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Epische Sagas um Elben, Drachen und Menschen. Eine einzigartige Fantasy-Abenteuer Sammlung von Alfred Bekker, dem Autor der Zyklen um DAS REICH DER ELBEN, die ELBENKINDER, GORIAN, die DRACHENERDE-SAGA und viele andere mehr. Dieses Buch enthält die Romane: Drachenring Die Könige der Elben Keduan - Planet der Drachen Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
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Seitenzahl: 1217
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Könige von Drachenwelten und Elbenreichen: 3 Fantasy-Romane im Bundle
Copyright
Drachenring
Erstes Buch: Prinz Rajin der Verdammte
1. Kapitel: Geborstener Stahl, gebrochener Stein und verlorene Seelen
2. Kapitel: Ein Magier auf Schattenpfaden
3. Kapitel: Sehnsucht und Bestimmung
4. Kapitel: Angriff der Luftschiffe
5. Kapitel: Drachenblut und Drachengeist
6. Kapitel: Des Traumhenkers Ernte
7. Kapitel: Aufbruch ins Ungewisse
8. Kapitel: Im Palast des Usurpators
9. Kapitel: Wenn Drachen sich erheben ...
10. Kapitel: Drachenwunden
11. Kapitel: Das Leere Land
12. Kapitel: Das Drachen-Ei
13. Kapitel: In der Falle der Minotauren
Zweites Buch: Yyuum und die Macht des dritten Drachenrings
1. Kapitel: Im Land der Magier
2. Kapitel: Der Plan des Schattenpfadgängers
3. Kapitel: Die Audienz des Großmeisters
4. Kapitel: Der Schlüssel des Geistes, das Pergament der Torheit und das Feuer der Drachen
5. Kapitel: Drachenrache und Magierzorn
6. Kapitel: Flucht aus Magussa
7. Kapitel: Im Land der Leuchtenden Steine
8. Kapitel: Die Meister von Ktabor
9. Kapitel: „Ich traue keinem Drachen mehr!“
10. Kapitel: Rajins Erwachen
11. Kapitel: Die Dämonen des Glutreichs
12. Kapitel: Im Angesicht des Urdrachen
13. Kapitel: Zwei Hände, zwei Kaiser und das Versprechen eines Weisen
Epilog
Alfred Bekker | Die Könige der Elben
Erstes Buch: | Ein König
1. Kapitel | Die Elbensteine
2. Kapitel | Der Elbenkönig erwacht
3. Kapitel | Brüder in Licht und Dunkelheit
4. Kapitel | Boten des Grauens
5. Kapitel | Krieger der Dunkelheit
6. Kapitel | Das Feuerschwert
7. Kapitel | Zerrinnende Zeit
8. Kapitel | Flammenlanze und Flammenspeer
9. Kapitel | Der Sturm nach dem Sturm
10. Kapitel | Schatten der Seele
11. Kapitel | Auf der Spur der Trorks
12. Kapitel | Elbenblut und Trork-Rache
13. Kapitel | Lichtgespenster
Zweites Buch | Zwei Könige
1. Kapitel | Larana
2. Kapitel | Das Blutbad
3. Kapitel | An der Grenze Wilderlands
4. Kapitel | Das Bündnis mit Aratan
5. Kapitel | Im Land der Bestien
6. Kapitel | Krieg bei den Rhagar
7. Kapitel | »Dies ist mein Reich!«
8. Kapitel | Augen im Dunkeln
9. Kapitel | Der Axtherrscher erscheint
10. Kapitel | Das Gesicht des Gesichtslosen
11. Kapitel | König Magolas
12. Kapitel | Im Reich der Geister
13. Kapitel | Diener des Bösen
Epilog
Übersicht: Athranor & Zwischenland der Elben
Keduan – Planet der Drachen:
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Epische Sagas um Elben, Drachen und Menschen.
Eine einzigartige Fantasy-Abenteuer Sammlung von Alfred Bekker, dem Autor der Zyklen um DAS REICH DER ELBEN, die ELBENKINDER, GORIAN, die DRACHENERDE-SAGA und viele andere mehr.
Dieses Buch enthält die Romane:
Drachenring
Die Könige der Elben
Keduan - Planet der Drachen
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
Drachenerde-Saga
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 522 Taschenbuchseiten.
Prinz Rajin hat den Kampf gegen Katagi, den grausamen Usurpator auf dem Drachenthron, aufgenommen. Der Weise Liisho ist sein Mentor, und der Fürst vom Südfluss, bei dem er Asyl gefunden hat, sein Verbündeter. Doch seine Geliebte Nya und sein ungeborener Sohn bleiben in einem magischen, todesähnlichen Schlaf gefangen. Nur ihre Körper hat er aus der Kathedrale des Heiligen Sheloo retten können, aber ihre Seelen scheinen verschollen. Derweil provoziert Katagi den großen Krieg unter den fünf Reichen. Der Herr des Magiervolkes ist der Einzige, der neutral bleibt. Er versucht, Prinz Rajin auf seine Seite zu ziehen, und verspricht ihm, den Bann, der die Seele seiner Geliebten bindet, zu brechen.
Fünf Äonen währt die Geschichte der Welt – das fünfte bringt den Tod;
Fünf Monde leuchten in der Nacht – der fünfte wird fallen und die ewige Dunkelheit bringen;
Fünf Reiche hielten das Gleichgewicht von Macht und Schrecken – das fünfte begann den Krieg.
Der Gesang der Fünf
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Es war aber zum Ende des fünften Äons, als die lange Zeit des Gleichgewichts zu Ende ging. Für Zeitalter hatten sich die Kräfte der fünf Reiche wechselseitig aufgewogen. Gegenseitige Furcht und Abhängigkeit hatte sie davon abgehalten, einander zu vernichten. Die wenigen kleineren Kriege, die es gegeben hatte, wurden entweder rasch beendet oder ermüdeten sich in einem Patt der Kräfte. Manchmal wechselte die eine oder andere Provinz den Besitzer, aber keiner dieser kleinen Schlachtensiege wäre bedeutend genug gewesen, um eines der Reiche in seiner Existenz oder das Gleichgewicht nachhaltig zu gefährden.
Die Kaiser des Drachenlandes Drachenia betrachteten ihr eigenes Reich oft als das erhabenste und mächtigste unter den fünf. Schließlich trug der Drachenkaiser jene drei Ringe, die es überhaupt erst möglich machten, dass Drachen, diese Urbilder der Zerstörung und des Chaos, von Menschen gezähmt und unterworfen werden konnten. „Gäbe es die Macht des Kaisers von Drakor nicht, so gäbe es auch keines der anderen Reiche!“ So sind die Worte von Kaiser Kojan I. überliefert. „Denn ohne die Drachenringe des Kaisers und die Kraft derer aus der Blutlinie des Hauses Barajan würden sich die Drachen erheben, ihre Herren verleugnen und die Herrschaft zurückfordern, die sie einst durch ihren Hochmut verloren, als sie ihre eigenen Götter in den Gefilden jenseits der kosmischen Tore zurückließen! Götter, die ihnen hätten helfen können, als sie die Erde aus purem Übermut aufrissen und die Flut des Feuergesteins die Meere kochen ließ. Damals bedeckten flüssiges Gestein und schwarze Vulkanasche die größten von ihnen unter sich, sodass wir heute nur Winzlinge zu unseren Dienern heranzüchten, auch wenn sie uns wie Riesen erscheinen mögen. Allein ein Aufstand dieser Winzlinge aber könnte alle Reiche von Menschen und Magiern zerstören – ganz zu schweigen, wenn sich die wahren Giganten aus ihrem äonenlangen Schlaf im Gestein eines Tages erheben, so wie es vom Urdrachen Yyuum geweissagt wird. So schulden die anderen Reiche dem Kaiser Dank und Ehrerbietung, weil er sie vor diesem Schicksal bewahrt!“
Und während Kaiser Kojan diese Worte verkündete und die am Hof von Drakor akkreditierten Gesandten der vier anderen Reiche, die sich im großen Audienzsaal eingefunden hatten, ihnen lauschten, reckte Kojan, so wird berichtet, stolz die Hand empor, an der die drei Drachenringe glänzten. Kunstvoll gearbeitet waren sie, aus einem Metall, das es heute nicht mehr zu geben scheint. Barajan selbst, der Begründer des Kaiserhauses, hatte sie geschmiedet, um den Geist der Drachen vor den Kräften der Magier zu verschließen, sodass sie fürderhin keine Macht mehr über die Drachen erringen konnten - und das bis zum heutigen Tage.
Aus der Chronik von Drakor
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Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe und Kaiser Kojan und seine liebliche Gattin Minjanee vom Usurpator Katagi und seinen Getreuen ermordet wurden, habe ich die Freiheit, ohne jede Rücksichtnahme meine Gedanken niederlegen zu können, was mir in meiner Zeit als kaiserlicher Kanzler der Respekt verbot. Bei aller noch so treuer Gefolgschaft zum Kaiserhaus, so frage ich mich doch heute, ob nicht der Kaiser schon damals seine Macht bei weitem überschätzte, sowohl nach innen wie nach außen.
Denn mochte die Armada geflügelter Kriegsdrachen, die unter dem Kommando des Kaisers von Drakor stand, auch noch so imposant erscheinen, wenn sie sich am Himmel versammelte und aus den Armbrustscharten der Drachengondeln bunte Banner ragten, so stand das Reich Drachenia doch auf tönernen Füßen und war in einem Netz vielfältiger Abhängigkeiten gefangen.
Die blonden Barbaren des Seereichs etwa gingen auf die Jagd nach den Seemammuts und lieferten diese, in Stücke geschnitten, mit ihren Langschiffen als Drachenfutter in Drachenia ab. Das Knurren der Drachenmägen und all ihre Unmutsäußerungen hätte kein Drachenier hören mögen, wäre der Strom der Seemannen-Langschiffe in die drachenischen Häfen versiegt. Wir hätten von unseren edlen Hilfstieren verlangen müssen, dass sie selbst auf die Jagd gingen, wie es ihre wenig zahlreichen wilden Artgenossen noch zu tun pflegen.
Dann waren da noch die Angehörigen des Magiervolkes, auf deren Hilfe der Kaiser keinesfalls verzichten wollte. Sie standen seit langem in den Diensten der Herrscher von Drachenia. Ob die rohe Kraft der Kriegsdrachenarmada sich in einem Kampf als stärker erwiesen hätte als die übernatürlichen Mittel, die im Reich Magus Anwendung finden, darf bezweifelt werden. Davon abgesehen hätten der Großmeister in Magussa und seine Helfer vermutlich einen Weg gefunden, wie sein Volk diese Welt über die kosmischen Tore wieder hätte verlassen können, durch die sie einst hierher gekommen waren. Drachenische Spione und abtrünnige Magier berichten seit langem davon, dass Forschungen im Gange sind, die darauf zielen, die verloren gegangenen Geheimnisse der kosmischen Tore wiederzuentdecken, um rechtzeitig vor dem prophezeiten Fall des Schneemondes dieser Welt den Rücken zu kehren.
Die Fürsten von Feuerheim hüten seit Urzeiten das Geheimnis ihrer explosiven Pulver und ihrer Feuerwaffen, die sie mit von Rennvögeln gezogenen Kampfwagen über die Ebenen ziehen oder in Festungsmauern befestigen, sodass sie dem Angreifer Flammen und Rauch entgegenspucken und riesige tödliche Bleikugeln. Sie verraten niemandem, wie sie es geschafft haben, die Kraft des Feuers so zu bändigen, dass sie Schiffe, die vollkommen aus schwerem Eisen bestehen, gegen den Wind fahren lassen können, ohne dass sie untergehen.
Und auf die Erzeugnisse der Feuerheimer Schmiedekunst ist das Drachenland nach wie vor angewiesen. Einzig die Schwerter unserer Samurai schmieden wir selbst!
In welchem der fünf Reiche schlummert das größte Quantum an Macht, so frage ich, und die Antwort darauf mag bestenfalls offenbleiben.
Wie groß die Kampfkraft der schwebenden Schiffes des Luftreichs Tajima ist, hat Kaiser Kojans Großvater Narajan schmerzlich erfahren müssen, als er vergeblich versuchte, den Tajimäern die Provinz Kajinastan zu entreißen, um sie in sein Reich einzugliedern.
Davon abgesehen fürchten die Drachenier schon im Frieden die Luftschiffe Tajimas. Schließlich untersagen wir in unserem Land bis heute jegliche Luftschifftransporte, um die Besitzer von Lastdrachen nicht einer Konkurrenz auszusetzen, gegen die sie kaum bestehen könnten ...
Aus den persönlichen Journalen von Jabu Ko Jaranjan, dem letzten Kanzler des ermordeten Kaisers Kojan I.; aufgezeichnet im tajimäischen Exil, wo Jabu wenig später in seinem Landhaus umgebracht wurde.
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Seit dem Tag des Feuergerichts, als das glühende Gestein aus der Erde quoll und die Asche bis zu den Monden geschleudert wurde, um dann als schwarzer Regen zurückzufallen, schlummern manche der alten Riesendrachen des Ersten Äons unter den Gebirgen. Doch unzählige von ihnen starben damals auch, und man findet heute nur noch ihre gewaltigen Knochen im Erdreich. Die anderen aber fielen in einen Äonen währenden Schlaf, der vom Tod nur in zweierlei Hinsicht verschieden ist: Es gibt irgendwann ein Erwachen, und keine Verwesung lässt die massigen, mit dem erkalteten Gestein fast eins gewordenen Körper zerfallen. Sie überdauern die Zeit - Äon für Äon. Und wehe denen, die ihr Erwachen erleben werden!
Der Größte und Älteste unter ihnen ist der Urdrache Yyuum. Er liegt unter jenem Höhenzug, den man auch den mitteldrachenischen Rücken nennt und der ein Fortsatz des Dachs der Welt ist, zu dem man dieses Gebirge deshalb oft rechnet.
Manchmal grollt es aus den Bergen bis nach Sajar hinüber. Schwärme von Vögeln werden dann aufgescheucht und verdunkeln den Himmel, die Drachenpfleger in den Pferchen horchen auf und ebenso die echsenhaften Kolosse, denen sie das geschnittene, von den Barbaren des Seereichs angelieferten Stockseemammut füttern ebenfalls.
Dann betet jeder dafür, dass es nur ein gewöhnlicher Erdrutsch war und nicht ein Lebenszeichen des erwachenden Urdrachen. Von abertausend Lippenpaaren wird dann der Name des Unsichtbaren Gottes gemurmelt, dessen Macht hoffentlich groß genug ist, um uns vor diesem Übel zu bewahren.
Die Schriften des Sehers Yshlee von Sajar, Band XXII
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Katagi aber war außer sich darüber, dass ein von Gauklern in den Palast gebrachter Affe es hatte schaffen können, ihm einen der Drachenringe zu entwenden. Der Essenzenrausch hatte ihn unvorsichtig gemacht, doch nun kehrte sich die befriedende Wirkung jener Substanzen in ihr Gegenteil um.
Katagi, der Usurpator auf dem Kaiserthron zu Drakor, ließ die Gaukler herbeischaffen und in den Kellern unter der Festhalle zu Tode foltern.
Der Affe aber blieb verschwunden. Längst hatte er sich auf den Weg gemacht, dieses wertvolle Artefakt seinem Herrn und Meister zu bringen, dessen Wille die einfältige Kreatur vollkommen ausfüllte.
Dieser verborgene Meister war niemand anderes als Yyuum der Urdrache. Zeitalter lang hatte er davon geträumt, wie ein neues Äon der Drachen beginnen konnte. Und vielleicht war es auch die immer bedrohlicher werdende Nähe des Schneemondes, die Yyuum dazu antrieb, den Vorgang seines Erwachens zu beschleunigen.
Das Buch des Usurpators
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Niemand aber, der ohne Recht auf dem Thron sitzt, wird dem Zorn des Unsichtbaren Gottes entgehen!
Wandspruch - von Unbekannten in die Wand des Kaiserpalastes von Drakor geritzt
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Die fünf Kinder des Kaisers Kojan hatte ich aus dem brennenden Kaiserpalast zu Drakor gerettet, als der Usurpator die Macht an sich riss und das Kaiserpaar ermordete. Nur Prinz Rajin sollte den Häschern Katagis letztlich entgehen. Als Säugling hatte ich ihn zu seemannischen Barbaren auf der Insel Winterland im äußersten Nordwesten des Seereichs gegeben. Kein bekannter Ort mag einsamer sein als dieser, und die Tatsache, dass Prinz Rajin als einziger Spross des Kaisers überlebte, ist sicherlich diesem Umstand zu danken.
Doch obwohl ich den Keim des Wissens in seine Seele pflanzte, prägte seine Jugend unter seemannischen Barbaren seinen Charakter mindestens ebenso stark wie das Blut des Hauses Barajan, das in seinen Adern floss. Ich gebe offen zu, dass ich diese Prägung unterschätzt habe.
Aus den Schriften des Weisen Liisho
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Prinz Rajin aber fand Asyl beim Fürsten von Sukara, der die drachenische Provinz Südfluss regierte, die im Norden an das Ostmeerland und im Süden an das Luftreich Tajima grenzte. Nach außen hatte der Fürst dem Usurpator Katagi nie die Gefolgschaft aufgekündigt, tatsächlich aber unterstützte er die Rebellion. Im ganzen Land sprach sich herum, dass ein Nachkomme des rechtmäßigen Kaiserhauses überlebt hatte und sich nun anschickte, die Herrschaft über Drachenia zurückzufordern ...
Das Buch des Befreiers
(nach der durch den Abt von Ezkor revidierten Fassung, die zum Thronjubiläum im 50. Regierungsjahr von Kaiser Kojan III. vollendet wurde)
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Es war aber zu der Zeit, da Komrodor der Großmeister von Magus war und das Gleichgewicht der fünf Reiche zerbrach. „Katagi mag den Krieg gesät haben, aber ich werde den Sieg ernten“, sprach Komrodor zum Kollegium der magischen Hochmeister zu Magussa. „Und darum auch werde ich das Gewicht der Magie erst in die Waagschale werfen, da sich das Schicksal dieses Äons entscheidet.“ Das erlauchte Kollegium der fähigsten Magier des Reiches folgte dem Willen des Großmeisters, denn seine Gegenwart erfüllte alle Anwesenden mit Ehrfurcht und Schauder, und die Macht seiner Magie hatte eine so bezwingende Präsenz, dass sie jeden anderen Willen unweigerlich verdrängte.
Später aber, als der Krieg wütete und die Mägen der Drachen so laut knurrten, dass man sich die Ohren zuhalten musste, weil die Seemannen nicht bereit waren, ihren Feinden Drachenfutter zu liefern, verbreitete sich die Kunde, dass Prinz Rajin die Rebellion gegen Katagi anführe und plane, den Drachenthron für das Haus Barajan zurückzuerobern. „So mag denn der Feind unserer Feinde unser Freund werden“, entschied der Großmeister. „Und vielleicht ist dieser Prinz das entscheidende Gewicht, das die Waage des Schicksals in einem für uns günstigen Sinn zu bewegen vermag.“
Spione brachten in Erfahrung, dass Prinz Rajin im Südflussland beim Fürsten von Sukara Asyl gefunden hatte. Aber sie trugen auch die Kunde nach Magussa, dass der Prinz nicht gut auf ein Bündnis mit den Magiern zu sprechen war, denn es sei immerhin ein abtrünniger Magier gewesen, der Rajins Geliebte Nya und seinen ungeborenen Sohn in einen totenähnlichen Schlaf versetzt habe. „Genau dies wird seine Bereitschaft, uns entgegenzukommen, unterstützen“, war jedoch der Großmeister überzeugt. „Man mache ihm ein Angebot, das seine gequälte Seele nicht abzulehnen vermag. Wir alle haben unsere Schwächen, ganz gleich ob Magier, Mensch oder riesenhafter Drache. Und die Schwäche von Prinz Rajin kennen wir nun. Das ist von unschätzbarem Vorteil für unsere langfristigen Pläne.“
So ward ein Bote ausgesandt, und der Prinzen sollte zur Spielfigur in den Händen des Großmeisters werden, der mit der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden war.
Bericht von Bragados, dem vereidigten Schreiber des magischen Hochmeister-Kollegiums von Magussa
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Rajin aber war oft von Schwermut und Trauer erfüllt. Dann stand er an den Zinnen der Festung Sukara, die an der Küste jenseits der Mündung des Südflusses liegt. Er blickte in die Ferne und fragte sich, welchen Sinn es hatte, eine Bestimmung erfüllen zu wollen, die nach menschlichem Ermessen unerfüllbar war, sich gegen Feinde zu erheben, die unbezwingbar waren und dabei nach und nach alles zu verlieren, was ihm etwas bedeutete.
Wie leicht wäre es gewesen, sich der Agonie der Verzweiflung hinzugeben! Wie verführerisch der Gedanke, dass im Angesicht des anschwellenden Schneemondes jede Anstrengung und jedes Aufbäumen gegen das Schicksal letztendlich Torheit war!
Trauer und Wut beherrschten Prinz Rajins Seele. Und düstere Fantasien aus dem Reich der Finsternis, die er bislang nur seinem Widersacher Katagi zugeschrieben hatte, ergriffen von ihm Besitz. „Je länger wir gegeneinander kämpfen, desto ähnlicher werden wir uns“, offenbarte er sich einmal dem Weisen Liisho.
„Genau deshalb wird man dich einst einen Verdammten nennen, wenn du es nicht schaffst, der Erretter aller zu werden“, lautete die wenig tröstliche Erwiderung des Weisen.
Das Epos des verfluchten Prinzen Rajin, Codex III, Kap. 23
Schatten tanzten im flackernden Schein der Fackeln an den klammen Steinwänden. Feuchte Kälte herrschte in den labyrinthischen Gewölben tief unter der Festung Sukara, und der modrige Geruch des Alters hing in der Luft.
Das leicht gebogene drachenische Schwert bewegte sich so schnell, das die Klinge für ein menschliches Auge kaum sichtbar war. Ein vibrierendes Flimmern, ein zuckender Blitz aus glänzendem Metall und der zischende Laut eines tödlichen Hauchs – das war alles.
Prinz Rajin stieß einen Schrei von sonorer Kraft aus. Er hatte den Griff des nach drachenischer Art geschmiedeten Matana-Schwerts mit beiden Händen gefasst und stand breitbeinig da, den linken Fuß etwas nach vorn und den rechten ein Stück zurückgesetzt.
Der Stahl klirrte auf einen hüfthohen, annähernd quaderförmigen Block aus Drachenbasalt, jenem besonderen Gestein, das am Ende des Ersten Äons aus der von den Drachen aufgerissenen Erde getreten war. Funken sprühten. Die Klinge des Matana-Schwerts prallte ab, und ein furchtbarer Schmerz flutete durch die Hände und die Arme des Prinzen empor. Sein Schrei wandelte sich innerhalb eines Augenaufschlags von einem Ausdruck innerer Kraft und geistiger Präsenz in einen Laut, der ebenso gut purer Verzweiflung hätte entspringen können.
Rajin hörte eine Stimme wie aus weiter Ferne. Es dauerte einige Augenblicke, bis die Bedeutung der Worte, die gesprochen wurden, in sein Bewusstsein drang. „Du hast nicht alles, was an innerer Kraft in dir ist, eingesetzt, Rajin, sonst hättest du es geschafft.“
Es war die Stimme des Weisen Liisho, die da zu ihm sprach. Der weißbärtige, kahlköpfige und auf seltsame Weise alterslos wirkende Mentor des jungen Prinzen hob sich als dunkler Schatten gegen das Licht der Flammen ab.
Er trug ein weites Gewand, das an den Hüften von einem breiten Gürtel zusammengehalten wurde. Hinter diesem Gürtel steckte ein etwa ellenlanger Drachenstab und ein drachenisches Schwert in schwarzer Lederscheide, die mit goldfarben schimmernden Sinnsprüchen in drachenischen Schriftzeichen verziert war.
Liisho trat einen Schritt auf den Block aus Drachenbasalt zu. Er strich mit der Hand darüber hinweg und schloss dabei kurz die Augen.
„Dieser Basaltbrocken muss aus einem besonders tiefen Feuerschlund stammen, der geradewegs in die verborgenste Tiefe der Welt geführt hat“, erklärte er. „Das Material kam aus dem Innersten der Erde, regnete glühend auf die alten Drachen des Ersten Äons herab und begrub so manchen unter sich. Viele wurden in die erkaltende Lava eingeschlossen, die zurück in die Erdspalten fiel und erneut zum heißen Höllenkern hinabsank. Dort wurde auch dieser Stein geformt und gebrannt. Das Gestein eines ganzen Gebirges wurde zusammen mit einem ausgewachsenen Erstäon-Drachen in diesen Quader gepresst, dem ein Zauber, wie er nur diesen uralten Geschöpfen innewohnte, die Form gab. Wenn du genau darauf achtest, kannst du die innere Kraft dieses Erstäon-Drachen noch ausmachen, Rajin. Und wenn du deine eigenen inneren Sinne darauf konzentrierst, kannst du sogar einen Rest der Erinnerungen dieses Drachen spüren, der eingeschlossen und zu Stein zusammengepresst wurde. Du riechst den Geruch der verbrannten Erde, du fühlst die mörderische Hitze der Höllenschlunde in den aufgerissenen Erdspalten, aus denen eine unvorstellbar heiße Glut quillt, wie zähflüssiges Drachenblut aus einer Wunde. Dieser Kraft musst du deine eigene entgegensetzen.“
Eine Zornesfalte bildete sich auf Rajins Stirn. Er hatte mannigfache Gründe für seinen Zorn. Es war der Zorn über sein offensichtliches Versagen, der Zorn darüber, dass er trotz aller Anstrengung bisher den Anforderungen nicht gerecht geworden war, die seine Bestimmung an ihn stellte, die zu erfüllen er sich nach anfänglichem Zögern entschlossen hatte.
Und nicht zuletzt war es der Zorn über ein gnadenloses Schicksal, das die Seele seiner Geliebten in Gefilde verbannt hatte, zu denen er keinen Zugang hatte.
„Es liegt am Schwert“, sagte er. „Mit einem seemannischen Anderthalbhänder kann man Seemammuts erlegen. Ich habe oft genug mit einer solchen Klinge gekämpft. Mit ihr hätte ich den Block aus Drachenbasalt gespalten“, behauptete er unwillig.
Er warf das schlanke, leicht gebogene drachenische Matana-Schwert voller Wut von sich. Laut klirrte es auf die Mosaike, die den Boden des Gewölbes bedeckten. Prinz Rajin fühlte sich leer und ausgelaugt.
Ungezählte Versuche hatte er schon unternommen und ebenso ungezählte Stunden in den Kellern unter der Festung Sukara damit verbracht, sich darauf zu konzentrieren, die in dem Gesteinsblock schlummernden Kräfte zu bezwingen. Jede noch so verborgene Reserve an innerer Kraft hatte er dafür zu sammeln versucht. Jetzt schien nichts mehr da zu sein, was man hätte sammeln können. Nicht einmal zu einem klaren Gedanken war er noch in der Lage. Schmerzende Arme und ein leerer Geist – das war letztlich das Ergebnis seiner Anstrengungen.
„Es liegt nicht am Schwert“, widersprach der Weise Liisho. „Das Schwert ist nur ein Werkzeug des Geistes und der inneren Kraft – genau wie ein Drachenstab, der ja auch die Kraft, die den Drachen unter den Willen seines Reiters zwingt, nur bündelt, aber keineswegs erzeugt. Wenn der Geist stark genug ist, kann man sogar ganz auf das Werkzeug verzichten. Doch das dürfte weder bei dir noch bei mir der Fall sein.“ Liisho zog den Drachenstab aus seinem Gürtel. Er hielt die ellenlange, metallische Röhre, mit der ein jeder Drachenreiter sein Reittier zu lenken pflegte, auf jene Weise, die der Grundhaltung eines drachenischen Schwertkämpfers entsprach. „Du könntest diesen Drachenstab nehmen und damit den Block genauso gut spalten wie mit deinem Matana-Schwert“, behauptete er. „Aber dazu müsstest du alle deine inneren Kraftreserven sammeln – und das hast du bisher nicht getan!“
„Ich habe versucht, was ich konnte“, behauptete Rajin.
„Dann genügt das offenbar nicht. Wenn du die in diesen Drachenbasalt gepressten Seelenreste eines Erstäon-Drachen nicht unter deinen Willen zu zwingen vermagst, wie willst du dann dem Urdrachen Yyuum gegenübertreten und von ihm die Herausgabe des Drachenringes erzwingen?“
Die Begegnung mit dem Urdrachen – das war die nächste und entscheidende Prüfung, die Rajin vor sich hatte. Er musste Yyuum den dritten Drachenring entreißen, nur dann konnte er der Macht des Usurpators etwas entgegensetzen, der nach wie vor die beiden anderen Ringe an seiner Hand trug. Diese Ringe, die der erste Drachenkaiser Barajan einst geschmiedet hatte, waren nicht nur der ihnen innewohnenden besonderen Kräfte wegen von Bedeutung, sie waren darüber hinaus auch eine wichtige Insignie der kaiserlichen Macht. Wer die Drachenringe besaß, dem folgten die Drachenreiter-Samurai, denn nur der Träger dieser Ringe hatte die nötige innere Kraft, die Drachen auf Dauer gehorsam zu halten, so wie es die Nachfahren Barajans seit fünf mal fünfundzwanzig Generationen taten. Die Rechnung, die der Weise Liisho aufgestellt hatte, war ganz einfach: Wenn Rajin den dritten Ring in seinen Besitz bringen konnte, war er nicht nur in der Lage, damit die immense Gefahr abzuwenden, die vom Urdrachen Yyuum ausging, sondern durfte auch darauf hoffen, dass sich zumindest ein Teil der Samurai auf die Seite der Rebellion stellte.
„Die nötige Kraft ist in dir, Rajin“, fuhr Liisho fort. „Ich weiß es. Ich spüre es, wann immer ich meinen Geist dir gegenüber öffne. Aber da ist eine Wunde in deiner Seele, die dich schwächt und dir fortwährend Kraft raubt ...“ Liisho machte eine kurze Pause. Der Blick seiner dunklen Augen musterte den Prinzen genau. Keine noch so kleine Regung entging jenem Mann, dessen Lebensspanne längst jedes für Menschen natürliche Maß überschritten hatte. „Du weißt so gut wie ich, von welcher Seelenwunde ich spreche“, setzte Liisho noch hinzu.
Rajin hob den Blick. Mit einer flüchtig wirkenden Geste, die wie ein Spiegelbild seiner inneren Unsicherheit und Verzweiflung wirkte, strich er sich das blauschwarze Haar aus dem Gesicht. Der Blick seiner mandelförmigen Augen begegnete dem seines Mentors.
Der Prinz trug enganliegende Hosen und ein Wams, um das ein breiter Gürtel geschnallt war. Es war die Kleidung eines einfachen Drachenreiters, so wie sie zu Hunderten in den Diensten des Fürsten von Sukara standen. Nichts deutete auf die kaiserliche Herkunft dieses jungen Mannes hin, und das war durchaus Absicht. Selbst im Palast des Fürsten wussten nur wenige Eingeweihte, dass Prinz Rajin hier Asyl gefunden hatte. Wäre es anders gewesen, hätte der Usurpator Katagi sofort seine Armada von Kriegsdrachen ausgeschickt, um den rechtmäßigen Thronfolger zu töten, noch ehe er den Anspruch auf die Macht offiziell hätte erheben können.
Auch wenn die Kunde, dass Rajin nun die Rebellion anführte, sich in ganz Drachenia wie ein Lauffeuer verbreitete, so musste der Prinz sich doch bis auf weiteres vor den Dienern Katagis verbergen. Und das galt selbst für das Südflussland, die abgelegenste Provinz des drachenischen Reiches, wo der im Namen des Kaiserthrones regierende Fürst sich längst als ein getreuer Anhänger des Prinzen Rajin und des Hauses Barajan erwiesen hatte.
„Du musst den Seelenschmerz verdrängen“, sagte Liisho. Sein Tonfall war gedämpft. Er sprach leiser als zuvor, aber dafür umso eindringlicher. Seit längerer Zeit schon hatte Liisho mit großer Sorge bemerkt, dass Rajin die Trauer um seine Geliebte Nya offenbar noch immer gefangen nahm. „Dein Geist ist nicht frei, Rajin“, sprach der Weise. „Und solange das der Fall ist, wirst du keine Fortschritte bei der Beherrschung deiner inneren Kraft machen.“
„Dessen bin ich mir schmerzlich bewusst“, gestand Rajin.
„Dann verbanne jeden Gedanken an sie aus deinem Geist!“, forderte der Weise mit Nachdruck – und keineswegs zum ersten Mal.
Rajin schluckte. Er antwortete mit belegter Stimme. „Ich kann sie nicht vergessen“, gestand er. Es hatte keinen Sinn, die mehr als offensichtlichen Tatsachen zu leugnen. Das wäre auch vollkommen sinnlos gewesen. Liisho kannte Rajin einfach viel zu gut – besser als jeder andere Mensch. Schon seit Rajins Kindheit hatte ein geistiges Band zwischen dem Prinzen und dem Weisen bestanden, und zumindest ein Rest davon existierte noch immer. „Meine geliebte Nya ... Mein ungeborener Sohn ...“, murmelte er. „Wie könnte ich den Gedanken an sie aus meinem Inneren verbannen? Wie sie vergessen, wo Nya doch das Wichtigste in meinem Leben war?“
„Soll die Tochter eines winterländischen Barbaren daran schuld sein, dass die Rebellion scheitert und der Drachenthron weiterhin von einem Usurpator besetzt bleibt, der innere Kraft durch Grausamkeit zu ersetzen versucht?“, fragte der Weise mit harter Stimme und ergriff Rajin bei den Schultern, als wollte er ihn schütteln und so zur Besinnung bringen.
„Mir hat es von Anfang nicht gefallen, wie du über Nya geredet hast“, entgegnete dieser, und wieder flammte Zorn in ihm auf.
„Sie war gewiss ein gutes Mädchen“, versuchte Liisho seine Äußerung etwas abzuschwächen und ließ die Hände sinken. Er spürte, dass jedes Wort, das den Prinzen von dem Gedanken an Nya fortreißen sollte, ihn in Wahrheit nur noch stärker an sie band.
„Ein gutes Mädchen für den winterländischen Barbaren, als der ich aufgewachsen bin, aber nicht für den Prinzen Rajin Ko Barajan“, entgegnete Rajin. „Das ist es doch, was du sagen willst, richtig?“
Liisho fasste den Prinzen erneut bei der Schulter. Niemand sonst, der seine wahre Identität kannte, hätte es gewagt, ihm auf diese Weise zu berühren. „Sie ist tot, Rajin. Ich weiß, dass du täglich mehrmals auf das magische Pergament starrst und hoffst, irgendein Zeichen dafür zu erhalten, dass ihre Seele in einer anderen Ebene des Polyversums oder einem magischen Schattenreich vielleicht noch existiert. Aber gib es zu: Da ist nichts, was deiner Hoffnung Substanz geben könnte! Ubranos, der Magier in Katagis Diensten, wurde erschlagen, du selbst warst dabei. Damit hat er für seine Niedertracht bezahlt – und auch dafür, dass er dir mit Trugbildern falsche Hoffnungen machte, die jeder Grundlage entbehrten. Sei zufrieden damit, dass derjenige, der deine geliebte Nya zu einer Marionette in Katagis Spiel machte, dafür gerichtet wurde, und mach dich nicht noch über Ubranos' Tod hinaus zum Opfer seiner Lügen.“
„Ich kann nicht anders“, erklärte Rajin. „Und nichts von dem, was du sagst, kann mir die Hoffnung nehmen, Nya einst doch noch retten zu können – auch wenn du mich einen Narren schimpfst!“
„Vielleicht bin ich der Narr, dass ich all meine Hoffnungen in dich setzte“, erwiderte der Weise Liisho düster. „Und was deinen ungeborenen Sohn betrifft – er hatte noch nicht einmal einen Namen. Er war weniger als ein Traumgespinst, Rajin.“
Rajin ging an Liisho vorbei, auf das am Boden liegende Schwert zu.
„Er ist eine Chimäre ohne Substanz, ein Schatten, der sich in der Dunkelheit verliert“, fuhr Liisho mit beschwörender Stimme fort, während sich Rajin nach dem Schwert bückte und es aufhob. „Nichts Greifbares - und schon gar nichts, was deine Entscheidungen beeinflussen und dir deine Kraft rauben sollte!“
Mit dem Schwert in der Hand näherte sich der Prinz dem Weisen, der rief: „Es hat keinen Sinn, Rajin! Nicht heute und nicht jetzt!“
Er wich zur Seite, um dem Schwertstreich Rajins auszuweichen. Der Schrei, den der junge Mann dabei ausstieß, war um einiges kraftvoller, als es Liisho von den bisherigen Versuchen seines Zöglings gewohnt war. Er hatte eine düstere, durchdringende Intensität, die den Weisen sogar erschaudern ließ.
Doch der Schwertstreich hatte nicht dem Weisen Liisho gegolten. Der Stahl prallte funkensprühend auf den Drachenbasalt und barst. Die Spitze brach ab, sprang wie das Geschoss einer Schleuder zurück und schnellte um Haaresbreite an Rajins Kopf vorbei. Der Prinz glaubte für einen Moment, ein wütendes Drachenknurren zu hören, das aus dem Inneren des Basaltblocks drang. Die Reste einer Drachenseele bäumten sich offenbar gegen Rajins Versuch auf. Ein Versuch, der nun mehrfach gescheitert war.
„Es hätte dich beinahe umgebracht!“, stieß Liisho voller Entsetzen hervor. „Was auch immer es sein mag, das noch in diesem Stein an Seelenrest und verblassendem Drachengeist schlummert – du hast es durch deine Torheit nur noch stärker gemacht, Rajin!“
Und der Prinz erkannte in seinem tiefsten Inneren die Wahrheit dessen, was Liisho zu ihm gesagt hatte.
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Manche behaupteten, dass die auf mehreren Ebenen unterhalb der Burg Sukara gelegenen labyrinthischen Gewölbe nicht minder weitläufig waren als die Hafenstadt selbst, die die Festung des Fürsten vom Südfluss her wie ein breiter Gürtel umlief. Über den ursprünglichen Zweck dieser unterirdischen Anlagen kursierten die absonderlichsten Legenden, und so mancher Geschichtenerzähler in den engen Gassen am Hafen gab vor, aus sicherer Quelle von grausigen Wesenheiten zu wissen, die von den Vorfahren des Fürsten in der Tiefe gezüchtet worden wären. Wesen, die angeblich so verderbt waren, dass ein einziger Strahl reinen Tageslichts sie auf der Stelle getötet hätte und sie daher nur des Nachts aus den Labyrinthen emporstiegen, um in der Gestalt von Schatten durch die Straßen zu schleichen und den Bewohnern Sukaras böse Träume zu senden.
In einem Teil dieser Labyrinthe, deren ganze Ausmaße auch der Fürst nicht kannte, befand sich eine Totengruft, wo die Mitglieder der fürstlichen Familie nach dem Ritus der Kirche des Unsichtbaren Gottes beigesetzt worden waren.
Dort war nun auch Nya zu finden. Sie lag in ihrem gläsernen, zweifellos magischen Sarg, so wie Rajin sie in der Kathedrale des Heiligen Sheloo gefunden und dann auf dem Rücken eines Drachen hierher gebracht hatte. Ubranos aus Capana, den Magier in Katagis Diensten, hatte Nya zuvor in seine Gewalt gebracht und sie in diesen Sarg gesperrt, um sie und ihr ungeborenes Kind als Faustpfand gegen den Prinzen zu missbrauchen. Ihn konnte Rajin nicht mehr fragen, welche Art Magie seine Geliebte in dem Sarg bannte, denn Ubranos hatte beim Kampf um die Kathedrale des Heiligen Sheloo den Tod gefunden.
Rajin hielt ein zusammengerolltes Pergament in der Hand, das er so gut wie immer bei sich trug. Ubranos hatte es ihm einst durch eine dienstbare Zweikopfkrähe überbringen lassen. Ein bewegtes Bild Nyas hatte ihn glauben lassen, tatsächlich mit ihr in Verbindung treten zu können. Mochten es auch Trugbilder sein, die man ihm einzig und allein zu dem Zweck gesandt hatte, ihn zu schwächen und zu verwirren, so hätte er sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher gewünscht, als dass auf der Oberfläche des Pergamentes wieder Nyas liebliches Gesicht erschienen wäre als Abbild ihrer liebenswerten Seele.
Doch wann immer Rajin auch das magische Pergament entrollte, es war dort nichts zu erkennen als ein verschwommenes, sich ständig veränderndes Gemisch aus verschiedenen Farben. Sie verliefen auf befremdliche Weise ineinander und bewegten sich dauernd.
Rajin hatte das Pergament unter dem Wams hervorzogen, wo er es ständig am Herzen trug. Er trat an den glänzenden Sarg heran und berührte ihn mit einer Hand in der Höhe von Nyas Gesicht.
In Augenblicken wie diesen spürte er wieder mit aller Heftigkeit den Schmerz des Verlusts, den er erlitten hatte, und die Trauer um einen geliebten Menschen.
Nein, um zwei geliebte Menschen, korrigierte sich Rajin in Gedanken. Mochte das Ungeborene auch offiziell noch keinen Namen erhalten haben, so hatte Rajin ihm im Geiste längst einen gegeben: Der Junge sollte Kojan heißen, wie sein Großvater. Als Kojan II. hätte er dann eines Tages den Drachenthron bestiegen ...
„Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst, Nya“, flüsterte der junge Prinz. „Aber ich weiß, dass ich nicht aufhören werde, daran zu glauben, dass deine Seele irgendwo existiert und zurück in diesen Körper geholt werden kann ...“
Rajin entrollte das magische Pergament. Ein wirres Aquarell aus ineinander laufenden Farben war wieder darauf zu sehen. Die Bewegungen, mit denen sich diese Farben durchmischten, schien Rajin heftiger als sonst. Das bildliche Chaos wirkte wie ein Spiegelbild jenes Chaos, das im Moment in seinem Inneren herrschte. Ein magisches Zeichen der Verwirrung und der vergeblichen Hoffnung.
Immer wieder hatte Rajin versucht, in den wechselnden Farbschlieren die Schatten irgendwelcher Gestalten zu erkennen. Er suchte den ungehinderten, klaren Blick in jene andere Wirklichkeit, in der sich die Seelen Nyas und des kleinen Kojan jetzt befinden mussten. Aber in den Momenten größter Verzweiflung und tiefster Ehrlichkeit musste er sich eingestehen, dass es außer seiner inneren Überzeugung kein Anzeichen dafür gab, dass die Geliebte und sein Sohn noch irgendwo anders existierten als entweder im nassen Reich des Meeresgottes Njordir, in das die meisten Toten nach dem Glauben der Seemannen eingingen, oder aber in den paradiesischen Jenseitsgefilden, die den Anhängern des Unsichtbaren Gottes als Aufenthaltsort nach ihrem Dahinscheiden verheißen wurden.
Wenn ich wenigstens wüsste, dass sie ihren Frieden gefunden hatten, ging es dem Prinzen durch den Kopf. Doch er befürchtete, dass Nya in Wirklichkeit nach wie vor in jenem Zwischenreich gefangen war, in das der Magier Ubranos ihre Seele einst verbannt hatte, um damit eine Geisel gegen den rechtmäßigen Thronfolger des Drachenlands zu haben.
Rajin konzentrierte seine inneren Sinne, so sehr er nur vermochte und mit jenen verfeinerten Methoden, die der Weise Liisho ihm in den letzten Monaten beizubringen versucht hatte. Aber da war nichts.
Nichts, was seine Hoffnung hätte nähren können.
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Einige Tage später gab Payu Ko Sukara, der Fürst vom Südfluss, im Burgpalast seiner Festung ein großes Bankett, zu dem nicht nur alle wichtigen Würdenträger der Provinz Südflussland eingeladen waren, sondern auch ein Gesandter aus der Kaiserstadt Drakor. Dieser Gesandte hieß Sun Ko Sun und entstammte einer Familie, die Rajins leiblichem Vater einst lange Zeit treu ergeben gewesen war; dann aber hatte sich ihr derzeitiges Oberhaupt der Verschwörung des Usurpators angeschlossen.
Das Haus Sun war dafür von Katagi reich belohnt worden: Es hatte zahlreiche hohe Ämter erhalten, außerdem Ländereien nördlich der an den Ufern des Alten Flusses gelegenen Stadt Menda. Der Alte Fluss bildete die Grenze zwischen dem drachenischen Altland mit der Kaiserstadt Drakor und dem Neuland, der größten Provinz des Reichs, die sich bis zur Küste des mittleren Meeres erstreckte. Da die Familie Sun durch Katagis Gnade an den Brückenzöllen des Alten Flusses beteiligt war und außerdem noch einen Anteil der auf alle Drachentransporte erhobenen Steuer erhielt, waren ihre Mitglieder zu schier unermesslichem Reichtum gelangt.
Sun Ko Sun war ein feister Mann von Anfang zwanzig. Er hatte weder eine Ausbildung zum Drachenreiter-Samurai absolviert, wie es eigentlich seinem Stand angemessen gewesen wäre, noch hatte er sonst irgendetwas gelernt. Vor achtzehn Jahren, als Katagi das Kaiserpaar ermordet hatte, war Sun noch ein Kind gewesen. Jetzt erntete er die Früchte dessen, was sein Vater und dessen Brüder durch ihre Beteiligung am Umsturz gesät hatten, und zwar in Form von Reichtum und Privilegien.
Im Grunde wurde das Bankett zu Suns Ehren gegeben, denn auch wenn dem Fürsten vom Südfluss in die Einzelheiten seiner Regierungsgeschäfte normalerweise niemand hereinredete, so war der Gesandte Sun letztlich im Namen des Herrschers von Drakor weisungsbefugt. Daran änderte auch seine Unerfahrenheit und sein mangelndes Wissen in der Regierungskunst nichts, denn Suns Familie galt nun einmal das Wohlwollen Katagis, der ihr verpflichtet war.
Auch die Kirche des Unsichtbaren Gottes hatte einen Legaten aus der Heiligen Stadt Ezkor entsandt. Dass dies weniger deshalb geschehen war, um den Fürst vom Südfluss zu ehren als vielmehr den Gesandten Sun, war Payu durchaus bewusst.
Der Weise Liisho und Prinz Rajin befanden sich ebenfalls unter den Gästen. Liisho trug die Kutte eines einfachen Priesters des Unsichtbaren Gottes und Rajin die Festtagsgewandung eines Land-Samurai aus dem Grenzland, was an verschiedenen an den Schultern aufgestickten Zeichen zu erkennen war. Da die Samurai-Familien des Grenzlandes eher ungesellig waren, kannten sie sich untereinander kaum, und so fiel es nicht weiter auf, wenn eines der unbedeutendsten Häuser einen bisher unbekannten Jüngling zum Festbankett nach Burg Sukara schickte.
Da sie selbst wenig Sinn für derartige Gesellschaften hatten und im Grunde froh waren, wenn sowohl der Fürst als auch der Kaiser sie nicht mit irgendwelchen Dekreten belästigten, kam es häufig vor, dass die grenzländischen Samurai ihren Nachwuchs kurz nach Abschluss der Ausbildung als offizielle Vertreter ihrer Familien nach Sukara entsandten. Dies beinhaltete auch die Hoffnung, dass sie auf der fürstlichen Burg eine standesgemäße Partnerin zur Heirat fanden, was in der Ödnis ihrer abgelegenen Heimat kaum möglich war.
Rajin lauschte den Gesprächen ringsum und hielt sich selbst nach Möglichkeit zurück. Besonders, was die Begleiter des Gesandten Sun untereinander redeten, interessierte ihn.
Katagis Überfall auf Winterland hatte zwischen Drachenia und dem Seereich einen Krieg ausgelöst. Noch gab es offenbar nur wenige direkte Kampfhandlungen, dafür machte es sich bereits bemerkbar, dass die Seemannen kein Drachenfutter mehr lieferten, und angeblich wurde Stockseemammut in den Hafenstädten des Neulandes bereits rationiert.
„Die Drachen in den Pferchen brüllen schon aus Protest gegen die kleinen Rationen“, berichtete einer der Männer, die den Gesandten begleiteten, ein einfacher Drachenreiter, der in den Diensten des Hauses Sun stand und sich übertrieben weltläufig gab, da er den Gesandten bereits in alle Teile des Reiches begleitet hatte. Er habe gehört, dass die Seemannen die Flotte der Tausend Schiffe in der Bucht von Seeborg sammelten, aber Kaiser Katagi und sein Lord Drachenmeister seien zuversichtlich, mit den Barbaren schnell fertig zu werden. „Die Mägen der Drachen werden nicht lange knurren.“
„Uns hier im Süden macht vor allem Sorge, wie sich die Tajimäer in diesem Konflikt verhalten“, äußerte daraufhin ein Samurai aus dem Oberen Südflussland. „Schließlich leben wir hier in direkter Nachbarschaft des Luftreichs, und die Kampfkraft der schwebenden Schiffe ist jener unserer Kriegsdrachenarmada gewiss ebenbürtig.“
„Die Tajimäer sehen natürlich alles, was wir tun, mit großem Misstrauen. Aber um sie in Schach zu halten, bemüht sich der Kaiser um ein Bündnis mit dem Fürsten von Feuerheim. Zumindest gehen dessen Gesandten derzeit im Palast von Drakor ein und aus ...“
Fürst Payu wollte gerade den Kelch zum Trinkspruch auf den Gesandten Sun erheben, der sich bereits entgegen der Sitte vor der offiziellen Eröffnung des Mahls an den Speisen des Buffet vergriffen und in vollkommen unedler Weise bekleckert hatte, als ein heulender, durchdringender Laut erscholl, ein Laut, der alle anderen Geräusche überdeckte und den Anwesenden in den Ohren schmerzte.
Ein dunkler, wie eine Spindel immerfort um die eigene Längsachse rotierender Schatten drang durch die steinerne, zwei Schritt dicke Wand des Palas von Burg Sukara. Die Gäste wichen erschrocken zur Seite. Inmitten des Festsaals bildete sich eine breite Gasse.
Der Schatten verlangsamte seine Drehung und wirkte nun wie eine Säule aus wirbelndem Rauch, in der als dunkler Schemen eine Gestalt sichtbar wurde. Diese Säule hatte auf ihrem Weg eine Spur aus flimmernder Luft gezogen, die noch immer auf eine der Natur widersprechende Weise zitterte. Nur sehr langsam beruhigte sie sich, und das Flimmern verschwand.
Die Gestalt gewann Substanz. Aus dem wirbelnden, rauchartigen Etwas bildete sich ein hoch gewachsener, bleichgesichtiger Mann in einem knöchellangen schwarzen Gewand. Sein Gesicht war hager und gemahnte an einen Totenschädel. Er hatte sehr dichte Augenbrauen und einen schwarzen Knebelbart, während der Schädel selbst vollkommen haarlos war. Eine Falte, die wie eine nach unten gerichtete Pfeilspitze wirkte, bildete eine markante Linie auf seiner ansonsten glatten Stirn.
Eine Magierfalte.
Der Kahlköpfige ließ den Blick schweifen, seine Augen verfärbten sich dabei und leuchteten für einige Momente grünlich.
Rajin spürte die ungeheure, drückende geistige Präsenz des Magiers. Er sucht etwas, erkannte der Prinz. Oder jemanden ... mich!
Rajin schaute Liisho an.
Ganz ruhig!
Zum ersten Mal, seitdem er Liisho in der kalten Senke auf Winterland getroffen und mit ihm zusammen auf dem Rücken des Drachen Ayyaam das kosmische Tor durchflogen hatte, vernahm er wieder die geistige Stimme des Weisen. Eine Stimme, die ihn während seiner gesamten Kindheit und Jugend begleitet hatte, ohne dass er irgendjemandem etwas darüber hätte verraten können, weil ein Bann dies verhindert hatte. Eine Stimme, die er zeitweilig schon als Teil seiner eigenen Seele empfunden hatte.
Die Gefahr ist groß. Du verminderst sie, indem du deine geistige Präsenz unterdrückst. Ein altes Gesetz, aber von universeller Gültigkeit: Nur das Kleine überlebt die Katastrophe. So war es schon zu Zeiten der Drachen des Ersten Äons ...
Rajin hatte in den Monaten, die er nun schon geheimer Gast des Fürsten Payu Ko Sukara war, alles andere getan als zu üben, seine geistige Präsenz zu unterdrücken. Im Gegenteil. Liisho hatte ihm beizubringen versucht, wie er alles an inneren Kräften, was in ihm steckte, mobilisieren konnte. Und auch wenn dies den Prinz noch nicht gelang, so hatte Rajin doch enorme Fortschritte gemacht, sodass er die Kräfte in seinem Inneren weit besser beherrschte, als dies bis dahin der Fall gewesen war. Also versuchte Rajin nun, dem Rat des Weisen zu folgen und seine geistige Präsenz zurückzudrängen.
Er darf dich nicht erkennen. Auch wenn der Großmeister von Magus offiziell neutral bleibt, so glaubt doch niemand, der auch nur ein wenig von den bisherigen Geschicken des Reiches Magus weiß, dass zwischen ihm und dem Drachenkaiser keine Verbindung besteht ...
Es herrschte eine fast vollkommene Stille. Die Anwesenden hielten den Atem an.
Es beunruhigte Rajin ein wenig, dass das geistige Band zwischen Liisho und ihm noch immer bestand. Wie eng war es wirklich geknüpft? Der uralte und doch kaum gealterte Weise neigte dazu, seine Ziele mit äußerster Kompromisslosigkeit zu verfolgen, und Rajin überlegte, ob er selbst letztendlich gar nicht mehr als eine Marionette für Liisho war.
Der kaiserliche Gesandte Sun Ko Sun ergriff das Wort. „Wer seid Ihr?“, rief er mit brüchiger Stimme, die seine Unsicherheit verriet. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Sein Blick glitt seitwärts und galt den Männern seiner Leibwache – hochgerüsteten Kriegern, die während des gesamten Mahls keinen einzigen Bissen verzehrt, sondern nur auf die Sicherheit des Gesandten geachtet hatten. Sie trugen Harnische und über den Rücken gegürtet drachenische Schwerter. Außerdem hatte jeder von ihnen noch mehrere Dolche und Shuriken griffbereit am Gürtel. Zwei dieser Wächter hatten Sun Ko Sun die ganze Zeit über flankiert, drei weitere waren ständig unter seine Umgebung gemischt gewesen, und ein zusätzlicher Wächter hatte sich am Ausgang postiert.
Offenbar schätzte Sun die Beliebtheit eines kaiserlichen Gesandten nicht sehr hoch ein. Und da einerseits der Usurpator selbst streng abgeschirmt und schier unerreichbar im Kaiserpalast residierte und andererseits die Familie Sun als einer der größten Profiteure des Umsturzes vor achtzehn Jahren galt, hatte er wohl auch allen Grund, sich vor Attentätern zu fürchten. Es gab schließlich genug Unzufriedene im Land und solche, die auf Rache sannen, zum Beispiel Angehörige jener, die entrechtet, eingekerkert und grausam getötet worden waren.
„Ich habe keine Veranlassung, mich dir gegenüber zu rechtfertigen oder zu offenbaren“, erwiderte der Magier. Seine Stimme erinnerte Rajin an klirrendes Eis und an das tiefe Heulen des Nordwestwindes, der über Winterland strich, und ließ ihn unwillkürlich schaudern. Er spürte die innere Kraft des Magiers. Eine Kraft, die seine eigene bei weitem überstieg.
Dein Vorfahre Barajan stammt von einem Magier ab, vernahm er die Gedankenbotschaft des Weisen Liisho, und auch wenn das magische Blut in dir sehr verdünnt sein mag, die Kraft, über die dieser Kahlköpfige verfügt, unterscheidet sich in ihrer Natur nicht von jener Kraft, die in dir selbst ist, Rajin. Du hast also keinen Grund, dich zu fürchten.
Rajin versuchte zu beherzigen, was der Weise ihm gesagt hatte, und seine innere Kraft soweit zurückzunehmen wie möglich.
Der Magier machte zwei Schritte nach vorne und blickte sich dann suchend um. Wieder leuchteten seine Augen grün, und dieses Leuchten blieb diesmal bestehen und verging nicht wieder nach wenigen Momenten. Rajin spürte die Kraft dieses Magiers größer werden. Seine Präsenz schien beinahe den gesamten Raum zu erfüllen.
Nichts gibt es, was vor Abrynos, dem Schattenpfadgänger aus Lasapur, verborgen werden kann - nichts!
Dieser Gedanke drang wie ein Pfeil in Rajins Seele und verursachte allein durch seine Intensität einen ganz besonderen Schmerz. Abrynos der Schattenpfadgänger beabsichtigte offenbar, eine Reaktion hervorzurufen. Die Reaktion von jemandem, der eine ganz bestimmte Begabung hatte.
Sun sprach ihn erneut an. „Keinem Magier ist es erlaubt, ohne kaiserliche Genehmigung die Grenzen Drachenia zu überqueren“, erklärte er. „Und schon gar nicht ist es einem Magier gestattet, auf drachenischem Boden die Kunst der Schattenpfadgängerei anzuwenden, was Ihr soeben zweifellos getan habt! Wenn Ihr also kein kaiserliches Dokument vorweisen könnt, dass Euch dies ausnahmsweise gestattet, so seid Ihr des Todes!“
Selbst im Volk der Magier gab es nur wenige, die auf den Schattenpfaden zu wandeln in der Lage waren. Diese Methode der Fortbewegung war extrem kraftraubend. Großmeister Tembajos hatte sie während des Dritten Äons entwickelt, nachdem Barajans Bann den Magiern die Herrschaft über die Drachen genommen hatte, und alle Versuche, sie zurückzugewinnen, gescheitert waren. Tembajos selbst war kurz nach Abschluss seiner Studien durch völlige magische Entkräftung verstorben, und so war es erst seinen Söhnen Embajos und Rhymbajos gelungen, die Kunst der Schattenpfadgängerei derart zu perfektionieren, dass für denjenigen, der auf geeignete Weise in sie eingeweiht worden war und zudem über genügend magische Kräfte verfügte, keine unmittelbare Lebensgefahr mehr bestand. Ganze Armeen von kämpfenden Schattenpfadgängern hatten dafür gesorgt, dass sich das Reich Magus zeitweilig sehr stark ausgedehnt hatte und über Zeitalter hinweg eine gewisse Vorherrschaft ausübte. Unvermutet waren die Schattenpfadgänger hinter den feindlichen Linien aufgetaucht oder hatten sich sogar über das Wasser schnellen lassen und sich an Bord von Schiffen begeben, wo sie dann schrecklich wüteten; mithilfe ihrer magischen Fähigkeiten beherrschten sie innerhalb kürzester Zeit die Seelen der Gegner und ließen diejenigen, die geistig leicht zu manipulieren waren, sich gleich selbst ins Meer stürzen, wo sie ertranken.
Das Reich Magus erschien den anderen Reichen schließlich unangreifbar. Mit der Zeit stellten daher auch die Magier jegliche ohnehin nutzlos erscheinenden Versuche ein, den Bann Barajans zu brechen und die Herrschaft über die Drachen wieder an sich zu reißen, die nun von den drachenischen Kaisern und ihren Drachenreiter-Samurai ausgeübt wurde. Als kriegsentscheidende Machtmittel brauchten die Magier die Drachen ebenso wenig wie zum Transport von Gütern. Um Letzteres zu gewährleisten hatte man längst begonnen, in größerer Zahl Wesen zu versklaven, die man viel leichter geistig kontrollieren konnte als Drachen.
Da man sich sicher fühlte und sich außerdem erwies, dass die Anwendung der Schattenpfadgängerei die Lebensspanne eines Magiers verkürzen konnte, geriet diese Kunst im Verlauf der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit. Nur ein kleiner Kreis bewahrte das Wissen. Sie bildeten auch innerhalb der Magier eine besondere Kaste, in deren Händen die Sicherheit des Reiches Magus lag. Ihr Ruf war es, der selbst den mit wahren Wunderwaffen hochgerüsteten Fürsten von Feuerheim vor einem Angriff auf das Reich der Magier bisher abgehalten hatte.
Abrynos gehörte offenbar zu diesen Auserwählten. Und dass er auf einem Schattenpfad in den Festsaal von Burg Sukara gelangt war, konnte nur dahingehend interpretiert werden, dass er mit einem ganz besonderen Auftrag gekommen war. Vermutlich sogar im Auftrag des Großmeisters selbst.
Der Gesandte Sun gab seinen Männern ein Zeichen – eine unauffällige, kaum als solche wahrnehmbare Geste, bei der er sich mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand über das Kinn strich berührte. Doch der Magier registrierte die Bewegung, und er wusste auch im Voraus, was geschehen würde, obwohl Sun seine Leibwächter einem Abschirmungsritual unterzogen hatte, sodass sie vor Magie oder Zauberei innerhalb gewisser Grenzen gefeit waren. Vor allem in den Küstenstädten des drachenischen Neulands gab es einige abtrünnige Magier, die sich im Drachenland niedergelassen hatten und derartige Dienste für ein paar Goldstücke anboten.
Einer von Suns Leibwächtern schleuderte einen Shuriken, der so schnell durch den Raum flog, dass er kaum zu sehen war.
Abrynos hob die Hand, fing den Shuriken sicher auf und schleuderte ihn mit einem Vielfachen der Kraft zurück, die der Wächter aufgewandt hatte. Das Metall, aus dem der sechszackige Wurfstern gefertigt war, begann dabei grün zu leuchten, so wie die Augen des Magiers.
Die Waffe bohrte sich durch den Hals des Wächters und trennte – unterstützt von Abrynos magischen Kräften – den Kopf vom Rumpf. Der Krieger stand einen Moment lang wie erstarrt da, die rechte Hand erhoben, die andere am Griff eines Dolchs, den er am Gürtel trug. Das Blut spritzte in einer Fontäne aus dem zum Stumpf gewordenen Hals, während der Kopf über den Boden rollte und die Bankettgäste zur Seite weichen ließ.
Gegen jedes Naturgesetz vollführte der Wurfstern einen scharfen Knick in seiner Flugbahn. Das grüne Leuchten, das ihn umgab, wurde für einen Moment so grell, dass es die Augen blendete. Durch die kreisende Bewegung wurden Blutspritzer im ganzen Raum verteilt. Die Waffe fuhr einem zweiten Wächter, der gerade sein Schwert gezogen hatte, in die Schulter und trennte ihm den Waffenarm ab. Dann verlor der Shurike sein grünes Leuchten und fiel zu Boden.
Der Magier streckte beide Hände aus und fing zwei Wurfdolche, die auf ihn geschleudert worden waren, sicher auf. Beide hatten messingfarbene Drachenköpfe an den Griffen. Der Magier schleuderte sie umgehend zurück und tötete auf diese Weise zwei Wächter, in deren Körper die Dolche drangen. Die messingfarbenen Drachenköpfe bewegten sich für wenige Augenblicke, so als wären sie von einem unheimlichen Scheinleben erfüllt.
Beide Dolche schnellten – von einem grünlich schimmernden Lichtflor umgeben - in die Hände des Magiers zurück, als sich zwei mit Schwertern bewaffnete Wächter des Gesandten Sun auf den Schattenpfadgänger stürzten. Den Hieb des ersten wehrte Abrynos mit den gekreuzten Dolchen ab. Grüne Blitze zuckten erst an den Klingen der Dolche, dann am Schwert des Angreifers entlang und erfassten dessen Körper. Schreiend brach er zusammen und blieb reglos liegen.
Abrynos warf einen der Dolche von sich und beendete damit das Leiden des Wächters, dem er mit dem magisch aufgeladenen Shuriken den Arm abgetrennt hatte und der sich gerade anschickte, einen Wurfdolch zu ziehen. Gleichzeitig stürzte sich der zweite Angreifer mit seinem Schwert auf Abrynos.
Der Magier streckte ihm die flache Hand entgegen, und die Kräfte des Schattenpfadgängers erfassten den Leibwächter, rissen ihn zurück, hoben ihn eine Mannhöhe empor und schleuderten ihn mit voller Wucht gegen die Wand des Festsaals. Als der Körper des Wächters am Steingemäuer reglos hinabrutschte, blieb seine Kleidung an einem mehrarmigen gusseisernen Leuchter hängen, der mit brennenden Kerzen bestückt war. Die Flammen griffen kurz auf die Kleidung über und erstickten dann. Ein verbrannter Geruch verbreitete sich. Der Magier schleuderte den letzten Wurfdolch auf ihn, der dem Mann in den aufgerissenen Mund fuhr.
Abrynos straffte seine Gestalt, schaute in die Runde und verzog dabei höhnisch das Gesicht. „Ihr wollt mir Euer Gesetz aufzwingen?“, fragte er, und die pfeilförmige Magierfalte auf seiner Stirn trat dabei besonders deutlich hervor.
Da er die Begleiter des Gesandten allesamt dahingemetzelt hatte, wandte sich dieser an Fürst Payu. Einen Magier zu töten forderte vielleicht einen hohen Blutzoll, aber andererseits war es auch für einen sehr mächtigen Magier unmöglich, allein eine größere Zahl von gleichzeitig angreifenden Kriegern abzuwehren, selbst wenn die weder Abschirmungsritualen unterzogen worden waren noch über eine starke innere Kraft verfügten, wie sie den Nachfahren Barajans und in unterschiedlich starkem Maß den Drachenreiter-Samurai eigen war. Es war einfach nicht möglich, die Seelen zu vieler Gegner zu beherrschen oder alle ihre Angriffshandlungen vorauszuahnen, sodass man sie rechtzeitig abwehren konnte.
„Unternehmt etwas, Fürst Payu!“, kreischte der Gesandte Sun. „Oder wollt Ihr zulassen, dass dieser Magier-Dämon die Hausehre des Fürsten vom Südfluss schändet! Ihr müsst ...“
Seine nächsten Worte gingen in einem Röcheln unter. Er griff sich an den Hals, lief dabei dunkelrot an und rutschte von seinem kunstvoll gefertigten und mit Drachenköpfen verzierten Sitz. Auch die aus dem dunklen Holz geschnitzten Drachenköpfe erwachten für einen Moment zum Leben und stießen fauchende Laute aus, während der kaiserliche Gesandte Sun Ko Sun tot und mit starrem Blick zu Boden sank.
„Was fällt Euch ein, hier einzudringen und mich zu beleidigen, indem Ihr meine Gäste tötet?“, rief das der Fürst vom Südfluss erbost. „Und wer gibt Euch das Recht, die Gesetze des Kaisers zu missachten? Wenn Ihr gekommen seid, den Krieg zwischen Drachenia und dem Reich Magus zu verkünden, so sollt Ihr dafür einen hohen Preis zahlen!“
Die Drachenreiter des Fürsten hatten die Hände bereits an den Schwertgriffen, doch noch wagte es keiner, die Waffe hervorzuziehen.
Der Weise Liisho trat vor. Der Gesandte und seine Bewacher waren tot und konnten in keinem Fall mehr berichten, was sie im Festsaal von Sukara gesehen hatten. Daher wohl sah Liisho keine Notwendigkeit mehr, sich zu Rajins Schutz zurückzuhalten. „Ein paar schwache Seelen zu meucheln ist keine Kunst, der Ihr Euch rühmen könntet!“, rief er. „Wie wäre es, wenn Ihr Euch einen Gegner sucht, der Euch an Kräften zumindest ebenbürtig ist?“
Der Magier wandte den Blick mit fast schon provozierender Gelassenheit in Liishos Richtung. „Ich habe viel über Euch gehört, Weiser Liisho“, sagte er; offenbar hatte er den weißbärtigen ehemaligen Berater der Kaiser von Drakor durch eine geistige Berührung erkannt. „Und seid versichert, ich empfinde große Hochachtung für jemanden, der sich durch mühevolle Studien und Arbeit Fähigkeiten erworben hat wie die, die dem Volk der Magier von Geburt an gegeben sind.“
Liisho trat vor, doch Rajin hielt sich weiterhin im Hintergrund. Er begriff, dass der Weise durch seinen Auftritt auch versuchte, die Aufmerksamkeit des Magiers vom eigentlichen Ziel seiner Suche abzulenken. Und das konnte nur er, der Prinz von Drakor und eigentliche Thronerbe sein.
Ja, Rajin war sich sicher, dass Abrynos seinetwegen gekommen war, auch wenn er den eigentlichen Grund dafür nicht kannte. Aber der Großmeister von Magus hatte schon immer seine ganz eigenen Pläne im Ränkespiel der fünf Reiche verfolgt. Einem Ränkespiel, das auch in Zeiten tiefsten Friedens noch immer von allen Seiten betrieben wurde.
„Was führt Euch her?“, rief Liisho und trat noch einen Schritt vor. Der Weise hatte weder Schwert noch Drachenstab bei sich und trug lediglich die Kutte eines einfachen Mönchs im Dienst der Kirche des Unsichtbaren Gottes. Aber die schärfste Waffe war ohnehin nicht das Schwert, wie Liisho in seinem überlangen Leben immer wieder erfahren hatte, sondern der Geist. Auf Werkzeuge wie Drachenstab oder Schwert konnte man notfalls verzichten, nicht aber auf die innere Kraft, die diese Werkzeuge erst zu mächtigen Gegenständen machte.
Ein Lächeln glitt über das Gesicht von Abrynos dem Schattenpfadgänger. „Wie auch immer Ihr Euch verkleiden mögt, jemanden mit den Sinnen eines Magiers erkennt Euch jederzeit. Zudem gibt es nicht wenige Magier, die dem Reich und seinem Großmeister abtrünnig wurden und sich bei menschlichen oder halbmenschlichen Herrscherhäusern verdingen. Erbärmliche Kreaturen sind diese Abtrünnigen, Verräter, die sicherlich auch im Dienst von Katagi stehen, der zurzeit auf dem Drachenthron von Drakor herrscht.“
„Ihr sprecht wahre Worte“, gab Liisho zurück, der zugleich versuchte, mithilfe seiner inneren Kraft zu erfassen, was den Schattenpfadgänger letztlich hergeführt hatte. Rajin glaubte jedenfalls, die Anstrengung aus den Zügen des Weisen herauslesen zu können, obwohl diese für andere Betrachter vollkommen gelassen wirkten.
„Ein gesuchter Feind der Krone seid Ihr“, sagte Abrynos, „und die Schergen Katagis werden Euch eines Tages ebenso zur Strecke bringen, wie es mit vier der fünf Prinzen geschehen ist, die Ihr einst aus dem brennenden Palast gerettet habt! Selbst der letzte von ihnen, der noch lebt und auf den so viele Drachenier ihre vergeblichen Hoffnungen setzen, wird diesem Schicksal nicht entgehen!“
„Und was bekümmern Euch diese Dinge?“, fragte Liisho. „Wer schickt Euch – oder seid Ihr von vornherein nur gekommen, um die Gastfreundschaft eines Fürsten zu beleidigen und durch die Vernichtung von Gegnern, die Euch von Anfang an klar unterlegen waren, Eure angebliche Stärke zu beweisen?“
Abrynos hob blitzartig die Hand und fing etwas auf, was so schnell durch die Luft gezischt war, dass ein menschliches Auge es kaum hätte erkennen können. Es war ein Pfeil aus einem Blasrohr, wie sie die Ninjas des Fürsten vom Südfluss benutzten. An einer Seite des Festsaals gab es eine Galerie, und dort befand sich der maskierte Krieger.
Der Magier hob die freie Hand in Richtung der Galerie. Risse zogen sich durch den Stein, und sie brach mitsamt dem Ninja in die Tiefe. Der Maskierte schrie auf. Sein Körper schlug hart auf dem Boden und blieb zwischen den Trümmern der Galerie regungslos liegen.
Abrynos stieß einen durchdringenden Schrei aus. Ein Schrei, der sich mit den Schreien jener vermischte, die davonstoben, um nicht von den Trümmerstücken erschlagen zu werden.
Dann warf der Magier den aufgefangenen Pfeil auf den Boden, wo er sich in eine Schlange verwandelte. Zunächst hatte sie nur die Länge des Pfeils, die kaum eine Handbreit betrug. Doch die Schlange wuchs. Sie hob den Kopf. Zischend kam die lange Zunge hervor, und in den Augen des Reptils leuchtete das gleiche grüne Feuer wie in denen des Magiers.
Als sie bereits auf eine Armlänge angewachsen war, wucherte eine Beule an ihrem Körper, die aufplatzte und aus der Augenblicke später ein zweiter Schlangenkopf erschien. Dieser zweite Kopf glich dem ersten in jedem Detail, bis auf die Größe. So sehr er auch wuchs, er schien darin dem ersten Kopf immer unterlegen zu bleiben und nicht mehr als die Hälfte des Volumens des ersten Schlangenhauptes erreichen zu können.
Beide Köpfe fauchten sich gegenseitig an, als wollten sie sich in ihrem Wachstum gegenseitig anzuspornen. Der Schlangenleib war zunächst von schwarzer geschuppter Haut bedeckt, mit feuerroten Zeichnungen, die sich ständig veränderten.
Der Magier wandte den Blick in Fürst Payus Richtung, und beide Schlangenköpfe taten es ihm nach, so als wären sie auf direkte Weise mit Abrynos dem Schattenpfadgänger verbunden.
„Ihr habt versucht, mich umzubringen, Fürst vom Südfluss“, sprach Abrynos. „Aber ich verzeihe Euch, denn Ihr gewährt dem Asyl, den ich suche, und so würde mir der Großmeister in Magussa gewiss zürnen, würde ich Gleiches mit Gleichem vergelten und Euch Eurer gerechten Strafe zuführen, Fürst Payu.“
Die zweiköpfige Schlange war unterdessen auf die Länge einer Lanze angewachsen, und wenn sie den vorderen Teil ihres Körpers aufrichtete, reichte dieser einem Mann bereits bis zur Hüfte.
Der Weise Liisho streckte die Hand aus und murmelte eine Zauberformel, und daraufhin verwandelte sich die Schlange. Ihre Körperzeichnung veränderte sich. Die roten, ineinander verwobenen Linien bewegten sich nicht mehr. Sie erstarrten und nahmen eine metallisch wirkende Färbung an, die an Messing erinnerte. Auch die geschuppte schwarze Haut veränderte sich, hellte sich auf und nahm ebenfalls diesen Messington an. Dann streckte sich die Schlange, wurde starr und verwandelte sich innerhalb eines Augenaufschlags in einen Drachenstab.
Drachenstäbe gab es in unterschiedlichster Größe. Die kleinsten waren eine halbe Elle lang, die längsten so lang wie Lanzen oder Speere. Immer hatten sie die Form eines Metallrohrs, durch das sich die innere Kraft eines Drachenreiters offenbar am leichtesten auf den Koloss, den er zu lenken gedachte, übertragen ließ.
Der Drachenstab, der nun vor dem Magier auf dem Boden lag, war ein besonders edles Exemplar, das aus einer Reihe von ineinander fassenden und miteinander verbundenen Metallrohren bestand, die sich ausfahren und fixieren ließen, sodass die Länge variabel war.
Liisho streckte erneut die Hand danach aus, der Drachenstab erhob sich und flog auf ihn zu. Der Weise ergriff ihn, woraufhin die Metallrohr-Stücke ineinander fuhren, bis der Stab gerade noch die Länge einer Dreiviertel-Elle aufwies.
Der Magier Abrynos hob die Augenbrauen. „Nicht schlecht, Meister Liisho!“
„Mit Euren Illusionen könnt Ihr vielleicht einen Feuerheimer Rennvogel oder einen Affen aus der Wildnis von Seng-Pa beeindrucken, aber nicht mich“, erklärte Liisho.
„Ich bin auch nicht hier, um Euch zu beeindrucken, Liisho!“ Der Magier lachte. „Wie könnte ich das auch – angesichts Eurer schon zur Legende gewordenen Weisheit!“
„Was wollt Ihr dann?“
„Ich bin hier, um Prinz Rajin ein Angebot zu unterbreiten, das er nicht abzulehnen vermag. Ein Angebot, von dem sein Schicksal abhängt – sein Schicksal und das seiner Geliebten und seines Sohnes!“
Liisho warf ihm den Magierstab entgegen, der sich noch im Flug selbstständig ausfuhr und zurück in eine Schlange verwandelte, die sich um den Oberkörper des ungebetenen Gastes wand wie eine Fessel. Diese Schlange war länger als jene, deren Trugbild der Magier zuvor erzeugt hatte. Und sie hatte im Gegensatz zu dieser auch nur einen Kopf. Die Färbung ihrer Schuppen glich der des messingfarbenen Drachenstabes, aus dem sie entstanden war.
Zweimal wand sich der Schlangenkörper um Brust und Arme des Magiers und riss ihn zu Boden. Für Augenblicke wurde das Reptil schwarz, und dabei zeigten sich die auffälligen roten Zeichnungen, welche die erste Schlange gehabt hatte.
Der Magier begann zu ächzen. Offenbar reichte seine Kraft im Moment nicht aus, um sich auf dem magischen Schattenpfad davonzumachen, auf dem er diesen Saal betreten hatte. Möglicherweise verhinderte Liisho dies aber auch durch einen Zauber oder schlicht durch die Präsenz seiner inneren Kraft. Einer Kraft, gegen die Abrynos offenbar alle Magie aufbieten musste, die in ihm steckte.
Er begann zu zittern. Das Leuchten seiner Augen verschwand, und sein Gesicht verfärbte sich bläulich. Die Magierfalte trat so stark hervor, als wäre sie mit einem glühenden Eisen in die Haut gebrannt worden. Unverständliche Laute drangen krächzend zwischen seinen Lippen hervor.
Und dabei traf Abrynos' Blick Rajin - und er erkannte den Thronerben, obwohl sie sich nie begegnet waren. Für Rajin war es sinnlos geworden, sich weiterhin zu verbergen. Die innere Kraft des Magiers griff nach seinem Geist, und der junge Prinz fühlte für einen kurzen Moment einen immensen Druck in seinen Kopf, glaubte für einen Augenblick, dass sein Schädel zerspringen müsste.
„Ihr seid es!“, krächzte Abrynos.
Rajin wurde gleichzeitig klar, dass nicht mehr viel Kraft in dem Magier war. Liisho schien ihm bei weitem überlegen – und außerdem gewillt, den Eindringling zu töten.
Rajin trat vor und konzentrierte die innere Kraft, die er an diesem Abend den Anweisungen seines Mentors entsprechend fast vollkommen zurückgehalten hatte, auf einen Gegenstand.
So, wie du es mich beim Drachenstab gelehrt hast, Liisho! So, wie ich es mit dem Schwert in den Händen vor dem Block aus Drachenbasalt bisher vergeblich versuchte!
Rajin streckte die Hände aus, und die metallene Schlange, die sich um die Brust des Magiers gelegt hatte, sprang auseinander, zerfiel in rostige Einzelteile.
„Rajin!“, rief Liisho erzürnt, denn damit war der Magier aus seiner geistigen Fesselung befreit.
„Ich möchte hören, was er zu sagen hat“, erklärte Rajin.
„Dass er nichts Gutes im Schilde führt, hat er doch schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt, oder?“, schimpfte der Weise. „Er tauchte hier uneingeladen auf, benutzte dafür den Schattenpfad, was in Drachenia aufs Schärfste verboten ist, und dann brachte er den Gesandten des Kaisers und seine Männer um. Reicht dir das nicht?“
„Sagt nur, dass Ihr ihnen nachtrauert“, krächzte der Magier; seine Stimme war noch schwach, aber dafür voller Hohn. Ein leichtes grünliches Flimmern zeigte sich schon wieder in seinen Augen, und die bläuliche Färbung seines Gesichts ließ nach. Seine Kräfte kehrten allmählich zurück. „Gebt es zu, Liisho, ich habe Euch und Prinz Rajin einen Gefallen damit getan!“
„Ihr habt damit vielleicht unser Todesurteil gefällt“, entgegnete der Weise mit frostklirrender Stimme. „Was glaubt Ihr denn, wie man am Hof von Drakor reagieren wird, wenn der Gesandte nicht zurückkehrt! Alle hier auf Burg Sukara sind durch Eure Handlungsweise in Gefahr gebracht worden!“
Abrynos erhob sich vorsichtig, doch Meister Liisho unternahm nichts, um es zu verhindern. Der Magier sah Rajin an und musterte ihn auf eine Weise, die dem Prinzen nicht gefiel. „Alle Achtung, Ihr scheint schon einiges gelernt zu haben. Nun, in Meister Liisho habt Ihr zweifellos auch einen der besten Lehrer, die sich denken lassen.“
„Ich habe kein Ohr für Eure Schmeicheleien, Abrynos“, sagte Rajin. „Wenn Ihr mir eine Botschaft zu überbringen habt, dann tut es jetzt.“