheint keine Sonne – lol!

BULLSHIT 23 Ohne CO₂ gibt es doch keine Pflanzen!

BULLSHIT 24 Vulkane, Kriege und der Erdorbit erwärmen auch unser Klima!

BULLSHIT 25 Wenn ich das Fleisch nicht kaufe, wird es stattdessen exportiert!

Und jetzt?

Danksagung

Quellen

VORWORT

Klima-Bullshit-Bingo!

Das Spiel mit dem nervigsten Spielverlauf,aber dafür höchsten Wetteinsatz der Welt

So, da ist es nun. Mein zweites Buch. Verrückt. Hätte mir jemand letztes Jahr gesagt, dass ich im Herbst 2023 an meinem zweiten Buch schreibe, wäre ich in ungläubiges Gelächter oder nervöses Kichern verfallen. Emotional ist so ein Abgabetermin nämlich immer etwas aufwühlend: Ihr legt ein Cover und einen Termin fest und dann prangt da erst mal euer Name auf der Amazon-Seite (gilt natürlich auch für all die Buchhandlungen ohne Pakt mit dem Teufel), zusammen mit dem großspurigen Versprechen, bis dahin ein Buch geschrieben zu haben. Geschriebene Worte zu diesem Zeitpunkt: null. Das kann mitunter etwas an den Nerven zerren.

Ich versuche, es positiv zu sehen: Immerhin haben wir schon einen Titel, der Anfang ist gemacht. Und dieses Mal einen richtig guten! Damit will ich nicht sagen, der Titel des letzten Buchs sei schlecht gewählt gewesen, aber weder der Verlag noch ich hatten bedacht, wie die Worte »Weltuntergang« in weißer Schrift und »fällt aus« in roter Schrift auf Plakaten für Lesungen wirken. Eine Menge Menschen gingen davon aus, das Buch hieße einfach nur »Weltuntergang« und die Lesung in der Buchhandlung falle leider aus (kein Scherz). Wir haben daher aus Rücksicht auf das Nervenkostüm des Personals im Buchhandel Abstand davon genommen, das nächste Buch (also dieses) »Buchhandlung wird geschlossen« oder »Räumungsverkauf!« zu nennen, um dramatische Umsatzeinbußen zu vermeiden.

Stattdessen heißt es also »Klima-Bullshit-Bingo«, und auch hier gilt es zuallererst, Missverständnisse zu vermeiden: Solltet ihr den Begriff »Bullshit-Bingo« noch nie gehört haben, es handelt sich NICHT um einen Bingo-Wettbewerb, in dem Rinder-Ausscheidungen irgendeine Rolle spielen, »Bullshit« versteht sich hier schlicht als Synonym zu »Blödsinn«, »Mumpitz«. Oder besonders nahe an der Vorlage: Jemand erzählt großen Mist.

Nun kann solcher Bockmist insbesondere im Internet wirklich lästig sein, denn das Entlarven desselben ist oft schwieriger und aufwendiger, als ihn in die Welt zu setzen. Der italienische Informatiker Alberto Brandolini brachte das 2013 anlässlich einer Fernsehdiskussion mit Silvio Berlusconi mit »Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert eine Größenordnung mehr Energie als dessen Produktion« so prägnant auf den Punkt, dass der Zusammenhang seitdem als Brandolinis Gesetz1 bekannt ist.

Hierzu ist es übrigens recht egal, welcher politischen Strömung, Ideologie oder sonstigen Weltanschauung der Mist entspringt. Wir alle haben solchen Bullshit schon mal verfasst oder weiterverbreitet und irgendwer mit viel mehr Ahnung vom Thema musste deswegen schlimm mit den Augen rollen. Diese Person hat dann kurz überlegt, ob sie die Zeit investieren soll, dieses Vorhaben aber bei der dritten Nachfrage, ob sie jetzt endlich mal ins Bett kommt, aufgegeben.

Manche dieser Personen sitzen am nächsten Tag im Büro und sind nicht zufrieden damit, dass der Bullshit weiter unwidersprochen im Internet steht, und so erschaffen sie ein »Bullshit-Bingo«. Das ist eine unvollständige Sammlung der häufigsten Blödsinnsargumente zu ihrem Fachgebiet in Bingokartenformat, meist etwas überspitzt formuliert und mit einer Botschaft ans Unterbewusstsein im Gepäck:

Lieber Bullshit-Verfasser: Die Fachwelt beschäftigt sich mit dem Thema schon so viel länger als du, dass sie dein Argument nicht nur schon lange kennt. Sie hat es außerdem längst widerlegt und kennt auch die nun folgenden Einwände so gut, dass wir sie auf einem Spielbrett markieren und jubeln, wenn wir als Erste genug Bockmist eingefärbt haben, dass er eine durchgehende Linie ergibt.

Das wird natürlich oft als zynisch empfunden und es wird bezweifelt, ob sich dieser ganze Aufwand überhaupt lohnt. Ein Bingo-Spielfeld hat immerhin 25 Felder, und die Zeit, in der man sich mit 25 absurden Behauptungen auseinandersetzt, könnte man ja auch anders sinnvoll verwenden, mit Kuchenbacken zum Beispiel.

Ein Teil meines Bewusstseins plädiert daher wiederholt dafür, den ganzen Stress doch einfach bleiben zu lassen und stattdessen Touristen-Guide in der Lüneburger Heide zu werden. Ich wäre viel im Freien, hätte nur Kontakt zu Menschen ohne viel Zeitdruck und mein größtes Stresspotenzial würde darin bestehen, dass die Heidschnucken womöglich im Nebel liegen. Leben am Limit. Aber Hand aufs Herz: Käme ich abends zurück in meine Wohnung und läse meine Facebook-Benachrichtigungen, stiege der Stresspegel ja doch wieder auf das Niveau bei meiner mündlichen Abiturprüfung.

Laut Christian in der Wiesbadener Städtegruppe ist das mit dem Klimaschutz nämlich vollkommen übertrieben, weil … *ganz ruhig ein- und ausatmen* »… andere Länder auch CO2 emittieren«. Aha. Soll ich ihm direkt antworten oder mir erst mal was zu Essen warm machen? Ach komm, ich erkläre ihm einfach schnell, wie das mit den CO2-Emissionen ist, und verlinke ihm diese tolle Grafik, die ich letzte Woche erst auf LinkedIn gesehen habe, mit dem eindrucksvollen globalen Zubau von Wind- und Solarkraft.

Sollte euch »LinkedIn« nichts sagen: Das ist so ein bisschen das, was Facebook früher war: ein soziales Netzwerk, auf dem viele Menschen vollständige Sätze schreiben und eine Unterhaltung mit verschiedenen Meinungen nicht zwangsläufig juristische Schritte nach sich zieht. Eigentlich ist es ein Business-Netzwerk, um sich mit Menschen für den Job zu vernetzen, aber ich bin da eigentlich nur, um was zu lernen oder mich zu streiten. Hey, jeder braucht irgendein Hobby!

Bevor ich die gesuchte Grafik mit dem Windkraftausbau auf LinkedIn aber überhaupt gefunden habe, springt mir dort ein ganz anderer Beitrag ins Auge, laut dem wir uns diesen ganzen Windkraftquatsch doch schenken könnten, wenn wir einfach ganz viele Bäume pflanzten. Nein, das kann ich so nicht stehen lassen. Wo war denn noch mal diese wundervoll visualisierte Vergleichsrechnung, wie viel CO2 ein Baum pro Jahr einlagert? Ach ja, in diesem Instagram-Video, das ich dafür extra abgespeichert habe.

Nur kurz rüber zu Instagram und da müsste das Video eigentlich … »DIE GRÖßTE UMWELTKATASTROPHE ALLER ZEITEN WIRD KOMMEN, WENN IN EIN PAAR JAHREN DIE GANZEN E-AUTO-AKKUS AUF DEN MÜLL KOMMEN«, springt mir als schrill pulsierende Überschrift entgegen. Also nicht einfach so als Text, denn wir sind ja auf Instagram. Dutzende Sterne und Spiralen fliegen aus dem Schriftzug, ein Filter verwandelt alle Ds und Ps in schunkelnde Enten und das Ganze ist mit einem Techno-Cover von »Dancing Queen« unterlegt.

Der erste Kommentar dazu stammt von einem früheren Klassenkameraden und lautet »SO EINE SAUEREI!«. Der Beitrag wurde über 50.000-mal mit »gefällt mir« markiert und die Kommentare laufen über vor Bekundungen, so lange mit einem Diesel-Pkw fahren zu wollen, wie es überhaupt geht.

Puh. Was tun? Sich mit dem ganzen Mist auseinandersetzen und dann schlimm unterzuckert auf der Couch sitzen oder erst mal kochen in dem Wissen, dass meine Landsleute gerade zentnerweise mit Fake News bombardiert werden und ihn weiterverbreiten? Beides keine gute Option. Also probiere ich es jetzt doch mal mit diesem Buch und meinem Klima-Bullshit-Bingo.

Das alles soll natürlich nicht bedeuten, dass ich etwas gegen Diskussionen zur Klimakrise hätte. Im Gegenteil, darüber sollte noch viel mehr diskutiert werden – oder sagen wir vielleicht lieber: viel besser! Die Bullshittisierung des Themas täuscht leider darüber hinweg, aber tatsächlich gibt es ja wirklich noch tausend gute Fragen, die wir wirklich noch im persönlichen Dialog klären müssen:

Wo kommt der klimaneutrale Zement der Zukunft her? Wie viel Energie und woher soll Europa sie importieren? Wie viel Geld sollen wir in Aufforstung stecken und wie viel und wann in das Absaugen von CO2 aus der Atmosphäre (CCS)? Zu diesen und einer Menge weiterer Fragen könnt ihr ein paar echt schlaue Leute in einen Konferenzraum sperren und dann mit einem Tee in der Hand diabolisch dem eskalierenden Streit zusehen. Wenn ihr auf so was steht.

Denn selbst die Fachleute sind sich noch nicht in allem einig und müssen darüber noch ein paarmal in den Argumente-Wettbewerb gehen. Und nicht nur die, auch wir sollten uns dazu eine Meinung bilden, damit wir im nächsten Bundestagswahlkampf eine Ahnung haben, welche Partei uns gerade eine echte Lösung und welche einen Haufen populistischen Unsinn präsentiert.

Eine sinnvolle Diskussion dazu wird aber nur möglich, wenn wir unsere mit Hektolitern »Bullshit« verstopften Diskussionskanäle von dieser enormen Ansammlung destruktiven Unrats befreien. Wenn mein Klima-Bullshit-Bingo nur einen kleinen Teil dazu beitragen kann, hat sich das schon gelohnt.

Sollte euch der Kraftausdruck abschrecken, könnt ihr im Geiste auch gern »Falschbehauptungsmikado« oder »Falsch-Zeugnis-Wider-Deinen-Nächsten-Halma« daraus machen. Hauptsache ist, dass wir in Bezug auf die vielen ohnehin bereits feststehenden Fakten endlich wieder auf einen Nenner kommen.

Damit ihr in Diskussionen nicht das halbe Buch abschreiben müsst, findet ihr am Ende jedes Kapitels einen QR-Code, der euch zu der Online-Version des Textes bei FAKT IST führt. Diese knackige Zusammenfassung zu all den jeweiligen Bullshit-Themen könnt ihr dann direkt rauskopieren oder einfach den kompletten Link benutzen, um ihn in Facebook-Diskussionen, WhatsApp-Gruppen oder in den Firmenchat zu kopieren.

Make Facts great again, here we go!

WAS IST ÜBERHAUPT EINGUTES ARGUMENT?

1. Streitet euch gern, aber richtig

Bevor ihr jetzt denkt: »Aha, jetzt will der Hegenberg mir also schon vorschreiben, wie ich zu streiten habe. Gesinnungsdiktatur!« Nein. Es ist euch selbstverständlich unbenommen, maximal unkonstruktiv und bar jeden Erkenntnisgewinns für alle Beteiligten das Internet leerzustreiten. Ich bin der Letzte, der hier irgendwem Vorschriften machen sollte, denn sinnlose Diskussionen sind so was wie mein Hobby.

Ich diskutiere mit Anhängern der Flache-Erde-Theorie und Kreationistinnen, die den Planeten Erde für 6.000 Jahre alt halten. Ich streite über den Geschmack von Tofu auf der Facebook-Seite von »Alle dohf außer Mutti« und wenn jemand meine Artikel mit »Der Hegenberg redet mal wieder nur Gülle« kommentiert, frage ich nach der Farbe der Gülle.

Dass dabei irgendetwas kognitiv Sinnvolles passiert, ist mindestens unwahrscheinlich, deswegen mache ich das auch nur manchmal und nach Feierabend. Die meiste Zeit verwende ich sinnvoller (zumindest hoffe ich das) und streite darin über wirklich relevante Themen, und das auch nur, wenn das irgendeine Wirkung verspricht. Daher hier ein paar Erfahrungen und Best Practices, wie Diskussionen am meisten bringen:

Achtet darauf, ob ihr euch überhaupt in einer Diskussion befindet oder nur in einem Wettbewerb, wer lauter schreien kann.

Brüllaffen mögen Zweiteres bevorzugen, aber wenn euch eure Stimmbänder und ein minimaler Erkenntnisgewinn am Herzen liegen, dann lasst das lieber. In einer echten Diskussion lässt man sich ausreden und geht auf die Antworten der anderen Person ein. Klingt jetzt naheliegend, aber insbesondere im Internet ist das keine Selbstverständlichkeit.

Hierarchie des Widerspruchs nach dem Essay »How to disagree«

Dort lesen wir vielmehr eine Menge Kommentare, die in der folgenden Grafik unterhalb der Zeile »Gegenargument« einzuordnen sind. Sie ist dem Essay »How to disagree«2 des Programmierers Paul Graham nachempfunden und teilt Argumentationen in eine Hierarchie ein (von oben sehr gut bis unten sehr schlecht). Die Erwiderungen ab der vierten Zeile sind meist stark vorgetragene Meinungen, aber ich würde sie nicht Argumente im eigentlichen Sinn nennen – schon allein der Gefahr wegen, dass die wirklichen Argumente deswegen beleidigt sein könnten.

Ein Beispiel für die Zeile »Widerspruch« wäre:

Person 1: »Klimaschutz in Deutschland heißt ja nicht, dass Deutschland allein die Welt zu retten versucht. Die anderen Länder setzen ja auch Klimaschutzmaßnahmen um und halten sich wie wir auch an die Zusagen des Klimaabkommens von Paris.«

Widerspruch von Person 2: »Ja ja, sag ich doch, am deutschen Wesen soll die Welt genesen, und alle lachen uns aus!«

Sollte es euch bei dieser Unterhaltung kalt den Rücken runterlaufen, ist das ein gutes Zeichen: Euer Logikzentrum funktioniert gut und schaudert angesichts dieser Weigerung, einen vorgetragenen Gedanken überhaupt mal durch die Großhirnrinde schwappen zu lassen. Kein noch so stichhaltiger Punkt bringt diese Person aus der Fassung, denn eure Argumente werden nirgends kognitiv verarbeitet.

Ich nenne das mittlerweile nur noch die »Textbaustein-Taktik«, weil da in meiner Vorstellung jemand mit einer Reihe vorgefertigter Antworten vor einer Tastatur sitzt und diese einfach nur wahllos abfeuert, sobald die richtigen Trigger-Vokabeln fallen. Bekommen sie tatsächlich mal eine Antwort, formulieren sie den Textbaustein minimal um und kommentieren ihn dann sinngemäß direkt noch mal.

Richtig, da könnt ihr euch auch gleich mit dem Altglascontainer unterhalten – wobei ich mir habe sagen lassen, dass selbst so mancher Container über mehr Reflexionsvermögen verfügt als diese menschlichen Diskurs-Blockaden.

Das Gleiche gilt, wenn ganz klare Fakten abgestritten werden:

Person 1: »Trotz der Erneuerbaren hatten wir letztes Jahr so viel Kohlestrom wie noch nie!«

Person 2: »Das stimmt nicht, wir haben 2023 so wenig Kohlestrom erzeugt wie zuletzt im Jahr 1959, hier die offizielle Statistik dazu.«

Person 1: »Ach, glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast! Außerdem liegt das nur an der Deindustrialisierung, durch die Windkraftanlagen verdirbt die Ernte und die Solarzellen verursachen Heuschrecken-Plagen.«

Hier sollten gleich zwei Alarmsirenen losgehen:

Mit jemandem, der nicht mal die offizielle Energie-Statistik als Quelle akzeptiert, wird es sehr schwer, sich auf irgendwas zu einigen. Man kann ja unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob Stuttgart eine schöne Stadt ist oder ob Filme von Til Schweiger große Filmkunst sind. Aber wenn jemand darauf besteht, dass die Donau durch Myanmar fließt, oder nicht akzeptiert, dass Jo Biden 2020 die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, würde ich das Weite suchen. Ohne minimale gemeinsame Basis ist ein rationaler Austausch nicht mehr möglich – deswegen sind Verschwörungsideologien, durch die Menschen sich komplett von der Realität entkoppeln, auch so gefährlich.

Der zweite Alarm sollte wegen des abrupten Themawechsels auf gleich mehrere andere Aspekte anschlagen, was im Internet auch gern »Taubenschach« genannt wird. Der Name rührt daher, dass ein Schachspiel mit einer Taube meist recht unbefriedigend endet: Egal, wie gut ihr Schach spielt, die Taube springt von Feld zu Feld, wirft alle Figuren um, kackt aufs Brett und stolziert trotzdem herum, als hätte sie gewonnen.

Genau das passiert im Argument weiter oben: Dass die ursprüngliche Behauptung über die Kohleverstromung komplett widerlegt wurde, wird gar nicht weiter beachtet. Stattdessen wird Person 2 mit weiteren absurden, unbelegten Behauptungen bombardiert, die zu widerlegen viel länger dauert, als sie aufzustellen (hier kommt wieder Brandolinis Gesetz zum Einsatz).

Dieses Spiel solltet ihr nicht eine Sekunde mitspielen, denn es wird immer so weitergehen. Die Person wird nie zugeben, in einem Punkt falschgelegen zu haben, sondern immer neuen Blödsinn in den Raum stellen. Diese Taktik nennt sich auch »Gish Gallop«, benannt von der Humanbiologin Eugenie Scott, die 1994 mit dem Kreationisten Duane Gish über Evolution debattierte, währenddessen dieser sich genau dieser Taktik bediente.

In diesem Fall macht ihr Folgendes: Ihr sucht euch das schwächste Argument raus, zerlegt es von vorn bis hinten und geht erst auf weitere Aspekte ein, wenn es geklärt ist. Wir hatten 2023 eben NICHT so viel Kohlestrom wie noch nie. Im Gegenteil, 2023 markierte ein historisches Tief der deutschen Kohlestromerzeugung, entsprechend tolle Grafiken gibt es dazu, die wenig Interpretationsspielraum lassen.

Nun werden weitere Ablenkungen kommen, aber auf die geht ihr nicht ein, sondern fragt pedantisch nach, was jetzt mit dem Kohlestrom ist. Formuliert auch, dass die Person ganz offensichtlich ablenken möchte und ihre Behauptungen nicht belegen kann. Die Person muss dann entweder zugeben, in diesem Punkt die Unwahrheit behauptet zu haben, oder lenkt – wie von euch prophezeit – weiter ab. Was ziemlich schwach wirkt.

Ihr könnt die Taktik dann auch ganz klar benennen und sagen, dass ihr an so einer Zeitverschwendung nicht interessiert seid, denn diese Diskussion wird ins Leere führen. An diesem Punkt geht es ja gar nicht mehr ums eigentliche Thema Kohlestrom, weswegen die Zeit mit Kuchenbacken oder einer Folge Schwarzwaldklinik besser investiert ist.

Da wir alle nur endlich Zeit und Energie haben, sollten wir uns gut überlegen, welche Diskussion wir führen und welche nicht. Und meistens ist Taubenschach keine Diskussion, sondern ein Typ, der euch mit einem Megafon anschreit und die Ohren zugebunden hat.

Wer einen guten Tag und ohnehin gerade nichts zu tun hat, kann aber auch hier sein Glück versuchen: Sollte so was auf offener Bühne stattfinden, wo das Gespräch von vielen unvoreingenommenen Menschen verfolgt wird, könnt ihr diesen vielen Menschen mithilfe des Taubenschachlers gut zeigen, wie absurd seine Positionen sind, indem ihr eins nach dem anderen mit der stoischen Ruhe einer Zen-Meisterin auseinandernehmt.

Es bedarf halt Zeit. Viel Zeit. Viel Zeit, Geduld und eines gewissen Gleichmutes, angesichts der Absurdität nicht die Nerven zu verlieren. Euer Ziel darf nur nie sein, beim Taubenschachler auch nur einen Funken Einsicht zu erwarten, denn der wird nicht kommen. Eure Währung sind die vielen anderen Menschen, die sich von abgeklärten, ruhig vorgetragenen Argumenten eher überzeugen lassen als vom erratischen Hin und Her eures Gegenübers.

In einem privaten Chatverlauf oder unter vier Augen im ICE-Abteil ist das in meinen Augen aber komplette Zeitverschwendung. Wenn eine Seite gar nicht bereit ist, die eigenen Überzeugungen mit der Realität abzugleichen, beträgt die potenzielle Wirkung null.

2. Erkennt und vermeidet logischeFehlschlüsse

Wenn ihr die Ratschläge des letzten Kapitels berücksichtigt habt, befindet ihr euch also früher oder später in einer echten Diskussion. Herzlichen Glückwunsch! Aber auch dann lauern ein paar Fallstricke, die ihr am besten vermeidet, damit dabei was Sinnvolles rauskommt.

Es ist nämlich so: Unsere Gehirne sind evolutionär gesehen kaum von denen unserer Vorfahren von vor 10.000 Jahren zu unterscheiden und daher evolutionär immer noch für ein Leben ausgelegt, das wenig mit unserem heutigen zu tun hat. In ihrem Alltag spielte Online-Recherche keine Rolle, sie wurden nicht mit Terabyte voller Spam und Falschmeldungen bombardiert und mussten keine komplizierten Entscheidungen über medizinische Behandlungen treffen.

Deswegen unterliegen wir immer noch allerlei kognitiven Verzerrungen, die das Treffen einer rationalen Entscheidung erschweren. So bevorzugen wir zum Beispiel häufig den Status quo gegenüber einer Veränderung. Die Dinge sollten idealerweise in etwa so bleiben, wie sie schon sind. Auf Facebook liest sich das oft so: »Des ham mer immer scho so g’macht!«

Das betrifft aber nicht nur konservative Menschen, auch mein Gehirn hat mir unmissverständlich klargemacht, dass ich mich selbst in Hörsälen mit 250 Plätzen immer auf den exakt gleichen Platz setzen sollte, weil ich sonst vermutlich in Flammen aufgehe oder so was. Vermutlich war es im Jahr 5.000 BC eine gar nicht so schlechte Überlebensstrategie, nicht ständig neue Pilzsorten auszuprobieren.

3. Der häufigste Fehlschluss:das Strohmann-Argument

Das ist natürlich eine rein subjektive Beobachtung, aber mich nervt das so häufig, dass ich der Worterkennung auf dem Handy extra das siebensilbige Wort-Ungetüm »Strohmann-Argumentation« beigebracht und dadurch vermutlich ganze Monate an Lebenszeit gespart habe.

Die Taktik ist so simpel wie effektiv: Anstatt auf das einzugehen, was ihr gesagt habt (was ja mitunter knifflig werden kann), tut euer Gegenüber einfach so, als hättet ihr was ganz anderes gesagt. Idealerweise noch emotional mit Empörung aufgeladen, das lenkt noch mehr vom eigentlichen Punkt ab.

Beispiel: »Der Fleischkonsum in Deutschland ist in den letzten 14 Jahren um 20 Prozent gesunken.«

Strohmann-Antwort: »Aha, du freust dich also darüber, dass arme Menschen sich kein Fleisch mehr leisten können!«

Hier wurden gleich zwei Dinge auf einmal erreicht: Vom eigentlichen Punkt wurde abgelenkt und es steht auch noch ein schöner Vorwurf im Raum. Viele Menschen würden sich jetzt erst mal rechtfertigen und erklären, dass sie armen Menschen natürlich nichts Böses wollen. Muss man aber eigentlich nicht, man kann direkt sagen: »Das habe ich überhaupt nicht gesagt, lenk bitte nicht ab.«

Das gibt es nicht nur in Facebook-Diskussionen, auch in politischen Debatten oder sogenannten »Talk Shows«, die ich mittlerweile lieber »Opinion Shows« nenne, weil es da meiner Ansicht nach viel zu selten um den Austausch von echten Argumenten geht, könnt ihr das sehr oft beobachten. Ist doch wirklich lästig, wenn da ein kompetenter Gast sitzt, der mit aktuellen Zahlen und fundierten Kenntnissen über den Forschungsstand ein plausibles Argument formuliert. Wer gegen die Zahlen und die Forschung wenig sagen kann, muss entweder zugeben, falschgelegen zu haben (lol, da könnt ihr lange warten) oder eben irgendwie ablenken.

Eine Mobilitätsforscherin fordert, mehr Geld in das deutsche Schienennetz zu investieren, weil das sowohl ökonomische als auch ökologische Vorteile bringt? Sagt einfach: »Ich finde es skandalös, dass Sie alle Menschen zum Bahnfahren zwingen wollen!«

Wer gute Argumente für eine Steuer auf Flugbenzin vorbringt, dem werft ihr einfach vor, dass man mit dem Lastenrad nicht nach Mallorca kommt, und wer ausreichend Budget für vernünftiges Essen in der Mensa und saubere Schultoiletten fordert, dem werft ihr einfach vor, offenbar die Renten kürzen zu wollen, um mit dem gesparten Geld undankbare Gören zu verwöhnen.

Diese Strategie mag in diesen absurden Beispielen sehr offensichtlich sein. Aber es ist erstaunlich, wie oft Leute damit durchkommen, anstatt dass ihnen ihr rhetorischer Unsinn unter die Nase gerieben wird. Fordert von ihnen, bitte mal auf die konkrete Aussage einzugehen und nicht die eigene Wahnvorstellung zu kultivieren. Denn das ist die große Schwachstelle: Sie müssen sich ja irgendwas ausdenken, was ihr angeblich gesagt habt. Man kann darauf also folgende Antworten geben:

»Haben Sie sich das gerade ausgedacht?«

»Das ist ein Strohmann-Argument. Ich habe nie behauptet, dass [was auch immer euch unterstellt wurde].«

»Wieso legst du mir Worte in den Mund? Sind meine echten Argumente zu stark?«

4. Argumentum ad hominem

Das ist eigentlich eine Verschwendung wohlklingender lateinischer Worte für ein Verhalten, das man in den meisten Fällen auch einfach »ignorante Pöbelei« nennen könnte. Wenn ich Leuten vorgeworfen habe, ein »Argumentum ad hominem« benutzt zu haben, fühlten manche sich eher geschmeichelt, weil das in ihren Ohren so klang, als hätten sie was etwas richtig gut gemacht.

»Mama, Mama, dieser Jan Grasi-Dingsbum meint, ich mache ganz viel ad hominem!« – »Das ist prima, Günther. Und jetzt machst du bitte mal das Handy aus und gehst ins Bett, du musst morgen früh zur Konferenz der Vertriebsleiter!«

»Argumentum ad hominem« bedeutet auf Deutsch nämlich nur »Argument gegen den Menschen« und ist vermutlich so alt wie Sprache selbst. Anstatt sich umständlich mit Argumenten und Fakten auseinanderzusetzen, sind persönliche Angriffe die Devise:

Brunhilde sagt, dass der Mond die Erde umkreist. Brunhilde ist ein blöder Freak, sie trägt seltsame Klamotten, hört Thrash Metal und will nicht heiraten. Deshalb umkreist der Mond auch nicht die Erde. Wer auf ein ad hominem reinfällt, folgert aus Brunhildes fehlender Konformität, dass Luna (also der Mond an unserem Nachthimmel) nicht die Erde umkreist, sondern vermutlich den Jupiter.

Wenn Sheldon aus der Serie »Big Bang Theory« erklärt, sein Kumpel Howard habe Unrecht mit seiner Interpretation einer Batman-Verfilmung, weil er der Einzige im Freundeskreis ohne Doktortitel sei, ist das ein ad hominem.

Wenn Präsidentschaftskandidaten ihre Konkurrenten als Crooked Hillary (»betrügerische Hillary«) oder Sleepy Joe (»schläfriger Joe«) bezeichnen, greifen sie die Person an und versuchen, sie unglaubwürdig zu machen, anstatt auf die tatsächlichen Aussagen der Person einzugehen (oft reagieren die beleidigenden Personen besonders wehleidig, wenn sie dann irgendwo selbst als ungebildete Terrororange bezeichnet werden – was natürlich ebenfalls nur ad hominem ist).

Wenn Atomkraftbefürworter als »verstrahlt« bezeichnet werden, Wirtschaftsminister als »Kinderbuchautor« oder Autofahrerinnen als »Dosentrottel«, sind das alles nur Angriffe auf die Personen und damit auf rationaler Ebene kein Argument mit irgendeiner Überzeugungskraft.

Grundsätzlich gibt es in meinen Augen drei Arten, mit einem Argumentum ad hominem sinnvoll umzugehen:

Den Umstand der Beleidigung als ad hominem erwähnen und ganz explizit erklären, dass das ein schwaches Argument sei und man davon ausgehe, dass die Person einfach keine besseren Argumente habe (jemand mit guten Argumenten hat das ja gar nicht nötig).

Auf die Beleidigung nicht wirklich eingehen und rein sachlich weiterargumentieren: »Jetzt bekomm bitte mal deinen Ton in den Griff und erklär uns lieber mal, wie du acht Milliarden Menschen mit westlichem Ernährungsstil sattbekommen willst.«

Wenn die Angriffe zu sehr unter die Gürtellinie gehen/Straftatbestände darstellen, das Gespräch abbrechen beziehungsweise auf Social Media die Person blocken.

5. Argumentum ad verecundiam

Dieses »Autoritätsargument« ist ein echter Klassiker in Diskussionen um den Klimawandel. Der lateinische Ausdruck bedeutet so viel wie »Beweis durch Ehrfurcht« und bezieht sich auf den Umstand, dass sich hier zu ehrfürchtig auf die Aussage einer Person bezogen wird, weil diese durch Expertise oder Einfluss eine gewisse Autorität erlangt hat.

Sehr beliebt ist hier zum Beispiel die Beweisführung, dass die Klimakrise wahlweise nicht von Menschen verursacht, sondern ein natürliches Phänomen oder gar non-existent sei, weil ein Nobelpreisträger das so gesagt habe. Bestimmt ein billiger Fake, oder? So ein Nobelpreisträger muss doch ein fabelhaft weiser Mensch sein, der mit all seinen Aussagen richtig liegt?!

Ähm, nein. Besonders dann, wenn die Aussage weit außerhalb seines Fachgebiets liegt, ist Vorsicht geboten. Schon vor etwa 15 Jahren erlangte der gebürtige Norweger und Träger des Physik-Nobelpreises Ivar Giaever Aufmerksamkeit durch seine Position, es gäbe gar keine Erderwärmung. Er unterschrieb 2009 entsprechende offene Briefe und äußerte sich auf der Nobelpreisträgertagung in Lindau am Bodensee wiederholt dazu.3

Problem 1: Seinen Nobelpreis erhielt der begabte Physiker für seine Forschung an Halb- und Supraleitern, nicht für Forschungen an den irdischen Klimasystemen. Es gibt also Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen in der Forschung, die zwar keinen Nobelpreis verliehen bekommen haben, ihm aber in diesem Forschungsfeld dennoch meilenweit voraus sind (Giaever wiederum behauptete, diese Kenntnisse mit einem Tag Googeln widerlegen zu können). Ihre Kompetenz ist bezogen auf diese konkrete Frage also in jedem Fall höher zu bewerten.

Problem 2: Wenn Ivar Giaever tatsächlich einen Fehler in den bislang etablierten Theorien gefunden hätte, dann wäre das in der wissenschaftlichen Community eine Sensation und würde entsprechend in die Fachdiskussion einfließen. Leider hat Giaever aber nicht eine einzige wissenschaftliche Publikation zum Thema veröffentlicht, die nun Anstoß einer solchen Diskussion sein könnte.

Wenn statt der wissenschaftlichen Veröffentlichung lieber die direkte Abkürzung über die Medien oder andere öffentlichkeitswirksame Plattformen genommen wird, sodass die kritische Einordnung der Fachleute auf diesem Gebiet wegfällt, ist das in der Regel ein ganz gutes Alarmsignal, dass hier etwas falsch laufen könnte.

Wenn in diesen Aussagen dann nicht mal ein stichhaltiges Argument genannt wird, ist das ein noch größeres Alarmsignal. Für den steigenden CO2-Gehalt in der Atmosphäre, die globale Erwärmung und ihre Folgen gibt es ja bereits ziemlich viele konkrete Messwerte, für die eine all diese Positionen ablehnende Person dann eine bessere Erklärung präsentieren müsste. Wenn er in einer Rede stattdessen nur erklärt, die Klimawissenschaft könne keine verlässlichen Prognosen machen, ist das genau genommen gar kein Debattenbeitrag, sondern nur seine Meinung. Wäre ja schön, wenn sich die Prognosen der Klimawissenschaft als Irrtum entpuppten, aber bislang wurden selbst 50 Jahre alte Klimamodelle gruselig genau bestätigt.4

Auch der Physik-Nobelpreisträger von 2022 aus den USA fällt in dieser Richtung auf. John F. Clauser hat bahnbrechende Entdeckungen auf dem Gebiet der verschränkten Photonen gemacht, nennt sich mittlerweile selbst einen Klimaleugner und tritt bei katholischen Organisationen auf, die wiederum fordern, all die bloßzustellen, die die »gott- und familienfeindliche Klima-Agenda« vorantreiben.5

Aber der ist doch schlau, der wird so was doch nicht sagen, wenn es kompletter Unsinn ist! Ja, doch. Leider ist Intelligenz etwas anderes als Unfehlbarkeit und so reden auch überdurchschnittlich intelligente Menschen gern mal ausnehmend törichten Blödsinn, wenn ihr Primatengehirn nur clever genug ausgetrickst wurde. Mein IQ liegt laut Test auch über Durchschnitt und ich habe mich wirklich schon einige Male im Leben außerordentlich behämmert geäußert.

Nicht nur ich: Vor allem manche Menschen mit Nobelpreis scheinen mit der plötzlichen Berühmtheit nicht gut klarzukommen und beschreiten nach der Verleihung absonderliche Wege, manchmal sogar in themenverwandten Gebieten.

So hat Luc Montagnier im Jahr 1983 zusammen mit Françoise Barré-Sinoussi das HI-Virus entdeckt. Eine sensationelle Leistung, die laut der Internetseite »Science Heroes«6 geschätzt 22 Millionen Menschen das Leben gerettet hat (zusammen mit den Leuten, welche die daraus resultierenden Medikamente erforscht haben natürlich). Ab etwa 2009, ein Jahr nachdem Luc Montagnier den Nobelpreis erhalten hatte, behauptete er, man könne AIDS ganz ohne Medikamente, einfach durch gesunde Ernährung und Hygiene heilen.7 Eine absurde Position, besonders weil es mittlerweile sehr effektive Medikamente gibt, die die Krankheit so weit zurückdrängen, dass viele HIV-Positive ein normales Leben ohne Ansteckungsgefahr und mit guter Lebensqualität führen können. Und das war nur eine von vielen abwegigen, nie bewiesenen Theorien.8

Linus Pauling war einer der ganz wenigen Menschen, der in seinem Leben zwei Nobelpreise gewinnen konnte, und neben der Über-Wissenschaftlerin Marie Curie der Einzige, der das sogar in verschiedenen Kategorien geschafft hat. Ein außerordentlich kluger Mann also, was ihn nicht davon abgehalten hat, ab seinem 65. Lebensjahr zu behaupten, man könne fast alle Krankheiten durch die Gabe sehr hoher Dosen Vitamin C heilen, auch Krebs (28 Jahre später starb er trotz seiner hohen Vitamin-C-Eigenmedikation an Krebs).9

Doch zurück zum Klima: Neben berühmten Nobelpreisträgern, die den Klimawandel für einen einzigen Schwindel halten, gibt es ja auch noch welche, die explizit für ihre Forschung am Klimasystem der Erde einen Nobelpreis erhalten haben. Der Physik-Nobelpreis 2021 ging an den Deutschen Klaus Hasselmann und den US-Amerikaner Syukuro Manabe für »das physikalische Modellieren des Klimas der Erde, die quantitative Analyse von Variationen und die zuverlässige Vorhersage der Erderwärmung«.10

Tja, was nun? Die Preisträger von 2021 sagen so, der von 2022 so. Was stimmt also? Haben alle recht und es gibt nur ein bisschen Erderwärmung? Und wenn einer sagt, die Erde sei rund und der andere sagt, sie sei flach, hat sie dann in Wirklichkeit die Form einer Kartoffel? Nein, es gibt halt Fragen mit recht eindeutig richtigen und falschen Antworten.

Es kommt dabei nicht so sehr darauf an, was einzelne, mit Preisen überhäufte Leute sagen, sondern vielmehr, was aufgrund der Beweisführung Konsens in dem Forschungsgebiet ist. Da es mir nicht gelungen ist, das besser auf den Punkt zu bringen als Physiker und Wissenschaftskommunikator Florian Aigner, zitiere ich ihn hier: