Klug ist jeder. Der eine vorher, der andere nachher - Nossrat Peseschkian - E-Book

Klug ist jeder. Der eine vorher, der andere nachher E-Book

Nossrat Peseschkian

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Beschreibung

Wir lernen aus Erfahrung - und wenn es gut geht, werden wir dabei klüger. Manche Erfahrungen muss man jedoch nicht selber machen, um daraus zu lernen. Nossrat Peseschkian zeigt auf leichte und heitere Weise anhand vieler Geschichten , wir wir den alltäglichen Fallstricken des Lebens entgehen. Und wenn wir dabei schon einmal hinfallen, mit dem Bewusstsein wieder aufstehen, dass wir künftig nicht mehr über die gleichen Dinge stolpern. Es gilt Fähigkeiten einzusetzen, die bisher zu kurz gekommen sind, um besser und weiser zu leben. Denn in sehr vielen Dingen sind wir bereits klug, wir müssen es nur erkennen!

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Nossrat Peseschkian

Klug ist jeder.Der eine vorher, der andere nachher.

Geschichten und Lebensweisheiten

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2003

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Covergestaltung: Agentur IDee

Covermotiv: © Roland and Sabrina Michaud/akg-images

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-451-03134-2

ISBN (eBook) 978-3-451-81314-6

Inhalt

Vorwort von Dr. Hamid Peseschkian

Einleitung Ein kluger Mensch sollte zweimal auf die Welt kommen: Einmal um Erfahrungen zu sammeln, beim zweiten Mal um diese anzuwenden.

Grundthemen der positiven Psychotherapie Eigene Erfahrungen sind teuer – fremde Erfahrungen sind kostbar.

I. Persönliche Konfliktbewältigungen

Umgang mit Leistungsdruck Sehr oft ist es nötiger, sich selbst zu ändern, als die Szenen.

Umgang mit Ärger Krankheit kränkt und Kränkung macht krank.

Jeder Widerstand hat einen Sinn Man muss gut überlegen, was man haben will. – Es könnte passieren, dass man es bekommt.

Den Standpunkt wechseln Es kann uns niemand daran hindern, über Nacht klüger zu werden.

Erfahrungen ernst nehmen Zukunft, das ist die Zeit, in der du bereust, was du heute tun kannst, und nicht getan hast.

Der Umgang mit Wunsch und Wirklichkeit Er musste erst mit dem Kopf gegen die Bäume rennen, ehe er merkte, dass er auf dem Holzweg war.

Umgang mit Verantwortung Ein kluger Mensch macht nicht alle seine Fehler alleine, sondern er gibt auch anderen eine Chance.

Umgang mit so genannten Kleinigkeiten Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.

II. Was unser Zusammenleben bestimmt

Die Bedeutung von Aktualfähigkeiten im Alltag Es erfordert oft mehr Mut, seine Ansicht zu ändern, als an ihr festzuhalten.

Die Anwendung des differenzierungsanalytischen Inventars Wissen ist Macht, Sehen ist Allmacht.

Was Menschen gemeinsam ist und worin sie sich unterscheiden Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, aber man kann sich nach ihnen orientieren.

Aktualkonflikte und Grundkonflikte Es ist nicht schlimm, wenn man hinfällt, sondern wenn man liegen bleibt.

Verbindung zu anderen psychotherapeutischen Methoden Wir müssen lernen, in neuen Situationen neu nachzudenken.

Die Bedeutung von Aktualfähigkeiten bei Konflikten Die Würde eines Menschen kommt darin zum Ausdruck, wie viel Wahrheit er verträgt.

Drei Interaktionsstadien in der Entwicklung Schon wegen der Neugier ist das Leben lebenswert.

III. Sich selber zu helfen wissen – Lösungsperspektiven

Die fünf Stufen der Positiven Psychotherapie und Selbsthilfe Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden.

Lösungsperspektiven gewinnen Mache deine Stolpersteine zu Treppenstufen.

Umgang mit Konflikten in der Familie Einer kann nicht alles wissen.

Umgang mit Entscheidungen Wenn wir immer das tun, was wir können, bleiben wir immer das, was wir sind.

IV. Möglichkeiten der Konfliktverarbeitung

Konflikte verstehen Was man besonders gerne tut, ist selten ganz besonders gut.

Die Interaktionsstadien in der Familientherapie und Partnerschaft Einen Menschen muss man dort aufsuchen, wo er ist, und nicht dort, wo man ihn schon haben möchte.

V. Eine letzte Perspektive gewinnen

Umgang mit Angst und Depression, Trauer und Tod Die merkwürdige Fähigkeit, die Gefahr des Lebens durch ein Vergrößerungsglas zu sehen.

Eine Geschichte auf dem Weg am Ende des Buches Wer die Menschen kennen lernen will, der studiere ihre Entschuldigungsgründe.

Dank

Literatur

Vorwort

von Dr. Hamid Peseschkian

„Nur die ersten hundert Jahre des Lebens sind schwer.“ Diese und andere Lebensweisheiten haben Nossrat Peseschkian ein Leben lang inspiriert und begleitet. Wenn nun ein Psychotherapeut ein Buch mit dem Titel Klug ist jeder. Der eine vorher, der andere nachher veröffentlicht, muss etwas „passiert“ sein. Hierzu mag ein kurzer Blick auf die Lebensgeschichte von Nossrat Peseschkian sehr hilfreich sein.

Im Iran geboren und aufgewachsen, lebte er seit 1954 ununterbrochen und mit großer Zufriedenheit in Deutschland. Der Zusammenprall und die Unterschiedlichkeiten der Kulturen (hier: Iran–Deutschland) inspirierte und motivierte Nossrat Peseschkian in den 1970er-Jahren zur Entwicklung einer psychotherapeutischen Behandlungsmethode, die das Beste von beiden Kulturen vereinigen sollte: die Leichtigkeit, den Humor, die Lebensfreude, die Spiritualität, die Bedeutung der Familie und zwischenmenschlicher Kontakte des Orients; mit der Verlässlichkeit, der Organisation, dem Fleiß, der Ehrlichkeit und der Tiefe des menschlichen Denkens des Westens – um bei den klischeehaften Beschreibungen von Kulturen zu bleiben. Die Frucht dieses Zusammenkommens ist die Positive Psychotherapie, die mittlerweile in vielen Ländern weltweit mit großem Erfolg angewandt wird. In diesem Buch wird die praktische Anwendung dieser Methode im Alltag aufgezeigt.

Heute im Zeitalter von Flüchtlingskrise, Finanzproblemen, Angriffen auf die Demokratie, Schnelllebigkeit, zunehmender Oberflächlichkeit menschlicher Beziehungen und eines wachsenden Materialismus ist die Frage nach unserer Lebenseinstellung noch aktueller als im Jahr 2006, als dieses Büchlein erstmals veröffentlicht wurde. Statt von Stressmanagement sprechen wir heute von der Kunst des Energiemanagements. Nicht nur „Psychovampire“ können uns Energie absaugen, sondern wir uns selbst auch. Wir haben in Deutschland viele wunderbare Eigenschaften, aber gleichzeitig machen wir uns das Leben schwerer als es in Wirklichkeit ist. Eine Zugverspätung, eine Hitzewelle (im Sommer!), ein Parkplatz in der Nachbarschaft, der einer neuen Fahrradverleihstelle geopfert werden muss, ein unerwarteter Besuch machen uns manchmal fix und fertig – und rauben uns kostbare Lebensenergie. Zeitmanagement hat eine Grenze – es gibt nämlich nur 24 Stunden pro Tag –, aber Energiemanagement ist eine Frage der Einstellung.

Nun geht es in diesem Buch nicht nur um eine neue Einstellung und besonderer Entspannungstechniken, sondern darum – auf humorvolle Weise – zu verstehen, warum wir so sind, wie wir sind und wie wir lernen können, mit Überraschungen und dem Unerwarteten umzugehen. In diesem Sinne bleibt Nossrat Peseschkian, auch nach seinem Tod 2010, ein „Brückenbauer zwischen Orient und Okzident“.

Dr. med. habil. Hamid Peseschkian,

Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie

Präsident des Weltverbandes für Positive und Transkulturelle Psychotherapie

Wiesbaden, im September 2018

Einleitung

Ein kluger Mensch sollte zweimal auf die Welt kommen: einmal um Erfahrungen zu sammeln, beim zweiten Mal, um diese anzuwenden.

Zwischen Vordenken und Nachdenken unterscheiden lernen

Auf dem Bauernhof wurde der Tisch gedeckt. Als die Bäuerin ins Haus ging, um noch etwas zu holen, holte sich die Krähe ein Stückchen Käse und flog fort. Auf dem Ast eines Nussbaumes machte sie es sich bequem und wollte ungestört den Käse herunterschlingen. Da kam der hungrige Fuchs vorbei und sah die Krähe. Angezogen vom Geruch des Käses sagte er freundlich: „Liebe Frau Krähe, Sie, die Königin der Vogelwelt mit Ihren glänzenden Federn, Ihrem entzückenden Schnabel und Ihren schwarzen Perlaugen sind wie ein Gedicht. Ich bin davon überzeugt, dass Ihre Stimme genauso lieblich ist wie Ihre äußere Erscheinung.“

Die Krähe fühlte sich sehr geschmeichelt, machte den Schnabel auf, um zu singen. So fiel der Käse in den Rachen des Fuchses.

Der Fuchs lachte, lief freudig weg und sagte: „Du hast nicht verstanden, was ich dir gesagt habe. Ich habe über deine Schönheit gesprochen, aber nicht über deine Klugheit.“

Diese jahrhundertealte Geschichte wird in verschiedenen Kulturen unterschiedlich dargestellt und interpretiert mit dem Ziel, die Fähigkeit zu Weisheit, Klugheit und Reife durch Unterscheidung zu fördern.

Das entscheidende Kennzeichen dieser veränderten und neuen Haltung des Menschen ist es, dass alle wesentlichen Unterscheidungen, unter denen der Mensch leidet wie:

Einzigartigkeit – Gleichheit

Erkenntnisfähigkeit – Liebesfähigkeit

Gerechtigkeit – Liebe

Bildung – Ausbildung

Identifikation – Projektion

Primäre – Sekundäre Fähigkeiten

Wissen – Glauben

Entwicklung – Fixierung

Materie – Geist

Glück – Unglück

Angeboren – Erworben

Mann – Frau

Mensch – Tier

Leben – Tod

Bewusstes – Unbewusstes

Liebe – Hass

Bestimmtes – Bedingtes Schicksal

Individuum – Gemeinschaft

Tod – Einstellung zum Tod

Sex – Sexualität – Liebe

Glaube – Religion – Kirche

Weiß – Schwarz

sich in seinem Inneren wie auch in der Welt durch ein verändertes und erweitertes Bewusstsein lösen. Sie stehen sich nicht mehr als unvereinbar gegenüber, sondern als verschieden im Sinne einer Einheit in der Mannigfaltigkeit.

Die Fähigkeit, zu unterscheiden

Allen unseren körperlichen, seelischen und sozialen Funktionen liegt die Fähigkeit zur Differenzierung bzw. Unterscheidung zugrunde. Der therapeutische Eingriff, gleichgültig, welche Methoden im Einzelnen angewandt werden, ist letztlich der Versuch, dem Betroffenen eine verfeinerte, situationsangemessene Unterscheidung zu ermöglichen. Sie gestattet es ihm, sich den Anforderungen einer Situation im Rahmen seiner Zielvorstellung angemessen zu verhalten.

Die Positive Psychotherapie hinterfragt gerade die Bezugssysteme des alltäglichen Verhaltens. „Positiv“ meint entsprechend seinem ursprünglichen Wortsinn (lat.: positum) das Tatsächliche, das Vorgegebene. Tatsächlich und vorgegeben sind nicht notwendigerweise die Konflikte und Störungen, sondern auch die Fähigkeiten, die jeder Mensch mit sich bringt. Das heißt nicht, alles mit einem positiven Vorzeichen zu versehen. Die Positive Psychotherapie versucht, zwischen dem kritischen Verhalten und den Fähigkeiten zu differenzieren. Erst dieses Vorgehen erlaubt es, konfliktarme oder stabile Verhaltensanteile von den Symptomen zu trennen. Es befähigt den Betroffenen und seine Umgebung, besser mit bestehenden Problemen umzugehen.

Die Bedeutung der Zeit

Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch das Bewusstsein, die Fähigkeit, über die zeitlichen Kategorien „Vergangenheit“, „Gegenwart“ und „Zukunft“ zu verfügen und sie voneinander zu unterscheiden. Die Schärfe, mit der sich ein Mensch der Kategorien der Zeit besinnt und sich ihrer zu bedienen versteht, charakterisiert seine Befähigung, die Anforderungen des Lebens zu bewältigen.

Schon der Höhlenbewohner der Frühzeit war auf Zeitsinn angewiesen, um die Herrschaft über die ihm physisch überlegenen Tiere zu erlangen. Und in eben dieser Fähigkeit, künftige Bedürfnisse ins Auge zu fassen und in der Gegenwart auf die Erfahrungen der Vergangenheit zurückzugreifen, um den Forderungen der Zukunft zu begegnen, liegt der Erfolg des Menschen im Kampf ums Dasein begründet. Sie hat ihm nicht nur die endgültige Herrschaft über die Rivalen aus dem Tierreich gesichert. Sie ermöglichte den Menschen, die Welt zu beherrschen und deren Schätze für seine Bedürfnisse auszubeuten.

Anders als das Tier kann der Mensch auf eigene lebensgeschichtliche Erfahrungen und die anderer Menschen vor ihm bewusst zurückgreifen. Er hat die Chance, sich auf der geschichtlichen Ebene weiterzuentwickeln, indem er auf den Erfahrungen der kollektiven Vergangenheit aufbaut.

Die Bedeutung kleiner Konflikte

Wir haben uns daran gewöhnt, zwischenmenschliche Konflikte für etwas Selbstverständliches zu nehmen, um das wir uns nur dann kümmern, wenn es ein bestimmtes Maß überschritten hat. Was unter diesem Maß liegt, gehört zum Leben dazu, so meinen wir. Mit dieser Auffassung berücksichtigen wir nur die Spitze des Eisberges, die es, um bei dem Bild zu bleiben, gar nicht geben würde, wenn nicht so viel Eis unter dem Wasser triebe. Auf unsere Konflikte übertragen heißt das: Was uns kränkt, worüber wir uns ärgern, was Schuldgefühle und Angst verursacht, liegt in scheinbar kleineren Konflikten begründet, die wir zunächst kaum wahrnehmen. Doch sie sind es, die uns auf den großen, den zerstörerischen, kränkenden Konflikt vorbereiten, der unser Erleben und Verhalten beeinträchtigt.

Kränkung macht krank und Krankheit kränkt

Hinter den Symptomen und Konflikten von Patienten und Klienten habe ich die inhaltlichen Bedingungen dieser Konflikte zu erfassen versucht. Dies führte dazu, die Aktualfähigkeiten zusammenzustellen. Zunächst war mir die psychotherapeutische Bedeutung von Höflichkeit und Ehrlichkeit aufgefallen. Diese zwei Verhaltensmodi boten eine Leitlinie für die Ergänzung des Inventars der Aktualfähigkeiten.

Die Bedeutung von Aktualfähigkeiten

Damit wir in die Lage versetzt werden, Konflikte und ihre Hintergründe zu identifizieren, wollen wir eine Auswahl zusammengetragener kleiner Problemsituationen darstellen. Mit ihnen schlagen wir uns jeden Tag herum, vom Aufstehen bis zum Einschlafen. Mit ihnen haben wir ständig zu tun.

Die Aktualfähigkeiten spielen in unserem Familien- und Berufsleben eine hervorragende Rolle. Unsere heutige Zivilisation basiert auf typischen Erscheinungsformen. Bemerkenswert ist, das nahezu jeder mit den Aktualfähigkeiten umgeht, ohne das ihm in allen Fällen bewusst wäre, was sie bedeuten. Selbst in den bekanntesten Wörterbüchern und Enzyklopädien werden sie nur stiefmütterlich behandelt.

Die Fähigkeit zur Freiheit

Das Verhalten von Tieren ist hauptsächlich von Instinkten gesteuert. Der Mensch hingegen wird sozialisiert, lernt soziales Verhalten und hat damit einen Freiheitsspielraum. Seine Fähigkeiten können durch die Umwelt entwickelt werden; zu ihnen gehören die Eigenschaften und Eigenarten eines Menschen. Inhaltlich aufgeschlüsselt, handelt es sich vor allem um die primären und sekundären Fähigkeiten.

Das Tier zeigt wohl ein gewisses Sauberkeits-, Sparsamkeits-, Ordnungs- und Fleißverhalten. Diese Fähigkeiten sind instinktiver Art. Sie sind angeboren und weitgehend unveränderlich. Der Mensch als soziales Wesen besitzt prinzipiell die Möglichkeit zu den einzelnen Aktualfähigkeiten. Diese werden aber erst im Laufe der Sozialisation durch Lernerfahrungen entwickelt, ergänzt, entfaltet und verfeinert. Die Bedeutung der primären und sekundären Fähigkeiten für die sozialen Beziehungen zeigt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier.

Die Bedeutung von Sozialisationsnormen (Aktualfähigkeiten) im Alltagsleben

Da die Aktualfähigkeiten in ihrer psychosozialen Bedeutung meist nur randständig berücksichtigt werden, haben wir sie unter dem psychotherapeutischen Gesichtspunkt zusammengestellt. Um die Aktualfähigkeiten zu operationalisieren, das heißt, aus ihrer abstrakten Begrifflichkeit in konkrete Fragestellungen und Situationen überführen zu können, geben wir nach Definition und kurzer Skizze wesentlicher Entwicklungsmerkmale Beispiele, wie man nach den jeweiligen Aktualfähigkeiten fragt.

Der praktische Umgang mit Aktualfähigkeiten

Bei diesen Fragen berücksichtigen wir vor allem das praktische Vorgehen in einem gelockerten Interview. Sie sind gewissermaßen Beispiele und Schlüsselfragen, an die sich andere, spezifischere Fragen anschließen können. Die Synonyme und Störungen sollten es dem Leser erleichtern, sich unter den Aktualfähigkeiten die entsprechende Situationen aus dem täglichen Leben vorzustellen und eine Übertragung auf entsprechende, jedoch hier nicht ausgeführte Situationen ermöglichen.

Die Aneignungen zum Dialog fassen Konfliktlösungsstrategien stichwortartig zusammen – nicht als Kochrezept, sondern als Anstoß für weitere eigene Überlegungen.

Der Sinn von Lebensweisheiten

Wozu Geschichten, Lebensweisheiten und Sprichwörter?

Zum einen wird durch diese Bildsprache der Bereich der Phantasie und Intuition angesprochen und auch die Ressourcen der rechten Hirnhälfte mobilisiert, zum anderen wird die direkte verbale Konfrontation mit einem Problem und damit die Bildung von Widerständen vermieden. Beides zusammen öffnet das Tor zur Phantasie und bewirkt einen Standortwechsel, wo Probleme in einem anderen Licht erscheinen.

Mit der Geschichte und Lebensweisheit deutet der Therapeut nicht im Sinne einer vorgegebenen Theorie, sondern bietet dem Klienten ein Gegenkonzept an, was er annehmen oder ablehnen kann.

In der psychotherapeutischen Situation werden die Gegenkonzepte als Verschreibungen angeboten. Dem Klienten wird die Aufgabe gestellt, sich mit dem Gegenkonzept zu beschäftigen. Dies kann bedeuten: eine Geschichte oder Lebensweisheit zu lesen, über sie nachzudenken, über sie zu sprechen oder niederzuschreiben, wie man sie versteht.

Ein weiteres Anliegen ist es, die Weisheiten und intuitiven Gedanken des Orients mit den neuen psychotherapeutischen Erkenntnissen des Okzidents zu vereinen. Nicht nur die Grundsätze der großen Religionen, sondern auch die Weisheiten orientalischer und westlicher Philosophen und Wissenschaftler werden im Licht der modernen Psychotherapie betrachtet.

Während dieses Buch auf die Spielformen des Alltagslebens eingeht, gehen meine früheren Bücher (erschienen im Verlag Herder, im Fischer Verlag als Taschenbücher und im Thieme Verlag) vorrangig auf psychotherapeutische Fragestellungen und Selbsthilfe ein, so dass letztlich ein Buch das andere ergänzt. Daher werden an manchen Stellen bestimmte Konzepte zur Verdeutlichung dieses Buches aus meinen früheren Veröffentlichungen einbezogen.

Der Weise trägt sein Glück bei sich.

*

Der Weise tut das am Anfang, was der Narr am Ende tut.

*

Besser mit Schaden als mit Schande klug werden.

*

Öffne nicht die Knoten mit den Zähnen, was du mit den Fingern schaffst. Sei nicht so süß, dass man dich auffrisst. Und sei nicht so bitter, dass man dich ausspuckt.

*

Ich klage nicht über das Leid, das mir Fremde antun, sondern über das Leid, das mir Freunde zufügen.

Grundthemen der positiven Psychotherapie

Eigene Erfahrungen sind teuer – fremde Erfahrungen sind kostbar.

Das Geheimnis des Marionettenspiels

Im Zelt eines Marionettenspielers stand dicht gedrängt eine Menschenmenge, die lauthals lachend dem Spiel der Marionetten folgte. Ganz hinten stand ein Vater mit seinem Sohn. Während der Vater auf den Zehenspitzen stehend die Szene gerade noch sehen konnte, reichte der Sohn mit seinem Kopf nur bis zur Hüftschärpe der Umstehenden. Er reckte sich den Hals aus und weinte schließlich, bis ihn der Vater auf die Schultern nahm. War das ein Vergnügen! Hoch oben über alle Turbane hinweg sah nun der Junge das lustige Spiel der Puppen. Er weinte nicht mehr, sondern jauchzte, hüpfte auf den Schultern des Vaters, als wäre er ein Reiter und der Vater das Pferd. Begeistert trommelte er mit seinen Fäusten auf den Kopf des Vaters, trampelte mit seinen Füßen gegen dessen Brust und vergaß völlig, dass er auf seinem Vater saß. Plötzlich merkte er eine Hand auf seiner Schulter. Erschreckt drehte er sich um und sah einen weißbärtigen, gütig blickenden Derwisch. „Mein Sohn“, sprach dieser, „du amüsierst dich sehr gut, du siehst das Marionettentheater besser als viele andere im Zelt. Doch denke daran, wenn dein Vater sich nicht die Mühe gemacht hätte, dich auf seine Schultern zu laden, stündest du noch unten, im Schatten der anderen. Vergiss also nicht, auf wessen Schultern du sitzt. Du solltest dich freuen und glücklich sein. Du solltest aber auch die anderen, auf deren Schultern du glücklich bist, nicht vergessen.“

Die Entwicklung der Positiven Psychotherapie

Eine wichtige Motivation für meinen Ansatz mag gewesen sein, dass ich mich in einer transkulturellen Situation befinde. Als Perser (Iraner) lebe ich seit 1954 in Europa. In dieser Situation wurde ich darauf aufmerksam, dass viele Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Einstellungen in den verschiedenen Kulturkreisen häufig unterschiedlich bewertet werden. Höflichkeit im Iran beispielsweise stellt sich anders dar als in Deutschland. Dies bedeutet nicht, dass der Deutsche oder der Iraner deswegen unhöflicher wäre, sondern lediglich, dass beide Kulturkreise eigene Vorstellungen von Höflichkeit haben. In ähnlicher Weise besteht auch für die anderen gängigen psychosozialen Normen eine kulturabhängig Relativität.

In Deutschland gilt das Motto: Was auf den Tisch kommt, wird gegessen. Der Höflichkeitsrest, den man früher zurückgehen ließ, als unpassend, unzeitgemäß. Als höflich wird es hier von vielen angesehen, wenn man der Hausfrau, womöglich der Küche, stillschweigend dadurch ein Kompliment macht, dass man nichts zurücklassen möchte.

Eine deutsche Frau, die im Iran zu Besuch war, wurde krank. Sie litt unter Verdauungsstörungen und klagte: „Ich kann kein Essen mehr sehen. Seit einer Woche bin ich hier. Fast jeden Tag war ich bei einer anderen Familie zu Gast. Meine Gastgeber waren sehr lieb und verwöhnten mich, wo sie nur konnten. Nur das mit dem Essen habe ich nicht verkraftet. Wenn ich meinen Teller leer gegessen hatte – das Essen schmeckte immer ausgezeichnet –, wurde sofort wieder nachgelegt. Um nicht unhöflich zu sein, habe ich auch das noch gegessen. Aber dann wurde wieder nachgelegt. Dies ging solange, bis mir fast schlecht wurde und ich aus reiner Selbsterhaltung keine Rücksicht mehr auf meine Gastgeber nehmen konnte und das Essen einfach stehen ließ. Ich hatte dabei aber ein schlechtes Gewissen, weil die Leute so nett und freundlich waren. Ich wollte nicht unhöflich sein.“

Die Besucherin hätte kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen, denn im Iran ist es beste Sitte, einen Teil des Essens als Zeichen dafür, dass man satt ist, stehen zu lassen.