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Armin Stein, auf Urlaub in Schleswig-Holstein, wird nach Köln zurückberufen und Leiter einer stadtgrenzenüberschreitenden Soko, die einen dreisten Betrüger sucht. Dieser schleicht sich in Hotels und Biergärten ein, um dann urplötzlich mit der Kasse durchzubrennen. In Köln-Marsdorf, an der Stadtgrenze zu Frechen, arbeitet ein Nachtportier in einem Großhotel, der zufällig sieht, wie ein Gast sein Safefach mit Goldmünzen auffüllt. Am nächsten Morgen ist das Fach leer und der Nachtportier verschwunden. Hat der Betrüger wieder zugeschlagen? Armin Stein, sein Team und sein neuer EU-Assistent aus Österreich, Johannes Jonas Ill, auch Römisch Drei genannt, versuchen Licht in das Dunkel zu bringen, dabei kommen sie ausgerechnet durch einen Toten und eine ominöse Adresse der Lösung näher. Ein Krimi aus der Welt der First-Class-Hotelerie. Freuen Sie sich auch auf ein schmackhaftes Kaffeerezept.
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Seitenzahl: 350
KOMMISSAR STEIN UND DIE HAUSNUMMER 19
VON PETER WOLFGANG KLOSE
EIN KRIMINALROMAN AUS DER REGION KÖLN
Copyright © 2008 by Peter-Wolfgang Klose, Köln
Herstellung:
PublikationsService® — Produktion & Verlag
Armin Zupan, München
www.publikations-service.de
Dieses Buch wurde auf chlor- und säurefreiem
Papier gedruckt
Printed in Germany
ISBN: 978-3-936-904-37-6
eISBN: 978-3-936904-72-7
Alle Personen und Geschehnisse dieses Romans
sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und
tatsächlichen Geschehnissen wären rein zufällig.
Die Unternehmen, Namen und Daten in den hierin befindlichen Beispielen sind frei
erfunden,
soweit dies nicht anders angegeben ist oder der besseren Orientierung gilt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
Wie gerne trinken wir ein Bier im Biergarten? Wie schön ist es, sich im Hotel verwöhnen zu lassen?
Doch was ist, wenn etwas passiert? Und in Köln ist etwas passiert. Kommissar Armin Stein und sein Team sind auf der Suche nach dem Täter. Helfen Sie mit. Auf der letzten Seite können Sie Ihre Verdächtigen notieren. Benutzen Sie einen Bleistift, damit Sie radieren können ……
Viel Vergnügen
Ihr Peter Wolfgang Klose
Seinen Urlaub verbrachte Armin Stein dieses Mal in Mühbrook bei Bordesholm in Schleswig-Holstein. Er saß auf der Sonnenterrasse des Hotels Seeblick und unterhielt sich mit der Wirtin Frau Engel über die Touristen und deren Besonderheiten.
„Ach die Touristen sind ja ganz in Ordnung, viel schwerer ist es, gute Mitarbeiter zu bekommen. Im Winter will hier jeder einen Job haben, aber im Sommer genügt schon ein wenig Sonne und schon ist mit den Aushilfen Feierabend. Und gerade dann kommen die Gäste. Wenn da nicht die Familie wäre, ich wüsste nicht, wie ich über die Runden käme. Jetzt ist es ruhig, aber sobald die Sonne durch die Wolken schaut, kriechen die Gäste und auch die Einheimischen aus allen Löchern und wollen essen und trinken. Ich hab ja nichts dagegen, nur wie gesagt, Arbeitskräfte sind nicht zu bekommen. Aber was darf ich Ihnen denn bringen, Herr Stein?"
„Wie immer ein klares Hefeweizen und den Heringstopf Hausfrauenart."
Armin Stein hatte sich seinen Urlaub redlich verdient. Ein ganzes Jahr hatte er jetzt seinen Dienst als Kriminalhauptkommissar in Pulheim abgeleistet. Seit er an einer Studie der EU teilgenommen hatte, bekam er immer wieder junge Kollegen aus den EU-Mitgliedsländern als Austauschpolizisten für ein halbes Jahr zur Seite gestellt. Seinen letzten Fall hatte er zusammen mit Wienus van der Schoer aus den Niederlanden gelöst und danach war er in Urlaub gegangen. Jetzt nach dem Urlaub erwartete ihn wieder die viele Routine, und die mehr oder weniger großen Fälle im Umfeld von Pulheim. Sein neuer mit EU-Mitteln geförderter Kollege war Johannes Jonas Ill aus dem Salzburger Land in Österreich. Als er den Namen zum ersten Mal las, kam ihm der Nachname wie eine Römische Drei vor. Er musste gleich schmunzeln, denn in Gedanken hatte der junge Mann schon seinen Spitznamen, bevor er ihn überhaupt zu Gesicht bekam: Römisch Drei. Jetzt aber hatte er erst einmal Urlaub.
Armin Stein saß also auf der Terrasse seines Hotels und genoss den Blick auf den See, der dem Hotel gegenüber lag. Friedlich schwammen drei Enten dahin und weiter entfernt paddelte ein Junge in einem roten Gummiboot, ansonsten lag der See ruhig im Sonnenlicht des Spätsommerabends. Hier in Mühbrook war Frieden.
Bis nach Kiel war es zwar nicht weit, aber die Gegend war eben dünner besiedelt, als die um Pulheim bei Köln. Niemand hier wusste, dass er Kriminalhauptkommissar war und so fragte ihn auch niemand nach seiner Arbeit. Er fuhr immer mit seinem Motorrad durch Deutschland und bleib eigentlich nie länger als eine Woche irgendwo, denn dann fand immer jemand heraus, das er bei der Polizei war. Armin wollte nur Ruhe haben.
Tanja Engel brachte ihm sein kühles Bier.
„Zum Wohl, Herr Stein." Die Wirtin stellte das Bier so auf den Tisch, dass es leicht überschwappte. Mit einem Tuch, welches sie bei sich hatte, wischte sie aber schnell noch einmal über den Tisch.
„Danke", sagte Armin und schaute der Wirtin nach, die mit leichtem Hüftschwung wieder zurück ins Gasthaus ging, nachdem ihr Blick noch einmal über die Terrasse geschweift war.
Armin genoss gerade den ersten Schluck seines Hefeweizens, als im Restaurant das Telefon klingelte. Er horchte automatisch hin und bekam mit, dass das Gespräch für ihn war. Wie immer hatte er die Nummer des Hotels hinterlassen, in dem er wohnte, falls er doch dringend gebraucht würde. Sein Chef wollte es auch so.
Frau Engel brachte ihm das mobile Telefon und hielt ihm den Hörer griffbereit hin.
„Für Sie Herr Kommissar."
Sie lächelte ihn dabei fast mütterlich mitleidig an, als ahne sie, dass es sich um ein dienstliches Gespräch handeln würde.
„Danke." Ihr Gast lächelte ihr zu und gab ihr damit zu verstehen, dass er gerne alleine sprechen würde.
Armin nahm den Hörer. Er hörte eine Weile zu, dann fragte er nur: „Wer ist denn auf die Idee gekommen?"
„Das Landeskriminalamt, da sitzt doch der Schultes jetzt, der auch mal bei Ihnen war. Und dann auch wegen der EU-Geförderten." Armin kannte die Stimme seines Chefs nur zu gut. Noch klang sie freundlich und daran wollte er auch nichts ändern.
„Und wann soll ich kommen?" Er wollte möglichst neutral klingen und seinen aufkommenden Ärger nicht durchblicken lassen.
„Möglichst schon gestern", meinte sein Chef nur lakonisch.
„Die sind vielleicht gut. Und wo findet das Ganze statt?", hakte er nach.
„Im Polizeipräsidium in Köln." Der Polizeidirektor klang fast mitleidig.
„Hab ich mir gedacht. Pulheim ist den Kollegen zu spießig und zu sehr Landkreis. OK, ich komme, aber erst morgen. Sagen Sie den Kollegen bitte, Sie hätten mich noch nicht bekommen, mir aber eine Nachricht hinterlassen. Ich setz mich dann morgen auf die Maschine und fahre los. Machen Sie es gut. Was macht denn Römisch Drei?"
„Der ließt sich in alte Fälle ein. Ist halt ne typische Alpendohle."
Armin Stein lachte. Er war froh, dass er ein so gutes Verhältnis zu seinem Chef hatte.
Als Tanja Engel den Heringstopf und die Bratkartoffeln brachte, sagte ihr Armin, dass er leider schon am nächsten Tag abreisen müsse.
„Das nennt man dann wohl Kurzurlaub, Herr Kommissar. Scheint ja was wirklich Wichtiges zu sein, wenn Sie sogar den Urlaub abbrechen müssen." Frau Engel schaute Armin dabei tief in die Augen, so, als wolle sie ihn bedauern. Vielleicht tat sie das ja auch wirklich. Jedenfalls hatte Armin kein schlechtes Gefühl, weil er seine Anwesenheit so drastisch kürzen musste.
„Eine große Betrugsserie, mehr weiß ich aber auch noch nicht. Jetzt esse ich erst noch einmal und dann gehe ich zum Abschied noch einmal in Bordesholm schwimmen. Ich fand das so gemütlich dort, aber die Pflicht ruft eben. Und nicht nur die Pflicht, auch der Chef. Was soll man da machen?"
„Tja, da kann man nichts machen, guten Appetit noch, Herr Kommissar."
Am Nebentisch schauten zwei ältere Damen erschrocken zu ihm rüber. Fast hätten sie ihre Schwarzwälder Kirschtorte und ihre gedeckte Stachelbeertorte von den Gabeln fallen lassen.
„Habt Ihr ein Verbrechen hier Tanja?", fragte eine der alten Damen die Wirtin.
„Nö, nur nen kleinen Mord an ner fünfköpfigen Familie in Zimmer 202, Gerda", lachte Tanja und wechselte bei den alten Damen den Aschenbecher aus.
Armin aß in Ruhe seinen Heringstopf, setzte sich dann auf sein Motorrad und fuhr die wenigen Kilometer nach Bordesholm, stellte seine Maschine vor der Schreinerei Kuttenkeuler ab, und ging die wenigen Meter zu Fuß zum Badeplatz. Der Weg lag weitestgehend im Schatten, der bizarre Bilder auf den Sandweg warf.
Betrug, Sonderkommission, LKA, und dann auch noch im Polizeipräsidium Köln. Und er sollte diese Soko leiten. „Wie der Schultes wohl darauf gekommen ist?", fragte er sich und zog sich im Umkleideraum seine Badehose an. Er steckte seine Kleider in die mitgebrachte Tasche und ging hinaus auf die Terrasse des kleinen Cafes, welches Eis und Getränke an die Badegäste verkaufte. An einem freien Tisch setzte er sich hin und gab seine Bestellung auf.
Einen Eiskaffee später ging der Noch-Urlauber Armin Stein auf den Steg und machte einen Kopfsprung ins Wasser. Das Wasser war grün, denn der See blühte. Es machte ihm nichts aus, denn man konnte ja nach dem Bad duschen. Armin schwamm bis zu der kleinen Badeinsel inmitten des Sees. Dort sprangen drei Jungen immer und immer wieder ins Wasser. Er blieb nicht lange, denn es war Armin zu unruhig. Dauernd zogen leichte Wolken vor die Sonne und in diesen Augenblicken wurde es auch gleich merklich kühler. Ein leichter Wind strich über seine Haut. Gekonnt sprang er wieder in den See und schwamm zum Steg zurück. Auf einer nahe liegenden Bank hatte er sein Handtuch deponiert und obwohl er es die ganze Zeit unbeaufsichtigt gelassen hatte, stellt er mit Genugtuung fest, dass es sich immer noch dort befand. Er trocknete sich ab und zog sich sein T-Shirt über. Wie immer ein weißes T-Shirt. Davon hatte er bestimmt 50 Stück zuhause. Am Kiosk holte er sich eine Cola und ein Stück Kuchen, dann lehnte er sich zurück in seinen Gartenstuhl. Die Sonne schien und man hörte die Rufe der Kinder. Die Welt wirkte friedlich hier.
Das Geschrei eines kleinen Kindes rief ihn in die raue Wirklichkeit zurück.
An diesem Abend ging Armin lieber früh schlafen. Er wollte ausgeschlafen sein, wenn er am nächsten Tag zurück nach Pulheim fuhr. Das musste eine große Sache sein, wenn man die ganze Angelegenheit nach Köln gelegt hatte. Er war schon drei Mal Mitglied einer Soko gewesen, dann aber nur in der Kreisstadt und nicht gleich in Köln. Wenn das übergreifend war, dann war es auch klar, dass das LKA mitmischte. Warum von denen keiner die Leitung übernommen hatte, war ihm allerdings schleierhaft. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg nach Köln. Zu seinem Glück konnte er das Nadelöhr Elbtunnel, jedes Jahr Geißel unzähliger Touristen, schnell hinter sich lassen. So brauchte er für die gut fünfhundert Kilometer weniger Zeit, als er eingeplant hatte. Seine Nachbarin hatte seine Blumen gut versorgt, und es reichte von der Zeit her sogar noch seine Vorräte wieder aufzufüllen, denn den Kühlschrank hatte er vor dem Urlaub leer gemacht. Da Armin gerne kochte, kaufte er gründlich ein. Den Urlaub wollte er wenigstens mit einem Hochgenuss an Essen abschließen.
Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg zu seinem Büro. Dort erwarteten ihn bereits ein Kollege und Johannes Jonas Ill.
„Grüß Gott, Herr Kriminalhauptkommissar.", begrüßte ihn sein EU-geförderter Austauschkollege mit strammem Gruß.
„Guten Tag, aber sagen Sie bitte Stein zu mir, nicht immer den Titel Herr Ill."
„Jawohl Herr Kriminalhauptkommissar." Jonas Ill stand immer noch mit den Händen an den Hosennähten da.
„So, und jetzt geht's wieder mal los. Was ist in den paar Tagen denn so Schlimmes passiert, dass man mich aus dem Urlaub holen muss? Und dann auch noch gleich zu einer Soko!"
„Ach Herr Kriminalhauptkommissar, es geht um eine Betrugsserie. Und der Betrüger hat als Adresse eine Anschrift in Pulheim angegeben. Es ist immer der gleiche Mann, der in Nordrheinwestfalen sein Unwesen treibt. Bis jetzt ist er vierzehn Mal aufgefallen und hat sich eine ganz schöne Summe ergaunert."
„Aha, sie haben ja Ihre Hausaufgaben sehr ordentlich gemacht. Sagen Sie mal, ist es Ihnen lieber, wenn ich Johannes oder Jonas sage?"
„Mein Rufname ist Johannes Jonas, aber meine Freunde nennen mit Jojo, Herr Kriminalhauptkommissar."
„Gut, macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Jonas sage, das ist kurz und knapp."
„Geht in Ordnung Herr Kriminalhauptkommissar."
„Und Sie sagen nicht immer Kriminalhauptkommissar zu mir, sonst werde ich sauer. Ich bin der Armin Stein. Verstehen Sie?"
„Ich verstehe Sie Herr Kriminal... äh Stein."
„Schon besser. Also jetzt würde ich gerne einmal genau wissen, um was es geht. Und dann fahren wir nach Köln zu den Kollegen."
„Ich habe schon Bescheid gegeben, Herr Krimi... Stein, dass wir um Vierzehn Null Null da sind."
„Um was bitte?"
„Um Vierzehn Null Null. Vierzehn Uhr genau." „Aha. Haben Sie schon Akten da?"
„Nur Auszüge, die liegen auf Ihrem Schreibtisch Herr Kri... Stein."
„Na da hab ich mir ja ein Früchtchen angelacht, das ist ja ein ganz Genauer.", meinte Armin augenzwinkernd zu seinem Kollegen.
„Da haben wir sicher noch viel Spaß dran.", fügte Armin nach einer kurzen Pause hinzu.
„Ich nicht, aber Du", antwortete sein Kollege, „der kommt mit Dir nach Köln zur Soko. Dein Dackel vom Dienst. Immer brav bei Fuß." Das begeleitende Schmunzeln war fast nicht zu erkennen, doch Armin Stein kannte seine Pappenheimer.
In seinem Büro war alles genau sortiert. Auf seinem Schreibtisch war alles wie mit einem Winkelmaß ausgerichtet. Zuoberst lag der Bericht.
„Jetzt ist der Urlaub wirklich vorbei. Die Verwaltungsmühle hat mich wieder."
Schon die ersten Seiten zeigten Armin, dass es nicht einfach werden würde, den Betrüger zu schnappen. Der arbeitete nämlich ziemlich gerissen. „Aber mal sehen, was das LKA so alles hat", dachte sich Armin beim ersten Studium der Akten.
Armin fuhr mit seinem neuen Assistenten erst einmal zum ebenso neuen Polizeipräsidium Köln auf der rechten Rheinseite.
„Schrecklich diese neuen Gebäude. Nichts Persönliches mehr", meinte Armin zu Jonas.
„Aber dafür sehr funktional, Herr Kriminalhauptkommissar Stein."
Jonas Ill schaute stur geradeaus, als wolle er sich den Weg für die Zukunft einprägen.
„Johannes Jonas Ill, auch Römisch Drei genannt, noch einmal den Kriminalhauptkommissar und ich bin sauer. Verstehen Sie?"
„Yes Sir." Jonas saß so förmlich stramm wie möglich neben seinem Chef im Wagen.
Die zwei Beamten meldeten sich beim Pförtner. Der telefonierte daraufhin mit zwei verschiedenen Stellen und meinte dann nur trocken: „Zweiter Stock, Zimmer 2114. Aufzug ist dort hinten." Dabei zeigte er undefiniert in eine Richtung.
Der Flur lag weitestgehend im Dunkeln, als Armin und Jonas ihn entlang gingen. Nach dem Sonnenschein auf der Straße kam es ihnen jedenfalls so vor. Schließlich fanden Sie beinahe zufällig den Lift und Armin wollte gerade auf die Nummer 2 drücken, als Jonas meinte: „Bitte schön, 2. Etage."
Armin grinste. Gegenüber der Aufzugtüre waren Wegweiser angebracht und so fanden sie das Zimmer 2114 ohne weiteres Umherirren. Armin klopfte mit der Rückhand drei Mal an.
Niemand rief „Herein!". Also drückte er die Türklinke herunter und öffnete die Türe. Sie fanden ein fast leeres Büro vor. Außer drei Schreibtischen standen nur noch ein großer Tisch, ein Flipchart und sechs Stühle im Raum. Das Telefon schien noch nicht angeschlossen. Dann war da noch eine Verbindungstüre zum Nachbarbüro. Armin klopfte auch dort und auf einmal hörte er eine Stimme, die er schon mindestens zehn Jahre nicht mehr gehört hatte. Es war die von Klaus Schultes.
„Na Klaus, alter Junge, wie kommst Du denn auf die Idee, mich in eine Soko zu berufen? War ich ein so schlechter Lehrmeister, dass Du mich damit ärgern musst? Oder was hab ich Dir sonst noch getan?" Dabei klopfte er seinem Kollegen kräftig auf die Schulter und schüttelte ihm ausgiebig die Hand.
„Nein Herr Stein, aber ich glaube, Sie sind genau der Richtige für diese Fälle. Sie haben noch den gesunden Menschenverstand. Wir sind doch alle schon durch unzählige Paragrafen und viel zu ausgeprägtes Vorschriftendenken festgelegt. Und die Psychologen aus unserem Verein geheimnissen mir zu viel in die Menschen rein. Außerdem sieht unser junge Kollege aus Österreich auch mal, wie es in einer deutschen Soko so zugeht. Sie müssen nämlich wissen Herr Ill, dass ich der erste Assistent von Herrn Stein war, da hab ich gelernt, alles lieber erst einmal mit den Augen des Menschen zu sehen und nicht immer nur mit den Augen des Polizisten. Verstehen Sie?"
„Nenn ihn Römisch Drei. Da hört er schon drauf."
Jonas lächelte verlegen und leicht gequält. Er stand immer noch einen halben Schritt hinter Armin und schaute Klaus Schultes mit großen Augen an.
„Also, wer ist denn alles in der Soko?", fragte Armin neugierig um sich blickend.
„Moment, ich rufe mal alle zusammen, damit wir uns gegenseitig vorstellen können. Wir sind sechs Mann, plus Römisch Drei."
Klaus Schultes begann zu telefonieren und legte nur kurze Zeit später wieder auf.
„Die sind unten in der Kantine. Die ist ganz gut hier. Kann nicht lange dauern, bis die wieder hier oben sind. Wir haben hier diese beiden Büroräume und den kleinen Konferenzraum gleich nebenan. Hier im Büro, habe ich gedacht, sitzen Sie Herr Stein, Römisch Drei und ich. Im anderen Büro die anderen vier Kollegen. Ich habe alle Akten, die bis jetzt angelegt wurden, hierher beordert und zusammengelegt. Wie sollen wir vorgehen?"
„Lass mich erst einmal die Kollegen kennen lernen und dann sprechen wir die Fälle gemeinsam durch."
Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, klopfte es vier Mal und dann ging die Türe auch schon auf. Die vier Kollegen kamen herein, begrüßten Klaus Schultes, der sie alle zusammen in den Konferenzraum nebenan bat. Armin stellte sich an das Flipchart und malte mit einem dicken Strich den Tisch auf. Dann bat er jeden um seinen Namen. Er selbst hatte für sich den Platz vor Kopf gewählt und schrieb auch seinen Namen dorthin. Rechts neben ihm saß Johannes Jonas 1ll und Armin gegenüber hatte Klaus Schultes Platz genommen. Neben Johannes Jonas 1ll saß ein älterer Kollege mit grauem zurück gekämmtem Haar. Er war sauber rasiert und trug ein blaues Hemd mit einer roten Krawatte. Seine Krawattenklammer zierte ein Revolver. Seine Schreibutensilien hatte er ordentlich vor sich liegen. Alle Stifte lagen in der gleichen Richtung und stießen mit den Minen an den bereitliegenden Schreibblock. Gespannt schaute er die anderen an. Armin ergriff das Wort.
„Also ich bin der Armin Stein und Kriminalhauptkommissar in Pulheim im Erftkreis. Das LKA hat mich, aus welchen Gründen auch immer, gebeten, die Leitung dieser Soko zu übernehmen. Es wäre mir lieb, wenn wir uns alle untereinander duzen, das macht die Sache einfacher. Ich bin 45 Jahre alt und ledig. Meine Hobbies sind Kochen und Motorrad fahren. Dann kann sich als nächstes mal mein Assistent vorstellen. Bitte Jonas."
„Grüß Gott meine Herren, ich bin der Johannes Jonas Ill aus dem Salzkammergut bei Salzburg. Ich bin Leutnant der Polizei im österreichischen Staatsdienst. Ich bin im Rahmen eines EU-Programms zu Herrn Kriminalhauptkommissar Stein abgeordnet.
Und ich hab nix dagegen, wenn Sie, wie er, mich Römisch Drei nennen. Irgendwie klingt das so schön bürokratisch. Danke meine Herren."
„Danke Jonas." Der Reihe nach kamen sie zum älteren Kollegen gleich daneben.
„Guten Tag, ich bin der Eberhard Schneider aus Euskirchen. KHK, 56, verheiratet, zwei Kinder."
Mehr sagte er nicht. Dann stellte sich Klaus Schultes vor, was eigentlich gar nicht nötig war, denn alle kannten ihn. Aber der Ordnung halber sagte er nur: „Schultes, Klaus, LKA Düsseldorf."
Gespannt schaute er nach rechts. Dort saß ein hoch aufgeschossener, junger Kollege. Er trug ein Button-Down-Hemd in hellem Blau und keine Krawatte. Sein Haar war kurz geschnitten und mit Gel hoch zu einem Igel gestylt.
„Ich heiße Kai Hundgeburth und bin Kriminalkommissar in Köln, 37 Jahre alt, verheiratet und habe ein Kind. Ich fahre auch gerne Motorrad und laufe Marathon." Dabei grinste er breit, denn er wusste, dass er mit dem Motorrad zumindest die Sympathie seines Chefs für sich hatte.
Der nächste in der Reihe war jünger und ungefähr 1,70 m groß. Er hatte kurze, blonde Haare und schielte leicht. Es war aber nur so wenig, dass es auf die anderen interessant wirkte. Das kurze, blonde Haar war nach vorne gekämmt und ebenfalls mit Gel geformt.
„Guten Tag, ich bin der Roman Forisch, 29, auch KK aus Köln, unverheiratet und gehe gerne aus." Er hatte eine recht tiefe Stimme, die eigentlich nicht so ganz zu seinem Aussehen passte.
Der nächste Kollege war um einiges älter. Er sah so aus, als ob er aus seiner Zeit als Hippie nie herausgekommen wäre. Das Haar war schulterlang und mit einem Band zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das Hemd stand drei Knöpfe weit offen und zeigte seine dunkel behaarte Brust. Am Handgelenk trug er ein goldenes Armband.
„Drogendezernat", murmelte Armin vor sich hin.
„Falsch geraten Armin, ich bin der Bernd Müller aus Düsseldorf, verheiratet, glücklich und habe eine Tochter. Als KHK habe ich mich trotzdem nach Köln, in die Höhle des Löwen gewagt. Kann nichts dafür, dass ich aus Düsseldorf komme, aber jeder hat sein Schicksal zu tragen. Bergheimer haben es ja auch nicht leichter hier."
Ein breites Grinsen ging über alle Gesichter, nur Jonas wusste nicht, worum es ging.
„Unserem österreichischen Kollegen sollten wir kurz erklären, was das bedeutet. Also Jonas, im 13. Jahrhundert haben sich die Bürger aus Köln gegen ihren Erzbischof aufgelehnt, weil der zu viel weltliche Macht haben wollte. Da kam es zur Schlacht von Worringen und die Verlierer haben dann für Düsseldorf das Stadtrecht bekommen. Und wer will schon in der Stadt der Verlierer leben." Alle lachten, jedenfalls fast alle, denn Jonas konnte nicht wirklich darüber lachen. So amüsant fand er die Geschichte dann doch nicht.
„So Kollegen, dann wollen wir mal hören, worum es eigentlich geht. Man hat mich nämlich extra aus dem Urlaub geholt und jetzt brauch ich eure Hilfe. Jonas fang mal an, was uns betrifft."
Römisch Drei hatte seine Hausaufgaben vorbildlich gemacht. Er nahm sich drei schmale Schnellhefter und begann mit seinem österreichischen Dialekt: „Der erste Fall bei uns ist im Erftkreis in Bergheim vor einem halben Jahr aufgetreten. Dort hat ein Mann im letzten Frühherbst als Kellner in einem großen Biergarten angefangen zu arbeiten. Drei Wochen lang hat er gezeigt, dass er wirklich was von seinem Beruf versteht. Am vierten Wochenende hat er dann angeboten die letzte Schicht zu machen und die Abrechnung zu übernehmen. Da der Wirt bemerkt hatte, dass er was von seinem Beruf verstand, war er einverstanden und gab ihm den Schlüssel zum Geldschrank, in welches er das Geld legen sollte. An jenem Wochenende war gutes Wetter und der Biergarten war überaus gut besucht. Unser Kunde machte ordentlich den Abschluss, schlug die Kassen ab und kassierte von seinen Kollegen das Geld. Er legte das Geld vor Zeugen in den Tresor und schloss es ein. Den Schlüssel legte er, wie vereinbart, hinter ein Buch. Als der Wirt am nächsten Tag den Tresor öffnete, war aber kein Geld mehr da. Nach der damaligen Währung hat er genau 22.190 DM mitgehen lassen. Die Einnahme vom Wochenende inklusive des Wechselgeldes. Der Wirt erstattete gleich Anzeige. Der Fall konnte aber deshalb nicht geklärt werden, weil weder die Anschrift noch die anderen Angaben des Mannes stimmten. Verwunderlich war, dass er eine Adresse angegeben hatte, die es gar nicht gab. Es gab wohl den Ort und die Straße, aber die Hausnummer gab es nicht."
Jonas legte den ersten Schnellhefter beiseite und schlug den nächsten auf.
„Ähnlich war es beim zweiten Fall.
Der war im Winter passiert. Der Mann arbeitete in einem First Class Hotel in Hürth als Night Auditor. Das ist so etwas wie ein Nachtportier. Er hat dort die gleiche Masche angewandt. Auch dort hat er den Tresor ausgeräumt und die Kasse am Wochenende mitgenommen. Auch hier war die Beute über 20.000 Euro hoch, genau waren es...", Jonas blätterte eine Seite im Schnellhefter weiter, „29.718 Euro, da am Sonntag Abreisetag einer Messe war. Auch hier hatte er alle Papiere vorgelegt, die aber alle auf eine falsche Adresse ausgestellt waren. Die Papiere waren sehr gut gefälscht, zum Teil mit Originalstempeln.
Der dritte Fall ist erst im letzten Monat bekannt geworden.
Hier hat er aber wieder als Kellner oder Restaurantfachmann gearbeitet und dann einfach die Wochenendeinnahmen mitgenommen.
Der Mann wird als ca. 30 Jahre alt, 1,80 m groß, mal dunkelhaarig, mal blond, mal braunhaarig beschrieben. Er scheint so ein Einheitsgesicht zu haben. Alle sagen aber aus, dass er sehr freundlich, sehr nett zu den Gästen und sehr fleißig gewesen sei. Auffallend ist auch, dass er immer ca. vier Wochen bei einem Unternehmen arbeitet. Die Adressen wurden von keinem der Arbeitgeber jemals überprüft."
Damit legte er auch den letzten Schnellhefter wieder zurück auf den Tisch.
„Das zu unseren Fällen. Wir hatten so einen Fall als Beispiel auf der Gendarmerieschule in Klagenfurt...."
Auch die anderen Kollegen hatten ähnliche Fälle.
Mal war er Mitarbeiter an der Rezeption, mal Kellner, mal Aushilfe. Immer wieder mit den nötigen Papieren, aber immer mit falscher Adresse. Und jedes Mal gab es zwar die Straße und den Wohnort, aber nicht die Hausnummer. Das schien wie ein Tick von ihm zu sein. Den ganzen Vormittag saßen die Kollegen zusammen, dann stellten sie fest, dass der Gesuchte seit mehr als drei Jahren im ganzen Regierungsbezirk arbeitete. Nie gab es ein Foto von ihm, nie stimmte die Adresse.
Insgesamt 26 Fälle dieser Art hatten sich in den drei Jahren zugetragen. Dieses bemerkte Jonas, als er alle Fälle säuberlich aufgeschrieben hatte und dann addierte. Es waren also nicht nur die vierzehn, von denen sie bisher wussten.
„Soweit die Koordination", meinte Armin.
„Die meisten Fälle stammten also aus dem KölnDüsseldorfer Raum." Roman meldete sich zu Wort.
„Wir werden jetzt einmal die ungeklärten Fälle durchgehen. Wer ist am Computer so sicher, dass wir ganz Deutschland erfassen können? Alles, was wir rausbekommen können, fassen wir dann in einer Liste zusammen. Angaben zur Person, Art der Arbeit und Höhe der Schäden. Auch die Adressen möchte ich bitte haben."
Armin übernahm mit diesen Fragen wieder die Führung des Teams.
„Ich kenne mich mit dem Computer hier gut aus, und habe schon einmal etwas Ähnliches gemacht, in einem anderen Fall", meldete sich Kai Hundgeburth. „Ich setz mich gleich an die Kiste. Wird aber ne Weile dauern, bis ich was herausgefunden habe. Ich sammel' erst einmal alles, was ich finden kann, dann können wir sortieren. Soll ich ne Exceltabelle anlegen?"
„Sehr fein.", bestätigte ihn Römisch Drei. Armin schaute leicht rüber. Er war eben nicht der Computerkenner, und mit Exceltabellen kannte er sich nicht so gut aus. Das wäre etwas für ihn gewesen. Er wollte sich aber nicht einmischen und dem älteren Kollegen den Vortritt lassen.
„Armin", meinte Roman, „ich schau mal beim Hotel- und Gaststättenverband vorbei, vielleicht kann uns da jemand unterstützen. Mal sehen, was die schon gesammelt haben. Vielleicht haben wir ja Glück bei denen."
„Gut, macht das. Kennst Du da jemanden?", hakte Armin nach.
„Noch nicht, aber spätestens in einer Stunde, kennen die mich und ich die." Roman war schon aufgestanden und wollte losgehen.
„OK, dann versuch Dein Glück." Armin nickte ihm aufmunternd zu.
„Bernd und Klaus, wir setzen uns mal zusammen und überlegen, wie wir weiter vorgehen können.
Römisch Drei, Du gehst mit dem Roman mit. So lernst Du auch ein wenig Köln kennen."
Roman schaute lächelnd zu Johannes Jonas Ill rüber. Dann waren sie auch schon durch die Tür hinaus.
Armin ging an den Schreibtisch am Fenster und setzte sich auf den neuen Bürostuhl.
Als Erstes packte er seinen Walkman aus und legte seine alte Kassette mit Mozarts Jupitersinfonie ein. Er brauchte dieses Stück immer dann, wenn er nachdenken wollte, dann durfte ihn auch niemand stören. Sollte das doch einmal der Fall sein, konnte Armin wirklich sauer werden. Mehr hatte er im Augenblick noch nicht bei sich, um sein Anrecht auf diesen Schreibtisch zu untermauern.
Klaus Schultes und Bernd Müller nahmen ihm gegenüber Platz.
„Klaus, Du musst uns aber ein wenig helfen, damit wir von den anderen Polizeidienststellen volle Unterstützung bekommen. Und Bernd, Dich hätte ich gerne zu meinem Stellvertreter ernannt, wenn ich mal nicht kann. Du bist der Dienstälteste nach mir. Einverstanden?" Er hatte so gesprochen, dass Bernd Müller unweigerlich merken musste, dass Armin keinen Widerspruch zuließ.
„Sicher, wir als Außenseiter hier in Köln werden das Kind schon schaukeln. Ich will mir mal die Datei mit unseren Stammkunden vornehmen. Vielleicht kommen wir da dann schon ein kleines Stück weiter. Ich lass mal alles durchlaufen, wer schon mal in dieser Weise unter Betrugsverdacht stand. Kriegt man hier oben denn auch nen Kaffee oder muss man immer runter in die Kantine?" Bernd Müller wirkte gemütlich und hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
Armin und Bernd schauten gemeinsam zu Klaus Schultes vom LKA rüber.
„He, he, ich bin auch erst seit heute hier. Das weiß ich auch nicht, aber, wenn der Roman und Römisch Drei sowieso in die Stadt gehen, dann können die ja eine einfache Kaffeemaschine, Tassen, Löffel, Kaffee, Milch und Zucker mitbringen. Wenn jeder von uns zwanzig Euro dazu gibt, dann haben wir genug Geld und sind erst einmal versorgt. Ich bringe morgen früh Brötchen mit, mein Bäcker hat schon um 7.00 Uhr auf, und ein Zehnerpack Brötchen kostet bei dem zwei Euro. Beim gemeinsamen Frühstück können wir ja Lagebesprechung machen, wie früher bei dir in Pulheim, Armin. Verstehst Du?"
Armin musste grinsen, denn den Ausdruck „verstehen Sie?" hatte er früher immer gebraucht. Jedenfalls so lange, bis sein früherer EU-Kollege Wienus van der Schoer ihm das abgewöhnt hatte.
„Gute Idee", meinte Bernd, „meine Frau ist Weltmeisterin im Marmeladekochen vom letzten Jahr. Sie macht da jedes Jahr mit und hat schon ein paar Rezepte an die Industrie verkaufen können.
Jetzt könnte ich ihre Marmelade sogar im Supermarkt kaufen. Aber die hausgemachte ist die beste Marmelade, die ich kenne. Ich bring gleich morgen eine Auswahl mit. Aber lasst uns erst einmal bei der Beschaffungsstelle dafür sorgen, dass wir mit allem ausgestattet werden, was wir brauchen."
Die drei Kollegen setzen sich zusammen und schrieben alles auf, was sie brauchten. Papier, Ordner, und so weiter.
Roman Forisch und Johannes Jonas Ill fuhren in die Balthasarstraße zum Hotel- und Gaststättenverband, um dort ihre ersten Gespräche zu führen.
Kai Hundgeburth saß schon vor einem der beiden Computer und suchte nach bekannten Gesichtern. Er war ganz vertieft in seine Arbeit und hatte bald die Zeit vergessen.
Zum Mittagessen gingen Kai, Klaus, Bernd und Armin in die Kantine. Roman und Johannes Jonas waren noch nicht wieder zurück. In der Kantine gab es Frikadellen und Bratkartoffeln. Eine missgelaunte Küchenhilfe klatschte einen großen Batzen Sauce auf die Frikadellen und ertränkte damit die Bratkartoffeln. „Mahlzeit" war das häufigste Wort in dieser Pause. Wer auch immer am Tisch vorbei ging, sagte stumpf nur „Mahlzeit".
Neugierige Blicke konzentrierten sich dagegen auf die vier Beamten, die bei den anderen Kollegen noch unbekannt waren. Armin stopfte das Essen in sich hinein. Er dachte wehmütig daran, dass er vor ein paar Tagen noch Frau Engels gutes Essen genossen hatte und jetzt eigentlich immer noch Urlaub hatte. So aber schob er gerade den Rest auf die Seite, als sich sein Mobiltelefon meldete und eine neue Nachricht anzeigte. Er schaute nach und verzog sein Gesicht. „Seit Wochen bekomme ich immer wieder so eine türkische Meldung. Da soll ich eine 0900er Nummer anrufen. Ich werde mich hüten. Ich hab schon mal bei meiner Telefongesellschaft angerufen, aber sie können den Absender auch nicht sperren. Aber ich finde schon raus, wer mich da immer wieder belästigt." Ihn ärgerten diese Nachrichten.
Klaus grinste und trank einen Schluck alkoholfreies Bier. Danach wischte er sich den Restschaum vom Mund.
„Ich ruf nur mal schnell zu Hause an. Bis gleich." Mit diesen Worten stand er auf und verließ die Kantine.
Den ganzen Nachmittag waren die Kommissare damit beschäftigt, ihre Schreibtische einzurichten. Von der Beschaffungsstelle kam alles, was sie geordert hatten. Es machte doch etwas aus, dass Klaus Schultes beim LKA war. Erst gegen drei Uhr kamen Roman und Johannes Jonas wieder zurück.
Es war gerade 22.00 Uhr und ein Sonntag. Köln hatte wieder einmal einen sehr heißen Tag hinter sich. Nicht nur, was das Wetter anging, auch das Messegeschäft hatte den Hotels eine gute Einnahme gebracht. Dank der vielen neuen Großhotels war es für Justus Schaar nicht schwer gewesen, eine Anstellung als Night Audit zu bekommen. Er hatte am Ersten des Monats angefangen. Die erste Woche hatte er mit einem der Mitarbeiter vom Empfang zusammengearbeitet und wurde von ihm eingewiesen. Doch er kannte sich so gut am Computer aus, dass er ohne Schwierigkeiten gleich ab der zweiten Woche alleine arbeiten konnte. Er war erfahren, denn er hatte ja schließlich vor 12 Jahren in Münster seinen Abschluss als Hotelkaufmann gemacht. Die Prüfung hatte er mit der Note ,Sehr Gut' abgeschlossen und in den ersten Jahren eine steile Karriere gemacht. Er war in kurzer Zeit bis zum Hauptkassierer in einem Luxushotel aufgestiegen.
Eines Abends erlebte er, wie ein Mann offensichtliches Schwarzgeld in den Hoteltresor legte. Justus Schaar hatte dessen Telefonat mitgehört und wusste, dass dieses Geld zwar heiß war, aber sein Weg sich nicht genau zurückverfolgen ließ. Er hatte damals seinen letzten Tag in diesem Hotel und noch in der gleichen Nacht nahm er das Geld aus dem Tresorfach, legte Zeitungen hinein und verschwand. Er hatte nie das Gefühl gehabt, verfolgt zu werden, nie das Gefühl, dass jemand hinter dem Geld her war. Das hatte er, auf mehrere Sparbücher verteilt, angelegt. Immer so viel, dass es nicht auffiel. Einen Teil hatte er auf einem Konto in der Schweiz, aber auch nur so viel, dass es für den Notfall reichen würde, falls er seine Zelte in Deutschland abbrechen müsste. Dann machte er erst einmal eine ausgiebige Reise durch die USA, wo er immer schon einmal hin wollte. Erst drei Monate später war er wieder zurück nach Deutschland gekommen.
Seit dieser Zeit hatte er immer nur noch in vielen Hotels und Biergärten gearbeitet. Im Winter in Hotels, im Sommer in Biergärten. Und immer nur nachts oder abends. Er war mehr der Einzelgänger, nicht unbedingt der Teamkämpfer. Zusammenarbeit im Team war für ihn sowieso Teamlüge, denn schließlich kämpfte im Gastgewerbe ja jeder um sein eigenes Trinkgeld.
Im Sommer war das aber anders. Da war er der flotte Oberkellner, der öfter und schneller die Biere und das Essen an die Tische brachte als alle anderen zusammen, und sein Trinkgeld lieferte er immer korrekt im Tronc, dem Trinkgeldtopf, ab.
Justus Schaar nannte sich hier Janik Schurz. Er hatte bei der Anstellung alle Zeugnisse vorgelegt. Nur die Papiere für Versicherung und Krankenkasse hatte er immer noch nicht abgegeben. Die Verwaltung des Novotels hatte sie nun schon zwei Mal angemahnt, da er sonst in die teurere Steuerklasse käme. Dieses Wochenende wurde es damit Zeit für ihn zu gehen. Die Personalabteilungen waren oft so naiv, dass sie die Angaben ihrer Mitarbeiter in der ersten Zeit nicht überprüften. Waren sie doch selbst schuld. Noch nie hatte ihn jemand nach seinem Personalausweis gefragt.
Er war Anfang dreißig, schlank, hatte zur Zeit hellblonde Haare und war so um die 1,80 m groß. So einen richtigen Durchschnittstyp hatte ihn mal jemand genannt. Das fand er gut, denn Durchschnitt merkte man sich ja nicht. Selbst in seiner Kleidung war er Durchschnitt. Nie Luxus, eher Kaufhaus war seine Devise.
Die Nachtablösung machte einen Kassenabschlag am Empfang. Elvira, die Empfangschefin, hatte vor einer halben Stunde ihre Kasse überprüft und alles für OK befunden. Jetzt war er an der Reihe. Er zählte die Scheine, das Kleingeld, die Schecks und die Abrechungen der Kreditkarten zusammen. Es stimmte alles. Auch die Briefmarken stimmten, obgleich er hier zwei Mal nachzählen musste, denn ein Teil hatte sich in der Mappe verschoben und lag im falschen Fach. Von Elvira bekam er, gegen Unterschrift, den Safeschlüssel übergeben und die Besonderheiten des Tages erklärt.
Das Hotel war heute fast leer. Ein typischer Sonntag nach einer Messeabreise. Am Montag war dann wieder ein normaler Anreisetag. Die Nacht würde also ruhig werden. Von ein paar betrunkenen Versichungsvertretern vielleicht abgesehen, die am Montag eine Schulung hatten. Er kannte solche Leute, die immer groß angaben, aber ansonsten so gerade über die Runden kamen.
Im Restaurant war es auch schon ziemlich leer. Nur noch drei Gäste saßen an dem großen runden Tisch in der vorderen Ecke. Bevor Elvira ging, machte er sich noch schnell auf den Weg zur Küche, um sich etwas für die Nacht zu holen. Wie so oft die letzten Tage war es ein Schnitzel, Pommes und Salat. Dazu holte er sich in der Bar eine große Apfelsaftschorle. Danach kam er schließlich die Nacht nicht mehr weg vom Empfang. Außer ihm war ab ein Uhr ja auch niemand mehr da. Wenn die Bar dann geschlossen wurde, würde es ruhig im Hotel werden. Er machte die letzten Buchungen. Um Mitternacht fuhr er den Tagesabschluss. Das machte der Computer für ihn. Viel hatte er da nicht zu tun. Aber er war es gewohnt, so sorgfältig wie immer zu arbeiten, ob er nun etwas vorhatte oder nicht.
Der Drucker ratterte leise vor sich hin. Die Papierbahnen liefen, ohne hängen zu bleiben, durch den teuren Drucker. Weil er eben so teuer war, funktionierte er auch öfters nicht. Das Papier war solche Qualität eben nicht gewöhnt.
Justus hatte die automatischen Türen so eingestellt, dass sie nur von innen geöffnet werden konnten. So kam niemand ohne seine Zustimmung in das Hotel. So stand es auch in der Arbeitsanweisung und so war es ihm auch lieber. In den letzten Tagen hatte er schon fast alle seine Privatsachen aus dem Spind mitgenommen. Er hatte darauf geachtet, dass vorher alles so normal wie immer aussah.
Heute war er mit einer zusammengefalteten Reisetasche gekommen, die er in seiner Aktentasche verstaut hatte. In dieser Tasche hatte er schon oft viel untergebracht. Sie hatte ihm immer wieder gute Dienste geleistet. Aber jetzt lief erst einmal der Tagesabschluss. Auch wenn er in wenigen Stunden das Hotel verlassen würde, er wollte ohne Fehler arbeiten. Das galt auch für die Arbeit am Empfang dieses Hauses. Das Hotel sollte wenigstens wissen, was er mitgehen lassen würde.
Draußen klingelte es. Justus schaute auf den Monitor und erkannte einen Gast wieder. Er drückte einen Knopf, und die Tür ging langsam nach beiden Seiten auf.
„Guten Abend." Justus war freundlich wie immer. Er hatte sein Berufslächeln aufgesetzt, welches er sich in all den vielen Jahren angewöhnt hatte. Es wirkte echt und natürlich, obgleich es aufgesetzt war.
„Darf ich meinen Zimmerschlüssel haben, 214, und dann würde ich gerne noch einmal an meinen Safe.", fragte der Gast freundlich und schaute Justus dabei erwartungsvoll an.
„Gerne. Kommen Sie bitte mit hier nach hinten."
Der Night Audit kam hinter dem Empfangstresen hervor und öffnete dem Gast eine Tür zum Backoffice. Dort stand auch der Hoteltresor. Justus nahm aus seiner Jackentasche den Safeschlüssel und zog aus einem Kasten eine Karte, auf welcher der Gast unterschreiben musste, dass er am Safe war. Er notierte das Datum und die Uhrzeit, dann ließ er den Gast unterschreiben.
„Ihren Schlüssel bitte", bat Justus den Gast und steckte dann beide Schlüssel in die dafür vorgesehenen Schlüssellöcher. Er schloss auf und zog seinen Hauptschlüssel wieder ab. Er öffnete die schmale Tür und zog eine Metallkiste heraus. Sie war schwer. Zu schwer für die normalen Sachen, die Gäste sonst im Safe aufbewahrten. Vorsichtig stellte er die Metallbox auf eine Ablagefläche, dann zog er sich diskret zurück. Anscheinend diskret, denn durch einen Türschlitz beobachtete er den Gast, wie der den Deckel der Kiste öffnete. Die Box war bis oben hin voll mit gerollten Goldmünzen. Südafrikanische Krügerrandstücke. Justus kannte diese Rollen aus eigener Erfahrung. Ungläubig, wegen der enormen Menge an Rollen, hielt er den Atem an. Das mussten Münzen im Wert von mehreren Hunderttausend Euro sein. Justus zog sich weiter zurück. Er stellte sich an den Empfang und wartete bis der Gast wieder nach vorne kam.
„Können wir jetzt abschließen? Ich bin fertig.", fragte er. Man sah ihm nicht an, dass er so viel Gold im Tresor hatte. Auch so ein Durchschnittstyp, dachte sich Justus.
Zusammen gingen sie dann an den Safe und steckten wieder beide Schlüssel in die Tresortüren. Ohne zu sprechen schlossen sie ab.
„Ich wünsche Ihnen noch eine angenehme Nachtruhe. Möchten Sie morgen früh geweckt werden?" Justus war wieder der dienstbeflissene Night Audit.
„Ach ja, bitte um 07.30 Uhr." Der Gast hatte sich schon fast weggedreht und machte sich auf dem Weg zu Aufzug.
„Zimmer 214 um 07.30 Uhr, geht in Ordnung. Nochmals angenehme Nachtruhe." Justus war zufrieden.
Er wartete noch, bis sein Tagesabschluss durchgelaufen war, dann nahm er die Reserveschlüssel für alle Tresorfächer aus der Schublade. Heute hatte er noch viel zu tun, denn in einer guten Stunde musste er mit allem fertig sein. Er hatte auch seine Ehre. Das bedeute für ihn, die Arbeit ordentlich machen und dann die Zelte abbrechen. Er überzeugte sich noch einmal, dass vom Personal niemand mehr da war, dann öffnete er das oberste der vierundzwanzig Fächer des Gästetresors. Auf einem Zettel hatte er sich alle Fachnummern notiert, die belegt waren. Viele waren es ja nicht, genau gesagt waren es sieben Fächer, aber zwei der Schubladen hatten es heute in sich. Davon das von Zimmer 214 und das der Rezeption.
Aus seiner Aktentasche nahm er seine faltbare Reisetasche heraus. Im ersten Tresorfach waren ein Reisepass und etwas Schmuck. Kein Bargeld. Im zweiten und dritten fand er etwas Geld. Im vierten Tresorfach lagen genau 10.000 Dollar und zwei US-Pässe.
Jetzt kam das Fach von Zimmer 214 an die Reihe. Die Box war randvoll. Er zählte die Rollen, während er sie in seine Tasche legte. Genau 120 Rollen zu je 50 Stück Krügerrand in Gold. Das waren 6000 Stück.
„Mein Gott, was für eine Menge. Die muss ich vorsichtig umtauschen.", hätte er beinahe laut gesagt, konnte es jedoch gerade noch in seinen Gedanken behalten.
In der Box der Rezeption waren die Abrechnungen von Freitag, Samstag und Sonntag. Insgesamt Bargeld im Wert von über 40.000 Euro inklusive des Wechselgeldes. Er zog die Tasche zu und hob sie hoch. Sie war sehr schwer. Zu schwer, um alles auf einmal mitnehmen zu können.
Also musste er einen Teil davon so verstecken, dass er dann in einer späteren Nacht zurückkommen und den zweiten Teil holen konnte.