Krimi Doppelband 801: Commissaire Marquanteur - Zwei Frankreich Krimis - Alfred Bekker - E-Book

Krimi Doppelband 801: Commissaire Marquanteur - Zwei Frankreich Krimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Killer von Point-Rouge Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Blitz von Marseille Nach Jahren taucht der Profikiller namens "Blitz" aus der Versenkung auf und hinterlässt in Marseille eine Spur aus Blut. Man hat, wie auch schon bei früheren Morden, keine Hinweise oder Spuren. Alles deutet auf einen Bandenkrieg innerhalb der Müll-Mafia hin, auffällig ist allein die Tatsache, dass der Killer jetzt nicht allein zu arbeiten scheint. Commissaire Marquanteur und seine Kollegen haben einen schwierigen Fall zu lösen. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jenny Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Alfred Bekker

Krimi Doppelband 801: Commissaire Marquanteur - Zwei Frankreich Krimis

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Inhaltsverzeichnis

Krimi Doppelband 801: Commissaire Marquanteur - Zwei Frankreich Krimis

Copyright

Commissaire Marquanteur und der Killer von Point-Rouge

Commissaire Marquanteur und der Blitz von Marseille: Frankreich Krimi

Krimi Doppelband 801: Commissaire Marquanteur - Zwei Frankreich Krimis

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Killer von Point-Rouge

Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Blitz von Marseille

Nach Jahren taucht der Profikiller namens “Blitz” aus der Versenkung auf und hinterlässt in Marseille eine Spur aus Blut. Man hat, wie auch schon bei früheren Morden, keine Hinweise oder Spuren. Alles deutet auf einen Bandenkrieg innerhalb der Müll-Mafia hin, auffällig ist allein die Tatsache, dass der Killer jetzt nicht allein zu arbeiten scheint. Commissaire Marquanteur und seine Kollegen haben einen schwierigen Fall zu lösen.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jenny Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER: A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Commissaire Marquanteur und der Killer von Point-Rouge

Alfred Bekker

Commissaire Marquanteur und der Killer von Point-Rouge: Frankreich-Krimi

von Alfred Bekker
Ein Bandenkrieg unter Drogendealern in Marseille ruft die Commissaire Marquanteur und die Sonderabteilung FoPoCri auf den Plan. Unliebsame Zeugen werden durch einen Profikiller ausgeschaltet. Als auch beteiligte Anwälte getötet werden, wird die Suche intensiviert, aber der Killer ist geschickt. Er hat jedoch ein eindeutiges Merkmal, auf das sich die Fahndung konzentriert – sehr kleine Füße.
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1
Manchmal fragt man sich, welchen Sinn all das macht, was wir tun.
Da macht man einen Schritt vor, und dann sorgen andere dafür, dass es hinterher wieder mindestens genauso viele Schritte zurück geht.
Vielleicht muss ich erst einmal erklären, wer ich bin und worum es geht, sonst können sie nicht nachvollziehen, was ich meine. Mein Name ist Pierre Marquanteur. Ich bin Commissaire.
Soweit, so gut.
Ich gehöre zu einer Sondereinheit, die für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens gegründet wurde. Sie nennt sich Force spéciale de la police criminelle und ist hier in Marseille angesiedelt.
Zusammen mit meinem Kollegen François Leroc übernehme ich die wirklich kniffligen Fälle, die größere Ressourcen und Fähigkeiten benötigen.
Wir riskieren unser Leben, um unseren Job erfüllen zu können.
Und wenn dann ein Krimineller, von dem man genau weiß, dass er schuldig ist, durch juristische Winkelzüge wieder auf freien Fuß kommt, dann ist das gerade für unsereins ziemlich schwer zu verdauen.
Aber das ist wohl auch eine Seite unseres Berufs, mit der man irgendwie klarkommen muss.
2
Hugo Grenadille hob die Hand zum Victory-Zeichen, als er die Stufen des Gerichtsgebäudes hinab schritt. Eine Handvoll Polizisten schirmten den Mann ab, der soeben wegen eines Verfahrensfehlers einer Verurteilung wegen Mordes entgangen war.
Mehrere Kamerateams und Dutzende von Reportern drängten sich um Grenadille, der die Aufmerksamkeit sichtlich genoss.
Eine Mikrofonstange reckte sich Grenadille entgegen.
»Ein kurzes Statement!«, rief jemand.
Grenadille grinste.
»Was soll ich sagen? Wir leben eben in einem Rechtsstaat«, lachte er und bleckte dabei zwei Reihen makellos weißer Zähne.
Hugo Grenadille ahnte nicht, dass er sich in dieser Sekunde im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs befand.
Mein Kollege François Leroc und ich hielten uns etwas abseits des Menschenauflaufs auf, der rund um den Haupteingang des Gerichtsgebäudes entstanden war.
Hugo Grenadille war des Mordes an einen Barbesitzer in Pointe-Rouge bezichtigt worden, aber Staatsanwalt David Lohmer war mit seiner Anklage sang- und klanglos untergegangen. Es hatte sich herausgestellt, dass Beweismittel teilweise unter gesetzwidrigen Bedingungen erhoben worden waren. Man hatte den Verdächtigen nach seiner Verhaftung nämlich nicht hinreichend über seine Rechte aufgeklärt.
Darüber hinaus waren im Verlauf des Verfahrens die Zeugen der Anklage reihenweise umgefallen, hatten ihre Aussagen zurückgezogen oder waren nicht mehr bereit, sie vor Gericht zu bestätigen. Die Staatsanwaltschaft vermutete, dass diese Zeugen unter Druck gesetzt worden waren. Beweise hatte sie dafür allerdings nicht vorlegen können.
Plötzlich hatte sich niemand mehr daran erinnern können, dass Hugo Grenadille die Bar, in der das Verbrechen verübt worden war, am Tatabend überhaupt betreten hatte.
Wir vom Polizeipräsidium Marseille ermittelten seit Langem gegen jenen Mann, der als Auftraggeber dieses Mordes verdächtigt wurde.
Niko Dragnea.
Ein Mann, der hinter vorgehaltener Hand auch als der »Wäscher von Pointe-Rouge» bezeichnet wurde. Er war an Dutzenden von Bars, Clubs und Diskotheken im gesamten Marseille beteiligt oder betrieb sie in eigener Regie. Diese Etablissements, so glaubten wir, dienten einzig und allein der Wäsche von Drogengeldern.
Hugo Grenadille, der als Dragneas Mann fürs Grobe galt, schien sich in seiner Rolle als Medienstar immer mehr zu gefallen.
»Ich danke der Staatsanwaltschaft dafür, dass sie nicht in der Lage war, ein ordentliches Verfahren auf die Beine zu stellen. Ich danke außerdem meinen Anwälten, dass sie es geschafft haben, diesem besser ungenannt bleibenden Schmalspurrechtsverdreher, der durch politische Schleimscheißerei zum Staatsanwalt werden konnte, mal gezeigt wurde, wo seine Grenzen sind. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn er sich sogar sein Universitätsdiplom und seinen Doktorhut selbst gekauft hat.«
»Ein widerlicher Kerl«, kommentierte François den Auftritt Hugo Grenadilles, der sich immer weiter in seinen Triumph hineinzusteigern schien.
Plötzlich veränderte sich Hugo Grenadilles Gesichtsausdruck. Er wurde starr. Mitten auf seiner Stirn erschien ein roter Punkt, der rasch größer wurde. Gleichzeitig ging ein Ruck durch seinen Körper. Er sackte in sich zusammen.
Tumult entstand.
Eine Kugel hatte Hugo Grenadilles Stirn durchschlagen. Instinktiv ging meine Hand zum Griff meiner SIG Sauer P 226. Ich blickte an der Fassade eines mehrstöckigen Gebäudes empor, das dem Gericht gegenüber lag. Von dort aus musste der Schuss gekommen sein.
Das dritte Fenster im siebten Stock war offen. Ein Windstoß wehte die Gardine ins Freie. Wahrscheinlich die Zugluft, die entstand, wenn jemand gleichzeitig die Wohnungstür öffnete. Der Killer machte sich offenbar schleunigst davon.
»Los! Vielleicht kriegen wir den Kerl noch!«, rief ich François zu.
»Seit wann glaubst du an Wunder, Pierre?«
3
Wir kämpften uns durch die Menge, während im Hintergrund bereits Sirenen von Einsatzfahrzeugen der Polizei und der Notfallambulanz schrillten. Anschließend rannten wir über die Straße. Der Van eines Pizza-Service bremste mit quietschenden Reifen. Der Fahrer zeigte mir einen Vogel, ich ihm meinen Dienstausweis des Polizeipräsidiums Marseille.
Endlich erreichten wir die andere Straßenseite.
Über Handy hatte François längst unsere Zentrale in der Dienststelle verständigt. Von dort aus würden alle weiteren als notwendig erachteten Maßnahmen ergriffen werden.
Wir erreichten den Eingang des gewiss schon etwas älteren, aber in einem Top-Zustand befindlichen Hauses. Ein Bürohaus der gehobenen Sorte – ohne den Komfort der modernen Glaspaläste, aber mit dem Charme und dem Stil der Architektur der Dreißiger.
Anwaltskanzleien residierten hier. Die unmittelbare Nähe zum Gerichtsgebäude war zweifellos ein Standortvorteil, der es zumindest für Kanzleien der mittleren Kategorie attraktiver erscheinen ließen, sich hier einzumieten statt in einer Etage irgendeines teuren Glaspalastes.
In der Eingangshalle patrouillierten Angehörige eines privaten Security Service in schwarzen Uniformen herum. Sie trugen sechsschüssige kurzläufige Revolver vom Typ Smith & Wesson Kaliber 38 an den Gürteln. Ich ging auf den ersten Mitarbeiter der Security zu, zeigte ihm meinen Dienstausweis und sagte: »Pierre Marquanteur, FoPoCri. Vom dritten Fenster im siebten Stock ist auf das Portal des Gerichtsgebäudes geschossen worden. Sorgen Sie mit Ihren Leuten dafür, dass die Ausgänge, das Treppenhaus und die Aufzüge bewacht werden! Niemand darf das Haus verlassen, bevor unsere Verstärkung nicht eingetroffen ist und die Personen kontrollieren konnte.«
»Ja, kein Problem.«
Ich gab ihm meine Karte.
»Da ist meine Handynummer drauf. Melden Sie sich sofort, wenn sich hier unten etwas tut!«
»In Ordnung.« Er steckte die Karte ein. »Drittes Fenster, siebter Stock, sagten Sie?«
»Ja.«
»Das müssen die Räume von Watton & Partner sein. Die sind letzte Woche ausgezogen. Seitdem steht die Etage leer, weil sich noch kein Nachmieter gefunden hat, der bereit war, die horrende Miete zu bezahlen!« Der Mitarbeiter der Security drehte sich um. Sein Name stand in Großbuchstaben an seinem Uniformhemd: B. Borné.
»Hey, Jacques! Bring die Commissaires ins Siebte! Aber pass auf! Kann sein, dass sich da oben ein schießwütiger Killer herumtreibt.«
Jacques – dem Hemdaufdruck nach hieß er Jacques Tihange – zog Revolver und Generalschlüssel und bedeutete uns, ihm zu folgen.
Borné bellte inzwischen Befehle an seine Leute durch die Eingangshalle. Ein weiterer Mitarbeiter der Security, der seinen Platz in einem Kubus aus Panzerglas hatte und von dort aus den Eingang überwachte, griff zum Telefonhörer, um Anweisungen weiterzugeben.
Jacques Tihange führte uns zum Treppenhaus. Wir konnten nur hoffen, dass Borné auch wirklich meinen Anweisungen folgte und in Kürze noch ein paar Mitarbeiter der Security hier in Stellung gingen und sich die schwarzen Sheriffs nicht nur auf die Aufzüge konzentrierten. Schließlich musste innerhalb kürzester Zeit dem Täter jegliche Fluchtmöglichkeit genommen und jedes noch so kleine Loch gestopft werden.
Wenn es nicht ohnehin schon zu spät war.
Wir nahmen jeweils zwei bis drei Stufen mit einem Schritt. Dabei stellte sich heraus, dass es Jacques Tihange in puncto Kondition durchaus mit zwei durchtrainierten Commissaire wie François und mir aufnehmen konnte.
Schließlich erreichen wir den siebten Stock. Ein kurzer Korridor führte zu den Räumen von Watton & Partner. Das Firmenschild war abmontiert.
Lediglich ein Umriss und die Schraubenlöcher waren noch zu sehen.
»Hieß nicht einer der Verteidiger von Grenadille Watton?«, fragte François.
»Allerdings!«
Die Zugangstür zum Bereich von Watton & Partner war durch eine Glastür vom Eingangsbereich getrennt, wo sich auch der Zugang zu den Aufzügen befand. Die überprüften wir zuerst.
Keine der vier Kabinen war gerade in Höhe des siebten Stocks. Drei befanden sich auf dem Weg nach unten, die vierte bewegte sich aufwärts, wie anhand der Leuchtanzeigen erkennbar war.
»Wenn der Kerl den Lift genommen hat, sind wir zu spät«, stellte Tihange fest.
»Aber dann läuft er hoffentlich Ihren Kollegen in die Arme!«, erwiderte François.
Tihange steckte den Generalschlüssel ins Schloss der Glastür.
»Ist offen!«, stellte er überrascht fest.
»Bleiben Sie hier und achten Sie auf den Fahrstuhl!«, sagte ich.
»Aber …«
»Das ist jetzt unser Job, Monsieur Tihange!«
Mit der SIG in der Faust öffnete ich die Tür. François folgte mir. Lautlos traten wir in den Korridor. Zu beiden Seiten befanden sich die Türen zu den Büroräumen, in denen diese ihre Mandanten berieten. Ganz klassisch und konservativ. Kein Großraumbüro und abgesehen von der Eingangstür gab es auch keinerlei Glas. Seriosität schien bei Watton & Partner Trumpf gewesen zu sein. Ich fragte mich, weshalb diese Kanzlei ihren Sitz mit freiem Ausblick auf die künftige Stätte des zu erringenden juristischen Triumphs, den die Mitarbeiter von Watton & Partner für ihre Mandanten zu erringen hatten, aufgegeben hatte.
Das dritte Fenster musste sich im ersten oder zweiten Zimmer auf der rechten Seite befinden. Die Räume auf der anderen Seite des Korridors waren zur Rückseite ausgerichtet und kamen nicht infrage.
Ich trat die erste Tür auf. François sicherte auf dem Flur.
Ein kahler Raum ohne Möbel lag vor mir. Die Abdrücke auf dem hellblauen Teppichboden zeigte genau an, wo die einzelnen Möbelstücke gestanden hatten.
Beide Fenster waren geschlossen.
Ich schnellte zurück, machte François ein Zeichen.
Diesmal war er dran, die Tür aufzustoßen und den Raum als Erster zu betreten, während ich auf dem Flur sicherte.
Mit der SIG in der Faust machte er einen Schritt in den Nachbarraum, dessen Tür nur angelehnt gewesen war. Das Fenster stand offen. Anders als in den ultramodernen Bürotürmen, die sich zwanzig oder noch mehr Stockwerke in den Himmel über Marseille Mitte erheben, bei denen sich die Fenster oft aus Angst vor Selbstmördern gar nicht mehr öffnen lassen und Frischluft einzig über die Klimaanlage in die Räume gebracht werden kann, waren hier ganz herkömmliche Schiebefenster zu finden, wie sie in den meisten französischen Häusern üblich sind.
François senkte die Waffe.
Dies war also der Ort, von dem aus geschossen worden war.
»Los, lass uns die anderen Räume noch kurz durchsuchen!«, sagte François.
»Warte!«
»Was ist?«
»Hier stimmt was nicht.« Ich deutete auf den Vorhang am Fenster. Er hing schlaff herunter, bewegte sich nicht. »Monsieur Tihange, öffnen Sie die Glastür!«, rief ich.
»Steht offen!«, gab Tihange einen Augenblick später zurück.
François sah mich verständnislos an.
»Worauf willst du hinaus, Pierre?«
»Kein Durchzug, François! Der Kerl ist nicht durch die Glastür zu den Aufzügen gelaufen.«
»Sondern?«
Ich rannte über den Flur, stieß die Tür gegenüber auf. Sie war nur angelehnt. Mit der SIG in der Hand trat ich ein. Eines der zum Hinterhof ausgerichteten Fenster stand offen. Zugluft entstand und ließ die Tür hinter mir zuschlagen. Ich lief zum Fenster und blickte in den Hinterhof. Ein Mann mit Baseball-Kappe und einer Sporttasche über der Schulter ging eiligen Schritts auf die etwa hundert Meter entfernte Ausfahrt des von mehrstöckigen Bauten eingerahmten Hinterhofs zu, der vor allem als Parkplatz diente.
Über eine Außentreppe konnte man hinab gelangen. Ich zögerte keine Sekunde, schwang mich aus dem Fenster, erreichte den ersten Absatz der Treppe und rannte sie hinunter.
»Stehen bleiben! FoPoCri!«, rief ich dem Kerl mit der Baseball-Kappe hinterher.
Der Kerl drehte sich um.
OM (Olympique Marseille) stand in Großbuchstaben auf seiner Mütze. Die Augen waren durch eine Sonnenbrille mit Spiegelgläsern verdeckt, so dass man von seinem Gesicht lediglich Nase und Kinnpartie sehen konnte.
Der Mann mit der OM-Mütze griff unter seine blousonartige Jacke, riss eine Waffe hervor und feuerte sofort in meine Richtung. Schüsse peitschten, kratzten Funken sprühend am Metallgestänge der Feuertreppe entlang oder gruben sich in das vergleichsweise weiche Mauerwerk.
Ich feuerte zurück.
François hatte inzwischen das Fenster erreicht und gab mir ebenfalls Feuerschutz.
Der Kerl rannte auf die Ausfahrt zu.
Ich sah zu, dass ich hinunterkam, nahm mehrere Stufen mit einem Schritt, sprang und rutschte, bis ich schließlich den Asphalt des Hinterhofs unter den Schuhen hatte.
Wieder peitschten Schüsse in meine Richtung. Ich duckte mich hinter eine parkende Limousine, feuerte zurück, ohne jedoch zu treffen.
Der Mann mit der OM-Mütze hatte jetzt die Einfahrt zum Hinterhof erreicht.
Ein Wagen bremste. Es handelte sich um einen Renault in Silbermetallic. Der OM-Mann richtete die Waffe auf den Fahrer, umrundete die Motorhaube, riss die Fahrertür auf und zerrte den etwa fünfzigjährigen Mann am Steuer grob heraus.
»Nicht schießen!«, zitterte der Ford-Fahrer.
Der Killer gab ihm einen Schlag mit dem Lauf seiner Pistole, der ihn niedersinken ließ. Dann setzte er sich ans Steuer. Er setzte den Wagen zurück. Rücksichtslos fuhr er auf die sich an die Einfahrt anschließende Straße. Ein Wagen bremste mit quietschenden Reifen.
Ich rannte hinterher, zielte auf die Reifen des Ford. Den vorne rechts erwischte ich. Der OM-Mann startete trotzdem durch. Funken sprühten und ein Geruch von verbranntem Gummi verbreitete sich, als der Renault nach vorne schoss.
Der OM-Mann vollführte mit dem Renault einen riskanten Fahrbahnwechsel. Ein Peugeot musste bremsen. Zwei weitere Fahrzeuge fuhren auf. Ein Fahrradkurier konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen.
Mit aufheulendem Motor und über den Asphalt kratzender Felge vorne rechts dröhnte der Renault die Fahrbahn entlang.
Ich erreichte die Straße, sprang auf den Kofferraum eines parkenden Wagens, legte die SIG Sauer P 226 an und feuerte.
Zwei Schüsse.
Einer traf den Reifen hinten rechts.
Es war ohnehin schon ein Wunder gewesen, wie der OM-Mann es geschafft hatte, den Renault trotz des zerschossenen Vorderreifens in der Spur zu halten. Jetzt brach er hinten aus, schabte an einer Reihe parkender Fahrzeuge entlang und blieb schließlich an einem von ihnen hängen.
Die beiden verbleibenden Reifen drehten durch. Die Metallfelge sprühte Funken wie ein Schweißgerät.
Der OM-Mann öffnete die Tür, riss die Waffe empor und feuerte in meine Richtung. Ich duckte mich, sprang vom Wagen und rannte hinter ihm er.
Keine fünfzig Meter entfernt befand sich eine U-Bahnstation. Der OM-Mann rannte die Stufen hinab, die in die Tiefe führten. Hinunter in die unterirdische Stadt aus U-Bahnhöfen, Schienentunneln und Abwasserkanälen, von denen nur noch ein Bruchteil in Gebrauch war. Mehrere Stockwerke tief reichte dieser Maulwurfbau unter die Oberfläche.
Ich setzte dem flüchtigen OM-Mann, den ich für den Mörder Hugo Grenadilles hielt, weiter nach. Ein Strom von Menschen kam mir entgegen, hielt mich auf, und es nützte mir auch nichts, dass ich mit meiner Polizeimarke herumwedelte. Es waren einfach zu viele. Schon nach wenigen Augenblicken hatte ich den OM-Mann aus den Augen verloren.
Aber noch war ich nicht bereit aufzugeben.
Schließlich erreichte ich den Bahnsteig.
Ein Zug fuhr gerade weg.
Der Bahnsteig war voller Menschen. Eine Minute später stand ich fast allein dort. François sah ich die Treppe hinunterkommen, die SIG in der einen und den Dienstausweis in der anderen Hand.
Er sah sich suchend um.
Von dem OM-Mann war nirgends eine Spur zu finden.
Ich steckte meine Pistole weg und griff stattdessen zum Handy, um sicherzustellen, dass der gerade Richtung Seepark abgefahrene Zug bei der nächsten Station von Kollegen der Marseiller Polizei unter die Lupe genommen wurde. Meine knappe Täterbeschreibung sollte dabei helfen: Der Killer war mindestens eins-achtzig groß, männlich, Baseball-Kappe mit der Aufschrift OM und eine Sporttasche der Firma Nike.
»Danach könnte man nicht einmal ein Phantombild fabrizieren, Pierre«, tadelte mich François, der alles mitbekommen hatte. Auch er steckte jetzt die SIG zurück ins Holster und ließ den Dienstausweis in der Jackentasche verschwinden.
»Sehr witzig, François! Leider hat der Kerl auf meine Aufforderung seine Brille nicht abgenommen, damit ich ihn besser sehen kann!«
4
Wir kehrten zurück zum Tatort.
Nur eine Viertelstunde später war dort bereits der Teufel los. Rund um das Portal des Gerichtsgebäudes natürlich auch. Ein Wagen des Gerichtsmediziners war vorgefahren, um die Leiche von Hugo Grenadille abholen.
Der gesamte Bereich vor dem Gerichtsgebäude und um das gegenüberliegende Gebäude war abgesperrt worden. Uniformierte Kollegen der Polizei hatten das übernommen. Außerdem waren ein halbes Dutzend Commissaire am Tatort eingetroffen, darunter unsere Kollegen Léo Morell und Josephe Kronbourg. Stéphane Caron, der stellvertretende Chef des Polizeipräsidiums Marseille traf zusammen mit seinem Kollegen Boubou Ndonga etwas später ein. Wenn ein Bluthund dieser Größe des organisierten Verbrechens selbst das Opfer eines Mordanschlags wurde, war das ein Fall für die FoPoCri. Schließlich lag nahe, dass dahinter eine Fehde unter organisierten Gangsterbanden steckte.
Kollegen der Erkennungsdienstes, dem im Präsidium ansässigen zentralen Erkennungsdienst, dessen Einrichtungen von allen Marseiller Polizeieinheiten benutzt wurden, trafen ein. In besonderen Fällen hatten wir darüber hinaus die Möglichkeit, auch unsere eigenen erkennungsdienstlichen Mitarbeiter und Labore einzuschalten. In diesem speziellen Fall reichten die Kapazitäten unserer Kollegen vom Erkennungsdienst vollkommen aus.
Polizeihauptmeister Ralph Maiziere leitete den Einsatz unserer Kollegen. Maiziere war ein bärbeißiger, sommersprossiger Mann mit roten Haaren. Seine bretonischen Vorfahren waren nicht zu leugnen.
»Einem Widerling wie Hugo Grenadille dürfte wohl kaum jemand eine Träne nachweinen«, meinte er, als wir uns zusammen mit meinem Kollegen Stéphane Caron in einem der leer stehenden Büroräume von Watton & Partner trafen.
»Trotzdem werden wir den Mord an ihm mit derselben Intensität verfolgen wie jedes andere Verbrechen«, erwiderte ich. »Auch, wenn jetzt der eine oder andere sagen wird, dass es mit Grenadille den Richtigen getroffen hat.«
»Einen Mann, der um keinen Preis der Welt hätte freikommen dürfen!«, war Maiziere überzeugt. »Ich glaube nicht, dass ihn in Pointe-Rouge viele Leute vermissen werden!«
Stéphane zuckte die Achseln.
»Wer weiß, vielleicht hat ihn sogar dieser Niko Dragnea auf dem Gewissen.«
»Sein eigener Boss?«, fragte François.
»Warum nicht?«, erwiderte Stéphane. »Grenadille war für Dragnea der Mann fürs Grobe – und so ein Mann fürs Grobe weiß doch häufig über die dunkelsten Kellerlöcher Bescheid, die sein Auftraggeber zu verbergen hat.«
»Wenn wir erst einmal den Killer haben, bekommen wir auch den Boss, der hinter ihm steht«, war ich überzeugt.
Die Liste derer, die Grenadille den Tod gewünscht hatten, musste ziemlich lang sein. Dutzende von kleinen Bar- und Ladenbesitzer, denen Grenadille im Auftrag von Dragnea auf die Füße getreten war. Natürlich auch die Konkurrenz im Geldwäschegeschäft, die Grenadille recht erfolgreich eingedämmt hatte. Nach unseren Ermittlungen war Grenadille es gewesen, der seinem Boss den Weg nach oben buchstäblich frei geboxt hatte. Oft genug mit Unterstützung von einschlägig bekannten Kriminellen oder Straßengangs. Grenadille war schlau genug gewesen, sich die Hände nur dann schmutzig zu machen, wenn er vollkommen sicher sein konnte, nicht erwischt zu werden.
Mein Handy schrillte.
Es war die Zentrale. Ich bekam Bescheid darüber, dass unser Zeichner Commissaire Perouche auf dem Weg zum Tatort war, um mit mir und François ein Phantombild des Täters zu erstellen, das möglichst schnell an die Medien gegeben werden sollte.
Michel Prevoust vom Erkennungsdienst trat zu uns. Ich kannte Michel von anderen Einsätzen her, hatte ihn aber in seinem schneeweißen Ganzkörperschutzanzug mit Kapuze und Mundschutz nicht erkannt. Erst jetzt, da er beides zur Seite schob, sah ich, mit wem ich es zu tun hatte.
»Hi, Michel!«
»Hi, Pierre.«
Er begrüßte auch die anderen und meinte schließlich: »Diese Anzüge sind das pure Grauen. Angeblich sollen die atmungsaktiv sein.«
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, im Außendienst zu sein«, grinste François.
Aber das Tragen dieser Schutzanzüge hatte sich in der Spurensicherung bewährt. Gerade die Technik der DNA-Analyse und der Einsatz von Luminol, um normalerweise unsichtbare oder teilweise schon entfernte Spuren sichtbar zu machen, hatten das Geschäft der Spurensicherung in den letzten Jahren revolutioniert. Eine Schuppe, die aus dem Haar eines Beamten rieselte, konnte am Tatort zu einem dermaßen verwirrenden Befund führen, dass der Fortgang der Ermittlungen dadurch stark verzögert wurde.
»Viel kann man im Moment noch nicht sagen«, erklärte Prevoust. »Der Raum war leer, der Täter hat keine Patronenhülse hinterlassen, und das Projektil kann erst nach der Obduktion der Leiche untersucht werden, denn soweit ich den Gerichtsmediziner verstanden habe, steckt es noch in Grenadilles Kopf.«
»Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn die Waffe schon mal benutzt worden wäre«, meinte Stéphane.
»Fingerabdrücke gibt es nirgendwo«, fuhr Prevoust fort. »Der Täter hat Handschuhe getragen. Er hatte allerdings Öl unter den Füßen und hat deswegen ein paar Abdrücke produziert, die mit bloßem Auge fast nicht sichtbar sind, aber …«
»Ihr habt da so eure Tricks«, schloss ich.
Michel nickte.
»Worauf du wetten kannst! Der Kerl trug Turnschuhe der Marke Nike, Größe einundvierzig. Ich würde daher auf einen eher kleinen Täter schließen.«
»Ich habe den Mann gesehen«, sagte ich. »Eins-achtzig war der mindestens, vielleicht sogar noch größer!«
Michel hob die Augenbrauen.
»Schuhgröße einundvierzig passt nicht so richtig dazu, oder?«
»Kannst du laut sagen!«
»Aber an den Messungen wirst da ja wohl nicht zweifeln wollen.« Michel Prevoust zuckte die Schultern und lächelte verschmitzt. »Wie ihr das zusammenbringt – diesen großen Kerl und die kleinen Füße – das ist euer Problem. Aber dafür habt ihr ja eure berühmte Ausbildung in der Polizeihochschule hinter euch.« Ein bisschen Ironie schwang in Michels Worten mit. Ich hatte zufällig von einem seiner Kollegen mal gehört, dass Michel Prevoust selbst mal versucht hatte, die Aufnahmetests bei der Polizei zu bestehen und gescheitert war. Vielleicht kamen daher die Seitenhiebe auf die Polizei, die er sich hin und wieder wohl einfach nicht verkneifen konnte.
»Das ist zumindest ein sehr auffälliges körperliches Merkmal, das uns bei der Fahndung helfen wird«, glaubte Stéphane. »Was wollen wir mehr?«
Während der Zeit, wie wir am Tatort zubrachten, stellte sich noch mehr heraus. So waren sämtliche Fenster der siebten Etage geschlossen gewesen, wie die Mitarbeiter des Security Service versicherten. Auch die Spurenlage an dem Fenster zum Hinterhof, durch das der Täter über die Feuerleiter geflüchtet war, ergab, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf diesem Weg das Gebäude betreten hatte. Vielmehr sprach alles dafür, dass er auf dem herkömmlichen Weg in die ehemaligen Räumlichkeiten von Watton & Partner gelangt war.
Mit Hilfe von B. Borné fanden wir schließlich die entsprechende Video-Sequenz der Überwachungskamera im Eingangsbereich. In dieser Sequenz sprach er kurz mit einem Mitarbeiter der Security, dessen Identität schnell ermittelt war. Er hieß Rainier Gervais, war vierunddreißig Jahre alt und galt nach B. Bornés Angaben als außerordentlich zuverlässig. Die Video-Sequenz konnte uns, was das Äußere des Killers anging, zwar nicht wirklich weiterhelfen, abgesehen davon, dass sich unsere Spezialisten vom Innendienst darum kümmern konnten, ob der Kerl mit der OM-Mütze tatsächlich auch Schuhgröße 41 hatte, was mit Hilfe neuester biometrischer Messverfahren auch anhand von Videoaufnahmen möglich war.
Gervais konnte sich jedoch über die bekannten Details hinaus noch an zwei weitere wichtige Einzelheiten erinnern. Erstens hatte der OM-Mann Gervais‘ Angaben nach stark nach Menthol und Zigaretten gerochen. Und zweitens konnte sich der Wachmann daran erinnern, dass er sich nach der Kanzlei Brugger, Gerlonde & Parte im achten Stock erkundigt.
»Ich habe kurz bei der Kanzlei durchgerufen, um mich danach zu erkundigen, ob er dort tatsächlich einen Termin hatte. Sonst hätte ich ihn gar nicht zu den Fahrstühlen gelassen«, berichtete Gervais. »Sicherheit wird bei uns nämlich groß geschrieben, müssen Sie wissen.«
»Hat er einen Namen genannt?«, fragte ich.
Gervais nickte. »Pierre Meyere.«
»Nicht besonders originell.«
»Habe ich auch gedacht, Commissaire Marquanteur. Aber wenn Brugger, Gerlonde & Parte einen Termin mit einem gewissen Pierre Meyere vereinbart hat und in der Eingangshalle taucht jemand mit diesem Namen auf, dann habe ich keinen Grund, denjenigen daran zu hindern, das Gebäude zu betreten.«
»Es macht Ihnen auch niemand einen Vorwurf«, versicherte ich.
»Wer hätte auch schon ahnen können, dass es sich bei diesem Typ um einen Killer handelt? Schließlich können wir unmöglich bei all den Mandanten der in diesem Haus residierenden Anwälte Leibes- und Gepäckvisitationen durchführen. Dann hätten wir sehr schnell deren gesamte Mandantschaft verprellt.«
Wenig später statteten wir der Kanzlei Brugger, Gerlonde & Parte einen kurzen Besuch ab. Wir bekamen dort die Auskunft, dass tatsächlich ein Mann namens Meyere telefonisch um einen Termin gebeten hatte. Er wollte angeblich Rechtsauskunft in einer Erbschaftsangelegenheit. Wie unsere Kollegen Léo Morell und Josephe Kronbourg herausfanden, hatte dieser ominöse Pierre Meyere auch in zwei anderen Kanzleien angerufen, um einen Termin zu bekommen, war dort jedoch auf spätere Termine vertröstet worden.
Inzwischen traf unser Zeichner, Commissaire Perouche, ein, der zusammen mit dem Mitarbeiter der Security Gervais, François und mir ein Phantombild erstellte. Dazu benutzte er natürlich schon lange nicht mehr Block und Bleistift, sondern einen hochmodernen Laptop mit einer speziellen Software zur Erstellung brauchbarer Phantombilder.
Da in diesem Fall niemand besonders viel vom Gesicht des Verdächtigen gesehen hatte, blieb das Ergebnis trotz eines Top-Bildprogramms und dem unbestreitbaren Können Perouches eher dürftig.
Wir waren gerade damit fertig, als uns ein sehr interessantes Ergebnis der Kollegen des Erkennungsdienstes erreichte. Es war Michel Prevoust, der mir die Neuigkeit per Handy mitteilte.
»Am Schloss der Glastür, die zu den Räumen von Watton & Partner führen, sind keinerlei Spuren eines Einbruchs erkennbar. Da wir davon ausgehen, dass der mutmaßliche Täter über diesen Weg an den Tatort gelangt ist, muss man daraus eigentlich den Schluss ziehen, dass er wahrscheinlich einen Schlüssel hatte oder ihn jemand hereingelassen hat, Pierre.«
»Ich danke dir, Michel.«
Wenig später besprach ich die Sache mit François und Stéphane.
»Wenn ihr mich fragt, dann gibt es da nur zwei Möglichkeiten, wie er an den Schlüssel herangekommen sein kann«, sagte Stéphane. »Entweder hatte er einen Helfer bei den Wachleuten oder bei Watton & Partner.«
»Dürfte auf jeden Fall interessant sein, diese Kanzlei mal unter die Lupe zu nehmen«, fand ich.
5
Es war später Nachmittag. Niko Dragnea saß mit zwei dunkelhaarigen Schönheiten in den Armen an einem Tisch im Buena Vista Club, einer Disco, die als Tummelplatz von Kokain-Dealern für den gehobenen Bedarf bekannt war. Niko Dragnea kontrollierte diesen Laden über einen Strohmann namens Rafi Hazrat. Der Buena Vista Club diente ihm vor allem zur Geldwäsche. Gewinn brauchte der Club ansonsten kaum abzuwerfen. Tat er es doch – umso besser.
Wichtig war nur, dass der Umsatz möglichst hoch war. Je höher der Umsatz, desto mehr schwarzes Geld konnte man durch ihn hindurchschleusen und zu schneeweißem Kapital machen, mit dem sich ganz legale Geschäfte machen ließen. Und genau darauf waren sie alle aus, die mit illegalen Geschäften ihr Geld machten. Die Drogenbarone ebenso wie die Paten der Müll-Mafia oder Falschgeldhändler, die mit dem Export von falschen Euro-Noten nach Osteuropa oder in die ehemaligen GUS-Staaten ein Vermögen machten.
Das Problem blieb immer dasselbe – und Männer wie Niko Dragnea hatten die Lösung dafür.
Die Drogenhändler, die allabendlich im Club herumhingen und ihren Stoff an Rechtsanwälte, Yuppies – karrierebewusste, meist junge Menschen, die großen Wert auf ihre äußere Erscheinung legen – und andere Kunden verhökerten, die bereit waren, für guten Koks etwas mehr auszugeben, als man an den Straßenecken dafür hinblättern musste, nahm Dragnea eigentlich nur in Kauf. Im Grunde stellten sie eine Gefahr für sein Geschäft dar – wenn auch nicht für ihn persönlich, denn im Zweifelsfall musste sein Strohmann für alle rechtlichen Folgen den Kopf hinhalten.
Dragnea waren diese schmierigen Typen, die allabendlich an den Tresen herumhingen oder ihre Hüften zu den Rhythmen wiegten, die im Buena Vista gespielt wurden, zuwider.
Aber da es die Leute von Ben Toufique waren, dem Koks-König von Pointe-Rouge, der es geschafft hatte, so etwas wie der Generalvertreter eines Drogensyndikats in Marseille zu werden, konnte Niko Dragnea die Koksdealer nicht aus dem Buena Vista und anderen seiner Clubs verbannen. Schließlich war Ben Toufique einer seiner wichtigsten Kunden. Davon abgesehen hatte er mehr Männer unter Waffen als sonst irgendjemand in dem Viertel.
Für Gäste hatte das Buena Vista um diese Zeit noch gar nicht geöffnet. Aber bevor der Publikumsverkehr losging, wollte sich der Boss noch etwas amüsieren. Eine Champagnerflasche stand auf dem Tisch. Die Gläser schäumten über, und die beiden Girls, die Dragnea im Arm hielt, schienen bester Laune zu sein.
Rafi Hazrat, Dragneas Strohmann, stand hinter dem Schanktisch und beobachtete misstrauisch die Szene. Hazrat war Mitte dreißig, hatte dunkel gelocktes Haar und war sehr hager. Er hatte bei Dragnea als Türsteher angefangen. Jetzt konnte er sich Clubbesitzer nennen, auch wenn ihm durchaus klar war, dass er seine Existenz auch jetzt noch zu hundert Prozent Dragnea verdankte.
»Auf die Zukunft, Mädels!«, rief Dragnea, der bereits mehrere Champagnergläser geleert hatte.
Die Mademoiselles kicherten.
Aber dieses Kichern erstarb von einem Augenblick zum anderen, als die Eingangstür vom Buena Vista zur Seite flog.
Ricky Balmorte, der breitschultrige und fast zwei Meter große Türsteher des Buena Vista, taumelte durch den Raum und flog der Länge nach zu Boden. Mit einem Fluch auf den Lippen wischte er sich das Blut von der Nase.
Ein unglaublich dicker Mann Anfang vierzig und in einen schneeweißen Maßanzug gekleidet, betrat den Raum. Das blauschwarze Haar war nach hinten gekämmt. Drei Kerle mit schwarzen Rollkragenpullovern und Bodybuilderfigur begleiteten ihn. Sie trugen Maschinenpistolen vom Typ MP 7 der Firma Heckler und Koch im Anschlag.
»Monsieur Toufique!«, stieß Dragnea völlig verblüfft hervor.
Mit allem hätte er jetzt gerechnet, nur nicht damit, dass ausgerechnet Ben Toufique ihm einen Besuch abstattete.
Der Koks-König von Pointe-Rouge deutete auf den am Boden liegenden Balmorte.
»Lausige Bodyguards beschäftigen Sie, Dragnea«, tadelte er den Mann hinter den Champagnergläsern.
Die Mademoiselles saßen jetzt auf einmal ziemlich steif da. Ihre Gesichter erbleichten.
Ben Toufique trat näher.
Hazrat machte eine unbedachte Bewegung, die damit quittiert wurde, dass gleich zwei von drei MP 7-Läufen auf ihn gerichtet wurden.
»Hey, keine Panik! Am besten, wir bleiben alle ganz ruhig!«, zeterte Hazrat.
Toufique steckte sich eine Zigarre in den Mund und zündete sich an.
»Indem Sie das hier dulden, begehen Sie gerade eine Ordnungswidrigkeit, Hazrat«, lachte Toufique, blies den Rauch in die Luft und lächelte kalt. »Schließlich ist das Rauchen in sämtlichen Lokalen nicht nur in Marseille verboten – und bei Zuwiderhandlung wird der Besitzer in Regress genommen!«
»Monsieur Toufique, ich …«, flüsterte Hazrat, aber der Mann in Weiß bedeutete ihm mit einer kurzen, knappen Geste zu schweigen. »Gehen Sie einfach eine Weile spazieren, klar?«
Hazrat wandte den Blick in Dragneas Richtung.
»Ist schon in Ordnung, Rafi!«, sagte dieser.
Toufique versetzte dem am Boden liegenden Türsteher einen Tritt.
»Und nehmen Sie dieses Stück Scheiße mit, Hazrat! Ich will mich mit Ihrem Boss mal ungestört unterhalten.«
Ricky Balmorte bleckte die Zähne wie ein Raubtier. Die obere Reihe war so gleichmäßig, dass sie falsch sein musste. Er ballte die Fäuste.
»Ist schon gut!«, schritt jetzt Dragnea ein. »Tut, was Monsieur Toufique wünscht!«
»Ist das Ihr Ernst, Monsieur Dragnea?«, vergewisserte sich Ricky Balmorte.
»Ja, klar!«, bestätigte Dragnea.
Balmorte erhob sich. Zusammen mit Hazrat verließ er den Raum.
»Ihr verschwindet auch besser!«, knurrte Toufique die beiden Girls an Dragneas Tisch an. »Tut mir wirklich leid, normalerweise habe ich nichts gegen charmante Gesellschaft, aber diesmal stören mich eure Ohren.«
Die beiden jungen Frauen ließen sich das nicht zweimal sagen und verzogen sich sofort – offensichtlich froh darüber, den Raum verlassen zu können. Dragnea schluckte.
»Jetzt sind wir allein, Dragnea!«
»Wollen Sie einen Schluck Champagner, Monsieur Toufique?«
»Was gibt‘s denn zu feiern?«
»Was wollen Sie?«
Toufique setzte sich an den Tisch und ließ sich dabei von einem seiner Leibwächter den Stuhl zurechtrücken. Den Zigarrenrauch blies er Dragnea direkt ins Gesicht.
»Unser beider Geschäfte sind – wie soll ich mich da angemessen ausdrücken – ziemlich eng miteinander verwoben.«
»Ja. So ist es«, murmelte Dragnea fast tonlos. »Das stimmt …«
»Und da werden Sie es doch sicher verstehen, dass ich anfange, mir Sorgen zu machen, wenn ein Kerl, der als Dragneas Bluthund bekannt wurde, plötzlich ungeniert von einem Profikiller auf den Stufen des Gerichtsgebäudes niedergestreckt wird.«
»Sie sprechen von Grenadille!«
»Natürlich spreche ich von Grenadille – und wie Sie hier so ruhig sitzen und Champagner schlürfen können, ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich.«
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
Einer von Toufiques Leibwächtern zapfte sich ungefragt ein Bier und trank es halb leer, bevor er den Mund verzog und es mit vor Ekel verzerrtem Gesicht stehen ließ.
»Ich habe keine Ahnung, wer hinter dem Anschlag auf Grenadille steckt«, behauptete Dragnea.
»Wirklich nicht? Eigentlich liegt es nahe, dass jemand von Ihrer direkten Konkurrenz dahintersteckt. Jemand, der Sie treffen will und Ihnen dafür erst einmal einen Bauern aus dem Spiel nimmt. Aber ich nehme an, dass Grenadille in Ihrem ganz persönlichen Spiel sehr viel mehr als nur ein Bauer war – habe ich recht?«
»Hören Sie, Monsieur Toufique, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich habe meine Organisation im Griff und gegen Konkurrenz kann ich mich wehren.«