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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau,
herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
1
Ihr Name war Isabella und ich hatte sie bei einer Fortbildung
zur Spurensicherung kennengelernt. Sie war nämlich Expertin auf
diesem Gebiet, wenn auch nicht in meiner Abteilung. Ihr Hauptgebiet
war Schrift und alles, was damit zusammenhängt. Identifizierung
einer Person anhand der Handschrift. Sie hatte mich zu einer
Opernvorstellung in die Elbphilharmonie eingeladen. Es wurde Carmen
von Georges Bizet gespielt.
Ich kann nicht behaupten, dass ich ein besonderer Opernfan
bin.
Ehrlich gesagt, war ich eher deswegen hier, weil ich die
Kollegin nett fand.
»Wusstest du, dass Carmen eine der am meisten gespielten Opern
ist?«, fragte sie.
»Nein.«
»Und dabei war sie zu Anfang kein großer Erfolg.«
»So?«
»Zu realistisch. Zu viel soziale Realität. Es geht um
Schmuggler und Arbeiterinnen in einer Zigarettenfabrik - nicht um
großartige Helden.«
»Verstehe.«
»Georges Bizet hat noch eine andere Oper geschrieben: Les
pêcheur des perles. Die ist nur noch als Klavierauszug erhalten
geblieben. Man kennt nichtmal die Partitur.«
»Du weißt eine Menge über diese Sachen.«
»Leider hat mich das Konservatorium abgewiesen. Wegen
mangelnder Begabung. Sonst wäre ich vielleicht nicht als
Sachbearbeiterin im Erkennungsdienst gelandet.«
»Ist schon tragisch«, sagte ich.
»Nein, finde ich nicht. Ich war auch nicht wirklich
musikalisch begabt. Jedenfalls nicht, um da was zu werden.«
»Das meinte ich nicht«, gab ich zurück.
»Was meintest du dann?«
»Das mit dem Komponisten von Carmen - wenn man seinen eigenen
großen Erfolg gar nicht mehr erlebt.«
Wir unterhielten uns in der Pause.
Die Ouvertüre zum letzten Akt begann.
Die Musiker spielten schon und der einzigartige Klang der
Elbphilharmonie kam zum Tragen. Angeblich soll das was ganz
Spezielles sein. Nicht alle finden das gut, aber offenbar hat ein
Symphonieorchester in diesen Räumen einen ganz speziellen Klang,
auch wenn ich nicht behaupten kann, das meine Ohren sensibel genug
sind, um da wirklich die Unterschiede hören zu können. Aber dazu
war ich vielleicht auch einfach noch nicht in genug anderen
Konzertsälen, sodass ich das wirklich vergleichen könnte.
Die erste Arie des letzten Akts wurde geschmettert.
Da stupste mich jemand von hinten an.
Und gab mir einen Zettel.
»Das ist für Sie«, sagte eine Männerstimme. Sie klang noch
sehr jung.
Ich sah mir den Zettel an.
»Grüße vom Albaner«, stand da drauf.
*
Einen Moment lang erstarrte ich. Dann ging alles fast
reflexartig. Wie automatisch.
Ich sprang auf, sah mich nach dem Kerl um, der mir den Zettel
gegeben hat. Der war auf und davon. Ich kletterte über die Sitze,
trat auf die Lehnen. »Bleiben Sie stehen!«, rief ich.
»Kriminalpolizei!«
Der Kerl trug einen Hoodie mit aufgesetzter Kapuze. Es war
nicht viel von ihm zu sehen. Er drehte sich kurz um.
Sein Gesicht im Schatten.
Mein Ruf hatte die Arie übertönt. Ein Geraune entstand im
Saal.
»Uwe!«, hörte ich Isabellas schockierten Ausruf.
Ich trampelte rücksichtslos über die Lehnen und Sitze.
Der Kerl mit dem Hoodie hatte den Durchgang erreicht, aber da
war ich schon hinter ihm. Ich stürzte mich auf ihn, riss ihn mit zu
Boden.
»Kriminalhauptkommissar Uwe Jörgensen, BKA!«, rief ich, als
ich über ihn warf und fixiert hatte. »Ausweis kriegen Sie später zu
sehen.«
»Ich…«
»Was soll dieser Zettel?«
»Den hat mir jemand gegeben!«
»Wer?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihn kaum gesehen!«
*
»Sag mal, was war das denn vorhin?«, fragte mich Isabella
später, nachdem der Opernabend etwas anders verlaufen war, als wir
das beide erwartet hatten.
»Ja, vielleicht muss ich dir was erklären.«
»Das würde ich aber auch sagen! Und nicht nur mir! Du hast für
einen Operneklat gesorgt! Eine Vorstellung wurde abgebrochen! Hast
du eigentlich eine Ahnung, was das bedeutet?«
»Ja, habe ich.«
Ich zeigte ihr den Zettel. »Das hat mir der junge Kerl mit dem
Kapuzenshirt gegeben.«
»Grüße vom Albaner?«
»Der Albaner ist ein Profi-Killer. Jemand in Santa Fu hat ihn
auf mich angesetzt, weil er sauer darüber ist, dass ich ihn dorthin
gebracht habe. Irgendein einflussreicher Bandenboss oder so etwas.
Ich weiß leider nicht wer.«
»Und warum schickt er dir so einen Zettel?«
»Er hat versucht mich umzubringen, aber ich konnte mich
retten. Ich trug nämlich eine Kevlar-Weste.«
»Du denkst, er will dir auf diese Weise sagen, dass er es
nochmal versuchen wird?«
Ich nickte. »Ja. Natürlich habe ich keine Ahnung, wann er
zuschlägt. Kann sein, dass er sich zwanzig Jahre dafür Zeit nimmt,
kann auch sein, dass er hinter der nächsten Ecke auf mich
wartet.«
*
»Es tut mir leid, aber es gibt bislang noch immer keine Spur,
die uns zum Albaner führt«, sagte am nächsten mein Vorgesetzter
Kriminaldirektor Bock. »Dieser Killer kann geduldig abwarten. Und
irgendwann, wenn er denkt, dass der richtige Zeitpunkt gekommen
ist, dann wird er vielleicht zuschlagen.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Werde ich wohl mit leben
müssen.«
»Der junge Mann ist überprüft worden. Er hat überhaupt keine
Beziehung zum Organisierten Verbrechen. Der hat einfach nur ein
paar schnelle Euros verdient.«
»Das habe ich befürchtet.«
»Diese Spur bringt uns nicht weiter.«
»Auch das habe ich befürchtet.«
»Und dann ist da noch die Sache mit der Opernvorstellung, die
Sie gesprengt haben. Sozusagen ein Kollateralschaden. Da wollen
jetzt Leute ihre Tickets zurückgeben und so weiter und
sofort.«
»Kommt sowas nicht auf die Spesenrechnung, Herr Bock?«
Der Kriminaldirektor atmete tief durch. »Ja, eigentlich schon.
Aber zuvor wird es jede Menge unangenehme Fragen geben. Vom Senat,
von der Bürgerschaft, vom Polizeipräsidenten.«
»Sie meinen, das wäre alles nicht nötig gewesen?«
»Was ich meine, spielt gar keine Rolle, Herr Jörgensen.«
»Hm.«
»Aber beim nächsten Mal vielleicht etwas… dezenter.«
»Ich werde es versuchen.«
»Gut.«
*
Udo’s Imbiss an der Norderelbe hatte 24 Stunden geöffnet.
»Udo's» mit Apostroph. Darauf bestand Udo Jakobi, der Besitzer des
Schnellrestaurants, in dem sich zu den üblichen Stoßzeiten sowohl
die Anzugträger aus dem Verwaltungskomplex der Hafenverwaltung, als
auch die Arbeiter von den Schifffahrtsterminals tummelten.
Man bekam dort die besten Fishburger von Hamburg.
Man konnte natürlich auch Pommes rot-weiß oder eine Currywurst
bekommen. Notfalls sogar einen Veggie-Döner, der gerade bei den
unter Bewegungsarmut und Kalorienüberschuss leidenden Angestellten
der Hafenverwaltungsgesellschaft sehr beliebt war.
Aber die eigentliche Spezialität von Udo's Imbiss war und
blieb der Fishburger.
Udo Jakobi kam gebürtig aus Bremerhaven und hatte deswegen
besondere Affinität zu Fisch und Fischgerichten. Auch wenn sich der
selbstkreierte Krabben-Döner nicht so richtig durchgesetzt hatte –
der Fishburger hatte das Schnellrestaurant in ganz Hamburg berühmt
gemacht.
Und Udo Jakobi war clever genug, sich die Markenbezeichnung
>Udo's Fishburger< schützen zu lassen.
2
Thorben Rademacher, Kommissar bei der Mordkommission, hatte
eine anstrengende Nachtschicht hinter sich. Jetzt war es vier Uhr
morgens und Rademacher hatte den toten Punkt längst
überwunden.
Er bestellte einen Kaffee, zwei Fishburger und eine Portion
Chips. Rademacher trank als Erstes den halben Kaffeebecher
leer.
Sein Handy klingelte. Rademacher nahm den Apparat ans
Ohr.
»Was gibt es?«, fragte er.
»Hier spricht Ede Gerighauser.«
»Verdammt, wo bleiben Sie?«
»Ich werde nicht zu Ihnen hereinkommen.«
»Was soll das Theater?«
»Haben Sie mich nicht verstanden? Ich komme nicht zu
Ihnen!«
»Aber unser Treffpunkt war Udo's Imbiss.«
»Kann schon sein.«
»Und wie soll das jetzt laufen?«
»Kommen Sie raus an die Kaimauer vom Kanal.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
3
Rademacher blickte auf die Fishburger, verschlang einen davon
mit ein paar Bissen und trank den Kaffee aus. Die Pommes ließ er
liegen. Er hatte sie probiert und festgestellt, dass sie ihm nicht
knusprig genug waren.
Wenig später ging er in die Nacht hinaus.
Das Hafenbecken und die Norderelbe, wirkten wie ein breites,
lichtloses Band. Dahinter waren die Lichter der Stadt zu sehen. Das
Verwaltungsgebäude der Hafengesellschaft hob sich wie ein drohender
Schatten dagegen ab.
Es war eine klare Nacht.
Kräne erhoben sich wie Umrisse riesenhafter
Spinnenmonster.
Rademacher schlang auch den zweiten Fishburger herunter und
wischte sich die Finger an einem Taschentuch ab. Dann überprüfte er
kurz den Sitz seiner Waffe. Sie steckte in seinem Holster. Darüber
trug er einen dunklen Blouson. Die Jacke war weit geschnitten,
sodass sich die Waffe nicht abzeichnete.
Rademacher ging auf die Kaimauer zu.
Ein dunkler Schatten hob sich gegen das Lichtermeer ab.
Rademacher zögerte einen Moment, dann trat er näher. Von der
Gestalt am Ende war nichts Näheres zu erkennen.
Das muss er sein!, dachte Rademacher. Er sah auf die Uhr. Vier
Uhr und zehn Minuten.
Die Gestalt bewegte sich nun und kam Rademacher
entgegen.
In einer Entfernung von ein paar Schritten wartete der
Schatten schließlich. Das Licht einer Laterne fiel auf seinen
Körper vom Hals abwärts. Das Gesicht blieb im Dunkeln.
Die rechte Hand war tief in seiner Manteltasche vergraben.
»Herr Rademacher?«
»Ja?«
Der Mann zog eine Waffe mit Schalldämpfer unter seinem Mantel
hervor. Der Strahl eines Laserpointers tanzte durch die Nacht. Der
Schuss war kaum zu hören. Zweimal blitzte das Mündungsfeuer
auf.
Die erste Kugel traf Rademacher in die Brust und riss ein Loch
in den Stoff seines Blousons. Die zweite Kugel traf ihn dicht
darüber.
Das graue Kevlar einer kugelsicheren Weste kam darunter zum
Vorschein.
Rademacher taumelte zu Boden. Er griff unter den Blouson, um
seine Dienstwaffe zu ziehen.
Erneut blitzte die Schalldämpferpistole in der Hand des
Killers auf. Fünf Schüsse in rascher Folge ließen den Körper des
Kommissars zucken. Ein Schuss traf den Kopf, noch ehe er seine
eigene Waffe abdrücken konnte.
Regungslos lag er in seiner Blutlache.
Der Killer trat aus dem Schatten.
Mit dem Fuß stieß er den verrenkt daliegenden Körper an. Er
steckte seine Waffe ein. Rademachers Pistole nahm er vom Boden auf
und warf sie im hohen Bogen ins Hafenbecken. Anschließend bückte er
sich und packte die Leiche bei den Schultern. Dann schleifte er den
Toten zur Kaimauer und ließ ihn ins Wasser rutschen.
Der Killer atmete tief durch.
Er streifte die Latexhandschuhe ab, mit denen er seine Hände
vor Schmauchspuren geschützt hatte und warf sie hinterher.
Sie schwammen noch ein paar Augenblicke auf der dunklen
Wasseroberfläche, weil sie zu leicht waren, um die
Oberflächenspannung zu durchbrechen.
Innerhalb von wenigen Augenblicken hatte das dunkle Wasser des
Hafenbeckens aber dann doch alles verschluckt.
Die Leiche trieb dicht unter der Oberfläche, war aber erstmal
unsichtbar. Vielleicht geriet der Körper des Kommissars ja in
irgendeine Schiffsschraube...
War gar nicht so unwahrscheinlich.
Dann ist er Hackfleisch, dachte der Killer.
4
Dr. Bernd Claus führte uns in die Leichenhalle des
gerichtsmedizinischen Instituts der Ermittlungsgruppe
Erkennungsdienst (EED). Dr. Claus öffnete eins der Kühlfächer.
Anschließend zog er das weiße Laken, das den Toten bedeckte, so
weit zur Seite, dass man das Gesicht sehen konnte.
Es war bleich und aufgedunsen. Auf der Stirn war die
Eintrittswunde eines Projektils zu sehen. Anhand der Fotos, die
mein Kollege Roy Müller und ich zuvor in unserem Präsidium zu
Gesicht bekommen hatten, hätte ich ihn nicht wieder erkennen
können.
»Dies ist Kommissar Thorben Rademacher von der Mordkommission.
Dass er etwas anders aussieht als auf den offiziellen Fotos in
seiner Dienstakte, liegt einfach daran, dass er eine ganze Weile im
Wasser gelegen hat. Herr Delmar, sein Vorgesetzter bei der
Mordkommission, hat ihn auch nicht wiedererkannt, obwohl er
tagtäglich mit ihm zu tun hatte.«
»Was können Sie uns darüber sagen, was geschehen ist?«, fragte
Roy.
»Rademacher wurde von mehreren Kugeln getroffen. Er trug eine
Kevlar-Weste, die einige davon auffing. Die Hämatome am Oberkörper
sind deutlich zu sehen.« Dr. Claus zog das Laken noch ein Stück
zurück. Die Blutergüsse befanden sich in Herznähe und inzwischen so
groß wie Untertassen. »Der Treffer in den Hals ging glatt durch.
Dasselbe gilt für einen Streifschuss an der Schulter. Mindestens
diese beiden Projektile müssten sich noch am Tatort
befinden.«
»Bislang wissen wir noch nicht, wo der sein könnte, aber
vielleicht sind Ihre Untersuchungsergebnisse das entscheidende
Mosaikstein, das uns weiterhilft!«, sagte ich.
»Der tödliche Schuss ging in den Kopf, durchdrang mitten auf
der Stirn die Schädeldecke und blieb an der Halswirbelsäule
stecken.«
»Also wurde der Schuss von schräg oben geführt«, schloss
ich.
»Ja«, nickte Dr. Claus. »Ich könnte mir vorstellen, dass Herr
Rademacher durch die Wucht der Treffer, die von der Kevlar-Weste
aufgehalten wurden, zu Boden taumelte, während der Killer weiter
auf sein Opfer geschossen hat. Als der Kopftreffer ihn erwischte,
muss er sich gekrümmt haben. Der ballistische Bericht liegt ja
bereits vor und danach sind die Kugeln aus einer Entfernung von
mindestens fünf Metern abgefeuert worden. Aber ich nehme an, Sie
haben den Bericht bereits gelesen.«
»Er ist ein Grund dafür, dass wir den Fall übernehmen«,
erklärte ich. »Der Abgleich des untersuchten Projektils hat nämlich
ergeben, dass die verwendete Waffe zuvor bereits einmal in einer
Schießerei im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen benutzt
wurde.«
Dr. Claus zuckte die Schultern. »Die Kollegen von der
Ballistik waren diesmal deutlich schneller als ich. Aber ich konnte
ihnen leider auch nur ein einziges Projektil bieten – nämlich
jenes, das in der Halswirbelsäule stecken geblieben ist. Sie können
also von Glück sagen, dass der Täter zufällig aus diesem Winkel
getroffen hat, sonst wäre die Kugel durch die hintere Schädelwand
wieder ausgetreten und Sie könnten jetzt in der ganzen Stadt nach
ein paar Kugeln suchen, an der vielleicht noch etwas DNA-testfähige
Hirnmasse haftet.« Dr. Claus deutete auf den Oberkörper. »Die
Projektile, die von der Kevlar-Weste aufgefangen wurden, liegen
wahrscheinlich auf dem Grund des Kanals. Das stundenlange
Wasserbad, dem die Leiche ausgesetzt war, muss sie weggespült
haben.«
Ich deutete auf die Achseln des Toten, um die herum dunkle
Stellen zu sehen waren.
»Druckstellen eines zu eng geschnallten Schulterholsters und –
Schleifspuren. Der Täter muss den Toten unter den Achseln angefasst
und weggeschleift haben.«
»Dann war es nur eine Person«, schloss ich.
Dr. Claus nickte. »Sagen wir so: Es hat nur einer
angepackt.«
»Gibt es Spuren, die darauf hindeuten, dass der Tote in einem
Kofferraum transportiert wurde?«
»Nein. Wahrscheinlich geschah der Mord in der Nähe des
Wassers. Der Täter musste ihn nur ein paar Meter weiter schleifen
und hineinwerfen.«
»Wann war der Todeszeitpunkt?«
»Rademachers Leiche wurde gestern Mittag am Kanalufer
gefunden. Ich denke, dass der Tote mindestens sechs Stunden im
Wasser war. Also würde ich schätzen, dass Herr Rademacher gestern
zwischen drei und fünf in der Früh starb. Aber Sie bekommen
natürlich noch meinen ausformulierten Bericht, wo Sie das alles
nachlesen können.«
»Erst mal danken wir Ihnen, Dr. Claus«, sagte ich.
Der Gerichtsmediziner schob den Toten zurück in seine
vorläufige Ruhestätte, nachdem er das Tuch wieder über sein Gesicht
gebreitet hatte.
»Rufen Sie mich an, falls Sie noch Fragen haben.«
»In Ordnung.«
5
Wir machten uns auf zu Rademachers Kripo-Kollegen. Herr Delmar
war sein direkter Vorgesetzter und Herr Nürnberger wiederum war der
Vorgesetzte von Herrn Delmar.
Inzwischen lief die Suche nach dem möglichen Tatort längst auf
Hochtouren.
Als Laie denkt man ja erstmal, dass ein geschlossenes
Hafenbecken, das über einen Kanal und eine Schleuse mit der
Norderelbe verbunden ist, ein stehendes Gewässer ohne Strömung
darstellt und dass deswegen in so einem Fall die Leiche in der
unmittelbaren Nähe des Fundortes ins Wasser gelangt sein muss.
Dass ist aber ein Irrtum.
Durch den Schiffsverkehr, durch den Betrieb der Schleusen und
weitere, ähnliche, in ihrem Zusammenspiel nur sehr schwer zu
berechnende Faktoren, kommt es auch in Gewässern, die man gemeinhin
als nicht-fließend bezeichnet, zu erheblichen Sogwirkungen. Und
diese Sogwirkungen können mit einer Flussströmung oder Gezeiten in
den Auswirkungen durchaus vergleichbar sein.
Ganz so einfach würde die Suche nach dem Tatort also nicht
werden.
Zahlreiche Kollegen der Hamburger Polizei sollten sich in der
Nähe des Fundortes umhören, ob jemand dort Kommissar Rademacher in
der Nacht seines Todes gesehen hatte.
Herr Nürnberger empfing uns in seinem Büro. »Herr Delmar ist
noch nicht hier. Er wurde zwischenzeitlich zu einem Tatort gerufen,
aber ich nehme an, dass Sie mit ihm sprechen können, sobald wir
hier fertig sind.«
»In Ordnung«, sagte ich. »Erzählen Sie uns am besten alles,
was Ihnen zum Kollegen Rademacher einfällt. Wir stehen ganz am
Anfang unserer Ermittlungen. Alles, was wir wissen ist, dass er in
Ufernähe erschossen wurde, eine Kevlar-Weste trug und die Kugel,
die ihn tötete, aus einer Waffe stammt, die bei einer Schießerei im
Club ‚El Abraxas’ verwendet wurde.«
»Und das ‚Abraxas’ steht unter Kontrolle von Benny Farkas,
einem der aufstrebenden Kriminellen Hamburgs«, ergänzte Herr
Nürnberger. Er hatte sich offenbar gut informiert.
»Die genauen Hintergründe der Tat konnten nie wirklich
aufgeklärt werden«, fuhr ich fort. »Tatsache ist, dass es damals
fünf Tote und mehrere Schwerverletzte gab, darunter auch der
Anführer einer Drogengang.«
»Sieht ganz nach geschäftlichen Differenzen aus, wenn man das
so bezeichnen will«, sagte Herr Nürnberger. »Aber was den Kollegen
Rademacher angeht, könnte es da noch eine alte Rechnung geben. Er
war schließlich erst seit ein paar Monaten hier bei uns in der
Abteilung. Vorher gehörte er zu Drogenfahndung.«
»Bei uns sind die Akten noch nicht angekommen«, gab ich
Auskunft. »Ich kenne nur die Kurzfassung, die uns Kriminaldirektor
Bock gegeben hat.«
»Die Sache ist ganz einfach: Kommissar Rademacher wurde
verdächtigt, kleine Drogendealer und Mitglieder von Gangs erpresst
zu haben, indem er ihnen Drogen unterschob und Beweismittel
manipulierte. Es lief ein Verfahren gegen ihn. Dieses Verfahren ist
inzwischen eingestellt worden, aber man hielt es für besser,
Rademacher trotzdem zu versetzen.«
»Mich wundert, dass man ihn nicht bis zur Klärung der Sache
suspendiert hat!«, ergänzte ich.
»Nein, das sehen Sie jetzt falsch. Die Sache konnte sehr
schnell geklärt werden und Rademacher galt als unbescholten.« Herr
Nürnberger zögerte einen Moment, ehe er weitersprach. Ihm schien
selbst aufzufallen, dass sich da allein schon angesichts der
nüchternen Aufzählung der Fakten ein widersprüchliches Bild ergab.
Aber Herr Nürnberger hatte offenkundig keinerlei Interesse daran,
diesen sachlichen Widerspruch auch noch sprachlich hervorzuheben.
Er wirkte etwas verunsichert. Schließlich fuhr er schließlich fort:
»Nun, er sollte jedenfalls nichts mehr mit Drogen zu tun
haben.«
»Dann war seine Weste vielleicht doch nicht so rein, wie das
eingestellte Verfahren vermuten lässt?«, fragte ich.
Ein messerscharfer Schluss.
Aber einer, der Herrn Nürnberger nicht gefiel.
Und einer, den er so auch nicht stehen lassen wollte.
Er brauchte allerdings einen Moment, um seine Gedanken zu
ordnen und darauf zu reagieren.
Nürnberger atmete zuerst tief durch und setzte zweimal an,
ohne dass dann tatsächlich auch irgendein Satz über seine Lippen
gekommen wäre. Dann zuckte er die Schultern, ehe er schließlich
doch seine Sprache wiederfand. »Jemand, der in der Drogenfahndung
arbeitet, vollführt täglich einen Tanz auf der Rasierklinge. Man
sieht wie die Dealer mit Millionen jonglieren und der Ermittler
denkt an die Hypotheken für sein Haus und daran, dass sein Wagen
noch nicht abgezahlt ist und sich seine Kinder beklagen, dass schon
im zweiten Jahr nacheinander keine Urlaubsreise drinsitzt, während
der Drogenboss mit dem Privatjet mal kurz nach Monaco
hinüberfliegen kann.«
»Da will ich nicht widersprechen«, sagte ich.
Herr Nürnberger fuhr fort: »Da braucht man schon einen
stabilen Charakter, um auf der richtigen Seite zu bleiben.«
Ich hob die Augenbrauen. »Wem sagen Sie das!«
»Glauben Sie, Rademacher besaß nicht den nötigen Charakter?«,
mischte sich Roy ein.
»Wie gesagt – die Untersuchung konnte den Verdacht gegen ihn
nicht erhärten«, erklärte Nürnberger nochmals. »Sie werden es ja in
den Akten nachlesen können.«
»Sobald die uns erreicht haben«, sagte Roy. Und er gab sich
wirklich große Mühe, dabei nicht sarkastisch zu klingen.
Unser Gegenüber nickte.
»Ja«, sagte Herr Nürnberger.
»Aber das ist keine Antwort auf die Frage.«
»Welche Frage meinen Sie nochmal?«, fragte Herr
Nürnberger.
»Die mit dem Charakter«, stellte ich klar.
Nürnberger lächelte dünn. »Ja, Sie haben Recht. Aber die lässt
sich vielleicht auch gar nicht so leicht beantworten. Wer von uns
kann schon in den Schädel eines Kollegen hineinschauen?« Herr
Nürnberger machte eine kurze Pause, erhob sich aus seinem
Schreibtischstuhl und füllte seinen Kaffeebecher wieder auf.
Nachdem er einen Schluck genommen hatte, sagte er schließlich: »Ich
will ehrlich sein.«
Na endlich!, dachte ich.
Herr Nürnberger fuhr fort: »Am Anfang war ich sehr skeptisch,
was Rademacher anging.«
»Warum?«
»Dafür kann ich Ihnen noch nicht einmal einen greifbaren Grund
angeben.«
»Aha...«
»Es war einfach mein Bauchgefühl – und in all den Jahren, in
denen ich als Ermittler meinen Mann stehe, habe ich gelernt, dass
es einem das Leben retten kann, wenn man sich auf dieses Gefühl
verlässt.«
»Okay...«
»Aber was Rademacher angeht, hat mich mein Instinkt wohl
getrogen.«
»Erklären Sie mir das!«
»Jedenfalls gab es keinen Ärger, so lange er hier war und
soweit ich das beurteilen kann, hat er gute Arbeit geleistet. Mehr
kann ich dazu nicht sagen.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit«, sagte ich.
Man ist ja höflich.
Selbst hier im sprachlich etwas raueren Hamburg.
Aber das ist sowieso nur ein Klischee.
Wirklich.
Nürnberger nickte. »Vielleicht kann Ihnen Herr Delmar etwas
mehr dazu sagen, schließlich arbeitete er mit Rademacher direkt
zusammen.«
6
Kollege Delmar ließ immer noch auf sich warten, so aßen wir
eine Pizza, die vom Express Service für die ganze Abteilung
geliefert wurde. Kriminalhauptkommissar Delmar traf schließlich
doch noch ein.
Er bat uns in sein Büro.
»Tut mir Leid, dass es etwas später geworden ist, aber ich war
bei einem Tatort und bin auf dem Rückweg leider in einen Stau
geraten.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich.
»Sie sind Jörgensen und Müller vom BKA, nicht wahr?«
»Ja – und wir suchen zurzeit den Mörder Ihres Kollegen Thorben
Rademacher«, bestätigte Roy.
»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, weshalb der Fall nicht in
unserer Zuständigkeit geblieben ist!«
»Weil die Tatwaffe im Zusammenhang mit organisierter
Kriminalität benutzt wurde«, gab ich Auskunft. »Der Fall hat eine
größere Dimension, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Delmar zuckte mit den Schultern. »Meiner Ansicht nach sagt das
nicht viel aus. Diese Waffen gehen doch von Hand zu Hand.
Andererseits könnte da natürlich ein Zusammenhang bestehen. Über
Rademachers Vergangenheit in der Drogenabteilung wissen Sie ja
sicher inzwischen Bescheid oder?«
»In Ansätzen. Es gab da wohl mal einen Verdacht gegen
Rademacher, wonach er Verdächtige erpresst haben soll.«
«Deswegen war er dann bei uns bei den Tötungsdelikten. Die
Sache ist niedergeschlagen worden, es kam nicht einmal zu einer
offiziellen Anklage. Aber wie heißt es so schön? Es bleibt immer
etwas hängen. Ganz besonders, wenn es um einen Polizisten geht. Der
kleinste Flecken auf der weißen Weste kann schon dazu führen, dass
man wie ein Paria behandelt und bei Beförderungen übergangen wird.«
Delmar zuckte die Schultern. »So ist das nun einmal und bevor man
sich auf das Spiel einlässt, informiert man sich am besten über die
Regeln und akzeptiert sie.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Rademacher damals etwas
angehängt wurde?«
»Mir gegenüber hat er in diese Richtung ein paar Andeutungen
gemacht. Ist doch klar, wenn ich ein Drogenhändler wäre und hätte
mit einem Polizisten eine Rechnung offen, kann ich ihm doch am
besten schaden, in dem ich seine Gesetzestreue in Frage
stelle!«
»Aber wenn das wirklich so gewesen ist, dann hatten diese
Leute doch ihr Ziel erreicht. Rademacher war kalt gestellt. Wozu
ihn noch ermorden?«
»Das würde ich auch gerne wissen.«
»Was wissen Sie über Rademachers Privatleben?«, fragte Roy.
»Ehrlich gesagt, war er ein ausgeprägter Einzelgänger. Ihm
fehlte der Teamgeist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wenn die
Beamten einer Schicht zum Kegeln gingen, fuhr er nach Hause. Er hat
mal erwähnt, dass er ein Eigenheim draußen im Umland hat. Und ich
nehme an, dass er gar nicht daran dachte, hier in die Gegend zu
ziehen. Vielleicht nahm er auch an, dass die Versetzung irgendwann
zurück genommen werden würde.«
»Wie waren die Chancen dafür denn?«
»Gar nicht so schlecht. Wahrscheinlich hätte er hier noch ein
halbes Jahr abreißen müssen und wäre dann wieder zurück auf seine
alte Planstelle gekommen, falls nicht zwischenzeitlich doch noch
Beweise aufgetaucht wären, dass er irgendwie Dreck am Stecken
hatte. Aber dafür gab es keine Hinweise.«
»Wir brauchen die Anruflisten seines Diensttelefons«, sagte
ich.
»Die können Sie haben«, versprach Delmar.
»Zeigen Sie uns bitte noch seinen Schreibtisch.«
»Ich führe Sie hin.«
»An was für einem Fall arbeitete er im Moment?«
»Denken Sie, dass seine Ermordung damit zusammenhängt?«
»Wir müssen allen Spuren nachgehen.«
»Eine Rentnerin wurde von ein paar Jugendlichen ausgeraubt und
niedergestochen. Sie ist an den Folgen der Verletzungen gestorben.
Rademacher bearbeitet den Fall zusammen mit Frau Tomasino und Herrn
Wolff, die Sie beide gerne dazu befragen können.«
Delmar führte uns zu Rademachers Schreibtisch. Das
Dienstzimmer teilte er sich mit den Kollegen Wolff und Tomasino.
Die beiden berichteten uns von dem Fall, an dem sie mit Rademacher
zuletzt gearbeitet hatten. Es schien sich um Routineermittlungen zu
handeln.
»Er hat ziemlich viel mit seiner neuen Flamme telefoniert«,
berichtete uns Herr Wolff noch.
»Wissen Sie, wer das war?«, hakte ich nach.
»Sie heißt Christine. Den Nachnamen kenne ich nicht, aber ich
nehme an, dass sie die Telefonlisten überprüfen und anhand der
Daten werden Sie das leicht herausfinden.«
Der Schreibtisch selbst bot nichts, was auf den ersten Blick
ins Auge fiel. Wir packten dennoch den Inhalt in einen Pappkarton
und nahmen ihn mit. Insbesondere alles das, was persönlichen
Charakter hatte. Ein Telefonregister und einen voll geschriebenen
Notizblock zum Beispiel. Außerdem beschlagnahmten wir seinen
Rechner. Sollten die Kollegen im Labor mal den Email-Verkehr unter
die Lupe nehmen.
7
Wir waren gerade in den Dienst-Porsche eingestiegen, als uns
ein Anruf erreichte. Herr Kriminaldirektor Bock, unser Chef, war am
Apparat.
»Es hat sich jemand gemeldet, der Rademacher in der Nacht
seines Todes gesehen haben will«, berichtete uns Kriminaldirektor
Bock. Rademachers Bild war mit der Frage an die Bevölkerung über
die Medien verbreitet worden, wer den Beamten der Mordkommission in
der Mordnacht gesehen hatte, um auf diese Weise nach und nach
rekonstruieren zu können, was sich vor der Tat ereignet hatte. Vor
allem ging es uns natürlich um den Tatort, denn dort waren
möglicherweise noch Spuren zu finden. »Der Mann heißt Udo Jakobi
und betreibt eine 24-Stunden-Snack Bar mit Fischgerichten. Der
Laden liegt an einem Hafenbecken an der Norderelbe.«
»Wir sind schon so gut wie dort«, versprach ich.
8
Als wir Udo’s Imbiss erreichten, waren dort bereits zwei
Einsatzfahrzeuge der Schutzpolizei.
Wir stiegen aus. Vögel kreischten.
Ein Frachter lag an der Kaimauer vor Anker.
Mehrere uniformierte Kollegen der Schutzpolizei sahen sich
dort bereits um.
Wir betraten Udo’s Imbiss.
Es herrschte kaum Betrieb.
Eine junge Polizistin saß zusammen mit einem Mann mit weißer
Schürze und Matrosenmütze an einem der Tische. Wir traten
hinzu.
»Uwe Jörgensen, BKA. Dies ist mein Kollege Roy Müller«,
stellte ich uns vor.
»Rebecca Düpree«, nannte die junge Polizistin ihren Namen.
»Herr Udo Jakobi hat uns angerufen, und wir haben gleich das BKA
verständigt.«
»Danke.« Wir setzten uns dazu. »Sie haben Thorben Rademacher
wiedererkannt«, wandte ich mich an Udo Jakobi.
Der Besitzer von Udo’s Imbiss nickte. »Ja. Er aß regelmäßig
hier. Fast täglich. Die Uhrzeit war wochenweise verschieden. Ich
nehme an, dass er immer nach seiner Schicht hier vorbei kam. Zwei
Fishburger und eine Tasse Kaffee, dazu Pommes. Das war seine
Standard-Bestellung.« Udo Jakobi atmete tief und fuhr schließlich
fort: »Sein Bild wurde im Lokalfernsehen gebracht. Ich habe ihn
gleich wiedererkannt.«
»Schildern Sie uns, was geschehen ist.«
»Es war ungefähr vier Uhr morgens. Er saß am letzten Tisch
dort hinten, in der Ecke. Dort ist er immer hingegangen. Er gähnte
dauernd, weil er wohl eine Nachtschicht hinter sich hatte. Er hat
seine Bestellung aufgeben, angefangen zu essen und wurde dann über
das Handy angerufen.«
»Konnten Sie etwas verstehen?«
»Ja, er war der einzige Gast um die Zeit und ich habe
mitbekommen, dass sich mit dem Typ am anderen Ende der Leitung
verabredet hatte. Er war etwas ungehalten darüber, dass der Kerl
noch nicht da war. Vielleicht sollte er auch in der Imbiss auf ihn
warten.«
»Woraus schließen Sie, dass es ein Mann war?«
Udo Jakobi zuckte mit den breiten Schultern und hob die
Augenbrauen. »Also, wenn Sie mich so fragen…«
»Ja?«
»Ich habe das einfach nur angenommen.«
»Hm.«
»Durch die Art, wie er mit ihm redete.«
»Okay.«
»Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausgedrückt
habe...«
»Doch, doch... Fahren Sie ruhig fort, Herr Jakobi.«
»Jedenfalls verließ er kurz nach dem Anruf das Lokal und
verschwand draußen in der Dunkelheit.«
»Sie haben nichts mehr gesehen oder gehört?«
»Nein. Wenn es dunkel ist, spiegeln die Scheiben. Man sieht
fast nichts.«
»Mehr können Sie uns nicht sagen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, tut mir Leid.«
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Roy. Wir kennen uns gut
genug, um zu wissen, was der andre denkt. Manchmal muss es gar
nicht mehr ausgesprochen werden.
»Wir danken sehr für Ihre Auskünfte«, erklärte Roy
schließlich.
Udo Jakobi schluckte. »Hoffentlich konnte ich Ihnen
weiterhelfen.«
»Wird sich zeigen«, sagte ich.
»Na, dann....«
»Weiß man vorher nie«, sagte ich.
Udo Jakobi runzelte die Stirn.
»Ich verliere ungern Stammkunden auf diese Weise. Dass er ein
Bulle – ich wollte sagen: ein Polizist - war, habe ich übrigens
erst in den Nachrichten gehört.«
»Meine Kollegen suchen die Umgebung nach Hinweisen ab«, sagte
Rebecca Düpree.
»Ich hoffe, die finden etwas«, antwortete ich. »Wenn man den
Tatort nicht kennt, stochert man mit seinen Ermittlungen ziemlich
im Nebel herum.«
Wir erhoben uns. Ich wandte mich noch einmal an Udo Jakobi,
der ziemlich nervös wirkte und sich die schwitzigen Hände an seiner
Schürze abwischte. »Eine Frage noch…»
»Ja?«
»Sie meinten, dass er jemanden hier erwartet hat.«
»Genau.«
»Hat er sich zuvor mal mit jemandem hier getroffen oder war er
immer allein, wenn er seine Fishburger aß?«
»Er war eigentlich immer allein.«
»Eigentlich?«
»Zumindest, wenn ich dabei war, aber ich muss gestehen, dass
zwar meine Imbiss 24 Stunden geöffnet hat, aber ich nicht rund um
die Uhr hinter dem Tresen stehen kann.«
»Könnten wir Ihre Angestellten dazu befragen?«
»Sicher.«
Es stellte sich heraus, dass Jakobi insgesamt fünf feste
Angestellte hatte, dazu drei Aushilfskräfte, die stundenweise
engagiert wurden. Von den fest Angestellten fehlte eine und von den
Aushilfskräften zwei Personen, deren Arbeitszeiten in der Imbiss
erst später begannen.
Eine als Aushilfskraft angestellte junge Frau mit offenkundig
asiatischen Wurzeln namens Jessica Liao wollte gesehen haben, dass
sich Rademacher einmal mit einem Mann um die dreißig und einmal mit
einer Blondine getroffen hatte. Die Blondine war auch noch einem
anderen Angestellten aufgefallen, der Mann hingegen nicht.
»Der Mann, mit dem er sich traf, war ziemlich groß, schlaksig
und hatte gelocktes, dunkles Haar«, berichtete uns Jessica Liao.
»Er wurde wohl eingeladen. Jedenfalls ist er mir schon deswegen in
Erinnerung geblieben, weil er vier Fishburger geschafft hat.«
»Haben Sie einen Namen oder irgendetwas von dem Gespräch der
beiden mitbekommen?«, fragte ich.
Jessica Liao schüttelte den Kopf und strich eine Strähne ihrer
schulterlangen, blauschwarzen Haare aus Gesicht. »Nein, tut mir
leid. Aber es gab Streit zwischen den beiden, woraufhin der Mann
mit dem gelockten Haar wutentbrannt hinausgelaufen ist. Er hätte
mich fast umgerannt. Ach, übrigens, er trug ein Goldkettchen mit
einem Kreuz auf der Brust.«
»Bis wann sind Sie hier in Udo's Imbiss?«
»Heute bis fünf Uhr am Nachmittag.«
»Dann wird vorher noch einer unserer Kollegen hier
vorbeikommen und mit Ihnen zusammen ein Phantombild anfertigen. Er
heißt Herr Prewitt.«
»Glauben Sie, dass dieser Lockenkopf den Mann umgebracht
hat?«
»Er ist bislang nur ein Zeuge. Jeder, der in den letzten Tagen
und Wochen mit dem Opfer zu tun hatte, kann uns vielleicht
wertvolle Informationen darüber geben, wer einen Grund gehabt haben
könnte, Rademacher umzubringen.«
»Und was können Sie uns über die Frau sagen?«, fragte
Roy.
Die junge Frau wandte den Blick in Roys Richtung. Mit einer
beiläufigen Bewegung strich sie sich das blauschwarze Haar zurück
und klemmte eine Strähne hinter das Ohr.
»Ich glaube, die beiden hatten was miteinander – so wie die
sich angesehen haben«, lautete die Meinung von Jessica Liao. »Ihr
Blond war nicht echt, die Brüste auch nicht und ich nehme an, sie
hat sich auch die Lippen machen lassen. Ich frage mich, was sie mit
ihrem Körper angestellt hat, dass Sie das in dem Alter schon nötig
hatte!«
»Wie alt würden Sie sie schätzen?«, fragte Roy.
»Mitte zwanzig. Sie war so groß wie ich, also unter 1,70 m.
Unter ihrem Mantel trug sie ein ziemlich edles, aber knappes Kleid.
Irgendwie passte sie überhaupt nicht hier her. Dementsprechend war
auch ihr Appetit. Sie hat eine Tasse Kaffee genommen, aber der war
ihr wohl auch nicht recht. Jedenfalls hat sie ihn stehen lassen.
Ach ja, am Arm, da trug sie ein Armband, das mir sofort aufgefallen
ist.«
»So?«
»Es war geformt wie zwei kleine Schlangen, die sich um das
Handgelenk winden. Sah schon aus wie was ganz Besonderes.«
»Unser Zeichner, Herr Prewitt, wird auch von ihr ein Bild
anfertigen«, kündigte ich ihr an.
Über Funk meldete sich einer der uniformierten Beamten der
Hamburger Polizei vom Hafenbecken aus bei Rebecca Düpree.
»Wir haben hier vielleicht etwas gefunden.«
9
Roy und ich gingen ins Freie. Zusammen mit Polizeimeisterin
Düpree liefen wir zur Kaimauer. Auf der linken Seite passierten wir
dabei ein kleines Lagerhaus und erreichten schließlich die
uniformierten Kollegen, die dort den Boden absuchten.
Einer von ihnen stellte sich mir als Polizeimeister Ernst
Golltke vor und deutete auf einen dunklen Fleck auf dem Boden. »Das
könnte Blut sein«, meinte er. »Genau kann man das natürlich nur
sagen, wenn man einen Hämoglobin-Schnelltest oder Luminol zur Hand
hat – in dem eingetrockneten Zustand. Aber fürs Erste können Sie
meiner Erfahrung trauen – das hier ist meiner Meinung nach Blut.«
Er deutete zur Kaimauer, wo sich zwei weitere Kollegen auf dem
Boden umsahen.
»Ich rufe unsere Spurensicherer an«, kündigte Roy an.
Herr Golltke deutete in Richtung seiner Kollegen. »Dort an der
Mauer gibt es noch weitere Blutspuren.«
»Das könnte passen«, stellte ich fest. »Rademacher wurde hier
erschossen und dann zum Wasser geschleift! Dann fehlen uns
eigentlich nur noch die Projektile.«
»Da sehe ich wenig Hoffnung«, meinte Golltke. »Wahrscheinlich
sind die ins Wasser gefallen.«
»Kommt auf die Schussposition an«, widersprach ich. »Wenn wir
Glück haben, finden wir dort hinten an der Uferbefestigung noch
etwas.«
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