Weltuntergang fällt aus! (SPIEGEL-Bestseller) - Jan Hegenberg - E-Book

Weltuntergang fällt aus! (SPIEGEL-Bestseller) E-Book

Jan Hegenberg

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Beschreibung

Mal angenommen es war nicht früher alles besser – sondern wird es erst in der Zukunft: Wie würde die ideale Welt 2040 in Bezug auf fossile Brennstoffe, Mobilität und Ernährung aussehen? Und wäre sie auch praktisch umsetzbar? Jan Hegenberg zeigt in seinem Buch faktenbasiert, aber trotzdem mit einer ordentlichen Prise Humor, wie wir die Energiewende angehen können und wie Städte ohne Autos aussehen und funktionieren würden. Dabei seziert er genussvoll und unterhaltsam die Fehlinformationen, denen wir zu dem Thema Klimawende aufgesessen sind, und zeigt, wie gut wir 2040 klimaneutral leben können.

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4. Auflage 2022

Verlag Komplett-Media GmbH

2022, München

www.komplett-media.de

E-Book ISBN: 978-3-8312-7117-7

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Katharina Theml, Wiesbaden

Umschlaggestaltung: Favorit Büro, München

Layout & Grafiken: Heike Kmiotek

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim www.brocom.de

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Achtung Spoiler: Weltuntergang fällt aus

Dieses Buch ist all meinen Supportern gewidmet, durch die ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Ohne euch gäbe es dieses Buch nicht. Danke dafür.

Erwähnungen von Firmen oder Produkten fanden ausschließlich aus kreativer Entscheidung des Autors statt und ohne Abhängigkeit zu den entsprechenden Unternehmen oder irgendeine finanzielle oder wie auch immer geartete Zuwendung. Der Autor ist nur seinen Leserinnen und Lesern verpflichtet, die das Projekt finanziert haben.

Anmerkung: Aus Gründen der Lesbarkeit nutze ich in diesem Buch den Term »CO2«, auch wenn eigentlich CO2-Äquivalente gemeint sind.

Ebenfalls wird im Sinne der Lesbarkeit die umgangssprachliche Formulierung »Energieverbrauch« genutzt, auch wenn Energie physikalisch gesehen nicht verbraucht, sondern nur umgewandelt werden kann. Es wird lediglich »Erneuerbare« statt »Erneuerbare Energien« genutzt, weil sich das sprachlich etabliert hat.

INHALT

Einleitung

2022 – Was für ein Chaos

How to Energiewende

Warum wir in Zukunft weniger Energie brauchen werden

Wie viel Energie brauchen wir überhaupt? Projekt 15 Mega-Picard

Wieso geht es immer nur um Wind- und Solarkraft?

Müssen wir für Windkraft all unsere Wälder abholzen?

Aber für Solarstrom liegt Deutschland doch viel zu weit im Norden, oder?

Wie verteilen wir 15 Mega-Picard Wind- und Sonnenstrom?

Aber was, wenn wir den Strom länger speichern wollen?

Der Speicher, den keiner braucht

Keine Angst vor Fehlern: Wir fallen weich

Aber woher sollen all die Rohstoffe kommen?

Wie viele Rohstoffe verbrauchen E-Autos?

Wie viele Rohstoffe verbrauchen Windräder?

Wie viele Rohstoffe verbrauchen Wärmepumpen?

Sind Batterierohstoffe kritischer als andere?

Wie wir in Zukunft krass den Planeten schonen

Aber Deutschland kann doch nicht allein die Welt retten

Also löst sich das alles schon von selbst?

Was ist nun zu tun?

Ein Tag im Jahr 2040

Ausblick

Top 10 der häufigsten Fragen (und gute Antworten darauf)

Quellen

EINLEITUNG

So, da ist es nun, mein Buch. Verrückt. Wenn ich das mit dem Eigenmarketing jetzt auch nur einigermaßen hinbekommen habe, dann lesen es auch andere Leute außer meiner Mutter und dem engsten Familienkreis (falls nicht: Hallo, Mama). Und das wäre schon klasse, in diesem Sinne also hoffentlich herzlich willkommen in meinem bescheidenen Buch! Setzt euch, nehmt euch einen Keks, das dauert jetzt vermutlich etwas länger.

Wieso überhaupt so negativ? Vielleicht hat das Marketing ja auch richtig gut funktioniert, und ihr haltet dieses Buch jetzt in der Hand, weil irgendwer im Internet euch dringend dazu geraten hat. Vielleicht hat er/sie gesagt: »Also dieses Buch von diesem Vegan-Spinner, Weltuntergang Dingsbums, da sind ja viel weniger Rezepte drin, als ich dachte, aber die Bilder sind klasse!«

Oder umgekehrt: Irgendwer im Internet hat euch gesagt, dass dieser Buchstabenhaufen das albernste Geschreibsel seit der Autobiografie von Kermit dem Frosch ist. Und jetzt steht ihr gerade in der Buchhandlung im Bahnhof und linst nur mal kurz rein, um euch zu vergewissern, ob es denn wirklich so schauderhaft ist. Vielleicht – wie großartig wäre das – gibt es ja sogar schon richtig gute Verrisse zu diesem Buch, und ihr wurdet vorgewarnt, der Autor dieser Zeilen hier sei ein naiver, überheblicher, in Kork-Sandalen herumlaufender Ökofundi, der Deutschland in eine vegane Fahrraddiktatur verwandeln will, um das Weltklima zu retten.

In dem Fall kann ich euch beruhigen: Ich trage gar keine Kork-Sandalen. Okay okay, und eine vegane Fahrraddiktatur will ich natürlich auch nicht. Aber ein Weltklima, das demnächst mit der zunehmend ärgerlichen Erwärmung aufhört, das wäre mir tatsächlich ein extrem großes Anliegen. Und ich weiß, was ihr jetzt denkt: Ist das jetzt wieder so ein Buch, in dem Katastrophenszenario auf Katastrophenszenario folgt, und am Ende sitzt man konsterniert auf der Couch mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Paralyse? Nein, ist es nicht.

Davon gibt es ja nun schon mehr als genug – und Hand aufs Herz: Wer sich für dieses Thema auch nur ansatzweise interessiert, erfährt von mir sicher nichts Neues, wenn ich jetzt zum tausendsten Mal maximal bedrohlich beschreibe, wie gefährlich eine unkontrollierte Erderwärmung für uns Menschen ist. Ja, ja ist gefährlich, wissen wir. Schmelzende Gletscher, Dürren, Überschwemmungen, bla bla bla. Aber die viel interessantere Frage ist doch: Was machen wir denn jetzt, wo wir das wissen?

WIR KÖNNEN UND WERDEN DIE KLIMAKRISE LÖSEN

Das ist schon seltsam: Obwohl die Klimakrise zu einem der meistdiskutierten Themen im Wahlkampf des zurückliegenden Jahres geworden war, blieb es für die meisten Menschen kaum nachvollziehbar, wie und vor allem DASS wir sie wirklich lösen können. Ja, können wir!

Wäre das nicht auch mal ein Thema für einen ARD-Brennpunkt oder eine SPIEGEL-Titelstory? Wieso wird diese Frage so nachlässig behandelt, dass ich, ein Blogger mit albernem Namen und BWL-Studium, ein Buch darüber schreiben muss?

Ich bin ja eher skeptisch, was diese Motivations-Ratgeber angeht, bei denen man jeden Morgen vor dem Spiegel laut sagen soll, wie toll alles ist. Aber für den Fall, dass euch die Situation echt Angst macht, sagt das wirklich kurz mal laut, einfach, um es mal gehört zu haben:

»Wir werden die Klimakrise lösen.

Yeah, verdammt!

FUCK YOU CO2!

Wir haben dein finsteres Spiel durchschaut und werden dich dahin zurückdrängen, wo du hingehörst!«

Liest sich skurril, ich weiß, aber schreit es ruhig mal vom Balkon, das ist ein echt gutes Gefühl.

Derartig positive Aussagen in Bezug auf das Weltklima lesen wir heutzutage recht selten. Aber warum? Bin ich hoffnungslos optimistisch, oder sind Medien einfach betriebsblind, was gute Nachrichten angeht? Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Berichten und Sondersendungen über das Problem selbst, die Gefahren und das politische Versagen, inklusive Verweis darauf, dass wir selbst daran schuld sind. Logisch, sind halt die harten Fakten, aber ohne eine Perspektive ist das nicht sonderlich hilfreich. Psychologisch gesehen ist das nicht viel konstruktiver als eine Sportlehrerin, die ihrem schlechtesten Schüler ständig nur mit übler Benotung droht, wenn er die Stange in der Turnhalle nicht raufklettern kann, anstatt ihm mal die notwendige Technik beizubringen. Kein Wunder also, dass das Thema Klima viele Menschen primär frustriert und antriebslos zurücklässt.

Ständig bekommen wir von allen Seiten »KLIMAKRISE!!!« entgegengeschrien, so, als wäre die Lautstärke der Warnung hier die relevante Größe. Ja, okay, Klimakrise, und jetzt? Auch Menschen, die sich wirklich Mühe geben wollen, können damit schnell überfordert sein. Die Bilder schmelzender Gletscher werden maximal hilflos kombiniert mit Tipps, lieber lokales Gemüse in Mehrwegverpackungen zu kaufen und nicht mehr so lange zu duschen.

Nicht dass das prinzipiell keine guten Ratschläge wären, aber als effektive Maßnahme, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sind die leider ähnlich hilfreich wie eins von diesen kleinen Cocktailschirmchen angesichts eines Meteoriteneinschlags.

Bitte versteht mich nicht falsch: Jede eingesparte Tonne CO2 ist am Ende hilfreich (und lukrativ), aber unser persönlicher Konsum hat lediglich eine begrenzte Wirkung.

VERZICHT HAT EINE WIRKUNG, ABER SIE IST BEGRENZT

In der Debatte um Klimaschutz stehen sich irritierend oft unsere hohen Emissionen und Verzicht als scheinbare Gegensätze gegenüber, aber das halte ich für einen der größten Kommunikationsfehler dieser ganzen Geschichte: Die mit Abstand sinnvollsten Klimaschutz-Maßnahmen haben mit Verzicht kaum etwas zu tun, und auch maximal akzeptable persönliche Einschränkungen würden das Problem nicht lösen. Ich weiß es, denn ich habe es ausprobiert.

Nein, hier kommt jetzt keine selbstbeweihräuchernde Geschichte darüber, wie klasse klimafreundlich ich mein Leben doch gestaltet habe, ich ziehe eher ernüchtert Bilanz: Meine Ernährung dürfte zu etwa 99 Prozent pflanzlich sein, für meine Mobilität nutze ich nur selten ein Auto, ich bewohne 35 Quadratmeter dreifach verglaste Wohnfläche pro Person, fahre grundsätzlich mit der Bahn in den Urlaub und kaufe hauptsächlich Secondhand-Klamotten. Aber wisst ihr, welches Ergebnis der blöde Klimaabdruck-Rechner mir berechnete, als ich ihn mit all diesen Daten gefüttert hatte? Selbst mit dieser Lebensweise liegen meine Emissionen immer noch bei 4 bis 5 Tonnen CO2 im Jahr. 4 (in Worten: vier) bis 5 (in Worten: fünf) Tonnen (!). Was zum Geier …

Wenn wir die Weltwirtschaft bis 2050 schnell genug dekarbonisieren wollen, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, steht jedem Menschen bis dahin ein klimaverträgliches Budget von (im Schnitt) 1,5 Tonnen CO2 pro Jahr zu. Anderthalb Tonnen. Und ich liege mit 4 bis 5 Tonnen beim dreifachen Wert, obwohl ich mich aktiv darum bemüht habe, es zu reduzieren.

Ja, selbst die achte Staffel von Game of Thrones war nicht so enttäuschend wie dieses Ergebnis. Was also tun? Bringt das alles, was ich tue, überhaupt was? Sollte ich mir doch lieber einen enormen Geländewagen zulegen, an dessen Steuer im Akkord Steaks verspeisen und in Aktien von Ölkonzernen investieren? Pfft, dafür macht Radfahren doch viel zu viel Spaß. Aber in Bezug auf die Lösung der Klimakrise bedeutete das für mich Folgendes:

Ich habe der Welt in den letzten 3 Jahren etwa 12 Tonnen CO2 erspart (im Vergleich zu meinem früheren Ich), was sicher ganz schön ist, aber als echte Lösung für das Problem fällt das wohl raus:

1. Nicht alle Menschen können meinen Lebensstil übernehmen. Als Blogger kann ich zum Beispiel easy im Co-Working um die Ecke arbeiten oder sogar von zu Hause aus, aber wenn der Arbeitsplatz 50 Kilometer weit weg ist und man an ländlichen Bahnhöfen anhand der Zugfrequenz den Eindruck bekommt, in einem Endzeitfilm gelandet zu sein, wird es ohne Auto schwierig.

2. Selbst WENN alle meinen Lebensstil übernähmen, würden wir damit allein in Deutschland immer noch 330 bis 415 Millionen Tonnen CO2 emittieren. Das ist zu viel. Viel zu viel.

Die schlechte Nachricht ist also: Mit Verzicht allein können wir zwar etwas Zeit gewinnen, aber selbst ein zu 100 Prozent veganes Deutschland mit lauter Menschen im Homeoffice würde bei der jetzigen Energieversorgung früher oder später Kipppunkte auslösen und nicht mehr bringen als eine längere Galgenfrist.

Doch die gute Nachricht lautet: Es gibt ganz andere, mächtigere Hebel, um unsere Emissionen zu senken. Und wenn wir sie benutzen, leben wir weiterhin in nie da gewesenem Wohlstand, denn unseren ganz persönlichen Alltag beeinflusst das kaum oder in vielen Fällen sogar eher positiv.

DIE LÖSUNG DER KLIMAKRISE BIETET VIEL MEHR CHANCEN ALS RISIKEN

Ja, positiv. Ich weiß, es gibt eine Menge Artikel und Meinungen da draußen, die effektiven Klimaschutz mit Deindustrialisierung, Wohlstandsvernichtung und einem tristen Leben in dicken Wollsocken und Askese gleichsetzen. Da hören wir Schauergeschichten von einem Deutschland, in dem im Winter alle frieren müssen, in dem alle Autos verboten sind, in dem der Alltag für alle furchtbar teuer wird und all der Ärger am Ende auch noch vollkommen nutzlos ist, weil Deutschland ja nicht allein die Welt retten könne (auch zu diesem Vorwurf später mehr).

Analysiert man die Problemstellung aber ganz nüchtern, wirken diese Horrorgeschichten maßlos übertrieben und atmen eine tief liegende Angst vor Fortschritt im Allgemeinen:

Nach meiner Einschätzung ist konsequenter Klimaschutz nicht nur ein Weg zu Klimaneutralität, sondern ganz grundsätzlich zu einer gerechteren, lebenswerteren Welt in Frieden und Wohlstand.

Es wird gern vergessen, dass der anliegende gesellschaftliche Umbau nicht nur eine Krise beseitigen kann, sondern auch eine riesige Chance ist.

Die aktuelle Debatte ist oft geprägt von einer eher unsinnigen Einteilung der Bevölkerung in Klimaschützer und Klimasünder, von Klimaschutz für das gute Gefühl und der Frage, ob wir in Zukunft noch ohne schlechtes Gewissen Auto fahren, heiß duschen oder Fleisch essen können. Es ist nur so: Dem Weltklima ist es vollkommen egal, wie wir uns fühlen.

CO2-Moleküle haben kein Mitleid und wechselwirken dann mal ein bisschen weniger mit Wärmestrahlung, nur weil Menschen sich kollektiv in Umfragen besorgt zeigen und angeblich schuldig fühlen. Klimaschutz wird in den Medien gern umgedeutet in einer Art Olympische Spiele für Gewissensbisse, und wer sich am schlechtesten fühlt, bekommt einen Platz auf dem Podest und die goldene Träne der Entbehrung am Band.

Aber so läuft das nicht. Jede Tonne CO2 wirkt gleich schlecht, unabhängig von unserem Gemütszustand. Unser Ziel kann nicht sein, dass wir alle unseren individuellen Impact reduzieren und uns für die restlichen Emissionen, die wir nicht vermeiden können, dann bis ans Ende unseres Lebens schlecht fühlen. Das wäre nicht nur ziemlich deprimierend, sondern würde das Problem am Ende ja nicht mal lösen. Deswegen war das vermutlich auch noch nie eine seriöse Forderung der Klimaforschung oder der Klimabewegung.

Das Ziel ist vielmehr eine Gesellschaft, die nicht auf dem Verbrennen von fossilen Brennstoffen und immer mehr Landverbrauch basiert, sondern deren Wertschöpfung klimaneutral vonstattengeht. Angenehmer Nebeneffekt:

In dieser Gesellschaft muss niemand ein schlechtes Gewissen wegen des Klimas haben. Und es macht sich kaum jemand Gedanken um seinen persönlichen CO2-Fußabdruck, und dennoch spart die Gesellschaft krass viel mehr Treibhausgase ein.

Ihr steht gern lange unter der Dusche? Ja, macht ruhig, das wirkt sich dann vermutlich auf eure Stromrechnung aus, aber nicht mehr aufs Klima. Ihr wollt mit dem Auto Tante Gisela besuchen? Nur zu, mit der richtigen Energieversorgung können E-Autos klimaneutral gebaut und betrieben werden (das Platzproblem löst das allerdings nicht). Ihr fragt euch, welche Äpfel ihr am besten kaufen sollt, weil die deutschen aus dem Kühlhaus kommen und die neuseeländischen per Schiff transportiert werden?

DAS ENDE DES SCHLECHTEN GEWISSENS

In einer klimaneutralen Welt ist das schnurzegal, denn das Kühlhaus läuft ohne fossilen Strom und der Frachter mit klimaneutralen Kraftstoffen. Ihr kauft dann, tadaaa: den Apfel, der euch am besten schmeckt. Na, wie klingt das? Nach Verzicht, Selbstkasteiung und einer Klimadiktatur? Oder einer Rückkehr in eine Welt, in der ich als Konsument nicht für jeden ausgegebenen Eurocent ein schlechtes Gewissen haben muss? Lustig, dass besonders Parteien und Bewegungen, die die gute alte Zeit zurückwollen, nicht einsehen, dass effektiver Klimaschutz dieses ansonsten sehr ambitionierte Versprechen tatsächlich zum Teil erfüllen kann.

Klar, es gibt auch dann noch gute Gründe, Wasser, Rohstoffe und Energie nicht unnötig zu verschwenden, keine überflüssigen Waren aus dubiosen Quellen zu beziehen oder eben keine öffentlichen Flächen mit absurd riesigen Autos zu blockieren, aber in Bezug aufs Klima könnt ihr euch dann entspannen.

Wir wären dann automatisch alle die besten Klimaschützer aller Zeiten, und das mit verbundenen Augen und den Händen auf dem Rücken gefesselt.

Ja, große Worte, aber einfach kann ja jeder. Durch all die bedrohlichen Narrative, die in diversen Medien dominieren, wurde der Fokus bei vielen von uns darauf verschoben, was das denn alles kosten würde, was ggf. nicht funktionieren könnte und auf die damit verbundenen Probleme. Aber was gewinnen wir denn dabei?

Genau darum soll es in diesem Buch gehen: Wie können wir das größte gesellschaftliche Projekt aller Zeiten erfolgreich zu Ende bringen, und wie kann die darauf aufbauende Zukunft aussehen (Spoiler: Deutlich besser, als manche Dokumentation uns vermittelt)? Und kann ein Buch das Thema vielleicht so behandeln, dass auch Menschen ohne Elektrotechnik-Ausbildung und einem Master in Agrarwirtschaft es verstehen?

VON WEM DIESES BUCH IST

In den folgenden Kapiteln versuche ich genau diesen Spagat. Solltet ihr euch jetzt fragen, was in aller Welt mich dazu qualifiziert: gute Frage! Weder bin ich Elektroingenieur noch Agrarwissenschaftler. Mein höchster Bildungsabschluss ist ein BWL-Diplom der Fachhochschule Wiesbaden, und das war als Vorbereitung für dieses Buch leider kaum hilfreicher als ein Schnupperkurs im Eisstockschießen. Entsprechend groß ist also die Menge der Menschen, die von Klimaforschung, Energiesystemen oder Mobilität deutlich mehr Ahnung haben als ich.

Mein Vorteil: Von all diesen Menschen habe ich mittlerweile eine Menge Bücher, Studien und Artikel gelesen. Seit 2014 betreibe ich einen Blog mit dem zugegeben etwas albernen Namen »Der Graslutscher«, in dem es zu Beginn fast nur um vegane Ernährung ging, dessen Inhalte sich mittlerweile aber auf besagte Klimakrise, Energiewende, Verkehrswende und Ernährungswende erweitert haben.

Und auch wenn der Name albern klingt, so wurde es mir mit zunehmender Komplexität der Themen immer wichtiger, all meine Texte mit möglichst objektiven Quellen zu belegen. Klingt vielleicht aufwendig, aber wenn mich etwas interessiert, dann endet das bei mir schnell mit mehreren Browserfenstern, in denen jeweils 80 Tabs gleichzeitig geöffnet sind, und einem überraschten Blick aus dem Fenster, weil es bereits dunkel geworden ist. Oft ist es im Rückblick einfach phänomenal, WIE wenig man über etwas wusste, obwohl es unser ganzes Leben prägt.

Diese mindestens 80 Browsertabs gilt es dann für einen Blog-Artikel möglichst fluffig aufzubereiten, sodass sie etwas leichter lesbar sind als die Dutzenden Seiten der Quellen. Ja, das ist manchmal zäh, aber allein das Thema Energie ist superinteressant. Ich weiß genau, dass ein paar von euch jetzt gähnen oder denken »was für ein Nerd«, aber ihr werdet schon sehen. In all der Zeit habe ich also einige Übung darin erlangt, komplexen Sachverhalten einen Teil ihrer Sperrigkeit abzutrainieren und auch ernste Themen mit einer Prise Humor zu versehen.

Ja, das ist wohl meine Kernkompetenz. Oder mit anderen Worten: Es gibt zu allen Themen, die ich hier anspreche, Tausende Menschen, die sich darin besser auskennen als ich. Meine Qualifikation in dieser Sache ist primär, dass ich von diesen Menschen lernen und ihre phänomenalen Errungenschaften gut zusammenfassen kann – so lautet zumindest oftmals das Feedback unter meinen Blogartikeln, das könnte aber auch einfach aus Mitleid so nett formuliert sein.

Mit diesem Buch könnt ihr also erst mal einen Überblick über diesen monströsen Themenkomplex gewinnen. Solltet ihr es letztendlich dann doch genauer wissen wollen, als es ein fachfremder BWLer erklären kann, so steht am Ende dieses Buches eine umfangreiche Quellensammlung zu den Texten all der deutlich qualifizierteren Leute, in denen ihr bei Bedarf weiterstöbern könnt.

Das Ziel dieses Buches ist eine fundierte Betrachtung unserer Möglichkeiten und Herausforderungen, die kritische Einordnung einer Menge Falschmeldungen und Fehlannahmen, und all das, ohne euch zu sehr mit Fachausdrücken und technischem Geschwafel zu bombardieren. Ihr könnt dieses Buch lesen, wenn euch der Begriff »Kilowattstunde« genauso wenig sagt wie ein in Elbisch verfasstes Gedicht und ihr beim Anblick großer Zahlen von Müdigkeitsattacken geplagt werdet. Dafür erzähle ich euch im ersten Kapitel etwas über Energie, und ihr blättert nicht einfach weiter – Deal?

Let’s go!

WAS FÜR EIN CHAOS

Ich erzähle euch vermutlich wenig Neues, wenn ich sage, dass unser Umgang mit Energie, Ernährung und Mobilität bezogen auf das Klima nicht gerade optimal ist. Das ist ja selbst im streitlustigen Deutschland Common Sense (Leugner des anthropogenen Klimawandels mal außen vor). Aber wie könnte ein besserer Umgang aussehen? Diese Frage führt in Kommentarspalten aktuell zu chaotischen Zuständen.

Während ich dieses Buch schreibe, befindet sich Deutschland im letzten Jahr seines Atomausstiegs, schon seit Jahren häufen sich besorgte und wütende Rückfragen, wo denn in Zukunft der ganze Strom herkommen soll. In Europa tobt ein Krieg, der den gesamten Rohstoffmarkt durcheinanderwirbelt,1 und auf Nachrichtenportalen wird jetzt der täglich aktualisierte Füllstand deutscher Erdgasspeicher angezeigt. Und in dieser Gemengelage sollen wir jetzt noch das Klima retten?

Wobei, das ist ein oft vorherrschendes Missverständnis: Das Klima müssen wir nicht retten, denn das Klima ist nicht unser Haustier, das wir später im Klo runterspülen müssen, wenn wir nicht nett zu ihm sind. Das Klima, der Planet und auch die Natur kommen gut ohne Menschen klar, aber umgekehrt ist das eben nicht so. Klimaschutz ist in allererster Linie Menschenschutz. Ihn gegen Wirtschaft oder Wohlstand aufzurechnen, ergibt vorn und hinten keinen Sinn, da uns ab einer bestimmten Erdüberhitzung unser Habitat wegbricht, und dann ist es auch mit Wohlstand und Wirtschaft nicht mehr weit her.

Wir müssen also die Emissionen runterbekommen und uns gleichzeitig im verrückten Jahr 2022 mit genug Energie eindecken, und für beide Vorhaben waren wir bislang echt nicht gut vorbereitet.

Wer die bisherige Energiewende irgendwie komisch findet und sich diesbezüglich vorkommt wie in einem Restaurant, dessen Kellner ihm überschwänglich das Tagesgericht empfohlen hat, um dann einfach nur einen Teller Kompost mit Ketchup vor euch abzustellen: Kann ich total gut verstehen.

Obwohl die Sache mit den Treibhausgasen und der Endlichkeit fossiler Rohstoffe nicht gerade eine Neuigkeit ist, agierten wir darauf bezogen in den letzten 16 Jahren komplett planlos. Die deutsche Regierung verkündete den Ausstieg aus der Kernkraft bis 2023,2 den Ausstieg aus der Kohlekraft bis möglichst bald, den Einstieg in die Elektromobilität3 und offenbar auch den Einstieg in das Konzept Strom durch Wunschdenken, denn der Zubau von alternativen Stromquellen geriet gleichzeitig immer holpriger.

Was genau die Herren Altmaier, Gabriel und Rösler, deren Job das gewesen wäre, eigentlich im Sinn hatten, werden wir wohl nie erfahren. Aber sollte irgendwann eine archäologische Ausgrabung antike Notizen aus ihrem Ministerium ausgraben, auf denen hauptsächlich Strichmännchen, obszöne Witze und immer wieder die Worte »Scheißegal, lass einfach alles aus Russland importieren, interessiert doch ohnehin keine Sau!« zu finden sind, wäre meine Überraschung nicht wirklich groß.

DEUTSCHLAND UND SEIN NICHT VORHANDENES ENERGIEKONZEPT

Denn es stimmt zum Teil: Es interessierte wirklich kaum jemanden. Strom, Gas und Erdöl? Kein Grund zur Sorge, kommen doch aus der Steckdose und der Pipeline – das war unser Mantra. Jetzt stellt sich doch tatsächlich überraschend heraus, dass das Gas am anderen Ende der Pipeline irgendwer reinpumpen muss, damit es hier ankommt, wer hätte das gedacht? Abgesehen von einer unpraktischen Weltfinanzkrise im Jahr 2009 kannten Aktienindizes und Wirtschaftsdaten nur eine Richtung, unser Energiehunger wurde immer größer, und solange die Rendite stimmte, waren das alles lästige Details.

Und jetzt ist 2022, und der Aufsichtsratschef von EON fordert, dass sein Betrieb bei Gasknappheit Vorrang vor Privathaushalten bekommen müsse.4 Auf einmal rückt das Szenario, im Winter zu frieren, wieder in eine unangenehme Nähe. Aber nicht wegen der Energiewende, sondern wegen deren Verschleppung und unserer immer weiter gestiegenen Abhängigkeit zu russischem Erdgas.5

Dass Menschen bei diesen Aussichten und irrwitzig steigenden Preisen Angst bekommen, ist nachvollziehbar. Dennoch sei an dieser Stelle gesagt: Das, was hierzulande bislang als Energiewende bezeichnet wurde, war größtenteils eher ein schlechter Scherz. Nur ein Zerrbild der ursprünglichen Idee, umgesetzt von Wirtschaftsministern, die Zaudern, Mutlosigkeit und Verdrängen für weitsichtige Politik gehalten haben und dachten, es gäbe für dieses Jahrhundertprojekt einen Weg, bei dem niemand seine Wohlfühlzone verlassen muss, in der sich alle jahrzehntelang eingerichtet hatten.

Diese Kopf-in-den-Sand-Methode fliegt uns gerade komplett um die Ohren. Die Kosten explodieren, die Lieferketten ächzen, und wir pumpen jeden Tag Millionen Euro in ein Land, mit dem wir eigentlich keine Geschäfte mehr machen wollen.

Die gute Nachricht: Energiewende geht auch anders. Unsere Abhängigkeit, die Emissionen und die Kosten, das sind alles keine Gegensätze, sondern vielmehr ein paar (sehr dicke) Fliegen, die sich mit derselben Klappe schlagen lassen.

In Internetforen geht die Angst um, wir würden da nur irgendwelchen naiven Wunschträumen nachhängen, im Endeffekt aber nur unsere Abhängigkeit zu französischen Kernkraftwerken vergrößern. Die Wahrheit ist: Die Energiewende ist in Deutschland immerhin so weit, dass wir schon seit Jahren mehr Strom an Frankreich exportieren als umgekehrt.6 Vom Jahresbeginn an bis zum Schreiben dieser Zeilen am 15. Mai 2022 hat Deutschland 5-mal so viel Strom nach Frankreich geliefert wie von dort bezogen.7

Achtung: Zu dieser Stelle kam oft die Rückfrage, warum in manchen Medienberichten vom genauen Gegenteil, also angeblich mehr Importen aus Frankreich die Rede ist. Das liegt daran, dass oft der rein physikalische Stromfluss betrachtet wird. Darin sind dann aber auch Exporte von Frankreich in die Schweiz oder Luxemburg enthalten, die über deutsche Leitungen übertragen werden. Relevant sind hier aber immer die Handelsdaten

Wie würde also eine ernsthafte Energiewende aussehen, und was brauchen wir dafür?

ENERGIEWENDE

Energie ist ja so ein Ding: Alle wollen sie, alle nutzen sie, aber etwas darüber lesen? Da bekommen viele von uns spontane Müdigkeitsattacken und allergische Reaktionen auf die zugegeben sperrigen Begrifflichkeiten. Eine ganz schön undankbare Einstellung, denn eigentlich dreht sich unser gesamtes Leben darum. Unsere Vorfahren waren früher den ganzen Tag auf der Suche nach Energie, um ihre Körper damit zu versorgen. Wir lieben die Nahrungsmittel mit der höchsten Energiedichte, weil sie unverschämterweise oft die leckersten sind, und wenn wir zu viel davon essen, bildet sich an unserem Bauch eine kleine Bio-Batterie.

Mit Energie läuft der ganze Laden erst, mit Energie können wir unserem Real-Life-Zauberkasten namens Chemie all seine wunderbaren Tricks entlocken und unsere vergleichsweise sorgenfreien Leben führen. Mit Energie produzieren wir allerlei hilfreiche Produkte und leider auch einen Haufen unnützen Tinnef. Mit Energie kommen wir von A nach B, mit Energie beschleunigt Raumschiff Enterprise auf Warp 7.

Oft in der Geschichte der Menschheit war es der plötzliche Zugang zu mehr Energie, der uns schlagartig mehr Fortschritt und Wohlstand beschert hat, und witzigerweise waren das zu Beginn sehr oft erneuerbare Energien: Mit der Entdeckung des Feuers konnten Menschen auf einmal die in Bäumen gespeicherte Sonnenenergie freisetzen, damit Nahrung garen und sich wärmen.

Mit der neolithischen Revolution wurden die Menschen sesshaft. Sie betrieben Ackerbau und hielten Tiere, deren Körperkraft sie sich zunutze machten, um entsetzlich schwere Pflüge durch Acker zu ziehen. Das geerntete Korn kam in Mühlen, wo es zumeist mit der Kraft des Windes oder des Wassers gemahlen wurde, und wenn das dabei entstehende Mehl über sehr weite Strecken transportiert werden sollte, war in aller Regel ein von Zugtieren bewegtes8 Schiff oder ein Segelschiff involviert.

Wir können uns das heute vielleicht nicht mehr so gut vorstellen, aber für die Menschen waren das damals enorme Erleichterungen, wenn nicht mehr nur ihre eigene, sehr begrenzte Muskelkraft zur Verfügung stand. Eine ähnlich große Hilfe war der vermutlich erste künstliche Energiespeicher der Menschheit: die Holzkohle.

Darin war pro Kilo nicht nur mehr Energie gespeichert9 als in Holz, sie konnte vor allem so heiß brennen, dass damit Metalle eingeschmolzen und verarbeitet werden konnten. Sie war so beliebt, dass die Waldbestände in Europa darunter litten10 und unter anderem England sich auch deswegen ab dem 17. Jahrhundert nach Alternativen umsah: Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe und damit die Industrialisierung begann.

STEINKOHLE: ENERGIE AUS 60 MILLIONEN SONNENUMRUNDUNGEN

Um ihren Energiehunger zu stillen, gruben die Menschen fortan immer größere Mengen Steinkohle aus der Erde, die sich dort vor vielen, vielen Millionen Jahren gebildet hatte, und zwar in einem erdgeschichtlichen Zeitalter, das nicht zufällig »Carbon« heißt. Dieses begann vor unfassbaren 360 Millionen Jahren und endete ziemlich abrupt vor etwa 300 Millionen Jahren.11 Die Kohle lag dort also schon lange, bevor die ersten Dinosaurier die Erde bevölkerten, und auch lange, nachdem der letzte das Zeitliche gesegnet hat.

Genau genommen ist Steinkohle eigentlich auch nur gespeicherte Sonnenenergie, denn sie besteht aus den Überresten von Pflanzen. Einer gewaltigen, unvorstellbaren Menge von Pflanzen, die eben mittels Photosynthese, also der Sonneneinstrahlung, und einer damals ziemlich hohen CO2-Konzentration prächtig gediehen. Es war so gesehen wohl das größte vegane Buffet aller Zeiten. Leider habe ich es verpasst, denn der Planet hatte bereits andere Pläne dafür: Unter Luftabschluss, hohem Druck und hohen Temperaturen wurde der Kohlenstoff in den Pflanzen so lange zusammengepresst,12 bis er zu besagter Steinkohle wurde.

Das Verrückte daran: Der Planet hat diese irre Zeitspanne benötigt, um viele Hundert Milliarden Tonnen (!) Steinkohle zu bilden, und wir Menschen befinden uns auf einem Zeitpfad, diese Vorräte in nur wenigen Hundert Jahren komplett aufzubrauchen. Falls das nächste Mal jemand fragen sollte, wie wir kleinen Menschen in so kurzer Zeit das Klima des ganzen Planeten beeinflussen sollen, wäre eine Antwort:

Wir verbrauchen gerade in kurzer Zeit Energievorräte, für deren Einlagerung der Planet das Sonnenlicht von 60 Millionen Sonnenumrundungen genutzt hat. Wir unterscheiden uns in diesem Belang nicht sonderlich stark von arglosen Kindern, die mit einer geladenen Waffe hantieren.

PRÄHISTORISCHE ENERGIEVORRÄTE – PRAKTISCH ABER ENDLICH

Bei Erdöl (und Erdgas) war der Entstehungsprozess etwas anders. Hier sind Algen und Meereskleinstlebewesen das Ausgangsmaterial,13 und es ist auch nicht ganz so lange her wie die Entstehung der Steinkohle, aber grundsätzlich ist es das gleiche Prinzip: Über Jahrtausende und -millionen entstehende Biomasse wird unter Luftabschluss zusammengepresst, und am Ende hat sie sich in die oftmals schwarze, zähflüssige, mitunter grässlich schwefelig riechende Masse verwandelt, die wir aus deprimierenden Dokumentationen kennen (Augen auf bei Bestattungswünschen, so will ja niemand enden).

Mit anderen Worten: Wir plündern hier gerade in einem atemberaubenden Tempo unsere prähistorischen Energievorräte, die aus naheliegenden Gründen sehr endlich sind. Selbst wenn wir dabei keine Treibhausgase emittieren würden, müssten wir uns früher oder später etwas anderes einfallen lassen, zumal die Förderung neuer Depots immer aufwändiger und teurer wird.14

Nun emittieren wir dabei aber leider sehr wohl Treibhausgase, und zwar den mit Abstand größten Anteil verglichen mit Landwirtschaft oder anderen klimaschädlichen Vorgängen. Viele Debatten über Klimaschutz spiegeln das überhaupt nicht wider, denn nicht selten streiten sich Menschen in entsprechenden Formaten stundenlang über die Verwendung von Plastiktüten oder den regionalen Anbau von Lebensmitteln. Das ist grundsätzlich auch sehr löblich, aber was Klimaemissionen angeht, ist der Elefant, ach was, der Brontosaurus im Raum, unsere Energieversorgung.

ENERGIE – DER BRONTOSAURUS DER KLIMAEMISSIONEN

Anteil der weltweiten Klimaemissionen nach Sektoren15

Der fast drei Viertel der Torte ausfüllende Bereich, das sind all unsere Klimaemissionen, die für unseren Energieverbrauch in der Atmosphäre landen. Dieser Anblick erzeugt in vielen Menschen zwei nachvollziehbare Reaktionen:

1. Was für ein alberner Mist, wir müssen uns anders mit Energie versorgen.

2. Wenn wir so atemberaubend viel Energie benötigen, können regenerative Energien diese Mengen dann überhaupt ausgleichen?

Der wissenschaftliche Konsens auf Frage 1 lautet: Aber hallo! Der wissenschaftliche Konsens auf Frage 2 lautet: Aber hallo im Quadrat!

Ich weiß, dieser 73,2-Prozent-Block sieht echt bedrohlich und unverrückbar aus, aber lasst euch davon nicht zu sehr beeindrucken. All diese Energie geht »nur« dafür drauf, irgendwelche Dinge zu erhitzen, irgendwelche Dinge zu bewegen oder irgendwo elektrischen Strom durchzujagen. Nun sind wir ja pfiffige, kleine Homo sapiens und können daher auch Sachen erwärmen und bewegen, ohne dabei prähistorische Pflanzen und Kleinsttiere zu verbrennen. Wer diesen Gedanken rundheraus ablehnt, hat aus meiner Sicht ganz schön wenig Vertrauen in menschlichen Erfindungsgeist.

Oft wird intuitiv angenommen, dass so ein massives Kohlekraftwerk mit hübschem Kühlturm nie im Leben von ein paar filigranen Windrädern oder Solarzellen ersetzt werden kann. Die schiere Größe vermittelt uns unterbewusst dieses Gefühl von Beständigkeit und Verlässlichkeit, und wenn wir dann noch die richtigen Berichte in den Medien oder Beiträge in sozialen Medien lesen, ist diese gefühlte Wahrheit sehr zwingend.

Das Internet ist voller Menschen, die täglich sehr überzeugt erklären, dass das gar nicht funktionieren könne. Deutschland sei zu klein dafür, zu weit im Norden, zu flach, zu hubbelig und irgendwie überhaupt ganz anders als alle anderen Länder. Was man bei denen allerdings recht selten liest, ist eine konkrete Rechnung.

Nein, ich will mich hier nicht darüber lustig machen. Ich weiß auch, dass die Bevölkerung mit Informationen, wie das alles konkret funktionieren soll, sehr lange allein gelassen wurde. Ja, wenn Leute sich wütend in Kommentarspalten darüber auslassen, dass diese ganze Energiewende-Idee hochtrabender, undurchdachter Quatsch sei, kann ich ihnen das nicht mal krummnehmen: Es hat ihnen ja auch niemand vernünftig erklärt. Wenn die sich dann noch das Energie-Gemurkse der Großen Koalition angeguckt haben, kamen sie ja mit gutem Grund zum Schluss, dass das nicht zu Ende gedacht ist.

DIE KOMMUNIKATION ZUR ENERGIEWENDE: EIN TRAUERSPIEL

Als das Wirtschaftsministerium noch Energieministerium hieß und von Peter Altmaier von der CDU geleitet wurde, gab es dort ein Video namens »Altmaier spricht Klartext«. Darin hörten wir den Energieminister 105 Sekunden reden, aber von Klartext war das Ganze so weit entfernt wie diese berühmte Satire-Rede von Loriot als Bundestagsabgeordneter.16 Auch die darin verlinkte »Zielarchitektur für die Energiewende« des BMWi17 war so herrlich unkonkret, als hätte jemand als Schatzkarte ein Abbild der asiatischen Landmasse genommen und in roten Lettern den Schriftzug »für Schatz hier graben« quer über die Wüste Gobi gezogen.

Flankiert wird dieser Eindruck von Berichten darüber, wie unfassbar klein der Anteil regenerativer Energie am gesamten Energieverbrauch Deutschlands sei.

»Wieso klein?«, werden nun einige fragen, der Anteil der Erneuerbaren lag doch 2020 schon bei über 50 Prozent unseres Strommixes!

Ja, das ist korrekt, aber leider ist Strom nur ein Teil unserer Energieversorgung. Eine Menge fossiler Brennstoffe nutzen wir für Raumwärme, Erdölautos, Hochöfen, Schiffe, Flugzeuge und all so was. Selbst wenn unser Strommix schon komplett regenerativ wäre, läge also noch einige Arbeit vor uns. Diese Seiten schreibe ich aktuell unter dem Eindruck des ausbrechenden Krieges in der Ukraine und einer Menge Medienberichte, in denen der längere Betrieb von Kohle- und Atomkraftwerken gefordert wird, um nicht mehr von russischen Energieimporten abhängig zu sein.

Deutscher Strommix im Jahr 202018

Ich hoffe ja sehr, dass sich das bis zum Erscheinen dieses Buches von allein rumgesprochen hat, aber für den Fall, dass nicht:

Atom- und Kohlekraftwerke erzeugen »nur« Strom. Sie lassen kein Dieselauto fahren, keine Ölheizung warm werden und mit der Wunschkonsistenz eurer Pfannkuchen könnte es auch schwierig werden, wenn für den Betrieb eures Gasherds eben kein Gas zur Verfügung steht (in dem Fall prost).

ENERGIEWENDE UMFASST MEHR ALS STROM

Eine Energiewende ist also viel mehr als einfach nur Strom aus regenerativen Quellen, es ist der komplette Umbau unserer Gesellschaft, um mittels dieses Stroms all das zu tun, was wir aktuell mit Öl, Gas und Kohle machen.

Ja, diese Erkenntnis kann einen erst mal erschlagen, aber wir müssen das früher oder später sowieso machen, sofern wir nicht 50 Millionen Jahre warten wollen, bis der Planet neue Kohle hervorgebracht hat. Und jetzt müssen wir uns auch noch besonders beeilen, damit uns unsere Ökosysteme nicht um die Ohren fliegen.

Zugegeben, unser Zeitrahmen ist ungemütlich, viel ungemütlicher, als er sein müsste. Die Herausforderungen waren aber lange bekannt. Sie waren uns nur einfach viel zu egal, und so haben wir jahrzehntelang vermeintlich billige Kraftstoffe verfeuert und stehen jetzt vor der tatsächlichen Rechnung. Mit jedem Liter Benzin, Heizöl oder Kerosin haben wir gleichzeitig einen Schuldschein auf die kommenden Generationen ausgestellt,19 einlösbar, wenn wir längst tot sind.

Es gibt diese antike Sage von der Ameise und der Heuschrecke:20 Die Heuschrecke fiedelt den ganzen Sommer und amüsiert sich auf dem Feld, während die Ameise arbeitet und Getreide für den Winter sammelt. Als der Winter dann kommt, ist die Heuschrecke in großer Not und muss um Hilfe bitten. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten Deutschen sich mit der Ameise identifizieren. In Energiefragen sind wir aber die Heuschrecke und haben uns Jahrzehnte keine Gedanken darum gemacht, wie wir durch den Winter kommen.

Wir brauchen also dringend ein neues Vorbild und eine landesweite Umschulung zu Ameisen: Im Sommer sammeln wir Energie, auf die wir dann im Winter zurückgreifen können. So machen wir das mit der Energie für unseren Körper ja auch seit Jahrhunderten: Im Sommer (und Herbst) wurde geerntet und eingekocht, damit im Winter genug da ist. Und wenn wir das geschickt anstellen, muss das auch keine derartigen Ausmaße annehmen wie bei dieser Workaholic-Ameise, und im Sommer fiedeln und amüsieren wir uns trotzdem noch, WÄHREND unsere Energiespeicher sich füllen.

Aber wie?

WIR IN ZUKUNFT WENIGER ENERGIE BRAUCHEN WERDEN

Bittet man wahllos Menschen im Internet, die Frage nach unserem zukünftigen Energiebedarf zu beantworten, ist die Antwort meistens: »Viel zu viel!« Das ist wenig überraschend, denn hier kollidieren zwei Entwicklungen, die sich scheinbar gegenseitig ausschließen:

1. Menschen im deutschsprachigen Raum sind es seit Jahrzehnten gewohnt, zum Stromsparen animiert zu werden.

2. Als Lösungen für die Energiewende werden nun Millionen neue Stromverbraucher ins Gespräch gebracht (E-Autos, Wärmepumpen, Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff).

Ja, ich kann verstehen, dass diese beiden Vorhaben in Summe jetzt nicht wie ein sonderlich durchdachter Masterplan wirken, sondern eher wie diese sich abwechselnden, konkurrierenden Durchsagen am Kölner Hauptbahnhof, laut denen der ICE nach Frankfurt entweder an Gleis 1 oder 9 abfährt. Wie oft wurde uns erklärt, Geräte nicht im Standby-Modus zu halten, sondern ganz auszustellen? Wie viele Glühbirnen wurden durch LED-Lampen ersetzt? Und jetzt sollen alle E-Autos fahren und viel mehr Strom für allerlei neumodisches Gedöns verbrauchen?

Im Internet findet sich Kritik zu dieser scheinbaren Widersinnigkeit in zahlreichen Wortmeldungen wieder, zum Beispiel in dieser hier:

Ja, kann man, denn tatsächlich sind Stromsparen und E-Autos Puzzlestücke derselben Lösung. Das Ziel ist nämlich nicht primär das Einsparen von Strom, weil Strom irgendwie böse ist, sondern vielmehr das Einsparen von Energie. Und genau das erreichen wir, wenn wir unsere Staubsauger sparsamer bauen, unsere Kühlschränke effizienter machen und unsere Autos elektrisch fahren:

Ja, 48 Millionen deutsche E-Autos verbrauchen viel Energie. Logisch, sind ja auch 48 Millionen, selbst 48 Millionen Toaster verbrauchen zusammen ja schon viel Energie. Schätzungsweise wären es pro Jahr zusätzliche 125 Terawattstunden Strom,21 die wir zum Laden all dieser Autos bereitstellen müssten. Zum Vergleich: Letztes Jahr haben wir in ganz Deutschland knapp 500 Terawattstunden Strom verbraucht,22 für eine komplett elektrische Pkw-Flotte bräuchten wir also zusätzlich noch mal ein Viertel davon.

E-AUTOS VERBRAUCHEN MEHR STROM – ABER VIEL WENIGER ENERGIE

Der Witz ist jetzt, dass 48 Millionen Benzin- und Dieselautos auch nicht durch die Kraft der Liebe angetrieben werden, sondern mit Dutzenden Milliarden Litern Kraftstoff pro Jahr (etwa 45 Milliarden Liter), in denen wiederum ungefähr 430 Terawattstunden Energie gebunden sind,23 also etwa das 3,5-Fache der Energie für 48 Millionen E-Autos.

Würden wir nun also sukzessive alle Erdöl-Autos durch E-Autos ersetzen, bräuchten wir mehr Strom, aber eben auch viel weniger fossile Energie und würden somit über 70 Prozent der Energie für unsere Pkw-Flotte einsparen!

Klar, könnten wir die schiere Anzahl der Pkws selbst auch noch reduzieren, wäre noch viel mehr Einsparung möglich, aber dazu kommen wir später. Obwohl E-Autos also kleine Energiesparwunder sind, dominiert in der Berichterstattung oft der Fokus auf das Negative:

Woher kommen die Rohstoffe, woher kommt der Strom, wie werden die E-Autos hergestellt?

Bitte nicht falsch verstehen, das sind alles sehr gute und berechtigte Fragen, aber insbesondere in Deutschland werden diese Fragen sehr gern in Bezug auf neue Technologien und Entwicklungen gestellt, während sich bezogen auf den Status quo sehr angestrengt die Finger in die Ohren gesteckt werden.

Vermutlich wissen wir ja mittlerweile alle, dass für die aktuellen Batterien Lithium benötigt wird, dass bei der Erzeugung des Stroms auch fossile Brennstoffe zum Einsatz kommen und dass in der Nähe von Berlin eine große Fabrik errichtet wird, in der E-Autos und Batterien hergestellt werden. Also noch mehr verbrauchte Fläche, noch mehr Produkte, noch mehr Rohstoffe, was für ein Unsinn, könnte man meinen.

Hierbei übersehen wir schnell, dass die in Deutschland jährlich benötigten 45 Milliarden Liter Sprit sich auch nicht spontan im Reservekanister materialisieren, sondern dass auch dafür riesige Industrieanlagen notwendig sind. Die meisten sind nur einfach schon so lange da, dass wir sie halt eben für selbstverständlich halten.

Damit die PCK-Raffinerie nahe der polnischen Grenze errichtet werden konnte, wurden dort 16 Quadratkilometer Wald gerodet, das juckt hier nur deshalb niemanden, weil es über 60 Jahre her ist.

Damit in Deutschland heute Erdölprodukte in unsere Tanks fließen, mussten umfangreiche Förderanlagen gebaut werden, Zehntausende Kilometer Pipeline, gigantische Tankschiffe, noch gigantischere Werften für diese Schiffe, Häfen, Tankwagen, Tankstellen, für die auch wieder eine Menge Energie notwendig waren.

Es ist also nicht so, dass wir jetzt nur aufgrund des Umstiegs auf Elektro auf einmal ganz viel Energie und Fabriken für den Betrieb der deutschen Pkw-Flotte einplanen müssen – das war schon immer so – und zwar um ein Vielfaches mehr. Wir haben uns nur einfach sehr daran gewöhnt.