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Gesundheitsreformen, Fachkräftemangel sowie der demographische Wandel stellen Arztpraxen vor zahlreiche Herausforderungen. Der steigende Kostendruck, insbesondere durch Honoraranpassungen und Budgetierungen, verschärft diese Situation. Dennoch können sich Arztpraxen erfolgreich behaupten, sofern sie betriebswirtschaftliche Methoden konsequent anwenden. Frank Daumann und Lev Esipovich bieten hierfür das notwendige Handwerkszeug: Sie vermitteln praxisnah und leicht verständlich die Grundlagen der Kostenrechnung und zeigen die Charaktieritika der Voll- und Teilkostenrechnung auf. Zahlreiche Abbildungen und Fallbeispiele helfen beim Verständnis. Durch Kontrollfragen lässt sich das Erlernte auf einfache Art und Weise festigen. Das Buch richtet sich gleichermaßen an Studierende und Praktiker*innen.
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Prof. Dr. Frank Daumann ist Inhaber des Lehrstuhls für Sport- und Gesundheitsökonomie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Dr. Lev Esipovich ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Lehrstuhl für Sport- und Gesundheitsökonomie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Frank Daumann | Lev Esipovich
Grundlagen, Methoden und Fallbeispiele
Einbandmotiv: iStockphoto, © ronstik
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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1. Auflage 2020
© UVK Verlag 2020
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CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-7398-3067-4 (Print)
ISBN 978-3-7398-8067-9 (ePDF)
ISBN 978-3-7398-0019-6 (ePub)
Der steigende Druck zur Wirtschaftlichkeit macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt. Nicht nur Krankenhäuser, sondern auch niedergelassene Ärzte sind daher zunehmend gezwungen, betriebswirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
Eine wesentliche Voraussetzung, dies leisten zu können, ist jedoch die Kenntnis der relevanten Informationen. Ein in diesem Zusammenhang elementares Instrument stellt die Kostenrechnung dar: Sie bildet zum einen ab, wo und in welcher Höhe Kosten im Betrieb entstanden sind, und zum anderen hilft sie die Frage zu beantworten, ob die Kosten in ihrer Höhe auch angemessen sind. Die Kostenrechnung liefert also unabdingbare Informationen.
Der klassische Anwendungsbereich dieses betriebswirtschaftlichen Werkzeuges ist der Industriebetrieb mit seinem Fokus auf die Produktion von Sachgütern. Nun weist die Arztpraxis insbesondere aufgrund des Fokus auf die Erstellung von Dienstleistungen, die zudem häufig im Komplex erbracht werden, und der vorzufindenden Entlohnungsformen erhebliche Unterschiede zu einem klassischen industriellen Produktionsbetrieb auf. Somit ist es erforderlich, die Kostenrechnung auf die Charakteristika der Arztpraxis zu adaptieren.
Dies sind die Gründe, weswegen wir uns entschlossen haben, dieses Lehrbuch zu verfassen. Es soll zum einen die Kostenrechnung im Rechnungswesen verorten und die Grundlagen der Kostenrechnung vermitteln. Zum anderen soll es aufzeigen, wie eine Kostenrechnung vor dem Hintergrund der charakteristischen Merkmale einer Arztpraxis eben dort aufgebaut und durchgeführt werden kann.
Zur Entstehung dieses Buchs hat insbesondere Frau Aylin Faber, M. sc., beigetragen. Ihr gebührt unser Dank. Zudem sei besonders Herrn Dr. med. Hansjörg Keller für die zahlreichen Anregungen und Diskussionen gedankt. Ein herzliches Dankeschön gilt den Teilnehmern der vielen Kurse des MBA-Studiengangs Health Care Management an der Universität Bayreuth, die durch ihre Wissbegierde und durch rege Diskussionen dieses Buches maßgeblich initiiert haben.
Wir wünschen dem geneigten Leser viel Freude bei der Lektüre und freuen uns über entsprechende Anregungen.
Jena, im Sommer 2020
Frank Daumann und Lev Esipovich
Für Ute, Hugo, Elfried, Ferdinand, Johann Abdul und Rosamarie
Vorwort
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1Einführung
2Besonderheiten im deutschen Gesundheitswesen
3Rechnungswesen in der Arztpraxis
3.1Arztpraxis – eine betriebswirtschaftliche Annäherung
3.1.1Die Arztpraxis als Betrieb
3.1.2Hauptzweck und Zielsetzung
3.1.3Leistungsproduktion und Rolle des Rechnungswesens
3.2Externes und internes Rechnungswesen in der Arztpraxis
3.2.1Externes Rechnungswesen
3.2.2Internes Rechnungswesen
3.3Funktionen der Kostenrechnung in der Arztpraxis
3.4Zusammenfassung des Kapitels
Literaturempfehlungen
4Grundlagen der Kostenrechnung
4.1Begriff und Merkmale der Kostenrechnung
4.2Grundbegriffe der Kostenrechnung
4.2.1Aufwand und Ertrag
4.2.2Kosten und Leistungen
4.2.3Neutraler Aufwand
4.2.4Zweckaufwand und Grundkosten
4.2.5Kalkulatorische Kosten
4.2.6Neutraler Ertrag
4.2.7Zweckertrag und Grundleistungen
4.2.8Kalkulatorische Leistungen
4.3Gliederung der Kosten
4.3.1Einzelkosten und Gemeinkosten
4.3.2Variable und fixe Kosten
4.4Kostenfunktion
4.5Prinzipien der Kostenrechnung
4.5.1Verursachungsprinzip
4.5.2Proportionalitätsprinzip
4.5.3Durchschnittsprinzip
4.5.4Tragfähigkeitsprinzip
4.6Allgemeiner Ablauf der Kostenrechnung
4.7Betriebsabrechnungsbogen
4.8Systeme der Kostenrechnung
4.8.1Ist-, Normal- und Plankostenrechnung
4.8.2Voll- und Teilkostenrechnung
4.9Zusammenfassung des Kapitels
Literaturempfehlungen
5Vollkostenrechnung in der Arztpraxis
5.1Kostenartenrechnung in der Arztpraxis
5.1.1Kostenerfassung
5.1.2Kosteneinteilung nach Kostenarten
5.1.2.1Personalkosten
5.1.2.2Werkstoffkosten
5.1.2.3Kalkulatorische Kosten
5.1.2.4Dienstleistungskosten
5.1.3Aufteilung der Kosten nach Einzel- und Gemeinkosten
5.1.4Zusammenfassung: Kostenartenrechnung in der Arztpraxis
5.2Kostenstellenrechnung in der Arztpraxis
5.2.1Gliederung von Kostenstellen
5.2.2Ablauf der Kostenstellenrechnung
5.2.3Verfahren zur innerbetrieblichen Leistungsverrechnung
5.2.3.1Kostenschlüssel
5.2.3.2Anbauverfahren
5.2.3.3Kostenstellenausgleichsverfahren
5.2.4Zusammenfassung: Kostenstellenrechnung in der Arztpraxis
5.3Kostenträgerrechnung in der Arztpraxis
5.3.1Kostenträger in der Arztpraxis
5.3.2Kostenträgerstückrechnung
5.3.3Kostenträgerzeitrechnung
5.3.4Zusammenfassung: Kostenträgerrechnung in der Arztpraxis
5.4Auswertung der Vollkostenrechnung
5.5Probleme und Defizite der Vollkostenrechnung
5.6Anwendungsbeispiel für die Vollkostenrechnung
Literaturempfehlungen
6Teilkostenrechnung in der Arztpraxis
6.1Grundlagen der Teilkostenrechnung
6.2Deckungsbeitragsrechnung im Rahmen der Erfolgsrechnung
6.2.1Einstufige Deckungsbeitragsrechnung (Direct Costing)
6.2.2Mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung
6.3Break-Even-Analyse in der Arztpraxis
6.3.1Grundlagen der Break-Even-Analyse
6.3.2Ansatz der Break-Even-Analyse im Kontext der Arztpraxen
6.4Zusammenfassung des Kapitels
Literaturempfehlungen
Quellenverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Abb. 1Klassische Hauptfinanzierungsarten
Abb. 2Grundsystematik der Arztpraxis als Dienstleistungsbetrieb
Abb. 3Bestandteile des Rechnungswesens
Abb. 4Adressaten des externen Rechnungswesens in der Arztpraxis
Abb. 5Adressaten des internen Rechnungswesens in der Arztpraxis.
Abb. 6Funktionen der Kostenrechnung in der Arztpraxis
Abb. 7Abgrenzung zwischen Aufwand und Kosten
Abb. 8Arten von kalkulatorischen Kosten
Abb. 9Abgrenzung zwischen Ertrag und Leistung
Abb. 10Verhältnis zwischen Einzel- und Gemeinkosten sowie variablen und fixen Kosten
Abb. 11Kostenauflösung nach dem mathematischen und statistischen Verfahren
Abb. 12Kostenfunktion beim linearen Kostenverlauf
Abb. 13Schematischer Ablauf der Kostenrechnung.
Abb. 14Kostenrechnungssysteme.
Abb. 15Aufgabenbereiche der Plankostenrechnung
Abb. 16Ablauf der Kostenartenrechnung
Abb. 17Kostenerfassung
Abb. 18Lohnformen
Abb. 19Abschreibung in der Arztpraxis
Abb. 20Abschreibungsmethoden
Abb. 21Graphische Darstellung der Abschreibungsmethoden
Abb. 22Faktoren für die Bestimmung des kalkulatorischen Mischkapitalzinses
Abb. 23Betriebliche Risiken und kalkulatorische Wagniskosten
Abb. 24Kalkulatorische Löhne/Gehälter in der Arztpraxis
Abb. 25Typische Aufbauorganisation eines MVZs
Abb. 26Allgemeiner Ablauf der Kostenstellenrechnung
Abb. 27Beziehungen zwischen Vor- und Endkostenstellen.
Abb. 28Graphische Darstellung des Stufenleiterverfahrens
Abb. 29Formen der Kostenträgerrechnung
Abb. 30Kalkulationsverfahren
Abb. 31Ablauf der Gemeinkostenverrechnung auf die Kostenträger in einer Arztpraxis
Abb. 32Vergleich des Umsatz- und Gesamtkostenverfahrens
Abb. 33Entwicklung der Personalkosten pro Patienten und Jahr
Abb. 34Fixkostenproportionalisierung.
Abb. 35Prinzipien der Kostenverrechnung bei Teil- und Vollkostenrechnung
Abb. 36Betriebsabrechnungsbogen bei der Teilkostenrechnung
Abb. 37Allgemeine Vorgehensweise im Rahmen der mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung
Abb. 38Graphische Darstellung der Break-Even-Analyse
Abb. 39Break-Even-Analyse in der Arztpraxis
Tab. 1Merkmale des wertmäßigen Kostenbegriffs
Tab. 2Betriebsabrechnungsbogen (BAB).
Tab. 3Merkmale der Ist-, Normal- und Plankosten
Tab. 4Gliederung der Kosten
Tab. 5Vergleich zwischen kalkulatorischer und bilanzieller Abschreibung.
Tab. 6Nutzungsdauer und Abschreibungssatz von Wirtschaftsgütern der Arztpraxis
Tab. 7Vergleich linearer, arithmetisch- und geometrisch-degressiver Abschreibungsart.
Tab. 8Aktivseite der Bilanz einer Arztpraxis.
Tab. 9Bewertung des betriebsnotwendigen Vermögens.
Tab. 10Gewerbe-Mietspiegel 2018, Landkreis Meißen sonstige Städte und Gemeinden.
Tab. 11Arten der innerbetrieblichen Leistungsbeziehung.
Tab. 12Kostenstellengliederung in der Arztpraxis
Tab. 13Kostenschlüsselkategorien in der Arztpraxis
Tab. 14Anwendung des Anbauverfahrens in der Arztpraxis.
Tab. 15Anwendung des Stufenleiterverfahrens in der Arztpraxis
Tab. 16Anwendung des Gleichungsverfahrens in der Arztpraxis
Tab. 17Mögliche Kostenträger in einer Arztpraxis.
Tab. 18Gemeinkostenverrechnung auf Kostenträger.
Tab. 19Angepasster Betriebsabrechnungsbogen für Arztpraxen.
Tab. 20Praxisergebnisberechnung nach dem Umsatzkostenverfahren.
Tab. 21Zeitliche Zuordnung des Personals.
Tab. 22Zuordnung der Personalkosten auf die Kostenstellen.
Tab. 23Abschreibungen auf die Praxis- und Laboreinrichtung
Tab. 24Abschreibungen auf die medizinischen Geräte
Tab. 25Kalkulatorische Zinsen auf die Praxis- und Laboreinrichtung
Tab. 26Kalkulatorische Zinsen auf die medizinischen Geräte
Tab. 27Zuordnung der Raumkosten
Tab. 28Zuordnung der sonstigen Kosten.
Tab. 29Verteilung der Gemeinkosten.
Tab. 30Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung.
Tab. 31Aufstellung der Einzelkosten.
Tab. 32Berechnung der Selbstkosten.
Tab. 33Berechnung der Abweichungen.
Tab. 34Fixkostenhierarchien in einer Arztpraxis
A
Aufwand
ABM
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
AfA
Absetzung für Abnutzungen
AO
Abgabenordnung
B
Basiswert
BAB
Betriebsabrechnungsbogen
BE
Betriebsergebnis
BEP
Break-Even-Point
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BNK
betriebsnotwendiges Kapital
BNV
betriebsnotwendiges Vermögen
D
Degressionsbetrag
DB
Deckungsbeitrag
EDV
elektronische Datenverarbeitung
Eg
Ertrag
EK
Endkostenstelle
Es
Erlös
EStDV
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung
EStG
Einkommensteuergesetz
EU
Europäische Union
EÜR
Einnahmen-Überschuss-Rechnung
EUR
Euro
GK
Gemeinkosten
GKV
Gesamtkostenverfahren
GMG
Gesundheitsmodernisierungsgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung
HGB
Handelsgesetzbuch
Hrsg.
Herausgeber
IGeL
Individuelle Gesundheitsleistungen
ILV
innerbetriebliche Leistungsverrechnung
K
Kosten
KBV
Kassenärztliche Bundesvereinigung
Kfix
Fixkosten
KTr
Kostenträger
kv
variable Kosten (pro Mengeneinheit)
kv
variable Kosten (gesamt)
KV
Kassenärztliche Vereinigung
MVZ
Medizinisches Versorgungszentrum
ND
Nutzungsdauer
RW
Restwert
U
Umsatz
UKV
Umsatzkostenverfahren
UStG
Umsatzsteuergesetz
var
variabel
VK
Vorkostenstelle
Die Akteure im ambulanten Sektor des Gesundheitswesens in Deutschland sehen sich mit einer Reihe von Entwicklungen konfrontiert, die für sie erhebliche ökonomische Auswirkungen haben: Zum einen interveniert der Gesetzgeber ständig, um die Ausgaben im Gesundheitswesen einzudämmen, wovon freilich der ambulante Bereich und dessen Honorierung auch nicht verschont bleiben. Zum anderen resultieren aus dem Mangel an Fachkräften erhebliche Herausforderungen. Und schließlich lässt die demographische Entwicklung eine zunehmende Beanspruchung des Leistungsangebots im ambulanten Sektor – und nicht nur dort – erwarten.
All diese Entwicklungen verursachen bei den ambulant tätigen Ärzten eine zunehmende Verknappung der finanziellen Mittel und auch anderer Ressourcen. Der daraus resultierende massive Kostendrucks zwingt zum Sparen. Dies bringt jedoch nicht nur negative Aspekte mit sich, sondern kann von Praxisinhabern auch als eine Chance aufgefasst werden, die Wirtschaftlichkeit der Arztpraxis zu erhöhen und damit die Organisation weiterzuentwickeln. Außerdem entspricht die Notwendigkeit der Kostenminimierung den immer stärker werdenden Anforderungen seitens der Eigentümer, Patienten sowie der Krankenkassen nach einem zunehmend bewussten und sparsamen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen.
Um diesen aktuellen Anforderungen gerecht zu werden und die finanzielle Situation zu sichern, benötigen Praxisinhaber neben der medizinischen auch betriebswirtschaftliche Kompetenz – vor allem verlässliche Daten sowohl für die Steuerung der Kosten als auch für die Messung der Effizienz (im Sinne des Kosten-Leistungs-Vergleichs). Solche Daten können dabei mit der nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgebauten Kostenrechnung gewonnen werden. Dieses Führungsinstrument liefert damit die notwendige Datengrundlage zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit einer Arztpraxis. Darüber hinaus kann die Kostenrechnung eine verursachungsgerechte Kalkulation der Leistungsangebote gewährleisten und eine bisher nicht vorhandene Kosten- und Leistungstransparenz gegenüber allen Anspruchsgruppen schaffen. Ausgehend von diesen generellen Aufgaben sollte die Kostenrechnung gegenwärtig und in Zukunft ein zentrales Element des operativen Controllings in jeder Arztpraxis bilden.
Trotz ihrer hohen Bedeutung für das Praxismanagement ist die Kostenrechnung in vielen Arztpraxen noch kaum verbreitet. Vielfach begnügen sich Ärzte mit den Informationen, die sie aus der Einnahmen-Überschuss-Rechnung gewinnen können. Befürchtet wird vor allem die damit verbundene Steigerung des Arbeitsaufwandes und der Kosten. Oft fehlen den für das Rechnungswesen verantwortlichen Mitarbeitern, die i. d. R. die Praxisinhaber selbst sind, auch die entsprechenden Kenntnisse. Die Defizite im kostenrechnerischen Wissen können jedoch schwerwiegende Folgen für die Finanz- und Ertragslage einer Praxis haben (z. B. aufgrund falscher Kalkulation des Patientenumsatzes und der damit einhergehenden Terminvergabe).
Aber nicht nur in der Praxis, sondern auch in konzeptioneller Hinsicht wird der Kostenrechnung in Arztpraxen teilweise nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Der Fokus der einschlägigen Literatur liegt klassischerweise auf der Industriekostenrechnung. Darüber hinaus wurden einige kostenrechnerische Konzepte in Nonprofit-Organisationen (NPOs) entwickelt (z. B. Fillinger, 1995). Im Fokus von Kostenmanagementansätzen im Gesundheitswesen standen in der Vergangenheit aufgrund der monetären Volumina und damit verbundener Einsparpotentiale in erster Linie Krankenhäuser. Die Notwendigkeit einer Kostenrechnung für Arztpraxen wurde zwar in den 1990er-Jahren erkannt (Frodl, 1996; 2011; 2016; Koch, 2012), jedoch wurden seitdem kaum die Anpassungen von gesundheitspolitischer Seite für ambulante Einrichtungen, wie Arztpraxen und MVZ-Strukturen, berücksichtigt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Kostenrechnung in Arztpraxen aus praktischer Sicht von großer Bedeutung ist, aber aus konzeptioneller Sicht als noch entwicklungsfähig erscheint. Das vorliegende Buch soll daher den Einsatz der Kostenrechnung in Arztpraxen umfangreich und detailliert erläutern. Dabei wird das Konzept der Praxiskostenrechnung Schritt für Schritt entwickelt, sodass der Leser auf diese Weise einen detaillierten Einblick in die kostenrechnerischen Grundlagen sowie spezifischen Instrumente bekommt, die im Praxiskontext angewandt werden können. Somit eignet sich das vorliegende Buch nicht nur für fortgeschrittene, sondern auch für ungeübte Kostenrechner. Darüber hinaus ist es als Lehr- und Übungsbuch konzipiert. Dies bedeutet, dass theoretische Inhalte mit zahlreichen Fallstudien und Aufgaben ergänzt wurden, um das erworbene Wissen an konkreten Beispielen anzuwenden und damit zu festigen.
Um das Funktionieren von Arztpraxen zu verstehen, ist zunächst eine Erläuterung des Kontexts, nämlich des deutschen Gesundheitswesens, notwendig. Dieses ist historisch gewachsen und durch zahlreiche Besonderheiten charakterisiert. Bedingt durch den Fokus dieses Lehrbuchs werden in erster Linie die Eigenarten des ambulanten Sektors beschrieben.
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 193 Abs. 3 VVG (Gesetz über den Versicherungsvertrag) obliegt jedem Einwohner Deutschlands die Pflicht zum Abschluss einer Krankenversicherung, um im Krankheitsfall auf die Funktion der Krankenkassen als Kostenträger zurückgreifen zu können. Im deutschen Gesundheitssystem existieren die gesetzliche und private Krankenversicherung nebeneinander. Die Höhe des Arbeitsentgelts als beitragspflichtige Einnahmen sowie die Art der Tätigkeit, wie beispielsweise Selbstständigkeit, sind ausschlaggebend für die Möglichkeit zum Beitritt in die private Krankenversicherung. Folglich können die gesetzliche und private Krankenversicherung als substituierende Versicherungsträger im Falle von erfüllten Voraussetzungen bezeichnet werden. Sind die Beitrittsvoraussetzungen in die private Krankenversicherung nicht erfüllt, bleibt die Krankenversicherungspflicht für die gesetzliche Krankenversicherung erhalten.
Leistungserbringung und -abrechnung gesetzlich versicherter Patienten
Eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht für Personen, deren beitragspflichtige Einnahmen unter der sog. Versicherungspflichtgrenze bzw. Jahresarbeitsentgeltgrenze liegen. Diese liegt im Jahr 2020 bei einem monatlichen Bruttoeinkommen aus Arbeitsentgelt oder Rentenzahlungen (§§ 226 und 228 SGV V) in Höhe von 5.212,50 Euro bzw. 62.550 Euro jährlich.
In der gesetzlichen Krankenversicherung haben die Versicherten gemäß § 175 SGB V ein allgemeines Kassenwahlrecht. Bei der gewählten Krankenkasse zahlt der Versicherte seinen Anteil an Krankenversicherungsbeiträgen, die sich aus paritätischen Beiträgen für den Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie möglicherweise einen seit 2015 anfallenden Zusatzbeitrag für den Versicherten zusammensetzen. Im Gegenzug erhält der Versicherte eine Mitgliedbescheinigung wie auch eine elektronische Gesundheitskarte (eGK). Mit Hilfe dieser Karte weist sich der Patient in der Arztpraxis aus. Die medizinische ärztliche Leistung erhält der Patient gemäß dem Sachleistungsprinzip.
Am Quartalsende übermittelt der Arzt die Abrechnungsdaten an die regional zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV). Nach erfolgreicher Prüfung der Daten wird dem Arzt auf Grundlage der Leistungserbringung das zustehende Arzthonorar für das eingereichte Quartal ausgezahlt. Die Basis der Finanzierung bilden nach §§ 83ff. SGB V Gesamtverträge zwischen den KVen und den Krankenkassenverbänden über die vertragsärztliche Versorgung. Die Gesamtvergütung bemisst sich anhand der folgenden drei Bestandteile:
Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV): Diese bemisst sich am Behandlungsbedarf der im KV-Bezirk wohnenden Patienten.
Extrabudgetäre Gesamtvergütung (EGV): Diese betrifft Leistungen außerhalb der MGV und inkludiert besonders förderungswürdige Leistungen, wie onkologische Leistungen oder ambulante Operationen, die keiner Mengenbegrenzung unterliegen.
Zusätzliche Zahlungen: Diese können im Falle eines nicht vorhersehbaren Behandlungsbedarfs, wie z. B. Epidemien, notwendig werden.
Das zu verteilende Honorarvolumen erhält die jeweilige KV von den Gesetzlichen Krankenkassen gemäß dem Wohnortprinzip (§ 85 SGB V): Die Basis hierzu bilden die im KV-Bereich wohnenden Versicherten je Krankenkasse und deren Morbiditätsstruktur. Die sog. Kopfpauschale pro Versicherungsmitglied an die KV erfolgt mit befreiender Wirkung, sodass über diesen Betrag hinaus der Krankenkasse keine weitere Zahlungsverpflichtung obliegt und somit keine Nachforderungen erhoben werden können.
Bedingt durch deren Sicherstellungsauftrag für die ambulante medizinische Versorgung fungieren die Kassenärztlichen Vereinigungen als Vermittlerinstitution zwischen den ambulant tätigen Ärzten und den Gesetzlichen Krankenkassenverbänden. In dieser Funktion übernehmen die KVen auch die Verteilung der fach- und hausärztlichen Gesamtvergütung anhand des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) gemäß §§ 84 Abs. 4 und 87b SGB V: Die Berechnung der einzelnen Vergütungsanteile je Praxis bzw. Arzt erfolgt auf Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM). Der Bewertungsausschuss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbandes legt hierzu jährlich einen deutschlandweiten Orientierungspunktwert (OPW) fest (§ 81 Abs. 1 SGB V). Dieser stellt die Grundlage der regional geltenden und morbiditätsbedingten Punktwerte in den einzelnen KV-Regionen dar. Die zugrundeliegenden Bewertungszahlen des EBM werden mit dem geltenden Punktwert in Euro-Cent multipliziert, um den Euro-Betrag zu erhalten, der für die erbrachte medizinische Leistung anzusetzen ist.
Beispielrechnung:
1)Hausärztliche Versichertenpauschale für einen Patienten zwischen dem 19. und dem vollendeten 54. Lebensjahr:
122 Punkte gem. GOP 03000 des EBM:
OPW 2019: 10,8226 Cent → entspricht einem Betrag von 13,20 €
OPW 2020: 10,9871 Cent → entspricht einem Betrag von 13,40 €
2)Fachärztliche Versichertenpauschale bei einem Orthopäden für einen Patienten zwischen dem 6. und 59. Lebensjahr:
182 Punkte gem. GOP 18211 des EBM:
OPW 2019: 10,8226 Cent → entspricht einem Betrag von 19,70 €
OPW 2020: 10,9871 Cent → entspricht einem Betrag von 20,00 €
Der nach § 87 Abs. 2e SGB V ermittelte Behandlungsbedarf in den einzelnen KV-Bezirken bildet die Basis für die zu errechnenden arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumina (RLV). Die prospektiv verteilten quartalsweisen Honorarvolumina orientieren sich dabei an den tatsächlich erlösten Einzelleistungen in Form von Fallzahlen des Vorjahresquartals. Um eine überproportionale Mengenausweitung, wie sie bis 2008 stattfand, zu vermeiden, existieren seit 2009 Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Auffälligkeiten und Zufallsstichproben sowie prozentuale Abstaffelungen bei Überschreitungen von arztgruppenspezifischen Fallzahlen.
Seit dem 01.01.2012 obliegt die Art und Weise der Honorarverteilung den einzelnen regionalen KVen. Die bis dato bundesweit einheitlich geltende Verteilung anhand des RLV wurde aufgehoben. Daraufhin entschlossen sich die KVen Thüringen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz für die Abschaffung der RLV und für die Einführung der Honorarverteilung anhand von Punktzahlen (Ullmann & Busch, 2016, S. 32f.; Wendland, 2016, S. 32ff.). Die anderen 14 KV-Bezirke orientieren sich in unterschiedlichen Formen an der Verteilung über Regelleistungsvolumina.
Leistungserbringung und -abrechnung privat versicherter Patienten
Ab einem jährlichen Bruttoeinkommen von 62.550 Euro (Stand: 2020) besteht für den Versicherten ein Wahlrecht zum Wechsel in die private oder zum freiwilligen Verbleib in der gesetzlichen Krankenkasse. Durch Zahlung einer risikoorientierten Prämie versichert sich der Patient direkt bei einem i. d. R. privatwirtschaftlichen Versicherungsunternehmen.
Im Gegensatz zur gesetzlichen fußt die private Krankenversicherung auf dem sog. Kostenerstattungsprinzip: Entsprechend rechnet der Arzt die erbrachte medizinische Leistung direkt mit dem Patienten ab. Anschließend reicht der Patient den Beleg über die ärztlichen Leistungen bei seiner Krankenversicherung ein und erhält, je nach Vertragsbestimmungen, die Kosten ggfs. unter Abzug eines Selbstbehaltes erstattet. Die Abrechnungsgrundlage bildet die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ); sie stellt eine Einzelleistungsvergütung dar: Demnach wird jeder Leistung der GOÄ ein Punktwert als Umrechnungsfaktor in Euro-Cent zugeschrieben. Aufgrund des Behandlungsaufwands, der beispielsweise vom Alter des Patienten oder der Schwere der Erkrankung abhängig ist, kann ein Steigerungsfaktor zwischen dem einfachen und 3,5-fachen Gebührensatz Anwendung finden (Hermanns, 2018, S. 27f.).
Darüber hinaus existieren sog. individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die über die in § 12 SGB V genannten „ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Leistungen“ des Kataloges der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen und den wahlärztlichen Leistungen angehören. Hierunter fallen beispielsweise Früherkennungsuntersuchungen, medizinisch-kosmetischen Leistungen oder Anwendungen mit unklarer Wirksamkeit (BÄK, 2014, S. 27f.). Auch gesetzlich versicherte Patienten haben Zugang zu diesen GOÄ-Leistungen. Allerdings sind IGeL sowohl von privat als auch von gesetzlich Versicherten nur nach schriftlicher Vereinbarung gemäß § 630c BGB abrechenbar und direkt vom Patienten zu begleichen.
Möglichkeiten der Praxisorganisation
Im deutschen Gesundheitssystem existieren diverse Möglichkeiten der Praxisorganisation. Diese reichen von Einzelpraxen über Zusammenschlüsse einzelner Praxen zu Praxisgemeinschaften bis hin zu Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Während Praxisgemeinschaften eher kleinere Organisationseinheiten darstellen, sind in einem MVZ durchschnittlich 6,2 Ärzte beschäftigt (KBV, 2019, S. 3).
Diese Organisationsformen fußen auf unterschiedlichen Geschäftsmodellen und Zielsetzungen. Das MVZ stellt derzeit eine sich zunehmend verbreitende Form dar, weil insbesondere Krankenhäuser die Möglichkeit der Gründung nutzen, um in den ambulanten Sektor vorzudringen.
Eine Arztpraxis ist als gewinnorientiertes Unternehmen zu verstehen, das bestimmte Gesundheitsleistungen produziert. Durch die Erstellung der medizinischen Leistungen werden Produktionsfaktoren verbraucht oder in Anspruch genommen, wofür Kosten anfallen, und durch Leistungsabsatz werden Erlöse erzieht. In Bezug darauf ist das Praxismanagement auf Informationen der Kostenrechnung angewiesen, die für die Planung, Organisation und Überwachung der Produktionsprozesse sowie für die Kalkulation von privaten Leistungen, wie etwa die privat zu entrichtenden individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), notwendig sind.
In diesem Kapitel erfolgt zunächst eine betriebswissenschaftliche Annäherung an die Artpraxis, indem ihre Ziele, Leistungen und Leistungsproduktion erläutert werden. Danach wird das interne und externe Rechnungswesen der Arztpraxis anhand der Zwecke und Adressaten voneinander abgegrenzt. Anschließend findet eine Auseinandersetzung mit den Funktionen der Kostenrechnung in der Arztpraxis statt.