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Band 1 und 2 eine aufregende Liebesgeschichte aus zwei Perspektiven Nach einer langen Zeit treffen sich die Kindheitsfreunde June und Kian. Beider Leben hat sich unterschiedlich entwickelt und doch spüren beide, dass sie mehr als Freundschaft verbindet. Schaffen Sie es ihre Träume miteinander zu verwirklichen? Band 3 Was, wenn du dich in zwei Menschen gleichzeitig verliebst? Simon flirtet seit Wochen mit Ella und ist erschüttert, als sie ihm ihren neuen Freund Dilan vorstellt. Er ist traurig über Ellas Ablehnung, aber auch verwirrt, weil Dilan ihm so vertraut scheint. Und warum macht Dilan einen Tag später mit Ella Schluss? Simon fühlt sich hin- und hergerissen und kann seine Gefühle gar nicht mehr einordnen. Dann kommt er hinter Dilans Geschichte – und muss schließlich Liebe ganz neu für sich definieren. Die Gesamtausgabe von Know Us von Jette Menger. Der Sammelband umfasst die drei Einzelbände: Know Us 1. Know me again. June & Kian Know Us 2. Know you again. Kian & June Know Us 3. Know Our Love. Ella & Dilan & Simon
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Band 1 und 2 eine aufregende Liebesgeschichte aus zwei Perspektiven
Nach einer langen Zeit treffen sich die Kindheitsfreunde June und Kian. Beider Leben hat sich unterschiedlich entwickelt und doch spüren beide, dass sie mehr als Freundschaft verbindet. Schaffen Sie es ihre Träume miteinander zu verwirklichen?
Band 3
Was, wenn du dich in zwei Menschen gleichzeitig verliebst?
Simon flirtet seit Wochen mit Ella und ist erschüttert, als sie ihm ihren neuen Freund Dilan vorstellt. Er ist traurig über Ellas Ablehnung, aber auch verwirrt, weil Dilan ihm so vertraut scheint. Und warum macht Dilan einen Tag später mit Ella Schluss? Simon fühlt sich hin- und hergerissen und kann seine Gefühle gar nicht mehr einordnen. Dann kommt er hinter Dilans Geschichte – und muss schließlich Liebe ganz neu für sich definieren.
Die Gesamtausgabe von »Know Us« von Jette Menger.
Der Sammelband umfasst die drei Einzelbände:
Know Us 1. Know me again. June & Kian
Know Us 2. Know you again. Kian & June
Know Us 3. Know our Love. Ella & Dilan & Simon
Für alle Schüchternen.
Früher
Wir kannten uns
waren wie Geschwister
konnten die Gedanken des und der anderen
in der Mimik lesen
konnten die Gefühle der und des anderen
auf hundert Meter Entfernung spüren
Wir waren eins
Eine Seele
Wir kannten uns
Früher
Ich bin in zehn Minuten da.
Noch vier.
Ich ließ den Bildschirm meines Handys schwarz werden und warf es aufs Sofa, um die Nachricht nicht noch ein weiteres Mal zu lesen. Meine Hände verschränkte ich ineinander, nur um sie im nächsten Moment wieder auszuschütteln. Fahrig strich ich mir durch meine braunen Locken.
Ich hätte Kian vom Flughafen abholen können, aber stattdessen war ich brav zu meinem letzten Kurs gegangen.
Jetzt konnte ich nur warten und von einer heißen Kohle zur nächsten springen.
Ich griff wieder nach meinem Handy.
Noch drei.
Auch das Hypnotisieren der Uhr ließ sie nicht schneller umspringen. Stöhnend warf ich das Telefon zurück aufs Sofa.
Immer noch drei Minuten.
Ruhig bleiben, June.
Ich stand auf und tigerte im Wohnzimmer auf und ab. Mein Atem ging unregelmäßig, und meine Handflächen schwitzten mittlerweile.
Als es an der Tür klingelte, zuckte ich zusammen. Mitten im Wohnzimmer blieb ich stehen und lauschte. Nicht sicher, ob ich mir das Geräusch vielleicht nur eingebildet hatte.
Aber nein, es klingelte erneut.
Langsam setzte ich mich in Bewegung. Ich ballte die Hände zu Fäusten und atmete in den Bauch.
Ich würde einem fremden Menschen die Tür öffnen.
Das waren wir inzwischen. Fremde.
Ich kannte seinen Lieblingsplatz nicht mehr und auch nicht den Ort, an dem er arbeitete.
Ich wusste nichts über sein Leben in Sydney.
Langsam durchquerte ich den Flur.
Meine Hände zitterten, als ich nach der Türklinke griff und ich brauchte mehrere Anläufe, um sie herunterzudrücken.
Das leise Klicken dröhnte laut in meinen Ohren.
Was, wenn wir uns nicht wiedererkannten?
Vielleicht hatten sieben Jahre Trennung bewirkt, dass wir keine Freunde mehr sein konnten.
Was würde ich dann tun?
Die Tür schwang auf.
Ich erstarrte.
Erst nach zwei Sekunden weiteten sich meine Augen, und aus Angst, den Boden unter den Füßen zu verlieren, klammerte ich mich an der Tür fest.
Da war er.
Kian.
Ich musste zweimal hinsehen, um ihn zu erkennen.
Bis auf die funkelnden Augen und das schiefe Lächeln erinnerte mich nichts mehr an den Jungen von damals.
Er hatte Tattoos. Das war das Erste, was mir auffiel. Schwarze Tinte zierte seine Ober- und Unterarme. Einzelne Wörter und Sätze waren für immer unter seiner Haut verewigt, zu klein, um sie von hier lesen zu können. Sein T-Shirt spannte über seinen breiten Schultern.
Ich schnappte nach Luft. Wann hatte mein pummeliger bester Freund Muskeln bekommen?
Er fuhr sich durch die Haare, die ihm nicht mehr bis über die Schultern reichten. Seine braunen Locken bildeten nur noch ein verstrubbeltes Etwas und waren nicht mehr lang genug, um sie zu einem Zopf zusammenzubinden.
Er musterte mich so eingehend, dass mir warm wurde.
Auch ich hatte mich verändert, meine Kleidung war schlichter geworden, ich trug mein Haar etwas länger und benutzte kein Make-up mehr.
Ob er mich wiedererkannte? Was er wohl dachte?
Seine Lippen formten ein tonloses Hey.
»Hey«, flüsterte ich zurück.
Das Lächeln, das er mir schenkte, löste endlich meine Schockstarre.
Es war Kians Lächeln.
Vertraut.
Ich konnte nicht sagen, wer sich zuerst bewegte, ob er zuerst seine Reisetaschen fallen ließ und die Arme ausbreitete, oder ob ich zuerst den Türrahmen losließ.
Mit einem einzigen Satz war ich bei ihm, schlang die Arme um seinen Körper und drückte ihn an mich.
Wie gut das tat.
Wie sehr ich das vermisst hatte.
Ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter und schloss die Augen.
Vertraut.
Er benutzte noch immer die gleiche, mir so sehr vertraute Seife. Die, deren Geruch sich nach Zuhause anfühlte, weil allein er so lange meine Definition von Heimat gewesen war.
Minze.
Ich entspannte mich.
Ich umarmte Kian. Den Mann, neben dem ich im Sandkasten gespielt hatte.
Einzelne Sätze gingen mir durch den Kopf, doch ich war zu durcheinander, um sie auszusprechen.
Schön, dich wiederzusehen.
Du hast mir gefehlt.
Ich lehnte mich zurück, um ihn anzusehen.
Ich brauchte nichts zu sagen, ich konnte sehen, dass er das Gleiche dachte.
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
»Du siehst erwachsen aus.«
Ich erstarrte. Seine Worte ließen mich die Umarmung auflösen.
Werd erwachsen, June.
Ich verdrängte den Spruch von damals in den hinteren Teil meines Hirns. Kian war nicht wie diese Menschen.
Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen. »Du bist jung geblieben.«
Seine Antwort war ein Grinsen, er wusste offenbar, was für eine Wirkung er im Vergleich zu damals hatte, jedoch nicht, was in mir vorgegangen war.
»Bist du es wirklich?« Gespielt schockiert tippte ich gegen seine Brust. »Du siehst nicht aus wie mein Kian.«
Er kräuselte die Stirn, als müsste er erst darüber nachdenken.
»Ich weiß, ich sehe besser aus.«
Ein Augenzwinkern.
Lässig fuhr er sich durchs Haar. Eine Geste, in der ich nichts von dem alten Kian erkannte. Es versetzte mir einen Stich, trotzdem grinste ich.
»Das sehe ich. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich mal nicht mehr wegen deinem nicht vorhandenen Bizeps aufziehen kann.«
Ich boxte gegen seine Schulter. Er lachte und ich stellte fest, wie sehr ich dieses Lachen vermisst hatte.
Langsam ließ er seinen Blick über meinen Körper wandern. Ein Funkeln lag in seinen Augen, als er antwortete. »Und ich hätte nie gedacht, dass ich dich mal nicht mehr wegen deiner nicht vorhandenen Brüste aufziehen kann.«
Hitze schoss mir in die Wangen, aber diese Seite an ihm kannte ich wenigstens. Kopfschüttelnd griff ich nach einer der beiden Reisetaschen, die er bei sich hatte.
»Komm doch erst mal rein, Bodybuilder.«
Eine einzelne Sekunde lang verdunkelten sich seine Augen. Seine Hand schloss sich um den Gurt der anderen Tasche und klammerte sich daran fest.
Ich trat einen Schritt zur Seite, um ihn durchzulassen.
War es Zufall, oder mied er meinen Blick?
Ich schloss die Tür hinter ihm, während er seine Schuhe von den Füßen trat.
Wir gingen ins Wohnzimmer. Kian lud seine Tasche mitten im Raum ab. Ich zwang mich, nicht auf die Muskeln zu starren, die dabei unter seinem Shirt zu sehen waren, und zog die andere Tasche neben ihn.
Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Über die gemütliche Sofaecke, den Holztisch, den wir zum Essen benutzten, und die große Regalwand, die größtenteils mit Büchern gefüllt war, aber auch meine Querflöte hatte darin Platz gefunden.
Kians Blick blieb an einem Foto hängen, das ich in einem Rahmen zwischen die Bücher gestellt hatte. Die Schwarzweißfotografie zeigte zwei Kinder, die sich in den Armen hielten. Kian küsste meine Stirn, während ich das Gesicht unglücklich verzogen hatte. Ich war an diesem Tag mit dem Fahrrad gestürzt und hatte mir die Knie blutig geschlagen. Kian hatte mir hochgeholfen und mich in den Armen gehalten.
Mein großer Bruder Jake hatte das Foto gemacht. Ich hatte eine Woche lang nicht mit ihm geredet, weil er sich lieber eine Kamera vor die Nase hielt, anstatt mir aufzuhelfen. Aber dann hatte ich das Foto gesehen und ihn geknutscht. Es war eine perfekte Momentaufnahme.
Dieses Bild zeigte, wie nah wir uns standen.
Wie nah wir uns gestanden hatten.
Ich wusste nicht, ob es noch immer so war. Aber Kians Lächeln ließ es mich fast glauben. Mit wenigen Schritten war er bei mir. Mein Blick folgte seinen Händen, die ein Portemonnaie aus seiner Hosentasche zogen. Er holte ein zerknittertes Foto heraus. Ich hielt den Atem an, als er es auseinanderfaltete und mir entgegenhielt. Es war das gleiche wie in meinem Bücherregal.
Für imer. stand in den krakeligen Buchstaben einer Sechsjährigen über unseren Köpfen. Damals hatte ich mich für die größte Poetin aller Zeiten gehalten. Heute brachte es mich zum Lächeln.
»Du hast es behalten«, flüsterte ich tonlos.
Entrüstet runzelte er die Stirn.
»Ich trage es immer bei mir.«
»Imer?«, fragte ich gespielt belustigt. Er verstaute das Foto wieder und sah mich ernst an.
»Für imer.«
Mein Herz machte einen Sprung. Mein Blick fand seinen und ich verlor mich in der Tiefe darin.
Ich trat einen Schritt vor.
Ich berührte ihn.
Meine Hand wanderte in seinen Nacken und sein Haar. Ich fing seine Locken ein, ließ sie durch meine Finger gleiten und zog leicht daran.
»Seit wann sind sie so kurz?«, fragte ich flüsternd, während ich fasziniert zusah, wie das Haar schon nach wenigen Zentimetern wieder meine Hände verließ.
»Erst seit Kurzem.« Er wich meinem Blick aus, als ich ihn ansah. »Ich habe sie geschnitten, bevor ich hergeflogen bin.«
Ich runzelte die Stirn. »Warum?«
Er sah mich wieder an, und für eine einzige Millisekunde war sein Blick offen, zeigte mir all den Schmerz, den er empfand, bis es vorbei war und ich glaubte, mir alles nur eingebildet zu haben.
»Wegen der Arbeit.« Er verschloss sich, als er mir antwortete. Er trat einen Schritt zurück und löste den Körperkontakt zwischen uns.
Ich fragte nicht weiter. Ich fragte nicht, was er gearbeitet hatte, und auch nicht, warum allein der Gedanke daran ihn so fertig machte. Ich kannte diesen Blick, den er aufsetzte, wenn er nicht darüber reden wollte. Und ich akzeptierte es.
Ich akzeptierte es, weil ich genau wusste, wie es sich anfühlte, nicht reden zu wollen.
Er ließ sich aufs Sofa fallen. »Wie geht es Ella?«, fragte er. Seine Lippen umspielte ein Grinsen, aber in seinem Blick lag noch immer der Schatten einer Erinnerung, von der ich keine Ahnung hatte.
Ich setzte mich ans andere Ende des Sofas, zog die Beine an meine Brust und schlang die Arme darum. »Sie kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen.«
Der traurige Ausdruck verschwand aus seinen Augen. Zurück blieb das Lächeln.
»Dachte ich mir.«
Wärme erfüllte mein Herz. Ella war die Einzige, die mir aus unserem damaligen Freundeskreis geblieben war.
»Ihr wart mir schon damals verfallen.«
Ich rollte die Augen.
»In deinen Träumen vielleicht.«
Er lachte und wackelte mit den Augenbrauen. »Glaub mir, June, in meinen Träumen spielst du die Hauptrolle.«
Wie konnte ein einzelner Satz mein Herz so schnell schlagen lassen?
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Seit wann ist dein Ego eigentlich so groß?«
Sein Lächeln erstarb. Er fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand.
Als er sich wieder zu mir umdrehte, war sein Gesicht eine kühle Maske.
»Was treibt Jase?«
Ich zuckte zusammen. Mein Herz trommelte. Ich hatte diesen Namen seit Jahren nicht mehr ausgesprochen gehört. Jeden einzelnen Tag aufs Neue versuchte ich ihn zu vergessen.
Ich wischte meine schwitzenden Hände an der Hose ab.
»Er hat die Stadt nach unserem Abschluss verlassen.«
Der einzige Grund, weshalb ich geblieben war.
Kian riss die Augen auf. »Oh«, formten seine Lippen.
»Wir haben keinen Kontakt mehr«, schob ich hinterher. Meine Stimme zitterte.
Ich wechselte das Thema.
Wir sprachen nicht mehr über die letzten sieben Jahre, und ich erzählte ihm nicht, wie sehr ich mich verändert hatte.
Simon reichte mir eine geöffnete Bierflasche, während Pekka seine feierlich in die Mitte des Tisches hob.
»Auf unseren neuen Mitbewohner.«
Wir stießen an.
Kian lächelte. Er hatte sich ein Hotel suchen wollen, aber ich hatte darauf bestanden, dass er zu uns in die WG zog.
»Danke, dass ihr mich unterkommen lasst«, meldete er sich zu Wort.
»Na logo, Junes Freunde sind immer herzlich willkommen.« Pekka grinste breit. Er setzte seine Flasche an die Lippen und stürzte den halben Inhalt hinunter.
»Wie lange willst du bleiben?«, fragte ich und nippte an meinem eigenen Bier.
Hoffentlich für immer.
Kian zuckte die Schultern. »Kommt drauf an, wie lange ich dich ertrage.«
Ich ignorierte die Tatsache, dass er mir mit einem Witz auswich, und schnaubte. »Oder ich dich.«
Pekka lachte laut auf. »Ich mag dich, Kumpel.«
Auch wenn er sich große Mühe gab, war sein Akzent kaum zu überhören. Er kam aus den Niederlanden, und diesem Akzent war die Hälfte seiner Bettbekanntschaften verschuldet.
Auch ich zählte dazu.
Ich lernte ihn an meinem neunzehnten Geburtstag kennen. Betrunken. Die schlechteste Voraussetzung, um nicht mit ihm im Bett zu landen. Und so hatte ich mein erstes Mal mit einem Mann, der jeden einzelnen Tag ein schwarzes T-Shirt und eine blaue Jeans trug, dessen Haare einem ebenfalls fast schwarz erschienen und der ein Arschloch war.
Ich war mir sicher, dass wir nur Freunde waren, weil er unsere Nacht vergessen hatte. Keine seiner Sexbekanntschaften bekam ihn noch mal zu Gesicht.
Es klingelte an der Haustür, und Pekka erhob sich. Kurz darauf war er mit vier Pizzakartons zurück. Er war mit Kochen dran gewesen, aber Pekka konnte nicht mehr zubereiten als eine Wodka-Orangensaft-Mische.
Er klopfte Kian auf die Schulter und stellte einen Karton vor ihm ab. »Du hast einen schlechten Tag erwischt, Mann.«
Schwerfällig ließ er sich zurück auf seinen Stuhl fallen.
»Wenn Simon kocht, gibt es das gute Essen.«
Simons Lippen umspielte ein Lächeln. Er machte eine Ausbildung zum Koch und war jetzt schon besser, als viele Sterneköche. Ich war überzeugt davon, dass er eines Tages selbst einer werden würde.
Wir tauschten einen wissenden Blick, als Kian versicherte, er würde Pizza lieben.
Irgendwann konnte man sie einfach nicht mehr sehen.
»Wenigstens einer, der meine Pizza zu schätzen weiß.« Pekka nickte Kian zu, während Simon aufstöhnte.
»Dieser Haushalt ist so schrecklich demütigend für einen Koch.«
Grinsend klappte ich meinen Pizzakarton auf.
Ich redete nicht viel während des Essens. Ich lachte über die Witze der anderen, hörte ihren Geschichten zu, erzählte selbst aber keine. Pekka und Simon waren das gewöhnt. Kian nicht. Ich erkannte den Blick, den er mir zuwarf, der mir signalisierte, dass er mein Schweigen bemerkt hatte. Nur wusste er nicht, dass dieses Schweigen mittlerweile normal war.
Nach dem Essen schauten wir Guardians of the Galaxy. Simon hatte beinah jeden Superheldenfilm auf Platte, und er war auch der Grund, weshalb in unserer WG kein anderes Genre mehr geschaut wurde. Lächelnd kam ich Kians Aufforderung nach, als er neben sich aufs Sofa klopfte.
»Pekka«, sagte ich und zeigte neben ihn. »Decke, bitte.« Auffordernd streckte ich die Hand aus. Er grinste mich an, griff nach der Decke, kuschelte sich selbst darin ein und schnurrte zufrieden.
Mistkerl.
Simon ließ sich neben ihn fallen, während er synchron mit Kian lachte. Bittend sah ich ihn an. Er warf mir eine Decke zu. Ich fing sie auf und funkelte Pekka an.
»Wenigstens wohnt ein Gentleman in diesem Haus.«
»Oh, ich bin sicher, jetzt hast du zwei«, gab Pekka ungerührt zurück, während er nach der Fernbedienung griff, um die Sprache einzustellen.
Ich wechselte einen Blick mit Kian. Er grinste mich an. Wir teilten uns die Decke und richteten unsere Aufmerksamkeit auf den Fernseher. Meine Augenlider wurden schon nach wenigen Minuten schwerer. Ich hatte die letzte Nacht vor Aufregung nicht geschlafen, und auch die drei Kaffee, die ich heute getrunken hatte, konnten nicht verhindern, dass mir jetzt Schlaf fehlte.
Ich glitt über in eine Welt ohne Probleme, in der Kian meinen Namen flüsterte und mir die Haare aus der Stirn strich.
Schöner Traum.
Seine Berührungen fühlten sich echt an und ließen mich die Augen öffnen. Kians Gesicht tauchte in meinem Blickfeld auf. Schöner Traum.
Und echt real. Meine Lider fielen wieder zu. Erneut flüsterte jemand meinen Namen.
Ich öffnete die Augen, und dieses Mal wurde ich wach. Ruckartig setzte ich mich auf und starrte ihn an. Ich blinzelte.
»Du bist hier.«
Ich schlang beide Arme um Kian und zog ihn an mich.
Leise lachte er. »Natürlich bin ich hier.«
Natürlich war er das. Wir hatten zusammen Pizza gegessen und uns eine Decke geteilt.
»Es ist zwei Uhr nachts, wir sollten ins Bett gehen.«
Mitten in der Nacht?
»Wie viele Filme habt ihr denn gesehen?«
Er nestelte an der Decke herum, die noch immer über mir ausgebreitet war.
»Nur einen.«
Vielleicht war ich noch zu müde, um klar zu denken, aber ich konnte mich nicht erinnern, dass dieser Film so lange ging.
»Möglicherweise habe ich dir eine Weile beim Schlafen zugesehen«, murmelte er. »Und die Chance ergriffen, ein Foto für die nächste Geburtstagskarte zu machen«, fügte er hinzu, bevor mein Herz schneller schlagen konnte.
Ich fluchte leise. Das hatten wir früher so oft getan. Noch heute besaß ich Karten, auf denen mein schlafendes Gesicht abgedruckt war. Ich boxte ihm gegen die Schulter.
»Wehe, es ist eine Nahaufnahme.« Drohend hob ich den Finger.
»Ist es«, erwiderte er.
Super, ich freute mich schon jetzt auf meinen nächsten Geburtstag.
Ich ließ meinen Kopf zurück in die Kissen fallen und gähnte. Ich war viel zu müde für solche Diskussionen.
Und viel zu faul, um ins Bett zu gehen.
»Lass uns hier schlafen«, murmelte ich und streckte eine Hand nach ihm aus.
Ein Zögern lag in seinen Augen.
»Kann ich meine Jeans ausziehen?«
Ich zuckte die Schultern und kuschelte mich tiefer in die Kissen. »Klar.«
Er legte sich zu mir. Automatisch rollten wir aneinander. Ich konnte seinen Herzschlag an meinem Rücken spüren.
Sieben Jahre,
Trennung.
Von seinen Armen und dem Geruch seiner Seife umgeben zu sein, war vertraut. Selbst nach all der Zeit.
Mein Herz hämmerte.
»June.« Seine Finger tasteten nach meiner Hand.
»Alles okay?«
Benommen nickte ich. Sein Daumen strich über meinen Handrücken.
»Du zitterst«, flüsterte er.
Er vergrub seine Nase in meinem Haar und zog mich näher. Erst da spürte auch ich das Zittern, von dem er gesprochen hatte. Es fuhr durch meinen gesamten Körper und ließ ihn an seinem beben.
Weil mich die Bewegung seines Daumens verrückt machte, verschränkte ich unsere Finger ineinander, damit er sie ruhig hielt. Er tat mir den Gefallen, aber das Kribbeln blieb auf meiner Haut zurück.
Eine Welle von Gefühlen überrollte mich. Ich schmeckte Salz, als die Tränen über meine Wangen rannen. Ich betete, dass Kian sie nicht bemerken würde, aber nach einer Weile war meine Nase so verstopft, dass ich sie hochziehen musste, und dieses Geräusch ließ seinen Körper an meinem verkrampfen.
»June«, stieß er leise hervor. Ich antwortete nicht, und so zog er mich einfach mit sich, als er sich auf den Rücken legte. Ich wollte mich wegdrehen, wollte ihn lieber nicht ansehen, doch anscheinend hatte ich vergessen, wer Kian war. Sanft umfasste er mein Kinn und hob es an, sodass mein Blick seinem begegnete. Er wartete auf eine Erklärung, darauf, dass ich irgendetwas sagte. Aber sein viel zu intensiver Blick nahm mir die Worte.
»Was ist denn los?«
Ich schloss die Augen, um seinem Blick zu entkommen. Mit jedem Zittern meines Körpers zog er mich näher an sich, als würde er mich mehr halten wollen. Dabei war es genau das, was meinen Körper zum Beben brachte.
»Kannst du mich loslassen?«, fragte ich und öffnete erst danach die Augen.
Er tat, worum ich ihn gebeten hatte. Dann drehte er sich zu mir, sodass wir uns ansehen konnten, uns aber an keiner einzigen Stelle mehr berührten.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass wir wieder nebeneinanderliegen« flüsterte ich, als das Zittern langsam meinen Körper verließ. All die Emotionen, die ich damals, als er gegangen war, gespürt hatte, drangen wieder an die Oberfläche, und die Tränen spülten sie aus mir heraus. Sein Blick wurde weich. Er streckte die Hand aus, um eine Träne aufzufangen, zog sie aber wieder zurück, als ich scharf die Luft einzog.
»Ich werde nie wieder weggehen«, versprach er, und das Zittern in seiner Stimme war kaum zu überhören.
Ich werde dich nie wieder gehen lassen.
Ich sprach die Worte nicht aus.
Blinzelnd schlug ich die Augen auf. Licht schoss auf meine Netzhaut. Um dem Grellen zu entkommen, rollte ich mich auf die Seite. Langsam erkannte ich die Umrisse des Wohnzimmers. Mein Blick fiel auf den Teppich. Kian lag auf dem Boden, alle viere von sich gestreckt auf dem Bauch. Anscheinend war das Sofa zu eng geworden.
Ich unterdrückte ein Lachen und streckte mich, um an mein Handy heranzukommen. Das würde ein sehr schönes Bild für die nächste Geburtstagskarte geben. Rache war eben süß.
Mein Handy verriet mir, dass es bereits kurz nach elf war. Ich wühlte mich aus der Decke und hockte mich neben Kian.
Einen Moment sah ich ihn an und konnte nicht glauben, dass er hier in meiner Wohnung war.
Vorsichtig berührte ich ihn an der Schulter, um ihn zu wecken.
Keine Reaktion.
Typisch.
Ich verdrehte die Augen.
Meine Hände wanderten in sein Haar und massierten seine Kopfhaut.
Ich flüsterte seinen Namen, aber auch davon wachte er nicht auf. Erst als ich an seiner Schulter rüttelte und seinen Namen fast brüllte, regte er sich.
Stöhnend drehte er sich auf den Rücken und schlug die Augen auf. Als sein Blick auf mich fiel, lächelte er.
Dann verzog er das Gesicht.
»Du musst dir dringend neue Matratzen kaufen, die sind eindeutig durchgelegen.«
»Könnte daran liegen, dass du auf dem Teppich liegst«, erwiderte ich ungerührt.
Er kniff die Augen zusammen, setzte sich auf und sah sich um. Seine Hand fuhr über die weichen Fransen des Teppichs.
»Das müssen wir ändern.«
Schneller, als ich es angesichts seiner geistigen Kompetenz am Morgen für möglich gehalten hätte, war er auf die Beine gesprungen. Ich starrte ein wenig zu lange auf sein Lächeln und bemerkte erst, dass er mich an den Hüften gepackt hatte, als wir taumelten. Unsanft landeten wir auf dem Sofa. Ich griff nach einem Kissen, um es ihm ins Gesicht zu werfen, erwischte allerdings nur seine Schulter. Er warf es zurück. Und als wären wir wieder sechzehn, rauften wir miteinander. Wir bewarfen uns mit Kissen, versuchten einander auszuweichen und lachten so sehr, dass mir irgendwann der Bauch wehtat.
Es war wie früher.
Nur dass Kian mich früher nach seinem Sieg vom Bett geschubst hätte. Heute zog er mich in seine Arme. Nicht so dicht wie gestern Nacht, aber dennoch dicht genug, dass meine Haut schon wieder kribbelte.
»Ich brauche einen Kaffee«, verkündete ich, um seiner Umarmung zu entkommen.
Ich setzte mich auf, und Kian ließ mich los. Grinsend verschränkte er die Arme hinter dem Kopf. Ich rollte die Augen.
»Möchtest du kein Gentleman sein und mir einen machen?«
Er schüttelte den Kopf und schwang die Beine über die Sofakante.
»Ich möchte ein Gentleman sein und dich ausführen.«
Er stand auf. Stirnrunzelnd sah ich ihm dabei zu, wie er in seiner Reisetasche wühlte, die noch immer mitten im Wohnzimmer stand.
Er zog frische Boxershorts heraus und eröffnete damit den Kampf um das Badezimmer.
Ich sprang auf und sprintete los.
Kian fluchte hinter mir. Ich schlug ihm die Badezimmertür direkt vor der Nase zu.
Ha!
Beinahe triumphierend quittierte ich das Stöhnen hinter der Tür mit einem lang gezogenen »Ohhh.«
»Komm schon June, lass mich wenigstens Zähneputzen, während du duschst.«
Keine Chance.
Ich summte einen Song von Paramore und hielt mein Gesicht unter den warmen Wasserstrahl.
Es war so unwirklich. Bis vor Kurzem hatte ich nicht einmal gewusst, ob ich Kian jemals wiedersehen würde, und jetzt wohnten wir zusammen und stritten uns ums Bad.
Ich blieb länger im Bad, als es notwendig gewesen wäre, einfach nur um ihn zu ärgern.
Ich nahm mir ein Handtuch von der Ablage neben der Dusche und noch während ich mich darin einwickelte, bemerkte ich meinen Fehler. Kopfschüttelnd entriegelte ich die Tür und lugte um die Ecke. Schnell durchquerte ich den Flur und verschwand in meinem Zimmer. Ich wollte schon erleichtert ausatmen, da traf sein Blick meinen. Kian saß auf dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Seine Reisetaschen lagen vor ihm auf dem Boden, anscheinend hatte er mein Zimmer gefunden, ohne dass ich ihm je gesagt hatte, hinter welcher Tür es sich befand.
Er grinste.
»Da hat wohl jemand die Klamotten vergessen.«
Überall da, wo seine Blicke mich trafen, glühte meine Haut.
»Kian, geh duschen.«
Er dachte nicht daran, den Blick von mir zu nehmen.
Ich hätte es wissen müssen. Es war ein Fehler gewesen, ohne neue Klamotten ins Bad zu hechten.
Umständlich nestelte ich an dem Handtuch, versuchte, es gleichzeitig höher- und weiter runterzuziehen, was mir irgendwie nicht gelingen wollte. Kian brachte es zum Lachen.
Idiot.
Jedes einzelne meiner Körperteile stand in Flammen.
»Kian, raus jetzt.« Ich deutete auf die Tür.
Er ließ sich Zeit damit, seine Sachen aus der Tasche zu holen.
Ich starrte auf seine Seife.
Minze.
Heimat.
Er zwinkerte mir zu und verzog sich. Endlich konnte ich wieder freier atmen.
Ich wollte das Handtuch gerade zur Seite legen und mich anziehen, da wurde meine Zimmertür wieder aufgerissen.
»Mist.«
Ganz langsam drehte ich mich um. Kian lehnte im Türrahmen und grinste.
»Ich hatte gehofft, du bist nackt.«
Ich funkelte ihn an.
»Das wirst du sicher niemals zu Gesicht bekommen«, motzte ich los.
Hat er schon vor Jahren.
»Challenge angenommen.« Seine Augen funkelten.
»Kian, es gibt keine Challenge.«
Er zog die Augenbrauen hoch und grinste. Ich wedelte mit der Hand, um ihn zu verscheuchen.
»Hau schon ab.«
Er zog die Tür ins Schloss, allerdings nicht ohne mir vorher eine Kusshand zuzuwerfen. Ich zog nur eine Grimasse. Dieses Mal wartete ich, bis die Badezimmertür klappte. Ich öffnete meine Schublade und zog mir endlich etwas an, wobei ich mich für eine weite, bequeme Hose und einen langärmligen Rollkragenpulli entschied.
Kian stand zehn Minuten später wieder im Türrahmen, komplett angezogen. Natürlich war er so schlau gewesen, seine Klamotten gleich mitzunehmen.
Seine nassen Haare standen in die verschiedensten Richtungen ab, und ich widerstand dem Drang, sie zu berühren.
Er stützte sich mit den Händen an den oberen Türrahmen und ließ sich ein Stück nach vorne sinken. Selbst an der Innenseite seiner Oberarme hatte er Tattoos. Ich konnte die Schrift zwar nicht lesen, aber auch aus der Entfernung hatte es etwas Ästhetisches.
»June …«
Er löste sich vom Türrahmen und blieb direkt vor mir stehen.
»Starr mich nicht so an.« Seine raue Stimme strich über mich hinweg und ich erschauderte. »Sonst kann ich für nichts garantieren.«
Was? Ich schnappte nach Luft.
»Du bist auch heiß geworden.« Er wackelte mit den Augenbrauen, um seine Worte abzuschwächen.
Ich trat einen Schritt zurück.
Sie ist heiß.
Übelkeit brannte in meiner Kehle.
Was meint ihr, Jungs, sollten wir uns heute Nacht an ihr verbrennen?
Nur Wörter. Warum konnten sie mich noch immer so zu Boden schmettern?
Ich trat noch einen Schritt zurück. »Wir wollten frühstücken gehen.« Mechanisch fuhr ich mir durch die Haare. »Sollen wir los?« Ich begann zu faseln.
Kians Augen weiteten sich. Jetzt war er derjenige, der mich anstarrte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich kam ihm zuvor.
»Super, los geht’s.« Ich ging zur Wohnungstür und öffnete sie.
»Ey«, schnaubte er hinter mir. Seine Hand schloss sich um meinen Arm. Ich drehte mich wieder um. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und musterte mich finster.
»Tu nicht so, als könnte ich nicht sehen, dass etwas nicht stimmt.«
Mein Herz sank in die Tiefen. Es kostete mich all meine Kraft, nicht gegen seine Brust zu sacken und die Arme um ihn zu schlingen.
»Was habe ich Falsches gesagt?«, fragte er leise. Seine Augen bettelten um eine Antwort.
Ich wandte den Blick ab.
»Nichts.«
Scharf atmete er ein.
Ich befreite mich aus seinem Griff und ging endlich durch die Tür. »Es ist alles in Ordnung, Kian.«
Schweigend sah er mich an. Langsam schüttelte er den Kopf, als könnte er nicht verstehen, warum ich mich so verschloss.
Wie angewurzelt blieb ich stehen.
Ich wusste, wo wir hingingen.
Diese Seitenstraße von Bath war mir vertraut. Die bernsteinfarbene Fassade war mir schon als Kind wie der Ausschnitt aus einem Märchen erschienen, heute raubte sie mir den Atem.
Kian drehte sich zu mir um und lief rückwärts. Er breitete die Arme aus und forderte mich zum Weitergehen auf. Obwohl es ein typischer grauer Märztag war, hatte er eine Sonnenbrille auf der Nase, die sein halbes Gesicht verdeckte.
Zögernd folgte ich ihm.
Sieben Jahre.
Ich wusste nicht, ob ich vor Freude losrennen oder lieber in die entgegengesetzte Richtung davonlaufen wollte.
Von außen hatte sich das Clara’s kaum verändert. Noch immer standen dort die gelben Sonnenschirme und die braunen Tische und Bänke vor der Tür.
Diesmal war es Kian, der stehen blieb. Leider verdeckte die Sonnenbrille seine Augen und somit auch seine Gefühle.
Ich trat neben ihn.
Sieben Jahre.
Langsam drehte Kian den Kopf zu mir. »Lass mich raten.« Er lächelte. »Sie haben noch immer den besten Kaffee der Stadt?«
Ich zuckte die Schultern und wandte mich zur Seite. Er runzelte die Stirn.
»June, wann warst du das letzte Mal hier?«
Ich schluckte und sah ihn wieder an. Mein Gesicht spiegelte sich in seiner Sonnenbrille.
»Vor sieben Jahren, mit dir«, brachte ich hervor. Ich war in ein tiefes Loch gefallen, als er damals ging. Jede Erinnerung hatte mich ihn nur noch schmerzlicher vermissen lassen. Hätte Ella mich nicht aus diesem Loch herausgeholt, würde ich vielleicht noch immer an seinem Boden liegen.
Wir näherten uns dem Eingang. Ich erkannte all die liebevollen Details wieder. Sogar die kleine Tafel, auf die jeden Morgen eine neue Lebensweisheit geschrieben wurde, hing noch neben der Eingangstür. Die typische Bernsteinfarbe der Häuser war an dieser alten Fassade inzwischen braun geworden und zeigte, wie viele Geschichten in den Mauern steckten.
Erfreue dich an schönen Erinnerungen.
Die heutige Lebensweisheit zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht.
Der vertraute Kaffeegeruch stieg mir in die Nase, als wir das Clara’s betraten, und ich atmete augenblicklich tiefer ein. Ich erkannte jeden Winkel, als wir nach hinten durchgingen. Kaum etwas hatte sich verändert. Die Zeit war hier drinnen stehen geblieben, während wir draußen weitergelebt hatten. Sogar unser Tisch stand noch in der kleinen Nische am Fenster. Kian schluckte hart, als er die Macke im Holz bemerkte. Ich streckte die Hand aus, um sie zu berühren.
Kian hatte damals seine Tasse fallen gelassen, als ich ihm erzählte, dass ich mit Blake Warton geknutscht hatte.
Wir setzten uns einander gegenüber, genau wie damals.
Die Bedienung war allerdings neu und hieß Betty, wie sie uns mitteilte. Kian bestellte für uns beide, und es überraschte mich, dass er noch immer wusste, wie ich meinen Kaffee trank.
Ich sabberte beinah, als das Getränk fünf Minuten später vor mir abgestellt wurde. Ein Blick über den Tassenrand ließ mich entzückt aufseufzen. Noch in derselben Sekunde führte ich die Tasse an die Lippen. Es war mir egal, dass ich mir den Gaumen verbrannte. Genießerisch schloss ich die Augen und erst, als ich sie wieder öffnete, um die Tasse abzustellen, bemerkte ich, dass Kian mich beobachtete.
Er hatte sich die Sonnenbrille ins Haar geschoben.
Ohne den Blick von mir zu nehmen, trank er auch einen Schluck von seinem Kaffee.
»Ich kann nicht fassen, dass ich nie hier war.« Ich drehte meinen Kopf, um möglichst viel von dem Treiben um uns herum einzufangen. »Ich glaube, ich wäre dir hier näher gewesen.«
Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, wollte ich sie auch schon wieder zurücknehmen, denn über Kians Gesicht huschte ein überraschter Ausdruck. Aber bevor ich meine Worte ernsthaft bereuen konnte, war sein Lächeln zurück.
»So sehr hast du mich vermisst?«, neckte er mich. Ich verdrehte die Augen.
Als ob er das nicht wusste.
Er stellte seine Tasse ab und wurde wieder ernst.
»Es tut mir leid, dass ich damals gegangen bin.« Sein Blick verdunkelte sich.
Ich schüttelte den Kopf.
»Du konntest nichts dafür, es war nicht deine Entscheidung.« Ich schob die Kaffeetasse ein Stück zur Seite und legte meine Hand auf seinen Arm. Ich suchte seinen Blick und sah ihn fest an.
Nichts war seine Schuld. Nicht, dass er wegen des Jobs seiner Eltern ans andere Ende der Welt ziehen musste und auch nicht, dass es mir beschissen ergangen war.
»Glaub mir, hätte ich irgendwas tun können, um zu bleiben, ich hätte es getan«, murmelte er.
Ich würde ihm niemals von damals erzählen können. Er würde sich viel zu viele Vorwürfe machen.
»Das weiß ich, Kian.« Ich drückte kurz seinen Arm. »Wirklich.«
Er wollte etwas erwidern, doch noch bevor ein einziges Wort seine Lippen verlassen konnte, rief jemand unsere Namen.
Ein älterer Herr kam auf unseren Tisch zu.
Mit nur wenigen Schritten erreichte er den Tisch und scherte sich nicht darum, dass uns das gesamte Café anstarrte.
Mich dagegen trafen die Blicke wie Messerspitzen.
Ich zog automatisch den Kopf ein und meine Hand von Kians Arm. Wir lehnten uns beide in unseren Stühlen zurück. Kian verschränkte grinsend die Arme.
Der Mann strahlte. Ich sah ihn mir etwas genauer an. und auf einmal kam er mir bekannt vor. Ganz langsam dämmerte mir, wer er war.
Olaf.
Oh heilige Scheiße.
Es war Olaf.
Ich musste blinzeln, bis es ganz in mein Bewusstsein vordrang.
Er war gealtert. Seinem Haar war jegliche Farbe entwichen, obwohl vor sieben Jahren nur einige graue Strähnen darin gewesen waren. Vielleicht hatte ich ihn deshalb nicht gleich erkannt. Dabei lächelte er uns genauso an wie früher. In seinen Augen lag noch immer das gleiche aufrichtige Funkeln.
»Ihr seid es wirklich.« Sein Blick glitt von Kian zu mir und wieder zurück. »Wie lange ist es her?« Er zog sich einen Stuhl vom Nachbartisch heran. »Sieben Jahre?« Lächelnd ließ er sich darauf fallen.
»Was verschafft mir die Ehre?«
Langsam zogen sich meine Mundwinkel nach oben. Ich deutete auf meinen besten Freund. »Jemand ist zurückgekommen.«
Olaf schüttelte den Kopf. »Oh Mensch, ich hatte die Hoffnung schon längst aufgegeben.«
Lächelnd faltete er die Hände auf dem Tisch.
»Hättest denn nicht wenigstens du mich besuchen können, Juni?«
Mein Lächeln verrutschte minimal, und ich wich seinem Blick aus. Konzentriert starrte ich auf meine Hände.
Die ersten Jahre hatte ich es nicht gekonnt. Ohne Kian.
Die letzten Jahre hatte ich geglaubt, Olaf hätte mich längst vergessen.
Er stupste mich mit der Schulter an. »Du warst doch sonst nicht so schüchtern.«
Schüchtern.
»Was war los?«
Eine Aufforderung zum Reden.
Mein Magen krampfte sich zusammen.
Kian kam mir zu Hilfe.
»Der Hammer, dass du diesen Schuppen immer noch leitest.«
»Natürlich«, gab Olaf entrüstet zurück.
Seit ich denken konnte, war das Clara’s seine Leidenschaft. Die Liebe seines Lebens.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und ließ die gefalteten Hände in den Schoß sinken.
»Erzähl mir von Sydney!«, forderte er Kian auf.
Dieser verzog das Gesicht. Nicht mal mir hatte er irgendetwas über Sydney erzählt oder darüber, warum er zurück war. Seine Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie zusammen, als könnte er nur so die Worte zurückhalten, die ihm auf der Zunge lagen. Schweigend wandte er den Blick ab.
Reflexartig kam ich ihm zu Hilfe.
»Machst du immer noch diesen leckeren Blaubeerkuchen?«, fragte ich Olaf.
Kians Blick schnellte zu mir, und Dankbarkeit blitzte in seinen Augen auf.
Olaf verdrehte seine.
Schon klar, geht mich nichts an, vermittelte er mir stumm. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich selbst nichts wusste, ließ es aber bleiben.
»Dank ihm läuft es super«, beantwortete er meine Frage. »Und wenn meine besten Stammkunden ab jetzt wieder öfter vorbeischauen, wird es noch besser laufen.« Sein Lächeln erwärmte mein Herz.
»Dann werden wir das wohl tun müssen.« Kian grinste, während er nach seiner Tasse griff, um sie zu leeren. Keine Spur mehr von den Falten auf seiner Stirn.
»Müssen?«, wiederholte Olaf entgeistert. »Ich dachte immer, ihr könntet euch nichts Schöneres vorstellen.«
Kians Lachen erfüllte den Raum, als er den Kopf schüttelte.
»Können wir nicht.«
»Seit gestern?«, kreischte meine beste Freundin. Ich hielt den Hörer außerhalb der Reichweite meiner Ohren.
»Bewegt euren Arsch sofort hierher«, bellte sie ins Telefon.
Ich grinste, schulterte meine Einkaufstasche aus Stoff und verließ den Markt. Kian und ich hatten uns aufgeteilt, er war das Wichtigste im Supermarkt besorgen gegangen, während ich für das Gemüse zuständig war.
»Ich meine es ernst, June.« Ellas Stimme ließ keinen Wiederspruch zu. Sie hatte mich angerufen, um mich zu fragen, ob ich den Nachmittag freihatte. Als ich ihr erzählte ich würde ihn mit Kian verbringen, war sie vollkommen ausgerastet. Sie hatte zwar gewusst, dass er in nächster Zeit nach England kommen würde, aber wir hatten beide keine Ahnung gehabt, wann genau. Bis Kian mir einen Tag vorher geschrieben hatte.
»Sag dem Arschloch, wenn ich mit ihm fertig bin, wird es ihm leidtun, mir nichts gesagt zu haben.«
»Ich lege jetzt auf«, erwiderte ich trocken.
Ella schnaubte.
Ich beendete das Gespräch und warf das Handy in den Beutel.
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
Kian war tatsächlich hier. Wir würden wieder Zeit zu dritt verbringen.
Heilige Scheiße.
Kian war tatsächlich hier.
In Bath.
Meiner Wohnung.
Zurück in meinem Leben.
Das war alles, was ich mir die letzten Jahre gewünscht hatte.
In manchen Augenblicken war die Sehnsucht so erdrückend gewesen, dass sie mir den Atem genommen hatte.
Seit gestern konnte ich wieder atmen.
Und auch, wenn sich an ihm und mir alles verändert hatte, so waren wir doch noch immer eins.
Beste Freunde.
Von früher.
Für immer.
Ich hatte keine Ahnung, welche Wendung mein Leben durch sein Auftauchen nehmen würde, aber eins wusste ich sicher, ich war in den vergangenen vierundzwanzig Stunden so glücklich gewesen wie schon lange nicht mehr.
Kian kam kurz nach mir in der WG an. Wir verstauten die Einkäufe und machten uns gleich danach auf den Weg zu Ella.
Das Haus, in dem sie lebte, war in typisch englischem Stil gebaut. Von vorne sah es schmal aus, nach hinten ging es dafür weiter hinaus. Und natürlich war die Fassade honigfarben, wie fast alle Häuser in Bath. Die große Haustür war in einem saftigen Grün gestrichen und erinnerte mich jedes Mal an eine Kiwi. Grinsend drückte ich sie auf, als der Summer ertönte.
Ella riss ihre Wohnungstür auf, kaum dass wir den obersten Treppenabsatz erreicht hatten. Ihr Lächeln erhellte den gesamten Flur. Ihr Blick fiel auf Kian, und ihre Augen weiteten sich. Sie starrte ihn an. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Genauso musste ich gestern auch ausgesehen haben.
»Heilige Scheiße, Kian«, brachte sie schließlich hervor.
Sie sprang aus dem Türrahmen. Kian schlang die Arme um ihre Taille und drückte sie fest an sich.
»Wie hab ich nur ohne dich überlebt?«, nuschelte Ella in sein Haar.
Ich lächelte.
Kian grinste. »Ich dachte, ich bin ein Arschloch?«
Ruckartig löste Ella sich von ihm. »Bist du auch.«
Sie kniff die Augen zusammen und sah zwischen uns hin und her. »Es gibt nur eine einzige Entschuldigung dafür, dass ihr mich nicht schon gestern Abend besucht habt.«
Ich zog eine Augenbraue hoch.
»Und die wäre?«, fragte Kian.
Ella grinste böse. »Ihr hattet Sex.«
Ich stöhnte auf, während Kian lachte.
»Ich fürchte, dann haben wir keine Entschuldigung.«
Ella trat einen Schritt zur Seite, um uns hereinzulassen. Im Vorbeigehen nahmen auch wir uns kurz in den Arm.
Ihre Wohnung war ähnlich eingerichtet wie meine. Im Flur hing das Foto von mir und Kian als Kinder.
Ella führte uns in die Küche, die aussah wie ein Schlachtfeld.
»Nur für euch hab ich gebacken«, verkündete sie und schob ein paar Schüsseln zur Seite.
Wir ließen uns an dem kleinen Esstisch nieder, wobei ich mich erkundigte, wie es Dilan ging. Ella zuckte die Schultern und zog ein paar Topflappen aus dem Regal.
»Gut.«
»Dilan?« Kian kniff die Augen zusammen und musterte Ella. »Wieso habe ich diesen Namen noch nie gehört?«
Ich unterdrückte ein Lachen. Er klang wie mein großer Bruder. Ella verdrehte die Augen.
»Vielleicht, weil du sieben Jahre nicht da warst«, gab sie ungerührt zurück und bemerkte nicht, wie sehr Kian zusammenzuckte, denn sie wandte uns den Rücken zu, um den Ofen zu öffnen.
»Klar«, brachte er hervor und der Ausdruck in seinen Augen ließ mein Herz stolpern.
Ich warf ihm einen Blick zu und als er ihn endlich erwiderte, versuchte ich mich an einem Lächeln. Alles war gut. Er konnte nichts dafür, dass er damals gehen musste.
»Dilan ist … mir wichtig«, sagte Ella, während sie die dampfende Kuchenform vor uns auf dem Tisch abstellte und dabei noch ein paar weitere Schüsseln zur Seite schob.
Kians Augen weiteten sich.
»Er ist toll«, kam ich Ella zur Hilfe. »Er wird Politiker und sieht gut aus.«
Sie schnaubte und warf die Topflappen beiseite. »June, das ist eine verdammte Schublade.«
Kian biss die Zähne aufeinander.
»Ich habe echt gar nichts mitbekommen.«
Betreten schüttelte er den Kopf. Ella zuckte die Schultern.
»Liebst du ihn?«, fragte er.
Jetzt schwieg Ella. Sie schnitt den Kuchen und holte drei kleine Teller aus einem der Schränke.
»Kann man jemanden lieben der einen nicht an sich heranlässt?«, murmelte sie fragend und belud die Teller mit jeweils einem Kuchenstück. Sie schenkte Kian ein breites Lächeln, als sie ihm einen Teller reichte. »Ich weiß es nicht.«
Kian runzelte die Stirn, bohrte aber nicht weiter nach.
Dafür war es noch zu früh. Zu viel Zeit lag zwischen uns. Ella reichte auch mir einen Teller und setzte sich neben mich.
Hier saßen wir.
Nur wir drei.
Zu lange war es her.
»Das ist so krass«, murmelte Ella in die Stille. »Es fühlt sich an wie damals.«
»June ist sogar noch genauso klein wie damals«, fügte Kian hinzu und ich schnaubte. Das tat hier überhaupt nichts zur Sache.
»Ich höre niemanden lachen, Kian.«
Er grinste und griff nach der Gabel, um sich ein Stück Kuchen in den Mund zu schieben. Im selben Moment stöhnte er auf. »Ella, der ist genial.«
Zufrieden schob auch sie ein Stück auf ihre Gabel.
Sie machte einfach den besten veganen Schokoladenkuchen.
Während wir über den Kuchen herfielen, wärmten wir alte Geschichten auf. Die Stimmung war vertraut. Ich konnte sagen, was immer ich dachte oder fühlte. Ella und Kian würden mich so oder so auslachen, aber anders, als die Menschen damals es getan hatten. Sie taten es auf eine Weise, die auch mich zum Lachen brachte.
»Wir sollten baden gehen«, schlug Ella vor.
»Es ist März«, erinnerte ich sie trocken an die derzeitigen Wetterzustände.
»Wir können ja anbaden.«
Anbaden? Wir würden erfrieren. Es waren höchstens sechs Grad, und ich wollte lieber nicht wissen, wie kalt das Wasser war.
»Lass uns noch einen Monat warten«, versuchte ich sie zu beschwichtigen, da ich gut darauf verzichten konnte, an einem Kälteschock zu sterben.
Obwohl Kian uns gegenübersaß, konnte ich sehen, wie sehr sich sein Körper anspannte.
»Oder auch zwei«, fügte ich hinzu, was allerdings das Gegenteil meiner Absicht bewirkte, denn Kian verspannte sich nur noch mehr. Er hatte die Gabel beiseitegelegt und starrte auf seinen Teller. Erst, als ich ihn fragte, was los war, hob er wieder den Kopf.
»Ich war seit Jahren nicht mehr baden«, brachte er tonlos hervor.
»Wie bitte?«, fragte ich verspätet.
Kian war derjenige, der einen Köpper konnte, der schneller schwimmen konnte als Ella und ich zusammen, der länger im Wasser blieb als jede andere Person am See. Wie konnte es sein, dass er sieben Jahre nicht schwimmen gewesen war? Australien war eine Insel. Eine scheiß Insel.
»Schätze, ich hatte einfach zu viel zu tun«, murmelte er. Ungläubig starrte ich ihn an. Ich kannte Kian. Er hatte genau zwei Leidenschaften: Musik und Schwimmen. Was zur Hölle hatte er denn bitte zu tun gehabt, dass er dafür eine seiner Leidenschaften aufgegeben hatte? Ich wollte nachfragen, aber ich traute mich nicht. Kian hatte dieselbe Miene aufgesetzt wie schon vorhin bei Olaf. Er wollte nicht darüber reden. »Noch ein Grund mehr, diesen Monat anbaden zu gehen.« Ella schob sich das letzte Stück Kuchen in den Mund. Kian lächelte wieder, und beide warfen mir einen Blick zu. Ich verdrehte die Augen.
Demnächst würden wir wohl einen Ausflug zum See machen.
Als wir nach Hause kamen, duftete die komplette Wohnung. Simon hatte gekocht. Er und Pekka waren in der Küche.
Nicht, dass Pekka jemals einen Kochlöffel in die Hand genommen hätte, aber er war besonders gut darin, das Essen schon mal zu probieren. Als wir eintraten, drückte er uns Besteck und Teller in die Hand. Wir deckten den Tisch und aßen gemeinsam.
Es gab selbst gemachte Tortellini.
Wir schwebten auf Wolken. Simon hatte es einfach drauf. Manchmal dachte ich darüber nach, ihn zu heiraten, nur um jeden Tag sein Essen genießen zu können. Ich musste lachen, als mein Blick auf Pekka fiel. Er sah Simon an, als würde er am liebsten direkt zum Altar marschieren und nie wieder jemand anderen ansehen wollen.
Später wurde Pekka zum Abwaschen verdonnert, womit er überhaupt nicht einverstanden war. Dabei war es seine Schuld, dass wir keinen Geschirrspüler hatten, er hatte von dem Geld lieber eine Spielekonsole kaufen wollen, die er, zugegeben, öfter benutzte, als wir unser Geschirr spülen mussten.
Pekka murrte noch eine Weile herum, bis Simon sich erbarmte und ihm in die Küche folgte, um zu helfen.
Kian und ich machten es uns auf dem Sofa bequem, wobei mir auffiel, dass er sein T-Shirt falschrum anhatte. Ich grinste. Vielleicht war es mir nicht aufgefallen, weil er alle Schilder herausgeschnitten hatte und das Shirt schon etwas ramponiert war. Ich entdeckte Löcher im Stoff und runzelte die Stirn. Sie waren so symmetrisch, dass es aussah, als hätte er sie selbst hineingeschnitten.
»Musstest du Wut rauslassen?«, fragte ich belustigt.
Er folgte meinem Blick und presste die Lippen zusammen.
»Nein«, schnaubte er ironisch. »Die Löcher fertigt meine Stylistin an.«
Kopfschüttelnd kuschelte ich mich tiefer in die Kissen. Der Gedanke, dass Kian eine Stylistin haben könnte, war so abwegig, dass ich lachen musste.
Er verdrehte die Augen und zwinkerte mir zu.
Mein Lachen erstarb, als ich bemerkte, dass er mir schon wieder mit einem Witz ausgewichen war.
Was verschwieg er mir?
Geldsorgen?
Dabei wären seine Geheimnisse bei mir sicher. Zu hundert Prozent. Das sollte er eigentlich noch wissen.
Aber er erzählte nichts, stattdessen stöpselte er sein Handy an die Anlage, die ebenfalls Pekka gekauft hatte, und scrollte durch seine Playlisten. Ich verbot mir, weiter über die Löcher in seinem Shirt nachzudenken, und verzog das Gesicht. Kian und ich hatten noch nie zusammen Musik hören können, weil immer jemand von uns die Nase gerümpft hatte. Automatisch tat ich es auch jetzt.
Als er den richtigen Soundtrack gefunden hatte, drückte er auf Play.
Ich erstarrte, als die ersten Takte eines Songs erklangen, den ich unter Tausenden wiedererkannt hätte.
Kian wippte leicht mit dem Kopf im Takt, während er zu mir herüberkam und sich neben mich setzte.
Ich konnte mich nicht bewegen. Von allen Alben dieser Welt hatte er ausgerechnet das ausgesucht, das mir am allermeisten unter die Haut ging.
Ich riss meinen Kopf herum und fixierte Kian. Noch immer wippte er leicht im Takt.
»Du hörst Yellowcard«, platzte es schließlich aus mir heraus.
Er stoppte sein Kopfwippen und sah mich an. Eine seiner Augenbrauen hob sich.
»Du kennst sie?« Sein Grinsen wurde ein wenig schief.
Ob ich sie kannte? Machte er Witze?
Diese Band war fester Bestandteil meines Lebens.
»Das kann nicht sein«, stammelte ich. Ich war zu verwirrt, um klare Sätze zu bilden.
»Was kann nicht sein?«, hakte er freundlich nach.
»Wir hören nicht die gleichen Bands.«
Er lächelte.
Ich stammelte weiter vor mich hin. »Yellowcard ist …«, ich runzelte die Stirn. Oder konnte es vielleicht doch sein? Hatte Kian nicht schon damals Rock gehört?
»… meine Lieblingsband«, sprach ich vorsichtig weiter.
Jetzt runzelte Kian die Stirn und sah mich verwirrt an. »Das kann echt nicht sein«, sagte er. »Seit wann hast du Musikgeschmack?«
Ich boxte gegen seine Schulter, lachte aber.
»Kian, den hatte ich schon immer«, sagte ich im vollen Bewusstsein, dass diese Aussage eine Lüge war. Meine Liebe zu Pop war inzwischen ein wenig abgeflaut, stattdessen war sie von Rock und Indie abgelöst worden.
Kian war derjenige, der schon immer Musikgeschmack gehabt hatte.
»Du verarschst mich doch, oder?« Er runzelte die Stirn.
Ich schüttelte den Kopf, kurz bevor die Lyrics einsetzten.
Kians Blick klebte an meinen Lippen, als ich sie leise zu dem Text bewegte.
Die Musik von Yellowcard war wie eine alte Freundin, zu der ich zurückkommen konnte, wann immer es mir schlecht ging, die für mich da war, wann immer ich sie brauchte, und die mich jedes einzelne Mal zu heilen schien. Ich schloss die Augen.
Nur deswegen hatte ich angefangen, laute und schnelle Musik zu hören: um mich zu heilen. Nur auf diese Weise hatte ich die Welt um mich herum aussperren können.
Er sah mich an, als ich die Augen wieder öffnete.
»Ich fasse es nicht, dass du dich endlich von One Direction und Bruno Mars gelöst hast.« Grinsend musterte er mich.
Ich erwiderte seinen Blick. Schockiert.
»Auf keinen Fall.« Energisch schüttelte ich den Kopf. Als könnte ich das jemals. Zugegeben, sie waren nicht mehr meine Lieblinge, aber wenn ich die Welt nicht aussperren wollte, hörte ich auch diese Musik noch gerne. Sie erinnerte mich an die Zeit, bevor Kian ging. Er rümpfte die Nase, aber seine Lippen umspielte ein Lächeln.
»Na bitte, du bist also doch noch June. Kurz hatte ich daran gezweifelt.«
Ich grinste. »Keine Sorge, ich glaub nicht, dass die Chance besteht, in diesem Leben nochmal jemand anders zu werden.«
Er erwiderte mein Grinsen.
»Das würde ich auch gar nicht wollen.« Er beugte sich ein Stück vor, um meinen Blick mit seinem einzufangen. »Dass du jemand anders wirst.«
Warum schlug mein dämliches Herz auf einmal so heftig?
Ich durfte nicht glauben, was er gesagt hatte, denn er kannte nur die alte June. Er kannte nur die June, die ich vor sieben Jahren gewesen war.
Ich war froh darüber, dass in dieser Sekunde mein Handy klingelte und ich ihm nicht antworten musste. Ich nahm es vom Regal und warf Kian einen entschuldigenden Blick zu.
Ella, formten meine Lippen. Ich erhob mich, tappte in den Flur, während ich das Gespräch entgegennahm und Ella begrüßte. Mit einem leisen Klicken schloss ich die Tür zu meinem Zimmer hinter mir.
»Hört Kian zu?«, fragte meine beste Freundin, ohne sich die Mühe einer Begrüßung zu machen. Ich verneinte und betrachtete die Wand mit meinen Fotos.
»Ich wollte nur sichergehen, dass du es auch gesehen hast …«
»Was gesehen?«, fragte ich, da sie nicht weitersprach, sondern nur tief Luft holte.
»Wie heiß Kian geworden ist.«
Einen kurzen Moment schwieg ich und blinzelte, bis ihre Worte zu mir durchdrangen und ich loslachte.
»Oh, Ella, bitte, ich dachte, du wärst dagegen, Menschen nach ihrem Äußeren zu beurteilen.«
Sie seufzte. »Bin ich auch, June. Ich rufe an, um dich darauf aufmerksam zu machen, damit seine Schönheit nicht dein Hirn vernebelt.«
Ich lachte wieder, auch wenn eine kleine böse Stimme in meinem Kopf mir weismachen wollte, dass das schon längst passiert war.
»Komm schon, du kannst mir nicht erzählen, dass du ihn nicht hübsch findest.« Sie schnaubte. »Hör auf zu lachen, verdammt.«
»Entschuldige.« Ich versuchte mich zu beruhigen. »Ellie, er wird für mich immer Kian bleiben.«
»Das schließt andere Dinge nicht aus.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben.
»Das schließt andere Dinge auf jeden Fall aus.«
Jetzt war sie es, die lachen musste. »June, du hast Kian genauso angesehen wie er dich.«
Wie bitte? Ich schnappte nach Luft.
»Genau«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Freundschaftlich.«
Ich beendete das Gespräch und sah eine Weile auf Ellas Namen, der auf dem Bildschirm blinkte. Ich schüttelte den Kopf.
Was für ein Schwachsinn.
Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, hatte Kian den Kopf auf der Sofalehne abgelegt. Er hatte die Augen geschlossen und summte leise die Melodie von Back Home mit. Ich bemerkte erst nach einer Weile, dass ich stehen geblieben war und ihn anstarrte. Verdammt.
Er öffnete die Augen und traf meinen Blick. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
»Du hast mich angestarrt.«
Ertappt wandte ich den Blick ab.
Er streckte die Hände nach mir aus und forderte mich auf, zu ihm zu kommen. Zögernd machte ich ein paar Schritte. Als ich ihn erreichte, schlossen seine Hände sich um meine Hüften, nur um mich im selben Atemzug auf seinen Schoß zu ziehen, etwas, das er früher oft getan hatte, das mir heute aber zum ersten Mal die Luft aus der Lunge presste.
»Du musst nicht rot werden.« Er grinste.
»Ich habe dich nicht angestarrt«, krächzte ich, wobei ich es nicht schaffte, ihm in die Augen zu sehen.
»Nein?«, hakte er nach, und ich schüttelte energisch den Kopf.
»Dabei wäre es gar nicht schlimm.« Er kam mir ein Stück näher. »Wir haben uns schließlich sieben Jahre nicht gesehen, da kann man einander schon mal ein bisschen länger ansehen.«
Da es mir leichter fiel, das Ganze mit einem Lachen zu betrachten, anstatt wirklich über seine Worte nachzudenken, zog ich nur die Augenbrauen hoch.
»Willst du damit einen Freifahrtschein, mich länger als nötig anzusehen?«
Sein Lächeln wurde breit. »Das war mein Plan.«
Er beugte sich ein Stück vor, bis seine Stirn an meiner lag und ich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen.
»Habe ich erwähnt, wie sehr ich dich vermisst habe?«, fragte er leise, während er mich in eine Umarmung zog.
Erst als Pekka ins Wohnzimmer kam, lösten wir uns wieder ein Stück voneinander. Er musterte uns mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Es ist Samstagabend. Bequemt euch vom Sofa hoch.«
Ich verzog das Gesicht und stöhnte auf. Mit Pekka feiern zu gehen bedeutete, dass er schon am Eingang des Clubs jemanden abschleppte und mich mit Simon zurückließ.
Und Simon tanzte nicht.
Nie.
Mein Blick fiel auf Kian, und die Aussichten wurden rosiger. Ich lächelte.
Er würde mich nicht auf der Tanzfläche allein lassen.
Konzentriert, als wäre es von überlebenswichtiger Bedeutung, nippte Simon an seinem Bier. Ich lachte und tanzte um ihn herum. Er verdrehte die Augen.
Bevor ich einen Versuch starten konnte, ihn auf die Tanzfläche zu ziehen, schlangen sich zwei Arme um meine Taille. Ohne hinzusehen, wusste ich, wer es war, und drehte mich zu Kian um.
»Brauchst du jemanden zum Tanzen?«, schrie er mir über die laute Musik hinweg zu. Ich nickte grinsend und warf Simon einen triumphierenden Blick zu. Er ignorierte mich.
Kian zog mich auf die Tanzfläche und wirbelte mich herum. Ich folgte seinen Bewegungen, die so viel mehr im Takt waren als meine eigenen. Eine ganze Weile ließen wir uns von der Musik treiben, bis ich völlig außer Atem war und etwas zu trinken brauchte.
Während wir uns zur Bar durchkämpften, stellte ich fest, dass Kian nicht mal ansatzweise aus der Puste war. Echt deprimierend. Wo war mein unsportlicher bester Freund geblieben?
Ich sicherte mir den einzigen freien Hocker. Kian stellte sich neben mich. Er hatte sich seine Sonnenbrille auf die Nase gesetzt, obwohl hier drinnen offensichtlich keine Sonne schien. Ich konnte das Ding nicht leiden. Es versperrte mir die Sicht auf sein Inneres.
Der Barkeeper sah in meine Richtung und forderte meine Bestellung. Ich versteifte mich. War sein Blick spöttisch, oder bildete ich mir das nur ein?
Automatisch senkte ich meinen Blick und starrte auf meine Turnschuhe.
»Was willst du trinken?«, fragte Kian mich. Ich zwang mich dazu, wieder aufzusehen. Der Barkeeper sah noch immer in unsere Richtung, obwohl gefühlt tausend Leute um uns herum lautstark ihre Bestellung forderten. Ihr Lachen und ihre Rufe hallten in meinen Ohren, obwohl sie nicht mir galten.
»Ein Bier«, krächzte ich.
Kian nannte dem Barkeeper unsere Bestellung, während ich mich am liebsten unter einer dicken Decke versteckt hätte.
Nach all den Jahren.
Nach all den verdammten Jahren, fiel es mir noch immer so schwer, mit Fremden zu sprechen, dass ich meine Freunde für mich bestellen ließ.
Als die Getränke vor uns abgestellt wurden, beugte Kian sich ein Stück vor, um nach seinem Glas zu greifen. Mit der Hand stützte er sich auf meiner Schulter ab. Sein Körper kam meinem nah. Mit der Wärme, die er an mich abgab, verschwand das unbehagliche Gefühl.
Wir unterhielten uns eine Weile und ließen unsere Stimmen gegen die laute Musik ankämpfen.
Ich entdeckte Pekka etwas weiter hinten an der Bar. Er knutschte mit einem anderen Typen. Ich verdrehte die Augen und wandte den Blick ab.
Ein neuer Song wurde gespielt. Zuerst erstarrte ich, dann quietschte ich begeistert auf. Kian rieb sich belustigt die Ohren, als ich mich zu ihm umdrehte. Begeistert strahlte ich ihn an, und sein Lächeln verriet mir, dass auch er den Song erkannt hatte. Wir mussten tanzen. Sofort. Ich schüttete den Rest von meinem Bier hinunter und zog an Kians Arm.
Er folgte mir auf die Tanzfläche und griff nach meinen Händen. Ich schloss die Augen und vertraute ihm.
Wir waren an einen ziemlich coolen DJ geraten, ich hatte es vorher noch nie erlebt, dass in dieser Stadt ein Song von Yellowcard gespielt wurde.
»Ich muss dir was gestehen«, schrie Kian mir ins Ohr, und ich öffnete die Augen, um ihn anzusehen. »Es ist kein Zufall, dass sie den Song spielen, ich habe ihn mir vorhin gewünscht.«
Ich musste grinsen. Doch kein cooler DJ, nur ein cooler bester Freund.
»Danke«, schrie ich zurück.
Er hob seine Hand, damit ich mich darunter durchdrehen konnte. Lächelnd folgte ich seiner Aufforderung.
»Oh, ich habe ihn mir für mich gewünscht«, entgegnete er, aber als ich meine Drehung vollführte und nach vorne griff, um ihm die Sonnenbrille in die Haare zu schieben, erkannte ich an seinem Blick, dass er gelogen hatte.
Ryan Key sang von Meilen. Während die Musik mir unter die Haut ging, schlichen die Lyrics sich einen Weg in mein Herz. Es gab nur noch diesen Song, die Lyrics zu Miles Apart, Kian und mich. Ich war unendlich froh, dass uns keine Meilen mehr trennten.
Wir tanzten ewig, mal miteinander, mal einzeln. Lange über diesen einen Song hinaus. Zum ersten Mal war ich froh darüber, dass Pekka mich in einen Club geschleppt hatte. Langsam realisierte ich, dass Kian wirklich hier war, dass es kein Traum war.
Weit nach Mitternacht spielten der DJ Achtziger.
Schon nach ein paar Songs wurden die Stücke langsamer, und ehe ich mich's versah, drang Careless Whisper aus den Boxen. Gebannt lauschte ich der Trompete. Mein Blick heftete sich auf Kian.
»Hast du dir das auch gewünscht?«
Er lachte leise, während er einen Schritt auf mich zu machte und den Kopf schüttelte. Es war unser Song von damals. Kian griff nach meiner Hand und zog mich ein Stück näher zu sich.
»I feel so unsure, as I take your hand and lead you to the dance floor …«
Kian führte mich ein Stück tiefer auf die Tanzfläche, während er die Lippen zum Text bewegte. Ich musste lachen, weil seine Geste so gut auf die Musik passte. Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen, während er versuchte, ernst zu bleiben. Er legte seine Hände auf meine Hüften. In einer einzigen Bewegung zog er mich an sich, und ich verkniff mir ein Lachen, als ich meine Hände auf seine Schultern legte.
Wir alberten genauso rum wie damals. Nur dass seine Schultern früher nicht so verdammt muskulös gewesen waren. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, und konzentrierte mich auf die Musik. Ich schloss die Augen und drängte mich noch ein wenig näher an Kian. So nah, dass ich meinen Kopf an seiner Schulter ablegen konnte. Sacht bewegten wir uns im Takt. Kurz bevor der Refrain einsetzte, hob ich den Kopf, und unsere Blicke trafen sich.
»And I’m never gonna dance again, the way I danced with you …«
Ich ließ meinen Kopf zurück an seine Schulter sinken und die Musik tief in mich eindringen. Ich wollte ewig so weitertanzen. Für imer.
Nur leider hatte der Song irgendwann ein Ende, und der nächste war zu schnell, um so zu tanzen, wie wir es gerade taten.
»Gehen wir an die Bar?«, schlug Kian vor. Schweren Herzens löste ich mich von ihm und nickte. Langsam bahnten wir uns einen Weg durch die Menge.
An der Bar bekamen wir dieses Mal sogar zwei Hocker ab.
Ich beugte mich ein Stück vor.
»Du kannst also noch immer Careless Whisper mitsingen?«, fragte ich.
Auf sein Gesicht stahl sich ein Lächeln. »Hab’s mir öfter angehört«, gab er zu, und aus irgendeinem Grund ließ diese Aussage mein Herz schneller schlagen.