Kommt von irgendwo ein Leichnam her - Andrea Neven - E-Book

Kommt von irgendwo ein Leichnam her E-Book

Andrea Neven

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Beschreibung

In diesem heiteren Kurzkrimi-Band nimmt Andrea Neven die Leser mit auf ihren tödlichen Schreibfeldzug, der durch ihre Heimat, die Eifel, führt. Auch wenn nicht alle Ortschaften real existieren, sind doch alle Begebenheiten und Schauplätze herrlich eifelig. Mit Hinterlist und trockenem Humor lässt sie so manchen Dorfbewohner in die Falle tappen. Ob am knisternden Martinsfeuer, während einer feuchtfröhlichen Planwagenfahrt oder auf einer alten Streuobstwiese – die Gefahr, über einen Leichnam zu stolpern, lauert überall.

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ANDREA NEVEN

KOMMT VON IRGENDWO

EIN LEICHNAM HER

Eifelige Kurzkrimis

© 2020 Andrea Neven

Bildbearbeitung Cover: Andrea Neven

Foto Cover: © Andrea Neven

Lektorat: krimi-lektorat.de

Verlag: Andrea Neven, Auf dem Hähnchen 6, Kalenborn

ISBN 978-3-753105-11-6

Inhaltsbeschreibung

In diesem heiteren Kurzkrimi-Band nimmt Andrea Neven die Leser mit auf ihren tödlichen Schreibfeldzug, der durch ihre Heimat, die Eifel, führt. Auch wenn nicht alle Ortschaften real existieren, sind doch alle Begebenheiten und Schauplätze herrlich eifelig.

Mit Hinterlist und trockenem Humor lässt sie so manchen Dorfbewohner in die Falle tappen. Ob am knisternden Martinsfeuer, während einer feuchtfröhlichen Planwagenfahrt oder auf einer alten Streuobstwiese – die Gefahr, über einen Leichnam zu stolpern, lauert überall.

Inhalt

Inhaltsbeschreibung

Wild verdirbt den Charakter

Guck auf die Straße!

Kommissar Nieser und die harte Nuss

Eine Kutschfahrt, die ist tödli lustig

Irmchen spinnt mal wieder

Egon aufm Birnbaum

Thema heute: Der Eifeler Martinstag

Der gute Herr Kranich

Autorenporträt

Wild verdirbt den Charakter

Karl-Hermann Lauer schlich wie so oft auf leisen Sohlen durchs Eifeler Unterholz. Immer mit dabei waren mehrere mit Kräuterlikör gefüllte Fläschchen, sein Feldstecher, der dunkelgrüne Lodenhut und seine nahezu museumsreife Bockflinte. Er war ein Waidmann vom alten Schlag. Vom ganz alten Schlag. Waffenschränke, Reviergrenzen und Schonzeiten hielt er für völligen Mumpitz. Es wurde das geschossen, was da und lecker war, so seine Devise.

Die heutige Pirsch war bislang nicht von Erfolg gekrönt. Seit der Elektrofahrrad-Trend auch die Vulkaneifel erreicht hatte, trieben sich für seinen Geschmack viel zu viele Leute auf den Wald- und Feldwegen herum. Besonders jetzt im Oktober. Neben den einheimischen Spaziergängern brachten ihn auch die Steinpilz-Freunde und Wandertouristen zur Weißglut, die abseits der Wege fröhlich pfeifend durch die Misch- und Fichtenwälder stapften. Das sei romantischer, hatte er neulich einen Mann zu dessen Begleiterin sagen hören. So ein Kappes, fand Karl-Hermann. Romantisch. Bei ihm sollte morgen Abend ein feiner Hasenbraten mit viel Soße, Rotkohl und Kartoffelklößen auf dem heimischen Esstisch stehen. Seine Frau Bernhilde hatte er bereits darüber in Kenntnis gesetzt. Schließlich war sie es, die alles zufriedenstellend zubereiten musste.

Seiner Meinung nach hatte Bernhilde mit den Jahren fast alle ihrer Vorzüge verloren, aber den Haushalt schmiss sie immer noch mit Bravour. Dafür hatte sie auch massenhaft Zeit, da fiel ein bisschen Kochen und Backen nicht ins Gewicht. Sein Standpunkt. Das war schließlich einer der Gründe gewesen, warum er sich damals eine Frau gesucht hatte, die ein paar Jährchen jünger war als er selbst. Jetzt, mit Anfang siebzig, musste er sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Während er im Wald oder der Dorfkneipe war, hatte Bernhilde das ganze Haus für sich allein, was perfekt passte. Soweit er wusste, hatte sie außerhalb dieser Wände keine Hobbies, außer den Lebensmitteleinkauf im Supermarkt natürlich, bei dem sie sich gerade befinden müsste. Dachte Karl-Hermann.

* * *

»Entschuldigung, haben Sie noch einen Kopf Rotkohl da?«, wollte Bernhilde wissen.«

»Nur das, was hier liegt«, bekam sie knapp als Antwort. Die junge, Kaugummi kauende Dame würdigte sie kaum eines Blickes.

Wahrscheinlich wusste die nicht mal, wie ungekochter Kohl aussah. Blöde Kuh. Bernhilde lenkte ihren Einkaufswagen schlecht gelaunt in den nächsten Gang. Die Gemüseabteilung ein drittes Mal zu durchkämmen, hielt sie für unsinnig.

Hinter der nächsten Kurve traf sie überraschend auf ihre quirlige Freundin Wilma, von der sie sofort herzlich begrüßt wurde. »Ist das schön, dich zu sehen! Wir müssen unbedingt einen Kaffee trinken gehen. Hast du nach-her Zeit?«

Bernhilde schüttelte betrübt den Kopf. »Karl-Hermann hat sich fürs heutige Abendessen Wildschwein mit allerlei Beilagen und als Nachtisch eine Zwetschgentarte gewünscht. Morgen Abend soll es Hasenbraten mit Rotkohl und Klößen geben, da muss ich nachher mit den Vorbereitungen anfangen, die Kartoffeln kochen und so. Das fertig portionierte Wildschweingulasch taut gerade auf. Es kann ja nicht alles, was Karl-Hermann erlegt hat, ganz frisch auf den Tisch kommen. So bin ich immer auf der sicheren Seite, falls er mal keinen Erfolg bei der Jagd hat. Du kennst ihn ja, an solchen Tagen ist er besonders fuchsig. Also, sobald ich hier fertig bin, werde ich noch rüber zu dem anderen Supermarkt fahren. Hoffentlich haben die da einen Kopf Rotkohl für mich. Oh, die Äpfel darf ich nicht vergessen! Morgen noch einmal mit dem Auto loszufahren, braucht zu viel Sprit. Ich muss heute alles in Hillesheim erledigt bekommen.«

»Dein Ernst?« Wilma zog die Augenbrauen zusammen. »Du packst jetzt ein paar Gläser von dem fertigen Rotkohl in deinen Einkaufswagen, und dann ist gut. Dann brauchst du auch keine Äpfel, die sind da nämlich schon mit drin. Tarte kannst du da drüben fix und fertig an der Bäckereitheke kaufen. Das merkt der doch gar nicht, wenn du sie auf einem schönen Teller drapierst. Los, zeig mal deinen Einkaufszettel her.«

Bernhilde schnappte nach Luft. »Aber du kennst ihn doch, er kann ganz schön ungemütlich werden«, entgegnete sie. Ihre Einkaufsliste rückte sie nicht heraus.

»Glaub mir, das kann ich auch werden. Wenn der dich auch nur einmal anpackt, dann kann er sich auf was gefasst machen!«

»Psst, nicht so laut«, entgegnete Bernhilde mit einer dämpfenden Handbewegung. »Er hat mir noch nie wehgetan. Seelisch schon, aber noch nie körperlich. So weit würde ich es nie kommen lassen.«

»Das will ich auch hoffen!« Wilma warf ihr einen ernsten Blick zu.

»Gut, dann werde ich jetzt weiter zu den Backartikeln fahren, ich brauche noch Kartoffelmehl. Wir essen zum Hasenbraten immer frische Klöße, die sind ja schnell gemacht.« Dass sie sich längst gegen Fertigprodukte entschieden hatte, behielt sie für sich.

»Tu das, ich kann dich eh nicht davon abhalten.« Wilma seufzte leise und umarmte ihre langjährige Freundin zum Abschied.

Bernhilde konnte an Wilmas Gesichtsausdruck erkennen, dass sie sich immer noch Sorgen machte. Aber die vielen gutgemeinten Worte stießen bei ihr auch heute auf taube Ohren. So einfach, wie ihre Freundin sich das vorstellte, war es nicht.

* * *

Um Karl-Hermann herum war es ganz still geworden. Er hielt die Flinte schussbereit und zielte von einem Hochsitz aus auf einen der Hasen, die zu Felde gerückt waren und nun an dem für ihn perfekten Platz im Gras mümmelten. Ein mehr als glücklicher Zufall für diese Tageszeit.

»So, Meister Lampe, jetz bist du fällig«, zischte er leise.

Doch dann ertönte eine kräftige, nervtötende Stimme, nur wenige Meter neben seinem Hochsitz.

»Ist das traumhaft hier. Nee, was ist das schön in der Eifel, Natur so weit das Auge reicht. Exakt so, wie es im Reiseführer geschrieben steht. Fahren wir gleich noch zum Laacher See?«, wollte eine Dame von ihrer männlichen Begleitung wissen. »Ach, guck mal, da sind süße Kaninchen. Ist das nicht toll?« Sie zeigte mit einem Trekkingstock auf den Rand des Feldes.

Karl-Hermann hätte die Rucksacktouristin an Ort und Stelle erschießen können, aber so rabiat war er nun doch nicht. Menschen waren für ihn bislang tabu gewesen, obwohl er sich in manchen Situationen nur schwer hatte beherrschen können.

Als er ein paar böse Schimpfwörter vom Hochsitz aus in den Wald brüllte, waren die Hasen längst Haken schlagend geflüchtet. Den morgigen Braten würde er sich abschminken können. Bernhilde hatte ihm gesagt, dass das nur was werden könne, wenn er den Löffelmann spätestens heute Nachmittag fertig portioniert mitbrächte. Sie müsse Vorbereitungen treffen, ganz frisch zu verarbeiten sei keine gute Idee. Dies gelte auch für Reh und Wildschwein. Von all dem hatte er nicht die leiseste Ahnung, das Vor- und Zubereiten war seiner Meinung nach reine Frauensache. Er erlegte die Beute und transportierte sie in seinem Jeep direkt ins Dorf, die Rote Arbeit musste der Dorfmetzger für ihn erledigen. Auch vom Abhäuten und Zerlegen ließ er schön seine Finger. Da er immer ohne Ankündigung in die Metzgerei Schwehlen stürmte und sich bis ganz nach vorne zwängte, sprühte der Mann hinter der Ladentheke nie vor Begeisterung, aber seine Hartnäckigkeit sorgte stets für das gewünschte Ergebnis. Hinzu kam, dass er dem Dorfmetzger im Suff zufällig ein kleines Geheimnis entlockt hatte, was ihm seit diesem Tage in die Hände spielte. Er würde nur schweigen, wenn der Metzger genau das tat, was er wollte. Daran würde er sich auch halten. Ein Mann, ein Wort!

Heute fuhr er auf dem Heimweg tatenlos an der Metzgerei vorbei, was ihn maßlos ärgerte. Hoffentlich hatte Bernhilde das Essen fertig. Allmählich ging ihm sein knurrender Magen tierisch auf die Nerven.

* * *

Bernhilde hatte am Vormittag in Hillesheim alle Dinge eingekauft, die sie auf ihrem Zettel notiert hatte. Seit ein paar Stunden stand sie am heimischen Herd und schwang die Koch- und Backlöffel. Die herrlich duftende Zwetschgentarte war fertig, das langsam geschmorte Wildschweingulasch lag in einer kräftig abgeschmeckten Soße. Alle warmen Beilagen ruhten im Warmhaltefach ihres alten Backofens, und der Herbstsalat stand bereits auf dem Tisch. Für das morgige Abendmahl waren alle notwendigen Vorbereitungen abgeschlossen.

Bevor sie ihre Kochschürze ablegte, rieb sie sich zufrieden beide Hände daran ab. Durch das Getöse der Dunstabzugshaube bemerkte sie nicht, dass ihr Mann die Küche betrat.

»Tach. Vergiss den Hasenbraten, für morgen musst du dir selbst wat einfallen lassen. Kann ja net so schwer sein. Is dir hier wat angebrannt, oder wat mufft hier so?«, sagte Karl-Hermann zur Begrüßung.

Bernhilde fuhr erschrocken herum. »Oh, tut mir leid für dich. Ich werd mir was Gutes überlegen. Außerdem: Mir ist nichts angebrannt, der Geruch kommt von den fremdländischen Gewürzen. Hab was Neues ausprobiert und das klassische Rezept ein wenig abgewandelt.«

»Aha.«

Bernhilde sah, wie ihr Mann sich kopfschüttelnd abwandte.

Ehe er sich auf seinem Stammplatz niederließ, klappte er eine Sitzfläche der dunklen Eicheneckbank auf und kramte eine Jagd-Zeitschrift heraus. »Bei deinem ganzen Strick- und Nähzeug und deinem anderen Krempel kann man lange nach den wichtigen Sachen suchen. Un jetz hätt ich mich beinahe wieder an deinem blöden, spitzen Hakending verletzt.«

»Das heißt Nahttrenner.« Bernhilde hatte die Schutzhülle verlegt, was sie ihrem Mann lieber verschwieg. Morgen würde sie sich dafür eine andere Verpackung suchen und alle Nähnadeln tief in ihr selbst gehäkeltes Nadelkissen stecken.

»Wir können jetzt essen. Bleib ruhig sitzen, ich decke den Tisch. Was hältst du von Döppekooche für morgen? Mit vielen Zwiebeln und deinem Lieblingsspeck vom Metzger. Dazu mein selbst gemachtes Apfelmus. Wie wäre das?«

Karl-Hermann brummte nur und legte seine Fachzeitschrift beiseite. »Dann kann ich ja nur hoffen, dat deine heutigen Experimente net in die Buxe gegangen sin. Ich hab Kohldampf, un die Gastwirtschaft hat heut Ruhetach.«

Bernhilde nickte hoffnungsvoll. Nach dem Essen fand ihr Mann nur wenige lobende Worte, fast alles hatte er sich anders gewünscht. Die Bratensoße war ihm zu dünn, an den Beilagen missfielen ihm die ungewohnten Gewürze, und die Zwetschgentarte war ihm zu bitter.

Während Bernhilde sich enttäuscht dem Abwasch widmete, fläzte ihr Mann sich mit einem Stubbi auf seinen speckigen Ledersessel, den Blick auf die Glotze gerichtet. Der Schweißgeruch seiner Füße drang bis zu ihr in die Küche. Damit wollte er sich wohl vor ihrer Anwesenheit schützen, so Bernhildes jahrelange Vermutung.

Bevor sie das Leinengeschirrtuch an den Haken hängte, stellte sie den letzten gespülten Kochtopf zurück in den Küchenschrank. Als sie das große, frisch abgetrocknete Küchenmesser in den hölzernen Messerblock schob, keimte in ihr ein vertrauter Gedanke auf.

* * *

Zwei Monate später:

Peter Schwehlen legte das Hackbeil zur Seite und betrachtete seine fertig portionierten Fleischstücke. Karl-Hermann hatte ihm vor wenigen Stunden diesen Rehbock vorbeigebracht, was seinen Zeitplan durcheinanderwirbelte. Er hatte treue Kunden an seiner Ladentheke vertrösten müssen, und sein neues Eifel-Gyros würde nun nicht mehr rechtzeitig in der Marinade liegen. Das alles nur wegen dieses unverschämten Trampels! Er verdarb ihm noch das ganze Vorweihnachtsgeschäft.

Fatalerweise hatte Karl-Hermann etwas gegen ihn in der Hand. Er hatte ihm im Zustand geistiger Umnachtung, die etlichen Bitburger Pils‘ und mehreren Kräuterschnäpsen aus dem hölzernen Kneipenfässchen geschuldet war, fünf Monate zuvor ein pikantes Geheimnis verraten. Es ging um eine Sache, die ihn eigentlich sehr fröhlich stimmte, aber dieser Plaudertasche hätte die Geschichte nie zu Ohren kommen dürfen. Weder ihm noch sonst jemandem! Davon, dass er eine heiße Affäre mit einer achtzehn Jahre jüngeren Blondine hatte, und dass das angebliche Leberwurstseminar in Münster viel mehr mit Wellness und Erotik als mit Kochstreichwurst zu tun gehabt hatte, sollte niemand erfahren. Besonders nicht seine Ehefrau!

Im Dorf war Karl-Hermann dafür bekannt, dass er nach einem Kneipenbesuch des Öfteren einen Filmriss hatte, weil er sich wie kein anderer Dorfbewohner volllaufen ließ. Aber ausgerechnet an dieses Gespräch konnte sich der alte Bock offenbar bestens erinnern.

Schwehlen packte das gute Rehbockfleisch ein und rief Karl-Hermann auf dessen Handy an. Dieser nahm den Anruf und wenig später auch seine Beute mit einem hämischen Grinsen entgegen. Dass diese Menge für mehrere Mahlzeiten reichen müsste, war für Schwehlen immerhin ein kleiner Trost. Irgendwie musste er sich diesen Kerl in Zukunft vom Leib halten. Die für seinen Geschmack perfekte Lösung für das Problem wäre, dass Karl-Hermann einfach an seinem Weihnachtsbraten erstickt, aber darauf hatte er wohl keinen Einfluss.

* * *

Im Hause Lauer lief alles ab wie jedes Jahr. Das Einzige, was Karl-Hermann zum bevorstehenden Heiligabend beitrug, war ein harzender Nadelbaum, den er trotz eines Verbots im Wald gefällt hatte. Für alles Weitere war Bernhilde zuständig, so wollte es das Gesetz ihres Mannes.

Sie hängte die letzten goldfarbenen Lamettastreifen an den schiefgewachsenen Baum. Die Krippe hatte sie bereits aufgebaut und mit Moos, Stroh und Figuren bestückt. Wenn es nach ihr gehen würde, gäbe es an jedem Weihnachtsabend Raclette. So kannte sie es aus ihrem warmherzigen Elternhaus. Aber bei Karl-Hermann musste ein ordentliches Stück Wild mit allem Drum und Dran auf den Tisch kommen. Dass solch ein Essen erheblich mehr Aufwand und Arbeitszeit bedeutete als das Schnippeln von ein paar Zutaten für die Raclette-Pfännchen und das Zubereiten eines Salates und einer Kräuterbutter fürs Baguette, war ihrem Mann egal. Kleine Fleischstückchen auf einem Raclette-Grill reichten ihm nicht, und den Schweizer Käse fand er widerlich. Das waren immer seine Argumente gewesen. Sie bezweifelte stark, dass ihr Mann jemals auch nur einen winzigen Bissen davon gekostet hatte, aber dies hatte sie ihm noch nie ins Gesicht gesagt. Sie war ja nicht lebensmüde!

Bernhilde bereitete alles für das wildlastige Weihnachtsmenü vor. Die weiße Tischdecke hatte sie bereits vor ein paar Tagen in Hillesheim waschen und mangeln lassen. Karl-Hermanns Familiensilber war geputzt, und seinen Lieblingswein hielt sie auf der perfekten Trinktemperatur. Sie war der Meinung, dass sie an alles gedacht hatte.

Als ihr Mann zur Küchentür hereinkam, schimpfte er ohne Unterlass. »Wat machst du dusselige Kuh denn da? Is dat dein erster Tach mit einem neuen Gehirn? Warum stehen Maria und Jupp net da, wo sie hingehören? In der Krippe hat alles seinen vorgegebenen Platz, da hast du nix dran zu rütteln!«

Bernhilde hatte sich erschrocken zu ihm umgedreht und brachte ein leises »Ähm … ich dachte …« heraus.

»Quassel nich lang, guck lieber nach dem Herd. Net, dat da wieder wat anbrennt oder überschwappt!« Karl-Hermann stierte sie mit geballten Fäusten an.

Das Einzige, das hier momentan drohte überzukochen, war Bernhildes jahrelang zurückgehaltene Wut. So wollte sie sich nicht länger behandeln lassen. Aber sie schwieg und gehorchte, so wie jedes Mal. Dies war der falsche Zeitpunkt für eine ungestüme Handlung, das würde gegen ihre Natur gehen. Wenn überhaupt, würde Bernhilde der Tortur mit Bedacht ein Ende setzen. Ihr Blick fiel auf ihr Gewürzregal. Wilma hatte ihr bei ihrem letzten Besuch ein ganz besonderes Kraut mitgebracht.

* * *

In der Eifel erwachte die Natur zu neuem Leben. Die ersten warmen Sonnenstrahlen trafen auf den taubedeckten Boden, Vögel zwitscherten – und es roch nach Frühling. Karl-Hermann saß seit Stunden auf einem Hochsitz und hielt fröstelnd Ausschau nach dem nächsten Beutetier. Er setzte seinen Feldstecher nur gelegentlich ab, um sich einen großen Schluck Kräuterlikör zu gönnen. Als eine grölende Wandergruppe vor ihm auftauchte, schoss er einmal in die Luft. Das war das Letzte, was er momentan gebrauchen konnte.

»Oha! Petri Heil, Kamerad!«, rief ihm ein offenbar beschwipster Wandersmann winkend zu.

»Wir sin hier nich beim Fischen, du blöder Hund!«, entgegnete Karl-Hermann und tippte sich mit dem Zeigefinger mehrmals auffällig gegen die rechte Schläfe. Er kletterte von seinem Thron und ging mit angelegter Flinte auf den Fremden zu. »Jetz hab ich aber die Faxen dicke! Immer diese elenden Störenfriede! Lachen, Singen, Quasseln, et reicht!«

Die sechsköpfige Gruppe trat mit erhobenen Händen ein paar Schritte zurück. Niemand spielte den Helden.

Karl-Hermann hatte nicht mit dieser Reaktion gerechnet. Er verlor schnell das Interesse und senkte seine Waffe. »Haut bloß ab hier, dat is mein Bezirk!« Diese Aussage entsprach zwar nicht der Wahrheit, sie bescherte aber das gewünschte Ergebnis.

Karl-Hermann fuhr sich mit der rechten Hand um seinen grauen Bart und dachte nach. Mit seiner Bernhilde war in der letzten Zeit auch was faul, fand er. Sie hatte ihren eigenen Willen und auch ein paar alte Interessen wiederentdeckt, was ihm sehr missfiel. Sie hatte sogar etwas von Scheidung gefaselt. Dass ihm vor ein paar Tagen erstmals die Hand ausgerutscht war, bereute er nicht. Vielleicht würde dies seine Frau wieder in die Richtung weisen.

Er stapfte schlecht gelaunt in den Wald hinein. Nach kurzer Zeit lehnte er seine Flinte gegen einen Baumstamm und suchte sich eine schöne Stelle, an der er sein Revier markieren konnte. Als er fertig war und seinen Hosenstall wieder geschlossen hatte, kramte er ein Likörfläschchen aus seiner Jackentasche und drehte voller Vorfreude den Deckel auf. Genau in diesem Moment erblickte er den nächsten Ruhestörer. Dieses Mal kannte er die Person, die nur wenige Meter von ihm entfernt stand. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

* * *

Wilma sah in ein erstauntes Gesicht. Ihr Gegenüber ließ eine kleine Flasche auf den Boden fallen und streckte beide Arme in die Höhe. Der sonst so laute Karl-Hermann war mit einem Mal ganz still. Ihm schien die Waffe, die auf ihn gerichtet war, Respekt einzuflößen.

Wilma war ihm in den vergangenen Stunden durch den Wald gefolgt. Auf den Moment, in dem er seine Flinte unbeobachtet ließ, hatte sie lange warten müssen. Nun hielt sie sein Herzstück schussbereit. »Du weißt, dass mein Bruder früher Sportschütze war und dass er mich oft zum Schießstand mitgenommen hat. Also, lass schön deine dreckigen Griffel oben! Sonst …«

»Dat traust du dich net. Du hast net den Schneid, auf mich zu schießen«, unterbrach Karl-Hermann mit einem abfälligen Grinsen. Er hatte schnell zu seiner alten Furchtlosigkeit zurückgefunden. »Hat Bernhilde dir diesen Stuss eingeredet?«

Wilma schüttelte den Kopf. »Sie weiß nicht mal, dass ich jetzt hier bin. Ihr habe ich gestern Abend am Telefon nur entlockt, wo du dich heute wahrscheinlich rumtreiben wirst. Aber sie hat mir vor ein paar Tagen bei euch im Wohnzimmer etwas erzählt. Unter Tränen. Die Spuren deiner Ohrfeige waren nicht zu übersehen, du abscheulicher Mistkerl!«

Karl-Hermann blickte umher. »Guck mal da!«