Jake Morris wusste, dass sie ihn töten wollten.
Der Mann mit dem vernarbten Gesicht nahm aber nicht an, dass
einer von ihnen ein Schießeisen hatte. Erst recht nicht eins mit
Schalldämpfer.
Also würden sie es anders machen müssen. Mit selbst
geschliffenen Messern. Das war das Wahrscheinlichste. Oder mit
Bleirohren oder anderen Schlagwerkzeugen, mit denen man einem Mann
den Schädel zertrümmern konnte.
Mit jeder Sekunde, die vertickte, rückte die Todesgefahr
näher. Es war drei Minuten vor Zwölf. Um Mitternacht begann ein
neuer Tag. Der Tag, an dem Jake Morris aus dem Gefängnis entlassen
werden sollte.
Jake Morris hatte seine muskelbepackten Arme hinter dem Kopf
verschränkt. Er lag auf seiner Metallpritsche. Zelle 31, Block B,
Maryland Penitentiary, 954 Forrest Street, Baltimore, Maryland. Das
war seine Adresse während der vergangenen fünf Jahre gewesen. Sechs
Monate seiner Haftstrafe hatten sie ihm wegen guter Führung
erlassen.
Sicher auch deshalb, weil das Narbengesicht den Drogenring der
Anstalt hatte hochgehen lassen. Emerson, der Ober-Knast-Dealer, und
zwei seiner Kumpels schmprten jetzt unten in der Isolationshaft vor
sich hin. Nur mit Unterhosen aus Papier bekleidet und auf halbe
Ration gesetzt. Jake Morris konnte sich vorstellen, wie ihn diese
Drogenkerle jetzt hassten. Und Emerson hatte eine Menge Freunde im
Bau.
Der Narbengesichtige atmete ruhig und langsam durch die Nase.
Er teilte sich die Sechs-Quadratmeter-Zelle mit drei weiteren
Mitgefangenen. Von denen würde keiner einen Finger rühren, um
Morris zu helfen. Da machte er sich keine Illusionen.
Schritte waren auf dem Gang zu hören. Sehr leise zwar, aber
dennoch laut genug für seine Ohren. Narbengesicht grinste bitter.
Er hatte sich nicht getäuscht. Sie hatten bis zur letzten Nacht
gewartet, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Ihn und den
Gefängnisdirektor, der ihm großspurig versprochen hatte, für seinen
Schutz zu sorgen.
Jake Morris wusste, dass er sich hier drin nur auf sich selbst
verlassen konnte. Und darauf, dass der Wachwechsel der Aufseher
nicht länger als fünf Minuten dauerte.
Die Geräusche auf dem Flur kamen näher. Die Turnschuhe der
Gefangenen verursachten viel weniger Lärm als die Stiefel der
Aufseher. Es waren nicht gerade wenige nächtliche Besucher, die
sich bei Jake Morris durch die Tritte auf dem Korridor
ankündigten.
Trotz der Todesgefahr grinste der Vernarbte spöttisch. Er
hatte seine Wahl getroffen. Ein für alle Mal. Diese Gefängnisstrafe
war nicht seine erste. Doch sie sollte seine letzte sein. Das hatte
er sich geschworen.
Jake Morris war ein Mann, dem die Fäuste locker saßen. Das
hatte ihn schon auf der Highschool in Schwierigkeiten gebracht.
Später waren es die Gangs gewesen, in denen man ihn wegen seiner
Schlägerqualitäten geschätzt hatte. Morris lernte schnell. Zum
Beispiel, dass man bei einem Straßenraub in zwei Minuten mehr Geld
verdienen kann als mit zwei Monaten Rasenmähen bei den
Nachbarn.
Darum hatte er in seiner Jugend öfter die Fäuste geschwungen
als den Rasenmäher geschoben. Später war es dann so weitergegangen.
Immer wieder miese Jobs, und dazwischen eine Schlägerei nach der
anderen.
Doch hier in Baltimore hatte Jake Morris einen Schlussstrich
gezogen. Der Mann, mit dem er sich angelegt hatte, saß nun im
Rollstuhl. Und er, Morris, war schuld daran. Er ganz allein.
Die Zellentür öffnete sich. Seine Gedanken wurden
unterbrochen.
Jake Morris lag weiterhin auf der Pritsche ausgestreckt. Aus
den Augenwinkeln bemerkte er Cliff Thorne und ein paar andere miese
Typen. Sie trugen dieselbe hellgraue Anstaltskleidung wie Jake
Morris. In ihren Händen blitzten lange Metallstücke.
Sie hatten die Zellentür aufgeschlossen. Wie sie an die
Schlüssel herangekommen waren, war Morris rätselhaft.
»He, Verräter!«, heiserte Thorne.
»Meinst du mich?«
Der Vernarbte rührte sich nicht von der Pritsche.
»Siehst du hier noch einen Verräter, du Drecksau? Ich habe
eine Botschaft von Emerson…«
Cliff Thorne sprang vor und ließ gleichzeitig sein selbst
gebasteltes Messer auf Jake Morris niedersausen. Damit hatte der
Narbengesichtige gerechnet. Thorne, der ein muskelbepackter
Schwarzer war, würde sich nicht mit langen Volksreden
aufhalten.
Morris blockte den Messerarm ab und wuchtete seine Rechte in
Thornes Magen. Der Schwarze war wenig beeindruckt.
Das Narbengesicht rollte sich seitwärts von der Pritsche und
versuchte gleichzeitig, Thorne umzureißen. Einer der anderen Kerle
trat ihm gegen den Schädel. Jake Morris merkte kaum etwas davon.
Erstens hatte er schon Schlimmeres abgekriegt in seinem Leben als
einen Tritt mit Turnschuhen. Und zweitens war jeder Kick immer noch
besser wegzustecken als ein Messerstich.
Morris federte hoch. Wieder jagte die Klinge auf seinen Leib
zu. Das spitze Blechstück zielte auf sein Herz. Der Vernarbte
reagierte sehr schnell. Das Metall verfehlte seine Brust. Aber es
drang in seinen Oberarm.
Cliff Thorne wieherte zufrieden auf, als er das Blut
sah.
»Macht ihn endlich alle!«, röhrte er mit gedämpfter
Stimme.
Jake Morris kämpfte wie ein Berserker. Er hatte vier
Messerstecher gegen sich und war selbst unbewaffnet. Trotzdem war
er der Meinung, eine reelle Chance zu haben. Denn seine Gegner
traten sich gegenseitig auf die Füße, wenn sie an ihn heranzukommen
versuchten.
Der härteste Brocken war Cliff Thorne. Morris packte ihn und
schaffte es, den Körper seines Feindes herumzureißen. Wie einen
menschlichen Schutzschild brachte der Vernarbte den Schwarzen
zwischen sich und die anderen Messerhelden.
Allerdings hatte Thorne selbst noch ein spitzes Blechstück in
der Faust. Aber nicht mehr lange. Jake Morris wandte einen miesen
Trick von der Straße an -und sein Gegner heulte auf. Der Vernarbte
hatte ihm das Handgelenk gebrochen.
Das Metall klirrte auf den Betonboden. Morris beförderte es
mit einem Tritt unter die Pritsche.
Da kam einer der anderen Emerson-Kumpels mit seiner Klinge
durch. Das behelfsmäßige Messer ratschte an Morris’ Rippenbogen
entlang und hinterließ eine blutige Spur auf seinem nackten
Oberkörper.
Dieser weitere Erfolg gab dem Schlägertrupp Auftrieb. Einer
kickte gegen Morris’ Knie. Der Narbige kam ins Straucheln und
musste Thorne loslassen. Der Farbige taumelte zur Seite und hielt
sich sein kaputtes Handgelenk.
Aber seine Freunde stürzten sich auf ihr Opfer.
Mit beiden Fäusten wehrte sich Morris, der schon in die Knie
gegangen war.
Nur nicht fallen!, beschwor er sich selbst. Ich muss
weiterleben… leben… für Diane…
Morris teilte Schläge aus, wehrte immer wieder die Messer ab.
Seine Unterarme waren völlig zerschnitten. Dann rutschte er
aus.
Das ist das Ende!, schrie eine erbarmungslose Stimme in seinem
Gehirn.
Ein leiser Pfiff ertönte. Halb bewusstlos bemerkte Jake
Morris, dass seine Feinde verschwanden. Den verletzten Cliff Thorne
nahmen sie mit.
Die Tür klappte hinter ihnen zu. Eine Minute später wurde sie
wieder aufgerissen.
Bridges und O’Neill standen vor ihm. Morris hatte sich noch
nie so darüber gefreut, die beiden Aufseher zu sehen.
»Heavens!«, keuchte O’Neill und schob sich seine Uniformmütze
ins Genick. »Sie bluten ja fürchterlich, Morris!«
***
Die Wärter schafften den Vernarbten sofort in den
Krankentrakt. Jake Morris war bei Bewusstsein. In seinem Kopf war
nur ein Gedanke.
Überlebt… Ich habe es überlebt… Ich werde frei sein…
Der Anstaltsleiter Larry Connor erschien im Behandlungsraum
des Gefängnishospitals, während Morris noch von dem Mediziner und
dessen Assistenten zusammengeflickt wurde.
Der Gefängnisdirektor schnaufte aufgeregt und fuhr sich mit
einem großen Taschentuch über seine Stirnglatze. Er war ein
hektischer kleiner Mann mit roter Gesichtsfarbe. Offensichtlich war
er von den Aufsehern aus dem Bett geholt worden. Seine Haare waren
zerzaust, und er trug keine Krawatte. Morris hatte ihn noch nie
ohne Krawatte gesehen.
»Mein lieber Morris… Was für eine Tragödie…«
Larry Connor rang die Hände.
Der Vernarbte kauerte nackt auf der Behandlungsliege und
verkniff sich ein spöttisches Grinsen.
»Damit habe ich gerechnet, Sir. Mit diesen Drogentypen ist
nicht gut Kirschen essen.«
»Wieso konnten die in Ihre Zelle eindringen? Haben Ihre
Mitgefangenen nichts bemerkt? Woher hatten die Eindringlinge die
Schlüssel und die Waffen?«
Bist du so dämlich, oder tust du nur so?, dachte Morris und
blickte zur Decke, um dem Anstaltsleiter nicht ins Gesicht zu
lachen. Respektlosigkeit konnte er sich so kurz vor seiner
Entlassung nicht leisten.
Als Direktor hätte Connor wissen müssen, dass in seinem Knast
mit Drogen gehandelt wurde wie in jeder anderen Strafanstalt in den
Vereinigten Staaten. Immer gab es den einen oder anderen Aufseher,
der ein Auge zudrückte und seinen Anteil bekam. Außerdem waren
diese Drogentypen gerissen genug, um auch im perfektesten
Sicherheitssystem Lücken zu finden. Ganze Dealerringe wurden von
Gefängniszellen aus geleitet. Verschlossene Türen waren für diese
Hundesöhne keine Hindernisse.
Aber diese Gedanken kamen nicht über Jake Morris’
Lippen.
»Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, Sir. Es ging so
schnell.«
»Natürlich, natürlich.«
Larry Connor klopfte dem Gefangenen auf die verbundene
Schulter. Morris zuckte zusammen, schrie aber nicht. Der
Anstaltsleiter bemerkte sein Ungeschick und zog die Hand zurück,
als hätte er sich verbrannt.
»Ich würde ihn gerne noch ein paar Tage hier behalten«, sagte
der Gefängnisarzt, ein alter Haudegen namens Woodrow. »Ein paar von
diesen Schnitten gefallen mir gar nicht.«
»Nein!«
Wie ein Peitschenhieb knallte das Wort durch den
Behandlungsraum. Jake Morris hatte den Schrei ausgestoßen. Dann
mäßigte er sich.
»Ich meine, ich habe meine Strafe abgesessen, Sir. Nicht wahr?
Diese paar Kratzer machen mir nichts aus. Sobald ich in New York
bin, werde ich mir einen guten Doc suchen.«
»Sie wollen wieder nach New York? Warum?«, fragte der
Anstaltsleiter. Er schien froh zu sein, von dem nächtlichen
Überfall ablenkten zu können. Für ihn war es schließlich alles
andere als eine Belobigung, dass einer seiner Schutzbefohlenen fast
erstochen worden war.
Weil dort mein Mädchen lebt, dachte der Vernarbte. Aber das
ging den Direktor nun wirklich einen feuchten Dreck an.
»New York City ist meine Heimatstadt, Sir«, sagte er
stattdessen wahrheitsgemäß. »Ich kenne dort viele Leute und kann
bestimmt schnell Arbeit finden.«
Der Anstaltsleiter Larry Connor öffnete den Mund, um zu seiner
üblichen Entlassungsermahnung anzusetzen. Er ermunterte die
Ex-Häftlinge stets, die Gesetze in Zukunft nicht mehr zu brechen.
Aber bei Jake Morris konnte er sich die Predigt sparen. Der
Vernarbte hatte sein Leben riskiert, um den Drogenhandel hinter
Gittern eindämmen zu helfen.
»Sie werden morgen früh entlassen«, beeilte sich Connor zu
versichern. »Wenn Sie sich gesundheitlich fit fühlen.«
»Das tue ich, Sir. Ich könnte Bäume ausreißen!«
In Wirklichkeit fühlte sich Jake Morris hundsmiserabel, obwohl
das Schmerzmittel von Doc Woodrow seine Wirkung tat. Aber das hätte
er nie zugegeben. Morris wollte endlich raus aus dem Maryland
Penitentiary. Und wenn er auf allen Vieren durch das Tor kriechen
musste. Er konnte es kaum abwarten, New York wiederzusehen. Und vor
allem Diane Davenport, seine Freundin.
Unwillkürlich musste der Vernarbte grinsen.
Ich würde mich sogar freuen, dachte Jake Morris, den Bullen
noch einmal zu treffen, dem ich meine Knaststrafe verdanke.
G-man Jesse Trevellian vom FBI New York.
***
»Mr. Trevellian?«
Ich blickte auf. Anscheinend war ich eingedöst. Das war
allerdings auch kein Wunder. Die ganze Nacht hatte ich Seite an
Seite mit meinem Freund und FBI-Kollegen Milo Tucker auf dieser
harten Bank gesessen. Das unbequeme Möbel stand auf einem Korridor
im Bellevue Hospital. Einem der größten Krankenhäuser New
Yorks.
Und der Mann, der mich soeben angesprochen hatte, war ein
Doc.
Sofort sprang ich auf. Auch Milo schreckte nun aus dem Schlaf
hoch.
Wir hatten hier ausgeharrt, weil hinter einer dieser Türen auf
der Station unsere Kollegin Jennifer Clark behandelt wurde. Das
Letzte, was wir von ihr mitgekriegt hatten, war, dass es ihr
verdammt schlecht ging.
Die blonde FBI-Agentin hatte mein Leben gerettet, als wir das
Hauptquartier dieser teuflischen Babyhändler-Bande gestürmt hatten.
Allerdings war sie dabei selbst schwer verwundet worden. Und hatte
eine Fehlgeburt erlitten. [1]
Ja, Jennifer Clark war schwanger gewesen. Sie hatte sich in
einen Mann verliebt, der einen äußerst sympathischen, ehrlichen und
aufrichtigen Eindruck gemacht hatte. Und der eine Frau wie Jennifer
in Wirklichkeit nicht verdient hatte. Das hatte Jennifer bald
erkennen müssen, doch da wusste sie bereits, dass sie schwanger
war.
Jennifer Clark war eine der besten Agentinnen des New Yorker
FBI. Wahrscheinlich sogar die beste überhaupt. Wie Milo und ich
riskierte sie sehr, sehr oft Leben und Gesundheit im Kampf gegen
das Verbrechen. Keine guten Voraussetzungen, um Mutter zu
werden.
Auch Milo und ich gingen keine feste Bindung ein aus diesem
Grund. Jennifer wollte und konnte es nicht riskieren, dass sie sich
eines Tages eine Kugel fing und ihr Kind als Waise aufwachsen
musste.
Sie hatte überlegt, den Dienst beim FBI zu quittieren. Aber
andererseits war sie mit Leib und Seele FBI-Agentin. Es war eine
harte Zeit der Entscheidung für Jennifer gewesen.
Und nun dies. Sie war bei ihrem letzten Einsatz
niedergeschossen worden, war von der Kugel getroffen worden, die
für mich bestimmt gewesen war.
Und hatte ihr Kind verloren!
Jennifer Clark war immer eine starke Frau gewesen, doch ich
wusste nicht, ob sie diesen Schicksalsschlag verarbeiten
würde.
Es war nun schon die zweite Nacht, die wir uns hier im
Bellevue Hospital um die Ohren schlugen. Auch der Arzt, den ein
Namensschild als Doctor Andersen auswies, sah müde aus. Er war ein
schmaler Mann mit schütterem blonden Haar.
»Wie geht es ihr, Doc?«, fragte ich ihn aufgeregt. »Ist sie
okay?« '
Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte den Arzt an seiner
Operationskluft gepackt, so nervös war ich.
»Miss Clark ist noch sehr schwach. Sie muss jetzt viel
schlafen. Aber sie wird wieder gesund werden. Körperlich
jedenfalls.«
Ich nickte. »Und seelisch?«
»Das ist schwer zu beantworten, Mr. Trevellian. Als sie
erfuhr, dass sie ihr Kind verloren hat, war das ein schwerer Schock
für sie. Wir konnten es ihr nicht verheimlichen. Ihre erste Frage
galt dem Kind.«
Milo neben mir stöhnte auf. Er war bleich im Gesicht. So wie
ich wahrscheinlich auch.
»Sie können hier im Moment nichts tun«, sagte Doc Andersen.
»Sobald es etwas Neues gibt, rufen wir an.«
Damit mussten wir uns wohl oder übel zufrieden geben. Ein
Blick auf meine Armbanduhr zeigte, dass es kurz nach fünf Uhr
morgens war. In wenigen Stunden mussten Milo und ich frisch rasiert
unseren Dienst im FBI Field Office an der Federal Plaza
antreten.
Wir verließen das Gelände des Bellevue Hospital. An Schlaf war
nicht mehr zu denken. Wir würden hinterher erledigter sein als
jetzt. Also warfen wir uns in meinen roten Sportwagen XKR und
fuhren zu einem Allnight-Diner am Broadway. Dort gab es die besten
Spiegeleier mit Schinken in ganz New York City- »Schlimm, das mit
Jennifer«, sagte Milo, als wir in einer Nische des Diners saßen und
den heißen Kaffee schlürften. Ich beobachtete einen athletischen
Schwarzen, der in der offen einsehbaren Küche die Eier direkt über
einer glühend heißen Platte zerschlug. Mir lief das Wasser im Mund
zusammen.
Der Gedanke an Jennifers Schicksal verdarb mir allerdings
gleich wieder den Appetit.
»Ja, armes Mädchen. Wir müssen jetzt ganz fest zu ihr halten,
Milo. Mehr können wir nicht tun.«
Schweigend stocherten wir in unserem Frühstück herum, hingen
unseren Gedanken nach. Die Welt drehte sich weiter, während
Jennifer Clark im Bellevue Hospital lag. Es half nichts, mit dem
Schicksal zu hadern. Es gab all die Millionen Menschen hier in New
York, die das Recht hatten, von uns beschützt zu werden. Das war
unsere Aufgabe als G-men.
Milo und ich fuhren noch schnell in unsere Apartments vorbei,
um zu duschen, uns zu rasieren und die Kleidung zu wechseln. Dann
trafen wir halbwegs ausgeruht und überpünktlich an der Federal
Plaza ein.
Dort wartete schon eine knappe Nachricht von unserem Chef auf
uns.
»Sofort Ermittlungen bei Leeway Productions in Queens
aufnehmen. Es liegen anonyme Hinweise auf einen Mord/Zusammenhang
mit Erpressung vor. Jonathan D. McKee, Special Agent in
Charge«
***
Der Marsmensch war tot.
Natürlich war die Leiche in dem weißen Schutzanzug nicht
wirklich ein Außerirdischer. Trotzdem wirkte der leblose Körper auf
dem klinisch reinen grünen Fußboden wie eine Figur aus einem
Science-Fiction-Film. Doch das hier war kein Kino, sondern die
harte Realität von New York City.
»Wann kommt die Spurensicherung?«
Ich drehte mich um. Mein Freund und FBI-Kollege Milo Tucker
hatte diese Frage gestellt. Genau wie ich selbst trug er einen
gelben Jogginganzug mit der Aufschrift GAST auf dem Rücken. Dazu
weiße Turnschuhe, die nach Desinfektionsmitteln rochen.
Ich hob die Schultern und starrte wieder auf die Leiche, von
der ich durch eine dicke Panzerglasscheibe getrennt war.
»Sobald die Kollegen entlaust worden sind, nehme ich
an.«
Ein nervöser Mann namens Adam Holborn hatte meine Bemerkung
aufgeschnappt. Er trat mit zorngerötetem Gesicht an mich
heran.
»Agent Trevellian! Ihnen mögen unsere Vorschriften lächerlich
Vorkommen! Aber wir bauen hier bei Leeway die modernsten
Computerchips der Welt. Das kleinste Staubkörnchen bedeutet für uns
Verlust. Ausschussware, die wir in die Mülltonne werfen können! Wir
rechnen hier in Mikrometern, also Tausendstelmillimeter. Ein
einziges Stäubchen reicht aus, um eine ganze Siliziumplatte zu
zerstören. Und…«
»Mir kommen die Tränen«, knurrte ich und blickte Adam Holborn
zornig an. »Wir haben hier ein größeres Problem als ein paar
ruinierte Siliziumplatten. Leeway Productions wird erpresst. Der
Tod Ihres Mitarbeiters dort drinnen war angekündigt. Sie als
Vorstandsvorsitzender der Firma haben die Drohungen verschwiegen,
obwohl wir als FBI für Erpressungsdelikte zuständig sind. Wir wären
überhaupt nicht hier, wenn wir nicht einen anonymen Hinweis
bekommen hätten.«
Holborn sah aus, als ob er explodieren wollte. Aber dann
starrte er trotzig zu Boden.
Unser Chef Jonathan D. McKee hatte Milo und mich schriftlich
gebeten, die Chipfabrik Leeway Productions aufzusuchen. Wie wir
später erfuhren, hatte sich eine anonyme Anruferin eine halbe
Stunde zuvor beim FBI Field Office an der Federal Plaza gemeldet
und uns von dem Mord informiert. Anonyme Anrufe werden automatisch
zurückverfolgt. Doch die Lady hatte von einer Telefonzelle aus
angerufen.
Ich wusste nicht viel über die Produktion von Computerchips.
Die meisten dieser winzigen Speichereinheiten werden in Kalifornien
›gebacken‹, im legendären Silicön Valley. Und natürlich in-Fernost.
Darum war die hypermoderne Anlage am äußersten östlichen Rand von
Queens ja New Yorks ganzer Stolz. Leeway Productions war ein Symbol
für zukünftige McKee-Tech-Jobs, die bei uns am Hudson
entstehen.
Aber den Toten würde das auch nicht wieder lebendig
machen.
Ich drehte mich auf dem Absatz um. Meine Turnschuhe
quietschten auf dem Fußboden, der mit einer zwei Millimeter dünnen
Epoxidharzschicht bedeckt war. Das hatte ich inzwischen erklärt
bekommen. Wir befanden uns nämlich in einem der inneren Bezirke der
Chip-Fabrikation. Daher mussten wir die Leeway-eigenen
Jogginganzüge tragen. Unsere eigenen Anzüge, Waffen, sogar die
Unterwäsche hatten wir in einem Umkleideraum zurücklassen müssen.
Damit wir keinen unnötigen Staub hereintrugen, mit dem die
wertvollen Siliziumplatten verseucht werden konnten.
»Ich möchte jetzt zu dem Toten«, sagte ich zu Holborn.
Der Vorstandsvorsitzende schüttelte störrisch den Kopf.
»Völlig unmöglich! In den innersten Produktionsbereich dürfen
Sie nur mit einem Schutzanzug. Dort befindet sich das Herz unserer
Anlage! Jeder Schmutz…«
Langsam reichte es mir mit dem Sauberkeitsfimmel dieses
Computergenies.
»Wenn Sie einen Bundesbeamten an der Ausübung seiner Pflicht
hindern wollen, kriegen Sie eine Menge Ärger, Holborn«, sagte ich.
»Hier geht es um Mord, verdammt! Einer Ihrer Mitarbeiter ist tot!
Also - wo, zum Teufel, kriegen wir diese verdammten Schutzanzüge
Her?«
Holborn starrte mich an, als hätte ich etwas Schmutziges über
seine Schwester gesagt. Er erdolchte mich mit seinem Blick, doch
dann führte er Milo und mich in einen Raum, wo wir weiße Anzüge und
Kopfhauben anlegen konnten. Milo feixte hinter Holborns Rücken und
bewegte seine Hand, als ob er sich verbrannt hätte.
»Keine hastigen Bewegungen!«, schärfte der Computermann uns
ein. »Das könnte Staub aufwirbeln. Die komplette Raumluft dort
drinnen wird alle sechs Sekunden ausgetauscht. Durch ein
McKee-Tech-Filtersystem.«
In diesem Moment kam das Spurensicherungsteam. Holborn sprang
herum wie ein tollwütiger Affe, bis alle Kollegen in Schutzanzügen
steckten. Mit diesem Mann würden wir noch unseren Spaß haben.
Dass so ein hohes Tier wie Holborn uns höchstpersönlich auf
die Finger guckte, war bezeichnend genug. Wahrscheinlich gehörte er
zu der Sorte Chef, die ihren Leuten nichts Zutrauen und alle
wichtigen Dinge selbst erledigen müssen. Oder er wollte nicht, dass
wir von seinen Angestellten etwas über die Erpressungsversuche
erfuhren. Oder beides.
Jedenfalls hatte ich ein übles Gefühl bei diesem
Burschen.
Wir betraten den Produktionsraum, der in helles gelbes Licht
getaucht war. Die herumstehenden Maschinen erinnerten mich
ebenfalls an Science-Fiction-Filme.
Der Tote lag unweit einer Bedienungskonsole auf dem Rücken.
Anzeichen für äußere Gewaltanwendung waren nicht zu erkennen.
Milo und ich tauschten einen Blick. Dieser Fall würde eine
verdammt harte Nuss werden, das ahnten wir beide jetzt schon.
***
Jake Morris legte den Kopf in den Nacken und spürte die
Regentropfen auf seiner Haut.
Die anderen Passagiere an der Central Bus Station von
Baltimore glotzten den durchtrainierten Mann an, als hät-. te er
nicht alle Tassen im Schrank. Die Menschen hatten vor dem heftigen
Neuengland-Regenschauer Schutz gesucht, unter den Arkaden und in
den Aufenthaltsräumen des Busbahnhofs.
Nur Jake Morris stand einige Schritte von der Bordsteinkante
entfernt auf dem Asphalt und ließ sich vom Regen berieseln.
Es war nicht dasselbe wie beim Freigang im Hof. Sogar der
Regen schien im Gefängnis durch die Gitterstäbe und die Stahltüren
gefiltert zu werden. Aber hier draußen gab es endlich keine Mauern
mehr zwischen Jake Morris und der restlichen Welt.
Die Hupe des Trailways-Busses blökte, als der Fahrer das
riesige Aluminiumgefährt abbremste. Der Vernarbte sprang auf den
Bussteig zurück.
Misstrauisch beäugte der Driver den narbengesichtigen
Passagier, der nass wie eine Katze war. Aber er hatte ein gültiges
Ticket. Baltimore - New York City. Einfache Fahrt.
Der Überlandbus füllte sich im Handumdrehen mit Menschen, die
hauptsächlich auf der Schattenseite des Lebens ihr Dasein fristen.
Wohlhabende Leute fahren nicht mit dem Bus, jedenfalls nicht in den
USA.
Ein munterer Schwarzer setzte sich neben Morris. Die Klamotten
des Farbigen sahen stark nach Heilsarmee-Kleidersammlung aus. Aber
Morris’ unmodisch gewordene Klamotten waren auch nicht besser. Es
war für den Ex-Gefangenen immer noch völlig ungewohnt, nicht mehr
den Gefängnis-Drillich zu tragen.
Der Farbige hatte Lust auf eine Plauderei.
»Du bist ja ganz schön blass, Mann.«
Jake Morris drehte ihm den Kopf zu.
»Du nicht, Mann«, erwiderte er mit trockenem Humor.
Der Schwarze schlug sich lachend auf den Oberschenkel.
»Hehehe - du bist richtig! Kommst du aus dem Knast?«
Morris zog die Augenbrauen zusammen.
»Nee, aus dem Jahr 1900. Hatte mich für hundert Jahre
einbalsamieren lassen, weil ich damals immer von der Seite
angequatscht wurde.«
Für den Rest der Fahrt hatte Morris seine Ruhe.
Seine Gedanken waren bei Diane Davenport. Was seine Freundin
jetzt wohl machte? Er hatte sie von einer Phone Booth aus
angerufen, nachdem er endlich durch die Eisentore des Maryland
Penitentiary getreten war.
Aber es lief nur ihr Anrufbeantworter. Immerhin hatte Morris
auf das Band gestammelt, dass er entlassen worden war und sich auf
den Weg nach New York City machen würde.
Aber was, wenn sie schon längst einen anderen hatte?
Immer wieder tauchte diese Vorstellung auf. Wie die glühenden
Zangen oder Daumenschrauben eines mittelalterlichen Folterknechts
war dieser Gedanke. Warum sollte ein Girl wie Diane so lange auf
ihn warten? Was war denn schon so Besonderes an Jake Morris? War er
nicht einfach nur einer von den Schlägertypen, wie man sie an jeder
Straßenecke in Brooklyn fand?
Dabei vergaß der Vernarbte völlig, wie oft Diane ihn im Knast
besucht hatte.
Ein Leben ohne Diane war nicht mehr vorstellbar für ihn. Das
hatte sich Morris in den langen einsamen Nächten in der
Strafanstalt immer wieder eingestehen müssen.
Nervös fuhr sich der muskulöse Mann durch sein kurz
geschnittenes Haar. Es waren schon einzelne graue Strähnen zu
erkennen, obwohl er erst dreiunddreißig Jahre alt war. Aber das
Leben hinter Gittern macht alt.
Wenigstens hatte er seinen Körper in Form gehalten und jedes
nur mögliche Sportangebot genutzt. Und er hatte die Finger von den
verdammten Drogen gelassen, die viele Knastbrüder erst recht kirre
machten.
Plötzlich hatte Morris das Bild von Hank Stanley vor Augen.
Hank Stanley war der Mann, den Jake Morris zum Krüppel geschlagen
hatte.
Beim Prozess hatte Morris ihn zum letzten Mal gesehen. Stanley
trug einen dunklen Anzug und saß in einem Rollstuhl. Er würde nie
wieder gehen können.
Eines Tages wollte Morris zu Stanley gehen und ihn um
Vergebung bitten. Das war das zweite große Ziel in seinem Leben.
Aber noch war er nicht so weit.
Das erste Ziel bestand darin, Diane zu heiraten und nie wieder
straffällig zu werden.
Der Trailways-Bus preschte über den Highway auf New York zu.
Eigentlich hätte der Anblick der Skyline von Manhattan Jake Morris
in gute Stimmung versetzen sollen. New York war schließlich seine
Heimatstadt.
Doch ihm war reichlich flau zumute.
Der harte Mann war tapfer genug gewesen, es alleine mit diesen
vier bewaffneten Drogentypen aufzunehmen. Doch beim Gedanken, nun
seiner Freundin gegenüberzutreten, wurden ihm die Knie weich.
Der Bus aus Baltimore fuhr in den Port Authority Bus Terminal
ein, wo alle Überlandbusse von und nach New York starten und
enden.
Der Fahrer betätigte die Luftdruckbremsen. Ein letztes Zittern
lief noch durch den langen Aluminiumleib, dann drängten und
schubsten alle Passagiere zum Ausgang.
Morris ließ sich mit der Menge treiben. Plötzlich hatte er es
gar nicht mehr so eilig.
»Jake!!!«
Der Vernarbte hörte nur, wie sein Name gerufen wurde. Im
nächsten Moment wurde er angesprungen. Morris ließ die schäbige
Reisetasche fallen. Seine Wunden schmerzten, als er heftig umarmt
wurde. Instinktiv wollte er sich wehren. Doch nach einigen
Zehntelsekunden bemerkte er, dass es Diane war, die sich so
sehnsuchtsvoll an ihn klammerte.
Jake Morris versank in einem Meer langer roter Haare. Diane
bedeckte sein vernarbtes Gesicht mit Küssen.
»Endlich bist du wieder da! Gut, dass ich Harry habe!«
Misstrauisch starrte Morris seine Freundin an, nachdem sie
sich halbwegs von ihm gelöst hatte.
»Wer ist Harry?«
Diane lachte ihm schallend ins Gesicht.
»Wer Harry ist? - Hihi, mein Anrufbeantworter natürlich! Ich
habe ihn Harry getauft. Das klingt doch besser als AT & T 1323
D, oder? Hast du geglaubt, Harry wäre ein Mann? Ich habe doch
versprochen, auf dich zu warten!«
Der Narbengesichtige wusste nicht, was er darauf erwidern
sollte. Doch Diane war genauso tatendurstig wie früher. Sie
schleifte ihn zu einem Yellow Cab.
Eine halbe Stunde später waren Morris und seine Freundin in
Dianes winzigem Apartment in Brooklyn angekommen. Der
Haftentlassene konnte noch immer nicht glauben, dass er nun hier
war.
»Das ist Harry!«, sagte Diane grinsend und deutete auf einen
Anrufbeantworter, der neben dem Telefon stand. »Als ich ihn
abgehört habe und deine Nachricht erhielt, bin ich gleich zum Bus
Terminal geflitzt.«
»Ich liebe dich, Diane«, sagte Jake Morris schlicht. Für einen
verschlossenen Typen wie ihn war das schon ein gewaltiger
Gefühlsausbruch.
Das rothaarige Girl schmiegte sich an ihn und bot ihm ihre
vollen Lippen zum Kuss. Morris’ Herz schlug höher, als er ihren
weichen Körper und ihre zarte Haut unter seinen Handflächen
fühlte.
Dianes buntes Sommerkleid glitt raschelnd zu Boden. Das
Mädchen riss erschrocken die Augen auf, als sie die zahlreichen
Verbände unter Morris’ Kleidung entdeckte.
Nachdem sie sich lange und genussvoll auf dem Sofa geliebt
hatten, versprach Morris: »Gleich morgen werde ich mir Arbeit
suchen. Muss erst mal checken, wo Leute gesucht werden.«
»Ich hätte vielleicht was für dich.«
Diane schmiegte sich an seine Schulter. Ihr langes rotes Haar
kitzelte an seinem Bauch.
»Du?«
»Nicht ich selbst, Jake. Aber meine Kollegin Carmen hat einen
Freund, der bei einem Sicherheitsdienst arbeitet. Safety Angels
nennen die sich. Die suchen angeblich dauernd gute Leute.«
»Und was muss man da machen?«, fragte Morris zweifelnd.
Diane zuckte mit den Schultern.
»Teilweise sind das Bodyguards, glaube ich. Aber hauptsächlich
geht es wohl um Gebäudebewachung. Die Safety Angels haben viele
gute Kunden, wie ich höre. Große Kaufhäuser zum Beispiel. Oder
Leeway, diese neue Computerchip-Fabrik.«
***
Adam Holborn starrte mich an, als wäre ich ein Stück Dreck
unter seinem Schuh.
Milo und,ich saßen dem Vorstandsvorsitzenden nun in seinem
durchgestylten Büro gegenüber. Holborn hatte die Joggingklamotten
wieder gegen einen Anzug mit Weste vertauscht. Und auch Milo und
ich trugen wieder unsere eigenen Klamotten. Denn nun befanden wir
uns im Verwaltungstrakt von Leeway Productions. In sicherer
Entfernung von den kostbaren, 20 Mikrometer kleinen Chips.
Die Fertigungsanlage glich einer Zwiebel. Mit jeder Schicht,
die man weiter ins Innere vordrang, wurden die
Sicherheitsvorschriften strenger. Und der Tote war im
Allerheiligsten ermordet worden, wo die Chips produziert wurden.
Das machte unsere Arbeit nicht einfacher.
Ich hatte meinen Notizblock gezückt. Immer noch war mir Adam
Holborn eine Antwort schuldig. Ich hatte ihn nämlich gefragt, wann
es den ersten Erpressungsversuch gegeben hatte.
»Ich warte, Mr. Holborn.«
Der schwergewichtige Mann hinter dem Designerschreibtisch
machte aus seiner Abneigung gegen uns keinen Hehl.
Seine finsteren Blicke sprachen eine eindeutige Sprache.
Leider nur seine Blicke, denn jetzt schwieg er.
»Wir können Sie auch an die Federal Plaza vorladen, wenn Ihnen
das lieber ist«, flötete Milo. Ihm ging dieser arrogante Pinsel
genauso auf den Zeiger wie mir. Das spürte ich ganz deutlich. Wer
schon so lange zusammen Dienst schiebt wie Milo und ich, der weiß,
wie es in dem jeweils anderen gerade zugeht.
»Vor einer Woche«, knurrte Holborn unwillig. »Aber ich hielt
den Anrufer für einen Spinner, der…«
»Dieser Spinner hat offenbar Ernst gemacht, Mr. Holborn.
Können Sie sich noch an seine Worte erinnern?«
»Sicher, Agent Trevellian. ›Zehn Millionen, oder in Abteilung
A gibt es ’ne Leiche‹. Leeway Productions ist eines der
erfolgreichsten Computerunternehmen Amerikas. Und Erfolg schafft
nun mal Neider. Darum hielt ich den Anruf für einen makabren Scherz
und habe es vorgezogen, die Behörden nicht zu informieren.«
Ich hatte genau zugehört.
»Der Anrufer hat von Abteilung A gesprochen, Mr.
Holborn…«
»Ja, so wird bei Leeway der große Reinraum genannt, in dem
sich der Kern der Chipproduktion befindet.«
Holborn sah mich an, als müsse er einem unterbelichteten
Kleinkind die Elektrizität erklären.
»Demnach muss der Erpresser entweder hier angestellt sein oder
gute Kontakte zu einem Leeway-Mitarbeiter haben« , stellte ich
fest. »Sonst hätte er nicht wissen können, dass dieser Raum
Abteilung A genannt wird.«
»Völlig unmöglich!«, schnarrte der Vorstandsvorsitzende. »Hier
arbeiten zwar fast zweitausend Beschäftigte -aber ich lege für
jeden von ihnen meine Hand ins Feuer! Es sind hoch qualifizierte
Männer und Frauen, die wir zum Teil für viel Geld von der
Konkurrenz abgeworben haben. Völlig unmöglich!«
Allmählich hatte ich das Gefühl, als wollte Holborn auf Teufel
komm raus das FBI von seiner Chip-Schmiede fernhalten. Die Sache
stank. Sie stank ganz gewaltig.
»Kommen wir zunächst zu dem Opfer«, sagte ich und schlug eine
neue Seite in meinem Notizbuch auf. »Wie lautet der Name?«
»Norman Rush. Mr. Rush ist… war einer der Männer der ersten
Stunde. Er arbeitete bei Leeway, seif wir die Produktion vor drei
Jahren begonnen haben.«
Der Vorstandsvorsitzende ließ uns durch seine Sekretärin noch
die Adresse des Toten heraussuchen. Dabei war es offensichtlich,
dass er uns so schnell wie möglich loswerden wollte.
Ich stand auf. Milo folgte meinem Beispiel.
»Für den Moment sind wir fertig, Mr. Holborn. Das heißt… eine
Frage noch zum Schluss. Wer ist bei Leeway für die Sicherheit
zuständig?«
»Das macht die Safety Angels Agency. Ein Sicherheitsu
nternehmen mit erstklassigen Referenzen. Es gab noch nie Klagen
wegen Schmiergeldern oder Brutalität. Was man von NYPD und FBI
nicht gerade behaupten kann…«
Ich biss die Zähne zusammen. Aber ich ließ mich nicht zu einer
gepfefferten Antwort hinreißen. Stattdessen fiel meine Erwiderung
dienstlich-korrekt aus.
»Sie hören von uns. Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mr. Holborn.
Good bye.«
Milo und ich stiefelten schweigend hinaus. Vorbei an riesigen,
getönten Fensterfronten marschierten wir über teuren Teppichboden
bis in die Marmorhalle, die den Empfangsbereich von Leeway
Productions bildete, und von dort durch eine Glasfront hinaus. Die
ganze Fabrik sah so futuristisch aus wie das Raumflotten-Kommando
in einem Science-Fiction-Film.
Draußen atmeten wir erst mal tief die nicht gefilterte Luft
ein.
»Entkommen aus der Eishölle«, witzelte Milo. »Was für ’ne Laus
ist diesem Holborn denn über die Leber gelaufen? Der hat sich
aufgeführt, als ob wir diesen Norman Rush umgelegt hätten!«
Ich drehte mich zu dem Gebäudekomplex um.
»Auf den ersten Blick ist alles porentief rein, Alter. Aber
ich wette, bei Leeway Productions liegt mehr als nur eine Leiche im
Keller.«
***
»Bist du ein Arschloch?«
Jake Morris hatte mit einigem gerechnet, als er zum
Vorstellungsgespräch bei der Safety Angels Agency antrabte. Das
Sicherheitsu nternehmen hatte seinen Sitz in der Eighth Avenue,
unweit vom Ramada Inn. Keine schlechte Adresse.
Cliff Shannon höchstpersönlich nahm den neuen Bewerber unter
die Lupe. Als oberster Boss von Safety Angels hatte Shannon fast
zweihundert Männer unter Vertrag. Er war ein Riese mit
Bodybuilder-Figur und langen braunen Locken. Sein Mund wurde von
einem schmalen Bart umrahmt.
Und dieser Mund hatte gerade die Frage formuliert, ob Jake
Morris ein Arschloch sei.
»Kommt drauf an, wen Sie fragen, Sir«, gab der Ex-Sträfling
nach einer kurzen Pause zurück. Er hatte den giftgrünen
Bewerbungsbogen der Safety Angels ausgefüllt. Darin hatte er auch
seine Gefängnisstrafen vermerken müssen. Ehrlich währt am längsten,
hatte er sich gesagt. Wenn er es verheimlichte und die Firma es
rauskriegte, war er den Job sowieso gleich wieder los.
»Wie meinst du das?« Cliff Shannon ließ nicht locker.
»Die Leute, die ich zusammengeschlagen habe, halten mich
natürlich für ein Arschloch. Aber ich habe dafür gebüßt. Und es
gibt ein paar Menschen, die mich ganz okay finden.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel meine Freundin. Und der Gefängnispfarrer vom
Maryland Penitentiary. Dort bin ich nämlich bis vor zwei Tagen
gewesen.«
Der Boss der Safety Angels sah dem Vernarbten lange in die
Augen. Morris hielt dem Blick stand.
»Weißt du was, Jake Morris? Ich glaube auch, dass du okay
bist.«
Cliff Shannon stand auf. Er deutete auf einen riesigen
Papierberg auf seinem Schreibtisch.
»Lauter Absagen. Ich habe was Besseres zu tun, als mich mit
Lügnern und Blendern rumzuärgern. Du hast gleich in deine Bewerbung
reingeschrieben, dass du mehrfach gesessen hast. Respekt. Das
zeigt, dass du Mut hast. Und zu deinen Fehlern stehst. Ich kann
hier keine Arschlöcher gebrauchen, die sich vor Verantwortung
scheuen.«
Der Safety-Angels-Boss atmete tief durch, wobei sich sein
gewaltiger Brustkorb unter dem Uniformhemd hob.
»Die Kunden vertrauen uns ihr Leben und ihren Besitz an, Jake.
Es gibt andere Sicherheitsfirmen, die grundsätzlich keine
Knastvögel einstellen. Ich finde das falsch. Jeder kann mal einen
Fehler machen. Er muss nur dazu stehen.«
Morris nickte knapp. Dieser Cliff Shannon war ein Mann nach
seinem Geschmack.
»Ich würde sagen, du hast den Job«, grinste der Boss. »Lass es
uns miteinander versuchen, okay?«
Er streckte Jake Morris seine Rechte entgegen. Der schlug
sofort ein.
»Sie werden es nicht bereuen, Mr. Shannon!«
»Ich bin Cliff, okay?«
Das Safety-Angels-Oberhaupt ließ sich wieder in seinen
Schreibtischsessel plumpsen und nahm eine Kunststoff -tafel zur
Hand, auf der unzählige bunte Magnete befestigt waren. Er murmelte
vor sich hin.
»Mal sehen, wo ich dich einsetzen kann. Das FBI hat vorhin
angerufen. Bei Leeway Productions hat es einen Toten gegeben. Da
muss ich die Wachen verstärken, da könntest du mitmachen. Aber das
ist ganz weit draußen in Queens. Am Arsch der Welt,
sozusagen.«
Morris starrte beschämt vor sich hin. Er würde ein Auto
brauchen, um zu Leeway zu fahren. Aber er hatte keins. Und auch
noch kein Geld, um sich eins zu kaufen.
Cliff Shannon schien seine Gedanken erraten zu haben.
»Ist nicht leicht, wenn man gerade aus dem Knast kommt,
stimmt’s?«
Morris nickte.
Der Safety-Angels-Boss dachte einen Moment nach. Dann griff er
in seine Hosentasche, zog einen Schlüsselanhänger raus und warf ihn
Morris zu.
»Das sind die Schlüssel für meine Harley. Die Maschine steht
unten in der Tiefgarage. Komm sowieso kaum dazu, damit rumzudüsen.
Ich leih sie dir, bis du dir ’ne Karre leisten kannst. Okay?«
Der Ex-Sträfling war verwirrt.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll…«
»Du siehst, ich vertraue dir«, grinste Cliff Shannon.
»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Mr. Shannon. Bei Gott, das
werde ich nicht tun.«
Shannon hob den Telefonhörer ab.
»Ich sage den Jungs in der Tiefgarage Bescheid, dass du ab
sofort die Harley fährst. Wir sehen uns dann bei Leeway.«
Morris verließ das Büro mit weichen Knien. Er konnte kaum
glauben, dass er einen Tag nach seiner Haftentlassung bereits einen
guten Job und ein Motorrad hatte. Sollte sich sein Leben endlich
zum Besseren wenden?
Dieser Cliff Shannon ist doch wirklich ein feiner Kerl, dachte
der Vernarbte.
***
Ich merkte schon nach weniger als einer halben Meile, dass wir
verfolgt wurden.
Milo und ich saßen in meinem roten Sportwagen XKR. Kaum hatte
ich das 363-PS-Geschoss vom Leeway-Gästeparkplatz heruntergelenkt,
als sich auch schon dieser winzige Import-Sportwagen an unsere
Rücklichter hängte.
Auch mein Freund warf einen flüchtigen Blick in den
Rückspiegel.
»Renault Alpine«, brummte Milo. »Schönes Auto. Wenn diese Lady
einen Detektiv-Fernkurs gemacht hat, sollte sie das Geld
zurückfordern. Auf diese Tour beschattet man zwei G-men
nicht.«
»Deine Witze waren schon mal besser, Alter. Aber ich gebe dir
Recht. Der blonde Engel kurvt so auffällig hinter uns her, als lege
sie es darauf an, von uns angehalten und von mir um ein Rendezvous
gebeten zu werden.«
»Warum von dir?«, fragte Milo.
»Welches anständige Mädchen will von dir schon um ein
Rendezvous gebeten werden?«, grinste ich.
Ich lenkte den Sportwagen über den Long Island Expressway
zurück nach Manhattan. Leeway Productions lag so weit am Rande von
Queens, dass es nur noch wenige hundert Yards bis zur Bezirksgrenze
von Nassau County waren.
Die Lady in dem blauen Sportflitzer fuhr nun dicht auf. So
dicht, dass ich ihr blondes Haar und ihre schwarze Sonnenbrille
genau erkennen konnte. Der Verkehr war jetzt um die Mittagszeit
relativ ruhig. Erst nach fünf Uhr nachmittags würde sich wieder die
Blechlawine der Pendler von Manhattan zurück nach Queens in
Bewegung setzen.
Plötzlich zog unsere Verfolgerin den Alpine auf die linke
Spur. Sie überholte und schlug dann das Lenkrad wieder ein. Ich
tippte die Bremse an. Beinahe hätte ich ihren Wagen gerammt.
Nun sahen wir die Lady von hinten. Sie hob die rechte Hand und
deutete damit nach vorn. Ein unmissverständliches Zeichen. Wir
sollten ihr folgen.
Alles roch meilenweit nach einer Falle.
Trotzdem ließ ich mich darauf ein und fuhr an der Caldwell
Avenue vom Expressway hinunter. Milo gab für alle Fälle per Funk
unsere Position an das Field Office durch.
Die Lady parkte ihren Renault vor einem schäbigen Diner.
Während sie ausstieg, konnten wir einen Blick auf ihr
atemberaubendes Fahrgestell werfen.
Unsere Verfolgerin trug ein lindgrünes Minikostüm, hohe
Pfennigabsätze und eine weiße Bluse mit üppigem Inhalt. Das blonde
Haar war zu einer frechen kurzen Fransenfrisur geschnitten.
Hüftschwenkend ging sie in das schäbige Diner voraus. Ich
parkte den Sportwagen, dann folgten wir ihr. Ich stieß die
Schwingtür auf. Es roch nach drei Tage altem Bratfett und kaltem
Schweiß. Nach der aseptischen Klinikatmosphäre bei Leeway
Productions war das fast eine Wohltat.
Die Blonde eiwartete uns in einer Sitznische. Sie hatte ihre
langen Beine übereinander geschlagen. Die Sonnenbrille hatte sie
noch nicht abgenommen.
Wir traten auf sie zu.
»Zwei G-men«, sagte sie mit einer rauchigen, geheimnisvollen
Stimme. »Männer des Gesetzes, die das Rätsel um Leeway Productions
lösen sollen.«
Ich präsentierte meinen Ausweis.
»Ich bin Special Agent Jesse Trevellian. Das ist mein Kollege
Special Agent Milo Tucker. Können Sie Angaben zu der versuchten
Erpressung und dem Mordanschlag bei Leeway machen?«
»Setzt euch doch erst mal, Boys.«
Das taten wir.
Ein schwammiger Kellner, dem die Brusthaare aus dem T-Shirt
quollen, brachte unaufgefordert Kaffee.
»Bei Leeway liegt einiges im Argen«, sagte die Blonde. Dann
fügte sie im Plauderton hinzu: »Übrigens: Ich habe eine Bombe in
meiner Handtasche.«
***
Jake Morris’ Hand krallte sich um den Gashebel der
Harley.
Er kostete jede Sekunde der Fahrt nach Queens aus. Für Jahre
hatte seine Welt nur aus ein paar grauen Wänden bestanden, die ihn
einsperrten und ihm die Luft abdrehten. Jetzt genoss er die
Freiheit in vollen Zügen bei seinem Trip über den Long Island
Expressway nach Queens.
Der Vernarbte lenkte das Motorrad auf den Gästeparkplatz von
Leeway Productions. Dort sollte er sich mit einem seiner neuen
Kollegen treffen, einem Kerl namens Chuckie.
»Chuckie wird dir den Laden zeigen«, hatte Cliff Shannon
gesagt.
Morris erkannte seinen Kollegen sofort an der
Safety-Angels-Uniform. Sie bestand aus einem hellgrünen Hemd,
dunkelgrüner Hose und blitzenden schwarzen Schuhen. Er hätte selbst
so eine Kluft gestellt bekommen. Sie war in einem Paket in der
Satteltasche.
Der Vernarbte stoppte die Harley, stieg ab und ging auf
Chuckie zu. Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Chuckie
war ein gedrungenes Kraftpaket mit kurzen Haaren und leicht
vorstehenden Augen. Er beugte seinen Kopf zu Jake Morris, als ob er
ihn küssen wollte. Aber dann begann er zu schnüffeln.
»Raucher?«
Morris schüttelte den Kopf.
»Ist auch besser so. Auf Zigarettenrauch reagieren die
Computerchips besonders empfindlich. Wenn du rauchen würdest,
müsstest du deine letzte Kippe zwei Stunden vor Schichtbeginn
ausmachen, kapiert? Und wenn du mal Schnupfen hast, meldest du dich
sofort krank. Die wollen da drinnen auch nicht den kleinsten Nieser
hören!«
Chuckie deutete auf den futuristischen Glas- und Stahlpalast
hinter ihm. Im Schlepptau des Gedrungenen stiefelte Morris auf
einen Nebeneingang zu, während Chuckie ihm Informationen gab.
»Ich habe keine Ahnung, wie Computerchips hergestellt werden,
Jake. Ich weiß nur, dass bei Leeway Sauberkeit höchstes Gebot ist.
Und Sicherheit natürlich. Dafür sind wir zuständig.« Chuckie
deutete auf eine Plastikkarte, die an seinem Hemd befestigt war.
»Jeder Mitarbeiter hat so ein Ding. Die sollen praktisch
fälschungssicher sein. Alle Leeway-Angestellten müssen die Karte
bei sich führen, sogar Mr. Holborn selbst. Das ist der
Vorstandsvorsitzende, weißt du. Wenn du jemanden ohne Karte hier
drin antriffst«, Chuckie klopfte auf sein Holster mit dem .45er
Colt Government, »dann sofort raus mit der Knarre und den Typen in
Schach halten, bis Hilfe eintrifft. Leeway Productions ist der
wichtigste Kunde von unserer Saf ety Angels Agency. Und der
schwierigste.«
»Warum?«
»Weil es hier jeden Tag um Millionen Dollar geht, Jake. Die
Fertigungsanlage ist wahnsinnig empfindlich, kapierst du? Ein
einziges Stäubchen kann eine Siliziumplatte im Wert von 100.000
Bucks zerstören. Das hat mir einer der Eierköpfe von Leeway mal
erklärt«, fügte Chuckie halblaut hinzu, während sie an einer Gruppe
von Sof tware-Ingenieuren in gelben Jogginganzügen
vorbeimarschierten.
Die beiden Wachmänner traten in einen Nebentrakt mit
Umkleideräumen und Duschen.
»Du musst dich erst duschen, bevor du den Dienst antreten
darfst«, erklärte Chuckie. »Egal, ob du es zu Hause schon getan
hast. Du könntest dir ja auf dem Weg ein paar Stäubchen oder
Bakterien eingefangen haben…«
Morris zog sich aus. Sein neuer Kollege betrachtete die
zahlreichen Verbände, mit denen seine Schnittwunden versorgt worden
waren.
»Ich bin dienstfähig«, sagte Morris schnell.
»Hab kein Wort gesagt«, meinte Chuckie. »Du bist jedenfalls
wohl hart im Nehmen, stimmt’s?«
Darauf erwiderte Jake Morris nichts. Er ging schweigend in
eine der Nasszellen.
»So oft im Leben wirst du dich noch nie geduscht haben«,
witzelte Chuckie. »Im inneren Bereich patrouillieren wir auch in
Jogginganzügen, weil Mr. Holborn das so will. Und ins
Allerheiligste dürfen wir nicht, in die Abteilung A. Da kann
sowieso kein Unbefugter rein, weil man durch ’ne Schleuse mit
Codeschlüssel und anderem technischen Sicherheitskram muss. -
Trotzdem haben sie da drin einen umgelegt«, fügte Chuckie
nachdenklich hinzu.
Morris kam aus der Dusche zurück und frottierte sich
vorsichtig ab. Dann schlüpfte er in die Uniform, nachdem er die
Zellophanhülle der chemischen Reinigung abgerissen hatte.
»Umgelegt?«
»Ja. Hat Mr. Shannon das nicht erzählt?«
»Er meinte nur, dass es einen Toten gegeben hätte. Aber nicht,
dass der Mann umgebracht wurde.«
Jake Morris setzte sich auf ein Bänkchen und begann damit,
seine Schuhe zuzubinden. Er beugte sich dafür nach vorne. Aus dem
Augenwinkel sah er ein orangefarbenes Plastikpäckchen, das mit
Klebestreifen unter der Bank befestigt war. Aus dem Paket drang ein
leises, fast unhörbares Ticken.
»Chuckie«, knurrte Morris mit rauer Stimme, »es gibt hier
etwas, das du dir ansehen solltest…«
***
Ich flankte über den Tisch und riss die Handtasche an mich.
Gleichzeitig hatte Milo seine SIG Sauer P 226 aus dem Gürtelholster
gezogen und legte im Beidhandanschlag auf den schäbigen Kellner an.
Wir mussten ja damit rechnen, dass die Blonde Komplizen
hatte.
Der Mann mit der Schürze war so erschrocken, dass er ein paar
Teller fallen ließ und sie dadurch von ihrer scheußlichen Existenz
erlöste. Ich öffnete die Handtasche, während mir das perlende
Gelächter der Blonden in den Ohren klingelte.
Die Tasche enthielt den üblichen Lady-Kram, von Lippenstift
über Puderdose bis zum Taschenspiegel. Auch eine Packung Kondome
fehlte nicht. Aber nichts, was auch nur entfernt an eine Bombe
erinnerte.
»Ihr Boys habt wirklich schlechte Nerven«, grinste die Lady.
»Ist das ’ne Berufskrankheit?«
Milo holsterte seine Dienstwaffe wieder. Er rutschte auf die
Bank. Genau wie ich. Nachdem ich einen Blick auf die Drivers
Licence des Girls geworfen hatte, pfefferte ich die Handtasche in
die Arme der Blonden.
»Irreführung von Bundesbeamten könnte man das nennen, was Sie
da gerade getan haben, Miss Eve Gladys Gould!«
Die Blonde ließ ein strahlendes Lächeln sehen.