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Der Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke, Spitzname Lüppi, wird mit seinem Kollegen, Gerhard Schwarz, zu einem toten Handwerker in einem Essener Waldgebiet gerufen. Die Identität des Toten ist zunächst unklar, kann aber schnell geklärt werden. Die beiden Kommissare fangen an, sich das Umfeld des Handwerkers anzusehen. Dabei stellen sie fest, es gibt zunächst zwei mögliche Gründe, die zu dem Tod des Mannes geführt haben könnten. Bei den weiteren Ermittlungen stößt Kommissar Lüppi auf weitere Ungereimtheiten.
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Seitenzahl: 412
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Autor
Markus Schmitz. Ich bin 1964 in Essen geboren und lebe seit einigen Jahren mit meiner Verlobten in Bochum. Von Beruf bin ich Konstrukteur und habe viele Jahre lang Modellbau betrieben. Im Jahr 2016 entschloss ich mich mit dem Modellbau aufzuhören und habe das Schreiben wieder angefangen. Die ersten drei Bücher, die als Schreibversuche angesehen werden müssen, handeln vom Motorsport und der organisierten Kriminalität. Kommissar Lüppi ist mein erster Kriminalroman.
Weitere Informationen unter www.Schmitz-Sobaszek.de
Inhaltsangabe
Der Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke, Spitzname Lüppi, wird mit seinem Kollegen, Gerhard Schwarz, zu einem toten Handwerker in einem Essener Waldgebiet gerufen. Die Identität des Toten ist zunächst unklar, kann aber schnell geklärt werden. Die beiden Kommissare fangen an, sich das Umfeld des Handwerkers anzusehen. Dabei stellen sie fest, es gibt zunächst zwei mögliche Gründe, die zu dem Tod des Mannes geführt haben könnten. Bei den weiteren Ermittlungen stößt Kommissar Lüppi auf weitere Ungereimtheiten.
Vorwort
Dieser Kriminalroman hat seinen Handlungsort in der Stadt Essen, im Ruhrgebiet. Obwohl ich seit meinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr dort nicht mehr wohne, kenne ich mich dort immer noch bestens aus. Besser als in den anderen Städten des Ruhrgebiets. Das war der Grund, dass meine ersten drei Romane dort ihren Handlungsschwerpunkt bekamen. Diese Romanreihe handelt von dem Rennfahrer Mark Kirchheim und seinem Motorsport und der organisierten Kriminalität. Da der erste Roman im Jahr 1992 beginnt, hat dieser Kriminalroman das gleiche zeitliche Jahrzehnt erhalten. Das noch sehr in den Anfängen befindliche digitale Zeitalter empfand ich als einen Vorteil für diese Romanereihe.
Um einen leichteren Überblick zu behalten habe ich jeweils Tag, Zeit und Ort bei einem Handlungs- und Ortswechsel eingefügt. Ich habe mir bekannte Orte in dem Roman verwendet. Während des Schreibens sind mir einige vorkommende Personen ans Herz gewachsen.
Diese Geschichte ist reine Fiktion. Die Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Firmen, Hersteller, Orte und Ereignisse entstammen entweder der Fantasie des Autors oder wurden auf fiktionale Weise verwendet. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen, mit Ereignissen und Orten wäre vollkommen zufällig.
Impressum
Texte: ©2019 Copyright by Markus Schmitz
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag:©2019 Copyright by Markus Schmitz
Alle Rechte vorbehalten
Verlag:Markus Schmitz
Gertrudenhof 144866 Bochum
www.Schmitz-Sobaszek.de
Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,
16. April 1995, Ostersonntag, 10.00 UhrEssen Frohnhausen
Er war am Vorabend mal wieder zu spät ins Bett gekommen, was an dem Besuch in der Eckkneipe lag. Die Besuche in ‚Uschis Eck‘ wurden am Freitag und Samstag immer länger, wenn er nicht in einem Fall steckte. Wie immer, wenn er nach einem solchen langen Abend wieder wach wurde, fragte er sich, wie er hieß.
„Martin Lüpke, in Ordnung“, sagte er sich. „Scheint noch alles beisammen zu sein.“ Er sah sich in seinem Schlafzimmer um und schaute auf den Wecker, 10 Uhr. Irgendetwas hatte er am Samstag noch erledigen wollen, aber was, wollte ihm nicht einfallen. Langsam schob er seine Beine aus dem Doppelbett und richtete sich auf. Sein Geschmack im Mund war fies. Nachdem er sich hingestellt hatte, schlurfte er ins Bad. Der Blick in den Spiegel verhieß nichts Gutes.
„Etwas zerknittert siehst du aus“, sagte er dem Spiegelbild. Dieser Typ dort nickte zurück. Naja, zumindest stellte er eine Einsicht bei dem Kollegen fest, den er immer morgens im Bad sah. Ihm fiel der Spruch seiner Mutter ein, ‚mit Mineralwasser wäre das nicht passiert‘. Stimmte, schmeckte aber nicht so gut. Nach dem Zähneputzen war der Geschmack im Mund schon besser.
„Soll ich mal ein Bad nehmen?“, fragte er das Spiegelbild. „Ja, mach das Lüppi“, kam die Antwort. Lüppi war sein Spitzname. Von wem er den bekommen hatte, wusste er nicht mehr, war zu lange her. Zu seiner Schulzeit hatte er den Namen Maddin bekommen. Den benutzten aber nur noch sehr wenige. Mit dem Namen Lüppi wurde er nicht nur in seinem Wohnviertel angesprochen, sondern auch im Präsidium. Selbst sein Chef, der Leiter der Kriminalinspektion 1, sprach ihn so an. Nachdem er Wasser in die Badewanne einließ, schlurfte Lüppi zurück ins Schlafzimmer, zog sein Schlaf T-Shirt aus und warf es auf das Bett. Er hob das Polohemd vom Vortag vom Boden auf und schlurfte langsam wieder ins Bad. Seine Unterhose und das Polohemd warf er auf den Wäschehaufen, der sich auf der Waschmaschine befand. Beide Teile blieben oben liegen, erstmal. Kaum saß er in der Wanne fing sein Wäschehaufen an sich selbstständig machen zu wollen.
„Ah, nee, das muss doch jetzt nicht sein. Bleibt da oben liegen“, sagte er zu seiner Wäsche. Machten aber zwei Teile nicht, sie fielen auf den Boden. Kurze Zeit später folgten die nächsten drei.
„Na klasse! Jetzt muss ich waschen.“ Er stellte seine Waschmaschine immer an, wenn die Wäsche von alleine von der Maschine fiel. Das war nun wieder einmal der Fall.
„Heute ist Ostern, was mache ich denn heute? Uschi ist bei ihrer Mutter in Borbeck“, sagte er zu sich. Uschi war die Wirtsfrau von ‚Uschis Eck‘ und hieß Ursula Kutysch. Bei ihr war er öfters abends und auch ab und zu über Nacht, wenn er nicht in einem Fall steckte.
„Ich könnte auch nach nebenan zu Torti. Ach nee, da kommt heute bestimmt der Sohnemann mit Verlobter. Geht also auch nicht“, sagt er. Torti war der Spitzname für seine Nachbarin. Eigentlich war ihr Name Marianne Beise oder kurz Marie. Den Spitznamen Torti hatte sie vor langer Zeit von ihm bekommen, was nicht zuletzt an dem Kuchen lag, den sie immer mit viel Liebe backte. Er selbst wohnte erst ein halbes Jahr in seiner Wohnung, da zogen Marie mit Mann und ihrem zweijährigen Jungen nebenan ein. Sie beide wohnten nun schon über siebenundzwanzig Jahren nebeneinander. Sie war damals sehr schlank, blond und sah sehr gut aus. Die Liebe zu Kuchen hatte das mit der Zeit geändert und ihre Figur war in alle Richtungen gewachsen. Nun war sie recht propper. Der Sohn war vor neun Jahren ausgezogen, nur zwei Jahre später hatte ihr Mann eine jüngere schlankere Frau gefunden. Torti war nun sieben Jahre alleine. Naja, nicht ganz, er, Lüppi war ja da. Aber nicht regelmäßig, was auch an seinem Beruf lag. Beide unternahmen immer etwas zusammen, das war zumeist an Sonntagen. Da Torti kein Auto besaß, freute sie sich immer, wenn er mit ihr einen Ausflug machte. Dann fuhren beide mit seinem dreizehn Jahre alten Mercedes 230E, des Typs W123, irgendwohin. Machten gemeinsame Spaziergänge und gingen anschließend Mittagessen oder Kaffeetrinken. Torti schien immer sehr glücklich zu sein, wenn sie neben Lüppi auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Der Mercedes war in dunkelblau lackiert, hatte aber nur eine Mager-Ausstattung, auch Buchalter-Ausstattung genannt. Kurz um, außer einem Kassettenradio von Blaupunkt hatte der Wagen in Stuttgart keine Extras erhalten. Torti fühlte sich jedes Mal wie eine Königin, wenn sie mitfuhr. Fast immer verbrachten beide anschließend den Abend zusammen und auch oft die Nacht. Torti und Uschi wussten das Lüppi etwas mit der andren hatte. Uschi störte das gar nicht. Sie hatte keine Probleme damit, denn schließlich waren sie kein Paar. Bei Torti sah das schon anders aus. Sie wünschte sich schon lange, dass er sich für sie entscheiden würde. Lüppi hingegen machte keine Anstalten etwas an dieser Dreiecksbeziehung ändern zu wollen. Da ihr das klar war und sie ihn nicht unter Druck setzen wollte hatte sie sich schon länger damit abgefunden, redete sie sich ein. Es war eine Stunde vergangen als er aus der Wanne stieg. Nach dem abtrocknen seines Körpers stopfte er den ganzen Wäschehaufen in die Maschine. Mit Nachdruck ging auch alles hinein. Das Waschpulver wurde in die entsprechende Schublade gefüllt, die Maschine auf 30° eingestellt und der Startknopf gedrückt. Die Waschmaschine fing mit leichtem Rasseln und Sprüngen an zu arbeiten. Das das Springen der Maschine an der dichten Befüllung lag, war ihm klar. Er sagte sich aber, dass es effizient wäre. In seinem Kleiderschrank fand er noch drei frische Polohemden, einige T-Shirts und Pullis. Nach einem Blick nach draußen entschied er sich für ein T-Shirt, da er die Polohemden noch für die kommende Woche zum Dienst benötigen würde. Der nächste Gang war in die Küche. Nach einem Blick in den Kühlschrank wusste er was es gewesen war, was er vergessen hatte.
„Tja, das sieht aber jetzt scheiße aus. Na, das wird wohl nichts mit einem tollen Frühstück heute“, sagte er zu sich. Im Kühlschrank lagen zwei Scheiben junger Gouda Käse, nur das diese beiden nicht mehr jung waren. Die Scheiben waren inzwischen ziemlich hart geworden und bogen sich nach oben. Im Margarinetopf fand er noch einen Rest. Ein Jogurt stand noch vom letzten Wochenende drin. Außer Ketchup und Mayonnaise war sonst nichts mehr zu sehen. In seinem Vorratsschrank befanden sich Nudeln und drei Zwieback.
„Na ja, ist ja schon ein Anfang.“ Er schaltete seine Kaffeemaschine ein, schüttete Wasser für zwei Tassen hinein und machte die Kaffeedose von seiner Oma auf, die war ein ‚Erbstück‘. Gott sei Dank hatte er noch einen Rest Kaffeepulver vom letzten Wochenende drin, was er sich übrigens mal wieder bei Torti geschnorrt hatte. Mit zweieinhalb Lot wurde der Kaffee nicht sehr stark.
„Da brauche ich keine Dosenmilch und keinen Zucker, die ich sowieso nicht habe“, sagte er zu sich selbst. Die dauernden Selbstgespräche nahmen nie ab, sie wurden nur im Beisein anderer weniger. Er saß an seinem Esstisch in der Küche, der für zwei Personen war und aß seinen Zwieback mit hartem Gauda. Es klopfte an der Wohnungstür.
„Das kann doch nur Torti sein“, sagte er laut und machte die Tür auf. Und wie von ihm vermutet stand dort seine Nachbarin und Freundin.
„Frohe Ostern, Lüppi. Geht es dir gut?“, fragte Torti.
„Auch frohe Ostern, Torti. Ja, mir geht es gut“, antwortete er. Er drehte sich um und ging ein paar Schritte zurück in die Diele, sie folgte ihm. Sie blieb auf der Höhe der Küchentür stehen und sagte zu ihm: „Der Jung und die Kerstin kommen heute nicht zu mir, die sind heute bei ihren Eltern.“
„Dann kommen die morgen zu dir?“
„Ja, genau“, antwortete sie und machte einen Dackelblick.
„Okay, ich sehe schon, wir machen heute einen normalen Sonntag?“, erkundigte er sich.
„Ach, du bist der Beste. Ich wusste doch, du bist für mich da.“
„Na, klar, Torti“, sagte er und nahm sie in den Arm. Beide drückten sich, dabei sah sie in die Küche.
„Was ist das denn da?“
„Mein Frühstück.“
„Was soll das sein? Das ist doch nicht dein Ernst?“
„Ich hatte nichts anderes.“
„Warum kommst du nicht zu mir?“
„Ich wollte nicht stören, weil...“, weiter sprach er nicht. Er sah ihre Blicke. Sie sah ihn an, ging in die Küche, nahm sein Frühstück und schmiss es in den Mülleimer. Als nächstes sah sie sich den Kaffee an, schüttelte ihren Kopf und goss diesen in den Ausguss.
„Mitkommen“, befahl sie. Er folgte ihr. Da es Zeit für ein zweites Frühstück war, aß sie noch einmal eine Kleinigkeit mit ihm zusammen.
Ostersonntag, 14.00 UhrEssenGrugapark
Der Grugapark liegt zwischen der Innenstadt und den Stadtteilen Rüttenscheid und Margarethenhöhe. Beide gingen meist die gleichen Wege in der gleichen Reihenfolge. So auch an diesem Tag. Da sie in unregelmäßigen Abständen dort waren, bemerkten sie, wie sich die Pflanzen veränderten und größer wurden. Sie gingen immer auf den gleichen Seiten. Lüppi links und Torti rechts. Wer es nicht wusste, hätte die beiden für ein Paar halten können. Was sie auf eine Art auch waren, für einen Zeitraum. Zur Mitte des Rundgangs nahm sie Lüppi´s rechte Hand. Er lächelte sie an und beide gingen Händchenhaltend ihren gewohnten Rundgang zu Ende. Zuhause wieder angekommen aßen beide den selbstgebackenen Kuchen bei ihr. Nach dem Kaffeetrinken erzählte sie ihm von der Betriebsfeier am Freitag der übernächsten Woche in der Firma, in der sie arbeitete. Sie bat ihn, sich eine Auswahl von Kleidern anzusehen und ihr zu sagen was sie anziehen sollte. Dazu zog sie sich im Schlafzimmer um. Bevor sie wieder heraus kam, rief sie ihm zu, er solle die Augen zu machen. Was er tat.
„Du kannst die Augen aufmachen“, sagte sie. Vor ihm stand Torti in einem blassen roten Kleid mit weißen Puffärmelchen.
„Und, was sagst du?“
„Zieh mal das nächste an“, antwortete er.
„Gefällt es dir nicht?“
„Doch, nett.“
„Nur nett? Sehe ich darin zu fett aus?“
„Nein, das Kleid passt dir, es steht dir aber nicht.“ Torti drehte sich um und ging ins Schlafszimmer zurück. Als sie wieder heraus kam sollte er seine Augen wieder schließen. Dann wieder öffnen. Nun stand sie in einem blauen, etwas taillierten, Kleid vor ihm.
„Schon besser als das rote.“ Sie ging wieder ins Schlafzimmer. Noch weitere vier Mal kam sie mit einem anderen Kleid zu ihm. Beim letzten Mal sagte sie: „Bevor du die Augen aufmachst, welches Kleid war bis jetzt das schönste?“
„Das Blaue, was du als Zweites anhattest.“
„In Ordnung. Was sagst du dazu?“, fragte sie.
„Kann ich nicht sagen, ich soll ja die Augen noch zulassen“, kam die Antwort.
„Dann mache sie bitte auf.“ Was er tat. Sie stand in Unterwäsche vor ihm, sah ihn an und machte einen Kussmund. Er stand auf, küsste sie und beide gingen in ihr Schlafzimmer.
17. April 1995, Ostermontag, 16.00 UhrEssen Frohnhausen
Lüppi war seit zwei Stunden wieder in seiner Wohnung. Nach Zeitung lesen und Fernsehen gucken, fragte er sich: „Na, prima und nun? Was ist mit Manni? Mmh... der ist bestimmt drüben bei Uschi.“ Manni war sein Nachbar, der unter ihm wohnte. Eigentlich hieß er Manfred Dittmar. Er stellte sich allen aber immer nur als Manni vor. Lüppi entschloss sich zu Uschi zu gehen. Unten vor der Haustür schaute er die Straße auf und ab, in der er wohnte. Die Kölner Straße war an diesem Montag sehr ruhig. An Feiertagen konnte man nur die nahe gelegene Hauptstraße hören. Er überquerte die Straße und ging fünfzig Meter bis zu ‚Uschis Eck‘. Wie erwartet sah er Manni am Tresen sitzen. Es waren acht Männer dort, alle drehten sich um als er hereinkam.
„Mensch Lüppi, da bisste jo wieda“, sagte ein älterer Mann, dessen Namen er immer wieder vergaß. Er ging um den Tresen herum, um Uschi in den Arm zu nehmen. Sie kam auf ihn zu.
„Schön, dass du kommst, die Vögel hier gehen mir wieder auf den Zeiger“, sagte sie zu ihm und beide nahmen sich in den Arm. Nach einem langen Kuss fragte Uschi: „Möchtest du einen Kaffee?“
„Das fragst du uns nie“, sagte einer der anderen Gäste.
„Klappe da drüben, sonst bekommst du nur noch Kraneberger.“ Solche Drohungen hatten bei den Männern am Tresen immer die gewünschte Wirkung, da alle wussten, sie würde es wahr machen. Überhaupt war Uschi eine ganz andere Frau als Torti. Genau das Gegenteil. Sehr schlank, im Gesicht fast hager und kurze blonde Haare. Lüppi war der einzige, dem sie es nicht übelnahm, wenn er „Schneewittchen“ zu ihr sagte. Wie das gemeint war wussten alle Besucher der Kneipe. Frei nach dem Motto „schön wie Schneewittchen, aber kein Arsch und kein Tittchen“.
„Ich nehme eine Cola“, antwortete er ihr auf die Frage nach dem Kaffee. Während Lüppi auf dem Weg nach vorne an den Tresen war, nahm Uschi das Bierglas von einem Gast weg, der nicht so häufig da war. Dieser schaute erstaunt als sein Bierglas von ihr am Ende des Tresens abgestellt wurde.
„Du sitzt aufm Platz vonem Lüppi“, erfuhr der Betreffende von seinem Nachbarn zur linken.
„Ich hab dir doch gesacht, dat ist nicht jut date dich da hinsetzten tust“, sagte der andere Nachbar zur rechten. Der Betreffende stand auf und wechselte den Platz, nachdem Uschi mit dem Finger auf die Theke geklopfte hatte und zwei andere Männer meinten: „Geh doch lieber darüber, Helmut.“ Was Helmut nicht wusste sah er als er aufgestanden war. Auf dem Hocker war der Name Lüppi im Holz eingefräst. Dieser stand in der Mitte des Tresens. Lüppi setzte sich auf seinen Stammplatz und trank seine Cola. Die Stunden mit den anderen Männern vergingen wie im Flug. Am Abend sagte er zu Uschi: „Uschi, ich hätte Hunger.“
„Was möchtest du denn?“, fragte sie ihn.
„Was steht denn heute auf der Speisekarte“, fragte er zurück als wenn er es nicht wusste.
Sie lächelte ihn an und fragte in den Raum: „Tja, was habe ich denn heute alles?“ Machte eine Pause, nahm einen DIN A5 Zettel und schaute drauf.
„Da wäre als erstes, Bockwurst mit Kartoffelsalat. Das zweite ist Gulaschsuppe. An dritter Stelle steht Serbische Bohnensuppe und als letztes lese ich Erbsensuppe.“
„Das klingt ja richtig toll. Was hast du denn davon selbstgemacht, liebe Uschi?“, fragte Lüppi.
„Ja, natürlich nichts“, gab sie zur Antwort, mit dem Wissen, dass alle Männer das wussten.
„Nach gründlicher Überlegung entscheide ich mich für die leckere Erbsensuppe“, sagte er zu ihr.
„Schläfst du heute Nacht bei mir?“, fragte sie.
„Wenn du möchtest.“
„Dann such dir was anderes aus.“
„Mmh, Serbische Bohnensuppe brauche ich dann wohl auch nicht sagen?“, fragte er in ihre Richtung. Sie schüttelte ihren Kopf.
„Ja, Mensch, dann nehme ich doch die Gulaschsuppe.“
„Die letzte hat der Michi bekommen.“ Lüppi sah zu Michael hinüber. Der hingegen meinte, er könne nichts dafür.
„Okay, dann bleibt ja nur noch Bockwurst mit Kartoffelsalat“, sagte er.
„Bockwurst ist aus. Den Kartoffelsalat bekommst du“, sagte sie und warf ihm einen Luftkuss über die Theke zu. Gegen 21 Uhr bat Uschi die Männer zu gehen. Sie sagte, sie sei müde. Alle wussten, dass es immer so war, wenn Lüppi bei ihr über Nacht blieb.
18. April 1995, Dienstag, 7.30 UhrEssen Frohnhausen
Lüppi saß mit Uschi an ihrem Küchentisch. Beide tranken Kaffee, für frühstücken war es beiden noch zu früh. Während er die gleiche Kleidung wie am Vortag trug, hatte sie ein Kleid im Leoparden Look an. Dazu hatte sie rote flache Schuhe angezogen.
„Kannst du mich gleich zur Werkstatt fahren. Ich wollte meinen Wagen zur Jahresinspektion bringen?“, fragte sie ihn.
„Ja, klar doch. Wohin bringst du ihn denn?“
„Na, wie immer zum Majewski.“
„War ich da schon mal?“, fragte er sie.
„Nö, du hast ja nie Zeit, wenn ich dich mal brauche. Ich muss dann immer Manni fragen.“
„Heute habe ich Zeit.“
„Schön, dann trink deinen Kaffee aus und wir hauen ab“, sagte sie zu ihm und stand schon mal auf.
„Okay“, sagte er mehr zu sich. „Da hat es wohl jemand eilig.“ Zehn Minuten später saßen beide in ihren Autos und Lüppi fuhr hinter dem Renault 5 von Uschi her. Nach zwanzig Minuten bog sie in die Straße ‚Neue Industriestraße‘ ein und hielt auf dem Gelände der Hausnummer 25.
„Ja, Mensch, hier war ich doch schon Mal“, sagte er zu sich. Er schaute sich um, sah auf das Schild am Gebäude und stieg aus. Während er am Auto stand fragte Uschi ihn: „Was ist, was schaust du so?“
„Hier war ich letztes Jahr“, antwortete er ihr.
„Bringst du auch deinen Wagen hier hin?“
„Nee, das war ein Fall“, sagte er ziemlich nachdenklich.
„Und?“, fragte sie.
„Das war eine junge Frau, die hier erschlagen wurde.“ Dann sah er zur ihr herüber.
„Jetzt habe ich es. Die hieß Moni Rogel und gehörte zu dem Rennteam hier. Steht auch da oben dran“, sagte er und zeigte auf das Schild ‚Motorsport Team Kirchheim und Werkstatt‘. „Das ist übrigens nicht Majewski“, sagte er.
„Ja, weiß ich, das war der Vorbesitzer. Die Mechaniker und der Meister sind aber die gleichen“, antwortete sie ihm und betrat den Betrieb. Er folgte ihr. Dort erfuhr sie, dass der Meister Achim Voigt nicht mehr da war, dafür aber ein sehr kompetenter Neuer, namens Werner Rotmann. Nachdem sie ihren R5, Baujahr 1978, abgegeben hatte fuhr Lüppi sie nach Hause zurück. Nachmittags könnte sie ihren Wagen abholen. Lüppi sagte zu, er würde sie wieder hinfahren. Unterwegs erzählte er ihr von dem Fall Moni Rogel.
Dienstag, 9.15 UhrPolizeipräsidium Essen
Lüppi war gerade in seinem Büro angekommen, welches er sich mit seinem Kollegen Gerhard Schwarz, auch Gördi genannt, teilte. Gördi arbeitete nun mehr als fünf Jahre mit ihm zusammen und war somit der Kollege, der es am längsten mit ihm ausgehalten hatte. Beide verstanden sich sehr gut, sagte Lüppi immer, wenn er gefragt wurde. Anders die Aussage von Gördi, der immer sagte, ‚Es geht‘ oder ‚Ist okay‘. Am allerliebsten hatte Lüppi mit seiner früheren Kollegin Heike Buhrmann zusammen gearbeitet. Diese war allerdings vor sieben Jahren nach Frankfurt am Main umgezogen, wegen eines Mannes. Die Schreibtische der beiden standen jeweils mit dem Rücken zur Wand, so dass sie sich sehen konnten. Zwischen den Schreibtischen waren vier Meter frei, dort wollten beide eigentlich immer einen Tisch mit vier Stühlen haben. Den hatten sie aber nie bekommen. Gördi saß bereits an seinem Schreibtisch, was nicht anders zu erwarten gewesen war. Er nahm alles sehr genau, was ihm bei den anderen Kollegen auch die Namen ‚Erbsenzähler‘ und ‚Korinthenkacker‘ eingebracht hatte. Diese Arbeitseinstellung hatte Vorteile, die Lüppi zu nutzen wusste. Allerdings auch einige Nachteile, was die Ermittlungen nach Feierabend betraf. Gerhard hatte eine junge Frau und eine Tochter, ein Reihenhaus mit Garten und spielte Fußball in einem fünftklassigen Club. Lüppi interessierte sich auch für Fußball, insbesondere für den Essener Verein Rot-Weiß-Essen. Nicht das er dort regelmäßig hinging, es genügte ihm, wenn er erfuhr, wie die Mannschaft gespielt hatte. Es war immer gut, wenn man sagen konnte, dass man sich dafür interessierte, so seine Erfahrung. Es gab auch einen Altersunterschied bei den beiden. Gördi war 36 Jahre und Lüppi 53 Jahre alt. Lüppi nahm vieles nicht so genau und auch nicht so ernst. Seine Standardantwort war „In Ordnung“ oder ab und zu „Geht schon.“ So verwunderte es nicht, dass er nicht sofort zum Chef ging, der ihn sofort sehen wollte, wenn Lüppi ins Büro käme. Stattdessen setzte er sich an seinen Schreibtisch und trank erst einmal eine zweite Tasse Kaffee, die Gördi für beide gekocht hatte. Es waren fünf Minuten vergangen als der Chef von beiden, Kriminalrat und Leiter der Kriminalinspektion 1, ins Büro gestürmt kam und entrüstet feststellte, dass Kommissar Lüppi am Schreibtisch saß.
„Lüppi, ich wollte dich sehen“, rief Eckerhard Schuster.
„Ja, das kannste ja jetzt“, antwortete Lüppi.
„Du solltest zu mir kommen.“
„Ja, wäre ich ja auch gleich“, war die Antwort.
„Komm bitte mit in mein Büro“, sagte Eckerhard Schuster. Lüppi stand auf und folgte seinem Chef. Dort angekommen, wollte dieser wissen.
„Erzähl mir mal, was du letzten Donnerstagabend zu dem Abgeordneten des Landtages gesagt hast.“
„Tja, was war das denn?“, stellte er sich laut die Frage selbst. „Warte mal, es fällt mir gleich wieder ein.“
„Hast du zu ihm ‚Sie blödes Arschloch‘ gesagt und hast ihn einfach dumm stehenlassen?“, wollte Eckerhard Schuster wissen.
„Stimmt, jetzt wo du es sagst, fällt es mir wieder ein.“
„Ja, spinnst du denn? Der Polizeipräsident hat mich Ostersonntag angerufen.“
„Och, hat der etwa deine Nummer?“
„Ja, hat er.“
„Die hätte ich dem nicht gegeben. Das war nicht gut von dir“, sagte Lüppi.
„Lüppi, willst du mich verscheißern?“
„Nö, habe ich nicht vor. Aber jetzt mal im Ernst. Dieses Arschloch von Abgeordneten hat sich in die Ermittlungen eingemischt, sie behindert und alles getan, um seinen Bruder gut aussehen zu lassen.“
„Das hätten viele andere auch getan.“
„Gehört sich aber nicht und als Abgeordneter des Landtages schon gar nicht. Zudem hat er mir gedroht, ich solle endlich seinen Bruder in Frieden lassen sonst würde ich bald Streife fahren.“
„Der Bruder ist aber überführt und hat gestanden?“
„Ja, hat er.“
„Freiwillig oder hast du etwa…?“, fragte Eckerhard Schuster. Lüppi antwortete nicht, dafür kam sein Kollege Gerhard Schwarz ins Büro.
„Entschuldigung, Herr Kriminalrat. Lüppi, wir müssen los. Oben im Schellenberger Wald ist ein Toter gefunden worden.“
„Jo, ich komme Gördi“, sagte Lüppi und verließ schnurstracks das Büro seines Chefs. Der rief noch hinter ihm her: „Lüppi, wir sind noch nicht fertig.“
– Doch, sind wir. – dachte Lüppi.
Dienstag, 10.35 UhrEssenSchellenberger Wald
Lüppi war mit dem Mercedes die Heisinger Straße hochgefahren. Gegenüber der Uhlenstraße war er auf einen unbefestigten Weg nach links abgebogen. Nach einigen hundert Metern kamen die beiden mit dem Auto nicht mehr weiter. Nach Anweisung eines Streifenkollegen gingen Gördi und Lüppi die letzten Meter zu Fuß. Der Tote lag im Dickicht und war am Morgen von einem älteren Herrn gefunden worden oder besser gesagt, von dessen Hund. Der Tote hatte eine zerrissen Hose, da die Promenadenmischung versucht hatte ihren Fund aus dem Dickicht zu ziehen.
„Guten Morgen, Kollegen.“ sagte Gördi. Lüppi sagte nichts. Ein Streifenpolizist erzählte den beiden was sie bis zu diesem Zeitpunkt wussten, also nur wie der Tote gefunden worden war.
„Wer ist das?“, fragte Lüppi.
„Keine Ahnung. Hat keine Papiere bei sich“, kam die Antwort.
„Sehe ich das richtig, der hat Arbeitskleidung an?“, fragte Gördi.
„Jo, siehste richtig. Hat er“, sagte Lüppi.
„Schon wieder ein Handwerker weniger“, meinte der Steifenpolizist.
„Wieso schon wieder?“, fragte Lüppi nach.
„Vor drei Monaten war doch schon mal einer in der Innenstadt.“
„Wann kommt die Rechtsmedizin?“, fragte Gördi.
„Müsste gleich da sein.“ Nur wenige Minuten später kam die Rechtsmedizinerin Dr. med. Stefanie Schneider am Tatort an. Sie fing sogleich an den Toten grob zu untersuchen. Nach wenigen Minuten stellte sie fest: „Der Tote muss zu uns in die Uniklinik. Er ist viel zu stark verschmutzt, um hier schon etwas sagen zu können.“ Das Institut für Rechtsmedizin befand sich auf dem Gelände des Universitätsklinikum Essen und war auch für die Stadt Bochum zuständig.
„Stefanie, kannst du ungefähr sagen, woran er gestorben sein könnte?“, fragte Lüppi.
„Die einzige Verletzung, die ich hier sehen kann, ist auf seinem Kopf. Das sieht sehr schlimm aus.“
„Okay, er hat also etwas auf den Kopf bekommen. Mmh, vielleicht ist er erschlagen worden oder es ist ihm irgendetwas auf den Kopf gefallen“, sagte Lüppi mehr zu sich selbst als zu den anderen Anwesenden. Er schaute auf den Toten.
„Was machst du hier? Warum an diesem Ort? Warum liegst du nicht irgendwo anders?“, fragte Lüppi den Verstorbenen. Um drei Augenblicke später zu sagen: „Okay, du antwortest nicht. Auf den Kopf gefallen ist dir auf jeden Fall nix.“
„Warum nicht?“, fragte Gördi.
„Warum ist er dann hier im Wald? Wäre ihm etwas auf den Kopf gefallen, wäre er im Krankenhaus gelandet und nicht hier. Das ist es also nicht. Dieser Handwerker ist entsorgt worden“, sagte Lüppi.
„Vielleicht war die Rechnung zu hoch, die er ausgestellt hat oder er hat schlecht gearbeitet“, meinte der Streifenpolizist. Lüppi sah den Kollegen an, schüttelte den Kopf und überlegte weiter.
„Ist der Beruf der Hintergrund?“ fragte er sich. „Ob dein Beruf der Grund für deinen Tod ist, müssen wir erst noch herausfinden. Was hast du denn so in deiner Freizeit gemacht?“, fragte Lüppi den Verstorbenen. Wenig später gingen Gördi und Lüppi zum Auto zurück.
„Wie ist der eigentlich hierhin gekommen?“ Kollege Gördi wusste es auch nicht, daher antwortete er auch nicht darauf. Im Auto angekommen nahm er seinen karierten Block und einen Bleistift. Da Lüppi nicht wusste, wann er das nächste Mal etwas vergessen würde, schrieb er alle seine Fragen nacheinander auf. Das tat er immer so. Gerade war er damit fertig, da kamen aus derselben Richtung, wo er hergefahren war, zwei Reporter des Weges gelaufen. Gördi und Lüppi kannten die beiden. Um keine Fragen gestellt zu bekommen, fuhr Lüppi los, an den beiden vorbei.
Dienstag, 11.55 UhrPolizeipräsidium Essen
Das bei einem Mord eine Mordkommission eingerichtet wurde, stand außer Frage. Für alle war auch klar, dass der Leiter der Mordkommission Kriminalhauptkommissar Lüpke sein würde, wie fast immer. Als beide wieder in ihrem Büro angekommen waren ließ sich Lüppi als MK-Leiter die jüngsten Vermisstenmeldungen geben. Nachdem beide diese erhalten hatten, wurden sie ‚brüderlich‘ aufgeteilt. Sie sahen die beiden Stapel durch. Zehn Minuten waren vergangen als Lüppi sagte: „Ich glaube, ich habe ihn.“
„Wer ist es?“, fragte Gördi.
„Erik Metzer. Seine Frau hat ihn letzte Woche Freitag als vermisst gemeldet.“
„Wo kommt der her?“
„Aus Essen Haarzopf. Die Straße heißt ‚Auf´m Keller‘ Nummer 5.“
„Kenne ich nicht“, sagte Gördi.
„Ist ja auch nicht deine Ecke“, antwortete Lüppi.
„Du kennst die Straße?“
„Nö, wusste nicht, dass es die gibt. Klingt aber lustig.“ Beide entschlossen sich das Unbeliebteste zu tun, was ihr Beruf bereit hielt. Sie fuhren zu Frau Metzer. Beide waren im Gang auf dem Weg nach draußen und gingen an der offenstehenden Tür von ihrem Chef vorbei, der so gleich rief: „Lüppi, komm mal rein!“
Ohne stehen zu bleiben, rief er zurück: „Geht nicht, müssen zu Frau Metzer.“
„Wer ist Frau Metzer?“, rief Eckerhard Schuster. Keine Antwort, beide waren schon weg. Bevor sie zu ihr fuhren, führte ihr Weg sie zum Universitätsklinikum Essen. In der Rechtsmedizin angekommen suchten sie die Rechtsmedizinerin, Dr. med. Stefanie Schneider, auf.
„Was wollt ihr denn schon hier?“, fragte sie.
„Wir wollen diese Vermisstenmeldung mit dem Toten vergleichen“, antwortete Gördi. Wenig später stellten alle drei fest, der Tote war Erik Metzer. Beide verabschiedeten sich von Stefanie und fuhren nach Haarzopf.
Dienstag, 11.55 UhrEssen Haarzopf
Der Mercedes von Lüppi bog von der Straße ‚Auf´m Gartenstück‘ nach links in die Straße ‚Auf´m Keller‘ ein. Nach fünfzig Metern hielten sie an und sahen sich um.
„Nummer 5 müsste da vorne sein“, sagte Gördi. Nachdem der Wagen abgestellt war, gingen beide einen Weg entlang, der nur für Fußgänger zu sein schien. Das hinterste Haus der vier hintereinander liegenden war Nummer 5. Es war ein Neunfamilienhaus, wie man anhand der Klingeln sehen konnte. Gördi drückte auf die Klingel Metzer. Es tat sich nichts. Er drückte erneut. Auch zwei weitere Male, dasselbe Ergebnis. Es ging die Haustür auf und eine ältere Dame schaute heraus.
„Zu wem möchten Sie“, fragte sie.
„Zu Frau Metzer“, gab Gördi an.
„Sie sind bestimmt von der Polizei? Wie geht es dem Erik denn?“
„Wissen Sie, wo wir sie finden?“
„Das heißt nichts Gutes, wenn Sie ein Geheimnis darum machen.“
„Wissen Sie, wo sie ist?“
„Dort drüben im Supermarkt an der Kasse“, sagte die Dame und zeigte mit dem Finger in Richtung Garagenhof. Beide drehten sich um als wenn man von dort aus den Supermarkt sehen könnte. Konnte man aber nicht.
„Ja, sehen können Sie ihn nicht. Der ist aber direkt hinter den Garagen.“
„Wie kommen wir dorthin?“
„Einmal außen rum“, antworte sie und machte mit dem Zeigefinger einen entsprechenden Linksbogen in der Luft. Gördi bedankte sich und die Dame bat die beiden, ihr die schlechte Nachricht schonend beizubringen. Auf Nachfragen von Lüppi, woher sie wüsste, was sie sagen würden, meinte sie: „Das ist doch klar, das ist am Sonntagabend beim Tatort auch immer so.“ Nach wenigen Minuten waren beide am Supermarkt angekommen. Wie vorher gesagt befand sich Frau Metzer an einer der Kassen. Gördi sprach sie an und bat darum, mit ihr alleine sprechen zu können. Der Marktleiter stellte spontan sein Büro zur Verfügung. Lüppi übernahm die Aufgabe, die Nachricht zu überbringen. Gerhard Schwarz war jedes Mal überrascht, wie Gefühlvoll sein Kollege solche Dinge hinbekam, so auch bei dem Fall. Beide blieben noch eine Viertelstunde bei Frau Metzer, bis der Marktleiter und die ältere Dame aus dem Wohnhaus sie nach Hause brachten. Gördi sagte noch zu Frau Metzer, dass sie ihren Mann am nächsten Tag identifizieren müsste und beide würden sie abholen. Von dem Marktleiter erfuhren sie noch den Arbeitgeber, bei dem Erik Metzer beschäftigt gewesen war.
Dienstag, 14.30 UhrEssen Kray
Es war halb drei geworden als die beiden bei der Firma ‚Sanitär und Heizung Birnbaum‘ ankamen. Der Chef, Wilfried Birnbaum, befand sich in seinem Büro als die beiden Kripobeamte ihn aufsuchten. Die Begrüßung fiel sehr knapp aus, einen längeren Blick zu den beiden und weitere Höflichkeitsfloskeln wurden von Herrn Birnbaum anscheinend als überflüssig empfunden. So machte der Chef der Firma auch keinen Hehl daraus, dass die beiden zu einem ungünstigen Zeitpunkt kamen. Gördi war wie immer die Freundlichkeit in Person.
„Entschuldigen Sie bitte unsere Störung“, sagte Gördi und hielt seinen Polizeiausweis hoch. Herr Birnbaum reagierte gar nicht. Auch ein weiterer Versuch brachte nicht die erhoffte Aufmerksamkeit. Nach einer Minute des Wartens unternahm Gördi den nächsten Versuch.
„Wir sind von der Polizei und müssten Sie sprechen.“
„Was ist denn?“, fragte Wilfried Birnbaum, weiter ohne hoch zu sehen.
„Wir müssten Sie bitte einmal wegen Herrn Metzer sprechen.“
„Was hat der Penner denn jetzt wieder angestellt?“, fragte der Chef und sah dabei noch immer nicht auf. Lüppi machte eine Handbewegung zu seinem Kollegen, er solle nichts mehr sagen. Stattdessen schaute der Chef nach einigen Augenblicken hoch und rief ärgerlich: „Ja, was denn jetzt? Kommt da noch mal wat. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, Mann.“
„Ich bin Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke und fordere Sie hiermit auf Ihren Ton zu mäßigen.“
„Wat wollen Sie denn von mir? Ist ein neuer Sheriff in der Stadt?“ Lüppi reagierte nicht weiter darauf, dies brachte Herrn Birnbaum erst so richtig in Rage. Die nächsten Minuten beschwerte er sich lautstark über alles, was er dem Staat, der Stadtverwaltung und allen anderen Menschen so anlastete. Lüppi ging die Hutschnur hoch und schrie Herrn Birnbaum an: „Halten Sie endlich Ihre verdammte Schnauze und hören Sie zu, was wir Ihnen zu sagen haben. Und noch ein falscher Ton und Sie verbringen die Zeit bis morgen Abend im Polizeigewahrsam. Ist das jetzt bei Ihnen angekommen?“ Wilfried Birnbaum schaute Lüppi an und sagte nichts mehr.
„Na, geht doch. Schön, dass Sie sich nun auf uns konzentrieren können. Gerhard, bitte noch einmal“, sagte Lüppi.
„Ich bin Kriminalkommissar Gerhard Schwarz. Wir sind von der Kriminalinspektion 1. Wir haben Ihren Mitarbeiter, Herrn Metzer, tot im Schellenberger Wald aufgefunden“, sagte er in einem sehr ruhigen Ton.
„Entschuldigung! Bitte was? Sie haben Jens tot aufgefunden?“, fragte Herr Birnbaum nach.
„Jens? Nein, nicht Jens, sondern Erik Metzer.“
„Erik ist tot?“
„Ja, ist er. Wieso fragen Sie nach einem Jens Metzer?“
„Weil beide Metzer hier arbeiten. Erik ist mein bester Mitarbeiter. Und Sie sind sich ganz sicher, dass nicht eine Verwechslung vorliegt?“
„Sind die beiden unterschiedlichsten Alters?“
„Ja, so unterschiedlich alt, wie man als Zwilling halt sein kann.“
„Zwillinge?“, fragte Gördi. Lüppi ärgerte sich darüber maßlos, dass ihnen ein möglicher Fehler unterlaufen war.
„Ganz ehrlich, wir sind bis jetzt davon ausgegangen, dass es sich bei dem Toten um Erik Metzer handelt, da seine Frau ihn am Freitag als vermisst gemeldet hat“, sagte Lüppi.
„Dann wissen Sie gar nicht, dass es Zwillinge sind? Wieso hat sie ihn vermisst gemeldet?“, fragte Herr Birnbaum.
„Nein, bis jetzt nicht und das andere wissen wir nicht“, bestätigte Lüppi.
„Und wer ist jetzt wirklich tot?“
„Das ist jetzt eine gute Frage. Ich möchte Sie bitten uns zur Rechtsmedizin zu begleiten und uns zu sagen, wer von den beiden dort liegt.“
„Hoffentlich nicht Erik.“
„Ist Jens so schlimm?“, fragte Gördi nach.
„Schlimm? Das ist der letzte Penner, ein Nichtsnutz, einer den man nicht alleine irgendwo hin schicken kann. Der ständig nur Ärger macht, der ist so faul, der stinkt bis nach Duisburg.“
„Warum beschäftigen Sie ihn dann?“, fragte Lüppi.
„Weil ich seinen Eltern das versprochen habe. Einer meiner größten Fehler.“
„Darf ich einmal Ihr Telefon benutzen?“, erkundigte sich Lüppi.
„Ja, bitte. Da steht es.“ Lüppi nahm seinen Block, blätterte auf die erste Seite, nahm den Hörer vom Apparat herunter und wählte die Rufnummer von Stefanie.
„Rechtsmedizin, Sie sprechen mit Frau Dr. Schneider.“
„Hallo, Stefanie. Ich bin es, es gibt zwei Metzer. Erik und Jens Metzer, das sind Zwillinge. Wir kommen jetzt mit deren Chef zu dir und lassen den Toten identifizieren.“
„Ach, du Schrecken. Na, dann kommt mal.“ Dann war das Gespräch beendet.
„Ich habe da eine Frage, Herr Birnbaum. Vermissen Sie die beiden denn nicht?“, fragte Lüppi.
Herr Birnbaum sah Lüppi an und antwortete: „Nein, eigentlich nicht. Erik müsste auf der neuen Baustelle sein. Den muss ich nicht kontrollieren und Jens hat sich letzte Woche Mittwoch schon wieder krankgemeldet.“
„Dann kommen Sie bitte mit zur Rechtsmedizin.“ Das tat Herr Birnbaum dann auch. Beide stellten fest, allmählich wurde er immer umgänglicher. Zwanzig Minuten später waren alle drei in der Rechtsmedizin angekommen. Wilfried Birnbaum identifizierte den Toten als Erik Metzer, da war er sich sehr sicher.
„Herr Birnbaum, was macht Sie jetzt so sicher, dass es sich bei dem Toten um Erik Metzer handelt“, fragte Lüppi nach.
„Ganz einfach, Jens hat sich letzte Woche, bei einem Kunden, in die linke Hand geschnitten. Das war so ein langer Schnitt, dass er damit ins Krankenhaus musste. Diesen Schnitt habe ich letzten Mittwoch noch gesehen“, sagte Herr Birnbaum.
„Und der Tote hat diesen Schnitt nicht“, bestätigte Gördi.
„Genau.“
„Dann ist er identifiziert.“ Die drei verabschiedeten sich von Frau Dr. Schneider und Lüppi sagte: „Gördi, gehe bitte mit Herrn Birnbaum schon mal vor, ich komme sofort.“ Als die beiden weg waren, sagte Stefanie zu Lüppi: „Ich weiß, was du mir sagen willst.“
„Okay und was?“
„Du kommst morgen trotzdem mit Frau Metzer hierher, richtig?“
„Richtig, bei Zwillingen möchte ich sicher sein.“
„Sehe ich auch so.“ Nach zwanzig Minuten setzten die beiden Herrn Birnbaum vor seiner Firma wieder ab und Lüppi ergänzte noch: „Bitte wundern Sie sich nicht, wir werden Sie noch einige Male aufsuchen müssen.“
„Ist in Ordnung, tun Sie das.“
Dienstag, 17.05 UhrPolizeipräsidium Essen
Beide waren wieder im Büro eingetroffen und Gördi sah auf die Uhr.
„Ja?“, fragte Lüppi in seine Richtung.
„Genau das“, kam als Antwort.
„Schönen Feierabend.“ Kurze Zeit später war Gördi weg. Lüppi erkundigte sich nach der Anschrift von Jens Metzer.
„So, so, in Essen Schonnebeck wohnst du also“, sagte Lüppi und sah dabei auf den Zettel, auf dem er die Adresse notiert hatte, als wenn er ihn dort sehen konnte. Er überlegte.
„Ich könnte zu einer meiner beiden fahren und auch so früh Feierabend machen wie Gördi“, sagte er sich. Dann stand er auf und verließ das Büro. Auf Höhe des Büros von Eckerhard Schuster blieb er stehen. „Quatsch“, sagte er, drehte sich um und ging zurück. Nahm den Zettel und fuhr zu der Adresse nach Schonnebeck. Nach vierzig Minuten durch den Berufsverkehr war er dort. Jens Metzer wohnte in einem Mehrfamilienhaus. Er schellte, aber es machte niemand auf. Er schellte noch einmal. Nichts. Ein drittes Mal. Das untere Fenster der rechten Wohnung wurde geöffnet.
„Wohin wollen Sie?“, fragte ein älterer Mann.
„Zu Jens Metzer.“
„Der könnte auf dem Fußballplatz da drüben sein“, sagte er und zeigte in die entsprechende Himmelsrichtung.
„Prima.“
„Finden Sie den Platz?“
„Jo, geht schon.“ Lüppi ging zu seinem Auto zurück und fuhr los. Der ältere Mann blieb am Fenster bis Lüppi weg war. Am nahegelegenen Fußballplatz angekommen sah er, dass einige Leute dem Training zusahen. Er stellte sich dazu.
Dienstag, 17.45 UhrEssen Frohnhausen
Marie klopfte bei Lüppi an die Wohnungstür, mit dem Wissen, dass er sowieso nicht da sein würde. Wartete einen Augenblick und schloss die Korridortür auf. Als erstes stellte sie ihm die Einkäufe, die sie für ihn mitgebracht hatte in den Kühlschrank und in seinen Vorratsschrank. Bis zu diesem Tag hatte sie nur auf seine Bitte hin für ihn Einkäufe erledigt. Es war also das erste Mal, dass sie für ihn Einkaufen gewesen war, ohne dass er es wusste. Sie sah sich um und spülte ihm den Abwasch weg. Nachdem das Geschirr und Besteck wieder im Schrank war ging sie ins Badezimmer. Dort sah sie zu der Maschine und stellte fest, dass diese noch an war. Sie fragte sich, wann er die wohl angestellt hatte, schaltete die Maschine aus und öffnete das Bullauge. Der Duft, der ihr entgegen kam, ließ sie die Tür sofort wieder schließen und sie schaltete die Waschmaschine wieder an. Zwei Stunden später kam sie in Lüppi´s Wohnung zurück und holte die Wäsche aus der Maschine, die sie bei sich zum trocknen auf den Balkon hing.
Dienstag, 18.50 UhrEssen Schonnebeck
Das Fußballtraining war vorbei und der Trainer und die Spieler waren auf dem Weg in die Umkleidekabine, da sprach Lüppi den Trainer an.
„Guten Tag, entschuldigen Sie bitte. Ist Jens Metzer hier?“
„Wer will das wissen?“
„Ich möchte das wissen. Ich bin Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke und suche ihn.“
„Ist nicht da, aber schon seit Anfang letzter Woche nicht“, sagte der Trainer und wandte sich wieder ab.
„Noch eine kurze Frage.“ Der Trainer blieb stehen und drehte sich zu Lüppi um: „Ja?“
„Können Sie mir einen Tipp geben, wo ich ihn suchen kann?“
„In den umliegenden Kneipen oder mal wieder im Krankenhaus nach einer Schlägerei. Er kann auch sturzbesoffen Zuhause in der Wohnung liegen.“
„Das hört sich nicht gut an.“
„Das ist es auch nicht. Und wenn Sie den Arsch sehen, sagen Sie ihm bitte, er braucht sich hier nicht mehr blicken lassen.“
„War das schon immer so oder ist das erst seit kurzem?“
„Das ist schon seit Jahren so. Ich habe mich nur immer von dem Arsch breitschlagen lassen, aber damit ist jetzt Schluss.“ Er wandte sich erneut ab und folgte den Spielern in die Kabine.
„Okay, willst du noch einmal zu dem älteren Herrn zurück? Frag ihn doch mal, ob er weiß, wer einen Schlüssel von der Wohnung hat“, sagte Lüppi zu sich selbst und sah dabei zum Fußballplatz.
„Haben Sie etwas gesagt?“, fragte einer der älteren Zuschauer.
„Nein, ich spreche nur mit mir selbst.“
„Na, das fängt aber früh bei Ihnen an. So alt sind Sie doch noch gar nicht.“ Lüppi sah den Mann an, hob die Hand zum Gruß und ging zum Auto zurück. Wenige Minuten später war er wieder an dem Haus. Er schellte unten rechts. Der Türdrücker wurde betätigt und Lüppi ging hinein.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich noch mal störe. Ich bin Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke und am Sportplatz war Jens Metzer nicht. Wissen Sie, wer einen Schlüssel von seiner Wohnung hat?“
„Was wollen Sie denn von ihm?“
„Es ist etwas mit seinem Bruder und daher möchten wir ihn dringend sprechen. Sein Trainer meinte, der könnte besoffen in seiner Wohnung sein.“
„Da ist er nicht, das hätte ich gehört.“
„Wissen Sie, wer einen Schlüssel von seiner Wohnung hat?“, fragte Lüppi noch einmal.
„Mann, Sie sind aber hartnäckig. Das haben Sie mich doch gerade schon gefragt.“
„Ja, und?“
„Warten Sie, ich suche den Schlüssel.“ Es dauerte zehn Minuten, dann kam der ältere Mann mit diesem an. Wortlos ging er nach oben in den ersten Stock. Lüppi folgte ihm einfach mal. Er schloss die Tür auf, sah Lüppi an und fragte: „Sie haben doch bestimmt auch so einen Ausweis wie beim Tatort, oder?“ Lüppi zog seinen Dienstausweis aus der Hose und hielt ihm den vor die Nase.
„In Ordnung, aber nix durcheinander bringen“, sagte der ältere Mann und öffnete die Tür ganz. Das, was die beiden dort zu sehen bekamen, verschlug selbst Lüppi den Atem.
„Ich glaube, hier kann man nichts durcheinander bringen. Sehen Sie das auch so?“, fragte Lüppi. Der ältere Mann sah ihn an, schüttelt den Kopf und antwortete: „Ziehen Sie einfach zu, wenn Sie fertig sind.“ Er betrat die Wohnung. Sah links in das Badzimmer. Im Waschbecken war getrocknetes Blut. Sehr viel sogar. Auch auf der völlig verdreckten Badematte war Blut zu erkennen. Selbst in der Badewanne gegenüber waren einige Spritzer. Er sah in die offene Toilette, kein Blut aber sehr dreckig.
„Meine Scheiße, was für ein Dreckskerl ist das denn?“, fragte er sich und sah dabei in den Spiegel vom Spiegelschrank, der über dem Waschbecken hing. Nein, er versuchte in den Spiegel zu sehen. Konnte aber nur seine Umrisse erkennen. Er verließ das Bad und ging gegenüber in die Küche.
„Meine Güte, was ist das denn? Dagegen ist meine Küche ja ein Traum.“ Auf dem Herd stand eine Pfanne, in der angebrannte Fritten festgebacken waren. Er sah im Kühlschrank nach. Bier, Bier, Bier und eine alte unabgedeckte angegessene und angeschimmelte Pizza. Der Spülberg türmte sich auf der Spüle.
„Du hast auch noch Spülkram Zuhause stehen, Lüppi“, sagte er zu sich selbst. Nach der Küche ging er ins Wohnzimmer. Der Eingang war vor Kopf, gegenüber der Wohnungstür. Langsam schob er seinen Kopf vor, sah nach links und stutzte. Auf dem Couchtisch lagen aufgeschlagene Ordner, fünf Stück über- und nebeneinander. Die Couch war mal hellbeige gewesen, vor langer Zeit. Es lagen sehr viele Anziehsachen drauf. Auch hier Blut. Der Fernseher hatte oben links einen Sprung in der Glasscheibe. Einige Türen vom Wohnzimmerschrank standen auf. Irgendjemand hatte etwas gesucht, das war zu sehen. Lüppi drehte sich um und ging in das Schlafzimmer, welches neben der Küche lag. Die Tür dafür war im Wohnzimmer. Ein Doppelbett links, rechts der Schrank. Auch hier waren Türen offen. Nicht viel drin.
„Liegt ja auch einiges auf der Couch“, beurteilte er. Nachdem er das Oberbett zurück geschlagen hatte, bereute er, dies getan zu haben.
„Das ist dann wohl ein Bremsstreifen“, sagte er und sah sich weiter um. Im Wohnzimmer stand ein Telefon. Er nahm den Hörer ab. Tod, kein Freizeichen. Er verließ die Wohnung, die Tür lehnte er nur an. Bei dem älteren Herrn schellte er und fragte, ob er mal telefonieren könnte. Das durfte er. Die Kollegen von der Spurensicherung würden eine halbe Stunde brauchen, wurde ihm am Telefon von Horst Vollmer mitgeteilt. Es wurde eine Stunde, in der Zeit saß er zusammen mit dem älteren Herrn in dessen Küche. Er hörte sich Geschichten aus vergangenen Jahren an. Das kannte er schon von seinen zahllosen Kneipenbesuchen. Auf dem Rückweg von Schonnebeck hatte er seinem Kollegen noch schnell einen Zettel auf den Schreibtisch gelegt.
Dienstag, 22.40 UhrEssen Frohnhausen
Lüppi schloss seine Wohnungstür auf und betrat die Wohnung. Er war kaputt und fertig für diesen Tag. Hunger hatte er auch. Der Spülkram fiel ihm wieder ein. Den wollte er auf jeden Fall noch beseitigen, denn schließlich sollte es nicht so aussehen wie bei diesem Jens. Erstaunt blieb er vor seiner leeren Spüle stehen.
„Wo ist der Spülkram hin?“ Er sah in den Hängeschränken nach und stellte fest, das Geschirr war wieder sauber an seinem Platz.
„Torti, du liebe Frau, hast du meinen Kram weggespült?“, fragte er als wenn sie es nebenan hören könnte. Er kam auf die Idee mal im Kühlschrank nachzusehen. Dieser war mit leckeren Dingen gefüllt. Sechs Joghurts, frischen Gouda, Margarine, Wurst und vor allen Dingen war auch seine Lieblingswurst dabei, Mortadella mit Ei. Er schaute glücklich in seinen Vorratsschrank. Auch dieser sah besser aus als am Sonntagmorgen. Eingepacktes geschnittenes Brot lag dort.
„Mein Gott, Torti, was würde ich eigentlich ohne dich tun? Nichts mehr essen heute Abend, du Idiot“, war seine Antwort auf seine eigene Frage. Er nahm drei Scheiben Brot, Margarine und Mortadella mit Ei und schmierte sich noch drei Schnitten bevor er zu Bett ging.
19. April 1995, Mittwoch, 9.10 UhrPolizeipräsidium Essen
Gördi war pünktlich vor acht Uhr angekommen. Lüppi´s Zettel hatte er gefunden. Lüppi selbst war zu spät wach geworden und daher kam er mal wieder „Zeitversetzt“, wie er es nannte, im Büro an.
„Morgen Gördi, haste den Zettel gefunden?“
„Morgen Lüppi, ja, habe ich.“
„Und schon was herausgefunden?“
„Dieser Erik hat mal recht gut Handball gespielt. Hat vor sechs Jahren aufgehört, anscheinend Altersbedingt.“
„Wie alt sind die beiden noch mal?“
„35 Jahre.“
„In Ordnung. Gibt es sonst noch etwas?“
„Nein, nichts. Kein Strafmandat, keine Ordnungswidrigkeit, keinerlei Auffälligkeiten, einfach nichts.“
„Gott, war der langweilig. Ich kann mir noch keinen Reim darauf machen, warum er im Wald entsorgt wurde.“
„Vielleicht sind die beiden verwechselt worden?“
„Daran habe ich auch schon gedacht. Sein Bruder ist da ja aus ganz anderem Holz geschnitzt.“
„Ist aber komisch bei Zwillingen.“
„Anhand der Passbilder sieht man, sie waren keine eineiigen Zwillinge.“
„Das kann man so sagen. Dieser Jens hatte in den letzten Jahren einige Schlägereien, vier Mal Körperverletzungen, mehrfacher Verdacht wegen Betrugs. Man konnte ihm aber nie etwas nachweisen. Hat drei Mal in Untersuchungshaft gesessen. Ich habe die Adresse, sollen wir mal zu dem nach Hause fahren?“
„Da war ich gestern noch. Die Kollegen von der Spurensicherung waren auch noch abends da. Der Bericht müsste heute noch kommen?“
„Spurensicherung? Was hast du denn gefunden?“
„Dreck, Dreck, Dreck und älteres Blut. Wo waren denn die Schlägereien und Körperverletzungen?“
„An bekannten Kneipen und einschlägigen Orten im Rotlichtviertel.“
„In Ordnung, dann fahren wir mal zu Frau Metzer und bringen sie in die Rechtsmedizin. Ruf sie doch mal an und sag ihr, dass wir kommen. Ich verständige Stefanie“, sagte Lüppi.
Mittwoch, 10.20 UhrEssen
Gördi und Lüppi hatten Frau Metzer von Zuhause abgeholt und waren mit ihr zur Rechtsmedizin gefahren. Stefanie, die Rechtsmedizinerin, hatte schon auf die drei gewartet. Unter Tränen und mit fürsorglicher Hilfe von Lüppi bestätigte sie, dass der Tote ihr Mann sei. Sie befand sich kurz vor einem Zusammenbruch. Als die drei wieder gingen, schaute Stefanie zu Lüppi hinüber, hob dabei die Augenbrauen und machte eine Handbewegung als wenn sie mit einem Gegen-stand schlagen wollte. In ihrer Hand hatte sie nichts. Einen solchen Hinweis kannte er schon von ihr. Die beiden brachten Frau Metzer wieder nach Haarzopf zurück. Danach überlegten noch beide, was Erik noch alles passiert sein könnte. Ihnen fiel aber nichts Gescheites ein. Er hatte ein unauffälliges Leben geführt.
„Ich komme immer mehr darauf, dass Erik nicht gemeint gewesen ist“, sagte Gördi.
„Das glaube ich allmählich auch. Das würde dann auch das Blut in der Wohnung von diesem Jens erklären“, sagte Lüppi.
„Dann sollten wir jetzt zu den bekannten Kneipen und ins Rotlichtviertel fahren.“ Das taten die beiden auch. Das Lichtbild aus dem Bundeszentralregister zeigten beide in den besagten Kneipen herum. In vier von sechs erkannte man Jens Metzer anhand des Bildes. In zweien war sogar der Name bekannt. Aber keiner hatte ihn seit Mitte der vorherigen Woche mehr gesehen. Bei fünf Kneipen erhielten sie die Aussage, dass es ungewöhnlich sei. Den interessantesten Hinweis erhielten beide in der siebten Kneipe.
„Der Jens arbeitet doch im dem Club ‚Tabledance Universum‘.“ Beide waren überrascht dies zu hören. Gördi bedankte sich und beide fuhren zum Club. Lüppi fragte seinen Kollegen, ob die denn geöffnet hätten. Gördi sagte ja und ahnte schon was passieren würde, wenn er nach über fünf Jahren dort wieder auftauchte. Kaum waren sie bis auf ein paar Schritte herangekommen, da erkannte ihn einer der drei Türsteher.
„Ja, wen haben wir denn da? Der Herr Schwarz.“
„Guten Tag, die Herren“, antwortete Gördi. Lüppi sagte wie meistens nichts.
„Ja, wo waren Sie denn so lange?“
„Ich bin nicht mehr bei der Sitte, seit ich geheiratet habe. Wir suchen Jens Metzer“, antwortete Gördi.
„Den Jens sucht ihr? Aha.“
„Und wo ist er?“
„Gehen Sie mal zum Chef“, sagte der eine Türsteher und öffnete die Tür für die beiden. Sie gingen durch das Lokal. Zielsicher steuerte Gördi auf einen Vorhang zu, schob diesen beiseite und eine Tür, die nach innen aufging, wurde sichtbar.
„Du kennst dich hier aber gut aus“, stellte Lüppi fest. Gördi schaute ihn an und meinte: „Stimmt, war ja mal meine Zuständigkeit.“
„Warum hast du damit aufgehört?“
„Nachher, nicht jetzt.“ Es wurde ein langer Gang sichtbar. Diesem folgten beide. Links waren vier Türen, rechts drei Türen und eine Stahltür. Vor Kopf klopfte Gördi an die Tür.
„Ja, was denn?“, kam es von innen. Beide traten nacheinander ein. Ein älterer Mann mit grau-weißen Haaren saß an einer Art Schreibtisch. Die Schreibtischplatte lag auf Baumarktbeinen und war ein Kofferdeckel von einem alten Chevrolet Caprice aus dem Jahr 1975. Die großen Scharniere waren entfernt und der Herr saß auf dieser Seite des Deckels. Der Schreibtischstuhl war auch nicht normal. Auf einem handelsüblichen Untergestell war der Fahrersitz des Chevrolet Caprice geschraubt worden. Das Büro war zwar recht groß aber mit vielen Dingen zugestellt. Viele Kartons mit Sekt und Champagner, neben allerlei original verpacktem Sexspielzeug und Reizwäsche. In der hinteren Ecke lehnte eine Lebensgroße Gummipuppe, nackt.
„Das gibt es ja gar nicht. Ich sehe ja schwarz“, rief der ältere Herr überrascht.
„Hallo, Herr Naleppa. Wie geht es Ihnen?“, fragte Gördi.
„Jetzt wo Sie wieder da sind, wieder gut. Der Ersatz für Sie ist ja vielleicht ein Pisser. Wo waren Sie denn so lange?“
„Ich habe die Abteilung gewechselt.“
„Und wo sind Sie jetzt?“
„Nach wie vor bei der Kriminalinspektion 1, aber jetzt in der KK 11.“
„In der Mordabteilung?“
„Kann man so sagen. Wir suchen Jens Metzer.“ Herr Naleppa reagierte nicht.
„Können Sie uns weiterhelfen?“
„Könnte ich. Wer sind Sie denn überhaupt?“, fragte Herr Naleppa und sah dabei Lüppi an.
„Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke.“
„Von Ihnen habe ich schon einiges gehört.“
„Ja?“
„Man sagt, sie sind nicht zimperlich und können öfters mal ein ganz nettes Arschloch sein.“
„Soso.“
„Man hört, man sollte sich mit Ihnen nicht angelegen. Es können sogar zur Not Beweise auftauchen, die vorher nicht da waren.“
„Mein Ruf eilt mir anscheinend voraus.“
„Ich hoffe, Sie nehmen mir meine Offenheit nicht übel.“
„Geht schon“, sagte Lüppi.
„Sie wissen, wer ich bin?“
„Na, klar.“
„Hat der Herr Schwarz Sie aufgeklärt?“
„Nein.“
„Aha.“
„Habe die Akten gelesen.“
„Akten? Mehrzahl?“
„Jo, wir sammeln, was wir kriegen.“ Es trat eine halbminütige Stille ein. Alle drei wussten, wer jetzt zuerst etwas sagen würde, hätte verloren. Daher umging Herr Naleppa eine Frage und sagte: „Der Jens arbeitet oben im fünften Stock, ist aber seit letzten Mittwoch nicht mehr gekommen.“
„Fünfter Stock, ist das noch die Etage der Old Ladies?”, fragte Gördi. Herr Naleppa nickte.
„Was heißt das?“, fragte Lüppi.
„Das sind die reifen Damen ab fünfzig“, antwortete Gördi.
„So etwas gibt es?“
„Ja, können Sie gerne mal ausprobieren“, bot Herr Naleppa an.
„Nein, danke. Was macht Jens Metzer da oben bei den Damen?“
„Aufpassen, das es keinen Ärger gibt.“
„Und wann hätte er wieder da sein müssen?“, fragte Gördi nach.
„Letzten Donnerstag.“