Commissaire Marquanteur
und das Killernetz: Frankreich Krimi
von Alfred Bekker
Wer ermordet in Marseille Menschen, indem er die Software von
Autos manipuliert? Nicht nur der Tod eines Polizisten ruft die
Ermittler Leroc und Marquanteur auf den Plan, denn die Hinweise
deuten in Richtung eines verurteilten Verbrechers. Aber der Täter
macht auch vor den Mitarbeitern der FoPoCri nicht Halt, mit
schrecklichen Folgen.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen,
Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb
er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry
Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica
Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick,
Jack Raymond, Jonas Herlin, Dave Branford, Chris Heller, Henry
Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
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Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
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lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
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Alles rund um Belletristik!
1
Die zwei Männer standen auf einem der Landungsstege im
Yachthafen von Marseille.
“Siehst du die Wolken dort”
“Sehe ich.”
“Gut, dass wir heute mit dem Motorboot rausgefahren sind.
Morgen würde ich das nicht tun.”
“Meinst du, es gibt schlechtes Wetter?”
“Natürlich gibt es schlechtes Wetter. Was denn sonst. Wenn die
Wolken über dem Meer so sind, dann gibt es schlechtes Wetter und
man sollte nicht hinausfahren. Unter gar keinen Umständen. Dann
bleibt man im Hafen.”
“Dann sollten wir froh sein, dass wir heute rausgefahren
sind.”
Ein Vogelschwarm näherte sich der Küste. Ein chaotischer Chor
aus unterschiedlichsten Vogelstimmen wurde langsam lauter und es
wurde schnell klar, dass das kein gewöhnlicher Schwarm war.
“Seeadler, die zusammen mit Möwen und allem möglichen anderen
Getier fliegen!”
“Da sieht man selten!”
“Das schlechte Wetter treibt sie vor sich her. Sie sind auf
der Flucht. Nicht ein Anzeichen dafür, dass sich da etwas
zusammenbraut.”
“Das heißt wohl, dass man morgen einen Schirm mitnehmen
sollte!”
“Das heißt, dass man morgen am besten zu Hause bleiben
sllte.”
“Leider gibt es immer ein paar Dinge, die dringend zu
erledigen sind.”
“Stimmt.”
“Da kann das Wetter noch so schlecht sein.”
“Auch wahr.”
Die Vögel kamen näher. Es war ein gigantischer Schwarm. So
etwas gab es nur dann, wenn die Front eines nahenden Unwetters
schon ziemlich nahe herangekommen war.
Der Wind frischte auf.
Es wurde merklich kühler.
“Wann wirst du die Sache eigentlich durchziehen, die du immer
wieder ankündigt und dann doch nicht in die Tat umsetzt?”, fragte
einer der beiden Männer.
“Keine Ahnung, wovon du sprichst!”
“Ich denke, das weißt du ganz genau.”
“Dann klär mich auf! Wirklich! Ich bin vollkommen
ahnungslos!”
“Du wolltest doch diesen Flic aus der Spezialabteilung
umbringen. Wie hieß der noch? Marquanteur! Pierre Marquanteur!
Dieser blöde Hund, der die guten Geschäfte mit Drogen verdirbt,
weil er die besten Lieferanten verhaftet hat. Der Mann, den es
inzwischen schwer macht, noch einen geeigneten Lohnkilller oder
Knochenbrecher zu engagieren, weil die guten Leute alle in La
Villette hinter Gittern sitzen. Der Mann, der dir auf den Kopf
kackt, wenn er will, so wie die Vögel dort!”
“Man muss nichts überstürzen.”
“Das heißt, das waren alles nur leere Worte?”
“Nein, das waren nicht nur leere Worte.”
“Leere Worte sind die, denen niemals Taten folgen. Und in
dieser Angelegenheit sind bei dir bis jetzt keine Taten
gefolgt.”
“Meine Güte, du gehst mir auf die Nerven.”
“Weil ich dich daran erinnere, was du selbst gesagt hast? Ist
das jetzt dein Ernst?”
“Hör mal…”
“Nein, du hörst mir jetzt erst einmal zu. Wenn jemand nicht
tut, was er sagt, dann macht er sich zum Gespött. Und du bist auf
bestem Wege dazu. Willst du, dass man über dich lacht? Willst du,
dass man denkt, du hättest Angst vor diesem Marquanteur? Willst du,
dass man glaubt, dieser Pierre Marquanteur könnte dir auf der Nase
herumtanzen? Dann sage ich dir jetzt mal eins: Ich habe mit den
anderen gesprochen. Die stellen sich alle dieselben, für dich
vielleicht etwas unangenehmen Fragen.”
“Man muss auf den richtigen Augenblick warten können.”
“Wenn du den nicht schon verpasst hast.”
“Nein, das habe ch nicht. Da kannst du ganz sicher
sein.”
“So?”
“Und in einer anderen Sache kannst du auch ganz sicher
sein.”
“Ich bin gespannt!”
“Ich werde diesen Pierre Marquanteur eines Tages umlegen. So
wahr ich hier stehe!”
“Das wirst du auch müssen. Sonst nimmt dich in ganz Marseille
bald niemand mehr ernst. “
Nieselregen setzte jetzt ein und wurde dann schnell
heftiger.
Als die beiden Männer den Landungssteg verlassen und ein
kleines Bistro in der Nähe des Yachthafens erreicht hatten, waren
sie bereits vollkommen durchnässt..
*
An diesem Morgen holte ich meinen Kollegen François Leroc wie
üblich an der vereinbarten Ecke ab. Diese Fahrt ist gewissermaßen
meine Morgenroutine. Ich hole François ab und dann fahren wir
gemeinsam zum Polizeipräsidium Marseille, wo wir unser Büro haben.
Manchmal werden wir natürlich auch schon auf dem Weg dorthin zu
einem Einsatz gerufen, aber normalerweise läuft das so, wie ich es
gerade geschildert habe.
An diesem Tag regnete es.
Es regnete Bindfäden, wie man so schön sagt.
Und das kommt in Marseille in dieser Form nun wirklich selten
vor.
Blauer Himmel, glitzerndes Mittelmeer, heller Sonnenschein -
so ist das hier meistens.
Aber keine Regel ohne Ausnahme.
Und heute war es eben anders.
Nicht nur heute, sondern schon ein paar Tage.
Manche Oberschlaue sagten, das sei der Klimawandel.
Andere meinen zu wissen, dass das eben die ganz normale
Schwankungsbreite sei, die das Wetter in Marseille nunmal aufweist.
Marseille ist für alles Mögliche bekannt. Als zweitgrößte
Stadt Frankreichs und wichtiger Mittelmeerhafen ist die Bedeutung
nicht zu unterschätzen.
Dann ist Marseille bekannt für kulinarische Köstlichkeiten wie
die Bouillabaisse.
Aber für eins ist Marseille nun wirklich nicht bekannt:
Schlechtes Wetter.
Heute sah es so aus, als würde die Sonne gar nicht erst
herauskommen.
Der Regen nahm immer mehr zu.
Die Scheibenwischer kamen zeitweilig gar nicht mit dem Wischen
nach. Man konnte kaum erkennen, was draußen geschah.
Immerhin sah ich noch die Bremslichter des Fahrzeugs vor
mir.
Es handelte sich um einen Mercedes Transporter.
Wir standen an einer Ampel.
Und da blieben wir dann erst mal.
»Der Morgen beginnt gleich ziemlich trübe«, meinte
François.
»Das kannst du laut sagen«, gab ich zurück.
Die Ampelphase dauerte und dauerte.
Sie schien gar kein Ende zu nehmen.
Dass in der Rushhour Ampeln den fließenden Verkehr nicht
schlucken, kommt relativ häufig vor. Dann quält sich die Schlange
aus Blech Meter für Meter weiter. Aber immerhin geht es dann
irgendwann weiter, auch wenn es vielleicht nicht gerade schnell
geht.
Wir warteten.
Wir warten noch länger.
Der Regen prasselte unterdessen unablässig gegen die
Frontscheibe.
François sah auf die Uhr. Ich starrte in das triste Grau, das
uns umgab.
»Wird Zeit«, meinte François.
»Du kannst ja den Chef anrufen, dass wir später zum Meeting
kommen.«
»Dem wird das nicht gefallen.«
»Wir machen das ja nicht mit Absicht.«
»Ich glaube, das spielt für den Chef keine Rolle.«
»Ich fürchte, da hast du recht, Pierre.«
»Aber es kann ja schließlich nicht jeder im Büro übernachten,
wie unser Chef das manchmal macht.«
»Wer weiß, Pierre. Vielleicht erwartet er das insgeheim auch
von uns.«
»Hat er so deutlich noch nie gesagt!«
»Es gibt auch so etwas wie stille Erwartungen, Pierre.«
»Stille Erwartungen sind die, um die man sich besser gar nicht
erst kümmert«, meinte ich.
»Ignorieren kann man sie aber genauso wenig.«
»Stille Erwartungen sind fürs Privatleben reserviert,
François.«
»Und du meinst, weil wir beide in unserem Job so gut wie kein
Privatleben haben, brauchen wir uns auch nicht weiter darum zu
kümmern?«
»So ist es.«
Die Ampelphase dauerte nun inzwischen schon extrem lange.
Ich begann mit den Fingern auf dem Steuerrad herumzutippen.
Irgendjemand begann jetzt zu hupen. Es ging wirklich keinen
Zentimeter vorwärts und das über so lange Zeit. Das war tatsächlich
ungewöhnlich.
»Da muss was passiert sein«, glaubte François.
Und ich war geneigt, ihm beizupflichten.
Wir warteten weiter.
Der Regen ließ etwas nach.
Ich hörte, wie Autotüren geöffnet wurden.
Da stiegen offenbar die ersten Leute aus, um mal nachzusehen,
was eigentlich los war.
Einer kam schließlich an unserem Wagen vorbei.
Ich ließ das Fenster herunter.
Etwas Regen kam mir ins Gesicht.
»Bonjour!«, rief ich.
»Bonjour«, kam es zurück.
»Was ist los?«
»Ampelausfall. Hören Sie kein Radio?«
»Wieso Radio?«
»Ist im ganzen Stadtteil so. Halb Marseille ist ohne
Ampel.«
»Wieso das denn?«
»Softwareausfall. Da gibt es einen Großausfall. Kam im
Radio.«
»Danke.«
»Ist ziemlich nass heute.«
»Mistwetter eben.«
»Genau.«
Der Mann ging weiter.
»Tja, vielleicht sollten wir morgens wieder Radio hören«,
meinte François Leroc daraufhin.
Mein Name ist Pierre Marquanteur. Ich bin Commissaire und Teil
einer in Marseille angesiedelten Sonderabteilung, die den etwas
umständlichen Namen Force spéciale de la police criminelle, kurz
FoPoCri, trägt und sich vor allem mit organisierter Kriminalität,
Terrorismus und Serientätern befasst.
Die schweren Fälle eben.
Fälle, die zusätzliche Ressourcen und Fähigkeiten verlangen.
Zusammen mit meinem Kollegen François Leroc tue ich mein
Bestes, um Verbrechen aufzuklären und kriminelle Netzwerke zu
zerschlagen. »Man kann nicht immer gewinnen«, pflegt Monsieur
Jean-Claude Marteau oft zu sagen. Er ist der Commissaire général de
police und somit der Chef unserer Sonderabteilung. Und leider hat
er mit diesem Statement Recht.
An diesem Morgen saßen François und ich jedenfalls erst mal
auf der Verliererstraße fest.
*
Commissaire Pascal Lefebre saß am Steuer seines grauen,
unscheinbaren Fords. Die Limousine war ein Dienstfahrzeug der
Polizei in Marseille, und Lefebre war jetzt auf dem Weg nach Hause.
Es war Wochenende. Das erste freie Wochenende seit langem für
Lefebre.
Die Straße machte eine scharfe Kurve. Lefebre spürte, dass
irgendetwas nicht stimmte. Das Lenkrad des Fords reagierte nicht,
wie es sollte. Und außerdem waren da all die Lichter an den
Armaturen, die plötzlich aufleuchteten, ohne dass es dafür
anscheinend irgendeinen vernünftigen Grund gab.
Lefebre riss das Lenkrad herum.
Es reagierte nicht. Der Ford raste auf die steile Böschung
zu.
»Verdammt!«, zischte es zwischen Lefebres Lippen hindurch, die
innerhalb der letzten drei Sekunden zu farblosen, geraden Strichen
geworden waren.
Lefebre trat mit aller Kraft auf das Bremspedal, obwohl das
eigentlich nicht der Vorgehensweise entsprach, die man ihm beim
Fahrtraining beigebracht hatte, das er während seiner Ausbildung
beigebracht bekommen hatte, aber irgendetwas musste er tun.
Sekunden blieben ihm nun, um sich zwischen Alternativen zu
entscheiden, die allesamt katastrophale Folgen haben würden.
Hart kam der Ford gegen einen Baum. Verzweifelt hatte Lefebre
versucht, diesem Baum auszuweichen, aber die Lenkung hatte so gut
wie gar nicht reagiert, ebenso wie die Bremsen. Plötzlich fing die
Musik im Radio an zu spielen. Es war Country Musik.
Lefebre stutzte. Er selbst konnte Country Musik auf den Tod
nicht ausstehen. Das Gebläse heulte auf.
»Wenn du glaubst, dass du was Besseres bist, nur weil du jetzt
einer Einheit für ganz besondere Fälle angehörst, dann irrst du
dich«, hörte er in seinem Kopf die Stimme seines Kollegen Yannick
Neuville. Die Zeit erschien ihm eigenartig gedehnt. In diesen
letzten Sekunden seines Lebens sah er sein bisheriges Leben in
einer Art Zeitraffer vor sich. Er dachte daran, wie er die
Gesamtschule verlassen hatte, wie er sich für die Polizei beworben
und die Ausbildung schließlich abgeschlossen hatte. Das Gesicht von
Darius »Fettsack« Basquiat sah er vor sich, als dieser große
Bandenchef begriffen hatte, dass ein Gericht in Marseille ihn
gerade für den Rest seiner Tage in ein Gefängnis weggesperrt hatte.
Das war einer seiner größten Fahndungserfolge gewesen …
»War es das alles wirklich wert?«, erinnerte er sich jetzt an
eine andere Stimme. Es war die Stimme seiner Frau. Sie hatte diesen
Satz zu ihm gesagt, nachdem Basquiat verhaftet worden war und für
Commissaire Pascal Lefebre und seine Familie damit eine lange Phase
zu Ende ging, in der sie kein normales Leben hatten führen können.
Sowohl Lefebre als auch seine Familie war rund um die Uhr zur
eigenen Sicherheit überwacht worden, denn es hatte glaubhafte
Informationen gegeben, dass Basquiat Anschläge plante. Und das
nicht nur auf Lefebre selbst, der für ihn so etwas wie ein Erzfeind
war, sondern auch auf seine Familie.
»War es das wirklich wert, Pascal?«, echote die Frage seiner
Frau erneut in seinem Kopf.
Damals hatte er diese Frage nicht verstanden. Und er hatte
schon gar nicht verstanden, wieso sie ihm diese Frage zu einem
Zeitpunkt gestellt hatte, als doch schon alles vorbei und Basquiat
verurteilt worden war.
Du hättest mir die Frage jetzt stellen sollen, dachte er.
Es war sein letzter klarer Gedanke. Der Wagen traf zwar wie
durch ein Wunder nicht mit voller Wucht gegen den Baum, auf den er
bis dahin zugerast war, sondern wurde nur seitlich touchiert, aber
dann schleuderte der Ford einen Moment später frontal auf einen
Felsbrocken.
Es wurde dunkel um Pascal Lefebre.
2
»Guten Morgen, setzten Sie sich!«, sagte Monsieur Marteau. Er
deutete mit einer knappen Geste auf die vorhandenen
Sitzgelegenheiten und ließ die Hände dann in den weiten Taschen
seiner Flanellhose verschwinden. Der Chef unseres Polizeipräsidiums
musterte uns kurz und wartete, bis François und ich uns gesetzt
hatten.
In diesem Augenblick ging die Tür auf.
Melanie, die Sekretärin unseres Chefs, kam herein. Und in
ihrem Gefolge betrat eine Frau mit asiatisch geprägten
Gesichtszügen den Raum. Es handelte sich um Dr. Lin-Tai Fouquet,
die Mathematikerin und IT-Spezialistin des Ermittlungsteams
Erkennungsdienst, das François und mir bei unseren Ermittlungen zur
Verfügung steht, wenn die lokalen Kapazitäten dafür quantitativ
oder qualitativ nicht ausreichen.
Dr. Fouquet hier in Marseille in der Zentrale zu sehen,
überraschte mich allerdings. Normalerweise hatte Fouquet ihren
Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten ungefähr zwanzig Minuten von
Noailles entfernt. Und für gewöhnlich gab es auch selten einen
Grund für die hochbegabte Expertin, den Komplex zu verlassen, zumal
ihr dann immer ein wichtiges Werkzeug fehlte: Die hochmodernen
Computer, die ihr dort nämlich zur Verfügung standen.
»Schön, dass Sie sich herbemüht haben, Doktor Fouquet«,
begrüßte Monsieur Marteau die IT-Expertin.
»Ich habe bereits …«, begann sie, aber unser Chef unterbrach
sie sofort.
»Warten Sie einen Moment und setzen Sie sich, Doktor Fouquet!
Pierre und François sind mit den Einzelheiten des Falls noch nicht
vertraut, und ich denke, wir sparen eine Menge Zeit, wenn die
beiden zumindest wissen, worum es bei der ganzen Angelegenheit
überhaupt geht.«
»Ja.« Fouquet nickte uns zu und setzte sich dann
ebenfalls.
»Es geht um den Mord an unseren Kollegen Commissaire Pascal
Lefebre«, erklärte Monsieur Marteau. »Sie werden vielleicht von
seinem Tod gehört haben. Die Medien haben darüber berichtet.
Vielleicht wundern Sie sich, dass ich von Mord spreche, wo doch
bisher die Version verbreitet wurde, dass Commissaire Lefebre Opfer
eines tragischen Verkehrsunfalls wurde. Aber inzwischen hat sich,
auch Dank der Mithilfe von Doktor Fouquet, die Beweislage geändert.
Es liegen Erkenntnisse vor, dass der Unfall vorsätzlich
herbeigeführt wurde, und zwar durch Manipulationen an der Software
des Wagens.«
»Ich möchte dazu sagen, dass ich bisher nur beratend aus der
Ferne für die ermittelnden Kollegen tätig gewesen bin«, sagte jetzt
Dr. Fouquet. »Um definitiv etwas zur Beweislage zu sagen, müsste
ich selbst …«
»Dazu werden Sie ja Gelegenheit haben, Doktor Fouquet«,
unterbrach Monsieur Marteau sie erneut. Er wandte sich wieder an
uns. »Vor Kurzem kursierten Meldungen in den Medien, wonach es
Hackern gelungen sei, das elektronische Innenleben von Fahrzeugen
quasi zu übernehmen. Insbesondere bei modernen Fahrzeugen, die über
ein GPS-Signal verfügen und eine eigene Online-Verbindung aufbauen,
ist das erschreckenderweise möglich. Sie brauchen nur einen
Computer dafür, oder wahlweise auch ein Smartphone. Sämtliche
elektronisch unterstützten Systeme können dann theoretisch aus
tausend Meilen Entfernung von einem Hacker gesteuert werden. Das
gilt für die Bremsen, die Schlösser, das Radio, die Lenkung, das
ABS-System, die Auslösung der Airbags …« Monsieur Marteau holte
tief Luft, ehe er fortfuhr. »Sie können sich sicher vorstellen, wie
sich so eine Systemübernahme als Mordwaffe nutzen lässt.
Theoretisch können Sie auf die Weise dafür sorgen, dass jemand
gegen einen Baum fährt und dabei ums Leben kommt, ohne dass man Sie
mit dem Verbrechen in Verbindung bringen kann.«
Monsieur Marteau hob die Augenbrauen und kam dann dem Einwand
zuvor, der Fouquet zweifellos auf den Lippen lag. »Na ja, wenn ich
davon spreche, dass es nicht möglich ist, den Täter mit der Tat in
Verbindung zu bringen, dann meine ich das natürlich unter dem
Aspekt, dass herkömmliche Polizeiarbeit hier nicht zum Ziel führen
kann. Aber wir haben natürlich die Hoffnung, dass Ihre Methoden uns
weiterbringen.«
»Es gibt keinen Mord ohne Spuren«, sagte Fouquet. »Es gibt
vielleicht Spuren, die nicht als solche erkannt werden, das ist
möglich. Aber grundsätzlich hinterlässt man bei allem, was man tut,
etwas. Das ist quasi ein Naturgesetz.«
»Wer die elektronischen Manipulationen durchgeführt hat, ist
die eine Frage«, sagte Monsieur Marteau. »Die entscheidendere ist,
wer dahintersteckt.«
»Sie glauben, dass eine größere Sache dahintersteckt?«, fragte
ich.
Monsieur Marteau zuckte mit den Schultern.
»Lesen Sie sich einfach mal die Unterlagen durch, die für Sie
zu diesem Fall zusammengestellt wurden! Pascal Lefebre war ein sehr
guter Ermittler. Und die Liste derer, die einen Grund hätten, ihn
ins Jenseits zu wünschen, ist ausgesprochen lang.«
3
»Monsieur Basquiat! Eine Stellungnahme bitte!«, sagte eine
Reporterin aus dem Pulk von Journalisten, die am Haupteingang des
Gerichtsgebäudes in Marseille gewartet hatten. Die Warterei hatte
sich gelohnt. Zumindest für die, die am Haupteingang gewartet
hatten. Diejenigen, die darauf spekuliert hatten, dass Basquiat das
Gerichtsgebäude auf leisen Sohlen durch einen der Hinterausgänge
verlassen würde, hatten diesmal auf das falsche Pferd
gewettet.
»Gehen Sie bitte zur Seite!«, sagte ein kleiner, drahtiger
Mann in dunklem Dreiteiler und schmalem Aktenkoffer. Das war
offensichtlich der Anwalt. Er wirkte gegenüber der massigen Gestalt
von Darius Fettsack Basquiat wie ein Zwerg. »Mein Mandant wird hier
und heute keinerlei Statements abgeben«, fuhr er fort. »Hier und
heute ging es nur um die Haftbedingungen. Was dazu zu sagen war,
ist vor Gericht ausgesprochen worden.«
Die Polizisten des Polizeikommissariats, die Basquiat in die
Mitte genommen hatten und zu dem bereits wartenden
Gefangenentransporter bringen wollten, kamen mit ihrem Schützling
nicht so recht voran. Basquiats Körperfülle war so ausgeprägt, dass
selbst seine kräftigen Bewacher nichts tun konnten, als Basquiat
plötzlich stehenblieb. Die Hände waren mit Handschellen gefesselt.
Auf Fußfesseln hatte man verzichtet, damit der massige Mann nicht
noch langsamer voranschritt.
»Ich habe doch noch etwas sagen. Etwas, was Sie ruhig senden
können«, rief Basquiat.
»Monsieur Basquiat, ich rate …«, begann der Anwalt, aber
Basquiat beachtete ihn gar nicht weiter. Und die Reporter auch
nicht. Die Mikrofone waren auf Basquiat gerichtet. Die Kameras
hatten ihn in ihren Fokus genommen.
Basquiat grinste breit. Er schien die Aufmerksamkeit
regelrecht zu genießen, die ihm jetzt zuteil wurde.
»Ich habe gehört, dass ein gewisser Commissaire Pascal Lefebre
bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Commissaire
Lefebre und ich hatten zu seinen Lebzeiten gewisse Differenzen, und
um es ganz offen zu sagen: Ich verdanke es zu einem guten Teil ihm,
dass ich das Gefängnis wahrscheinlich nie wieder verlassen werde.
Aber ich bin nicht nachtragend. Nicht über den Tod hinaus
jedenfalls. Und ich möchte hiermit diese Gelegenheit nutzen, um den
Angehörigen mein tief empfundenes Beileid auszudrücken. Möge Pascal
Lefebre den Frieden finden, den er mir nicht gelassen hat.«
»Monsieur Lefebre, eine Frage …«, war die heisere Stimme eines
Reporters zu hören, der es nicht geschafft hatte, sich weit genug
nach vorne zu drängeln, um eine wirklich gute Position zu
haben.
»Es ist alles gesagt. Vor Gericht und im Straßenverkehr sind
wir alle in Gottes Hand!«, sagte Basquiat noch. Dann wurde er
weiter abgeführt.
Er atmete schwer. Der Fußweg bis zum Gefangenentransporter
schien ihn sehr anzustrengen. Sein Gesicht lief rot an, und
wahrscheinlich wäre er im Moment auch gar nicht mehr in der Lage
gewesen, irgendeine Frage zu beantworten. Wenig später verschwand
er, abgeschirmt von seinen Bewachern und seinem Anwalt im
Gefangenentransporter. Dieser fuhr schließlich los und wurde dann
von mehreren Einsatzwagen der Polizei sowie Polizisten auf
Motorrädern eskortiert. Die Kameras mehrerer lokaler Sender folgten
ihm und nahmen ihn in den Fokus, solange das möglich war.
4
Bereits am frühen Nachmittag fuhren wir nach La Villette.
Lin-Tai Fouquet begleitete uns. Monsieur Marteau wie auch François
und ich hatten bereits mit Dienststellenleiter Jean-Marcel Previn
telefoniert. Wir kannten Previn durch die Zusammenarbeit mit
anderen Ermittlungen.
So gut es ging, hatten wir uns in die zur Verfügung stehenden
Daten eingearbeitet. Während der Fahrt hatte François den Laptop
auf den Knien, um uns noch ein bisschen mehr mit der Faktenlage
vertraut zu machen. Das galt für Dr. Fouquet ebenso wie für
François und mich.
»Einer unserer ersten Gesprächspartner wird wohl Commissaire
Gaëtan Bonneau sein«, schlug François vor. »Er ist der ehemalige
Dienstpartner, und du weißt ja, wie das ist: Die wissen manchmal
mehr über einen Ermittler als die Ehefrau.«
»Die sollten wir trotzdem ebenfalls noch mal befragen«, sagte
ich. »Es gibt eine Aussage von ihr, wonach sich Commissaire Lefebre
kurz vor seinem Tod mit jemandem gestritten hat.«
»Wurde Madame Lefebre Zeuge dieses Streits?«, fragte
François.
»Wurde sie, denn er fand auf dem Grundstück ihres Hauses
statt. Leider hat sie wohl nicht mitbekommen, worum es dabei ging,
und ihr Mann wollte ihr keinerlei Auskünfte dazu geben.«
»Das muss nicht unbedingt mit unserem Fall zu tun haben«,
meinte François.
»Der Unbekannte hat Lefebre schließlich zu Hause aufgesucht«,
fasste ich den Inhalt des von den Kollege aus La Villette
erstellten Protokolls zusammen. »Und Madame Lefebre gibt außerdem
zu Protokoll, dass der Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahre war,
und eine Waffe trug.«
»War das ein Kollege?«
»Das ist nicht ausgeschlossen.«
»Eine Dienstmarke hat sie nicht zufällig auch noch
gesehen?«
»Nein.«
François zuckte mit den Achseln.
»Wir werden dieser Sache nachgehen. Allerdings steht für mich
auf der Liste derer, die verdächtig sind, hinter diesem Anschlag
auf einen Commissaire zu stecken, an erster Stelle dieser Darius
Basquiat.«
»Ich habe gelesen, welche Drohungen Basquiat gegenüber der
Polizei im Allgemeinen und Commissaire Lefebre im Besonderen
ausgestoßen hat«, sagte ich.
»Die Tatsache, dass Basquiat im Knast sitzt, muss nicht
heißen, dass er draußen nicht genügend Leute hätte, die für ihn
töten würden«, gab François zurück.
»Gibt es denn gesicherte Erkenntnisse darüber, dass Lefebre
seine Geschäfte weiterführen konnte?«
»In unseren Unterlagen war darüber nichts zu finden. Und
sollte es tatsächlich der Fall sein, dürfte das ziemlich
entmutigend für die Kollegen sein.«
»Die Frage ist, ob sie es zugeben oder stattdessen die
geschönte, offizielle Version der Geschichte bevorzugen, wonach
Basquiat ein für allemal das Handwerk gelegt worden ist.«
»Und zwar durch deren hervorragende Ermittlungsarbeit«,
ergänzte François.
»Wenn die so hervorragend wäre, bräuchte man uns nicht um
Hilfe bitten«, gab ich zurück.
»Auch wieder wahr«, sagte François.
Lin-Tai Fouquet hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Sie
hatte mit äußerster Konzentration an ihrem Laptop gesessen und
intervallweise mit rasender Geschwindigkeit ihre Finger über die
Tastatur fliegen lassen. Aber jetzt mischte sie sich in das
Gespräch zwischen François und mir ein.
»Ich bin überzeugt davon, dass die Person des Hackers
entscheidend ist«, sagte sie. »Und ich bin mir eigentlich auch
sicher, dass sich der früher oder später anhand von
charakteristischen Datenspuren, Merkmalen in den Programmcodes und
so weiter ermitteln lässt. Niemand ist vorsichtig genug, um keine
Spuren zu hinterlassen. Und für den Fall, dass es Hintermänner oder
Auftraggeber gibt …«
»Sie zweifeln daran?«, fragte François.
»Eine statistische Auswertung von Cyber-Verbrechen der letzten
Jahre ergibt eindeutig, dass nur ein Bruchteil davon im Auftrag
begangen worden sind. Meistens handeln die Täter aus eigenem
Antrieb. Zum einen aus den gewohnten kriminellen Motiven wie
Habgier, zum anderen aber auch manchmal einfach, um
Allmachtsfantasien zu verwirklichen. Diese Leute stellen durch ihre
Taten unter Beweis, dass sie buchstäblich alles können: Millionen
von fremden Konten abzweigen, das Leben eines Menschen durch
Übernahme und Manipulation seiner elektronischen Identität
ruinieren oder …«
»… einen Menschen durch einen Unfall töten?«, vollendete ich
ihren Satz.
»Ja, auch das.« Lin-Tai Fouquet sah mich einen Augenblick lang
über den Rückspiegel an, ohne dass sich in ihrem glatten Gesicht
dabei irgendeine Regung zeigte.
»Sie meinen ernsthaft, dass wir es mit einem Einzeltäter zu
tun haben?«
»Ich meine, dass wir uns nicht vorzeitig festlegen
sollten.«
»Das sollte man nie.«
»Richtig. Aber schon bei der ersten Unterredung mit Monsieur
Marteau zu diesem Fall hatte ich das Gefühl, dass wir gerade dabei
sind, genau das zu tun. Wir dürfen keine Möglichkeit außer Acht
lassen.«
»Ich werde daran denken.«
»Und schon gar nicht eine Möglichkeit, die statistisch gesehen
an erster Stelle steht.« Sie hob die Augenbrauen leicht an. »Leider
besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem, was dem
menschlichen Empfinden nach die größte Relevanz besitzt und dem,
was die größte mathematische Relevanz besitzt.«
»Und ich habe immer gedacht, es gibt so etwas wie einen
gesunden Menschenverstand, Lin-Tai.«
»Vergessen Sie den, Pierre!«
»Ach ja?«
»Statistisch gesehen existiert er nicht.«
»So habe ich das noch nie gesehen.«
5
Wir erreichten das zuständige Polizeikommissariat pünktlich.
Ein drahtiger Mann mit Halbglatze empfing uns.
»Ich bin Commissaire Gaëtan Bonneau«, erklärte er.
»Pierre Marquanteur«, stellte ich mich vor. »Dies sind meine
Kollegen Commissaire François Leroc und Doktor Lin-Tai Fouquet aus
unserem Ermittlungsteam Erkennungsdienst. Sie ist IT-Expertin und
wird sich um die Analyse Daten aus dem Unfallfahrzeug
kümmern.«
»Ich dachte, das wäre längst geschehen«, sagte Gaëtan Bonneau
etwas irritiert. Auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Furche.
»Die Kollegen des Erkennungsdienstes haben die Rohdaten
gesichert und auch eine erste Analyse durchgeführt«, bestätigte Dr.
Fouquet. »Mir sind diese Daten überspielt worden, und ich habe
weitere Untersuchungen daran angeschlossen und den Verdacht Ihrer
Kollegen, dass es sich um eine gezielte Manipulation über die
Online-Verbindungen des Fahrzeugs handeln muss, bestätigt. Jetzt
geht es darum, weitere Daten zu gewinnen. Schließlich sind
keineswegs alle Systeme ausgelesen worden, und es gibt durchaus
Teilkomponenten, in denen sich Datenreste befinden könnten, die uns
weiterbringen. Davon abgesehen ist zwar mit großer
Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass eine externe Manipulation der
Fahrzeugsysteme stattgefunden hat, aber es ist noch nicht
zweifelsfrei erfasst, auf welchem Weg die externe Übernahme der
Systeme durchgeführt wurde.«
»Sie scheinen ja wirklich Ahnung von der Materie zu haben,
soweit ich das beurteilen kann«, meinte Bonneau.
»Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie der Täter in die
Fahrzeugsysteme eindringen konnte. Die GPS-Funktion ist natürlich
immer als Erste in Verdacht. Aber wenn Sie sich einfach mal vor
Augen halten, wie viele Systemkomponenten in modernen Fahrzeugen
inzwischen schon auf eine Online-Verbindung zugreifen, dann wären
Sie erstaunt. Unter anderem das Navigationssystem. Es gibt dort
nicht nur ein einziges mögliches Einfallstor für Kriminelle, wenn
ich es mal mit einfachen Worten ausdrücken darf.«
Bonneau nickte stirnrunzelnd.
»Ich habe von diesen Dingen keine Ahnung. Aber es bestürzt
mich, dass es offenbar möglich ist, ein Fahrzeug einfach so zu
übernehmen und es zu einer Mordwaffe werden zu lassen.«
»Ja, Sie haben recht«, nickte Dr. Fouquet.
»Wissen Sie, früher, da waren Autos einfach nur Autos. Sie
konnten fahren und sonst gar nichts. Aber inzwischen scheinen sie
sich in fahrende Computer verwandelt zu haben. Ich habe noch
erlebt, dass mein Vater einen gerissenen Keilriemen durch die
Nylon-Strumpfhose meiner Mutter ersetzt hat und wir damit immerhin
noch bis zur nächsten Werkstatt gekommen sind. Heute kommt man an
den Motor gar nicht mehr heran und ist darauf angewiesen, dass
irgendein Typ aus der Werkstatt einen Laptop anschließt, um die
Sache in Ordnung zu bringen.«
»Das gilt nicht nur für Autos, Monsieur Bonneau, sondern für
zahllose andere Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.«
»Erschreckend finde ich nur, dass es offenbar möglich ist, so
was aus der Ferne zu machen, ohne dass der Betreffende davon vorher
etwas ahnt … Das ist schlimmer als eine Faust, die man nicht kommen
sieht.«
»Für mich persönlich ist das keinesfalls überraschend«,
erklärte Fouquet kühl.
»Anscheinend gehört der Blick in die Zukunft auch zu Ihren
Fähigkeiten«, sagte Bonneau mit einem leicht sarkastischem
Unterton.
»Es hat Fälle gegeben, in denen ein ganz normaler Drucker
durch eine Cyber-Attacke überhitzt und dadurch ein Brand
vorsätzlich gelegt wurde, bei dem Menschen umgekommen sind. Das ist
vor drei Jahren gewesen, und es hat mich ehrlich gesagt schon
damals gewundert, dass noch niemand versucht hat, so etwas mal mit
einem Fahrzeug zu versuchen.«
»So gesehen haben Sie natürlich recht«, gab Bonneau zu.
Ich hatte Fouquet selten so kommunikativ und zugänglich
erlebt, wie in dem Gespräch mit Bonneau. Aber vielleicht habe ich
ihre Fähigkeiten im Smalltalk auch nur einfach deswegen bisher
etwas unterschätzt, weil sich unser Kontakt normalerweise nur auf
mehr oder weniger knappe Telefonate oder konzentrierte Meetings
beschränkte.
Bonneau führte durch das Gebäude.
»Sie waren Pascal Lefebres Partner«, sagte ich.
»Das trifft zu.«
»Dann erzählen uns bitte alles, was Sie über Lefebre sagen
können, Monsieur Bonneau.«
»Fast zehn Jahre waren wir Dienstpartner. Jeden Tag in einem
Büro oder einem Wagen wie diesem. Wir haben haben uns öfter gesehen
als unsere Familien. Da lernt man sich ganz gut kennen, würde ich
sagen.«
»Das kann ich mir denken.«
»Pascal war ein hervorragender Ermittler. Seiner
Beharrlichkeit und Geduld ist es zu einem großen Teil zu verdanken,
dass wir vor ein paar Jahren Basquiats Bande hochnehmen konnten.
Und auch ein paar andere Erfolge, die wir hier hatten, sind ganz
maßgeblich ihm zu verdanken.«
»Sie waren sein Partner und werden sicherlich einen ähnlichen
Anteil an diesen Erfolgen haben.«
»Nein, Monsieur Marquanteur, da bin ich realistisch. Pascal
war ein paar Jahre länger bei der Polizei und der Erfahrene von uns
beiden. Ich habe viel von ihm gelernt. Wir kamen dann schließlich
in unterschiedliche Abteilungen, was ich sehr bedauert habe.«
»Gab es für diese Versetzung einen bestimmten Grund?«
»Abgesehen davon, dass Pascal quasi befördert wurde und eine
eigene Einsatzgruppe im Bereich der organisierten Kriminalität
leitete – nein. Na ja, und dann gab es da natürlich noch das Credo
unseres Dienststellenleiters.«
»Was für ein Credo?«
»Dass Teams nicht zu lange zusammenbleiben sollten, selbst
wenn sie exzellent zusammenarbeiten.«
»Ab und zu kann sich ein Wechsel tatsächlich positiv
auswirken.«
Er verzog das Gesicht.
»Das sagen gerade Sie, Monsieur Marquanteur? Ich habe gehört,
dass Sie mit Ihrem Kollegen Leroc schon jahrelang
zusammenarbeiten.«
»Das stimmt, aber …«
»Jedenfalls war Dienststellenleiter Previn in dieser Hinsicht
der Auffassung, dass man ab und zu die Teams etwas durcheinander
mischen müsste und hat davon dann auch ziemlich ausgiebig Gebrauch
gemacht, als er sein Amt hier antrat.«
»Dürfte nicht jeden gefreut haben«, meinte ich.
»Das können Sie laut sagen. Aber er hatte natürlich in
gewisser Weise recht. Wenn Teams zu lange zusammen sind, dann
schleifen sich Dinge ein, die man eigentlich nicht haben möchte.
Und es werden dann leichter Dinge mal unter den Teppich gekehrt.
Sie wissen schon, was ich meine …«
»Nicht wirklich«, gab ich zu.
»Na, es gab auch hier in La Villette einige Fälle von
Korruption und Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen.
Ermittlungen, die verschlampt wurden und worüber dann großzügig der
Mantel des Schweigens gelegt wurde. Und natürlich auch Fälle von
Polizeigewalt, auf die die Öffentlichkeit im Moment ja äußerst
sensibel reagiert. Insofern hat Dienststellenleiter Previn schon
das Richtige getan. Und für mich war es letztlich auch
besser.«
»Wie meinen Sie das?«
Er hob die Schultern.
»Jeder muss sich doch irgendwie auch mal freischwimmen. Und
wenn Sie immer mit einem erfahrenen Kollegen zusammenarbeiten, dann
haben Sie gewissermaßen immer einen großen Bruder an Ihrer Seite,
der Ihnen auf die Finger schaut.«
Ich hob die Augenbrauen.
»Ja, da könnte schon was dran sein«, gab ich zu.
Während ich mich mit Bonneau unterhielt, verfolgten François
und Lin-Tai unser Gespräch.
»Pascal Lefebre fuhr bei seinen Einsetzen einen Wagen, der
technisch auf dem neuesten Stand ist. Nur zur Info – ältere Modelle
werden ebenfalls immer wieder technisch auf den neuesten Stand
gebracht. Und selbstverständlich verfügen wir auch über
Bordelektronik, die uns bei der Fahndung hilft, ein exzellentes
Navigationssystem und dergleichen …«
Bonneau seufzte. Sein Tonfall veränderte sich. Und bei dem,
was er nun sagte, war ihm deutlich anzuhören, wie sehr ihn der Tod
seines Kollegen getroffen hatte. »Es war der härteste Job meiner
ganzen Laufbahn, als mich der Dienststellenleiter zu Pascals
Familie schickte, um seiner Frau zu sagen, was geschehen ist.«
Seine Stimme klang brüchig.
»Das glaube ich Ihnen gerne«, sagte ich.
»Ich habe solche schlimmen Nachrichten schon hundertmal
überbracht und trotzdem würde ich niemals behaupten, dass man darin
irgendeine Art von Routine bekäme.«
»Auch das kann ich nur aus eigener Erfahrung bestätigen,
Monsieur Bonneau.«
»Pascal hat Kinder im schulpflichtigen Alter. Die werden jetzt
ohne ihren Vater aufwachsen.«
»Wer immer dafür verantwortlich sein mag: Wir kriegen ihn«,
versprach ich.
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