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Sie war eine Großmutter wie aus dem Bilderbuch. Verständnisvoll, großzügig, von allen geliebt. Als wir die Dame fanden, lag eine weiße Rose in ihrem Schoß. Der Gruß eines Mörders. Ich rätselte über sein Motiv, nicht ahnend, dass ich die schlimmste aller Nachrichten erhalten sollte. Terroristen hatten die Landshut gekapert – und meine Eltern waren an Bord der Maschine …# Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"
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Seitenzahl: 156
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Die Kommissar Platow-Serie
Frankfurt, Mitte der 70er Jahre. Die Kriminalität boomt. Drogen. Terrorismus. Bandenkriege. Mittendrin: Kommissar Joachim „Joe“ Platow. Gemeinsam mit seinem Assistenten Mike Notto und Schutzhündin Abba kämpft er gegen das Verbrechen. Dabei wird Platow immer wieder von seinem persönlichsten Fall eingeholt – seine Ex-Verlobte Petra, die sich der RAF angeschlossen hat …
Band 12: Das Phantom aus dem Palmengarten
Sie war eine Großmutter wie aus dem Bilderbuch. Verständnisvoll, großzügig, von allen geliebt. Als wir die Dame fanden, lag eine weiße Rose in ihrem Schoß. Der Gruß eines Mörders. Ich rätselte über sein Motiv, nicht ahnend, dass ich die schlimmste aller Nachrichten erhalten sollte. Terroristen hatten die Landshut gekapert – und meine Eltern waren an Bord der Maschine …
Der Autor
Martin Olden ist das Pseudonym des Journalisten und Kinderbuchautors Marc Rybicki. Er wurde 1975 in Frankfurt am Main geboren und studierte Philosophie und Amerikanistik an der Goethe-Universität. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Rybicki als Filmkritiker für das Feuilleton der „Frankfurter Neuen Presse“. Ebenso ist er als Werbe- und Hörbuchsprecher tätig.
Bei mainbook erscheint auch Martin Oldens Krimi-Reihe mit Kommissar Steiner: 1. Band: „Gekreuzigt“. 2. Band „Der 7. Patient“. 3.Band „Wo bist du?“. 4. Band „Böses Netz“. 5. Band „Mord am Mikro“. 6. Band „Die Rückkehr des Rippers“. 7. Band "Vergiftetes Land". Im Jahr 2013 veröffentlichte er zudem seinen ersten Thriller „Frankfurt Ripper“.
Weitere Titel von Marc Rybicki sind die Kinderbücher „Mach mich ganz“, „Wer hat den Wald gebaut?“, „Wo ist der Tannenbaum?“ und „Graue Pfote, Schwarze Feder“.
(Autorenwebsite: www.sonnige-sendung.de)
Copyright © 2018 mainbook Verlag, mainebook Gerd Fischer
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-946413-79-0
Lektorat: Gerd Fischer
Layout: Olaf Tischer
Bildrechte Cover: © Olaf Tischer
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Martin Olden
Kommissar Platow
Band 12:Das Phantom aus dem Palmengarten
Krimi-Serie aus den 70er Jahren
Alle Fälle der „Kommissar Platow“-Serie basieren auf wahrenBegebenheiten und tatsächlichen Fällen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Freitag, 30. September 1977
Der Mann im weißen Anzug war ein Profi. Der Fensterrahmen aus Eisen konnte ihn nicht aufhalten. Rasch warf er einen Blick nach rechts und links. Um die Mittagszeit rührte sich keine Menschenseele in der Westhausener Siedlung. Die Männer hockten in ihren Büros in der Innenstadt, während die Hausfrauen das Essen für die Kinder kochten. Niemand beobachtete ihn, als er einen Schraubenzieher aus der SakkoTasche zog. Der Einbrecher wusste genau, wie er das Werkzeug anzusetzen hatte, um das Fenster mit einem Handgriff aufzuhebeln. Gewandt wie eine Katze schwang er sich auf den Sims im Hochparterre und sprang in die Wohnung. Der Raum, in dem der athletische Ganove landete, war als Arbeitszimmer eingerichtet. Für den Job, den es hier zu erledigen galt, zahlte sein Boss eine ordentliche Summe. Dennoch schaute er sich nach einem Nebenverdienst um. Der Schreibtisch erregte seine Aufmerksamkeit. Er zog die Schublade auf, ohne sich um Fingerabdrücke zu scheren, die möglicherweise auf dem Griff zurückblieben. Sollten die Bullen hinterher ruhig ihre Untersuchungen anstellen, sie würden ihn nicht fassen. Das Flugticket nach Rio steckte bereits in seiner Brieftasche. Im Schreibtischfach fand sich das gerahmte Schwarz-Weiß-Porträt eines Mädchens, nicht mehr Kind und noch nicht Frau. Unschuldiges Gesicht, aber verführerisch leuchtende Augen, umspielt von langen und in der Mitte gescheitelten Haaren. Süßes Girl, dachte der Mann. Auf Papier leider unbrauchbar. Hätte die Kleine aus Fleisch und Blut vor ihm gestanden, wäre sie fällig gewesen. Er schob gerne eine Nummer, bevor er einen Auftrag erledigte. Sex schärfte das Auge. Sein Blick fiel auf die Schmuckschachtel neben der Fotografie. Zwei goldene Ringe lagen darin mit dem eingravierten Datum 2. Juni 1963.
„Bingo!“, flüsterte er.
Die Klunker waren das passende Souvenir. Dafür würde jeder Hehler ein paar Scheine locker machen. Plötzlich schrillten die Alarmsirenen im Hirn des Berufsverbrechers. Sein geschultes Ohr hörte einen Wagen, der die Straße hinunter fuhr und langsamer wurde. Er spähte durch das Fenster. Das Auto, ein Volvo Kombi-Coupé mit gläserner Heckklappe, hielt vor dem Haus. Der Fahrer stieg aus. Etwa 1,80 Meter groß, sportliche Figur, silbergraues Haar.
„Doppel-Bingo!“ Der Typ war die Zielperson, die sein Brötchengeber tot sehen wollte. Kam eher nach Hause als erwartet, was dem Killer in die Karten spielte. Je früher er die Mission abschließen und dieses verfluchte Frankfurt verlassen konnte, desto besser. Er lief in den Flur und positionierte sich neben der Tür. Seine Rechte riss einen Smith & Wesson-Revolver aus dem Schulterhalfter. Der Daumen spannte den Hahn …
In Lauerstellung verharrte der gedungene Mörder – bis ich meine Wohnung betrat. Kaum hatte ich die Tür aufgesperrt und hinter mir ins Schloss geworfen, da drückte der kalte Pistolenlauf gegen meinen Nacken.
„Hände hoch! Langsam umdrehen! Keine Tricks!“
Ich gehorchte. Breitbeinig stand er vor mir. Ein Kleiderschrank in einem weißen Anzug und mit langem Haar, zum Pferdeschwanz gebunden. Seine Hände hielten den Smith & Wesson, Kaliber 44, im Combat-Anschlag. „Runter auf die Knie!“
„Bisschen spät für Morgengymnastik, aber wenn Sie drauf bestehen …“ Purer Galgenhumor. Ich saß bis über beide Ohren in der Tinte. Meine Schutzhündin Abba, die mich mehr als einmal aus brenzligen Situationen befreit hatte, lag draußen auf der Rückbank des Schneewittchensargs. Würde ich bald in einem echten Sarg liegen?
„Mein Auftraggeber möchte, dass du weißt, wer dich zur Hölle schickt“, sagte der Revolvermann. „Beste Grüße von Zappa.“
Der Rotlichtkönig Zapatka, dessen Spitzname auf seiner Ähnlichkeit mit dem Rocker Frank Zappa beruhte, war über Jahre in Rauschgifthandel und Waffenschmuggel verstrickt gewesen. Bis wir ihn vor einigen Wochen endlich hinter Schloss und Riegel gebracht hatten – mitsamt allen Handlangern. Trotzdem behauptete der Mann, für Zappa zu arbeiten. Wie war das möglich? Dann fiel bei mir der Groschen und ich begriff, mit wem ich das zweifelhafte Vergnügen hatte. „Sie sind der Heckenschütze, der beim Mainfest auf unsere Kronzeugin Karin Jörgens geschossen hat und entkommen ist.“
„Bin ich“, gestand er freimütig. „Zappa hasst es, im Knast zu sein. Dafür kriegst du die Quittung.“
Ich zermarterte mir das Hirn, um einen Ausweg aus meiner Lage zu finden. Sinnlos. Ich war Schachmatt gesetzt. Nicht mal den kleinen Finger konnte ich rühren, ohne eine Kugel zu fangen. Wieso hatte ich mich so tölpelhaft überrumpeln lassen? Warum war mir beim Hineingehen nicht aufgefallen, dass der Kerl die Wohnungstür aufgebrochen hatte? Meine Kriminalistenaugen hätten die Spuren sehen müssen! Weil er nicht durch die Tür gekommen ist, Dummkopf! Sondern höchstwahrscheinlich durch das Fenster im Arbeitszimmer – genau wie Petra Helm letztes Jahr. Petra, meine ehemalige Verlobte und heutige Rädelsführerin der RAF. Sie hatte mich damals gewarnt, meine Fenster seien nicht einbruchsicher. Dieses eine Mal hätte ich auf das Frauenzimmer hören sollen. Zu spät!
„Ist noch Zeit für berühmte letzte Worte?“, fragte ich, um Sekunden zu schinden.
„Nein!“ Sein Finger lag am Abzug.
Ich starrte in die Mündung des Revolvers. Ein schwarzer Tunnel, aus dem gleich eine Ladung Blei hervorschießen würde. Das war`s also, dachte ich. Oberkommissar Joachim „Joe“ Platow gibt die Dienstmarke ab. Erstaunlicherweise war ich innerlich ruhig. Vielleicht weil ich meine Pflicht in den 70er Jahren erfüllte, einer Zeit, in der Polizisten jeden Tag damit rechnen mussten, zur Zielscheibe politischer Wirrköpfe und krimineller Banden zu werden. Sechsundzwanzig erschossene Beamte innerhalb von sieben Jahren sprachen für sich.
„Sag gute Nacht!“, höhnte der Auftragsmörder.
Ich bereute, so viel kostbare Lebenszeit in der Hoffnung verschwendet zu haben, Petra könne zur Vernunft kommen und wieder die Frau werden, die ich einmal aus tiefstem Herzen geliebt hatte. Gleichzeitig bedauerte ich, eine reizende Japanerin namens Fujiko Shimada nie wieder zu sehen und ihr nicht sagen zu können, wie viel sie mir bedeutete. In Erwartung der Kugel schloss ich die Augen und presste die Lippen aufeinander. Im selben Moment hörte ich das Geräusch. Klick-Klack. Der unverwechselbare Klang eines Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wird. Musik in meinen Ohren. Irgendjemand öffnete in diesem Augenblick meine Wohnungstür. Zappas Scherge reagierte wie jeder Mensch, der durch einen unerwarteten Ton in seinem Rücken erschreckt wird. Er drehte den Kopf in die Richtung, aus der das Schlüsselklappern kam. Die Sekunde der Ablenkung musste ich nutzen. Mit geballten Fäusten sprang ich ihm entgegen. Zu meinem Pech war der Kerl schneller. Er warf sich herum und knallte mir den Revolverlauf gegen mein Schlüsselbein. Ich sah Sterne und ging in die Knie. Wie aus weiter Ferne hörte ich Hundegebell. Durch den Schleier vor meinen Augen erkannte ich Abba. Sie stand im Flur und fletschte die Zähne. Der Killer richtete die Waffe gegen die Hovawart-Hündin. An ihrer Seite tauchte eine zierliche Dame auf. Sie trug ein beigefarbenes Kostüm, Standardgarderobe für Mitarbeiterinnen der japanischen Botschaft. Der dazugehörige Rock hinderte meine Freundin Fujiko nicht daran, einen Tritt anzubringen, der die linke Wade des Mannes traf und seinen Fuß vom Boden fegte. Rücklings krachte er aufs Linoleum. Der 44er glitt ihm aus den Fingern. Fujiko beförderte das Schießeisen mit einem Kick ihrer Schuhspitze außer Reichweite. Ungläubig blinzelte der Gestrauchelte die kleine Frau an. Sie maß nicht einmal 1,60 Meter und hatte ihn zu Fall gebracht. Wie hätte er ahnen können, dass sie eine Judo-Meisterin war, gegen die ich im Training häufiger den Kürzeren zog? Abba baute sich über ihm auf. Ihr Knurren übersetzte ich mit den Worten: Eine falsche Bewegung und ich mach Chappi aus dir!
Ich kam wieder auf die Beine, strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und griff nach dem Smith & Wesson. „Lassen Sie die Hände, wo ich sie sehen kann“, riet ich dem Gangster. „Wir möchten doch beide, dass Zappa einen unversehrten Zellengenossen bekommt.“
Ich legte einen Arm um Fujiko. „Danke, Madame Butterfly. Das war Rettung in letzter Sekunde.“
„Ein Wink der Vorsehung, dass du mir einen Schlüssel zu deiner Wohnung geschenkt hast“, sagte Fujiko in ihrer philosophischen Art. Sie strahlte wie die Mittagssonne. „An deinem freien Tag wollte ich dich mit einem Essen überraschen und bin früher aus dem Büro gegangen. Als ich dein Auto vor dem Haus gesehen habe mit Abba auf dem Rücksitz, die sehr aufgeregt gewesen ist, habe ich mir gedacht, es könnte etwas passiert sein.“
„Mein schlauer Schutzengel“, sagte ich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Abba schielte zu mir. Hast du nicht jemanden vergessen?
„Oh Verzeihung, du bist natürlich die Allerbeste!“
Die Schmeicheleien kannst du für dich behalten, Joe! Dein Wachhund schiebt Kohldampf! Wollten wir nicht beim Wienerwald essen? Los, lass uns den schrägen Vogel einlochen und dann ran an die Hähnchen!
Dienstag, 11. Oktober 1977
Eine Ente tuckerte über die Mainzer Landstraße Richtung Frankfurter Hauptbahnhof. Am Steuer saß Kommissarin Tina Förster. Auf dem Beifahrersitz lümmelte mein Partner Mike Notto und summte die Melodie von Ti Amo. Mike legte seine Hand auf das Knie der Blondine. In ihrem engen Jeans-Anzug sah sie für ihn an diesem Morgen besonders sinnlich aus.
„Mächtig nett von deiner Nachbarin, dass sie dir ihr Töff-Töff geliehen hat, solange deine Karre in der Werkstatt ist.“ Mike grinste schelmisch und strich über Tinas Oberschenkel. „In `ner Ente hab ich`s noch nie gemacht. Wie wär`s? Ist genug Zeit bis Dienstbeginn.“
Die Antwort fiel eindeutig aus. „Vergiss es, Casanova!“
„Wieso? Hast du Angst, dass man uns verhaftet wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses? Wir parken einfach in der Weserstraße, da juckt`s keinen, was wir treiben.“
„Nein!“ Tina schob seine Hand von ihrem Bein.
„Nenn mir einen vernünftigen Grund!“ Mike klang wie ein Kind, dem das Taschengeld gekürzt werden sollte.
„Weil ich keine Lust habe.“
„Kauf ich dir nicht ab. Dafür kenn ich dich mittlerweile zu gut“, sagte er mit einem Augenzwinkern. „Schon in der Bibel steht: Ein Quickie am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.“
Tina musste lachen. „Die Stelle ist mir neu. Du sprichst wohl frei nach dem Notto-Evangelium?“
„Tja, vielleicht hab ich`s doch im Playboy gelesen.“
„Ich weiß, die Bibel und der Playboy sind für dich ein und dasselbe. Oh Gott, wieso habe ich mich mit einem Chauvinisten wie dir eingelassen?!?“, rief sie in gespielter Verzweiflung.
„Damit ich dich von deiner Prüderie befreien konnte.“
„Prüde? Ich?“ Tina Förster hob eine Augenbraue. „Erinnerst dich wohl nicht mehr an unseren ersten Abend … in meiner Küche?“
„Hast einen sehr stabilen Tisch“, schmunzelte Mike. „Und hatte ich dir zu viel versprochen? Italienische Nudeln sind die Besten!“
„Angeber!“
„Wer redet von mir? Hab die Spaghetti gemeint, die wir zusammen gekocht haben … hinterher.“
Tina zeigte aus dem Fenster auf das Selmi-Hochhaus, das sich zu ihrer Rechten erhob. Sitz der DG Bank, benannt nach dem persischen Bauherrn Ali Selmi. „Der Phallus des Kapitals! 142 Meter purer Protz!“
Mike Notto stöhnte. „Hörst dich an wie meine kleine Schwester, die Berufsdemonstrantin. Als der Rohbau gebrannt hat, im August `73, hat sie mit den anderen Studenten auf der Straße gestanden und gesungen: Heute verbrennen wir dem Selmi sein klein Häuschen.“
Tina trat auf die Bremse, weil vor ihnen auf der Mainzer Landstraße Blaulicht flackerte. Eine Straßensperre war errichtet worden. Polizisten mit Maschinenpistolen über den Schultern winkten sämtliche Wagen an den Randstreifen.
„Fahrzeugkontrolle!“, seufzte Mike. „Alles wegen Schleyer. Seit fünf Wochen halten ihn die Saftärsche gefangen! Joe meint, sein Versteck wird niemals gefunden. Beim BKA herrscht völliges Chaos. Da gibt`s `ne Sonderkommission, Zentrale Einsatzleitung Nummer 1, Zentrale Einsatzleitung Nummer 2, `nen Koordinierungsstab und die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut. Herolds Wunderwaffe, sein toller Fahndungs-Computer, ist total überlastet. Täglich trudeln Tausende von Hinweisen ein auf verdächtige Autos, Wohnungen, Mieter …“
„Paradiesische Zeiten für alle, die ihren Nachbarn anschwärzen wollen. Und Springer heizt die Hysterie mit seinen dämlichen Schlagzeilen an. Denk an Heinrich Böll! Weil er ein überzeugter Linker ist, hat die Soko Schleyer das Haus seines Sohnes gestürmt. Vierzig Beamte sind im Einsatz gewesen, für nichts und wieder nichts.“ Sie schüttelte den Kopf, sodass die Fransen ihrer Bob-Frisur hin und her flogen. „Ehrlich Mike, ich bin für harte Strafen gegen Kriminelle, aber wenn wir anfangen jeden zu verdächtigen, dessen Meinung uns nicht passt, können wir die Demokratie gleich abschaffen. Die SPD hat allen Ernstes vorgeschlagen, das Postgeheimnis aus dem Grundgesetz zu streichen. Ist das zu fassen?“
Tina ließ die Ente am Bürgersteig ausrollen, kurbelte das Fenster herunter und grüßte den Schutzpolizisten, der in barschem Ton nach Ausweisen und Fahrzeugpapieren verlangte. Er war ein Beamter älteren Semesters. Das spitze Gesicht unter der Schirmmütze erinnerte an eine Wühlmaus. Seine Hand lag schussbereit an der MPi.
Mike glaubte, die Angst in den Augen des Kollegen flackern zu sehen. Kein Wunder, denn bei jeder Verkehrskontrolle bestand die Gefahr, dass es knallte. Das Motto der Baader-Meinhof-Bande lautete: Eine Uniform ist für uns ein Schussziel. Mein Freund hatte die Absicht, die Situation durch eine scherzhafte Bemerkung zu entspannen. „Keine Sorge, Herr Kollege. Wir spielen im gleichen Verein, wenn auch in `ner anderen Liga. Die Dame und ich sind von der Kripo.“
„Was Sie nicht sagen.“ Der Schupo, ein Polizeihauptmeister namens Wöhler, verzog keine Miene. „Ihre Papiere!“ Er taxierte den Jungspund mit der Lockenmähne nebst seiner dauerlächelnden Begleiterin.
Die Selbstgefälligkeit, mit der Tina ihren Dienstausweis zückte und „Bitte sehr“ sagte, ging ihm gegen den Strich. Wöhler zitierte einen anderen Polizisten herbei, der vor der Kühlerhaube Posten bezogen hatte. „Heinz, schau dir den Wisch an! Das Fräulein behauptet, von der Kripo zu sein. Könnte gefälscht sein, was meinst du?“
Heinz Koslowski, Polizeiobermeister, besah sich das Papier von allen Seiten. „Mhm … sieht nachgemacht aus.“
Tina verdrehte die Augen. „Wenn ich es Ihnen sage, ich bin Kriminalkommissarin vom Dezernat für Sexualdelikte!“
„Sexualdelikte? Ach was!“ Koslowski grinste anzüglich.
„Vielleicht stimmt`s, vielleicht nicht“, meinte Wöhler. „Wir werden`s bei der Zentrale prüfen. Jedenfalls sehen Sie einem dieser Flintenweiber von den Fahndungsplakaten ziemlich ähnlich. Und wie steht`s mit Ihrem Ausweis, Kamerad?“, fragte er Mike.
Mein Freund griff in die Brusttasche seines geblümten Hemds – und stieß einen Fluch aus. „Heilige Vergesslichkeit! Das Ding steckt in meiner Lederjacke, und die hängt daheim an der Garderobe. Sorry!“
Wöhler hatte genug gehört. Er befahl den beiden auszusteigen.
„Vollidiot“, murmelte Tina, wobei sich Mike nicht sicher war, ob sie ihn meinte oder den misstrauischen Polizisten. Im Sturmschritt lief Wöhler um die Ente herum und beobachtete, wie sich Mike vom Beifahrersitz hievte.
„Hände aufs Dach! Beine auseinander!“
Der Halb-Italiener hielt sein Mundwerk nicht im Zaum. „Sachte, Sportsfreunde! Ihr seid dabei, `nen Riesenfehler zu machen. Hab ja Verständnis für euch, trotzdem …“
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Polizeihauptmeister Wöhler die Maschinenpistole auf seinen Rücken gerichtet hielt. Mike verstummte. Ihm kam eines unserer letzten Gespräche in den Sinn. Ich hatte von der Forderung der CDU im Bundestag erzählt, Polizisten solle erlaubt werden, in Situationen, die sie als bedrohlich empfinden, sofort tödliche Schüsse abzufeuern. Prost Mahlzeit!
Mike suchte Blickkontakt mit Tina, die ihn besorgt ansah, und lächelte ihr zu. Falls der Kollege einen nervösen Zeigefinger hatte, würde er wenigstens mit einem hübschen Gesicht vor Augen den Löffel abgeben. Da ertönte der Ruf einer rauen Männerstimme: „Halt! Die Schmalzlocke nicht einbuchten!“
Ein semmelblonder Schupo kam über die Straße gerannt. Mike erkannte ihn und atmete auf. „Manni Gärtner! Menschenskinder, bin ich froh dein dummes Gesicht zu sehen!“ Sie waren beide Jahrgang `52 und gemeinsam in der Ausbildung gewesen.
„Manni, sei nett und erkläre den Herren, wen sie vor sich haben.“
„Einen notorischen Schürzenjäger und Sprücheklopfer!“
„Sie scheinen ihn bestens zu kennen“, warf Tina ein.
„Kann man sagen.“ Manfred Gärtners Grinsen verriet, dass er sich an wilde Zeiten mit seinem Kameraden erinnerte. „Abgesehen von seiner großen Klappe und den schlechten Manieren, gehört er zu den Guten. Ist bei der Kripo, obwohl man`s ihm nicht ansieht.“
Wöhler und Koslowski erweckten nicht den Anschein, als sei ihnen das Missverständnis peinlich. Sie wirkten vielmehr enttäuscht, dem vermeintlichen Anarchisten und seiner Komplizin keinen Denkzettel verpassen zu können. Das Duo zog ab, ohne sich zu entschuldigen.
„Wiedersehen!“, rief ihnen Mike hinterher. „Muss ja nicht so bald sein!“
Gärtner griff den Gesprächsfaden auf. „Apropos Kripo. Nächstes Jahr will ich zu euch wechseln. Kannste `n gutes Wort für mich einlegen?“
„Für einen wie dich immer, Kumpel!“ Mike schlug ihm auf die Schulter. „Dufte, dass du zu uns kommst. Hab schon befürchtet, du könntest nicht leben ohne deine Uniform.“
Später, als Tina Förster das Kommissariat in der Ludwigstraße ansteuerte, entschuldigte sich Mike für den Zwischenfall. „Blöd von mir, dass ich bei den Uniformierten die Klappe aufgerissen habe. Hätte ins Auge gehen können, schießfreudig wie die gewesen sind. Vielleicht hat Joe recht. Solange die Colts auf beiden Seiten locker sitzen, wird`s in unserem Land keine Ruhe geben.“