Kreuz und Kraft - Thomas Schmeller - E-Book

Kreuz und Kraft E-Book

Thomas Schmeller

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Beschreibung

In diesem Band von »Kreuz und Kraft" sind Aufsätze zusammengestellt, die sich auf die Jesusüberlieferung und auf die soziale Wirklichkeit frühchristlicher Gemeinden beziehen. Die inhaltliche Klammer besteht in einer Fragestellung, die mal mehr, mal weniger deutlich hervortritt: Wie verhalten sich in den ausgewählten Texten »Kreuz" und »Kraft", also einerseits Schwachheit, Leiden und Scheitern, andererseits Stärke, Einsatz, Erfolg?

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StuttgarterBiblischeAufsatzbände 62

Herausgegeben vonThomas Hieke und Thomas Schmeller

Thomas Schmeller

Kreuz und Kraft I

Untersuchungen zurJesusüberlieferung und zufrühchristlichen Gemeinden

© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2016

Alle Rechte vorbehalten

www.bibelwerk.de

Satz: SatzWeise GmbH, Trier

Druck: Sowa Sp. z.o.o., Warschau

Printed in Poland

ISBN 978-3-460-06621-2

eISBN 978-3-460-51009-8

Für Joachim Gnilka

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Jesus

Gottesreich und Menschenwerk. Ein Blick in Gleichnisse Jesu

In: WiWei 54 (1992) 81–95

»Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?« (Mt 18,33). Zur theozentrischen Ethik der Gleichnisse Jesu

In: Entschluss 47 (1992) 28–33

Das Reich Gottes im Gleichnis. Eine Überprüfung neuerer Deutungen der Gleichnisrede und der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu

In: ThLZ 119 (1994) 599–608

Der Erbe des Weinbergs. Zu den Gerichtsgleichnissen Mk 12,1–12 und Jes 5,1–7

In: MThZ 46 (1995) 183–201

Der Weg der Jesusbotschaft in die Städte

In: BiKi 47 (1992) 18–24

Jesus im Umland Galiläas. Zu den markinischen Berichten vom Aufenthalt Jesu in den Gebieten von Tyros, Caesarea Philippi und der Dekapolis

In: BZ 38 (1994) 44–66

War Jesus Revolutionär? Neue Aspekte einer alten Frage

In: WiWei 60/2 (1997) 163–175

Die Radikalität der Logienquelle: Raben, Lilien und die Freiheit vom Sorgen (Q 12,22–32)

In: BiKi 54 (1999) 85–88

Refléxions socio-historiques sur les porteurs de la tradition et les destinataires de Q

In: A. Dettwiler / D. Marguerat (Hrsg.), La source des paroles de Jésus (Q). Aux origines du christianisme (MoBi), Genf 2008, 149–171

II. Frühchristliche Gemeinden

Urchristliche Gemeindebildung in ihrem sozialen Kontext

In: BiKi 56/4 (2001) 212–218

Das paulinische Christentum und die Sozialstruktur der antiken Stadt. Überlegungen zu Webers »Tag von Antiochien«

In: H. Bruhns / W. Nippel (Hg.), Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich (KSG 140), Göttingen 2000, 107–118

Gegenwelten. Zum Vergleich zwischen paulinischen Gemeinden und nichtchristlichen Gruppen

In: BZ 47 (2003) 167–185

Zum exegetischen Interesse an antiken Vereinen im 19. und 20. Jahrhundert

In: A. Gutsfeld / D.-A. Koch, Vereine, Synagogen und Gemeinden im kaiserzeitlichen Kleinasien (STAC 25), Tübingen 2006, 1–19

Neutestamentliches Gruppenethos

In: J. Beutler (Hg.), Der neue Mensch in Christus. Hellenistische Anthropologie und Ethik im Neuen Testament (QD 190), Freiburg i. Br. 2001, 120–134

Mission im Urchristentum. Definition – Motivation – Konkretion

In: ZNT 15 (2005) 2–11

Stellenverzeichnis

Vorwort

Es ist eine interessante Erfahrung, eigene Aufsätze nach langer Zeit wieder zu lesen. Für mich waren es, genauer gesagt, zwei Erfahrungen: Einerseits wurde mir klar, dass ich älter geworden bin; andererseits, dass sich die Exegese des NT inzwischen verändert hat.

Wenn ich also nicht mehr alles so schreiben würde, wie ich es geschrieben habe, und wenn sich zugleich der wissenschaftliche Diskurs weiterentwickelt hat – warum sollten diese Aufsätze überhaupt noch einmal gedruckt werden? Die einzige Legitimation sehe ich darin, dass die Geisteswissenschaften von hermeneutischer Vielfalt leben. Zwar gibt es sicher Einsichten, die tatsächlich überholt sind und ad acta gelegt werden können, aber nur selten ist sicher zu sagen, welche das sind. Manche totgesagten Textzugänge entfalten irgendwann neues Leben. Diese vage Möglichkeit einer zweiten Chance ist allerdings noch keine ausreichende Begründung. Wichtiger ist die Vielfalt selbst. Das Ziel, dieses bedrohte Gut zu erhalten und zu fördern, rechtfertigt in meinen Augen einen Nachdruck der hier vorgelegten Aufsätze. Nicht nur das unmittelbar Verwertbare ist in den Geisteswissenschaften von Bedeutung, sondern auch das Sperrige und Ungewohnte (oder nicht mehr Gewohnte).

In diesem ersten Band sind Aufsätze zusammengestellt, die sich auf die Jesusüberlieferung und auf die soziale Wirklichkeit frühchristlicher Gemeinden beziehen. In einem zweiten Band werden Aufsätze zu Paulus folgen. Die inhaltliche Klammer besteht in einer Fragestellung, die mal mehr, mal weniger deutlich hervortritt: Wie verhalten sich in den ausgewählten Texten »Kreuz« und »Kraft«, also einerseits Schwachheit, Leiden und Scheitern, andererseits Stärke, Einsatz, Erfolg?

Bei der Vorbereitung dieses Bands haben sich meine Sekretärin Petra Januszewski, meine Hilfskräfte Anna-Lena Meininger und Emma Titow und mein Mitarbeiter Philipp Betz große Verdienste erworben. Sie haben vor allem bei den Aufsätzen, die aus einer noch nicht computerisierten Welt stammen und deshalb eingescannt werden mussten, große Sorgfalt auf die Korrektur verwendet. Philipp Betz hat außerdem das Register der Bibelstellen angefertigt. Ich danke ihnen allen sehr.

Gewidmet ist dieser Band meinem Lehrer Joachim Gnilka in Respekt und Freundschaft.

Frankfurt am Main, im August 2016

Thomas Schmeller

I. Jesusüberlieferung

Gottesreich und Menschenwerk

Ein Blick in Gleichnisse Jesu*

81Übersicht: 1. Das Problem 2. Die Gottes und das Handeln der Menschen 3. Das Handeln der Menschen und die Gottes 3.1 Die Wachstumsgleichnisse 3.2 Suche nach der 3.3 Behinderung der 3.4 Förderung der 3.5 Mk 4, 26–29 4. Zusammenfassung

Für Christen, die sich in Basisgemeinden Lateinamerikas engagieren, ist es überhaupt keine Frage, daß ihr Einsatz für eine gerechtere Gesellschaft ein Einsatz für das von Jesus verkündete Reich Gottes ist, ja noch mehr: eine Bemühung um Verwirklichung dieses Reichs Gottes, wie bruchstückhaft und vorläufig auch immer. In dem von Ernesto Cardenal herausgegebenen »Evangelium der Bauern von Solentiname« findet sich z. B. der folgende Kommentar zur Vaterunser-Bitte »Dein Reich komme«: »Dieses erwartete Reich ist da, wenn Gleichheit herrscht, wenn es Brüderlichkeit unter allen Menschen gibt. Wir hier wollen wirklich, daß dieses Reich komme. Wir sind dabei, es aufzubauen«.1 Was soll und kann man exegetisch dazu sagen? Stehen solche Aussagen in Kontinuität mit der Redeweise Jesu, sind sie legitime Weiterentwicklungen seiner Botschaft, sind sie hermeneutisch berechtigte Neudeutungen, oder haben sie schlicht und einfach keinerlei Grundlage beim historischen Jesus?

Ich werde zunächst das Problem skizzieren, dann die Bedeutung der (Reich, Herrschaft) Gottes für das menschliche Handeln skizzieren und schließlich, in meinem längsten und wichtigsten Punkt, nach der Bedeutung des menschlichen Handelns für die Gottes fragen.

1.Das Problem

Die Frage, um die es gehen soll, ist: Sind in der Verkündigung des historischen Jesus Menschen an der Aufrichtung der aktiv beteiligt? Die beiden einschlägigen Standardwerke im deutschen Sprachraum, R. Schnackenburgs »Gottes Herrschaft und Reich«282 und H. Merkleins »Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip«,3 beantworten diese Frage eindeutig negativ. Ich zitiere Schnackenburg: »Man kann um ihr (der Gottesherrschaft, Th. Sch.) Kommen beten (…), Tag und Nacht zu Gott flehen (…); man soll sie suchen (…), in sie einzugehen trachten und ringen (…); man muß sich auf sie vorbereiten und für sie bereithalten (…) – aber man kann absolut nichts aus eigenen Kräften tun, um ihr Erscheinen herbeizuführen und zu beschleunigen oder auch aufzuhalten und zu verhindern.«4 Nicht weniger deutlich ist Merklein: »Im Grunde gab es auch im Frühjudentum keinen Zweifel daran, daß die Gottesherrschaft letztlich Gottes Sache bleibt (…). Aber bei Jesus ist dies in einer Reinheit gefaßt, die auch nur einen Gedanken, der die Gottesherrschaft als absolute Prärogative Gottes beeinträchtigen konnte, nicht aufkommen ließ.«5 Ich glaube, zeigen zu können, daß beide Zitate einseitig sind und dem Befund der Jesusüberlieferung nicht voll gerecht werden.6

Natürlich kann ich hier nur einen kleinen Ausschnitt dieses schon innerhalb der exegetischen Wissenschaft recht komplexen Themas behandeln, das noch viel schwieriger wird, wenn man hermeneutische und systematisch-theologische Aspekte miteinbezieht. Ich beschränke mich in zweifacher Hinsicht: 1. Ich behandle nur einige Gleichnistexte Jesu – Gleichnisse deshalb, weil wir hier mit relativ hoher Authentizität rechnen dürfen. 2. Ich behandle diese Texte mit einer historisch-kritischen Methode, die einige Erkenntnisse von Literaturwissenschaft und Linguistik zu integrieren versucht.

2.Die Gottes und das Handeln der Menschen

Niemand zweifelt daran, daß die in das Leben der Menschen eingreift und Forderungen an sie stellt. Wenn Jesus die als nahegekommen und als das eschatologische Heilsgut schlechthin verkündet, so beinhaltet diese Verkündigung die Aufforde- 83 rung, sich für die zu entscheiden, sich ihr zu unterwerfen, bildlich gesprochen: die Einladung anzunehmen.

Im Gleichnis vom Schatz (Mt 13,44) arbeitet ein Tagelöhner auf einem Acker, der ihm nicht gehört. Er findet durch Zufall einen Schatz. Dieser Fund veranlaßt ihn zu einer auffälligen Handlungsweise: Er verbirgt den Schatz, verkauft seinen ganzen Besitz und kauft den Acker. Die Legalität und Moralität dieses Vorgehens sind schwer zu beurteilen und sehr umstritten7; m. E. spricht das Verbergen des Schatzes dafür, daß der Mann und dann auch die Hörer sich bewußt waren, daß das Unternehmen etwas zumindest Anrüchiges an sich hat.8 Dann ließe sich sagen, der »Mehr-Wert«9 des Schatzes setzt sich gegenüber anderen, moralischen Werten durch. Keine Frage ist jedenfalls, daß sich der Mehr-Wert gegenüber dem Wert durchsetzt, den der Tagelöhner seinem bisherigen Besitz zumaß: Er verkauft ihn vollständig. Dabei steht nicht der Gedanke eines Opfers, einer Selbstüberwindung im Vordergrund, sondern die beinahe unwiderstehliche Anziehungskraft des Schatzes. Wenn es sich mit der so verhält, dann ist sie eine Erfahrung, die Menschen in der Begegnung mit Jesus machen konnten und die einen Anspruch an sie erhob: den Anspruch, alle anderen Werte zu relativieren und die eigene Existenz in Entschiedenheit auf diesen zentralen Mehr-Wert auszurichten. Diese Relativierung anderer Werte kommt in so anstößigen Jesusworten zum Ausdruck wie: »Folge mir und laß die Toten ihre Toten begraben!« (Mt 8,22), was den Ruf in eine Lebensweise als Wandercharismatiker bedeutet, der Familie, Heimat, Besitz und Beruf hinter sich läßt, um Jesus nachzufolgen.

H. Merklein bezeichnet im Titel seines bereits genannten Buchs die treffend als »Handlungsprinzip«. Er zeigt, daß es dabei nicht nur um ein formales Handlungsprinzip geht, das in einer grundlegenden Neuorientierung des Menschen und in einer Provokation zum Handeln unter dem Anspruch der besteht, wie es im Gleichnis vom Schatz zum Ausdruck kommt. Die ist auch ein materiales Handlungsprinzip, das »das provozierte Handeln in einer bestimmten Weise – wenigstens in den Grundzügen – festlegt und daher gleichzeitig eine Bewertung des konkreten Handelns gestattet«.10 Insbesondere sind für Merklein die beispielhaften Forderungen der Bergpredigt solche Konkretisierungen. Man könnte dafür ohne weiteres auch Gleichnisse anführen, besonders die vier 84 sogenannten Beispielerzählungen.11 Diese Texte, die vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10,30–37), vom reichen Kornbauern (Lk 12,16–20), vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19–31) und vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,10–14) handeln, scheinen mir zwar nicht gleichermaßen eng auf die bezogen wie die meisten anderen Gleichnisse. Dennoch ist eine Verbindung mit der wenigstens indirekt über die allgemeine eschatologische Begründung der Ethik Jesu gegeben.12 Diese Texte bieten also Beispiele konkreten Handelns, das der entspricht oder nicht entspricht, und zwar gegenüber dem Nächsten in verschiedenen Hinsichten: dem Feind (der barmherzige Samaritaner), dem Armen (der reiche Kornbauer, der reiche Mann und der arme Lazarus), dem Sünder (der Pharisäer und der Zöllner).

Bis hierher bleibt alles beim alten. Daß die menschliches Handeln betrifft, ist kaum strittig. Wesentlich kontroverser ist die Frage, der ich mich jetzt zuwende: Betrifft menschliches Handeln auch die ?

3.Das Handeln der Menschen und die Gottes

Von vornherein ist klar, daß die Ausgangsfrage dann jedenfalls zu verneinen ist, wenn die als eine statische und rein zukünftige Größe gedacht wird. Das neue Jerusalem etwa, das nach manchen apokalyptischen Texten im Himmel fix und fertig bereitliegt und am Ende der Tage in Erscheinung treten wird,13 kann von menschlichem Handeln kaum betroffen werden: Menschen können unter Umständen sein Erscheinen beschleunigen und insofern indirekt Einfluß nehmen, aber dann wird eben nicht das Heilsgut selbst betroffen,14 sondern lediglich der Zeitpunkt seines Kommens. In der Jesusüberlieferung ist dagegen die eine dynamische Größe, die bereits in der Gegenwart wirksam ist.

3.1Die Wachstumsgleichnisse

85 Das wird besonders deutlich in den Wachstumsgleichnissen (die Gleichnisse vom Sämann [Mk 4,3–8parr], vom Wachsen der Saat [Mk 4,26–29], vom Senfkorn [Mk 4,30–32parr], vom Unkraut unter dem Weizen [Mt 13,24–30] und auch das Gleichnis vom Sauerteig [Mt 13,33par]), von denen ich nur das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen aus der Betrachtung ausscheide, weil es sich hier m. E. um eine Bildung der frühen Gemeinde handelt.15

Nach weitverbreiteter Überzeugung sind die Wachstumsgleichnisse eigentlich Kontrastgleichnisse. Diese Meinung geht hauptsächlich auf das einflußreiche Gleichnisbuch von Joachim Jeremias zurück. Jeremias schreibt zu den Gleichnissen vom Senfkorn und Sauerteig: »In den beiden Gleichnissen ist nicht etwa eine Entwicklung geschildert, das wäre abendländisch gedacht. Der Morgenländer denkt anders, er faßt Anfangs- und Endstadium ins Auge, für ihn ist in beiden Fällen das Überraschende: die Aufeinanderfolge zweier grundverschiedener Zustände«.16 Ganz in diesem Sinne liest etwa Ingrid Maisch, in diesem Punkt eine Vertreterin der communis opinio, das Senfkorngleichnis in seinen beiden Fassungen (Q und Mk) so: »In beiden Fassungen stehen sich unverbunden zwei Stadien gegenüber: 1. Stadium: das Senfkorn wird gesät. 2. Stadium: Es geht auf (bzw. wächst) und treibt große Zweige (bzw. wird ein Baum)«.17 Maisch sieht, daß hier von einem »Aufgehen« (Mk) bzw. »Wachsen« (Q) des Samenkorns die Rede ist. Aber unter dem Einfluß der Vorstellung, daß es sich um ein Kontrastgleichnis handelt, weist sie das Wachstum dem zweiten Stadium zu, das »unverbunden« neben dem ersten stehen soll. In neueren Veröffentlichungen bahnt sich ein differenzierteres Urteil über diese Gleichnisse an.18 Die Kontinuität zwischen Samen und Pflanze ist ernst zu nehmen: Es ist eben ein Geschehen am Samenkorn, das zur Pflanze führt, auch wenn dieses Geschehen als göttlich-wunderbar angesehen wird. Nur wegen dieser Kontinuität kann die Pflanze im Gleichnis dazu verwendet werden, die Zuversicht Jesu in das sichere Kommen der auszudrücken: So sicher, wie der Samen zur Pflanze wird und auf das Säen das Ernten folgt, so sicher wird auf den Anfang der in der Gegenwart ihre Vollendung in der Zukunft folgen. Mit einem solchen Verständnis der Wachstumsgleichnisse ist der Kontrast, den sie enthalten, nicht geleugnet. Aber dieser Kontrast, die Diskontinuität, ist nur ein Aspekt – ein komplementärer Aspekt ist die Kontinuität des Wachstums.

      86 Die Überbetonung des Kontrasts im 20. Jahrhundert ist sicher eine Reaktion auf die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts.19 Sie hat aber einen Vorläufer in der Überlieferungsgeschichte des Senfkorngleichnisses im 1. Jahrhundert. Der synoptische Vergleich zeigt, daß die Q-Fassung im Unterschied zur mk Fassung den expliziten Hinweis auf die Kleinheit des Samenkorns und die Größe der Pflanze nicht enthielt. Nur bei Mk lesen wir, daß das Korn das kleinste und die Staude die größte von allen ist. Andererseits ist die entwickelte Pflanze in Q ein (Baum) statt ein (Gemüsegewächs), was eine klare Verfremdung des botanischen Sachverhalts ist. Die überzeugendste traditionsgeschichtliche Deutung dürfte sein, daß sowohl Mk (oder ein vormk Tradent) wie Q sich der Spannung bewußt waren, die das jesuanische Gleichnis enthielt: daß – in einem allegorisierenden Verständnis – die vollendete nicht mit einer stolzen Zeder des Libanon verglichen wird, wie man es nach atl Vorgaben (etwa Ez 17,23) hätte erwarten dürfen, sondern mit einem nicht besonders repräsentativen Senfgewächs!20 In beiden Traditionssträngen wurde, um diese Spannung zu mindern, der Kontrast zwischen Samen und Pflanze verstärkt: bei Mk durch die Einführung des Gegensatzpaars »kleinstes-größtes«, bei Q durch die Einsetzung eines Senfbaums. Diese traditionsgeschichtliche Einsicht bestätigt, daß im Senfkorngleichnis ursprünglich nicht nur der Kontrast, sondern auch das Wachstum eine Rolle spielte.

Die Bedeutung des Wachstums läßt sich auch am (unglücklicherweise sogenannten) Gleichnis vom Sämann (Mk 4,3–8) sehen, hier nicht nur in einer erschlossenen Vorform, sondern noch im Gleichnis in seiner mk Endgestalt. Als Kontrastgleichnis lesen kann man es nur dann, wenn man die drei Mißgeschicke der Saat auf dem Weg, auf dem Felsboden und unter den Dornen zu einer Gruppe zusammenfaßt und diese mit dem dreifach gestaffelten Ertrag des guten Bodens kontrastiert. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß die Mißgeschicke so einheitlich nicht sind. Die Körner auf dem Weg kommen nicht einmal zum Keimen, sondern werden nach wenigen Minuten oder Stunden von Vögeln gefressen. Die Körner auf dem Felsboden gehen wenigstens auf, werden dann aber von der Sonne des nächsten oder eher eines der folgenden Tage versengt. Die Körner unter den Dornen gehen nicht nur auf, sondern wachsen regelrecht, bis sie, wohl nach einigen Wochen, von den Dornen erstickt werden. Es gibt hier also sowohl im Grad des Wachstums wie in der Überlebensdauer der Samen eine aufsteigende Linie.21 Es geht nicht um alles oder nichts, sondern es gibt Annäherungen.

      87 Am selben Gleichnis lassen sich zwei weitere Beobachtungen machen. Die erste hat mit Gegenwart und Zukunft der zu tun. Aussaat und Ernte werden auch in apokalyptischen Texten herangezogen, um das Verhältnis der Gegenwart zur zukünftigen Heilszeit zu beschreiben. In 4 Esr 4,28 f. stellt sich dieses Verhältnis so dar:

Denn das Böse, wonach Du mich fragst, ist ausgesät; aber seine Ernte ist noch nicht gekommen. Bevor also nicht geerntet ist, was ausgesät war, und der Platz nicht verschwunden ist, wo das Böse gesät worden war, wird der Acker nicht erscheinen, wo das Gute gesät ist.22

Der gegenwärtige, vorfindliche Acker ist schlecht, der zukünftige Acker ist gut. Anders als in unserem Gleichnis können nicht beide koexistieren.

Die zweite Beobachtung geht auf die Rolle des Sämanns. Es ist auffällig, daß er nur im Einleitungsvers genannt ist: »Siehe, hinaus ging ein Sämann zu säen«. Schon im nächsten Vers kommt er nur noch indirekt vor: »Beim Säen (nicht einmal: bei seinem Säen) fiel ein Teil auf den Weg«. Im weiteren Verlauf ist immer nur vom »Fallen« des Samens ( bzw. [anderes fiel]), nicht vom Säen die Rede. Man wird deshalb in der Person des Sämanns kaum den zentralen Aktanten des Gleichnisses sehen dürfen. Auch die sekundär angehängte Deutung des Gleichnisses verzichtet auffälligerweise auf eine allegorische Deutung des Sämanns auf Jesus. Die interpretierende Gemeinde hat hier richtig erkannt, daß die Gleichnisstruktur andere Akzente setzt. Es geht nicht um die Tätigkeit Jesu für die , sondern um die bereits in der Gegenwart erfahrbare selbst, um die Widerstände, denen sie ausgesetzt ist, und um ihre unausbleibliche Vollendung.

Wir haben damit ein Bild der rekonstruiert, das eine aktive menschliche Beteiligung an ihr nicht von vornherein ausschließt: Sie hat den Charakter eines dynamischen Geschehens, steht zur Zukunft in einem eigenartigen Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität zugleich und ist in Jesu Auftreten gegenwärtig, aber nicht auf dieses beschränkt.23 Der nächste Schritt wird sein zu zeigen, daß eine solche Beteiligung im Rahmen der Verkündung Jesu nicht nur denkbar ist, sondern in ihr auch tatsächlich eine Rolle spielt. Dieses Vorhaben sieht sich vor der Schwierigkeit, daß wir kein Gleichnis Jesu haben, in dem menschliches Handeln eindeutig und unmißverständlich als eine Teilnahme an der Realisierung der gezeigt wird. Ein solches Gleichnis könnte etwa davon sprechen, daß ein Mensch Saatgut in seiner Scheune bereitlegt und die Knechte beauftragt, die Saat zu säen. Statt dessen stellt sich uns ein Gleichnis entgegen, das davon spricht, daß die 88 Erde von selbst ihre Frucht trägt, ohne daß der Bauer auch nur weiß, wie das geschieht (Mk 4,26–29). Mit diesem Text, der oft das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat genannt wird und meine These zu widerlegen scheint, werden wir uns noch befassen müssen. Zunächst soll die These belegt werden.

3.2Suche nach der

Wir haben schon gesehen, daß die dem Menschen zufallen kann wie ein überraschendes Geschenk, oder besser: wie eine unerwartete Gelegenheit, ein Angebot, das nichts als entschlossenes Zugreifen erfordert. Das ist nicht die einzige Möglichkeit. Die kann auch gesucht und im Laufe der Suche gefunden werden. Diese beiden Möglichkeiten sehen wir nebeneinander im sogenannten Doppelgleichnis vom Schatz und der Perle (Mt 13,44–46). Die beiden Gleichnisse enthalten Unterschiede, die gerne übersehen werden. Im Gleichnis von der Perle geht es nämlich nicht um einen rein zufälligen Fund wie beim Schatz im Acker. Der Kaufmann ist auf der Suche nach schönen Perlen. Er reagiert auf den Fund ähnlich wie der Tagelöhner auf die Entdeckung des Schatzes. Aber der Fund selbst ereignet sich anders. Man kann überspitzt sagen, daß beim Gleichnis vom Schatz das eigentliche Subjekt der Handlung der Schatz ist;24 im Gleichnis von der Perle sind es die Perle und der Perlenkaufmann! Gegen diese Sicht ist ein Einwand möglich, der mit einem Paralleltext im Thomasevangelium (Logion 76) argumentiert:

»Jesus sprach: Das Reich des Vaters gleicht einem Kaufmann, der eine Warenladung hatte (und) eine Perle fand. Der kluge Mann verkaufte die Warenladung; er kaufte sich einzig die Perle«25.

Manche Exegeten halten diese Fassung für ursprünglicher zumindest in dem Punkt, daß im Munde Jesu der Kaufmann kein Perlenkaufmann war wie bei Mt, sondern ein ganz gewöhnlicher Händler, der ebenso zufällig auf die Perle trifft wie der Tagelöhner auf den Schatz im Acker.26 Diese traditionsgeschichtliche Hypothese halte ich für ganz unwahrscheinlich. Zwischen Tagelöhner und Schatz gibt es nämlich ein Bindeglied: den Acker, in dem man einen Schatz vergraben und den ein Tagelöhner bearbeiten kann. Zwischen einem Kaufmann und einer Perle gibt es ein solches Bindeglied nicht, die beiden haben nichts miteinander zu tun, es sei denn, der Kaufmann ist eben ein Perlenkaufmann. Aus dem Nebeneinander dieser ursprünglich wohl selbständigen Gleichnisse ergibt sich also: Das Suchen der ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für das Finden: Man kann sie ohne Suchen finden und man kann sie trotz Suchens verfehlen. Aber es kann auch vorkommen, daß jemand sie sucht und findet.

89 3.3 Behinderung der

Das Gleichnis vom Sämann hat vorhin dazu beigetragen, die als ein dynamisches Geschehen zu erfassen. Dasselbe Gleichnis ist jetzt noch in einer anderen Hinsicht interessant: Es zeigt, daß Menschen dieses Geschehen behindern können, daß sie seine Vollendung aber nicht verhindern werden. In einer detaillierten Analyse dieses Gleichnisses in der Biblischen Zeitschrift von 1986 hat Gerhard Lohfink wahrscheinlich gemacht, daß das Bild des Säens hier auf die atl und frühjüdische Vorstellung von der heilvollen zukünftigen Aussaat bzw. Einpflanzung des Gottesvolks Bezug nimmt.27 Ein wichtiger atl Vergleichstext ist Jer 31,27 f.:

Seht, es werden Tage kommen – Spruch des Herrn –, da säe ich über das Haus Israel und das Haus Juda eine Saat von Menschen und eine Saat von Vieh. Wie ich über sie gewacht habe, um auszureißen und einzureißen, zu zerstören, zu vernichten und zu schaden, so werde ich über sie wachen, um aufzubauen und einzupflanzen – Spruch des Herrn.

Gott wird Israel in der kommenden Heilszeit wieder »ansäen« und es als sein Volk restituieren. Ähnlich ist die Saatmetaphorik in der Apokalyptik verwendet, so etwa in äth Hen 62,8:

Und die Gemeinde der Heiligen und Auserwählten wird gepflanzt werden, und alle Auserwählten werden an jenem Tage vor ihm (dem Menschensohn, Th. Sch.) stehen.28

Das heilvolle Pflanzen (oder Säen) des Gottesvolks ist hier für »jenen Tag« vorgesehen, d. h. für den rein zukünftigen Termin der Äonenwende. Das Jesusgleichnis basiert auf dieser geprägten Metaphorik, aber setzt sie anders ein. Es beschreibt mit dem Säen das gegenwärtige Heilshandeln Gottes in der menschlichen Geschichte, das »Ansäen« des Volks der . Wenn es aber um ein Geschehen in der menschlichen Geschichte geht, dann sind die Opponenten (Vögel, Sonne, Dornen) ebenfalls auf dieser Ebene zu suchen. Joachim Jeremias deutet die Widerstände auf die Mißerfolge Jesu »in Gestalt vergeblicher Predigt (Mk.6,5 f.), erbitterter Gegnerschaft (Mk.3,6), zunehmenden Abfalls (Joh.6,60)«.29 Auch wenn man so konkret nicht werden will, wird man doch die Widerstände, die die zu überwinden hat und die sie zuverlässig überwinden wird, zumindest auch im Widerstand von einzelnen Menschen und Menschengruppen sehen müssen. Daß die Annäherungen an die im Fall der ersten drei Saatmengen Annäherungen bleiben und nicht zur Reife gelangen, hat mit negativer menschlicher Aktivität zu tun. Die wird so behindert, aber nicht verhindert.

90 3.4 Förderung der

Schließlich – um nun den letzten Schritt zu tun – wird man auch sagen dürfen: Die kann von Menschen gefördert werden. Hier sind besonders zwei Knechtsgleichnisse relevant: das Gleichnis vom anvertrauten Geld (Mt 25,14–30 par) und das Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger (Mt 18,23–35). Beide Gleichnisse kann man zunächst als »Entsprechungsgleichnisse« lesen, d. h. als Erzählungen, die deutlich machen, wie ein der entsprechendes Verhalten aussieht. In dieser Hinsicht hätten sie unter Punkt 2 behandelt werden können, zusammen mit den Beispielerzählungen. Beide gehen aber darin nicht auf. Sie machen deutlich, was diese Entsprechung meint: ein Geschehen weiterzutragen, sich in eine Bewegung hineinzubegeben. Im Fall des anvertrauten Gelds ist es m. E. völlig unzureichend, das Gleichnis auf den Umgang mit der Tora zu deuten. In solchen Versuchen wird dann von den ersten beiden Sklaven, die mit dem Kapital ihres Herrn wuchern und es verdoppeln, der freie, kreative Vollzug des Gotteswilllens symbolisiert. Der dritte, ängstliche Sklave soll dagegen die Schriftgelehrten repräsentieren, die, »durch Selbstsucht und leichtfertige Mißachtung der Gabe Gottes verleitet, das Wort Gottes um seine Wirkung gebracht haben«.30 Viel eher steht m. E. die Herausforderung im Zentrum, die das anvertraute Geld für die Sklaven bedeutet, ohne daß das Geld selbst gedeutet werden müßte. Man kann auf diese Herausforderung verschieden reagieren. Die richtige Reaktion, vorgeführt von den ersten beiden Sklaven, ist vorbildlich nicht so sehr wegen ihrer Freiheit, sondern wegen ihrer Kontinuität mit dem Handeln des Herrn. Der Herr gibt die Talente bzw. Minen ja nicht, damit die Sklaven Gelegenheit haben, für sich einen Gewinn zu erwirtschaften – anderenfalls würde die Behandlung des dritten Sklaven keinen Sinn machen. Dem Herrn liegt vielmehr daran, noch in seiner Abwesenheit den größtmöglichen Profit aus seinem Besitz zu ziehen. Er ist wohl tatsächlich der »harte Mensch, der erntet, wo er nicht gesät hat, und sammelt, wo er nicht ausgestreut hat«, wie ihn der dritte Sklave beschreibt. Die beiden ersten Sklaven werden von diesem Herrn gerade deshalb gelobt, weil sie handeln wie er. Sie sind gute und zuverlässige Sklaven nicht, weil sie nichts veruntreut haben, sondern weil sie ganz im Sinne ihres Herrn und mit denselben Methoden tätig waren und die Art von Resultat erzielen, die der Herr normalerweise selbst erzielt. Sie haben von ihm gelernt und treten in seine Fußstapfen.31

Im dritten Sklaven und auch im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger haben wir das Gegenbild. Der dritte Sklave nimmt die Herausforderung nicht an – er vergräbt das Geld. Der unbarmherzige Gläubiger, dem selbst die riesige Schuld erlassen wird und der nicht bereit ist, seinerseits eine relativ geringfügige Schuld zu erlassen, bekommt zu hören: »Hättest nicht auch du mit deinem Mitsklaven Erbarmen haben müssen, wie ich mich dei- 91 ner erbarmt habe?« (Mt 18,33). Dieses » – « (auch du – wie ich), die Fortführung der »Sache« des Herrn in eigener Verantwortung ist das, was diese beiden Gleichnisse untereinander und mit unserer Fragestellung verbindet. Die wird von Gott initiiert, aber die Menschen sind aufgerufen, sich an dieser Initiative zu beteiligen und in ihr selbst initiativ zu werden.

Ein Beispiel: Eine konkrete Erscheinungsform dieser Beteiligung waren der Ruf Jesu in die Nachfolge und die Bereitschaft von Menschen, in eine Schicksalsgemeinschaft mit ihm einzutreten. Offenbar zog der engere Jüngerkreis Jesu nicht immer zusammen mit Jesus umher, sondern wurde auch zu eigener Proklamation der in Wort und Wundertat ausgesandt; die synoptischen Aussendungsberichte dürften einen historischen Kern enthalten. In der gleichen Weise, wie Jesus selbst als Wandercharismatiker das Gottesvolk der Endzeit zu sammeln versuchte, so taten es seine Jünger, wenn auch nur mit abgeleiteter, geringerer charismatischer Autorität. Die standen wie er im Dienst der .32

Soviel ist inzwischen klar:

1.Das Finden der hängt nicht am menschlichen Suchen, aber es kann geschehen, daß jemand die sucht und findet.

2.Menschen können die nicht verhindern, aber sie können sie behindern.

3.Menschen können die nicht in Gang bringen, aber sie können sie fördern.

3.5Mk 4,26–29

Wie läßt sich damit nun ein Text vereinbaren, der eine andere Sicht der nahezulegen scheint: das Saatgleichnis in Mk 4,26–29? Die Benennung des Gleichnisses führt uns mitten in seine Probleme hinein. Es wird meist als das »Gleichnis von der selbstwachsenden Saat« zitiert. Die hierin enthaltene Deutung, wonach der Skopus des Gleichnisses in der vom Menschen unabhängigen Verbindung von Saat und Ernte zu finden sei, ist natürlich nicht die einzige.33 Im 19. Jahrhundert stand das Wachstum der Saat als eine Entwicklung und schrittweise Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft im Vordergrund.34 Nach der Wiederentdeckung des eschatologischen Jesus sah man im 20. Jahrhundert zunächst die Ernte als das Zentrum des Gleichnisses, entweder als eine für Jesus rein zukünftige Größe wie in der »konsequenten Eschatologie« Albert Schweitzers oder als eine bereits gegenwärtige Größe wie in der »realisierten Eschatologie« von Charles Harald Dodd. Heute dagegen wird als der Skopus des Gleichnisses normalerweise35 das Verhältnis Saat–Ernte 92 und die abwartende Haltung des Sämanns bestimmt. Das Anliegen wäre dann: Die kommt allein durch die Aktivität Gottes; der Mensch kann nichts dazu tun, er kann nur geduldig, aber auch zuversichtlich warten.36

Ich halte diese Sicht für einseitig. Zunächst ist schlicht festzustellen, daß im Gleichnis der Mensch, der sät, schläft, wieder aufsteht, der nicht weiß, wie die Saat wächst, und schließlich die Sichel zur Ernte schickt, ein und dieselbe Person ist. Das macht Probleme. Wollen wir die Aktivität dieses Menschen als ein Bild für göttliche Aktivität sehen, ist nicht erklärbar, wieso sein Nichtwissen betont wird; außerdem bricht dann die Deutung auf das geduldige Warten von Menschen ohnehin zusammen. Sehen wir die Aktivität des Bauern aber als ein Bild für menschliche Aktivität, dann ist seine Einleitung der Ernte befremdlich, denn v. 29 enthält eine Anspielung auf Joel 4,12 f.:

Die Völker sollen aufbrechen und heraufziehen zum Tal Joschafat. Denn dort will ich zu Gericht sitzen über alle Völker ringsum. Schwingt die Sichel, denn die Ernte ist reif.

Der Schlußvers des Gleichnisses kann wegen dieser Anspielung nicht anders als auf das göttliche Endgericht bezogen werden. Wollen wir als dritte Möglichkeit annehmen, Jesus spreche hier von seiner eigenen Aktivität, ist zumindest die Bedeutung des Bauern für die Ernte unerklärlich: Ein solches Selbstverständnis wird man dem historischen Jesus nicht zuschreiben. Nicht legitim scheint mir der Ausweg, die Gestalt des Bauern in einem Teil des Gleichnisses für göttliche, in einem anderen Teil für menschliche Aktivität auswerten zu wollen.37 Die Einheit der Erzählung ist zu respektieren.

Ein Teil dieser Probleme löst sich nun, wenn man die Traditionsgeschichte des Gleichnisses rekonstruiert. Uns interessiert hier nur der Schluß, die Anspielung auf Joel. Schon J. Wellhausen hat diesen AT-Verweis für sekundär gehalten: »Der Schluß 4,29 schießt über. 93 Durch den Bauer guckt der Weltrichter hervor, der hier nichts zu tun hat«.38 Diese Auffassung ist immer wieder bestritten worden.39 Die Verfechter der Einheitlichkeit übersehen allerdings regelmäßig die eben skizzierte Problematik: Auf welcher Ebene soll das Gleichnis denn dann zu lesen sein? Mit Hans-Josef Klauck plädiere ich deshalb dafür, daß der Schluß des Gleichnisses ursprünglich etwa so lautete: »Wenn die Frucht reif ist, kommt er, um sie zu ernten«.40

Diese Fassung des Gleichnisses kann man nun ohne weiteres als eine Geschichte über die Aktivität eines normalen Bauern hören, der sich zwar auf Aussaat und Ernte versteht, aber das dazwischenliegende Wachstum nicht versteht und nicht bewirken kann. Allerdings könnte man sich immer noch über die völlige Passivität des Bauern zwischen Saat und Ernte wundern: Müßte er nicht wenigstens etwas gegen das Unkraut tun? Ist er ein Faulenzer?41

Das Gleichnis besteht hauptsächlich aus zwei Sequenzen, eine mit dem Menschen, die andere mit dem Samen als Subjekt. Der Mensch sät, schläft und steht auf Nacht und Tag – der Same sproßt und treibt Halm, Ähre, Korn. Die Sequenz des Menschen ist inhaltlich zirkulär: Nach dem Säen wiederholt sich die Abfolge von Nacht und Tag und von Schlafen und Aufstehen immer wieder; was hier geschildert ist, ist nichts anderes als der Alltagstrott des Bauern, der durchaus auch weitere Feldarbeit beinhalten mag. Die Sequenz des Samen dagegen ist linear: Er entwickelt sich kontinuierlich bis zum vollständigen Getreidehalm. Die beiden Sequenzen vollziehen sich gleichzeitig. Sie sind in positiver und negativer Hinsicht miteinander verknüpft: Positiv gehört es zum zirkulären Tun des Bauern, die Sequenz des Samens auszulösen und zu beenden – er tut das Jahr für Jahr; negativ gesehen ist die Sequenz des Samens der Kontrolle des Bauern entzogen.

Was hat das nun mit der zu tun? Mir scheint gerade das eigentümliche Verhältnis von Neben- und Ineinander der beiden Sequenzen charakteristisch für die Eschatologie Jesu. Der Ausschnitt aus dem zirkulären Leben des Bauern verrät weisheitlich geprägtes Denken. Er erinnert an Ps 127,2:

Es ist umsonst, daß ihr früh aufsteht und euch spät erst niedersetzt, um das Brot der Mühsal zu essen; denn der Herr gibt es den Seinen im Schlaf.42

Dieser hyperbolische Psalmvers will sicher nicht dazu auffordern, die Hände in den Schoß zu legen; menschliche Tüchtigkeit hat in der Weisheitsliteratur einen hohen Stellenwert. Aber es ist eine Tüchtigkeit, die die Welt als Schöpfung Gottes betrachtet und bearbei- 94 tet. In diesem Sinne ist die Tätigkeit des Bauern in unserem Gleichnis zu verstehen: Er durchwacht nicht arbeitend die Nächte, sondern paßt sich in seinem Schlafen und Aufstehen dem Schöpfungsrhythmus von Nacht und Tag an; und er weiß, daß das schöpfungsgemäße Geschehen des Wachstums seiner Kontrolle entzogen ist.

Dieser weisheitlich-schöpfungstheologische Aspekt ist die eine Seite des Gleichnisses. Sie wird in allen Deutungen übersehen. Die andere Seite, die apokalyptische, beherrscht die gängigen Interpretationen. Wir haben bereits gesehen, daß die Metaphorik von Aussaat und Ernte auch in der Apokalyptik eine große Rolle spielt. Die Ernte kann hier zum Bild für das Endgericht werden. Richtet man die Aufmerksamkeit nur auf die Sequenz des Samens, dann ist verständlich, warum die Herbeiführung der allein durch das Wirken Gottes als das Zentrum des Gleichnisses gilt. Im Grunde macht man damit Jesus zum Über-Apokalyptiker, trotz aller angeblich anti-zelotischen Ausrichtung: Für apokalyptisches Denken (im weitesten Sinn) stand Gottes Endheil in Diskontinuität zur Geschichte und war mit der gegenwärtigen Welt nicht vereinbar; Menschen konnten nur, aber immerhin, etwas dafür tun, daß Gott bald eingreifen möge.43 Für Jesus wäre die ebenfalls streng außergeschichtlich, aber Menschen könnten nicht einmal etwas für Gottes baldiges Eingreifen tun. Soweit diese Deutung mit unserem Gleichnis zu tun hat, wird hier der weisheitlich-schöpfungstheologische Aspekt schlicht übersehen. Berücksichtigt man dagegen beide Aspekte, ist Mk 4,26–29 kein Einwand gegen meine früheren Überlegungen.

Das beschriebene Neben- und Ineinander von Schöpfungstheologie und apokalyptischer Theologie stellt natürlich nicht Gott und Mensch auf die gleiche Ebene. Aber der Einbruch der in eine als gute Schöpfung verstandene Welt nimmt dieser etwas von ihrer vollständigen Jenseitigkeit. Sie wird dadurch weder einsichtig noch verfügbar. Wie der Bauer im Gleichnis versteht der Mensch sich im Grunde nicht auf sie; aber das, worauf er sich versteht – im Gleichnis: das Säen und Ernten –, dafür ist er auch verantwortlich. Mk 4,26–29 ist deshalb nicht nur kein Einwand gegen meine Überlegungen – insofern hier Schöpfung und positiv aufeinander bezogen sind, sehe ich dieses Gleichnis vielmehr als Bestätigung.44

95 4. Zusammenfassung

Entgegen einer starken Strömung in der heutigen Exegese scheinen mir die eingangs genannten lateinamerikanischen Vorstellungen von einer aktiven menschlichen Beteiligung an der Durchsetzung der tatsächlich dem Bild der zu entsprechen, das wir in den Jesusgleichnissen antreffen. Der Grund dafür liegt, kurz gesagt, in der Verbindung zwischen weisheitlichem Schöpfungsdenken und apokalyptischer Enderwartung. Diese Verbindung resultiert in einer Aufwertung des menschlichen Handelns.

Es ist nicht leicht, diese Erkenntnis in eine sinnvolle Sprachregelung umzusetzen. Die Kennzeichnung der als einen »Entwicklungsprozeß«, in dem Menschen »mitarbeiten« können, sollte man wegen der dann naheliegenden Assoziationen von Evolution und Synergismus vermeiden. Zu Richard Rothe und Albrecht Ritschl wollen wir nicht zurück. Das Eingangszitat aus Solentiname tendiert in diese Richtung und wird dem historischen Befund der Jesusüberlieferung darin nicht gerecht, daß es deren apokalyptischen Aspekt unterschlägt. Ob das hermeneutisch gerechtfertigt ist, wäre eigens zu untersuchen.

Sinnvoller, allerdings etwas umständlich ist es, von einem »Dienst an der Sache des nahen Gottesreiches«45 oder von einer Wahrnehmung der »durch Gott in der Geschichte erschlossene(n) neue(n) Lebensmöglichkeit(en)«46 zu sprechen. Vielleicht könnte man die einfach ein »Projekt Gottes« (C. Mesters47) nennen: Dieses Projekt ist eine Initiative Gottes – die Menschen sind aufgerufen, in seiner Realisierung initiativ zu werden.

*Der vorliegende Aufsatz geht auf einen Vortrag zurück, den ich im November 1990 am Kath.-Theol. Seminar der Freien Universität Berlin und im Mai 1991 an der Kath.-Theol. Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gehalten habe. – Die Abkürzungen von Zeitschriften, Reihen und Lexika richten sich nach: Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, zusammengestellt von S. Schwertner, Berlin 1976.

1E. Cardenal, Das Evangelium der Bauern von Solentiname. Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika I, Gütersloh 41981, 97.

2R. Schnackenburg, Gottes Herrschaft und Reich. Eine biblisch-theologische Studie, Freiburg 1959.

3H. Merklein, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip. Untersuchung zur Ethik Jesu (Forschung zur Bibel 34), o. O. (Würzburg) 1978.

4Gottes Herrschaft (s. Anm. 2) 55.

5Gottesherrschaft (s. Anm. 3) 125.

6Obwohl diese Zitate immer noch für die communis opinio stehen können, gibt es einige neuere Ansätze, die menschlichem Handeln größere Bedeutung für die von Jesus verkündete zuschreiben. Ein paar Beispiele: G. Lohfink, Die Not der Exegese mit der Reich–Gottes–Verkündung Jesu, in: ThQ168 (1988) 1–15, hier 12: »Das Kommen der Basileia ist ganz und restlos Werk Gottes, und es ist ganz und restlos Werk des Menschen. (…) Das Kommen des Reiches ist unvermischt und doch ungetrennt Werk Gottes und Werk des Menschen«; W Simonis, Jesus von Nazareth. Seine Botschaft vom Reich Gottes und der Glaube der Urgemeinde. Historisch–kritische Erhellung der Ursprünge des Christentums, Düsseldorf 1985, 266: »Es kann also gar keine Frage sein, daß die basileia Gottes für Jesus nicht eine Wirklichkeit ist, die sich am Tun der Menschen vorbei verwirklicht. (…) Eindeutig ist, daß für Jesus Gottes basileia mit dem Denken, der Einstellung und dem Handeln der Menschen zu tun hat. Sie verwirklicht sich, sie wird konkret erfahrbar, wenn und wo Menschen den Willen Gottes tun (…)«; I. H. Marshall, The Hope of a New Age: the Kingdom of God in the New Testament, in: Themelios 11 (1985) 5–15, hier 13: »(…) the Messiah or son of Man is the leader of a group which is not only subject to God as king but also acts in unison to spread the KG (= Kingdom of God, Th. Sch.). The idea that the KG expands of its own accord independently of the action of God’s agents is thoroughly false«.

7Zur neueren Diskussion vgl. Hedrick Ch. W., The Treasure Parable in Matthew and Thomas, in: Forum (Foundations and Facts) 2/2 (1986) 41–56, hier 49–52; Scott B. B., Hear then the Parable. A Commentary on the Parables of Jesus, Minneapolis 1989, 398–401.

8Treffend resümiert J. D. Crossan, Finding Is the First Act. Trove Folktales and Jesus’ Treasure Parable (Society of Biblical Literature Semeia Suppl.), Philadelphia 1979, 91: »If the treasure belongs to the finder, buying the land is unnecessary. But, if the treasure does not belong to the finder, buying the land is unjust« (Herv. original).

9E. Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie (HUTh 2), Tübingen 1962, 143.

10Merklein, Gottesherrschaft (s. Anm. 3) 42.

11Die Existenz einer Untergattung von Beispielerzählungen ist vielfach bestritten worden (vgl. etwa E. Baasland, Zum Beispiel der Beispielerzählungen. Zur Formenlehre der Gleichnisse und zur Methodik der Gleichnisauslegung im Neuen Testament, in: NT 28 (1986) 193–219). Allerdings wird diesen vier Texten eine gewisse Sonderstellung kaum je abgesprochen: Baasland spricht von einer »relative(n) Eigenart (…) im Rahmen einer Formenlehre der Gleichnisse« (219); Scott, Parable (s. Anm. 7) 29 f., sieht sie als metonymische im Unterschied zu den üblicherweise metaphorischen Gleichnissen.

12Zu dieser strittigen Frage vgl. u. Anm. 43.

13Etwa 4 Esr 8,52: »Denn für euch ist das Paradies geöffnet, der Baum des Lebens gepflanzt, die kommende Welt bereitet, die Seligkeit vorbereitet, die Stadt erbaut, die Ruhe zugerüstet, die Güte vollkommen gemacht, die Weisheit vollendet« (Übs.: J. Schreiner, Das 4. Buch Esra [Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit V/4], Gütersloh 1981); vgl. auch 4 Esr 7,26; sBar 4.

14Die völlige Unverfügbarkeit des Heilsguts ist etwa betont in 4 Esr 10,53 f.: »Deshalb habe ich dir gesagt, du solltest auf das Feld kommen, wo noch kein Fundament eines Gebäudes gelegt ist. Denn es kann kein menschliches Bauwerk an dem Ort bestehen, wo die Stadt des Höchsten sich zeigen soll« (übs. v. J. Schreiner [s. vorige Anm.]); ähnlich 13,36.

15So auch Scott, Parable (s. Anm. 7) 68–70; J. Gnilka, Das Matthäusevangelium I (HThK I/1), Freiburg 1986, 493.

16J. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 101984, 147.

17I. Maisch, Die Botschaft von der Gottesherrschaft, in: P. Fiedler – D. Zeller (Hrsg.), Gegenwart und kommendes Reich. Schülergabe für Anton Vögtle (SBB), Stuttgart 1975, 27–41, hier 33; Herv. von mir.

18So etwa bei Simonis, Jesus (s. Anm. 6) 217 f.; P. Hoffmann, Eschatologie und Friedenshandeln in der Jesusüberlieferung, in: U. Luz u. a., Eschatologie und Friedenshandeln. Exegetische Beiträge zur Frage christlicher Friedensverantwortung (SBS 101), Stuttgart 1981, 115–152, hier 145 f.; H. Merklein, Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft. Eine Skizze (SBS 111), Stuttgart 1983, 74 f.; H.-J. Klauck, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten (NTA NF 13), Münster 1978, 224.

19Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung vgl. die hilfreichen Überblicke bei G. Klein, Art.: Eschatologie V: NT, in: TRE 10 (1982) 270–299, hier 271; U. Asendorf, Art.: Eschatologie VII: Reformations- und Neuzeit, in: TRE 10 (1982) 310–334, hier 325–330; M. Beintker, Art.: Herrschaft Gottes/Reich Gottes VI/2: Neuzeit (ab 1789), in: TRE 15 (1986) 226–228; ferner E. Lohse, Die Gottesherrschaft in den Gleichnissen Jesu, in: ders., Die Einheit des Neuen Testaments. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 1973, 49–61, hier 54–58.

20Vgl. Scott, Parable (s. Anm. 7) 385 f.

21So bes. J. R. Donahue, The Gospel in Parable. Metaphor, Narrative, and Theology in the Synoptic Gospels, o. O. (Minneapolis) 21989, 34.

22Übersetzung von J. Schreiner (s. Anm. 13). Diesen Text zitiert Klauck, Allegorie (s. Anm. 18) 194.

23Zum letzten Aspekt vgl. Marshall, Hope (s. Anm. 6) 12; Hoffmann, Eschatologie (s. Anm. 18) 123–125; Lohfink, Not (s. Anm. 6) 3 f.7.10 f. Lohfink geht allerdings dabei so weit, daß ich mich frage, wie er etwa die Vaterunser-Bitte um das Kommen des Reichs noch integrieren kann: »Wenn uns das Reich Gottes wirklich geschenkt ist, dann hält Gott von diesem Geschenk nichts mehr zurück. Dann ist es verfügbar, dann ist von ihm her gesehen alles, aber auch restlos alles da. Wenn das Reich Gottes trotzdem noch nicht ganz und ohne Einschränkungen da ist, so liegt das nicht daran, daß Gott es noch zurückhält, sondern daran, daß wir es noch nicht voll ergriffen haben« (11; Herv. original). Hier wird der apokalyptische Aspekt, den die Predigt Jesu auch hat, schlicht unterschlagen.

24So Jüngel, Paulus (s. Anm. 9) 145 (allerdings gilt das nach Jüngel für Schatz und Perle).

25Übersetzung von E. Haenchen (in: Synopsis Quattuor Evangeliorum, ed. K. Aland, Stuttgart 121982).

26So Jeremias, Gleichnisse (s. Anm. 16) 198 f.; Scott, Parable (s. Anm. 7) 318; C.-H. Hunzinger, Unbekannte Gleichnisse Jesu aus dem Thomas-Evangelium, in: W. Eltester (Hrsg.), Judentum, Urchristentum, Kirche. FS J. Jeremias (BZNW 26), Berlin 1960, 209–220, hier 219 f.

27G. Lohfink, Das Gleichnis vom Sämann (Mk 4,3–9), in: BZ 30 (1986) 36–69, hier 59–63. Lohfink zitiert u. a. die beiden folgenden Texte.

28Übersetzung von S. Uhlig, Das Äthiopische Henochbuch (Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit V/6), Gütersloh 1984; Uhlig merkt als eine andere Übersetzungsmöglichkeit » gesät werden« statt »gepflanzt werden« an.

29Gleichnisse (s. Anm. 16) 150.

30Jeremias, Gleichnisse (s. Anm. 16) 59; ähnlich Scott, Parable (s. Anm. 7) 230–235.

31Eine ähnliche Deutung des Gleichnisses bieten Lohfink, Not (s. Anm. 6) 8 f., und J. Lambrecht, Once More Astonished. The Parables of Jesus, New York 1981, 183–187.

32Vgl. dazu Th. Schmeller, Brechungen. Urchristliche Wandercharismatiker im Prisma soziologisch orientierter Exegese (SBS 136), Stuttgart 1989, 66–70.

33Eine hilfreiche Zusammenstellung verschiedener Interpretationen bietet P. R. Jones, The Seed Parables of Mark, in: RExp 75/4 (1978) 519–538, hier 519–522.

34Vgl. Lohse, Gottesherrschaft (s. Anm. 19) 55, zu den Deutungen dieses Gleichnisses durch Jülicher, B. Weiß und Wellhausen.

35Ausnahmen sind selten. J. D. Crossan, In Parables, New York 1973, 84 f., sieht in der s. E. ursprünglichen Fassung des Gleichnisses (ohne v. 28) den Bauern im Zentrum: »the situation meets with adequate decisional response« (84) (wie in den Gleichnissen vom bittenden Freund und vom ungerechten Richter), insofern der Bauer den Zeitpunkt für die Ernte erkennt und wahrnimmt. Ähnlich steht für C. N. Pavur, The Grain is Ripe: Parabolic Meaning in Mark 4:26–29, in: Biblical Theology Bulletin 17 (1987) 21–23, die Ernte, in der der Bauer aktiv wird, im Zentrum; da der Bauer besonders auf die Jünger zu beziehen sei, bedeute das Gleichnis »an urgent invitation to ›right action‹, especially the right action of discipleship« (22). Ganz anders die Deutung von H. Hendrickx, The Parables of Jesus (Studies in the Synoptic Gospels), San Francisco 21986, 21–24, der das Schlafen des Bauern als die nur scheinbare Abwesenheit Gottes versteht: »If God gives the impression that he lets things follow their own course, it is because he waits for the opportune time to stage his decisive intervention« (24).

36So etwa Jeremias, Gleichnisse (s. Anm. 16) 151 f.; A. Lindemann, Art.: Herrschaft Gottes/Reich Gottes IV. NT und spätantikes Judentum, in: TRE 15 (1986) 196–218, hier 202; Lohse, Gottesherrschaft (s. Anm. 19) 51 f.; Maisch, Botschaft (s. Anm. 17) 38; Merklein, Gottesherrschaft (s. Anm. 3) 122; Schnackenburg, Gottes Herrschaft (s. Anm. 2) 105. Etwas andere Akzente setzen J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus I (EKK II/1), Zürich 1978, 183–186; H. Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen (FRLANT 120), Göttingen 31984, 117 f.

37Eine solche Vermischung bietet Jeremias, Gleichnisse (s. Anm. 16) 152: »Seht den Landmann an, sagt er, der geduldig auf die Stunde der Ernte wartet! Auch Gottes Stunde kommt unaufhaltsam. Er hat den entscheidenden Anfang gemacht, die Saat ist ausgesät. (…) Sein Anfang bürgt für die Vollendung. Bis dahin heißt es, geduldig zu warten und Gott nicht vorzugreifen, sondern ihm in vollem Vertrauen alles zu überlassen«.

38J. Wellhausen, Das Evangelium Marci, Berlin 21909, 34.

39Vgl. etwa H.-W. Kuhn, Ältere Sammlungen im Markusevangelium (StUNT 8), Göttingen 1971, 107; Gnilka, Mk I (s. Anm. 36), 183–186.

40Allegorie (s. Anm. 18) 220 Anm. 171.

41Vgl. Scott, Parable (s. Anm. 7) 367: »This farmer is not patient but ignorant, maybe even a sluggard who will seek in vain for a harvest«.

42Herrn Prof. Dr. E. Zenger verdanke ich den Hinweis auf Ps 104 (bes. vv. 14 f.23.27 f.), der den gleichen Gedanken zum Ausdruck bringt, ohne mit den textlichen und Übersetzungsproblemen von Ps 127 belastet zu sein.

43Vgl. O. Camponovo, Königtum, Königsherrschaft und Reich Gottes in den frühjüdischen Schriften (Orbis Biblicus et Orientalis), Fribourg 1984, 305 f. (zur Bedeutung des Endkriegs der Söhne des Lichts, denen Gott zum Sieg verhilft, in Qumran); Merklein, Gottesherrschaft (s. Anm. 3) 124 f. (zu politischen und religiösen Aktivitäten, die die herbeiführen sollten); Schnackenburg, Gottes Herrschaft (s. Anm. 2) 41 f. (zur Souveränität Gottes in der apokalyptischen Enderwartung); B. Uffenheimer, Art.: Eschatologie III: Judentum, in: TRE 10 (1982) 264–270, hier 264 f. (zur rabbinischen Distanzierung von den Aufständischen um Bar Kochba als »Bedrängern des Endes« und »Berechnern des Endes«).

44Diese Sicht des Verhältnisses von Eschatologie und Ethik bei Jesus basiert auf Hoffmann, Eschatologie (s. Anm. 18) pass. bes. 126 f.; ders. – V. Eid, Jesus von Nazareth und eine christliche Moral. Sittliche Perspektiven der Verkündigung Jesu (QD 66), Freiburg 21976, 50–54; U. B. Müller, Vision und Botschaft. Erwägungen zur prophetischen Struktur der Verkündigung Jesu, in: ZThK 74 (1977) 416–448. Sehr beachtenswert scheint mir Müllers Deutung von Lk 10,18 (»Ich sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen«) auf ein visionäres Erlebnis Jesu, das schwerwiegende Konsequenzen für seine Eschatologie wie Ethik hatte: »Nur aufgrund der Tatsache, daß der aus dem Himmel gestürzte Satan der endgültigen Vernichtung entgegengeht und damit alles Böse und Unreine hinfällig wird, konnte sich bei Jesus der schöpfungstheologische Optimismus entfalten« (441). Die Kritik von S. Vollenweider, »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen« (Lk 10,18), in: ZNW 79 (1988) 187–203, stellt diese Grundthese nicht in Frage.

45M. Hengel, Nachfolge und Charisma. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Studie zu Mt 8,21 f. und Jesu Ruf in die Nachfolge (BZNW 34), Berlin 1968, 53 Anm. 68 (hier bezogen auf die Nachfolge des historischen Jesus).

46Hoffmann, Eschatologie (s. Anm. 18) 146. – A. Lindemann, Gottesherrschaft und Menschenherrschaft. Beobachtungen zum neutestamentlichen Basileia – Zeugnis und zum Problem einer theologischen Ethik des Politischen, in: ThGl 76/1 (1986) 69–94, hier 74, formuliert (im Anschluß an seine Deutung von Mt 18,23–35): »Gottes Herrschaft vollzieht sich in der Durchsetzung von Gottes Maßstäben, in der Durchsetzung von Gottes Recht; die Kriterien dieses Rechts aber gelten gegenwärtig für das Verhalten derer, die Gottes Vergebung angenommen haben« auf der folgenden Seite, wo er explizit die Frage stellt: »Was kann der Mensch tun für das Kommen der Gottesherrschaft?« (Herv. original), zieht er allerdings wieder zurück: »Es ist (…) Gott allein, der seine Herrschaft heraufführt«.

47Vgl. den Titel eines seiner Bücher: Um projeto de Deus. A presenßs1ßa de Deus no meio do povo oprimodo (= Ein Projekt Gottes. Die Gegenwart Gottes inmitten des unterdrückten Volks), São Paulo 51984.

»Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?« (Mt 18,33)

Zur theozentrischen Ethik der Gleichnisse Jesu

28 Wenn ich diesen Aufsatz über die Ethik Jesu und das Reich Gottes schreibe und ihn nicht nur irgendwie, sondern so kraft- und lichtvoll hinbringe, wie Sie sich das wünschen – hat das Bedeutung für das Wachsen des Reiches Gottes? Was würde Jesus sagen? Würde er sich für meine Mitarbeit an der Sache, die ohne Frage im Mittelpunkt seines Lebens stand, bedanken? Oder würde er sagen: Theologische Aufsätze, so schön und erhellend sie sind, haben mit dem Reich Gottes nichts zu tun, denn dieses ist einzig und allein die Sache Gottes? Natürlich könnte er auch sagen: Zum Aufbau des Reiches Gottes können Menschen viele wichtige Dinge beitragen, aber Aufsatzschreiben gehört nicht dazu.

Wächst die Saat nicht von allein?

Wir haben ein Gleichnis Jesu, das die Diskussion, ob Menschen an dem von Jesus verkündeten Reich Gottes mitarbeiten können oder nicht, zu beenden scheint, bevor wir sie überhaupt so richtig begonnen haben: das sogenannte Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26–29). Wenn hier das Nichtwissen des Bauern und sein Unbeteiligtsein an der Entstehung der Frucht betont sind – muß das nicht heißen, daß das Reich Gottes eben ohne menschliches Zutun kommt? Daß der Mensch nur geduldig warten kann, allerdings Zuversicht und Vertrauen haben darf? Meist wird es in der Tat so verstanden. Ich halte den gängigen Titel des Gleichnisses und die dahinterliegende Interpretation aber für falsch. Ohne hier schon eine eigene Deutung anzubieten, will ich nur auf ein Problem aufmerksam machen, das den meisten Interpreten entgeht. In der üblichen Auslegung wird ja das Tun des Bauern im Gleichnis wie selbstverständlich auf menschliches Handeln bezogen. Dagegen spricht nun allerdings, daß die Ernte hier sicher mit dem göttlichen Endgericht zu tun hat. Der Schlußvers des Gleichnisses enthält nämlich eine klare Anspielung auf Joel 4,12 f.:

»Die Völker sollen aufbrechen und heraufziehen zum Tal Joschafat. Denn dort will ich zu Gericht sitzen über alle Völker ringsum. Schwingt die Sichel, denn die Ernte ist reif.« Wenn die Ernte auf Gottes Gericht anspielt, kann das Gleichnis schlecht von menschlichem Tun sprechen. Sollten auch das Aussäen und das Warten dann auf Gott zu beziehen sein? Dann wäre freilich unerklärlich, warum das Nichtwissen des Bauern hervorgehoben wird. Oder auf Jesus? Das ist in der Tat für die Ebene des Evangelisten möglich. Jesus hatte nach Ostern eine solche Würdenstellung inne, daß er auch mit der Einleitung des göttlichen Endgerichts zusammengebracht werden konnte. Für den historischen (vorösterlichen) Jesus ist ein solches Selbstverständnis aber nicht wahrscheinlich.

Das Problem, auf welcher Ebene das Gleichnis zu lesen ist, wird weniger schwierig, wenn wir die ursprüngliche Fassung rekonstruieren. Mit guten Gründen kann man vermuten, daß das Gleichnis im Munde Jesu etwa so endete: »Wenn die Frucht reif ist, kommt er (der Mensch), um sie zu ernten.« Für Jesus war das Gleichnis dann aber eine Geschichte, die einfach das Tun eines ganz normalen Bauern seiner Zeit beschrieb, der sich auf Aussaat und Ernte verstand, der aber das dazwischenliegende Wachstum der Saat nicht verstehen konnte. Eine solche Geschichte verwendet Jesus für das Reich Gottes. Auch wenn man nicht jedes Detail des Gleichnisses übersetzen darf, liegen damit doch folgende Überlegungen nahe: Aussaat und Erntearbeit machen zwar das Wachstum der Samen nicht überflüssig, sind aber die Voraussetzungen, die der Bauer für den Ertrag bringen muß und die ihn einen Ertrag erwarten lassen – kann das Anliegen des Gleichnisses dann sein, daß das Reich Gottes ohne menschliches Zutun kommt?

Bevor ich zu einer alternativen Deutung von Mk 4,26–29 komme, sei ein kleiner Umweg erlaubt, in dem es um die Stellung Jesu zu Apokalyptik und Weisheit, zwei Stränge der jüdischen Tradition, gehen soll. Diese Frage, die hier natürlich nur gestreift werden kann, ist insofern relevant, als das menschliche im Verhältnis zum göttlichen Handeln in diesen Traditionssträngen verschieden bewertet wird. Für die Apokalyptik sind – vereinfacht gesagt – Welt und Mensch so fern von 29 Gott und ihm so entfremdet, daß ein völliger Abbruch der menschlichen Geschichte nötig ist, um Gottes Willen in einer neuen Welt wieder zur Geltung zu bringen. So heißt es in 4 Esra, einer apokalyptischen Schrift vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr.: »Das Böse, wonach du mich fragst, ist ausgesät; aber seine Ernte ist noch nicht gekommen. Bevor also nicht geerntet ist, was ausgesät war, und der Platz noch nicht verschwunden ist, wo das Böse gesät worden war, wird der Acker nicht erscheinen, wo das Gute gesät ist.« (4 Esr 4,28 f.)

Um das neue Jerusalem, die Stadt Gottes, die sich am Ende der Zeiten zeigen wird, in einer Vision zu schauen, muß der Seher in 4 Esr sich von menschlichen Siedlungen entfernen, denn:

»Es kann kein menschliches Bauwerk an dem Ort bestehen, wo die Stadt des Höchsten sich zeigen soll.« (4 Esr 10,53 f.)

Die gegenwärtige Weltzeit ist schlecht, das Tun der Menschen eingeschlossen. Gottes Initiative ist die einzige Hoffnung und für die Menschen unverfügbar.

Anders das weisheitliche Denken. Hier wird die Welt in ihren natürlichen und sozialen Ordnungen, also in Natur und Geschichte, vor allem unter dem Aspekt der Schöpfung gesehen. Diese erregt Staunen, Bewunderung und Lobpreis:

»Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.« (Ps 104,24)

Der Mensch kann diese Weisheit in der Schöpfung erkennen und selbst weise werden, indem er sich an der von Gott gesetzten Ordnung orientiert. Er ist so zu sinnvollem und gottgefälligem Handeln fähig. So heißt es in dem zitierten Psalm einerseits: »Sie alle warten auf dich, daß du ihnen Speise gibst zur rechten Zeit« (V. 27), aber andererseits auch: »Gibst du ihnen, dann sammeln sie ein« (V. 28); einerseits: »Du läßt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für den Menschen …« (V. 14), aber andererseits auch: »… die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde« (V. 14); bei Sonnenaufgang »geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, an seine Arbeit bis zum Abend« (V. 22 f.).

Weisheitslehrer oder Apokalyptiker?

Die Frage ist nun: Wo stand Jesus? Die Antworten der Exegese sind sehr vielfältig, aber es lassen sich in ihrer Geschichte gewisse Trends erkennen. Die allerneueste Entwicklung, insbesondere in den USA, zeichnet den historischen Jesus als einen Weisheitslehrer, dessen Botschaft nicht so sehr durch einen nahe bevorstehenden, durch Gott herbeigeführten radikalen Umbruch bestimmt war, als vielmehr durch die Vermittlung neuer Weisen des Umgangs mit den Mitmenschen und mit Gott. Diese Sicht greift in vielem auf die liberale Theologie des 19. Jahr- 30 hunderts zurück, die Jesus ebenfalls vor allem als Lehrer eines neuen Ethos verstand; das Reich Gottes sollte sich in einer Evolution der sozialen Verhältnisse verwirklichen. Hier ist natürlich keine Frage, daß menschliches Tun eine echte Mitwirkung am Reich Gottes sein kann und soll. Die Arbeiten von Johannes Weiß und Albert Schweitzer führten um die Jahrhundertwende einen Umschwung mit großer Tragweite herbei: Diese Theologen und in ihrem Gefolge die meisten (zumindest protestantischen) Exegeten des 20. Jahrhunderts bestimmten Jesus als einen Apokalyptiker, der den nahe bevorstehenden, den Menschen unverfügbaren Einbruch des endzeitlichen Reiches Gottes verkündete. In dem berühmten Gleichnisbuch von Joachim Jeremias, das bis heute ein Standardwerk ist (»Die Gleichnisse Jesu«,101984), schlug sich dies so nieder, daß alle Wachstumsgleichnisse als Kontrastgleichnisse gedeutet wurden. Überall dort, wo in Gleichnissen von Entwicklungen (wie dem Wachstum eines Samens oder der Durchsäuerung einer Mehlmenge) die Rede ist, soll nach Jeremias eigentlich nur der kleine Anfangs- und der überraschend große Endzustand, also der Kontrast, nicht das allmähliche und progressive Element auf das Reich Gottes bezogen werden. Die katholische Exegese hat das von Jesus gepredigte Reich Gottes bis in die 1950er Jahre so stark an die Kirche gebunden, daß Mitarbeit in der Kirche zugleich Mitarbeit im Reich Gottes war. Die Auffassung von der apokalyptischen Unverfügbarkeit des Reiches setzte sich hier erst mit Rudolf Schnackenburgs Buch »Gottes Herrschaft und Reich« (1959) durch. Heute wird, wie gesagt, Jesus wieder mehr schöpfungstheologischer Optimismus zugeschrieben. Seine Überzeugung von der bereits erfolgten Entmachtung des Satans ließ ihn demzufolge Natur und Geschichte in einem positiveren Licht sehen, sodaß für ihn das Reich Gottes nichts gänzlich anderes und Unvorstellbares war. Daß es auf der Linie dieser Sichtweise der Botschaft Jesu liegt, dann auch dem menschlichen Handeln Bedeutung für das Reich Gottes zuzuschreiben, wird bisher noch zu wenig realisiert. Sehen wir uns einige Gleichnisse daraufhin an!

Im Doppelgleichnis vom Schatz und der Perle (Mt 13,44–46) stehen wir vor zwei Szenen, die auf verschiedene Weise beschreiben, was es heißt, auf das Reich Gottes zu stoßen. Im ersten Gleichnis findet ein Tagelöhner, der einen fremden Acker bearbeitet, durch Zufall einen vergrabenen Schatz. Er hält diesen Fund geheim, vergräbt den Schatz sogar wieder, verkauft seine Habe und erwirbt den Acker mit dem Schatz. Wie weit dieses Vorgehen legal und legitim war – immerhin verheimlicht er ja bewußt die Existenz des Schatzes –, ist schwer zu beurteilen. Mag sein, daß hier wie in anderen Gleichnissen Jesu auch (vgl. z. B. Lk 16,1–8) ein anrüchiges Verhalten aufgegriffen wird, um auf eine neue Botschaft aufmerksam zu machen. Wichtig ist jedenfalls, daß der Tagelöhner auf etwas stößt, was sein Leben umkrempelt und ihn 31 dazu bringt, aus Freude, nicht als Opfer seinen bisherigen Besitz wegzugeben. Er hat einen »Mehr–Wert« (E. Jüngel) entdeckt, wie ihn Menschen, die Jesus begegneten, im Reich Gottes entdecken konnten: einen Mehr–Wert, der alle anderen Werte relativiert und der zum Mittelpunkt der Existenz eines Menschen werden kann. Auch der Fund des Perlenkaufmanns im zweiten Gleichnis beschreibt diese Erfahrung. Der Mann reagiert mit der gleichen Entschlossenheit auf seinen überwältigenden Fund und verkauft alles, um die eine kostbare Perle zu erstehen. Nur – der Fund war kein völliger Zufall. Der Perlenkaufmann war »auf der Suche nach schönen Perlen«. Er konnte damit rechnen oder zumindest darauf hoffen, bei entsprechend intensiver Suche irgendwann eine besondere Perle zu finden. Nicht so der Tagelöhner, für den der Schatz eine ganz unerwartete Gelegenheit war. Wir haben hier zwei Möglichkeiten vor uns, wie Menschen in der Verkündigung Jesu auf das Reich Gottes stoßen: unbeteiligt oder beteiligt. Man kann es finden, ohne zu suchen, aber man kann es auch suchen und finden. Die zweite Möglichkeit zeigt, daß die menschliche Wirklichkeit Anknüpfungspunkte für das Reich Gottes hat.

Für den Herrn einen Gewinn erwirtschaften

Noch weiter gehen in dieser Richtung zwei »Knechtsgleichnisse«: das Gleichnis vom anvertrauten Geld (Mt 25,14–30 par Lk 19,12–27) und das Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger (Mt 18,23–35). Im ersten hören wir, wie ein Herr von drei Sklaven erwartet, auf ihre eigene Verantwortung, aber zu seinem Nutzen zu wirtschaften. Er gibt ihnen die Talente oder Minen nicht als Kapital, mit dem sie für sich selbst Geld machen können; die harte Behandlung des dritten, der das anvertraute Geld unvermehrt und unvermindert zurückgibt, wäre ja völlig unsinnig, wenn er sich nur selbst um den Gewinn gebracht hätte. Wofür er bestraft wird, ist vielmehr, daß