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Die siebzehnjährige Mags wünscht sich weit weg. Aus der Schule, aus der Kleinstadt in Süddeutschland, aber vor allem von ihrer Helikopter-Mutter. Ihr langweiliges Leben nimmt eine ungeahnte Wendung, als der gutaussehende Austauschschüler aus London vor ihr steht. Cyrus' geheimnisvolle Art hat etwas an sich, das Mags mitten ins Herz trifft. Was sie nicht weiß: Cyrus ist ein Hunter, ausgebildet im Kampf und eingeweiht in die Mysterien einer uralten Geheimloge. Und er ist hier, um sie zu finden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Zwei Geheimlogen, eine erbitterte Rivalität – und sie zwischen den Fronten.
Die siebzehnjährige Mags wünscht sich weit weg. Aus der Schule, aus der Kleinstadt in Süddeutschland, aber vor allem von ihrer Helikopter-Mutter.
Ihr langweiliges Leben nimmt eine ungeahnte Wendung, als der gut aussehende Austauschschüler aus London vor ihr steht. Cyrus’ geheimnisvolle Art hat etwas an sich, das Mags mitten ins Herz trifft. Was sie nicht weiß: Cyrus ist ein Hunter, ausgebildet im Kampf und eingeweiht in die Mysterien einer uralten Geheimloge.
Und er ist hier, um sie zu finden.
Band 1 der fesselnden Romantasy-Dilogie
Zwölftausend Jahre zuvor …
Das sind die Opfergaben, die sie auf den Berg gebracht haben, sieben Jungen und Mädchen, und du bist eine von ihnen.
Der Pachucuya zieht den türkisfarbenen Umhang, Zeichen seiner adligen Abstammung, enger um sich und fragt, ob man euch fesseln soll, aber der Hohepriester behauptet, das sei nicht nötig, weil man euch Queraqul verabreicht habe. Er klingt gehetzt, und du denkst, dass er wohl selbst nicht recht daran glaubt, dass die Götter dieses Opfer annehmen und sich noch besänftigen lassen werden. Hastig stolpern er und seine Gefolgsleute wieder den Berg hinab, verschwinden in der Dunkelheit, um sich in der Höhle zu verkriechen, in die sich alle anderen geflüchtet haben.
Du glaubst nicht, dass man sich vor dem, was da vom Himmel kommt, irgendwo verstecken könnte. Die Wachen lassen dich und die anderen Gaben allein mit der Schlange, die sich gleißend hell am Firmament über euch windet. Einer der Wächter hat dir noch einen letzten Blick zugeworfen. Er ist jung, nicht viel älter als du. Und er weiß, dass du den Trank aus vergorenem Mais und Koka heimlich wieder ausgespuckt hast.
Als sie außer Sichtweite sind, stehst du auf und gehst an den anderen vorbei auf den Berggipfel zu. Die meisten der Gaben schlafen, einige stieren dich aus trüben Augen an. Sie können dir nicht helfen.
Niemand kann das.
Unter dir der Abgrund, die Ebene wie ein schwarzer See, bereit, dich zu verschlucken. Aber du springst nicht. Du willst die Ankunft der Himmelsschlange erleben. Nur deshalb hast du den Trank ausgespuckt.
Neugierig richtest du deinen Blick auf den Horizont, wo ein gelber Streifen die Mutter Erde von Vater Himmel trennt. Sie haben dir gesagt, dass dort das große Wasser liegt. Türkisblau wie der Mantel des Königs. Du willst jetzt nicht daran denken, dass du es niemals mit eigenen Augen sehen wirst.
Im Zwielicht verblassen Mond und Sterne.
Nur die Himmelsschlange nicht.
Sie leuchtet jetzt plötzlich heller, ihr Leib streckt sich und fällt dann in einem glühenden Bogen steil auf den Horizont hinab. Noch nie zuvor hast du so etwas gesehen. Dein Herz rast, während du atemlos verfolgst, wie der Bogen immer länger wird.
Plötzlich hörst du schnelle, dumpfe Schritte hinter dir, eine Hand berührt dich, warme Finger umschlingen die deinen. Du drehst den Kopf und schaust auf. Mitten in die ernsten Augen des jungen Wächters. Sein schwarzes Haar flattert im Wind, und die Himmelsschlange leuchtet golden im Braun seiner Iris. Du wünschst dir, ihr hättet mehr Zeit miteinander verbracht. Alles, was du ihm jetzt noch schenken kannst, ist dein Lächeln. Er erwidert es, und dann blickt ihr beide wieder nach vorn.
Es geht ganz schnell.
Als die Schlange sich im Horizont verbeißt, bebt die Erde unter dir, ein Windstoß fegt über euch hinweg, reißt euch zu Boden, aber ihr haltet euch ganz fest an den Händen. Und du bist so froh, dass er zurückgekommen ist und dir jetzt Halt gibt.
In der Ferne erhebt sich Wasser, höher, immer höher, bis es wie ein gewaltiger Berg aufragt, seine Schwingen zu den Seiten ausbreitet wie der Kondor und pfeilschnell auf euch beide zurast.
Und du denkst: Jetzt siehst du es doch noch, das große Wasser. Alles wird es mit sich reißen, auch diejenigen, die sich in die Höhle geflüchtet haben.
Der Wächter zieht dich in seine Arme, und seine Lippen finden deinen Mund. Ohrenbetäubender Lärm überall. Du spürst das Beben deines Herzens, das Aufreißen des Bodens, plötzlich gibt die Erde unter euch nach, und du schließt die Augen, verlierst die Orientierung, spürst den Fall. Sein Geschmack schwebt auf deiner Zunge, und da ist nur noch er, die Wärme seiner Haut und all die Liebe, die heiß in deinen Adern pocht und die dich forttragen wird in ein neues Leben. Ein Leben mit ihm.
Dann umarmt dich die Dunkelheit.
Cyrus
Heute
Meine Sinne sind so geschärft wie das Jagdmesser in meiner Hand. Ich konzentriere mich auf jede Regung in meiner Umgebung, während ich an einen Baumstamm gelehnt warte. Überdeutlich nehme ich wahr, wie ein Eichhörnchen über mir seine winzigen Krallen beim Klettern in die Rinde schlägt, ehe ich seine Geschwindigkeit und Laufrichtung einschätze. Seine buschige Rute streift raschelnd ein paar Blätter, von denen eines sich löst und zu Boden segelt. Ich verfolge seinen Fall, berechne den Winkel, mit dem die Blattkante zuerst das Moos berührt, bevor es zur Seite kippt und liegen bleibt. Dann höre ich den Raben, der mich schon die ganze Zeit über misstrauisch von der zehn Meter hohen Fichte gegenüber beobachtet hat. Er breitet seine Flügel aus und stößt sich vom Ast ab, der zurück und wieder nach vorne wippt. Es folgen zwei kräftige Flügelschläge; das Eichhörnchen über mir stockt gleichzeitig in seinem Lauf.
Der würzige Duft von Fichtennadeln, Moos und feuchter Erde mischt sich nun mit etwas Neuem, das meine Aufmerksamkeit ablenkt. Dem Geruch von menschlichem Schweiß. Aber nicht meinem. Und im nächsten Moment höre ich sie auch.
Sie sind da.
Sie glauben, dass sie mich erwischen können.
Ein Lächeln zuckt in meinen Mundwinkeln. Ich kann ihre triumphierenden Mienen geradezu vor mir sehen. Sie glauben, ich weiß nicht, welche Summe sie am Vorabend auf meinen Kopf ausgesetzt haben. Schon jetzt halten sie sich für die Helden der Stunde. Aber sie sind Dazzler, und ich bin ein Hunter. Sie haben überhaupt keine Ahnung, auf was sie sich hier eingelassen haben.
Eins muss ich allerdings zugeben. In den vergangenen Wochen haben sie gelernt, sich vorsichtiger im Wald zu bewegen. Es knacken nicht mehr ganz so viele Wurzeln unter ihren Schuhen, und sie vermeiden es, die herabhängenden Äste oder Büsche zu streifen. Nur ihr angestrengter Atem und ihr Geruch verraten sie.
Über mir zieht der Rabe seine Bahnen, und ich frage mich, ob er unter dem weißen Nebelschleier der hereinbrechenden Dämmerung die Maus entdecken wird, die eben noch von den wilden Himbeeren auf der Lichtung genascht hat und dann im hohen Gras verschwunden ist. Langsam schließe ich die Augen und versuche, unter all den Geräuschen und Gerüchen des Waldes die Standorte der fünf Menschen auszumachen, die sich mir nähern. Mein ruhiger, gleichmäßiger Atem wird zu einem Fluss, in dem ich mich vorwärtsbewege und wie auf einem Schachbrett die Züge meiner Gegner im Voraus kalkuliere.
Ich sehe, wie ich hinter dem Stamm hervorschieße, Deneb mit einem Schlag gegen die Schläfe ausknocke, Elektra das Messer an die Kehle drücke, mich ducke, um Sirius’ Schuss zu entgehen, und ihm meinerseits in den Bauch schieße, bevor ich Pollux mein Messer entgegenschleudere. Etwas trifft mich in den Rücken. Na, so was. Wo kommt denn Orion so plötzlich her?
Also noch mal von vorn.
Ich versetze Deneb den Schlag, drücke Elektra das Messer an die Kehle, ducke mich, um Sirius’ Schuss zu entgehen, schieße ihm in den Bauch und werfe mich zur Seite. Pollux’ Schuss streift mich, aber ich wirble am Boden herum, entdecke Orion und werfe ihm mein Messer entgegen. In diesem Moment spüre ich, wie mich Pollux’ Schuss mitten in die Brust trifft.
Die Szenarien wirbeln durch meinen Kopf, als würde ich einen Spielfilm im Zeitraffer sehen, immer wieder dieselbe Szene in neuen Abwandlungen. Und dann habe ich ihn gefunden, den perfekten Plan, und mein Spiel beginnt. Ich gehe in die Hocke und schiebe den rechten Fuß auf dem weichen Waldboden so weit zur Seite, dass er an die Wurzel der Kiefer stößt. Sie wird mir Halt geben und verhindern, dass ich auf dem von Regen durchweichten Boden und den Blättern ausrutsche, wenn ich mich gleich abstoße. Ich warte, zähle im Kopf bis vier, und dann geht alles blitzschnell.
Meine Muskeln spannen sich an, ich federe ab, hechte geduckt nach vorne, entgehe Sirius’ Schuss, richte mich auf und schlage ihn mit einem Faustschlag gegen die Schläfe zu Boden. Dann wirble ich herum und treffe den seine Waffe hochreißenden Pollux mit dem Stiefel in der Magengegend, sodass er sich ächzend zusammenkrümmt und sein Schuss Elektra trifft, die sich gerade auf mich stürzen wollte und nun wütend aufschreit. Bevor der rückwärts taumelnde Pollux mit dem Hintern auf dem Boden aufschlägt, liege ich schon im Moos, rolle zur Seite, um Denebs Schüssen zu entgehen, ziele und treffe ihn mitten in der Stirn.
Bis hierhin ist alles glattgegangen, aber jetzt wird es unklar. Meine Berechnungen ergeben plötzlich zu viele Varianten. Besonders Orion ist nicht ganz so einfach zu durchschauen, er hat mehr Potenzial als die anderen. Also heißt es improvisieren. Ich stemme mich hoch, packe Pollux, der sich gerade aufrappeln und nach seiner Waffe greifen will, an den Schultern und stoße ihn in die Richtung, in der ich Orion am ehesten vermute, während ich herumfahre und schieße, Deneb am Hals treffe und dann herumwirble, gerade noch rechtzeitig, um Orion, der von Pollux’ Körper getroffen zur Seite taumelt, mein Messer entgegenzuschleudern. Es durchdringt den Stoff seiner Trainingsjacke und pinnt seinen Arm mitsamt Pistole in der Hand an den Baumstamm, hinter dem er hervorgesprungen sein muss. Er reißt den Kopf herum, starrt ungläubig auf das Messer und dann wieder zu mir.
»Geht’s noch, Cyrus? Du hättest mich umbringen können!«, brüllt er.
Ich verrate ihm nicht, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, meinen Wurf zu verfehlen, weit unter einem Prozent lag, weil ich nicht sicher bin, ob ihn das wirklich beruhigen würde.
»Als ob ich mich freiwillig dem Tribunal der Knights ausliefern würde. Glaub mir, ich hatte alles unter Kontrolle. Im Gegensatz zu euch!« Ich werfe einen möglichst finsteren Blick in die Runde.
Sirius hockt am Boden und reibt sich den Kopf, Deneb tritt neben mich, von seiner bleichen Stirn läuft ein rotes Rinnsal über seinen Nasenrücken und erreicht schließlich seine Oberlippe. Er verzieht den Mund, fährt sich mit dem Ärmel über das Gesicht und sieht jetzt aus wie ein Zombie auf dem Weg zu einer Halloweenparty.
»Das war … beeindruckend«, gesteht er zähneknirschend.
Orion schnaubt nur und wirft mir aus mandelförmigen, dunklen Augen einen hasserfüllten Blick zu. Dann reißt er das Messer aus dem Baumstamm und seiner Trainingsjacke, bevor er es mir vor die Füße wirft. Beim Aufheben stelle ich zufrieden fest, dass kein Blut daran klebt. Einen Moment lang habe ich befürchtet, seinen Arm geritzt zu haben.
»Cy, war das wirklich nötig?«, flötet Elektra mit verführerischem Unterton, völlig ignorierend, dass sie meinen Namen eigentlich nicht verkürzen sollte. Betont langsam streicht sie sich über die Trainingsjacke, auf der in Brusthöhe noch feucht die Farbe von Pollux’ Paintballpistole glänzt, und nickt in Richtung des Messers, das ich zurück in das Leder an meinem Gürtel stecke. »Ich meine, mit echten Waffen zu kämpfen?«
»Ja«, erwidere ich knapp. »Keiner zwingt dich, weiterzumachen, wenn dir das Training zu hart wird, El.« Ich lege so viel Spott wie möglich in diese Silbe. Cy dürfen mich nur eine Handvoll Leute nennen, und Elektra gehört definitiv nicht zu ihnen.
Sie überhört es. Vermutlich hat sie gegen mich gewettet und jetzt ihr Geld verloren. Ihr Pech.
»O nein, ich liebe das Training, wie soll ich denn sonst zu meiner täglichen Dosis Cy-Superhelden-Glamour kommen?« Elektra schürzt die Lippen und schenkt mir ein Lächeln, das vermutlich sexy wirken soll, aber so eingefroren ist, als hätte ihr jemand Botox gespritzt.
Und dabei gibt es nur eine Sache, die ich noch weniger ausstehen kann als Unfähigkeit oder kumpelhaftes Anbiedern: eine unerwünschte Anmache in der Hoffnung, auf diese Weise eine individuelle Förderung oder Empfehlung bei den Knights zu erhalten. Ich wünschte, ich würde zur Abwechslung einmal für einen entscheidenden Auftrag außerhalb von Nathair Manor eingesetzt werden, es gibt schließlich genug andere Hunter, die sich um die Neuen kümmern können. Aber der Uraeus ist mit meinen Ausbildungsmethoden und meinem Urteil zufrieden, und Ungeduld kann er nicht ausstehen.
»Gib dir keine Mühe, so sexy kannst du gar nicht sein, dass Cyrus sich davon einwickeln lässt«, spottet Orion, was ihn mir gleich noch ein Stück sympathischer macht.
Natürlich lasse ich mir das nicht anmerken. Aber er ist der Einzige in der neuen Gruppe, dem ich annähernd Hunterpotenzial zutrauen würde. Über die anderen vier werde ich spätestens nächste Woche Bericht erstatten – mehr Zeit gebe ich ihnen nicht. Dann sind sie raus, und es wird ein paar Leute mehr in meinem Leben geben, die mich abgrundtief hassen.
»Genau. Mich hat er auch schon abblitzen lassen«, erklärt Pollux achselzuckend und streicht sich die kupferfarbenen Haarsträhnen aus dem Gesicht. An seiner Haltung erkenne ich, dass mein Schlag in den Bauch ihn weiterhin schmerzt, obwohl er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Vielleicht gebe ich ihm noch eine Chance. Aber er muss an seiner Reaktionsgeschwindigkeit arbeiten. Ich könnte ihn im Trainingsraum mit dem Simulator …
»Ach, fickt euch doch!«, zischt Elektra plötzlich wütend und unterbricht meine Überlegungen. Sie wirft ihre blonden Haare in den Nacken und deutet mit dem Finger auf Orion. »Du hast versprochen, du würdest es diesmal schaffen, wenn wir ihn von dir ablenken. Dein Plan war so was von unterirdisch, wie …«
Okay. Elektra ist morgen schon raus, und ich bin mir nicht sicher, ob sie als Dazzler weiterhin einsetzbar ist. Wir brauchen Teamplayer, keine selbstverliebten Egomanen. Da kann ihr Onkel noch so sehr seine einflussreichen Beziehungen spielen lassen.
Ich will sie gerade zurechtweisen, doch in diesem Moment vibriert meine Smartwatch, und ich entferne mich ein paar Schritte von den Streitenden. Das kann nur etwas Dringendes sein, hier draußen werde ich sonst nie gestört, und unwichtige Personen sind stummgeschaltet. Auf dem Display erlischt der Sternenhimmel, und der Schlangenkopf einer sich aufbäumenden Kobra taucht als kleines Icon links auf. Daneben steht:
Komm sofort zurück ins Sanctum! Wir haben einen Notfall.
Bitte? Ich befinde mich mitten in einer Trainingseinheit im Wald! Aber ich bin sicher, dass der Uraeus das längst überprüft hat. Verärgert aktiviere ich die Diktierfunktion und lasse die App Folgendes schreiben:
Hat das nicht Zeit? Das Training ist in zwei Stunden beendet.
Als ich auf Absenden drücke, erscheint simultan die Antwort. Hitze schießt in meine Wangen, weil ich erkenne, dass er wieder einmal meine Reaktion vorhergesehen und seine Erwiderung vorab getippt haben muss.
Sofort! Schaff deine Gruppe zurück, und melde dich bei mir. Das ist ein Befehl!
Ja, Sir!
Ich verzichte darauf, ihn weiter zu reizen, presse die Lippen zusammen und drehe mich um.
»Schluss jetzt!«, rufe ich laut und unterbreche den Streit meines Trupps. »Packt eure Sachen, wir gehen zurück!«
Vier Augenpaare starren mich ungläubig an.
»Was, etwa sofort?«, fragt Deneb, und ich sehe ihm an, was er, was sie alle denken. Wir sind raus.
»Ein Notfall. Ich gebe euch Bescheid, wann wir unser Training fortsetzen können.« Und wer dafür überhaupt noch infrage kommt.
Erleichterung flackert über ihre Mienen, und wir setzen uns in Bewegung. Auch wenn wir uns beeilen, brauchen wir trotzdem eine gute halbe Stunde zurück.
Der Wald wirkt auf Außenstehende wie die reinste Wildnis – mir ist er in all den Jahren so vertraut geworden, dass ich mich sogar in völliger Dunkelheit darin zurechtfinden könnte. Es gibt nur wenige Wege, und die meisten davon führen in die Irre oder zu Fallgruben. Runen und andere Symbole sind an Wegkreuzungen und rituellen Orten in die Baumstämme geritzt, die Anordnung der Pflanzen und Bäume spricht ebenso eine geheime Sprache wie die Steine, die hier und da wie zufällig am Wegrand liegen. Ich war vier, als ich gelernt habe, all die Zeichen unserer Geheimloge zu lesen.
Wir passieren eine Senke, klettern die Böschung hinauf und arbeiten uns durch Hecken und Weidendickicht. Nathair Manor erhebt sich jetzt vor uns mit seinen zahlreichen Türmen, Erkern und nachträglich errichteten Nebengebäuden auf einer Anhöhe. Das ursprüngliche Gebäude diente als britisches Jagdschloss und wurde im siebzehnten Jahrhundert im jakobinischen Stil gebaut. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts fiel es in den Besitz des damaligen Uraeus und wurde umfänglich renoviert und erweitert. Ringsum ist es von einer hohen Mauer und dahinter einem Labyrinth aus Hecken umgeben. Lieferanten parken auf einem Parkplatz vor dem wuchtigen schmiedeeisernen Tor. Dort werden ihre Waren in unsere eigenen Transportfahrzeuge verladen. Die Wachposten beobachten jeden Schritt, kein Unbefugter kommt auch nur in die Nähe des Manors.
Der Uraeus betont immer, was für ein Glück unsere Generation hat, dass uns so ein Refugium geschaffen wurde, in dem wir unsere Kräfte ungehindert entfalten können. Solange ich denken kann, war Nathair Manor mein Zuhause, mein Kokon … mein Gefängnis. Und in dieses kehren wir jetzt zurück.
Im Laufschritt durchqueren wir das Labyrinth, bis wir den Nebeneingang erreichen, wo ich mich von meinem Trupp verabschiede, dann eile ich weiter zur Hauptpforte. Die wuchtige Tür besteht aus dunklem Eichenholz und wird von hohen Marmorsäulen eingerahmt, überdacht mit einem Giebel, an dem sieben Schlangenskulpturen mit weit aufgerissenen Mäulern prangen, die gerade einen Planeten in ihrer Mitte zu verschlingen drohen.
Zwei Wächter in schwarzen Anzügen mit Knopf im Ohr flankieren den Eingang. Unter ihren weißen Hemden tragen sie schusssichere Westen und Automatikwaffen im Holster unterm Arm. Ehrerbietig nicken sie mir zu, als ich eintrete. Die Geräusche meiner Stiefelabsätze hallen durch die hohe, holzgetäfelte Eingangshalle, in der alte Ölgemälde Hinweise auf die Vergangenheit unserer Geheimloge geben. Ich bin stolz darauf, zu ihr zu gehören, auch wenn es nicht einfach ist, den Ansprüchen des Uraeus’ gerecht zu werden.
Notfall. Was hat der Uraeus jetzt schon wieder für Pläne mit mir?
Mags
Stille.
Absolut himmlische Ruhe.
Man sollte den Erfindern von In-Ears mit Geräuschunterdrückung wirklich ein Denkmal setzen! Sie schaffen es sogar, Liam auszublenden. Obwohl mein kleiner Bruder gerade einen Aufstand vor meinem Zimmer veranstaltet. Seufzend öffne ich meinen Laptop und versuche, mich wieder auf Mathe zu konzentrieren. Seit dem Abendessen quäle ich mich mit Infinitesimalrechnung ab. Wofür um alles in der Welt braucht man so etwas?
Kurz überlege ich, ob ich mich im Mathematikkurs meiner alten Schule in Irland anmelden und Mr Pearson um Rat bitten soll. Der hat Geduld wie Mutter Teresa und hat nie gemeckert, wenn ich Fragen hatte – was ziemlich oft vorkam. Der Mathelehrer an meiner neuen Schule könnte sich wirklich eine Menge von ihm abschauen. Aber Dad würde ausflippen, sobald ich Mr Pearson kontaktiere. Nun ja, zumindest wenn er zur Abwechslung mal hier wäre, anstatt irgendwo auf der Welt alte Steine umzudrehen. Aber auch wenn er nicht hier ist, werde ich mich an seine Anweisung halten. Zu sehr klingt sie immer noch in mir nach.
Damals, kurz nach unserem Umzug vor knapp zwei Monaten, bin ich abends an den halb ausgepackten Umzugskartons im Wohnzimmer vorbei zu ihm in den Garten hinausgegangen, während Ma Liam ins Bett gebracht hat. Dad hat irgendwie verloren auf der verwitterten Holzbank unter dem alten Apfelbaum gesessen, eine Flasche Wein vor sich auf dem Tisch und das gefüllte Glas in der Hand haltend. Ich bin durchs kniehohe Gras gestapft, habe mich neben ihn gesetzt und ihn von der Seite angesehen.
»Kann ich nicht wenigstens ab und zu mal Emily anrufen?«
»Nein. Keinen Kontakt zu deinen alten Freunden in Irland, Mags! Zu überhaupt niemandem aus Dublin, verstanden? Schau mich nicht so an, ich meine das ernst.«
»Ach, Dad! Verrate mir wenigstens, warum!«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
»Das ist nicht fair. Ich bin siebzehn, kein Kleinkind mehr wie Liam!«
»Bald wird dein Bruder zehn.« Sein Mund hat sich im Mondschein zu einem Lächeln verzogen. »Auch wenn es manchmal schwerfällt, das bei seinem Benehmen zu glauben.«
»Ich verspreche dir, dass ich es niemandem weitererzähle.«
»Lass das, Mags! Ich habe dir doch bereits gesagt, dass es mit meinem Job zusammenhängt. Mehr darüber zu erfahren, wäre nicht nur für dich gefährlich, sondern für uns alle. Im Moment darf wirklich niemand wissen, wo wir sind. Irgendwann mal werde ich dir alles erklären.« Er hat sein Weinglas geleert und es auf den kleinen Gartentisch voller bunter Mosaiksteinchen gestellt. »Bis dahin bitte ich dich um Geduld und Kooperation.«
»Wann wirst du es mir sagen?«, habe ich dennoch nachgehakt.
»Das weiß ich noch nicht genau. Sobald es eben sicher für uns ist.« Seine Stimme hat einen gereizten Unterton angenommen.
»Und wenn ich mich nicht daran halte?«, habe ich bockig zurückgeschossen, weil es einfach so unfair war, dass ich auf einen Schlag all meine Freunde verloren hatte. Nicht mal verabschieden hatte ich mich von ihnen dürfen.
Als er sich dann zu mir umdrehte, war sein Blick ernst, und die grauen Strähnen in seinem schwarzen Haar schimmerten im Mondschein silbern. Einen Moment lang hat es richtig gespenstisch ausgesehen, wie eine Aura, sogar Gänsehaut hat sich auf meinen Armen breitgemacht.
»Egal, was passiert: Niemand von früher darf jemals herausfinden, wo wir jetzt leben. Versprich mir das, Margaret! Das ist wirklich wichtig.«
Das habe ich natürlich nicht getan, sondern stattdessen versucht, mit Humor mehr aus ihm herauszukitzeln.
»Lass mich raten: Du bist einem Mafiaclan in die Quere gekommen? Oder hast den Ardagh Kelch aus dem National Museum geklaut? Nein, jetzt weiß ich es, du hast am Limeskastell heimlich einen alten römischen Schatz ausgegraben, den du unter der Hand bei Sothebys verticken willst!«
Sein Gesicht hatte einen eigenartigen Ausdruck angenommen, ehe er antwortete: »So was Ähnliches.«
Okay. OKAY?!
Das war das Ende unseres Gesprächs, das mich nur mit noch mehr Fragezeichen im Kopf zurückgelassen hat. Und dann ist er tags darauf zu seinem neuen Archäologieprojekt nach Paraguay gejettet und hat Ma, Liam und mich mit unserem schicken neuen Nachnamen »Doron« anstelle von MacKenzie, gefälschten Ausweispapieren und Dutzenden unausgepackter Kartons in diesem renovierungsbedürftigen Haus zurückgelassen.
Wenn wenigstens Ma mir verraten würde, was der überstürzte Umzug in dieses Kaff nach Deutschland bedeutet. Doch aus ihr habe ich schon immer noch viel weniger herausbekommen als aus Dad. Keine Ahnung, was für krasses Zeug meine Eltern mir verheimlichen, früher sind ihre Gespräche manchmal verstummt, wenn ich den Raum betreten habe, und Geheimnisse lagen wie kalter Zigarettenrauch in der Luft, unsichtbar, trotzdem irgendwie präsent. Und Dads Büro ist von der Außenwelt ähnlich abgeschirmt wie die Area 51 in Nevada. Zumindest kenne ich ihn gut genug, um dahinter keine mumifizierten Außerirdischen zu vermuten. Aber seit dem Umzug werde ich einfach das Gefühl nicht los, in einem Actionthriller gelandet zu sein und mein Vater entpuppt sich demnächst als Jason Bourne in der Midlife-Crisis. Ärgerlicherweise ohne die auf dem Rücken eingelaserte Nummer eines Schweizer Bankkontos, das uns finanziell über die Runden helfen würde, das wüsste ich.
Mein Blick schweift von der potthässlichen Tapete mit blauen Bergen, Bäumen und japanischer Pagode in meinem Zimmer zurück zum Bildschirm. Ich stelle mir vor, wie der Sohn der alten Dame, der das Haus aus den Siebzigerjahren gehört, in seiner Hippiezeit davor Gras geraucht hat. Vielleicht hat sie selbst aber auch esoterische Zirkel in diesem Raum abgehalten. Jedenfalls klebt der Geruch von Räucherstäbchen immer noch an den Wänden. Oder unter der Tapete. Wer weiß, was sich dort noch verbirgt? Ich schüttle mich.
Stirnrunzelnd beginne ich von vorn. Die Steigung der Tangente kann über den Differentialquotienten … Ganz dumpf höre ich ein Klopfen. Liam trommelt an meine abgesperrte Tür. So kapiere ich das bis morgen doch nie! Ohne die Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen, brülle ich: »Ma! Ich muss für die Klausur lernen! Schick Liam endlich weg!«
Am besten per Luftfracht nach Paraguay. Soll doch Dad sich mit ihm herumschlagen. Er kann ihn gerne zum Steineschleppen in den Dschungel abkommandieren.
Es dauert eine Weile. Dann verstummt das Klopfen, und plötzlich wird alles schwarz, die Schreibtischlampe, die Deckenstrahler, nur mein Laptopdisplay leuchtet noch. Aber der Rechner hat die Verbindung zum Internet verloren.
Fuck! Liam hat doch nicht etwa die Hauptsicherung im Keller umgelegt? Während ich mich hektisch umschaue, stoße ich gegen etwas, das zu Boden fällt. Licht flammt auf dem Parkett auf. O nein, mein Handy! Hoffentlich ist nicht wieder das Display gebrochen. Kurz nach unserem Einzug hat meine Mutter fast dreihundert Euro für die Reparatur zahlen müssen und den süßen Typen im Handyladen beinahe mit ihrem Blick erdolcht.
»Sorry, ist halt ein Edge-Display. Die Ersatzteile sind sauteuer, liegt ehrlich nicht an meiner Arbeitszeit«, hat er ein wenig eingeschüchtert gemurmelt.
Ma hat sich zu mir umgedreht und vor ihm gedroht: »Wenn es dir noch mal bricht, kriegst du ein Nokia aus dem Secondhandshop.«
Etwas, das ich ihr sofort zutrauen würde. Ma und ich haben uns nie so richtig verstanden. Auch wenn Dad immer zu vermitteln versucht, es ist unschwer, zu erkennen, dass sie Liam mehr liebt und ihm einfach alles durchgehen lässt. Inzwischen habe ich mir ein dickes Fell zugelegt, aber an manchen Tagen kann ich es kaum ertragen. In dem Handyladen kann ich mich nach diesem Auftritt jedenfalls nicht mehr blicken lassen.
Stöhnend sinke ich auf die Knie und streiche über das Display. Gott sei Dank! Es ist heil geblieben. Dad hat es mir geschenkt, als wir nach Deutschland gezogen sind. Vermutlich, um mich mit dem Umstand zu versöhnen, dass ich auf einen Schlag alle Freunde und mein Zuhause verloren habe. Ein mieser Ersatz, aber das ist alles, was mir von ihm bis zu seiner Rückkehr geblieben ist.
Ich aktiviere die Taschenlampenfunktion, marschiere zur Zimmertür und sperre sie auf. Zu meiner Überraschung steht Liam nicht wie vermutet mit triumphalem Grinsen im Dunkeln.
»Ma?«, rufe ich laut und leuchte den Gang hinunter. Keine Reaktion. Sie müsste doch auch schon bemerkt haben, dass wir keinen Strom haben. Ich schaue auf das Display. Es ist fast halb zehn, einkaufen kann sie also nicht mehr gefahren sein. Und um diese Zeit treibt sie Liam gewöhnlich ins Bett. Aus dem Badezimmer schräg gegenüber höre ich ein Knistern. Ich eile darauf zu und drücke die Klinke herunter. Natürlich hat er die Tür abgesperrt. Wieder ein Knistern. Dann das Geräusch der Klospülung.
»Liam? Was zur Hölle treibst du da drin?«
Stille.
»Dir ist schon klar, dass jetzt alle Küchengeräte mit Uhr verstellt sind? Und wir kein WLAN mehr haben? Vielleicht hast du auch den Firmencomputer von Ma geschrottet. So ein Stromausfall ist nicht das Beste für die Hardware«, verkünde ich genervt.
»Du hast mir aber versprochen, dass ich dein Tablet kriege«, ertönt es dumpf und tränenerstickt hinter der Tür.
Ich spüre, wie ich weich werde. »Dann hättest du es eben vorhin beim Abendessen nicht runterwerfen dürfen«, sage ich. Ehrlich, ich freue mich mindestens so sehr wie er, dass ihm zum Geburtstag ein eigenes Tablet von Dad versprochen wurde. Sein Handy ist fast so antik wie Dads Ausgrabungsstücke, darauf laufen seine Spiele-Apps nicht.
»Hab’s doch wieder aufgehoben.«
»Mit klebrigen Kirschmarmeladenfingern.« Aus dem Erdgeschoss höre ich das Geräusch eines Schlüssels im Schloss der Eingangstür, die kurz darauf quietschend aufschwingt.
»Was ist denn hier los?«, ruft Ma nach oben. Dem Klacken nach versucht sie mehrmals hintereinander, den Lichtschalter zu betätigen.
Ich drehe mich um und will gerade den Flur hinunter zur Treppe gehen, da wird die Tür in meinem Rücken aufgerissen, und Liam stürmt wie ein wildes Pony an mir vorbei.
»Ma! Mags hat die Sicherung rausgemacht, während ich im Bad war. Ich hatte solche Angst im Dunkeln!«
Dieser kleine Giftzwerg! Trotzdem verkneife ich mir ein kindisches Zurückbrüllen. Dafür ruft Ma hoch, wie verantwortungslos ich sei und ob ich mich ein einziges Mal wie die vernünftige große Schwester benehmen könne. Ich schließe die Augen, atme tief ein und zähle bis drei. Dann drehe ich mich um, marschiere ins Bad und knalle die Tür hinter mir zu.
In diesem Moment geht die Deckenlampe wieder an. Ich starre in den Badezimmerspiegel vor mir, der mit seiner Neonröhrenbeleuchtung wahrlich kein vorteilhaftes Bild von mir zeichnet. Ein blasses sommersprossiges Mädchen mit grünblauen Augen und langen kastanienbraunen Haaren mit störrischen Naturlocken blickt mir entgegen. Zum Teufel mit Mathe! Ich öffne den Schrank, hole meine Zahnbürste raus und drücke die Zahnpasta auf die Borsten. Gerade als ich anfangen will, die Zähne zu putzen, fällt mir der Blister im Schrank auf. Ich hebe ihn hoch und erstarre. Mindestens fünf Tabletten waren noch drin, da bin ich mir ganz sicher! Mir schwant etwas, aber ich will es einfach nicht glauben. Dann erinnere ich mich wieder an das knisternde Geräusch und hinterher das der Klospülung.
Schlagartig wird mir eiskalt.
Liam hat die letzten Tabletten meines Antiallergikums ins Klo gespült! Seit ich denken kann, nehme ich die Tabletten einmal täglich. Ma erinnert mich regelmäßig an die Einnahme, sie sagt, ich würde ohne sie nach kurzer Zeit am ganzen Körper einen Hautausschlag, Atemnot und unerträglichen Juckreiz bekommen.
Fassungslos öffne ich den Mund, um loszuschreien, dann klappe ich ihn wieder zu. Das Blut rauscht mir in den Ohren. Als ich meinen Blick zum Spiegel hebe, sehe ich, wie die Zahnpasta von der Bürste auf mein schwarzes Shirt tropft. Erschöpft lege ich sie auf den Waschbeckenrand und schließe für einen Moment die Augen, atme tief durch. Liam würde alles leugnen, und Ma würde glauben, ich hätte die Tabletten selbst weggeworfen. Und vielleicht kommt die Lieferung mit den längst fälligen Tabletten aus England auch schon morgen an.
Kein Grund, in Panik zu geraten.
Cyrus
Astra inclinant, sed non obligant.
Die goldenen Lettern scheinen über dem Eingang zum Sanctum am Ende des Korridors zu schweben, so strahlend wirkt das Gold auf dem dunklen Marmor. Man kann den achteckigen Raum nur auf zwei Arten betreten. Entweder, man wird eingelassen, nachdem man die Messingklingel gedrückt, über die Sprechanlage sein Anliegen genannt und dann eine geschlagene Ewigkeit gewartet hat, bis man sich ganz klein vor Panik fühlt, weil man es gewagt hat, den großen Uraeus zu stören. Oder man gehört zu den wenigen Auserwählten, die über die Gesichtserkennung im Schlangenkopf über dem Rahmen den Türmechanismus aktivieren können. Allerdings kann selbst dann das Öffnen von innen verhindert werden.
Da ich jedoch erwartet werde, mache ich mir nicht die Mühe, zu klingeln, sondern stelle mich gleich unter das Modul mit dem biometrischen Scanner. Das Gesicht eines schwarzhaarigen Jungen mit hohen Wangenknochen und silbergrauen Augen blickt mir aus dem Display im aufgerissenen Kobramaul entgegen. Ich entdecke einige Spritzer roter Farbe an meinem Kinn vom Training und wische sie mit dem Ärmel gerade noch rechtzeitig ab, bevor schon eine melodische Frauenstimme erklingt und mir den Zutritt gewährt. Kurz darauf ertönt ein Summton, die schwere, holzverkleidete Panzertür entriegelt sich, und beide Flügel schwingen langsam auf.
Als ich über die Schwelle trete, glimmen über mir die geschwungenen Buchstaben der lateinischen Inschrift auf. Für meinen Geschmack ist das eindeutig zu viel an magischem Hokuspokus, aber externe Besucher erschauern in aller Regel ehrfürchtig unter Senecas Worten: »Mögen die Sterne uns auch die Zukunft weisen, sie können uns nicht zwingen.«
Betont gelassen gehe ich weiter ins Sanctum hinein. Mindestens vier Meter hoch und bis auf die drei riesigen Fenster ringsum von deckenhohen Bücherregalen eingerahmt, würde es auch als Bibliothek durchgehen, stünde nicht in der Mitte des Raumes eine riesige Tafel aus rötlichem Kirschholz mit sieben Stühlen.
Eigentlich habe ich erwartet, unseren Logenmeister auf dem Stuhl an der Stirnseite sitzend vorzufinden, der mit seiner überdimensionalen hohen Lehne und den aufwendigen Holzschnitzereien wie ein mittelalterlicher Thron wirkt. Aber der Uraeus steht mit dem Rücken zu mir an einem der Fenster und schaut hinaus auf die efeuumrankten Ahornbäume und die dahinterliegenden Rosenhecken, die den inneren Kreis des Heckenlabyrinths bilden.
»Wie machen sich die Neuen, Cyrus?«, fragt er, ohne sich umzudrehen. Adam Flux ist groß, breitschultrig und schlank ist, sein schwarzes, gewelltes Haar von wenigen silbernen Strähnen durchzogen und nackenlang. Wie immer trägt er einen dunklen maßgeschneiderten Anzug und handgefertigte Oxfords von einem Schuhdesigner aus Mailand. Aber vor allem die schwer zu fassende einschüchternde Aura von Macht ist es, die Menschen in seinem Umfeld vor Ehrfurcht erstarren lässt. Ich kenne Seeker, die kaum wagen, ihm in die Augen zu sehen, und frage mich, ob er schon immer so auf Menschen gewirkt hat.
Ich durchquere den Raum, stelle mich neben ihn ans Fenster und betrachte ihn von der Seite. Neuerdings trägt er einen Short Boxed Bart, zu dem ihm vermutlich seine neue Geliebte geraten hat. Kimberley ist fast zwanzig Jahre jünger als er, leitet eine Londoner Galerie, und ich wette, sie hat keinen Schimmer, wer er in Wahrheit ist. Wahrscheinlich hält sie ihn für einen Broker an der London Stock Exchange.
»Orion hat am meisten Potenzial, Pollux muss ich mir noch mal näher ansehen, die anderen werden in den nächsten Wochen gehen, wenn nicht ein Wunder geschieht, und Elektra ist ab sofort raus.«
Ein Lächeln zuckt über seine Miene, als er sich mir zuwendet, und stahlgraue Augen mustern mich amüsiert. »Gehe ich recht in der Annahme, dass sich dann auch Acrux’ Hoffnung zerschlägt, du und Elektra werdet das glanzvolle neue Traumpaar am Firmament unserer Loge?«
»Das hat er nicht ernsthaft geglaubt?«, entfährt es mir, im nächsten Moment bereue ich jedoch meine vorlauten Worte. Außerdem wird mir ganz schwindlig bei dem Gedanken daran, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass Hochzeiten innerhalb des Ordens arrangiert wurden, um Machtbündnisse zu festigen. Dem Uraeus würde ich zutrauen, diese alten Sitten wieder aufleben zu lassen, wenn es seinen Interessen dient. Ich lausche auf seinen Herzschlag, doch der ist ruhig und gleichmäßig, verrät mir also rein gar nichts.
»Er hat eine hohe Meinung von seiner Nichte«, sagt er.
Mir liegen so einige Einwände auf der Zunge, mühsam schlucke ich sie runter, immerhin ist Acrux einer unserer Knights. Stattdessen erwidere ich starr seinen forschenden Blick, der bis auf den Grund meiner Seele zu dringen scheint. Aus Erfahrung weiß ich, dass ich ihn mit kühler Gelassenheit mehr beeindrucken kann als mit Gefühlsausbrüchen. Er hasst es, wenn Menschen ihre Emotionen nicht unter Kontrolle haben, und verwendet diese Schwäche nur allzu gerne gegen sie.
Und genau aus diesem Grund sollte ich mich auf ihn konzentrieren, aber wie immer versagen meiner Hunterinstinkte in seiner Gegenwart, und unerwünschte Erinnerungen steigen in mir auf. Von dem Tag, an dem meine Mutter starb, wie er mich damit konfrontiert hat, dass sie von dem Verräter Moore ermordet worden ist, und wie jede Träne, die ich für sie vergossen habe, in Bestrafungen und hartem Training geendet hat. Wie scharfe Hagelkörner prasseln die Bilder auf mich ein, während ich versuche, zumindest meinen Herzschlag ruhig zu halten und mich nach außen hin gleichgültig zu geben. Aber natürlich durchschaut er mich, und plötzlich fühle ich mich wieder wie an jenem Abend vor dreizehn Jahren.
»Schwörst du, dass du den Verräter jagen und alles tun wirst, um deine Mutter zu rächen?«
Ich nicke stumm, während ich zum Uraeus aufblicke, der mit hassverzerrter Miene riesig über mir aufragt und seine Hände auf meine Schultern gelegt hat. Die Finger krallen sich fest in meine Haut, und ich unterdrücke ein schmerzerfülltes Stöhnen.
»Du wirst besser sein als die anderen, Cyrus. Du wirst ein Hunter werden, wenn sie noch davon träumen, in den Rang des Dazzlers aufzusteigen, du wirst trainieren, bis du dir die Seele aus dem Leib kotzt, als Letzter zu Bett gehen und als Erster aufstehen und niemandem vertrauen, den ich dir nicht als vertrauenswürdig genannt habe! Hast du das verstanden?«
»Ja, Sir!«
»Du wirst an deinen Gefühlen arbeiten. Keine Jubelschreie, kein kindisches Rumgehopse, kein Flennen nachts ins Kopfkissen! All das macht dich schwach. Berechenbar.«
Erschrocken sehe ich ihn an. Woher weiß er von meinem nächtlichen Weinen?
»Ich will stolz auf dich sein. Wenn ich dich noch einmal beim Weinen erwische, verlässt du Nathair Manor und wirst in einer Gastfamilie untergebracht. Wir können keine Schwächlinge in unseren Reihen brauchen.«
»Was würdest du tun, wenn ich dir befehle, Elektra weiterhin zu trainieren und ein wenig mit ihr zu flirten?« Die Stimme des Uraeus’ katapultiert mich schlagartig in die Gegenwart zurück.
Das ist ein Test. Einer von so vielen. Es muss einfach ein Test sein! Ich räuspere mich und sage vollkommen ausdruckslos: »Ich werde tun, was für die Gemeinschaft von Nutzen ist. Um meine Aufgabe noch besser zu erfüllen, wäre es allerdings sinnvoll, wenn ich die Hintergründe kenne. Gibt es Probleme mit Acrux? Soll ich ihn über seine Nichte ausspionieren?«
Seine Augen funkeln auf, dann nickt er befriedigt, und mein Herz rutscht mir vor Schreck in die Hose. Ach, du Scheiße! Bleibt mir denn heute wirklich nichts erspart? Ausgerechnet Elektra!
»Ich habe nichts anderes von dir erwartet. Aber für dich habe ich einen anderen Auftrag als Elektra.«
Nur mit Mühe unterdrücke ich ein erleichtertes Aufatmen.
»Du wirst nach Deutschland fliegen und dort zur Schule gehen.«
Ich starre ihn an. Hat er den Verstand verloren? Was soll ich denn auf einer normalen Schule? Mein ganzes Leben habe ich auf Nathair Manor verbracht. Hier bin ich aufgewachsen, unterrichtet, ausgebildet und trainiert worden. Seit Jahren warte ich auf meinen ersten großen Einsatz für die Loge. Nicht auf ein Austauschjahr in Deutschland!
»Keine Einwände?« Wieder verziehen sich seine Lippen zu einem feinen Lächeln.
Als ob ich gegen irgendetwas, das er beschließt, Einwände erheben könnte.
»Ich nehme an, auch dafür gibt es einen guten Grund?«, erwidere ich daher trocken.
»Allerdings. Ich habe einen Tipp von einem anonymen Informanten aus Dublin bekommen. Eine Spur, die uns zu einem hochrangigen Mitglied der Heirs führt.«
»Ist denn einer solchen Mitteilung zu trauen?«, frage ich zweifelnd. »Vielleicht haben die Verräter diese Spur selbst gelegt.«
»Das werden wir herausfinden. Beunruhigend genug, dass der Informant so viele Einzelheiten unseres Ordens kennt, dass die Botschaft direkt zu mir durchgestellt wurde. Und das ist leider nicht das erste Mal.«
Ich runzle die Stirn. »Ein Abtrünniger?«
»Davon gehe ich aus. Wir müssen ihn finden und eliminieren.«
Mein Herz macht einen Satz. »Wird das mein Auftrag sein?« Ich kann gar nicht glauben, dass er mich endlich außerhalb dieser Mauern einsetzt und mir so eine wichtige Mission anvertraut.
»Nein.«
Wenn er jetzt sagt, ich soll einfach nur die Schulbank drücken, um meine Deutschkenntnisse zu verbessern, werde ich schreien. Wozu erhalte ich seit Jahren Einzelunterricht von Native Speakern in den für die Loge wichtigsten Sprachen? Und es ist mir auch gleichgültig, wenn ich dann zur Strafe auf Elektra angesetzt werde. Schlimmer kann das nicht werden. Eine ganze Reihe mäßig unterhaltsamer Collegefilme mit unreifen Schülern und begriffsstutzigen Lehrern, die auf jeden noch so kindischen Streich hereinfallen, geistert durch meinen Kopf, als mein unfreiwilliger Ausflug in die Popcornkinowelt auf einen Schlag mit den nächsten Worten des Uraeus’ ein Ende findet.
»Deine Mission betrifft den Mörder deiner Mutter.«
Die Stille im Raum wird nur von unseren Atemgeräuschen und unseren Pulsschlägen unterbrochen, sie fühlt sich wie eine Druckwelle an, die mich umzuwerfen droht.
»Und das verlorene Kind, von dem wir annehmen, dass er es entführt und aufgezogen hat. Er oder sie ist jetzt in deinem Alter, und wenn wir es ausfindig machen können, wird es uns zu ihm führen.«
»Du glaubst, dass es in Deutschland zur Schule geht?«, folgere ich atemlos.
Er nickt. »Der Tipp kam aus einem Call-Shop und Internetcafé in Dublin. Unsere Leute überprüfen schon länger die Möglichkeit, dass er sich nach Irland zurückgezogen hat. Jetzt scheint sich der Verdacht zu bestätigen, womöglich ist ihm einer unserer Hunter zu nahe gekommen, und er musste von der Insel fliehen. Die Nachricht enthält nur drei Worte. Den Namen einer Kleinstadt in Süddeutschland und Vermisstes Kind.«
»Das ist alles? Gab es in dem Shop denn keine Überwachungskamera?«
»Das haben wir natürlich überprüft. Aus unerklärlichen Gründen hat sie einen Abend davor den Geist aufgegeben, sagt der Besitzer.« Er verzieht verächtlich den Mund. »Und Ausweise kontrolliert er aus Datenschutzgründen nicht.«
»Wie viele Schulen gibt es denn in dieser deutschen Stadt, die infrage kommen?«
»Drei, wenn ich davon ausgehe, dass das Kind eine Schule besucht, die zu einer Hochschulreife führt.«
Ich lache auf. »Ich soll drei verschiedene Schulen abklappern? Als was?«
»Als Austauschschüler einer renommierten Privatschule in London. Dort sitzt einer unserer Leute, der deine angebliche Schulzugehörigkeit bei Nachfragen bestätigen kann. Du wirst dich unter die Schüler in Deutschland mischen und sie beobachten.«
»Das ist aber ein Haufen vager Vermutungen. Kein Mensch weiß, ob seine angeborenen Fähigkeiten nicht nur ein von Moore in die Welt gesetztes Gerücht sind, es die Schule abgebrochen hat oder all die Jahre privat unterrichtet wurde. Vielleicht ist es in der Zwischenzeit auch längst durch einen Unfall oder an einer Krankheit gestorben?«
»Alles richtig. Wir suchen die Nadel im Heuhaufen. Was allerdings die Kräfte des Kindes anbelangt, vertraue ich auf mein Gefühl. Warum sollte Moore sie all die Jahre so gut vor uns verbergen?«
Was für Auswirkungen dieses Kind für unsere Loge hätte, wenn es wirklich stimmt! Ein Schauer läuft mir über den Rücken.
»Ich sehe, du begreifst die Tragweite, die deine Mission mit sich bringt.«
Das tue ich. Aber jetzt kapiere ich erst recht nicht, wie er so gelassen bleiben kann. »Warum versuchen wir dann nicht vorab, mehr herauszubekommen? Ich meine, es geht um Moore! Er ist gerissen. Wir sollten einen ganzen Trupp von Leuten nach Deutschland entsenden und …«
»Stellst du gerade meine Führungsqualität infrage, Cyrus?«, entgegnet er scharf.
Ich versteife mich. »Natürlich nicht, Sir!«
Der Uraeus seufzt. »Ich kann deine Bedenken nachvollziehen. Aber mir ist dieser Mann schon viel zu oft entwischt. Ich kann nicht riskieren, dass die Heirs Verräter in unsere Reihen geschleust haben, die ihn rechtzeitig warnen, sobald sie von meinem Vorhaben erfahren.«
»Heißt das, nur ich weiß von diesem Einsatz?«, frage ich verblüfft.
»Ganz genau. Diesmal werde ich die Sache anders angehen als in den vergangenen Jahren. Keine Eingeweihten. Du wirst niemandem von dieser Mission erzählen. Ich verlasse mich einzig und allein auf dich. Nur meinem Sohn vertraue ich in dieser Angelegenheit bedingungslos.«
Hitze schießt mir in die Wangen, und ich schwanke zwischen Stolz und der Angst, zu versagen, weil ich bei diesem ungeheuren Auftrag vollkommen allein auf mich gestellt sein werde. Lob von meinem Vater ist selten, und dass er mir diese Aufgabe anvertraut, ist eine besondere Auszeichnung.
Ich straffe die Schultern. »Ist es nur eine Vermutung, oder besteht tatsächlich ein konkreter Verdacht, dass die Heirs Verräter in unsere Reihen geschleust haben?«
Seine Miene verdüstert sich. »Rechne mit Letzterem.«
Eine Bewegung am Fenster lenkt meine Aufmerksamkeit nach draußen. Ein Rabe landet auf dem Ast eines Ahornbaumes, legt den Kopf schräg und starrt zu uns hinein. Ich kann ihn nicht hören. Das Sicherheitsglas ist so dick, dass es dem Beschuss durch Sturmgewehre standhalten würde.
»Und was geschieht, wenn ich das Kind entdeckt habe?«, frage ich und wende den Blick zurück zu meinem Vater.
»Du beobachtest es weiterhin und wirst mich verständigen. Moore werde ich mir höchstpersönlich vorknöpfen.«
Mein Herz schlägt schneller. »Kann ich dabei sein?«
Er zögert einen Moment, dann nickt er, und seine Stimme nimmt einen ungewohnt weichen Klang an, als er mir seine Hand auf die Schulter legt. »Ich kann verstehen, dass du den Tod deiner Mutter persönlich rächen willst. Aber Izaras Mörder bringe ich zu Fall, Cyrus. Du wirst mir nicht in die Quere kommen, wenn sich mir die Gelegenheit bietet, ihn zu eliminieren. Konzentriere dich lieber auf sein Mündel. Sie ist für uns von unschätzbarem Wert.«
»Ja, Vater. Wann soll ich aufbrechen?«
»Gleich morgen. Für dich ist die Frühmaschine nach München gebucht, von dort geht es mit dem Zug weiter. Pack heute Nachmittag deine Sachen, und bereite dich mental auf deine neue Rolle vor.« Er deutet mit einem Kopfnicken zu dem Tisch in der Mitte des Raumes. »In der Mappe dort findest du deinen neuen Ausweis, eine deutsche SIM-Karte für dein Handy und ein Dossier deines gefälschten Lebenslaufs und was du sonst noch wissen musst. Vernichte alle verräterischen Dokumente, sobald du sie gelesen hast, und sag bei Nachfragen, dass ich dich zu einem Krav-Maga-Spezialtraining geschickt habe.«
»Geht klar.« Ich nicke ihm zum Abschied zu und setze mich in Bewegung. Als ich mit der Mappe schon fast die Tür erreicht habe, ruft er mir hinterher:
»Cyrus!«
Ich drehe mich noch einmal um.
»Möge die Schlange dir Weisheit und Kraft schenken.«
»Und den Mut, unsere Feinde zu bekämpfen«, erwidere ich die rituelle Verabschiedung und verlasse das Sanctum.
Mags
Die pulsierenden Beats von Cruel Summer reißen mich unsanft aus dem Schlaf.
Ich leide zwar nicht unter Liebeskummer – die Küsse zwischen Brad und mir sind zum Glück schon lange vor unserem Umzug Geschichte gewesen, als ich herausgefunden habe, dass ich nicht die Einzige war, denen der Kapitän der Hockeymannschaft sie geschenkt hat –, aber Taylor Swift singt mir trotzdem gerade total aus dem Herzen. Ich vermisse Dublin inbrünstig, meine Freundin Emily und unser gemütliches Zuhause am Phoenix Park, die nette Mrs Butcher mit ihrem Cocker Spaniel Butch von gegenüber, Jelly Beans, Trifle und all die anderen Dinge.
Und ich vermisse Dad, obwohl ich so furchtbar wütend wegen dieses Umzugs auf ihn bin. Ein paar Minuten bleibe ich wehmütig unter der Decke liegen und lausche dem Song, den ich passenderweise zu diesem schlimmsten aller Sommer als Weckmelodie ausgewählt habe. Dann trifft mich ein neuer Gedanke wie ein eiskalter Schwall Wasser, und ich taste hektisch mein Gesicht ab.
Habe ich vielleicht schon einen Ausschlag gekriegt, weil ich gestern Abend keine Allergiepille geschluckt habe? Mit einem Ruck reiße ich – nun hellwach – die Bettdecke von mir, schnappe mir mein Handy, deaktiviere den Wecker und würge Swift bei Said ab.
Ja, Taylor. Ich behaupte gerade auch, dass es mir gut geht, obwohl ich was ganz anderes fühle. Mit zitternden Fingern schalte ich auf die Frontkamera um. Auf dem Display starrt mir mein verschlafenes Ich mit schreckgeweiteten Augen und zerzausten Haaren entgegen. Trotzdem atme ich erleichtert auf. Ich kann nur den fiesen Pickel erkennen, der sich seit zwei Tagen auf meinem Kinn eingenistet hat. Vielleicht dauert es auch ein paar Tage, bis sich die Reste der Medizin aus dem Körper geschlichen haben. Und dann ist die Lieferung aus England sicher eingetroffen.
Ich schlurfe ins Bad, das erstaunlicherweise mal nicht besetzt ist, und stehe wenig später unschlüssig vor dem Kleiderschrank. Meine Schuluniform in Dublin habe ich gehasst wie die Pest. Aber irgendwie war es auch praktisch, sich nicht jeden Tag Gedanken über das Outfit machen zu müssen.
Ich werfe einen Blick aus dem Fenster. Wenn’s so heiß wird wie gestern, könnte ich vielleicht doch mal ein Sommerkleid ausprobieren, obwohl ich eher der Jeans-und-T-Shirt-Typ bin. Das Problem ist nur, dass meine Auswahl ziemlich begrenzt ist. Mein Lieblingskleid, das aussieht wie ein schwarzes, überlanges T-Shirt mit Taillenraffung, scheint immer noch in der Wäsche zu stecken. Die anderen sind entweder zu blumig oder haben einen zu tiefen Ausschnitt. Schließlich entscheide ich mich für einen kurzen Jeansoverall und ein weißes T-Shirt – Jennifer-Aniston-Friends-Look. Ich sollte wirklich mal wieder shoppen gehen.
Sehnsüchtig denke ich an die Samstage mit Emily in der St. Stephen’s Green Mall zurück. In Deutschland habe ich auch nach Wochen immer noch keine richtigen Freunde gefunden. Zumindest keine, die es mit Emily aufnehmen könnten. Das liegt zum einen daran, dass ich direkt in die Oberstufe gekommen bin, wo es keine festen Klassen mehr gibt. Und irgendwie lassen sich an unserem kleinen Gymnasium fast alle in meinen Kursen drei eingeschworenen Cliquen zuteilen, und in keine davon scheine ich so richtig zu passen.
Da sind zum einen die Sportjunkies, die es kaum erwarten können, auf die Geburtstagsparty von Mia eingeladen zu werden, die auf der Hütte ihrer Eltern in einem abgelegenen Bergkaff im Zugspitzgebiet steigt. Nachdem ich gebeichtet habe, dass auf zwei Brettern einen steilen Berghang hinabzurutschen so verführerisch wie zwei Doppelstunden Mathe hintereinander für mich ist, haben sie die Schultern gezuckt und mich seither ignoriert.
Dann gibt’s eine Handvoll Leute, die ihre Nachmittage für Klimaschutz-Aktionen opfern. Am Anfang fand ich das ziemlich cool. Ich war schließlich auch schon in Dublin bei einer Klimademo. Aber zu der Zeit war meine Familie noch nicht im Alles-ist-plötzlich-topsecret-und-wir-sind-jetzt-undercover-Modus. Und natürlich war meine Ma ausgerechnet an dem Tag hier in Deutschland in der Stadt unterwegs, als ich mit dem selbst bemalten Pappschild mit dem Slogan »Es gibt keinen Planeten B« durch die Fußgängerzone gezogen bin. Sie ist plötzlich wutschnaubend aus einem Café gestürmt, hat mein Schild gepackt und in die nächste Mülltonne geworfen und anschließend gedroht, dass ich eine Woche Hausarrest kriege, falls ich nicht sofort mit ihr mitkomme. Danach hat Felix gesagt, ich könnte nur wieder in die Gruppe, wenn ich den Mumm habe, mich vor der Schule auf der Kreuzung mit Sekundenkleber festzukleben. Das war dann doch eine Nummer zu krass für mich. Sicherheitshalber habe ich mich nach dieser Erfahrung auch von der dritten Schulclique ferngehalten – den Fashion Queens. Wer weiß, was die von mir als Initiationsritual verlangt hätten? Vielleicht Ganzkörperenthaarung mit Heißwachs oder Permanent-Make-up? Da bleib ich lieber im Club der Einzelgänger, wie Ben, der seine Freizeit damit verbringt, seine niedliche Border-Collie-Hündin Zora für das nächste Agility-Turnier in Topform zu bringen, oder Stella, die Streberin, die vermutlich bis zu den Spätnachrichten einfach die Nachmittage durchbüffelt. Jeder hat schließlich sein eigenes Ding, oder? Auch wenn ich meines irgendwie bisher nicht für mich entdeckt habe.
Beim Frühstück wirft mir Ma über ihre Kaffeetasse hinweg einen strengen Blick zu, während Liam sich schuldbewusst ins andere Eck der Bank drückt. Er hat dieselben dunklen Locken wie Dad und sieht daher ein bisschen aus wie Timothée Chalamet, nur mit niedlicher Stupsnase und Sommersprossen, weshalb ich ihm einfach nie lange böse sein kann. Und dass er die Aktion mit meinen Tabletten von gestern bereut, kann ich ihm von besagter Stupsnase ablesen. Während ich ihn mustere, wird mir wieder einmal bewusst, wie anders ich aussehe. Dad meint, ich habe meine kastanienbraunen Haare von meinem Großvater und die grünblauen Augen von meiner Großmutter. Beide habe ich nie kennengelernt. Sie sind vor meiner Geburt nach New York gereist und dort bei den 9/11-Anschlägen umgekommen. Zumindest vermutet Dad das, denn ihre Überreste wurden nie gefunden oder zumindest nicht identifiziert. Traurig schiebe ich den Gedanken beiseite. Von unseren Großeltern mütterlicherseits lebt noch meine deutsche Oma Alexandra, die ich jedoch nur von Fotos kenne. Wobei, das könnte sich ja nun ändern …
»Ma, können wir eigentlich mal unsere Oma besuchen?«, frage ich.
Meine Mutter verschluckt sich an dem Kaffee und stellt hustend die Tasse ab. Sie streicht sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr und wirft mir einen misstrauischen Blick zu. »Wie kommst du denn darauf?«
»Na, weil wir jetzt doch in Deutschland leben.«
Ma seufzt, und ihre Miene wird weich. »Tut mir leid, Mags. Ich kann verstehen, dass es für euch unangenehm ist, dass ihr keine Familie außer deinem Vater und mir habt.«
»Dad reist ja auch ständig in der Welt herum«, murmelt Liam bekräftigend in seine Kakaotasse.
»Aber eure Oma und ich haben uns nie sonderlich gut verstanden«, fährt Ma an ihn gewandt fort. »Sie war sehr wütend, als ich mit siebzehn von zu Hause abgehauen und nach London gezogen bin. Das hat sich auch nicht geändert, nachdem ich euren Vater kennengelernt habe. Ich habe sie viele Jahre nicht gesehen, und als ich sie wieder besucht habe, war es für eine Versöhnung zu spät. Sie war geistig völlig verwirrt, ihr Haus das eines Messies. Deshalb habe ich sie in einem Heim am Starnberger See untergebracht.«
Eine vage Erinnerung blüht plötzlich in mir auf, wie ich auf Dads Schoß sitze und weine, weil alle anderen Kinder eine Ma haben, nur ich nicht, und er mir erzählt, dass meine Mutter auf einer weiten Reise ist. Er hat dabei selbst sehr traurig ausgesehen. Damals haben wir in Spanien gelebt, wo Dad eine Ausgrabung leitete. Vermutlich hat es eine ganz schöne Weile gedauert, bis Ma damals alles in Deutschland geregelt hatte.
»Ich weiß, das hast du uns schon mal erzählt«, sage ich jetzt. »Aber trotzdem könnten wir sie doch mal dort besuchen. Ist schließlich nicht weit weg von hier. Vielleicht freut sie sich.«
»Nein«, erwidert sie schroff und legte ihr Besteck beiseite. »Ich möchte das nicht. Für euch wäre das nur belastend«, sie wirft einen Seitenblick zu Liam, »und ich bin mir nicht sicher, ob es sie nicht ebenfalls aufwühlt und ihren Zustand hinterher verschlechtert. Zumindest müsste ich das vorab mit den Ärzten absprechen.«
»War ja nur eine Idee, weil wir sonst keine Verwandten haben.«
»Tja, das können wir nun mal nicht ändern.« Der verständnisvolle Ton ist aus ihrer Stimme verschwunden, und sie klingt jetzt schnippisch.
Liam und ich wechseln heimlich einen Blick. Ma stellt unterdessen ihre Kaffeetasse auf den leeren Teller, steht auf und bringt beides in die Küche.
»Ich muss los«, ruft sie über ihre Schulter hinweg, während sie klappernd die Spülmaschine einräumt und sich noch einen Coffee-to-go aus dem Kaffeeautomaten zieht, wie wir dem Mahlgeräusch der Maschine entnehmen können. Angeblich ist der Kaffee in ihrer Arbeit dünn wie Tee. Bei ihrem langweiligen Bürojob wenig hilfreich. »Kann ich mich darauf verlassen, dass du Liam pünktlich zur Schule bringst?«
Liam zuckt zusammen. »Kannst du mich nicht mit dem Auto fahren, Ma?«, quengelt er.
Ich verdrehe die Augen. »Hey, ich reiß dir nicht den Kopf ab wegen der Pillen, okay?«, flüstere ich.
Er beißt sich auf die Unterlippe. »Tut mir echt total leid, Mags«, nuschelt er und sieht jetzt wirklich wie ein Häufchen Elend aus. »Das war kacke von mir, ich war halt nur so sauer wegen Philipp.«
»Was hat denn der damit zu tun?«, murmle ich kauend.
»Philipp gibt ständig in der Klasse an, wie weit er schon in Clash of Clans ist. Sein Vater kauft ihm Unmengen von Juwelen, und er hat auch so eine Strategie für mich und Thorben entwickelt, die wir fahren sollen, damit Philipp vorankommt. Ist scheiße genug, dass ich nicht so viel Taschengeld für mehr Juwelen habe. Aber jetzt sind die bestimmt sauer auf mich, weil ich gestern nicht mehr on war. Du weißt doch, auf meinem alten Handy läuft das Spiel nicht mehr richtig. Der Mist bleibt ständig hängen, und der Bildschirm friert ein.«
Ich hebe die Augenbrauen. »Sekunde mal, hab ich das richtig verstanden? Philipps Papa stellt Strategien für euch andere auf? Ist der arbeitslos oder was?«
»Keine Ahnung.« Er verzieht den Mund. »Ich find das auch irgendwie komisch. Vor allem«, er holt einen zerknitterten Zettel heraus und reicht ihn mir über den Tisch, »wenn Thorben und ich das jetzt so spielen, hat eigentlich nur Philipp was davon. Aber die zwei sind eben die einzigen Freunde, die ich hier habe, und die will ich nicht verlieren.«
Ma erscheint mit ihrem Thermobecher in der Tür. »Was hast du gerufen, Schatz?«
»Nichts Wichtiges. Hoffentlich hast du heute einen schönen Tag, Ma!« Liam strahlt sie an, und ich unterdrücke ein Grinsen. Schwindeln und Ma um den Finger wickeln hat er eindeutig besser drauf als ich.
»Wir fahren gleich mit den Rädern los«, versichere ich ihr.
Sie schenkt uns noch ein letztes Abschiedslächeln, und sobald sie nach draußen verschwunden ist, schnappe ich mir den genialen Plan von Philipps Dad. Der Kerl hat ganz schön einen an der Klatsche! »Hör mal, das musst du wirklich nicht machen. Wie findet Thorben das denn?«
Liam zuckt die Schultern. »Auch irgendwie kacke.«
»Dann zockt doch einfach nur ihr zwei zusammen. Du solltest jedenfalls nicht die Juwelen, die du von deinem Geld kaufst, dafür ausgeben, dass am Ende Philipp besser im Spiel dasteht.« Kopfschüttelnd reiche ich ihm den Zettel zurück.
»Hm. Aber du sagst Ma nichts davon, oder?«
»Nur wenn du ihr nicht petzt, dass ich keine Tabletten mehr habe. Sie tickt sonst noch völlig aus und befreit mich von der Schule, um mich daheim unter Beobachtung zu haben, falls … keine Ahnung, ich zu einem Marsmenschen mutiere?«
»Kannst du nicht einfach die von der neuen Packung schlucken?« In Liams riesigen Augen spiegelt sich pure Ahnungslosigkeit.
Anscheinend hat er wirklich nicht die Diskussionen in den vergangenen zwei Wochen wegen der fehlenden Lieferung mitbekommen. Ma hat schon zweimal in London angerufen. Falls die Mafia, oder wer auch immer hinter Dad her ist, von meiner seltenen Allergie Wind bekommt, müssen die nur die Adressänderung beim Pharmalieferanten nachverfolgen. Aber das scheint Ma seltsamerweise nicht zu kümmern.
»Die haben wohl gerade Lieferengpässe. Das waren die letzten Pillen.«
»Was? Das wusste ich nicht, Mags, ehrlich!«, ruft Liam erschrocken.
Ich wuschle ihm durch die Locken. »Ich weiß. Und heute Abend kriegst du auch mein Tablet. Aber lass es nicht wieder fallen, und sag Philipp, dass du deine eigene Strategie fährst, klar? Soll er sich doch einen anderen suchen, der das mitmacht.«
Liam nickt und schenkt mir ein breites Zahnspangenlächeln.
Das Einzige, was an diesem öden Kaff gut ist, sind der See um die Ecke und die kurzen Wege. Mit den Rädern sind wir in nicht mal einer Viertelstunde bei der Schule. Das villenähnliche Gebäude mit Säulen und einem mächtigen Eingangsportal ist so zitronengelb, dass man fast blind wird beim Draufschauen. Außerdem hat es altmodische grüne Fensterläden, die niemand jemals anrührt, aus Angst, sie könnten aus den Angeln fallen. Vor den Fahrradständern lungern die Fashion Queens und ein paar Mädchen aus anderen Klassen herum. Sie blockieren den Weg zu den letzten freien Plätzen. Bevor ich sie jedoch auffordern kann, mal Platz zu machen, höre ich Jasmin sehnsüchtig seufzen.
»Und er kommt auch noch in unsere Stufe! Wie krass ist das bitte?«
»Bestimmt ist er von so ’nem englischen Elite-Internat, so wie der aussieht. Geht rudern oder spielt Polo.«
England? Hat Der-nicht-genannt-werden-darf uns etwa schon aufgespürt? Abrupt drehe ich mich um, um ihren verzückten Blicken zu folgen. Aber am Eingang zur Schule steht nur ein Junge in schwarzen Jeans und engem Shirt, die Hände in seinen Hosentaschen vergraben, den Rucksack lässig über die Schulter gehängt. Der sieht nicht so aus, als ob er vom MI6 stammen würde und meinen Vater aufspüren soll. Nein, er sieht … gut aus. Verdammt gut sogar. Und wird gerade von unserem Mathelehrer zugequatscht, der mit ausholenden Gesten zum Gebäude zeigt und ihm vermutlich erzählt, dass es bereits im Jahr 1905 erbaut wurde.
Der Junge wendet mir sein Profil zu, kantig, mit vollen, sinnlichen Lippen. Auf den ersten Blick wirkt er total lässig, doch etwas an seiner Haltung verrät eine unterschwellige Anspannung. Während ich ihn weiter anstarre und mich frage, wie viele Stunden man wohl täglich für solche muskulösen Oberarme trainieren muss, dreht sich der Typ plötzlich zu mir um, und da passiert es.
Mein Sichtfeld verengt sich irgendwie. Als ob unsichtbare Mauern von den Seiten emporwachsen würden, die meine Wahrnehmung einschränken und unscharf machen. Ein Blick aus ungewöhnlich hellen Augen trifft mich, und dann verschwimmt alles. Erschrocken umklammere ich den Lenker meines Fahrrads fester, der mir natürlich keinen richtigen Halt bieten kann. Dadurch gerate ich ins Wanken, und in meinen Ohren rauscht es.
»Scheiße, fall jetzt nicht in Ohnmacht!«, höre ich jemanden neben mir sagen, seltsam gedehnt, als wäre die Geschwindigkeit in meiner Hörbuch-App einen Tick langsamer eingestellt. »So krass ist der Neue nun auch wieder nicht.«
Ich blinzle, spüre, wie jemand nach meinem Arm greift und mich stützt. Als ich den Kopf von dem Typen abwende und zur Seite schaue, blicke ich in Stellas sommerhimmelblaue Augen.
»Hey. Hast du heute nicht gefrühstückt?«, fragt sie mit besorgter Miene.
»Hä?«, stammle ich und gewinne langsam wieder meine Fassung zurück. Was auch immer das gerade war, es ist zum Glück so schnell verschwunden, wie es mich überfallen hat.
»Na ja.« Sie zuckt die Schultern. »Meine Cousine hat Diabetes. Wenn sie unterzuckert ist, wird sie richtig blass, so wie du gerade eben, und ein paarmal ist sie schon umgekippt.«
Es folgen einige medizinische Ausführungen, und ich stöhne innerlich auf. Ausgerechnet vor der Streberin so einen Aussetzer zu haben – wie peinlich ist das denn! Zu dem Typen wage ich erst gar nicht zu blicken. Der denkt jetzt vermutlich, mir wäre wirklich wegen ihm … ja, was? Schwindlig geworden? Nein, das war es eigentlich nicht. Es fühlte sich eher so an, als ob meine Sinne mir einen Streich spielen. Wirklich seltsam. Das, was ich gesehen und gehört habe, kam mir irgendwie anders vor. Als wäre ich auf Drogen. Nicht, dass ich viel davon verstehen würde.
»Alles okay bei dir?«, fragt Stella und holt mich so zurück auf den Boden der Tatsachen. Ich stehe immer noch neben ihr, meine Hände verkrampft am Lenker meines Fahrrads.
»Sorry, ich weiß auch nicht, was das gerade eben war«, beeile ich mich, zu erklären. »Alles wieder im grünen Bereich. Vielleicht bin ich einfach zu schnell geradelt.«
Sie lässt meinen Arm los und lächelt zu mir auf. Stella ist einen halben Kopf kleiner als ich und so zierlich wie eine Elfe. Ihre dunkelblonden Haare hat sie heute am Hinterkopf festgesteckt, was ihr zusammen mit der goldmetallenen Eulenbrille einen richtigen Bücherwurmlook verpasst. Normalerweise steckt ihre Nase auch immer in irgendeinem Schulbuch, weshalb wir bisher kaum miteinander gesprochen haben, obwohl sie wie ich noch gar nicht lange hier an der Schule ist und wir in einigen Kursen nebeneinandersitzen.