Commissaire Marquanteur
und die schöne Mörderin von Marseille: Frankreich Krimi
von Alfred Bekker
Commissaire Marquanteur und seine Kollegen von der ‚Force
spéciale de la police criminelle‘, kurz FoPoCri, plant einen Schlag
gegen die organisierte Kriminalität. Doch noch vor dem endgültigen
Zugriff taucht eine Frau auf und schießt mit einem Maschinengewehr
wild um sich. Die Mörderin hinterlässt ein Massaker und versucht,
sich in der weißrussischen Botschaft in Sicherheit zu bringen.
Diplomatische Verwicklungen stehen bevor, aber dann gibt es noch
mehr Tote.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen,
Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb
er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry
Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica
Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick,
Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
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Alles rund um Belletristik!
1
“Mein Name ist Younes J. Malreaux”, sagte ich überdeutlich
deutlich artikuliert und vernehmlich.
Ich sagte das laut vor mich hin.
Das war natürlich blanker Unsinn.
Mein Name lautet nämlich Pierre Marquanteur und nicht Younes
Malreaux. Und wofür J. in der Mitte stand, hätte ich im Moment gar
nicht sagen können.
Da hätte ich nochmal in den Unterlagen nachsehen müssen.
Ich sagte es noch einmal: “Mein Name ist Malreaux. Younes
Malreaux.”
Na bitte! Das klang doch schon viel besser.
Es ist nicht so leicht, sich an einen neuen Namen zu
gewöhnen.
Einen Namen, den man nie getragen hat und der einem fremd ist.
Man reagiert nämlich anders darauf, wenn ihn jemand
ausspricht.
In diesem Fall war es aber so, dass vielleicht mein Leben
davon abhing, dass ich iüberzeugend in diese neue Rolle schlüpfte.
Ich schlenderte über den Fischmarkt von Marseille. Ich mag
Fisch. Ich hatte noch nichts gegessen und heute wollte ich mir den
Luxus erlauben, mal richtig zu kochen. Ich mag das geschäftige
Treiben dort auf diesem besonderen Markt und den besonderen Geruch,
der dort herrscht. Schon allein an diesem Geruch erkennt man, wo
man sich befindet.
"Mein Name ist Younes Malreaux.”
Jemand drehte sich um, als ich das jetzt sagte.
Kein Wunder, man hielt mich zweifellos für bekloppt.
“Alles in Ordnung, Monsieur?”, fragte eine Frau.
“Alles bestens, Madame! Vielen Dank der Nachfrage.”
“Ich dachte…”
“Nein, Sie brauchen nicht den Arzt zu rufen!”
“Ich dachte, Sie sind vielleicht Schauspieler.”
Da hatte sie einen Nerv getroffen.
“So etwas Ähnliches”, sagte ich.
Ich gehörte zur FoPoCri, einer Sonderabteilung der Polizei,
die vor allem im Kampf gegen das organisierte Verbrechen eingesetzt
wird. Commissaire Pierre Marquanteur, so stelle ich mich
normalerweise vor. Aber vor mir lag ein verdeckter Einsatz. Und im
Rahmen dieses Einsatzes musste ich zu Younes Malreaux werden.
Je schneller und gründlicher, desto besser.
“Ich hätte schwören können, Sie schon mal im Fernsehen oder im
Kino gesehen zu haben”, beharrte die Frau.
“So?”
“Deswegen dachte ich, Sie würden für eine Rolle üben.”
“Üben wir nicht alle für irgendeine Rolle, Madame?”
“Wie meinen Sie das, Monsieur? Philosophisch?”
“Nein, eigentlich nur so, wie ich es gesagt habe. Spielen wir
nicht alle irgendeine Rolle und tun gut daran, sie vorher auch
geübt zu haben?”
“Sie vielleicht, Monsieur.”
“Sie nicht, Madame?”
“Ich?”
“Ja, Madame.”
“Ich rede einfach nur drauf los.”
“Ach, so.”
*
Die junge Frau war fast nackt. Sie trug schenkelhohe Stiefel
und einen winzigen Tanga. Dazu eine offene Lederweste, die den
Blick auf die Brüste freiließ. Ihre zierlichen Hände umfassten den
Griff einer Maschinenpistole der Firma Heckler & Koch.
Der Lauf war auf meinen Oberkörper gerichtet.
»Die Hände hoch!«, kam es spöttisch über die geschwungenen
Lippen der Schönen. »Oder du hast ein paar Löcher im Bauch.«
Ich folgte der Aufforderung.
Zwei weitere junge Frauen kamen herbei. Sie waren ebenfalls
bewaffnet und trugen die gleiche spärliche Bekleidung wie die
Dunkelhaarige, die mich mit katzenhaftem Blick musterte.
»Kauft euch Monsieur Stagarowski denn gar nichts zum
Anziehen?«, fragte ich, wobei ich mir ein Grinsen nicht verkneifen
konnte.
Die Dunkelhaarige verzog das Gesicht.
»Sie wären der erste, der das bedauert, Monsieur …«
»Malreaux«, stellte ich mich vor. »Younes J. Malreaux aus
Toulon.«
Das war der Tarnname, den ich, Pierre Marquanteur von der
FoPoCri Marseille, bei dieser verdeckten Operation trug. In den
letzten Tagen hatte ich so gut es ging versucht, mich in Younes
Malreaux zu verwandeln. Jetzt wurde es ernst und ich konnte nur
hoffen, dass ich meine Rolle einigermaßen überzeugend verkörperte.
Ich stand mit erhobenen Händen da, und die bewaffneten
Mademoiselles betasteten mich unter der dunklen
Smoking-Jacke.
Ich war darauf vorbereitet.
Meine Dienstwaffe vom Typ SIG Sauer P 226 trug ich
ausnahmsweise am Fuß, während ich ansonsten ein Gürtelholster
bevorzugte.
Das, was die Show-Girls da machten, hatte mit einer richtigen
Durchsuchung nicht viel zu tun. Es gehörte zur Show. Aber es war
ganz angenehm.
Eine der Schönen hatte sich meinen Personalausweis geangelt
und warf mit gespielter Strenge einen Blick darauf.
»Younes J. Malreaux«, murmelte sie. »Der Name stimmt
immerhin.«
»Und steht auch auf der Liste der Eingeladenen«, ergänzte ich.
Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie sich eines der Damen um
meinen Sportwagen kümmerte. »Seid vorsichtig mit dem guten Stück!«,
rief ich.
Die junge Frau, die sich hinter das Steuer gezwängt hatte,
kicherte.
»Alles klar!«, meinte die Dunkelhaarige. »Sie können
gehen!«
»Besten Dank«, erwiderte ich und ging durch die Glastür ins
Foyer des Panorama-Hotels in Marseille.
Am Eingang standen die echten Bodyguards in dunklen Anzügen.
Die jungen Frauen waren nur Teil der Show, die Jossif Grand-Josephe
Stagarowski für diesen Abend arrangiert hatte. Die Heckler &
Koch-MPis waren zwar echt, aber ungeladen, wie unsere Informanten
versicherten. Es ging das Gerücht um, dass Grand-Josephe sich die
MPis aus dem Requisiten-Fundus des Moulin-Theaters geliehen hatte,
wo gerade ein Gangster-Musical aufgeführt wurde.
Stagarowski subventionierte das Theater mit hohen Summen. Ein
Hobby des großen Joe, das er aus seiner Portokasse finanzierte.
Vielleicht diente es ihm auch nebenbei noch zur Geldwäsche.
Ich bezweifelte, dass auch nur eine der jungen Frauen gelernt
hatte, wirklich mit einer MPi umzugehen. Vermutlich hatte
Stagarowski sämtliche Stripperinnen von allen Stripteasebars in
Marseille für diesen Abend engagiert. Grand-Josephe war bekannt für
derartig frivole Inszenierungen. Kein Wunder, er war gewissermaßen
aus der Branche. Das Sex-Business war seine Welt.
Stagarowski war der Boss eines Syndikats von Weißrussen, das
inzwischen einen Teil der Prostitution kontrollierte. Außerdem
kassierte er Schutzgelder von Clubs. Er schleuste junge Frauen aus
Osteuropa ein, besorgte ihnen falsche Papiere und verkaufte sie an
die von ihm kontrollierten Zuhälter.
Aber seine Tage als großer Pate im Hintergrund waren gezählt.
Auch wenn er selbst davon nichts ahnte.
Wir wollten ihm das Handwerk legen. An diesem Abend plante
Stagarowski, einen großen Deal unter Dach und Fach zu bringen. Und
wir würden dabei sein. Mit Mikrofonen, Kameras und einer Reihe von
Kollegen, die zum Teil monatelang verdeckt ermittelt hatten.
Stagarowski ahnte nichts von der Falle, die wir ihm stellten. Vor
allem wusste er nicht, dass wir Marco Mercier, einen Zuhälter aus
Pointe-Rouge, umgedreht hatten. Der Staatsanwalt hatte ihn mit mehr
oder minder sanftem Druck davon überzeugt, dass es besser für ihn
war, uns zu helfen und vor Gericht als Kronzeuge auszusagen.
Ich betrat das Foyer.
Stagarowski hatte das gesamte Hotel für diesen Abend gemietet.
Und das nicht zum ersten Mal. Der Weißrusse liebte rauschende
Feste. Seine ausschweifenden Partys waren das Tagesgespräch in
Marseille.
Ich ließ den Blick schweifen. Überall waren die halbnackten
Show-Girls mit ihren MPis. Das Foyer war voller festlich
gekleideter Personen. Die Männer im Smoking, die Frauen mit
Brillantschmuck.
Grand-Josephe legte Wert auf stilvolles Outfit. Ein paar
finstere Typen waren leicht als Bodyguards erkennbar, weil sie
dauernd irgendetwas in ihre Funkgeräte raunten.
Wenn es zur Verhaftung kam, mussten wir auf diese Männer
besonders aufpassen.
Aber das war alles minutiös geplant. Auf jeden dieser Gorillas
kamen mindestens zwei Kollegen.
Und die Leibwächter würden sicher klug genug sein, gegen uns
nicht die Waffe zu ziehen. Eine Schlacht mit dem FoPoCri war
schließlich etwas anderes als irgendein Scharmützel mit den Leuten
eines aufmüpfigen Zuhälters.
Etwas abseits sah ich meinen Freund und Kollegen François
Leroc, der sich gerade von einem der leicht bekleideten
Mademoiselles einen Drink geben ließ.
Wir sahen uns kurz an.
Ansonsten ließen wir uns nicht anmerken, dass wir etwas
miteinander zu tun hatten.
An meinem Hemdkragen trug ich ein winziges Funkgerät, mit
dessen Hilfe ich mit den Kollegen in Verbindung treten konnte, wenn
es nötig war.
Ein dröhnendes Lachen erfüllte den Raum. Die geladenen Gäste
drehten sich um. Grand-Josephe Stagarowski stand mit hochrotem Kopf
da, in jedem Arm eine der halbnackten Mademoiselles. Marco Mercier
war bei ihm. Die beiden Leibwächter, die Mercier begleiteten,
hatten ihr Handwerk auf der Polizei-Akademie in Paris gelernt.
Kollege Jellon und Kollege Lefevre spielten ihre Rollen so
überzeugend, dass man denken konnte, sie hätten nie etwas anderes
gemacht, als einen Zuhälter zu eskortieren.
Mercier schwitzte.
Eine der Mademoiselles rauschte zu mir heran, in der einen
Hand eine MPi, auf der anderen ein Tablett mit Drinks. Der Blick
auf ihre blanken Brüste lenkte ich mich für einen Moment ab.
Ich musste jetzt am Ball bleiben, was Stagarowski anging. Die
Operation konnte jederzeit in ihre entscheidende Phase gehen.
»Etwas zu trinken?«, fragte die Schöne.
»Danke.«
Ich nahm mir ein Glas und nippte daran, während die junge Frau
mit atemberaubendem Hüftschwung davonging.
Ich sah zu Stagarowski und Marco Mercier hinüber.
Mercier fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Er
lockerte den ersten Hemdknopf. Ich hoffte, dass er sein Mikrofon
nicht ruinierte, dann war alles für die Katz.
»He, Sie kenne ich doch!«, rief eine weibliche Stimme zu
meiner Linken.
Ich drehte mich herum. Madeleine Stagarowski kam auf mich zu.
Sie war Mitte dreißig, trug ein tief ausgeschnittenes Kleid,
das sie sehr sexy aussehen ließ. Sie war Stagarowskis dritte Frau,
und ihr wirklicher Name war auch nicht Madeleine. Aber unter diesem
Namen hatte Stagarowski sie in Frankreich einbürgern lassen.
Ihr Gang war schwankend. Sie hatte getrunken.
»Warten Sie, ich erinnere mich, Sie sind … Meine Güte, mein
Kopf ist so leer!«
»Younes J. Malreaux«, half ich ihr auf die Sprünge.
»Mein Mann macht Geschäfte mit Ihnen, nicht wahr?«
»Ja.«
Ihr Gesicht verzog sich, als sie in Richtung von Grand-Josephe
blickte. Ihre Augen wurden schmal. Hass stand einen Augenblick lang
in ihren Zügen.
»Jossif ist zu gierig«, zischte sie, während Stagarowski
gerade einem der Show-Girls an die blanke Brust griff. »In jeder
Beziehung … Das wird ihn noch mal umbringen!«
Madeleines Hand krampfte sich zusammen. Das Glas zersprang.
Ein kurzes Raunen ging durch die Menge. Stagarowski blickte
für einen Moment zu ihr hin. Ein Hotelbediensteter eilte herbei, um
die Scherben wegzufegen.
»Ich blute!«, jammerte Madeleine Stagarowski.
»Ich kümmere mich darum«, sagte der Hotelbedienstete.
Ich nutzte die Gelegenheit, um mich von Madeleine loszueisen.
Ich kannte sie durch meine verdeckten Ermittlungen der letzten
Zeit. Sie hatte ein Alkoholproblem, war an den Geschäften ihres
Mannes aber wohl nur insofern beteiligt, als sie sein Geld
ausgab.
In einiger Entfernung sah ich unsere Kollegen Boubou Ndonga
und Stéphane Caron stehen. Sie beobachteten Stagarowski und sein
Gefolge ebenfalls aufmerksam.
Ich hielt mich am Rande und steckte mir unauffällig einen
Knopf ins Ohr.
Was jetzt zwischen Stagarowski und Mercier gesprochen wurde,
bekam jeder von uns Kollegen mit.
Darüber hinaus wurde es auch aufgezeichnet.
Marco Mercier wandte sich an den großen Boss.
Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Er fühlte sich
sichtlich unwohl in seiner Haut.
»Was halten Sie davon, wenn wir das Geschäftliche zuerst über
die Bühne bringen, Monsieur Stagarowski?«, fragte er.
Stagarowski gab ihm einen gönnerhaften Klaps auf die
Schulter.
»Sie können nichts genießen, Marco! Das ist ein Fehler! Lassen
Sie es sich gesagt sein!«
»Trotzdem, es wäre mir lieber …«
»Ich traue keinem Mann, der nicht getrunken hat.«
»Ich hatte einen Martini, das reicht mir.«
»Mit trinken meine ich Hochprozentigeres. Wodka.«
»Hören Sie, Sie haben gesagt, dass Sie mir fünfzehn sexy
Klasse-Frauen liefern können, und ich möchte wissen, ob das in
Ordnung geht!«
Stagarowski sah ihn einen Moment lang nachdenklich an. Sein
Grinsen war zynisch.
»Sie werden nicht sagen können, dass ich Sie schon mal
enttäuscht habe … Und über den Preis werden wir uns nachher im
Separee einigen.«
»Und wenn es Schwierigkeiten mit einem der Mädchen gibt?«,
hakte Mercier nach. »Sorgen Sie dann auch wieder dafür, dass
diejenige ebenso diskret verschwindet wie diese Jelena
Maranova?«
Stagarowskis Gesicht erstarrte.
»An alle! Aufpassen, jetzt wird‘s kritisch!«, hörte ich
Commissaire Fred Lacroix über den Knopf im Ohr sagen. Fred hatte
die Leitung dieses Einsatzes.
Marco Mercier versuchte seine Sache gut zu machen, aber er war
etwas zu forsch.
Stagarowski war misstrauisch geworden. Der Weißrusse war
schließlich mit allen Wassern gewaschen.
Er packte Mercier am Kragen. Ich riss mir den Knopf aus dem
Ohr, weil es jetzt furchtbar laute Knackgeräusche gab.
»Warum fragst du mich aus, du Hurensohn!«, brüllte Stagarowski
los. Er hatte die Lunte gerochen. Ich blickte zu den Kollegen
hinüber.
Commissaire Ndonga schüttelte den Kopf.
Wir warteten noch ab.
Alle Augen waren auf den jähzornigen Stagarowski
gerichtet.
»Was soll das, du Bastard?«, rief er.
Möglicherweise hatten wir Glück, und die Sache kam wieder in
geordnete Bahnen.
Noch hatten wir nicht genug, um Stagarowski festzunageln. Um
ein Haar hätte er vor unseren Mikrophonen einen Mordauftrag
gestanden. Mehr, als wir je zu hoffen gewagt hätten. Aber dazu war
Stagarowski zu schlau gewesen. Er ließ den Blick schweifen, wirkte
wie ein gehetztes Tier.
Mein Instinkt sagte mir, dass die Aktion ein Fehlschlag
wurde.
Dann wummerten die ersten Schüsse aus einer Richtung, aus der
es niemand erwartet hätte.
2
Das leicht gelockte Haar hing ihr bis zu den nackten Brüsten
hinunter. Sie riss die Heckler & Koch-MP herum. Die Waffe
knatterte los. Mündungsfeuer zuckte hervor.
Mindestens ein halbes Dutzend Kugeln trafen Stagarowski, noch
ehe irgendjemand im Foyer des Hotels auch nur atmen konnte.
Stagarowskis Körper zuckte wie eine Marionette.
Die Projektile zerrissen den Smoking und das Hemd. Sie trafen
auf die Schutzweste, die Grand-Josephe stets trug. Aber ein Schuss
fuhr ihm in die Schläfe, ein weiterer zerfetzte die Halsschlagader.
Stagarowski fiel schwer zu Boden.
Auch eine der beiden halbnackten Frauen bekam eine Kugel ab,
die andere sprang kreischend zur Seite.
Schreie gellten durch das Foyer. Panik breitete sich
aus.
Stagarowskis Leibwächter versuchten ihre Waffen
herauszureißen.
Aber das schafften sie nicht mehr. Das Killer-Girl schwenkte
den Lauf seiner MPi herum.
Ihre blütenweißen Smoking-Hemden der Männer färbten sich rot.
Einer von ihnen stieß einen heiseren Todesschrei aus.
Marco Mercier erwischte es an der Schulter. Die Wucht des
Treffers ließ ihn zu Boden gehen.
Unser Kollege Jellon hatte bereits von der ersten Salve, die
das Killer-Girl abgefeuert hatte, einen Treffer im Rücken erhalten.
Er versuchte noch, seine Waffe zu ziehen und brach dabei zusammen.
Sein Partner Lefevre warf sich zur Seite, rollte sich am Boden
herum und riss dann seine Waffe empor. Er konnte nicht schießen. Es
standen zu viele Menschen um das Killer-Girl herum.
Und im Gegensatz zu unseren Gegnern müssen wir Kollegen darauf
Rücksicht nehmen und können nicht blindlings Unschuldige
gefährden.
Ich hatte mich längst gebückt und die SIG aus dem Futteral
gezogen, das ich mir an die Wade geschnallt hatte. Der
verhältnismäßig weite Schlag der Smokinghose machte es möglich, die
Waffe trotzdem relativ schnell in Anschlag zu bringen.
Die junge Frau wirbelte herum. Sie feuerte wild in die
Gegend.
Die meisten Gäste stoben kreischend davon oder warfen sich zu
Boden. Manche versuchten hinter den wenigen Tischen und Sesseln
Deckung zu finden. Es herrschte ein einziges Chaos.
Das Show-Girl rannte davon und feuerte dabei noch immer
ungezielt und wahllos in die Menge. Sie war völlig ohne
Skrupel.
Ich fluchte innerlich, weil ich die SIG nicht benutzen
konnte.
Geduckt spurtete ich hinter der Mörderin her.
Einer unserer Kollegen, der an einem der Ausgänge postiert
gewesen war, versuchte sie mit vorgehaltener Waffe zu
stoppen.
»Stehenbleiben, FoPoCri!«, rief er gegen das allgemeine
Geschrei an.
Sekundenbruchteile später traf ihn eine volle MPi-Salve. Die
Wucht der Geschosse riss ihn nach hinten und ließ ihn der Länge
nach auf den Boden knallen. Der Teppichboden färbte sich rot.
Die junge Frau hetzte auf den Ausgang zu.
Ich hinterher. Hinter mir befand sich Kollege Lefevre, der
sich inzwischen wieder aufgerappelt hatte. Allerdings war ihm
jemand von den Gästen in den Weg gerannt, was ihn wertvolle
Sekunden gekostet hatte.
Ich steckte mir den Knopf ins Ohr und brüllte in das Mikrofon
an meinem Hemdkragen.
»Hier Marquanteur! Die Täterin will vermutlich in die
Tiefgarage!«
»Da haben wir unsere Leute«, kam Fred Lacroixs Stimme aus dem
Knopf heraus. »Sie hat keine Chance herauszukommen.«
»Freut mich zu hören!«
Ich hetzte weiter.
Es ging einen langen Flur entlang.
Die Killerin hatte bereits die nächste Ecke erreicht, wirbelte
herum und feuerte. Ich warf mich zur Seite, während die Projektile
dicht über mich hinweg zischten. Sie zerfetzten den Wandbelag,
schossen ganze Stücke heraus, die ihrerseits wie Geschosse durch
die Luft flogen.
Ich riss die SIG hoch, feuerte zurück. Zweimal kurz
hintereinander.
Aber meine Gegnerin war bereits hinter der Ecke
verschwunden.
»Alles klar, Pierre?«, rief eine Stimme hinter mir. Das war
Commissaire Lefevre.
»Alles klar!«, bestätigte ich.
Wir setzten den Spurt fort und erreichten die Aufzüge. Der
Leuchtanzeige war zu entnehmen, dass einer der Aufzüge auf dem Weg
nach unten war.
»Ich nehme die Treppe«, sagte ich.
»Okay«, nickte Commissaire Lefevre.
Er schnellte zu einer der Aufzugtüren, öffnete sie.
Als er in die Liftkabine eintrat, gab es einen
ohrenbetäubenden Knall. Die Druckwelle der Explosion konnte selbst
ich noch deutlich spüren. Es wurde heiß. Flammen schlugen empor.
Die Detonation hatte Commissaire Lefevre buchstäblich zerrissen. Er
hatte nicht den Hauch einer Überlebenschance gehabt. Entsetzen und
ohnmächtige Wut packten mich. Es kommt leider immer wieder vor,
dass Kollegen im Kampf gegen das Verbrechen ihr Leben lassen. Aber
gewöhnen werde ich mich an diese Tatsache nie.
Ich packte die SIG mit beiden Händen.
Meine Gegnerin war von äußerster Kaltblütigkeit.
Und vermutlich operierte sie nicht allein. Jemand musste ihr
geholfen haben!
3
Ich gab über das Mikro an meinem Hemdkragen einen kurzen
Lagebericht und hetzte die Treppe hinunter.
»François und Boubou sind unterwegs zu dir!«, hörte ich Fred
Lacroixs Stimme an meinem Ohr, während ich bis zum nächsten
Treppenabsatz hetzte.
Die SIG hielt ich dabei im beidhändigen Anschlag.
»Hat sie schon versucht, aus der Tiefgarage herauszukommen?«,
fragte ich ins Mikro.
»Bis jetzt nicht, Pierre.«
Augenblicke später erreichte ich die feuerfeste Stahltür,
durch die man in die Tiefgarage gelangen konnte. Ich riss sie auf,
hielt dabei die SIG in der Rechten. Blitzschnell ließ ich den Blick
schweifen.
Es war totenstill. Verdächtig ruhig.
Ich machte ein paar Schritte nach vorn und presste mich dann
gegen einen der dicken Betonpfeiler. Jeden Moment erwartete ich,
einen Motor aufheulen zu hören.
Aber da kam nichts.
Kein Laut.
In geduckter Haltung schlich ich vorwärts und verschanzte mich
dann hinter einem BMW in grau-metallic.
Die Stahltür ging auf. François und Boubou kamen mit ihren
SIGs im Anschlag heraus. Ich machte ihnen ein Zeichen. Sie suchten
Deckung.
François schlich zu mir.
»Wo steckt sie, Pierre?«
»Keine Ahnung. Aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass die
Lady uns an der Nase herumführt.«
»Die Ausfahrt ist blockiert, da kommt sie nicht raus.«
»Darauf ist unsere Gegnerin bestimmt auch selbst
gekommen.«
»In Luft auflösen kann sie sich aber auch nicht.«
Schritte ließen uns in Richtung Ausfahrt herumwirbeln. Aber
das waren unsere Leute, die sich von dort heranpirschten.
Kollegen in schusssicheren Schutzwesten.
»Scheint so, als müssten wir hier jeden Wagen einzeln unter
die Lupe nehmen«, meinte François.
Er hatte recht. Sie konnte überall sein. In jedem Kofferraum,
hinter den Rücksitzen irgendeiner Limousine oder hinter einem der
meterdicken Betonpfeiler, auf der das Panorama Hotel ruhte.
Ich tauchte aus der Deckung hervor.
Es war wie bei der Suche nach der berühmten Nadel im
Heuhaufen. Wir pirschten uns weiter voran, sicherten uns
gegenseitig ab. Aber von der jungen Frau war nirgends eine Spur.
Eine Viertelstunde verging mit dieser nervenaufreibenden
Suche.
Dann rief plötzlich Kollege Ndonga: »Ich glaube, ich habe
was.«
François und ich eilten zu ihm hin.
Ndonga stand vor einem Gullydeckel, der nicht mehr richtig in
seiner Fassung lag.
Möglicherweise war das Killer-Girl in die Kanalisation
entkommen, was die Chancen, sie zu finden, gegen Null gehen
ließ.
Boubou gab diese Vermutung über Funk an Fred Lacroix
durch.
Vielleicht konnte man noch etwas erreichen, in dem man das
Panorama Hotel durch die Kollegen der Polizei weiträumig absperren
ließ. In ihrem Aufzug war die junge Lady ja mehr als auffällig.
Allerdings war sie bei ihrem Mordanschlag insgesamt dermaßen
professionell vorgegangen, dass sie vermutlich für diesen Fall
vorgesorgt hatte.
Ich räumte den Deckel zur Seite.
Für eine zierliche Frau wie die Killerin, war er ziemlich
schwer. Kein Wunder, dass sie es in der Eile nicht mehr hingekriegt
hatte, ihn richtig in der Fassung zu platzieren.
»Augenblick!«, rief François.
»Was ist los?«
»Da sind ein paar Haare.«
Das Killer-Girl war offenbar mit seiner langen, dunklen
Lockenmähne hängengeblieben.
François nahm die Haarfasern zwischen Daumen und
Zeigefinger.
Wenn wir Glück hatten, konnte uns eine Genanalyse den Namen
der Täterin verraten, sofern sie schon einmal erkennungsdienstlich
behandelt worden war.
Ich stieg in den röhrenartigen Abfluss hinein. Mit Hilfe der
angerosteten Metallsprossen in der Wand gelangte ich abwärts. Ein
schmaler Zugang führte zum Hauptkanal, der wie ein Wildbach
rauschte.
Ein perfekter Fluchtweg.
Von den Abwasserkanälen aus bestanden Verbindungen zu
stillgelegten Metro-Bahnschächten. Man musste sich nur dort
auskennen.
An Spuren war nichts mehr zu finden.
»Die ist auf und davon, Pierre!«, hörte ich François‘
Stimme.
4
Die junge Frau mit der Lockenmähne riss die Hintertür des
Chryslers auf und setzte sich auf den Rücksitz. Der Chrysler hatte
in einer kaum frequentierten Seitenstraße auf sie gewartet.
Die MPi, mit der sie das Blutbad im Panorama Hotel angerichtet
hatte, trug sie nicht mehr. Sie hatte sie im Labyrinth der
Abflusskanäle zurückgelassen. Es konnte Jahrzehnte dauern, bis sie
dort gefunden wurde.
Ihr offenherziger Aufzug war schon aufsehenerregend genug.
Jeder Polizist hätte sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses
verhaften können.
»Losfahren!«, zischte das Killer-Girl.
Der Fahrer war ein kahlköpfiger Mann mit feistem Gesicht. Er
grinste lüstern, während er sie über den Rückspiegel
betrachtete.
»Zu Befehl, Larina!«, kam es ironisch zwischen seinen schmalen
Lippen hindurch.
Larina griff nach einer Sporttasche, die sich auf dem Rücksitz
befand. Sie streifte die Lederweste ab und zog sich ein T-Shirt und
eine Jeans über, die sie aus der Tasche holte.
»Achte lieber auf den Verkehr!«, zischte sie.
»Fällt einem gar nicht so leicht«, erwiderte der
Kahlkopf.
»Arschloch!«
Der Kahlkopf lachte heiser.
»Hat es geklappt, Larina?«
»Für wen hältst du mich?«
»Wenn ich dir da die Wahrheit sage, wirst selbst du
rot!«
»Du bist unverbesserlich.«
»Vergiss das nicht!«
»Fahr lieber etwas schneller! Im Panorama Hotel hat es einen
regelrechten Bullentanz gegeben. Und ich habe keine Lust, mich
jetzt von irgendwelchen Kriminalisten verhören zu lassen,
Victor.«
Victor trat das Gaspedal voll durch. Der Chrysler heulte auf
und brauste Richtung Norden. Schnell erreichten sie die 75, die
über die Elbbrücke nach Marseille Mitte führt. Mit nachdenklichen
Gesicht blickte das Killer-Girl aus dem Seitenfenster hinunter auf
das in der Sonne glitzernde Wasser des Meeres. Ein ziemlich
angerosteter Frachter quälte sich gerade in Richtung
Hafenausgang.
Auftrag erfüllt, dachte Larina.
Sie atmete tief durch.
Du hast es geschafft, dachte sie. Du kannst dich beruhigt
zurücklehnen und dir ausmalen, wie du die nächsten Monate an
irgendeinem Strand verbringst, ohne einen einzigen Gedanken an
Arbeit zu verschwenden.
Victor lenkte den Chrysler die 75 entlang, bog dann ab in
Richtung Pointe-Rouge. Victor fuhr sie einmal quer durch Marseille.
Dazu war er engagiert.
Mehr als Autofahren kann man von diesem Spatzenhirn auch nicht
erwarten, ging es Larina verächtlich durch den Kopf.
Hinter Pointe-Rouge bog Victor plötzlich in eine Seitenstraße
ein.
»Heh, ich glaube du hast dich mit dem Weg vertan.«
»Ich glaube, wir werden verfolgt«, erklärte Victor.
»Du spinnst!«
»Ich will auf Nummer sicher gehen.«
»Ich habe sehr genau darauf geachtet, dass niemand hinter uns
ist.«
Larina sah sich um.
Da war ein Lieferwagen. Aber der war erst seit ein paar
Minuten hinter ihnen.
Irgendetwas war faul. Larina konnte es förmlich spüren.
Als Victor erneut abbog, schrillten bei dem Killer-Girl
sämtliche Alarmglocken.
Es handelte sich um eine ziemlich enge Sackgasse, die zu
beiden Seiten vollgeparkt war. Die Fassaden blätterten von den
Häusern. Die Gebäude waren in einem erbarmungswürdigen Zustand.
Fenster waren mit Spanplatten zugenagelt. Hier war
Sanierungsgebiet. Wahrscheinlich würde es nicht mehr allzu lange
dauern und diese schmucklosen Blocks würden der Abrissbirne zum
Opfer fallen. Obszöne Graffiti prangten am Beton.
»Was soll das?«, rief Larina. »Warum fährst du hierhin?«
Victor stoppte ziemlich abrupt.
Larina wurde nach vorn gegen die Rückseite des Fahrersitzes
geschleudert. Als sie aufblickte, streckte Victor ihr den Lauf
einer Automatik entgegen.
Larina wurde bleich.
»Tut mir leid. Aber der Chef meint, du seist lebendig ein zu
großes Sicherheitsrisiko.«
»Aber …«
»Steig aus!«
Eine Mercedes-Limousine bog in die Sackgasse ein und hielt
hinter dem Chrysler.
Larina wandte den Blick. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie
drei Männer in dunklen Anzügen aus der Limousine steigen.
Einer trug eine Uzi-Maschinenpistole. Die anderen griffen
unter die Jacketts und zogen Pistolen hervor.
»Tja, das sind unsere Leute«, meinte Victor und verzog grimmig
das Gesicht. »Sind eigentlich ‘n bisschen früh dran. Sonst hätte
ich mich hier noch mit dir vergnügen können, bevor …« Er sprach
nicht weiter. In seinen Augen blitzte es.
»Was hindert dich jetzt daran?«
»Der Chef hat so etwas nicht gern.«
»Ja, der Chef ist ein Gentleman«, sagte Larina ironisch.
Die dunkel gekleideten Männer aus der Limousine näherten
sich.
»Steig aus!«, sagte Victor. »Mein Job ist hier zu Ende. Mit
dem Rest habe ich nichts zu tun.«
Er setzte ihr die Pistole an die Schläfe. Sie fühlte das kalte
Metall der Mündung.
Ihre Blicke begegneten sich. Victor grinste zynisch.
Der Handkantenschlag kam so schnell und präzise, dass er ihn
nicht kommen sah. Wie ein Rasiermesser durchschnitt Larinas Rechte
die Luft. Victor stöhnte auf, als der furchtbare Schlag seine
Halsschlagader traf.
Im selben Moment bog sie mit der Linken Victors Waffenarm
seitwärts. Ein Schuss löste sich, ging in die Sitzpolster der
Rückbank. Aber da lebte Victor schon nicht mehr. Der Kahlkopf
sackte kraftlos in sich zusammen.
Larina riss die Waffe an sich.
Dann vollführte sie eine Aufwärtsbewegung damit. Ihr erster
Schuss riss ein Loch in die Heckscheibe des Chryslers und traf den
Kerl mit der Uzi mitten in der Stirn. Die Wucht des Geschosses riss
ihn nach hinten und ließ ihn gegen die Motorhaube der
Mercedes-Limousine prallen.
Ihn hatte Larina wegen der überlegenen Feuerkraft seiner Waffe
zuerst ausschalten müssen.
Blitzartig warf Larina sich zwischen den beiden Vordersitzen
des Chryslers hindurch nach vorne. Zwei, drei Kugeln zischten dicht
an ihr vorbei. Dort, wo sie sich noch vor Sekundenbruchteilen
befunden hatte, rissen die Projektile das Polster der Rückbank
auf.
Larina riss die Waffe hoch.
Ihr Schuss ging dicht an der Kopfstütze des Fahrersitzes
vorbei, dann durch die Seitenscheibe der Hintertür.
Ein Schrei gellte.
Einer der Schwarzgekleideten krümmte sich, klappte dann
zusammen wie ein Taschenmesser.
Der dritte Mann war in Deckung gehechtet.
Larina war sehr gelenkig und zierlich. Sie robbte zur
Beifahrertür. Der tote Victor war dabei eine gewisse Deckung für
sie. Sie öffnete die Tür, robbte auf die Straße und rollte auf dem
Boden herum.
Schritte klackten auf dem Asphalt.
Larina blickte unter dem Chrysler her und für einen Augenblick
sah sie die Füße ihres Gegners.
Larina rollte unter einen der am Straßenrand parkenden Wagen,
kroch über die Straße und tauchte auf der anderen Seite wieder
hervor. Sie hockte sich hin, packte Victors Automatik mit beiden
Händen und wartete.
Wieder hörte sie das Klacken auf dem Asphalt.
Du hättest Turnschuhe tragen sollen, mein Freund, dachte
Larina kalt. Das wird dich das Leben kosten …
Der dunkel Gekleidete umrundete den Chrysler. Der Lauf seiner
Waffe irrte suchend umher.
Larina tauchte blitzartig hinter ihrer Deckung hervor.
Der Mann in schwarz versuchte noch, die Waffe in ihre Richtung
zu reißen. Larina feuerte einen Sekundenbruchteil schneller.
Das Projektil fuhr durch das Brustbein. Sein blütenweißes Hemd
wurde rot. Er machte einen taumelnden Schritt zurück. Seine Augen
wurden starr. Dann knallte er vornüber auf den Asphalt.
Larina atmete tief durch. Sie sah sich um. Die Automatik
steckte sie hinter den Hosenbund.
Dafür wird noch jemand bezahlen, durchzuckte es sie wie ein
greller Blitz. Dann ging sie zu dem zerschossenen Chrysler, um ihre
Tasche zu holen, in die sie ihr sparsames Kostüm gepackt
hatte.
5
In den nächsten Stunden hatten wir alle Hände voll zu
tun.
Die Personalien der Gäste von Stagarowskis Party mussten
aufgenommen werden. Wir vernahmen Dutzende von Personen, von denen
wir annahmen, dass sie vielleicht etwas aussagen konnten.
In einem Nebenraum des Hotels unterhielten François und ich
uns unter anderem mit Madeleine Stagarowski, die jetzt einen
ziemlich ernüchterten Eindruck machte.
»Sie wollten meinem Mann eine Falle stellen … Na ja,
irgendwann musste es ja mal soweit kommen, Monsieur
Malreaux!«
»Ich bin Commissaire Pierre Marquanteur«, erinnerte ich
sie.
Sie hob die Hände. »Ich vergaß!«
»Haben Sie irgendeine Ahnung davon, wer Ihren Mann umbringen
wollte?«
»Das waren viele«, meinte sie. »Ich will mich da selbst gar
nicht ausschließen. Wie oft ich ihn verflucht habe, wenn er mit
diesen jungen Dingern rumgemacht hat!«
»Und?«, fragte ich. »Haben Sie etwas damit zu tun?«
Sie verzog das Gesicht.
»Wäre eine originelle Rache, was? Grand-Josephe stirbt durch
ein Show-Girl, das aussieht wie eine der Stripperinnen, die in den
Clubs auftreten, die er kontrolliert.« Sie sah mich mit ihren
eisgrauen Augen an. »Ich weine ihm keine Träne nach«, sagte sie
dann. »Und ich nehme an, dass von Grand-Josephes Vermögen genug für
mich übrig bleibt, um damit für den Rest meiner Tage ein
sorgenfreies Leben führen zu können.«
»Wer so eine Frau hat, braucht keine Feinde mehr«, meinte
François, als sie aus dem Raum gegangen war.
»Hilfe können wir jedenfalls von ihr nicht erwarten«, meinte
ich dazu.
»Sich über den Tod seines Ehemannes zu freuen, ist nicht
strafbar, Pierre.«
»Ich weiß.«
»Und wenn sie tatsächlich einen Mordauftrag gegeben hat, wird
sie klug genug gewesen sein, dafür die Schwarzgeldreserven zu
gebrauchen, die Grand-Josephe zweifellos angehäuft hat.«
Die Vernehmungen waren zunächst nicht sehr ergiebig. Niemand
hatte etwas Verdächtiges bemerkt. Das gesamte Geschehen war von
unseren Kollegen auf Video aufgezeichnet worden. Wir hatten dafür
gesorgt, dass jede Bewegung und jedes Wort von Grand-Josephe später
vor Gericht gegen ihn verwendet werden konnte. Aber so weit hatte
seine Mörderin es nicht kommen lassen.
Monsieur Perouche, unserem Zeichner, fiel nun die Aufgabe zu,
aus dem vorhandenen Material möglichst schnell ein Standbild
herauszufischen, das das Gesicht der Täterin deutlich zeigte.