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In "König Ottokars Glück und Ende" bietet Franz Grillparzer eine bewegende Tragödie, die sowohl die Höhen als auch die Tiefen des menschlichen Schicksals beleuchtet. Das Werk spielt im historischen Kontext der böhmischen Monarchie und thematisiert die Konflikte zwischen Macht, Loyalität und persönlichen Idealen. Grillparzers eindringlicher literarischer Stil, geprägt von einer tiefen psychologischen Durchdringung der Charaktere, entfaltet sich in kraftvollen Monologen und Dialogen, die den Leser zur Reflexion über das Tun und Lassen der Protagonisten anregen. Die Vielschichtigkeit der Figuren führt zu einer emotionalen Dichte, die für das Publikum sowohl mitreißend als auch nachdenklich ist. Franz Grillparzer, einer der bedeutendsten Dramatiker des österreichischen Liberalismus, lebte von 1791 bis 1872 und war ein Zeitzeuge der politischen Umwälzungen seiner Zeit. Sein persönlicher Hintergrund und die Auseinandersetzung mit nationalen Identitäten und der eigenen Rolle als Künstler im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation eröffnen einen spannenden Zugang zu diesem Werk. Grillparzer selbst befand sich in der ständigen Auseinandersetzung mit dem Verlust und der Einsamkeit, was sich in der emotionalen Tiefe seiner Figuren widerspiegelt. Dieses Buch ist eine Empfehlung für alle, die sich für die Interaktion zwischen individueller Schicksalhaftigkeit und historischer Entwicklung interessieren. "König Ottokars Glück und Ende" ist nicht nur ein bedeutsames Beispiel für das dramatische Schaffen des 19. Jahrhunderts, sondern auch eine zeitlose Erzählung über den menschlichen Kampf um Glück und Selbstverwirklichung. Leser, die sich für die komplexen Verhältnisse zwischen Macht und Moral interessieren, werden von Grillparzers meisterhaftem Können fasziniert sein.
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von FRANZ GRILLPARZER
Trauerspiel in fünf Aufzügen
Primislaus Ottokar, König von Böhmen Margarethe von Österreich, Witwe Heinrichs von Hohenstaufen, seine Gemahlin Benesch von Diedicz, Milota und Zawisch, die Rosenberge Berta, Beneschs Tochter Braun von Olmütz, des Königs Kanzler Bela, König von Ungarn Kunigunde von Massovien, seine Enkelin Rudolf von Habsburg Albrecht und Rudolf, seine Söhne Friedrich Zollern, Burggraf von Nürnberg Heinrich von Lichtenstein und Berthold Schenk von Emerberg, Österreichische Ritter Der alte Merenberg, Friedrich Pettauer und Seyfried Merenberg, steirische Ritter Herbott von Füllenstein Ortolf von Windischgrätz Ottokar von Hornek Merenbergs Frau Paltram Vatzo, Bürgermeister von Wien Der Bürgermeister von Prag Ein kaiserlicher Herold Der Küster von Götzendorf Der Kanzler des Erzbischofs von Mainz Elisabeth, Margarethens Kammerfrau Ein Kammerfräulein Kunigundens Abgeordnete der deutschen Wahlversammlung
Böhmische, österreichische, steirische, kärntnerische Landesherren und Kriegsleute.
Im Schlosse zu Prag. Vorzimmer der Königin. Rechts und links Seitentüren, deren erstere zu den innern Gemächern führt. Vor derselben, Wache haltend, Seyfried von Merenberg, auf seine Partisane gestützt.
Frau Elisabeth mit einer andern Kammerfrau tritt aus dem Zimmer der Königin.
Elisabeth. Lauf, Barbara! lauf schnell nach Meister Niklas! Die Königin scheint wohl, doch trau ich nicht.
(Ein Diener ist gekommen.)
Elisabeth. Hast du den Balsam? Gut, gib her, mein Freund! O unglücksel'ger Tag! O arme Frau!
(Der alte Merenberg kommt.)
Merenberg. Wie geht's der Königin?
Elisabeth. Verwunderlich! Doch tut sie sich Gewalt, das sieht man wohl.
Merenberg. Wer ist bei ihr?
Elisabeth. Der Graf von Habsburg, Herr! O daß ich das erleben müssen! (Ab ins Zimmer der Königin.)
Merenberg. Sohn!
Seyfried (der gedankenvoll, auf seine Hallbarte gestützt, dagestanden hat). Ihr, Vater?
Merenberg. Hast du schon gehört?
Seyfried. Ja wohl!
Merenberg. Und sagst dazu?
Seyfried. Ich glaub's nicht, Vater!
Merenberg. Wie?
Seyfried. Nein, Vater! Und bin so ergrimmt darob, Daß ich den Lügnern mit der Hallbart hier Den Kopf einschlagen möchte, allgesamt.
Merenberg (zurücktretend). O weh, mein Sohn! schlag deinen Vater nicht! Denn ich glaub's auch.
Seyfried. Ihr auch?
Merenberg. Ich weiß, mein Sohn!
Seyfried. Wie? so ein Herr, ein Ritter, so ein König, Und täte schlimm an seinem eignen Wort, Die Frau verlassend, die ihm angetraut? Hab ich nicht knabenweis bei ihm gedient, Und war er mir ein Muster, Vorbild nicht Von jedem hohen Tun?
Merenberg. 's wird keiner bös, Der nicht, bevor er's ward, erst gut gewesen!
Seyfried. Und was ich Löblichs tat und Gutes dachte, An ihn hielt ich's und an sein adlig Walten, Gar tief beschämt ob des zu großen Abstands. Er hat die letzte Zeit mich schwer gekränkt, Ich durft' nicht mit ihm in die Ungarschlacht! Denn seht, er denkt wohl, daß ein alt Gefühl Für Berta noch von Rosenberg—Ihr wißt ja!— O hätt' ich das aus seinem Leben fort, Den einz'gen Fleck, im andern steht er rein!— Doch glaubt! sie haben ihn dazu verleitet, Die Rosenberg! Der Vater—pfui des Kupplers!
Merenberg. Denk was du willst, nur eines halt für wahr: Die Königin muß fort, und sie und ihre Diener, Das Ärgste haben sie, das Äußerste zu scheun.
Ich geh noch heute heim nach Merenberg, Auf meiner Väter Schloß, auch du mußt fort!
Seyfried. Wie, Vater?
Merenberg. Du! dies törichte Vertrauen Soll dich nicht selber an das Messer liefern. Du folgst mir nach, zum Schein; allein in Bruck Harrt dein ein treuer Knecht mit frischen Pferden, Und während man dich bei dem Vater glaubt, Eilst du nach Deutschland auf verborgnen Pfaden. Die Königin will sich ans Reich nicht wenden Mit ihrer Not; ich aber will's, hilft Gott! Ich will nicht sehn die Tochter meines Herrn Von Haus und Land vertrieben, ohne Schutz. Du gehst nach Frankfurt, und dies Schreiben gibst du (Er öffnet das Koller, in dem der Brief steckt) Dem Erzbischof von Mainz. Allein man kömmt, Wir sind bewacht, (indem er sich von ihm entfernt) Verschwiegenheit und Eile! Ein Tag zuviel ist dreißig Jahr zuwenig!
(Benesch von Diedicz und Milota kommen.)
Benesch. War nicht Herr Zawisch hier?
Seyfried (indem er sich abwendet). Ich sah ihn nicht!
Benesch. Er ritt doch nur ins Schloß!
Milota. Sei ruhig, Bruder!
Benesch. Was ruhig? Sieh, ich bin's! Der König wagt's nicht! Heiß ich nicht Rosenberg? Ist unser Haus Im ganzen Lande nicht das mächtigste? Und er sollt's wagen? Solchen Schimpf? Ha, Possen! Doch soll's heraus, wer das Gerücht ersann; Ich will ihn treffen, so—und so—und so! Bis in das vierte Glied!
(Berta von Diedicz kommt.)
Benesch. Ha, Närrin, du? Was willst du hier? Geh fort, auf dein Gemach!
Berta. Ich kann nicht bleiben, rastlos treibt's mich um. Sie eilen durch das Schloß und flüstern sich Entsetzliches mit scheuen Blicken zu. Sagt, Vater, ist es wahr?
Benesch. Das fragst du mich? Geh fort! von hier!
Berta. O Gott! wo find ich Menschen? (Indem sie auf Seyfried losgeht, zurückfahrend.) Ihr, Merenberg? Euch sollt' ich eher meiden, Vor allen Euch; und doch, Ihr seid ein Mensch! Ich hab Euch schwer beleidigt, Merenberg, Doch rächt Euch jetzt nicht, jetzt nicht! Seht mich knien. (Sie kniet.) Sagt, ist es wahr?
Seyfried. Was, Berta?
Berta. Ist es wahr? Des Königs Eh' getrennt!
Seyfried. Der Vater sagt's.
Berta. Die andern sagen's auch!—und er vermählt— Zu späte Scham, ist jetzo Zeit zu schämen? Vermählt von neuem sich mit—
Seyfried (mitleidig). Nicht mit Berta Von Rosenberg!
(Sie drückt mit einem Ausruf ihr Gesicht an den Boden.)
Benesch (zu Seyfried). Wer sagt's Euch?—Her zu mir!
Milota (auf sie zugehend). Kommt, Nichte, kommt! Hier ist kein Platz für Euch!
Berta. O Seyfried, schütze mich!
Seyfried. Mit Gunst, Herr Milota! Wenn Ihr es wagt, die Hand an sie zu legen, So stoß ich Euch die Partisan in Leib. (Die Hallbarte gesenkt.)
Benesch. Und wenn ich selbst—!
Seyfried. Mir gleich!
Benesch. Verweigerst du dem Vater Sein Kind?
Seyfried. O hättet Ihr sie doch verweigert, Sie läge jetzt nicht stöhnend vor uns da, Daß mir das Herz im Innern um sich wendet!
Benesch. Wir hätten sie wohl dir vermählen sollen?
Seyfried. 's war besser, Herr, als jetzo solche Schmach!
Benesch. Mein Kind!
Seyfried. Zurück! Mir hat sie sich vertraut, Und ich weiß Anvertrautes zu bewahren!
Benesch. So soll mein Schwert!
Seyfried. Laßt sein! Du aber fürcht dich nicht!
(Zawisch tritt ein und bleibt beim Eingange laut lachend stehen.)
Zawisch. Ha, ha, ha, ha!
Benesch (der sich rasch umgewendet hat, da er Zawisch erblickt). Bist du's? Dich sendet Gott!
Zawisch. Was kämpft ihr denn, ihr hochgesinnten Jäger, So wutentzündet um des Bären Fell? Herr Petz trabt wohlgemut durch Berg und Tal Und weist euch seinerzeit wohl noch die Pranken. Schön Mühmchen, grüß Euch Gott! (Zu Seyfried.) Und Ihr, Herr Weidmann! Hebt Eure Feder und seht nicht so kraus; Ich bin kein Wild für Euch!
Benesch. Nun sag, erzähle!
Milota. Ja, Neffe, sprich!
Zawisch. Erzähle! Sprich! Ei, was denn?
Benesch. Der König—
Zawisch. Hat die Ungarn derb geschlagen, Bei Kroissenbrunn; (gegen Milota) Ihr, Ohm, wart ja dabei!
Benesch. Wer fragt um das?
Zawisch. Der Friede ist gemacht: Auf Österreich—
Benesch. Nicht doch!
Zawisch. Auf Steiermark—
Benesch. Willst du mein spotten?
Zawisch. Nu, was wollt ihr denn?
Benesch. Des Königs Ehe—
Zawisch. Ei, die ist getrennt!
Benesch. Die Handfest ausgefertigt?
Zawisch. Und besiegelt. Die Königin geht heute noch nach Wien. Von da—
Benesch. Und spricht man nicht?—Verdammt!—Mit wem— (Gegen Berta hin.) Regst du dich noch?—Mit wem der König?—
Zawisch. Ah! Mit wem er sich zum zweitenmal vermählt? Ei, mit wem anders denn, als dort mit jener, Mit Eurer Tochter? Ihr habt's schlau gekartet! Erst führtet Ihr das Mädchen still ihm vor, Geschmückt! man konnte kaum was Schöners sehn! Dann halft der Armen Mangel Ihr an Witz Mit Euerm eignen nach. Was sie da Reden führte! Die Königin von Saba kann nicht besser! Zuletzt—nu, was weiß ich, was alles noch! Kurz, er ist ganz berückt, und gebt nur acht, Er kommt zur Stund' und freit um ihre Hand.
Berta (aufspringend). Zu ihr, zu ihr! zu ihren Füßen sterben! (Ab in der Königin Gemach.)
Zawisch. Ha, ha, ha, ha!
Merenberg. Herr Zawisch!
Zawisch. Lustig! lustig! Wir wollen auf des Königs Hochzeit tanzen! (Zu Seyfried.) Ihr habt ja auch vordem um sie gefreit? Weiß Gott! ich glaub, einmal zu Nacht, bei Wein, Gefiel mir selbst ihr rot und weiß Gesicht! Nu, gebt mir Eure Hand, Herr Bundesbruder! (Seyfried wendet sich ab.)
Milota. Wozu das tolle Wesen? Grad und kurz: Mit wem vermählt der König sich?
Zawisch. So kurz Als Eure Frage soll die Antwort sein! Mit Kunigunde von Massovien, Des Ungarkönigs Nichte.
Benesch. Gift und Pest!
Zawisch. Ihr wolltet selbst des Königs Eh' getrennt, Habt jahrelang euch weidlich drum bemüht; Sie ist getrennt—und er freit Belas Nichte.
Benesch (mit der Hand vor der Stirn). Verraten, hintergangen! Schändlich, schändlich!
Zawisch. Pocht nicht so hart an der Gedanken Tor, Wenn's früher schloß, macht jetzo doch nicht auf!
Benesch. Jetzt spottest du, und hast es selbst gebilligt!
Zawisch. Gebilligt, ich? den Unsinn, die Verrücktheit!
Benesch. Ja, du, und du!
Milota. Weil du Gewißheit vorgabst!—
Benesch. Bringt mir sie her, das Mädchen bringt mir her! Sie soll nicht leben! Sie und ich! Oh!—Oh!
Seyfried (herüberrufend). Schmäht Ihr das Mädchen? Schmähet auf Euch selbst! Wer hieß Euch glauben, daß für Eure Tochter Des Königs, ihres eignen Königs Hand—
Zawisch. Das ließ' sich allenfalls noch glauben, Herr! Ein Merenberg wär' toll, dächt' er an so was; Doch wir, die aus der Weltstadt Roma stammen, Von den Patriziern, die den Erdkreis beugten, Und, als Ursini, noch dem Throne stehn zunächst, Auf dem Sankt Peters Macht ob Herrschern herrschet; Wir mögen wohl nach Fürstenkronen trachten, Und eine Rosenberg mag kühn und frei Dem Besten sich vermählen dieser Erde: Auch—ha, ha, ha, ha, ha!
Milota (der sich gesetzt hat). Verdammt sein Lachen!
Zawisch. Die Tochter rast, der Vater rauft sein Haar, Und wir beweisen unsern alten Adel! Und wär' er älter als der Engel Fall, Der König winkt, und knall! liegt er am Boden.
Benesch. Doch eh' ich falle, Rache! (Milota anfassend.) Rache, Bruder!
Milota (der aufsteht). Ich sann soeben und gedenk zu handeln!
Zawisch. Regst du dich auch, vierschröt'ger Milota? Ei ja, da muß der König nun wohl zittern!
Benesch. Wenn du—wenn du dich unsrer Sach' entziehst, Bist du kein Rosenberg; ein Schurk'! Nicht wahr?
Milota. So ist's!
Zawisch. Ei ja! Wie führen wir's denn aus? Beim nächsten Kirchgang drück dich an den König Und tritt ihm auf den Fuß. Das schmerzt verzweifelt, Und so bist du gerächt!
Benesch. Er spottet unser? Mein Kopf! Mein Kopf!—Er ist kein Rosenberg!
Milota. Komm, Bruder, laß uns gehn! Wer lachen kann Bei seines Hauses Schmach, verdient—
Zawisch. Halt, Freund! Wer seid ihr denn, ihr beide, daß ihr schmäht? Die ihr auf offner Straße Rachepläne Zu tauben Wänden schreit und—offnen Ohren! Verschwört euch auf dem Markt und treibt im Zimmer Aufruhr! Herr Merenberg, nicht wahr, das nenn' ich Leute? Der Rausch des Zorns ist wie ein andrer Rausch: Das beste Mittel ist die frische Luft. Drum fort ins Freie, meine werten Herrn! Brennt unser Haus und können wir nicht löschen, So laßt uns wenigstens die Hände wärmen. Der König ist mein Herr, und damit holla!
Milota (ihm näher tretend). Fast glaub ich, Freund, du denkst mehr als du sprichst. Sag, wofür hältst du uns?
Zawisch (laut). Für wackre Leute: Was man verschweigt, erratet ihr auch nicht; Errietet ihr's, ihr könntet's nicht verschweigen! Es öffnet sich die Tür der Königin, Sie kommt, mit ihr der Großalmosenier, Der Graf von Habsburg. Laßt uns gehn, Wir wollen sie nicht in der Hora stören. (Ziehn sich zurück.)