Krimi Doppelband 802: Zwei Frankreich Krimis - Alfred Bekker - E-Book

Krimi Doppelband 802: Zwei Frankreich Krimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur oder In Marseille geht ein Mann in die Luft Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Park-Mörder von Marseille In Marseille wird ein Privatdetektiv getötet, weitere Todesfälle folgen und noch führen alle Spuren ins Leere. Dann kommt Schwung in die Sache. Ein kriminelles Netzwerk ist aktiv und versorgt terroristische Organisationen mit erpressten Geldern. Scheinbar wollte jemand aussteigen, aber dennoch herrscht das Gesetz des Schweigens. Commissaire Marquanteur und sein Team müssen eingreifen. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Alfred Bekker

Krimi Doppelband 802: Zwei Frankreich Krimis

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Inhaltsverzeichnis

Krimi Doppelband 802: Zwei Frankreich Krimis

Copyright

​Commissaire Marquanteur oder In Marseille geht ein Mann in die Luft: Frankreich Krimi

​Commissaire Marquanteur und der Park-Mörder von Marseille: Frankreich Krimi

Krimi Doppelband 802: Zwei Frankreich Krimis

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur oder In Marseille geht ein Mann in die Luft

Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Park-Mörder von Marseille

In Marseille wird ein Privatdetektiv getötet, weitere Todesfälle folgen und noch führen alle Spuren ins Leere. Dann kommt Schwung in die Sache. Ein kriminelles Netzwerk ist aktiv und versorgt terroristische Organisationen mit erpressten Geldern. Scheinbar wollte jemand aussteigen, aber dennoch herrscht das Gesetz des Schweigens. Commissaire Marquanteur und sein Team müssen eingreifen.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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​Commissaire Marquanteur oder In Marseille geht ein Mann in die Luft: Frankreich Krimi

von Alfred Bekker
Ein Kokain-Dealer sprengt sich und seinen Zulieferer während einer Polizeiaktion in die Luft. War er lebensmüde oder wurde ihm etwas untergeschoben? Die „Force spéciale de la police criminelle“ kurz FoPoCri rätselt über das Motiv und vermutet eine rivalisierende Bande. Aber auch deren Köpfe werden in die Luft gesprengt. Commissaire Marquanteur und seine Kollegen aus Marseille laufen zunächst dem Tod hinterher, bis sich eine erste Spur ergibt.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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Alfred Bekker
© Roman by Author
COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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1
Marseille im Jahr 2001…
Wenn ein Mann explodiert, mag man sich das im wörtlichen Sinn gar nicht vorstellen.
Aber manchmal reicht es auch schon völlig, wenn das im übertragenen Sinn geschieht.
Ich schlenderte einen der Landungsstege im Yachthafen von Marseille entlang.
Die Sonne schien.
Das blaue Wasser des Mittelmeers funkelte, als sei es von glitzernden Perlen übersät. Am Himmel stand kaum eine Wolke. Nur hin und wieder war da ein weißer Klecks in der großen, hellblauen Fläche. Eine Wolke - oder der Kondensstreifen eines Flugzeugs.
Ein Tag, von dem man denken konnte, dass ihn eigentlich nichts zu trügen vermochte.
Aber ich arbeite ja in einem Job, in dem man schon von Berufs wegen immer nur das Schlimmste erwartet.
Wer ich bin?
Oh, Pardon.
Mein Name ist Marquanteur.
Pierre Marquanteuer.
Ich bin Commissaire bei einer Sonderabteilung in Marseille, die sich vor allem der Bekämpfung des organisierten Verbrechens widmet.
Wie ich schon sagte: Es war ein Tag, so schön, dass man sich nur fragen konnte, wann etwas Schlimmes passieren würde, sodass die statistische Wahrscheinlichkeit wiederhergestellt wäre.
Ich sah eine Katze auf dem Steg, die elegant daherschritt. Sie balancierte am Rand des Stegs entlang und blickte immer mal wieder hinab zum Wasser.
Na, wem gehörst du denn?, dachte ich. Eine Streuner-Katze? Vielleicht. Oder sie gehörte einem der vielen Yachtbesitzer, deren Boote hier nebeneinander lagen und leicht im Wasser schaukelten, während vom Meer her ein leichter Wind über den Yachthafen von Marseille strich.
Und dann explodierte plötzlich ein Mann.
Zum Glück allerdings nur im übertragenen Sinn.
Ein Mittvierziger mit hoher Stirn und sehr kräftigen Augenbrauen begann plötzlich laut zu schimpfen. Dabei gestikulierte er mit ausholenden Handbewegungen. Worum es da ging, verstand ich nicht. Ich hatte auch keine Ahnung, in welchem Zusammenhang diese Explosion der Gefühle ausgelöst worden war.
Die Gesichtsfarbe des Mannes wechselte jetzt in ein ziemlich ungesund wirkendes Dunkelrot.
Ein paar andere Männer standen in der Nähe und schienen ebenso überrascht über diesen Gefühlsausbruch zu sein, obwohl sie mit Sicherheit besser darüber informiert waren, worum es da eigentlich in der Sache genau ging.
Die Katze miaute.
Ihr Blick ging jetzt auch in die Richtung, in der sich das Geschehen abspielte.
Da regte sich jemand offenbar ziemlich auf. So sehr, dass es selbst einer Katze auffiel.
Immer heftiger wurden die Gesten - und immer schriller der Tonfall. Seine Stimme überschlug sich geradezu.
Einer der anderen Männer versuchte, beruhigend auf ihn einzureden.
Aber davon wollte der Mann mit den starken Augenbrauen nichts wissen.
Allein seine Gestik machte das ganz unmissverständlich klar.
Ich wartete ab.
Als Polizist hat man selbst in der Freizeit den Drang, gegebenenfalls einzugreifen, wenn eine bestimmte Eskalationsstufe überschritten war.
Und das schien mir bald erreicht zu sein.
Das war wie bei überkochender Milch. So ein verbaler Amoklauf konnte innerhalb kürzester Zeit in eine handgreifliche Auseinandersetzung übergehen. Und spätestens dann konnte man dem Ganzen nicht mehr einfach so seinen Lauf lassen.
Die Katze miaute erneut.
Der Streithahn stapfte nun davon.
Er trampelte geräuschvoll über den Steg - zuerst mir entgegen und dann an mir vorbei. Ich musste ihm ausweichen, um nicht von ihm angerempelt werden.
Er murmelte irgendetwas Unfreundliches vor sich hin.
Die Männer, mit denen er sich gestritten hatte, sahen zu mir herüber und zuckten mit den Schultern, so als wollten sie sagen: Was können wir dafür, dass der so ausrastet?
Ein Mann war explodiert.
Besser auf diese Weise, als auf die Art, mit der ich es ein paar Tage später zu tun haben sollte…
*
Wir trugen Nachtsichtgeräte und kugelsichere Westen.
Es war kein Einsatz wie jeder andere.
Mitten in dem Waldstück im Park befanden sich mehrere Limousinen mit laufendem Motor auf einen schmalen, unbefestigten Weg, der normalerweise nur von Joggern benutzt wurde. Etwa ein halbes Dutzend Personen standen herum. Die Spannung war unübersehbar. Männer in dunklen Anzügen und MPis im Anschlag ließen nervös den Blick schweifen. Hier war eine ganz große Sache im Gang.
Und wir waren dabei.
Ein ziemlich hagerer Mann mit aschgrauen Haaren und ein Riese mit starkem Übergewicht standen sich gegenüber. Jeder hatte seine Kolonne von bis auf die Zähne bewaffneten Leibwächtern in der Nähe. Unter den Bodyguards des Hageren befanden sich mein Freund und Kollege François Leroc …
Undercover nennt man das selbst auf Französisch.
Wir hatten ihn als verdeckten Ermittler bei Jean Duclerc, einem Kokain-Händler untergebracht. Da einige von Duclercs Leuten in letzter Zeit bei den immer wieder aufflackernden Bandenkriegen umgekommen waren, hatte François die Chance gehabt, ziemlich schnell in eine ziemlich wichtige Position zu kommen. Über die Mikrofone, die François am Körper trug, hörten wir jedes Wort, das gesprochen wurde.
Wir standen kurz vor dem entscheidenden Moment.
Der Mann, an den wir eigentlich heran wollten, war der Dicke.
Antoine Floquet, einer der aggressivsten Bandenchefs, die zur Zeit aus der Unterwelt emporstrebten. Er hatte einen Teil des Kokain-Handels binnen kürzester Zeit unter seine Kontrolle gebracht. Wir hatten Grund zu der Annahme, dass er dabei nicht einmal vor der Ermordung von Verwandten haltgemacht hatte. Ein Krimineller, dem die Regeln der Altvorderen offenbar nicht sonderlich viel bedeuteten. Floquet war zweiunddreißig – wenn ihm nicht ein früher Tod durch seine Fettsucht einen Strich durch die Rechnung machte, hatte er eine glänzende Karriere in der Unterwelt vor sich.
Wenn man sowas Karriere nennen will…
Aber wir dachten gar nicht daran, ihn noch weiter hochkommen zu lassen.
Das wollten wir verhindern.
Floquet hatte jetzt schon genug auf dem Kerbholz.
Und in dieser Nacht wollten wir den Sack zumachen.
Seinem kriminellen Spiel sollte nun ein Ende bereitet werden.
Endgültig.
Irgendwo zwischen den Büschen saß einer unserer Kollegen mit einer Video-Kamera. Richtmikrofone waren außerdem noch auf die Szenerie gerichtet. Wir waren also nicht nur auf die Mikros angewiesen, die der Kollege François Leroc gut getarnt am Körper trug.
Man konnte nie wissen …
Das Schlimmste, was uns passieren konnte, war, am Ende ohne gerichtsverwertbare Beweise in nennenswertem Umfang vor dem Staatsanwalt zu stehen. Dieser Schlag gegen das organisierte Verbrechen musste sitzen. Andernfalls hatten wir in den nächsten Jahren einiges an Ärger zu erwarten. Denn zweifellos hatte der Dicke große Pläne.
»Erst das Geld!«, sagte einer von Floquets Leuten.
Wir hörten ihn alle über unsere Ohrhörer. Ich hielt die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P 226 mit beiden Händen, wie zwei Dutzend weitere Kollegen bereit dazu, jeden Moment aus dem Gebüsch hervorzustürzen und der Aktion den krönenden Abschluss zu geben: Floquets Verhaftung, nachdem man ihn in flagranti beim Deal seines Lebens erwischt hatte.
Jeder von uns wartete darauf, dass der stellvertretende Chef Stéphane Caron den Einsatzbefehl an uns alle weitergab. Bis dahin hieß es, regungslos auszuharren.
Jean Duclerc winkte einem seiner Leute. Ein bulliger Kerl im dunklen Anzug kam mit einem Koffer herbei, öffnete ihn, so dass Antoine Floquet den Inhalt sehen konnte.
»Jetzt die Ware!«, forderte Jean Duclerc.
In Antoine Floquets Mundwinkel steckte ein Zigarrenstummel. Er nahm ihn mit zwei Fingern heraus, verzog das Gesicht.
Das Ding war offenbar erloschen. Anstatt etwas zu sagen, machte er eine knappe Geste. Einer seiner Leute öffnete einen Kofferraum. Floquet deutete dorthin. Er spuckte irgendetwas aus, winkte Duclerc herbei und ging mit ihm zusammen zum Wagen.
Die Leibwächter beider Seiten wurden etwas nervös, als Floquet seine fleischige Pranke auf Jeans Schulter legte.
Sie erreichten den Wagen.
Es standen zu viele Leute herum. Man konnte nicht sehen, was sich im Kofferraum befand. Aber wenn sich unser V-Leute-Netz nicht völlig vertan hatte, dann war der Kofferraum voll von sorgfältig abgepacktem Kokain höchster Reinheitsstufe.
Kollege François Leroc wich etwas zurück. Er wusste, dass es gleich losgehen würde. Sein Blick streifte kurz über die umliegenden Büsche. Er wollte natürlich möglichst nicht in der Schusslinie stehen, wenn es losging.
Wir trugen Kevlar-Westen, François aber nicht.
Floquet nahm ein Plastikpäckchen aus dem Kofferraum heraus. Der Inhalt war weiß.
»Hier, Jean! So guten Stoff hast du noch nie …«
Weiter kam Floquet nicht mehr. Eine gewaltige Detonation riss Jean Duclerc förmlich auseinander und erwischte auch den nur wenige Zentimeter von ihm entfernt stehenden Floquet. Beide wurden durch einen Feuerball eingehüllt. Die in der Nähe stehenden Leibwächter wurden wie Puppen durch die Luft geschleudert. Schreie gellten durch die Nacht.
»Verdammt, was ist da los?«, hörte ich meinen Kollegen Fred Lacroix über mein Headset, das mich mit den anderen akustisch verband.
Ganz offensichtlich war jemand schneller als wir gewesen und hatte Floquet auf seine Weise ausgeschaltet. Leider würde ihm jetzt niemand mehr irgendwelche Fragen stellen können.
Aber das war vielleicht auch der Sinn dieser Aktion.
Druckwelle und Hitze waren bis zu uns spürbar gewesen.
Wer immer dahinter stehen mochte, hatte auf Nummer Sicher gehen wollen.
Sekunden später glich der Treffpunkt mitten im Waldstück einem Schlachtfeld. Schrecklich verstümmelte, halbverkohlte Leichen und Leichenteile lagen überall herum.
Die Überlebenden rappelten sich auf. Einer der Kerle ließ vor lauter Nervosität seine MP losknattern. Einige Zweige kamen von den Bäumen herunter.
»Einsatz!«, befahl Stéphane Caron über Headset an alle.
Auch wenn diese Aktion absolut nicht so verlaufen war, wie wir sie geplant hatten – wir mussten sie jetzt so zu Ende bringen, dass uns wenigstens die niederen Chargen der Bande nicht durch die Lappen gingen. Ich sah mich nach François um.
Er trug zwar Mikros am Körper, so dass wir hören konnten, was in seiner Umgebung gesprochen wurde, aber ein Ohrhörer wäre zu risikoreich gewesen.
Wir stürzten mit der Waffe im Anschlag aus unserer Deckung hervor.
»FoPoCri! Waffen fallenlassen!«, erscholl es über ein Megafon.
Offenbar glaubte einer der Kerle nicht daran, er ballerte mit seiner MP drauflos. Ich warf mich zu Boden.
Sandrine Petit, eine junge Kollegin, die gerade bei uns auf der Dienststelle angefangen hatte, erwischte die Garbe voll. Ihr Körper zuckte. Der Großteil der Projektile traf sie am Oberkörper. Dort, wo die Kevlar-Weste sie gut schützte. Trotzdem konnten solche Treffer blaue Flecken, manchmal sogar Rippenbrüche verursachen, denn die Aufprallenergie der Geschosse wurde durch die Undurchlässigkeit der Weste ja lediglich auf ein größeres Gebiet verteilt, so dass ihnen die Durchschlagskraft genommen wurde. Die Wucht blieb.
Sie schrie auf.
Eine Kugel erwischte sie am Kopf.
Der MPi-Mann ließ uns keine andere Wahl. Nur Sekundenbruchteile später zuckte auch sein Körper. Mehrere von uns feuerten auf ihn. Er sackte zu Boden, blieb regungslos liegen.
Vielleicht hatte er einfach nicht daran glauben können, dass es wirklich die FoPoCri war, die sie eingekreist hatte.
Angesichts der Explosion hatte er wohl eher mit einer konkurrierenden Gang gerechnet.
Für unsere Kollegin Sandrine Petit war es der erste und letzte Einsatz dieser Art gewesen.
Wir rappelten uns auf, stürmten weiter. Die anderen überlebenden Gangster waren zum Glück vernünftiger. Angesichts der Übermacht warfen sie die Waffen weg.
Jetzt sah ich auch François. Er hatte sich hinter einer der Limousinen verschanzt.
Einen nach dem anderen nahmen wir fest. Insgesamt fünf Personen. Ein weiterer war in einem beklagenswerten Zustand. Er lag in seinem Blut. Über Funk forderten wir die Notfallambulanz an. Meine Kollegen Boubou Ndonga und Fred Lacroix führten Erste-Hilfe-Maßnahmen durch, aber es war fraglich, ob sie ihn lange genug durchbringen konnten.
Ich steckte schließlich die SIG wieder ein, wandte mich an François.
»Alles okay?«
»Mit mir schon, Pierre.«
»Das meinte ich.«
François war so geschockt wie wir alle. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Denn um ein Haar hätte auch er so dicht bei der Detonation gestanden, dass nicht viel mehr als ein paar abgerissene, halbverkohlte Gliedmaßen von ihm übrig geblieben wären.
Ich hörte beiläufig, wie Stéphane Caron die Kollegen des zentralen Marseiller Erkennungsdienstes anforderte. Außerdem sollte Clement Loubet, unser Chef-Feuerwerker, so schnell wie möglich den Weg hierher finden. Wahrscheinlich befand sich Clement gerade im Bett und musste erst herausgeklingelt werden. Aber was die Detonation anging, die hier stattgefunden hatte, so mussten wir einen Spezialisten an die Sache heranlassen.
François und ich traten an den Kofferraum der Limousine heran, vor dem Jean Duclerc und Antoine Floquet ihren Deal hatten über die Bühne bringen wollen.
Überall war Kokainstaub.
Stoff in einem Wert, wie ihn sich ein gewöhnlicher Sterblicher kaum vorstellen konnte, war im wahrsten Sinn des Wortes in die Luft gegangen. Einiges war direkt verschmort. Aber einige Kilos verwehte jetzt der Wind.
»Sandrine Petit hat es erwischt«, meinte ich.
»Die Neue?«, fragte François.
»Ja.«
»Verdammt!«
Ich sah mir die Stelle an, an der die Überreste von Floquet und Duclerc zu finden waren. Es war kaum etwas von den beiden übrig geblieben. Ein Anblick wie aus einem Gruselkabinett. Es konnte einem schlecht werden dabei.
»Offenbar hat Floquet es mit seinem aggressiven Eroberungskurs etwas übertrieben«, meinte ich.
François nickte düster.
Wir sind beide einiges gewöhnt. Schließlich kommt es im Rahmen unserer Tätigkeit als Commissaire häufig vor, dass wir einen Tatort in Augenschein nehmen müssen. Aber diesmal war François' Gesicht ziemlich blass geworden.
»Die Zahl von Floquets Feinden dürfte genauso schnell angestiegen sein wie die Zahl seiner Untergebenen«, meinte mein Freund und Kollege.
»Fällt dir irgendetwas ein, was im Nachhinein auf das hier hinwies?«, fragte ich François. Schließlich war er in den letzten Wochen beinahe rund um die Uhr in Duclercs Umgebung gewesen.
François wirkte nachdenklich, schüttelte dann schließlich den Kopf.
»Das sollte ein ganz normaler Deal werden. Vielleicht etwas größer als bisher. Duclerc sollte von Floquet zu einem seiner Hauptverteiler aufgebaut werden.«
»Sagte Duclerc das?«
»Ja. Aber Jean ging davon aus, dass ihm in Floquets Organisation eine blendende Zukunft bevorstünde.«
»Offenbar hatte jemand was dagegen.«
»Allerdings!« François machte eine kurze Pause, ehe er dann fortfuhr: »Die beiden hatten übrigens noch ein anderes Geschäft vor.«
»Welches?«
»Handel mit gefälschtem CiproBay. Du weißt doch, dieses Anti-Milzbrand-Präparat. Der Hersteller kommt mit der Lieferung kaum nach und verdient sich 'ne goldene Nase daran, seit ein paar Irre dazu übergegangen sind, Milzbrandsporen in großem Stil über die Post an Abgeordnete und Medienvertreter zu verschicken.«
Eine regelrechte Hysterie war seitdem in dieser Hinsicht ausgebrochen. Auch bei unseren Kollegen der Sûreté waren schon derartige, mit Milzbrand-Sporen versehene Sendungen eingegangen. Ob islamistische Terroristen dahintersteckten oder einheimische Terror-Gruppen war noch nicht klar. Zur Zeit sah es eher danach aus, dass dieser mörderische Spuk aus unserem eigenen Land kam. Und dann gab es natürlich die unzähligen Trittbrettfahrer, die statt Milzbrandsporen nur Waschpulver versandten, um damit Panik auszulösen.
Floquet schien eine andere Art von Trittbrettfahrer gewesen zu sein.
Mit nachgemachten und vielleicht sogar völlig wirkungslosen Anti-Milzbrand-Präparaten konnte man jetzt vielleicht ein Vermögen machen. Aber nur, wenn man schnell war. Wenn der Bayer-Konzern die Produktion erst gesteigert und die Regierung sich reichlich bevorratet hatte, war die Gewinnchance vertan.
»Was wusste Duclerc darüber?«, fragte ich.
François machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich würde sagen – gar nichts. Er war nur völlig happy darüber, dass der große Floquet auch ihn an diesem Business beteiligen wollte.«
»Dann herrschte also wirklich Sonnenschein zwischen den beiden.«
»Absolut!«
2
Als wir am nächsten Morgen im Büro von Monsieur Jean-Claude Marteau, dem Chef unserer Dienststelle in Marseille saßen, hatten einige von uns Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken. Selbst der legendäre Kaffee von Monsieur Marteaus Sekretärin Melanie half da nur bedingt. Der nächtliche Einsatz steckte uns noch in den Knochen. Und die Art und Weise, wie der Einsatz beendet worden war, konnte keinem von uns gefallen.
»Es scheint, als würden die Auseinandersetzungen im Kokain-Geschäft wieder mit einer Brutalität geführt, die wir lange nicht hatten«, sagte Monsieur Marteau mit ernstem Gesicht.
Außer François und mir waren auch die Kollegen Fred Lacroix, Boubou Ndonga, Stéphane Caron, Léo Morell und Josephe Kronbourg anwesend. Dazu noch ein paar Innendienstler. Clement Loubet, der Cheffeuerwerker hatte mit seinen Leuten die Nacht über durchgemacht. Er hatte dicke Ringe unter den Augen. Ich hoffte, dass er und seine Kollegen wenigstens etwas über die Ursache der Detonation herausgefunden hatten.
Maxime Valois konnte natürlich auch nicht fehlen.
Der Innendienstler hatte die Videoaufzeichnungen ausgewertet, die bei dem Einsatz entstanden waren.
»Diesen Vorteil haben wir diesmal immerhin«, meinte er. »Wir haben hervorragende Aufnahmen dieses Mordanschlags – und darum handelt es sich zweifellos, wie mir Clement sicher bestätigen wird!«
Clement Loubet nickte.
»Absolut!«
Valois führte uns dann eine bestimmte, entscheidende Stelle aus den Aufnahmen vor. Es handelte sich um genau den Moment, in dem die Detonation die beiden Drogenhändler zerrissen hatte. Valois wandte sich mit einem Ausdruck des Bedauerns an uns.
»Tut mir leid, dass ich euch das nochmal zumuten muss, Kollegen. Aber bedenkt, dass ich mir diese Szene mindestens hundertmal ansehen musste, um zu Erkenntnissen zu kommen. Appetitlich ist das nicht, aber …«
»Schon gut, Max«, unterbrach ihn Monsieur Marteau mit einem leichten Anflug von Ungeduld.
Maxime Valois nickte.
»Wenn Sie die Bilder in Zeitlupe sehen, dann wird es deutlich, was ich meine. Ich habe die Aufnahmen mit Clement durchgesprochen, und wir sind uns einig.«
»Worin?«, hakte Monsieur Marteau nach.
»Darin, dass Jean Duclerc den Sprengstoff bei sich gehabt haben muss. Sehen Sie.«
In der Zeitlupe konnten wir verfolgen, wie die Detonation bei Duclerc ihren Anfang nahm. Er blickte an seinen Körper hinab. Sekundenbruchteile später flog sein Bauch mehr oder weniger auseinander. Jedenfalls hatte es den Anschein.
Innerhalb eines Augenaufschlags war dann nichts mehr zu sehen. Nur noch grelles Licht.
Monsieur Marteau runzelte die Stirn.
»Könnte das ein Unfall gewesen sein?«, fragte unser Chef.
»Durchaus«, meinte Valois. »Allerdings sprechen einige Dinge dagegen.«
»Welche zum Beispiel?«
Valois wandte sich an Clement Loubet, unseren Cheffeuerwerker.
Dieser nippte gerade an seinem Kaffeebecher. Er hatte diese anregende Ladung Koffein mit Sicherheit noch viel nötiger als wir. Schließlich hatten wir immerhin ein paar Stunden Schlaf hinter uns, während Loubet die Nacht hatte durcharbeiten müssen.
»Bei dem verwendeten Sprengstoff handelt es sich höchstwahrscheinlich um Sakalit-13«, erklärte Loubet. »Eine Substanz, die sich vor allem für die Verwendung bei elektronischen Zündern, Zeitzündern und dergleichen eignet. Sakalit-13 ist extrem sicher. Dass die Ladung aus Versehen losgegangen ist, würde ich fast kategorisch ausschließen. Wenn ein Unfall vorlag, dann hat es an einer falschen Einstellung des elektronischen Zünders gelegen.«
»Haben Sie darüber schon irgendwelche näheren Erkenntnisse?«, fragte Monsieur Marteau.
Clement Loubet schüttelte bedauernd den Kopf.
»Leider nein«, sagte er. »Am Tatort konnten keinerlei Spuren der Zündvorrichtung gefunden werden. Und dass es sich um Sakalit-13-Sprengstoff handelt, wissen wir eigentlich nur durch eine charakteristische Verfärbung der Stichflamme zu Anfang der Detonation. Soll ich das Band noch einmal zurückspulen?«
»Ich glaube, das ist nicht nötig«, entschied Monsieur Marteau. Er wandte sich an Stéphane Caron, seinen Stellvertreter. Der flachsblonde Commissaire hatte die Beine übereinander geschlagen. »Lassen Sie Ihre Kontakte, die Sie im Untergrund haben, spielen, Stéphane. Es muss da doch jemanden geben, der Floquet nicht leiden konnte und ihm deswegen auf die Füße treten wollte.«
»In Ordnung«, nickte Stéphane.
»Vielleicht weiß ja auch einer Ihrer Informanten etwas über ein paar Kilo Sakalit-13, die verschwunden sind.«
»Gramm!«, korrigierte Clement Loubet. »Von dieser Substanz sind nicht mehr als ein paar Gramm nötig, um eine derartige Detonation zu erzeugen.«
Monsieur Marteau hob respektvoll die Augenbrauen.
»Alle Achtung!«, staunte er. »Wer immer dieses Teufelszeug entwickelt hat, muss einiges auf dem Kasten haben!«
»Die Zeiten, in denen man für die Entwicklung eines neuen Sprengstoffs den Nobelpreis bekommt, sind allerdings wohl vorbei«, warf ich ein. Ich hatte mir die Bemerkung einfach nicht verkneifen können.
Monsieur Marteau nickte nachdenklich.
»Mir kann diese Art von Fortschritt auch gestohlen bleiben, Pierre. Aber vielleicht kommen wir über den Sprengstoff an die Täter. Wenn es sich um eine Neuentwicklung handelt, dann kann es nicht allzu viele Produzenten geben.« Monsieur Marteau wandte sich an Fred Lacroix. »Vielleicht könnten Sie das abchecken, Fred. Max braucht erst einmal eine Mütze voll Schlaf.«
»Ich kümmere mich darum«, versprach Fred.
Monsieur Marteau wandte sich jetzt mir und François zu.
»Sie kannten von uns allen Jean Duclerc am besten, François«, stellte er fest. François bestätigte das durch ein Nicken. »Wäre er zu einem Selbstmord fähig gewesen?«
»Sie meinen, er ist mit einer Ladung Sprengstoff um den Bauch an Floquet herangegangen, um ihn in die Luft zu jagen?«
»Inzwischen ist in dieser Hinsicht ja nichts mehr unmöglich.«
François atmete tief durch.
»Das halte ich für ziemlich ausgeschlossen.«
»Wieso?«, hakte Monsieur Marteau nach.
»Er hing erstens keinen fanatischen Ideen nach, wenn man davon absieht, dass er davon besessen war, Geld zu scheffeln. Zweitens war er ausgesprochen wehleidig, ein richtiger Hypochonder. Dauernd hat er seine Leute damit genervt. Selbst beim Zahnarzt brauchte er eine Vollnarkose.«
»Aber Sie haben die Bilder gesehen, François.«
»Sicher.« François zuckte die Achseln. »Das, was ich gesehen habe, kann ich mit dem Mann, den ich kennengelernt habe, nicht zusammenbringen.«
»Sie kennen Jean Duclercs privates Umfeld am besten, François. Ich möchte, dass Sie es zusammen mit Pierre durchleuchten.«
»In Ordnung.«
Etwa eine halbe Stunde später saßen François und ich in unserem gemeinsamen Dienstzimmer. Der Computerbildschirm flimmerte, und wir blätterten in Dossiers und Computerausdrucken. Einige Dutzend Personen gehörten zum Umfeld Duclercs. Ein Teil davon war in der letzten Nacht verhaftet worden oder umgekommen. Was den Rest anging, mussten wir entscheiden, wo es sich lohnte anzusetzen.
Außerdem lagen uns Verbindungsnachweise und Abhörprotokolle seiner Telefon-, Fax- und E-Mailverbindungen vor. Alles nur harmloses Zeug. Der Deal im Park war durch einen Boten bestätigt worden, den Floquet geschickt hatte. Und wäre François nicht bei Jean Duclercs Leuten erfolgreich eingeschleust gewesen, hätten wir vielleicht nie davon erfahren.
François warf schließlich genervt den leeren Kaffeebecher in den Papierkorb.
»Da ist doch nichts dabei!«, meinte er. »Jedenfalls nichts, was uns etwas darüber verraten könnte, wieso Jean sich in die Luft gesprengt hat.«
»Hast du gestern Nacht nicht irgendetwas bemerkt?«, fragte ich.
»Ich saß neben ihm. Es war wie immer. Jean glaubte, dass er einen Migräneanfall kriegt und war ziemlich stinkig, weil er zu nervös war, seine Tabletten aus der Jackentasche zu fingern. Er hat furchtbar herumgeschrien. Aber das war bei Jean nichts Besonderes. Er war für seinen Jähzorn berüchtigt. Da brauchst du dir nur die Abhörprotokolle anzusehen.«
»Lass die vergangenen Wochen noch mal Revue passieren, François! Vielleicht fällt dir im Nachhinein irgendein Detail ein, das uns weiterbringen könnte.«
»Ich war die ganze Zeit in seiner Nähe – zusammen mit ein paar anderen Gorillas, die er angeheuert hatte. Bis auf die zwei oder drei Stunden, in denen er sich den Backenzahn hat ziehen lassen. Mit Vollnarkose.«
Ich sah mir das Verzeichnis der Personen auf, die unter den Telefonkontakten zu finden waren.
»Bei diesem Dr. Vincent Caillaux«, stellte ich fest.
»Der hat eine noble Adresse am Park. Wir mussten vor der Tür stehen und Wache halten.«
»Du Ärmster!«
François verzog das Gesicht.
»Lass uns mit Chantal Monis anfangen.«
»Wer ist das? Ich finde sie hier nicht auf der Liste.«
»Eine Edelnutte. Jean war ihr völlig verfallen. Dass du sie auf der Telefonliste nicht findest, liegt daran, dass ihr Anschluss unter dem Namen von Rainard Briand zu finden ist. Er bezahlt ihn schließlich auch.«
»Wer ist Briand? Ihr Zuhälter?«
»Genau.«
»Musstet ihr vor Chantals Apartment auch Wache halten, François?«
»Sehr witzig! Wenn ich mir nicht ein paar Wochen Löcher in den Bauch gestanden hätte, wären wir nie an Floquet und Duclerc herangekommen.«
3
Die Praxis von Dr. Vincent Caillaux lag in einem exklusiven Komplex am Park. Die Promis, die hier ihr Domizil aufgeschlagen hatten, konnten zu Fuß hierherkommen, wenn sie eine Behandlung der Sonderklasse haben wollten. Hypnose, Bohren mit dem Laser und nötigenfalls auch eine Vollnarkose waren hier kein Problem.
Die Sprechstundenhilfe blickte auf, als der Mann mit der Narbe vor dem Tresen auftauchte. Sie erschrak etwas. Die Narbe zog sich von der Nasenwurzel fast bis zum Kinn. Ansonsten hatte der Mann ein kantiges Gesicht und wirkte sehr gepflegt. Er trug einen dunkelgrauen, dreiteiligen Anzug.
Und Handschuhe. Dunkle, eng anliegende Lederhandschuhe.
Schon das war merkwürdig.
Am Kittel der Sprechstundenhilfe hing ein kleines Schild, auf dem ihr Name stand. Claire Cellier. Sie war hübsch, hatte brünettes, leicht gelocktes Haar und ein feingeschnittenes Gesicht.
»Tut mir leid, aber Sie sind etwas zu früh. Wir haben noch nicht geöffnet, und außerdem müssten Sie sich vorher anmelden.«
Der Mann mit der Narbe griff unter sein Jackett. Eine Automatik mit langgezogenem Schalldämpfer kam darunter hervor.
Die Sprechstundenhilfe schreckte zurück. Sie hatte keine Zeit, einen Schrei auszustoßen. Der Narbige drückte ab. Der Schuss traf sie mitten in der Brust, ließ sie zusammenzucken und dann auf ihren rollbaren Drehsessel sinken. Die Wucht des Geschosses sorgte dafür, dass sie mitsamt dem Drehsessel zurückrollte, bis sie gegen den stählernen Karteischrank stieß.
Der Narbige ging in Richtung der Behandlungsräume. Er stieß eine der Türen auf, ließ den Blick durch den Raum schweifen. In der Mitte stand ein Behandlungsstuhl. Der Raum roch nach Desinfektionsmitteln.
Der Narbige nahm sich den nächsten Raum vor.
Dr. Vincent Caillaux saß an einem Computerschirm. Vor einem Leuchtfeld hingen Röntgenbilder.
Caillaux drehte sich herum.
Er war ein jugendlich wirkender Mittvierziger. Das Haar war nach hinten gekämmt. Sein Teint sah nach Höhensonne aus. Trotzdem wurde Caillaux in diesem Augenblick aschfahl.
Er hob die Hand.
»Nein!«, flüsterte er, als er die Waffe in der Hand des Narbigen sah.
Dieser zögerte keine Sekunde. Blutrot leckte das Mündungsfeuer aus dem Schalldämpfer heraus.
Caillaux stürzte sich im selben Moment nach vorn, wollte sich auf seinen Mörder werfen. Es war der Mut der Verzweiflung, der ihn trieb.
Der Schuss erwischte ihn nicht richtig. Nicht so, wie der Narbige das geplant hatte. Nur ein Durchschuss durch die Schulter. Caillauxs weißer Kittel verfärbte sich rot. Das Loch, das das gewaltige Kaliber der Automatik in den Körper des Getroffenen hineinriss, war immens. Das Projektil trat an der anderen Seite wieder hervor und krachte in den Computer hinein. Der Bildschirm zersprang. Scherben wurden durch den gesamten Raum geschleudert. Kleine, geschossartige Scherbensplitter. Der Narbige hob schützend die Hand in Höhe der Nasenwurzel, kniff die Augen zusammen.
Caillaux hatte ihn erreicht, umfasste mit einer Kraft, die ihm der Narbige gar nicht zugetraut hatte, den Waffenarm des Killers. Ein Schuss löste sich, riss ein Loch in die Decke und ließ Putz herunterrieseln.
Der Narbige ließ das Knie hochfahren, traf damit den Zahnarzt im Unterleib. Caillaux stöhnte auf. Ein zweiter Tritt, mit dem Vollspann ausgeführt, ließ Caillaux zu Boden gehen.
Caillaux rollte herum.
Der Narbige richtete die Automatik auf seinen Kopf.
Zweimal kurz hintereinander drückte er ab.
Caillaux zuckte zurück. Seine Augen erstarrten. Das große runde Loch mitten in seiner Stirn ließ keinerlei Zweifel darüber, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Eine Blutlache bildete sich auf dem Boden.
Der Narbige atmete tief durch, steckte die Waffe ein.
Vielleicht sollte ich in Zukunft mit kleinerem Kaliber arbeiten, dachte er. Das macht weniger Dreck!
Er holte das Handy aus der Innentasche seiner Jacke, betätigte eine Kurzwahltaste. Innerhalb weniger Augenblicke stand die Verbindung.
»Ihr könnt zum Aufräumen raufkommen, Jungs«, knurrte der Narbige kalt.
4
François betätigte die Sprechanlage eines Apartments in Vauban. Eine ziemlich luxuriöse Adresse. Chantal Monis' Geschäfte mussten ganz gut gehen. Andererseits bediente sie wohl auch eine Kundschaft, die sich nicht in irgendeiner Absteige abfertigen ließe.
»Ja, bitte?«, fragte eine rauchige Stimme.
»François Leroc, FoPoCri!« stellte François sich vor. »Mein Kollege Marquanteur und ich möchten Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
»Worum geht es?«
»Das möchten wir ungern hier auf dem Flur besprechen, wo Kameras alles aufnehmen, Madame Monis. Können wir hereinkommen?«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Wir können Sie natürlich vorladen. Aber Sie würden uns und sich eine Menge Unannehmlichkeiten ersparen, wenn wir das so über die Bühne bekommen.«
Es klickte in der Anlage. Chantal Monis schien zu überlegen.
Sie schien ziemlich lange dazu zu brauchen. Ich wurde schon ungeduldig. Dann öffnete sich endlich die Tür.
Chantal Monis trug nichts weiter als einen sehr knappen Seidenkimono, als sie uns öffnete. Was immer Chantal auch in den Momenten getan hatte, in denen sie uns hatte warten lassen – fürs Anziehen konnte sie bei der knappen Garderobe kaum so lange gebraucht haben. Sie verschränkte die Arme unter den Brüsten. Das lange dunkle Haar fiel bis weit über die Schultern.
Wir hielten ihr unsere Ausweise hin.
»Okay, kommen Sie herein!«, meinte sie. »Aber ich habe nicht viel Zeit.«
»Da geht es Ihnen wie uns«, sagte ich.
Sie drehte sich herum. Wir betraten einen großen Wohnraum. Flauschiger Teppichboden bedeckte den Boden, so dass man die Schritte kaum hören konnte. François schloss die Tür.
Chantal Monis deutete auf eine Sitzecke.
»Setzen Sie sich, wenn Sie wollen. Etwas zu trinken kann ich Ihnen leider im Moment nicht anbieten. Meine Champagner-Flaschen sind abgezählt. Und wenn jemand wie Sie auftaucht, dann wohl sicher nicht aus einem Anlass, den man feiern könnte.«
»Was glauben Sie denn, weswegen wir hier sind?«, fragte François, dessen Blick ansonsten wie magisch angezogen an dem tiefen Ausschnitt von Chantals Kimono hing.
Sie verzog das Gesicht, bildete mit den vollen Lippen einen Schmollmund.
»Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung!«
Dann wurden ihre Augen schmal. Sie starrte François an.
»Hey, ich kenne Sie doch irgendwoher! Ist noch nicht lange her, da habe ich …«
»Ich war bei Jean Duclercs Wachmannschaft«, half François ihr auf die Sprünge.
Ihr fiel der Kinnladen herunter. Ihr eher dunkler Teint wurde jetzt blass. Sie schluckte, biss sich auf die Lippe.
»Jetzt sagen Sie aber bitte nicht, dass Sie Jean gar nicht kennen«, meinte ich.
»Jedenfalls ist mir nun klar, dass er unter Bewachung der Polizei stand!«
»Jean Duclerc war ein Drogenhändler. Wir waren ihm auf der Spur. Als er sich mit seinem Großdealer traf, ist er explodiert«, berichtete François knapp.
Sie hob die Augenbrauen.
»Er ist was?«, flüsterte sie.
»Ich meine das so, wie ich es sage«, erklärte François. »Er trug offenbar Sprengstoff am Körper. Sein Großdealer, der Stoff und er selbst sind mehr oder minder zerfetzt worden. Ein paar Gorillas beider Seiten hat es auch erwischt.«