Krimi Dreierband 1012 - Alfred Bekker - E-Book

Krimi Dreierband 1012 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: (399) Trevellian und die Mikrochip-Gangster (Franklin Donovan) Trevellian und der Mann namens El Toro (Franklin Donovan) Trevellian und der Hacker (Alfred Bekker) Das Faultier witterte die tödliche Gefahr. Wie so oft hing der Bewohner des peruanischen Dschungels kopfüber an einem Ast im Bergwald der Ostkordilleren, und das Tier tat das, was es am liebsten machte. Nämlich nichts. Es hätte sich auch nicht durch die lange Kolonne von Regierungstruppen aus der Ruhe bringen lassen, die weit unter ihm vorbeimarschierte. Aber das Faultier spürte deutlich den Tod, der hinter der nächsten Wegesbiegung lauerte. Darum erklomm das Wesen mit dem weißen Streifen auf der Stirn den Baumstamm. Und kletterte so schnell wie möglich in Sicherheit. Die Männer in den olivgrünen Uniformen ahnten nichts Böses. Wie die meisten Peruaner waren sie Indios oder Mestizen. Auf ihren wie geschnitzt wirkenden Gesichtern war nichts zu lesen außer Erschöpfung. Und Gleichgültigkeit. Der Angriff kam mit der Macht einer Feuerwalze…

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Franklin Donovan, Alfred Bekker

Krimi Dreierband 1012

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Inhaltsverzeichnis

Krimi Dreierband 1012

Copyright

Trevellian und die Mikrochip-Gangster: Kriminalroman

​Trevellian und der Mann namens El Toro: Action Krimi

Trevellian und der der Hacker

Krimi Dreierband 1012

Franklin Donovan, Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Trevellian und die Mikrochip-Gangster (Franklin Donovan)

Trevellian und der Mann namens El Toro (Franklin Donovan)

Trevellian und der Hacker (Alfred Bekker)

Das Faultier witterte die tödliche Gefahr.
Wie so oft hing der Bewohner des peruanischen Dschungels kopfüber an einem Ast im Bergwald der Ostkordilleren, und das Tier tat das, was es am liebsten machte. Nämlich nichts. Es hätte sich auch nicht durch die lange Kolonne von Regierungstruppen aus der Ruhe bringen lassen, die weit unter ihm vorbeimarschierte. Aber das Faultier spürte deutlich den Tod, der hinter der nächsten Wegesbiegung lauerte.
Darum erklomm das Wesen mit dem weißen Streifen auf der Stirn den Baumstamm. Und kletterte so schnell wie möglich in Sicherheit. Die Männer in den olivgrünen Uniformen ahnten nichts Böses. Wie die meisten Peruaner waren sie Indios oder Mestizen. Auf ihren wie geschnitzt wirkenden Gesichtern war nichts zu lesen außer Erschöpfung. Und Gleichgültigkeit.
Der Angriff kam mit der Macht einer Feuerwalze…
XXXx

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Trevellian und die Mikrochip-Gangster: Kriminalroman

Franklin Donovan

Jake Morris wusste, dass sie ihn töten wollten.
Der Mann mit dem vernarbten Gesicht nahm aber nicht an, dass einer von ihnen ein Schießeisen hatte. Erst recht nicht eins mit Schalldämpfer.
Also würden sie es anders machen müssen. Mit selbst geschliffenen Messern. Das war das Wahrscheinlichste. Oder mit Bleirohren oder anderen Schlagwerkzeugen, mit denen man einem Mann den Schädel zertrümmern konnte.
Mit jeder Sekunde, die vertickte, rückte die Todesgefahr näher. Es war drei Minuten vor Zwölf. Um Mitternacht begann ein neuer Tag. Der Tag, an dem Jake Morris aus dem Gefängnis entlassen werden sollte.
Falls er diese Nacht überlebte…
***
Jake Morris hatte seine muskelbepackten Arme hinter dem Kopf verschränkt. Er lag auf seiner Metallpritsche. Zelle 31, Block B, Maryland Penitentiary, 954 Forrest Street, Baltimore, Maryland. Das war seine Adresse während der vergangenen fünf Jahre gewesen. Sechs Monate seiner Haftstrafe hatten sie ihm wegen guter Führung erlassen.
Sicher auch deshalb, weil das Narbengesicht den Drogenring der Anstalt hatte hochgehen lassen. Emerson, der Ober-Knast-Dealer, und zwei seiner Kumpels schmprten jetzt unten in der Isolationshaft vor sich hin. Nur mit Unterhosen aus Papier bekleidet und auf halbe Ration gesetzt. Jake Morris konnte sich vorstellen, wie ihn diese Drogenkerle jetzt hassten. Und Emerson hatte eine Menge Freunde im Bau.
Der Narbengesichtige atmete ruhig und langsam durch die Nase. Er teilte sich die Sechs-Quadratmeter-Zelle mit drei weiteren Mitgefangenen. Von denen würde keiner einen Finger rühren, um Morris zu helfen. Da machte er sich keine Illusionen.
Schritte waren auf dem Gang zu hören. Sehr leise zwar, aber dennoch laut genug für seine Ohren. Narbengesicht grinste bitter. Er hatte sich nicht getäuscht. Sie hatten bis zur letzten Nacht gewartet, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Ihn und den Gefängnisdirektor, der ihm großspurig versprochen hatte, für seinen Schutz zu sorgen.
Jake Morris wusste, dass er sich hier drin nur auf sich selbst verlassen konnte. Und darauf, dass der Wachwechsel der Aufseher nicht länger als fünf Minuten dauerte.
Die Geräusche auf dem Flur kamen näher. Die Turnschuhe der Gefangenen verursachten viel weniger Lärm als die Stiefel der Aufseher. Es waren nicht gerade wenige nächtliche Besucher, die sich bei Jake Morris durch die Tritte auf dem Korridor ankündigten.
Trotz der Todesgefahr grinste der Vernarbte spöttisch. Er hatte seine Wahl getroffen. Ein für alle Mal. Diese Gefängnisstrafe war nicht seine erste. Doch sie sollte seine letzte sein. Das hatte er sich geschworen.
Jake Morris war ein Mann, dem die Fäuste locker saßen. Das hatte ihn schon auf der Highschool in Schwierigkeiten gebracht. Später waren es die Gangs gewesen, in denen man ihn wegen seiner Schlägerqualitäten geschätzt hatte. Morris lernte schnell. Zum Beispiel, dass man bei einem Straßenraub in zwei Minuten mehr Geld verdienen kann als mit zwei Monaten Rasenmähen bei den Nachbarn.
Darum hatte er in seiner Jugend öfter die Fäuste geschwungen als den Rasenmäher geschoben. Später war es dann so weitergegangen. Immer wieder miese Jobs, und dazwischen eine Schlägerei nach der anderen.
Doch hier in Baltimore hatte Jake Morris einen Schlussstrich gezogen. Der Mann, mit dem er sich angelegt hatte, saß nun im Rollstuhl. Und er, Morris, war schuld daran. Er ganz allein.
Die Zellentür öffnete sich. Seine Gedanken wurden unterbrochen.
Jake Morris lag weiterhin auf der Pritsche ausgestreckt. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Cliff Thorne und ein paar andere miese Typen. Sie trugen dieselbe hellgraue Anstaltskleidung wie Jake Morris. In ihren Händen blitzten lange Metallstücke.
Sie hatten die Zellentür aufgeschlossen. Wie sie an die Schlüssel herangekommen waren, war Morris rätselhaft.
»He, Verräter!«, heiserte Thorne.
»Meinst du mich?«
Der Vernarbte rührte sich nicht von der Pritsche.
»Siehst du hier noch einen Verräter, du Drecksau? Ich habe eine Botschaft von Emerson…«
Cliff Thorne sprang vor und ließ gleichzeitig sein selbst gebasteltes Messer auf Jake Morris niedersausen. Damit hatte der Narbengesichtige gerechnet. Thorne, der ein muskelbepackter Schwarzer war, würde sich nicht mit langen Volksreden aufhalten.
Morris blockte den Messerarm ab und wuchtete seine Rechte in Thornes Magen. Der Schwarze war wenig beeindruckt.
Das Narbengesicht rollte sich seitwärts von der Pritsche und versuchte gleichzeitig, Thorne umzureißen. Einer der anderen Kerle trat ihm gegen den Schädel. Jake Morris merkte kaum etwas davon. Erstens hatte er schon Schlimmeres abgekriegt in seinem Leben als einen Tritt mit Turnschuhen. Und zweitens war jeder Kick immer noch besser wegzustecken als ein Messerstich.
Morris federte hoch. Wieder jagte die Klinge auf seinen Leib zu. Das spitze Blechstück zielte auf sein Herz. Der Vernarbte reagierte sehr schnell. Das Metall verfehlte seine Brust. Aber es drang in seinen Oberarm.
Cliff Thorne wieherte zufrieden auf, als er das Blut sah.
»Macht ihn endlich alle!«, röhrte er mit gedämpfter Stimme.
Jake Morris kämpfte wie ein Berserker. Er hatte vier Messerstecher gegen sich und war selbst unbewaffnet. Trotzdem war er der Meinung, eine reelle Chance zu haben. Denn seine Gegner traten sich gegenseitig auf die Füße, wenn sie an ihn heranzukommen versuchten.
Der härteste Brocken war Cliff Thorne. Morris packte ihn und schaffte es, den Körper seines Feindes herumzureißen. Wie einen menschlichen Schutzschild brachte der Vernarbte den Schwarzen zwischen sich und die anderen Messerhelden.
Allerdings hatte Thorne selbst noch ein spitzes Blechstück in der Faust. Aber nicht mehr lange. Jake Morris wandte einen miesen Trick von der Straße an -und sein Gegner heulte auf. Der Vernarbte hatte ihm das Handgelenk gebrochen.
Das Metall klirrte auf den Betonboden. Morris beförderte es mit einem Tritt unter die Pritsche.
Da kam einer der anderen Emerson-Kumpels mit seiner Klinge durch. Das behelfsmäßige Messer ratschte an Morris’ Rippenbogen entlang und hinterließ eine blutige Spur auf seinem nackten Oberkörper.
Dieser weitere Erfolg gab dem Schlägertrupp Auftrieb. Einer kickte gegen Morris’ Knie. Der Narbige kam ins Straucheln und musste Thorne loslassen. Der Farbige taumelte zur Seite und hielt sich sein kaputtes Handgelenk.
Aber seine Freunde stürzten sich auf ihr Opfer.
Mit beiden Fäusten wehrte sich Morris, der schon in die Knie gegangen war.
Nur nicht fallen!, beschwor er sich selbst. Ich muss weiterleben… leben… für Diane…
Morris teilte Schläge aus, wehrte immer wieder die Messer ab. Seine Unterarme waren völlig zerschnitten. Dann rutschte er aus.
Das ist das Ende!, schrie eine erbarmungslose Stimme in seinem Gehirn.
Ein leiser Pfiff ertönte. Halb bewusstlos bemerkte Jake Morris, dass seine Feinde verschwanden. Den verletzten Cliff Thorne nahmen sie mit.
Die Tür klappte hinter ihnen zu. Eine Minute später wurde sie wieder aufgerissen.
Bridges und O’Neill standen vor ihm. Morris hatte sich noch nie so darüber gefreut, die beiden Aufseher zu sehen.
»Heavens!«, keuchte O’Neill und schob sich seine Uniformmütze ins Genick. »Sie bluten ja fürchterlich, Morris!«
***
Die Wärter schafften den Vernarbten sofort in den Krankentrakt. Jake Morris war bei Bewusstsein. In seinem Kopf war nur ein Gedanke.
Überlebt… Ich habe es überlebt… Ich werde frei sein…
Der Anstaltsleiter Larry Connor erschien im Behandlungsraum des Gefängnishospitals, während Morris noch von dem Mediziner und dessen Assistenten zusammengeflickt wurde.
Der Gefängnisdirektor schnaufte aufgeregt und fuhr sich mit einem großen Taschentuch über seine Stirnglatze. Er war ein hektischer kleiner Mann mit roter Gesichtsfarbe. Offensichtlich war er von den Aufsehern aus dem Bett geholt worden. Seine Haare waren zerzaust, und er trug keine Krawatte. Morris hatte ihn noch nie ohne Krawatte gesehen.
»Mein lieber Morris… Was für eine Tragödie…«
Larry Connor rang die Hände.
Der Vernarbte kauerte nackt auf der Behandlungsliege und verkniff sich ein spöttisches Grinsen.
»Damit habe ich gerechnet, Sir. Mit diesen Drogentypen ist nicht gut Kirschen essen.«
»Wieso konnten die in Ihre Zelle eindringen? Haben Ihre Mitgefangenen nichts bemerkt? Woher hatten die Eindringlinge die Schlüssel und die Waffen?«
Bist du so dämlich, oder tust du nur so?, dachte Morris und blickte zur Decke, um dem Anstaltsleiter nicht ins Gesicht zu lachen. Respektlosigkeit konnte er sich so kurz vor seiner Entlassung nicht leisten.
Als Direktor hätte Connor wissen müssen, dass in seinem Knast mit Drogen gehandelt wurde wie in jeder anderen Strafanstalt in den Vereinigten Staaten. Immer gab es den einen oder anderen Aufseher, der ein Auge zudrückte und seinen Anteil bekam. Außerdem waren diese Drogentypen gerissen genug, um auch im perfektesten Sicherheitssystem Lücken zu finden. Ganze Dealerringe wurden von Gefängniszellen aus geleitet. Verschlossene Türen waren für diese Hundesöhne keine Hindernisse.
Aber diese Gedanken kamen nicht über Jake Morris’ Lippen.
»Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, Sir. Es ging so schnell.«
»Natürlich, natürlich.«
Larry Connor klopfte dem Gefangenen auf die verbundene Schulter. Morris zuckte zusammen, schrie aber nicht. Der Anstaltsleiter bemerkte sein Ungeschick und zog die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.
»Ich würde ihn gerne noch ein paar Tage hier behalten«, sagte der Gefängnisarzt, ein alter Haudegen namens Woodrow. »Ein paar von diesen Schnitten gefallen mir gar nicht.«
»Nein!«
Wie ein Peitschenhieb knallte das Wort durch den Behandlungsraum. Jake Morris hatte den Schrei ausgestoßen. Dann mäßigte er sich.
»Ich meine, ich habe meine Strafe abgesessen, Sir. Nicht wahr? Diese paar Kratzer machen mir nichts aus. Sobald ich in New York bin, werde ich mir einen guten Doc suchen.«
»Sie wollen wieder nach New York? Warum?«, fragte der Anstaltsleiter. Er schien froh zu sein, von dem nächtlichen Überfall ablenkten zu können. Für ihn war es schließlich alles andere als eine Belobigung, dass einer seiner Schutzbefohlenen fast erstochen worden war.
Weil dort mein Mädchen lebt, dachte der Vernarbte. Aber das ging den Direktor nun wirklich einen feuchten Dreck an.
»New York City ist meine Heimatstadt, Sir«, sagte er stattdessen wahrheitsgemäß. »Ich kenne dort viele Leute und kann bestimmt schnell Arbeit finden.«
Der Anstaltsleiter Larry Connor öffnete den Mund, um zu seiner üblichen Entlassungsermahnung anzusetzen. Er ermunterte die Ex-Häftlinge stets, die Gesetze in Zukunft nicht mehr zu brechen. Aber bei Jake Morris konnte er sich die Predigt sparen. Der Vernarbte hatte sein Leben riskiert, um den Drogenhandel hinter Gittern eindämmen zu helfen.
»Sie werden morgen früh entlassen«, beeilte sich Connor zu versichern. »Wenn Sie sich gesundheitlich fit fühlen.«
»Das tue ich, Sir. Ich könnte Bäume ausreißen!«
In Wirklichkeit fühlte sich Jake Morris hundsmiserabel, obwohl das Schmerzmittel von Doc Woodrow seine Wirkung tat. Aber das hätte er nie zugegeben. Morris wollte endlich raus aus dem Maryland Penitentiary. Und wenn er auf allen Vieren durch das Tor kriechen musste. Er konnte es kaum abwarten, New York wiederzusehen. Und vor allem Diane Davenport, seine Freundin.
Unwillkürlich musste der Vernarbte grinsen.
Ich würde mich sogar freuen, dachte Jake Morris, den Bullen noch einmal zu treffen, dem ich meine Knaststrafe verdanke.
G-man Jesse Trevellian vom FBI New York.
***
»Mr. Trevellian?«
Ich blickte auf. Anscheinend war ich eingedöst. Das war allerdings auch kein Wunder. Die ganze Nacht hatte ich Seite an Seite mit meinem Freund und FBI-Kollegen Milo Tucker auf dieser harten Bank gesessen. Das unbequeme Möbel stand auf einem Korridor im Bellevue Hospital. Einem der größten Krankenhäuser New Yorks.
Und der Mann, der mich soeben angesprochen hatte, war ein Doc.
Sofort sprang ich auf. Auch Milo schreckte nun aus dem Schlaf hoch.
Wir hatten hier ausgeharrt, weil hinter einer dieser Türen auf der Station unsere Kollegin Jennifer Clark behandelt wurde. Das Letzte, was wir von ihr mitgekriegt hatten, war, dass es ihr verdammt schlecht ging.
Die blonde FBI-Agentin hatte mein Leben gerettet, als wir das Hauptquartier dieser teuflischen Babyhändler-Bande gestürmt hatten. Allerdings war sie dabei selbst schwer verwundet worden. Und hatte eine Fehlgeburt erlitten. [1]
Ja, Jennifer Clark war schwanger gewesen. Sie hatte sich in einen Mann verliebt, der einen äußerst sympathischen, ehrlichen und aufrichtigen Eindruck gemacht hatte. Und der eine Frau wie Jennifer in Wirklichkeit nicht verdient hatte. Das hatte Jennifer bald erkennen müssen, doch da wusste sie bereits, dass sie schwanger war.
Jennifer Clark war eine der besten Agentinnen des New Yorker FBI. Wahrscheinlich sogar die beste überhaupt. Wie Milo und ich riskierte sie sehr, sehr oft Leben und Gesundheit im Kampf gegen das Verbrechen. Keine guten Voraussetzungen, um Mutter zu werden.
Auch Milo und ich gingen keine feste Bindung ein aus diesem Grund. Jennifer wollte und konnte es nicht riskieren, dass sie sich eines Tages eine Kugel fing und ihr Kind als Waise aufwachsen musste.
Sie hatte überlegt, den Dienst beim FBI zu quittieren. Aber andererseits war sie mit Leib und Seele FBI-Agentin. Es war eine harte Zeit der Entscheidung für Jennifer gewesen.
Und nun dies. Sie war bei ihrem letzten Einsatz niedergeschossen worden, war von der Kugel getroffen worden, die für mich bestimmt gewesen war.
Und hatte ihr Kind verloren!
Jennifer Clark war immer eine starke Frau gewesen, doch ich wusste nicht, ob sie diesen Schicksalsschlag verarbeiten würde.
Es war nun schon die zweite Nacht, die wir uns hier im Bellevue Hospital um die Ohren schlugen. Auch der Arzt, den ein Namensschild als Doctor Andersen auswies, sah müde aus. Er war ein schmaler Mann mit schütterem blonden Haar.
»Wie geht es ihr, Doc?«, fragte ich ihn aufgeregt. »Ist sie okay?« '
Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte den Arzt an seiner Operationskluft gepackt, so nervös war ich.
»Miss Clark ist noch sehr schwach. Sie muss jetzt viel schlafen. Aber sie wird wieder gesund werden. Körperlich jedenfalls.«
Ich nickte. »Und seelisch?«
»Das ist schwer zu beantworten, Mr. Trevellian. Als sie erfuhr, dass sie ihr Kind verloren hat, war das ein schwerer Schock für sie. Wir konnten es ihr nicht verheimlichen. Ihre erste Frage galt dem Kind.«
Milo neben mir stöhnte auf. Er war bleich im Gesicht. So wie ich wahrscheinlich auch.
»Sie können hier im Moment nichts tun«, sagte Doc Andersen. »Sobald es etwas Neues gibt, rufen wir an.«
Damit mussten wir uns wohl oder übel zufrieden geben. Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigte, dass es kurz nach fünf Uhr morgens war. In wenigen Stunden mussten Milo und ich frisch rasiert unseren Dienst im FBI Field Office an der Federal Plaza antreten.
Wir verließen das Gelände des Bellevue Hospital. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Wir würden hinterher erledigter sein als jetzt. Also warfen wir uns in meinen roten Sportwagen XKR und fuhren zu einem Allnight-Diner am Broadway. Dort gab es die besten Spiegeleier mit Schinken in ganz New York City- »Schlimm, das mit Jennifer«, sagte Milo, als wir in einer Nische des Diners saßen und den heißen Kaffee schlürften. Ich beobachtete einen athletischen Schwarzen, der in der offen einsehbaren Küche die Eier direkt über einer glühend heißen Platte zerschlug. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
Der Gedanke an Jennifers Schicksal verdarb mir allerdings gleich wieder den Appetit.
»Ja, armes Mädchen. Wir müssen jetzt ganz fest zu ihr halten, Milo. Mehr können wir nicht tun.«
Schweigend stocherten wir in unserem Frühstück herum, hingen unseren Gedanken nach. Die Welt drehte sich weiter, während Jennifer Clark im Bellevue Hospital lag. Es half nichts, mit dem Schicksal zu hadern. Es gab all die Millionen Menschen hier in New York, die das Recht hatten, von uns beschützt zu werden. Das war unsere Aufgabe als G-men.
Milo und ich fuhren noch schnell in unsere Apartments vorbei, um zu duschen, uns zu rasieren und die Kleidung zu wechseln. Dann trafen wir halbwegs ausgeruht und überpünktlich an der Federal Plaza ein.
Dort wartete schon eine knappe Nachricht von unserem Chef auf uns.
»Sofort Ermittlungen bei Leeway Productions in Queens aufnehmen. Es liegen anonyme Hinweise auf einen Mord/Zusammenhang mit Erpressung vor. Jonathan D. McKee, Special Agent in Charge«
***
Der Marsmensch war tot.
Natürlich war die Leiche in dem weißen Schutzanzug nicht wirklich ein Außerirdischer. Trotzdem wirkte der leblose Körper auf dem klinisch reinen grünen Fußboden wie eine Figur aus einem Science-Fiction-Film. Doch das hier war kein Kino, sondern die harte Realität von New York City.
»Wann kommt die Spurensicherung?«
Ich drehte mich um. Mein Freund und FBI-Kollege Milo Tucker hatte diese Frage gestellt. Genau wie ich selbst trug er einen gelben Jogginganzug mit der Aufschrift GAST auf dem Rücken. Dazu weiße Turnschuhe, die nach Desinfektionsmitteln rochen.
Ich hob die Schultern und starrte wieder auf die Leiche, von der ich durch eine dicke Panzerglasscheibe getrennt war.
»Sobald die Kollegen entlaust worden sind, nehme ich an.«
Ein nervöser Mann namens Adam Holborn hatte meine Bemerkung aufgeschnappt. Er trat mit zorngerötetem Gesicht an mich heran.
»Agent Trevellian! Ihnen mögen unsere Vorschriften lächerlich Vorkommen! Aber wir bauen hier bei Leeway die modernsten Computerchips der Welt. Das kleinste Staubkörnchen bedeutet für uns Verlust. Ausschussware, die wir in die Mülltonne werfen können! Wir rechnen hier in Mikrometern, also Tausendstelmillimeter. Ein einziges Stäubchen reicht aus, um eine ganze Siliziumplatte zu zerstören. Und…«
»Mir kommen die Tränen«, knurrte ich und blickte Adam Holborn zornig an. »Wir haben hier ein größeres Problem als ein paar ruinierte Siliziumplatten. Leeway Productions wird erpresst. Der Tod Ihres Mitarbeiters dort drinnen war angekündigt. Sie als Vorstandsvorsitzender der Firma haben die Drohungen verschwiegen, obwohl wir als FBI für Erpressungsdelikte zuständig sind. Wir wären überhaupt nicht hier, wenn wir nicht einen anonymen Hinweis bekommen hätten.«
Holborn sah aus, als ob er explodieren wollte. Aber dann starrte er trotzig zu Boden.
Unser Chef Jonathan D. McKee hatte Milo und mich schriftlich gebeten, die Chipfabrik Leeway Productions aufzusuchen. Wie wir später erfuhren, hatte sich eine anonyme Anruferin eine halbe Stunde zuvor beim FBI Field Office an der Federal Plaza gemeldet und uns von dem Mord informiert. Anonyme Anrufe werden automatisch zurückverfolgt. Doch die Lady hatte von einer Telefonzelle aus angerufen.
Ich wusste nicht viel über die Produktion von Computerchips. Die meisten dieser winzigen Speichereinheiten werden in Kalifornien ›gebacken‹, im legendären Silicön Valley. Und natürlich in-Fernost. Darum war die hypermoderne Anlage am äußersten östlichen Rand von Queens ja New Yorks ganzer Stolz. Leeway Productions war ein Symbol für zukünftige McKee-Tech-Jobs, die bei uns am Hudson entstehen.
Aber den Toten würde das auch nicht wieder lebendig machen.
Ich drehte mich auf dem Absatz um. Meine Turnschuhe quietschten auf dem Fußboden, der mit einer zwei Millimeter dünnen Epoxidharzschicht bedeckt war. Das hatte ich inzwischen erklärt bekommen. Wir befanden uns nämlich in einem der inneren Bezirke der Chip-Fabrikation. Daher mussten wir die Leeway-eigenen Jogginganzüge tragen. Unsere eigenen Anzüge, Waffen, sogar die Unterwäsche hatten wir in einem Umkleideraum zurücklassen müssen. Damit wir keinen unnötigen Staub hereintrugen, mit dem die wertvollen Siliziumplatten verseucht werden konnten.
»Ich möchte jetzt zu dem Toten«, sagte ich zu Holborn.
Der Vorstandsvorsitzende schüttelte störrisch den Kopf.
»Völlig unmöglich! In den innersten Produktionsbereich dürfen Sie nur mit einem Schutzanzug. Dort befindet sich das Herz unserer Anlage! Jeder Schmutz…«
Langsam reichte es mir mit dem Sauberkeitsfimmel dieses Computergenies.
»Wenn Sie einen Bundesbeamten an der Ausübung seiner Pflicht hindern wollen, kriegen Sie eine Menge Ärger, Holborn«, sagte ich. »Hier geht es um Mord, verdammt! Einer Ihrer Mitarbeiter ist tot! Also - wo, zum Teufel, kriegen wir diese verdammten Schutzanzüge Her?«
Holborn starrte mich an, als hätte ich etwas Schmutziges über seine Schwester gesagt. Er erdolchte mich mit seinem Blick, doch dann führte er Milo und mich in einen Raum, wo wir weiße Anzüge und Kopfhauben anlegen konnten. Milo feixte hinter Holborns Rücken und bewegte seine Hand, als ob er sich verbrannt hätte.
»Keine hastigen Bewegungen!«, schärfte der Computermann uns ein. »Das könnte Staub aufwirbeln. Die komplette Raumluft dort drinnen wird alle sechs Sekunden ausgetauscht. Durch ein McKee-Tech-Filtersystem.«
In diesem Moment kam das Spurensicherungsteam. Holborn sprang herum wie ein tollwütiger Affe, bis alle Kollegen in Schutzanzügen steckten. Mit diesem Mann würden wir noch unseren Spaß haben.
Dass so ein hohes Tier wie Holborn uns höchstpersönlich auf die Finger guckte, war bezeichnend genug. Wahrscheinlich gehörte er zu der Sorte Chef, die ihren Leuten nichts Zutrauen und alle wichtigen Dinge selbst erledigen müssen. Oder er wollte nicht, dass wir von seinen Angestellten etwas über die Erpressungsversuche erfuhren. Oder beides.
Jedenfalls hatte ich ein übles Gefühl bei diesem Burschen.
Wir betraten den Produktionsraum, der in helles gelbes Licht getaucht war. Die herumstehenden Maschinen erinnerten mich ebenfalls an Science-Fiction-Filme.
Der Tote lag unweit einer Bedienungskonsole auf dem Rücken. Anzeichen für äußere Gewaltanwendung waren nicht zu erkennen.
Milo und ich tauschten einen Blick. Dieser Fall würde eine verdammt harte Nuss werden, das ahnten wir beide jetzt schon.
***
Jake Morris legte den Kopf in den Nacken und spürte die Regentropfen auf seiner Haut.
Die anderen Passagiere an der Central Bus Station von Baltimore glotzten den durchtrainierten Mann an, als hät-. te er nicht alle Tassen im Schrank. Die Menschen hatten vor dem heftigen Neuengland-Regenschauer Schutz gesucht, unter den Arkaden und in den Aufenthaltsräumen des Busbahnhofs.
Nur Jake Morris stand einige Schritte von der Bordsteinkante entfernt auf dem Asphalt und ließ sich vom Regen berieseln.
Es war nicht dasselbe wie beim Freigang im Hof. Sogar der Regen schien im Gefängnis durch die Gitterstäbe und die Stahltüren gefiltert zu werden. Aber hier draußen gab es endlich keine Mauern mehr zwischen Jake Morris und der restlichen Welt.
Die Hupe des Trailways-Busses blökte, als der Fahrer das riesige Aluminiumgefährt abbremste. Der Vernarbte sprang auf den Bussteig zurück.
Misstrauisch beäugte der Driver den narbengesichtigen Passagier, der nass wie eine Katze war. Aber er hatte ein gültiges Ticket. Baltimore - New York City. Einfache Fahrt.
Der Überlandbus füllte sich im Handumdrehen mit Menschen, die hauptsächlich auf der Schattenseite des Lebens ihr Dasein fristen. Wohlhabende Leute fahren nicht mit dem Bus, jedenfalls nicht in den USA.
Ein munterer Schwarzer setzte sich neben Morris. Die Klamotten des Farbigen sahen stark nach Heilsarmee-Kleidersammlung aus. Aber Morris’ unmodisch gewordene Klamotten waren auch nicht besser. Es war für den Ex-Gefangenen immer noch völlig ungewohnt, nicht mehr den Gefängnis-Drillich zu tragen.
Der Farbige hatte Lust auf eine Plauderei.
»Du bist ja ganz schön blass, Mann.«
Jake Morris drehte ihm den Kopf zu.
»Du nicht, Mann«, erwiderte er mit trockenem Humor.
Der Schwarze schlug sich lachend auf den Oberschenkel.
»Hehehe - du bist richtig! Kommst du aus dem Knast?«
Morris zog die Augenbrauen zusammen.
»Nee, aus dem Jahr 1900. Hatte mich für hundert Jahre einbalsamieren lassen, weil ich damals immer von der Seite angequatscht wurde.«
Für den Rest der Fahrt hatte Morris seine Ruhe.
Seine Gedanken waren bei Diane Davenport. Was seine Freundin jetzt wohl machte? Er hatte sie von einer Phone Booth aus angerufen, nachdem er endlich durch die Eisentore des Maryland Penitentiary getreten war.
Aber es lief nur ihr Anrufbeantworter. Immerhin hatte Morris auf das Band gestammelt, dass er entlassen worden war und sich auf den Weg nach New York City machen würde.
Aber was, wenn sie schon längst einen anderen hatte?
Immer wieder tauchte diese Vorstellung auf. Wie die glühenden Zangen oder Daumenschrauben eines mittelalterlichen Folterknechts war dieser Gedanke. Warum sollte ein Girl wie Diane so lange auf ihn warten? Was war denn schon so Besonderes an Jake Morris? War er nicht einfach nur einer von den Schlägertypen, wie man sie an jeder Straßenecke in Brooklyn fand?
Dabei vergaß der Vernarbte völlig, wie oft Diane ihn im Knast besucht hatte.
Ein Leben ohne Diane war nicht mehr vorstellbar für ihn. Das hatte sich Morris in den langen einsamen Nächten in der Strafanstalt immer wieder eingestehen müssen.
Nervös fuhr sich der muskulöse Mann durch sein kurz geschnittenes Haar. Es waren schon einzelne graue Strähnen zu erkennen, obwohl er erst dreiunddreißig Jahre alt war. Aber das Leben hinter Gittern macht alt.
Wenigstens hatte er seinen Körper in Form gehalten und jedes nur mögliche Sportangebot genutzt. Und er hatte die Finger von den verdammten Drogen gelassen, die viele Knastbrüder erst recht kirre machten.
Plötzlich hatte Morris das Bild von Hank Stanley vor Augen. Hank Stanley war der Mann, den Jake Morris zum Krüppel geschlagen hatte.
Beim Prozess hatte Morris ihn zum letzten Mal gesehen. Stanley trug einen dunklen Anzug und saß in einem Rollstuhl. Er würde nie wieder gehen können.
Eines Tages wollte Morris zu Stanley gehen und ihn um Vergebung bitten. Das war das zweite große Ziel in seinem Leben. Aber noch war er nicht so weit.
Das erste Ziel bestand darin, Diane zu heiraten und nie wieder straffällig zu werden.
Der Trailways-Bus preschte über den Highway auf New York zu. Eigentlich hätte der Anblick der Skyline von Manhattan Jake Morris in gute Stimmung versetzen sollen. New York war schließlich seine Heimatstadt.
Doch ihm war reichlich flau zumute.
Der harte Mann war tapfer genug gewesen, es alleine mit diesen vier bewaffneten Drogentypen aufzunehmen. Doch beim Gedanken, nun seiner Freundin gegenüberzutreten, wurden ihm die Knie weich.
Der Bus aus Baltimore fuhr in den Port Authority Bus Terminal ein, wo alle Überlandbusse von und nach New York starten und enden.
Der Fahrer betätigte die Luftdruckbremsen. Ein letztes Zittern lief noch durch den langen Aluminiumleib, dann drängten und schubsten alle Passagiere zum Ausgang.
Morris ließ sich mit der Menge treiben. Plötzlich hatte er es gar nicht mehr so eilig.
»Jake!!!«
Der Vernarbte hörte nur, wie sein Name gerufen wurde. Im nächsten Moment wurde er angesprungen. Morris ließ die schäbige Reisetasche fallen. Seine Wunden schmerzten, als er heftig umarmt wurde. Instinktiv wollte er sich wehren. Doch nach einigen Zehntelsekunden bemerkte er, dass es Diane war, die sich so sehnsuchtsvoll an ihn klammerte.
Jake Morris versank in einem Meer langer roter Haare. Diane bedeckte sein vernarbtes Gesicht mit Küssen.
»Endlich bist du wieder da! Gut, dass ich Harry habe!«
Misstrauisch starrte Morris seine Freundin an, nachdem sie sich halbwegs von ihm gelöst hatte.
»Wer ist Harry?«
Diane lachte ihm schallend ins Gesicht.
»Wer Harry ist? - Hihi, mein Anrufbeantworter natürlich! Ich habe ihn Harry getauft. Das klingt doch besser als AT & T 1323 D, oder? Hast du geglaubt, Harry wäre ein Mann? Ich habe doch versprochen, auf dich zu warten!«
Der Narbengesichtige wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Doch Diane war genauso tatendurstig wie früher. Sie schleifte ihn zu einem Yellow Cab.
Eine halbe Stunde später waren Morris und seine Freundin in Dianes winzigem Apartment in Brooklyn angekommen. Der Haftentlassene konnte noch immer nicht glauben, dass er nun hier war.
»Das ist Harry!«, sagte Diane grinsend und deutete auf einen Anrufbeantworter, der neben dem Telefon stand. »Als ich ihn abgehört habe und deine Nachricht erhielt, bin ich gleich zum Bus Terminal geflitzt.«
»Ich liebe dich, Diane«, sagte Jake Morris schlicht. Für einen verschlossenen Typen wie ihn war das schon ein gewaltiger Gefühlsausbruch.
Das rothaarige Girl schmiegte sich an ihn und bot ihm ihre vollen Lippen zum Kuss. Morris’ Herz schlug höher, als er ihren weichen Körper und ihre zarte Haut unter seinen Handflächen fühlte.
Dianes buntes Sommerkleid glitt raschelnd zu Boden. Das Mädchen riss erschrocken die Augen auf, als sie die zahlreichen Verbände unter Morris’ Kleidung entdeckte.
Nachdem sie sich lange und genussvoll auf dem Sofa geliebt hatten, versprach Morris: »Gleich morgen werde ich mir Arbeit suchen. Muss erst mal checken, wo Leute gesucht werden.«
»Ich hätte vielleicht was für dich.«
Diane schmiegte sich an seine Schulter. Ihr langes rotes Haar kitzelte an seinem Bauch.
»Du?«
»Nicht ich selbst, Jake. Aber meine Kollegin Carmen hat einen Freund, der bei einem Sicherheitsdienst arbeitet. Safety Angels nennen die sich. Die suchen angeblich dauernd gute Leute.«
»Und was muss man da machen?«, fragte Morris zweifelnd.
Diane zuckte mit den Schultern.
»Teilweise sind das Bodyguards, glaube ich. Aber hauptsächlich geht es wohl um Gebäudebewachung. Die Safety Angels haben viele gute Kunden, wie ich höre. Große Kaufhäuser zum Beispiel. Oder Leeway, diese neue Computerchip-Fabrik.«
***
Adam Holborn starrte mich an, als wäre ich ein Stück Dreck unter seinem Schuh.
Milo und,ich saßen dem Vorstandsvorsitzenden nun in seinem durchgestylten Büro gegenüber. Holborn hatte die Joggingklamotten wieder gegen einen Anzug mit Weste vertauscht. Und auch Milo und ich trugen wieder unsere eigenen Klamotten. Denn nun befanden wir uns im Verwaltungstrakt von Leeway Productions. In sicherer Entfernung von den kostbaren, 20 Mikrometer kleinen Chips.
Die Fertigungsanlage glich einer Zwiebel. Mit jeder Schicht, die man weiter ins Innere vordrang, wurden die Sicherheitsvorschriften strenger. Und der Tote war im Allerheiligsten ermordet worden, wo die Chips produziert wurden. Das machte unsere Arbeit nicht einfacher.
Ich hatte meinen Notizblock gezückt. Immer noch war mir Adam Holborn eine Antwort schuldig. Ich hatte ihn nämlich gefragt, wann es den ersten Erpressungsversuch gegeben hatte.
»Ich warte, Mr. Holborn.«
Der schwergewichtige Mann hinter dem Designerschreibtisch machte aus seiner Abneigung gegen uns keinen Hehl.
Seine finsteren Blicke sprachen eine eindeutige Sprache. Leider nur seine Blicke, denn jetzt schwieg er.
»Wir können Sie auch an die Federal Plaza vorladen, wenn Ihnen das lieber ist«, flötete Milo. Ihm ging dieser arrogante Pinsel genauso auf den Zeiger wie mir. Das spürte ich ganz deutlich. Wer schon so lange zusammen Dienst schiebt wie Milo und ich, der weiß, wie es in dem jeweils anderen gerade zugeht.
»Vor einer Woche«, knurrte Holborn unwillig. »Aber ich hielt den Anrufer für einen Spinner, der…«
»Dieser Spinner hat offenbar Ernst gemacht, Mr. Holborn. Können Sie sich noch an seine Worte erinnern?«
»Sicher, Agent Trevellian. ›Zehn Millionen, oder in Abteilung A gibt es ’ne Leiche‹. Leeway Productions ist eines der erfolgreichsten Computerunternehmen Amerikas. Und Erfolg schafft nun mal Neider. Darum hielt ich den Anruf für einen makabren Scherz und habe es vorgezogen, die Behörden nicht zu informieren.«
Ich hatte genau zugehört.
»Der Anrufer hat von Abteilung A gesprochen, Mr. Holborn…«
»Ja, so wird bei Leeway der große Reinraum genannt, in dem sich der Kern der Chipproduktion befindet.«
Holborn sah mich an, als müsse er einem unterbelichteten Kleinkind die Elektrizität erklären.
»Demnach muss der Erpresser entweder hier angestellt sein oder gute Kontakte zu einem Leeway-Mitarbeiter haben« , stellte ich fest. »Sonst hätte er nicht wissen können, dass dieser Raum Abteilung A genannt wird.«
»Völlig unmöglich!«, schnarrte der Vorstandsvorsitzende. »Hier arbeiten zwar fast zweitausend Beschäftigte -aber ich lege für jeden von ihnen meine Hand ins Feuer! Es sind hoch qualifizierte Männer und Frauen, die wir zum Teil für viel Geld von der Konkurrenz abgeworben haben. Völlig unmöglich!«
Allmählich hatte ich das Gefühl, als wollte Holborn auf Teufel komm raus das FBI von seiner Chip-Schmiede fernhalten. Die Sache stank. Sie stank ganz gewaltig.
»Kommen wir zunächst zu dem Opfer«, sagte ich und schlug eine neue Seite in meinem Notizbuch auf. »Wie lautet der Name?«
»Norman Rush. Mr. Rush ist… war einer der Männer der ersten Stunde. Er arbeitete bei Leeway, seif wir die Produktion vor drei Jahren begonnen haben.«
Der Vorstandsvorsitzende ließ uns durch seine Sekretärin noch die Adresse des Toten heraussuchen. Dabei war es offensichtlich, dass er uns so schnell wie möglich loswerden wollte.
Ich stand auf. Milo folgte meinem Beispiel.
»Für den Moment sind wir fertig, Mr. Holborn. Das heißt… eine Frage noch zum Schluss. Wer ist bei Leeway für die Sicherheit zuständig?«
»Das macht die Safety Angels Agency. Ein Sicherheitsu nternehmen mit erstklassigen Referenzen. Es gab noch nie Klagen wegen Schmiergeldern oder Brutalität. Was man von NYPD und FBI nicht gerade behaupten kann…«
Ich biss die Zähne zusammen. Aber ich ließ mich nicht zu einer gepfefferten Antwort hinreißen. Stattdessen fiel meine Erwiderung dienstlich-korrekt aus.
»Sie hören von uns. Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mr. Holborn. Good bye.«
Milo und ich stiefelten schweigend hinaus. Vorbei an riesigen, getönten Fensterfronten marschierten wir über teuren Teppichboden bis in die Marmorhalle, die den Empfangsbereich von Leeway Productions bildete, und von dort durch eine Glasfront hinaus. Die ganze Fabrik sah so futuristisch aus wie das Raumflotten-Kommando in einem Science-Fiction-Film.
Draußen atmeten wir erst mal tief die nicht gefilterte Luft ein.
»Entkommen aus der Eishölle«, witzelte Milo. »Was für ’ne Laus ist diesem Holborn denn über die Leber gelaufen? Der hat sich aufgeführt, als ob wir diesen Norman Rush umgelegt hätten!«
Ich drehte mich zu dem Gebäudekomplex um.
»Auf den ersten Blick ist alles porentief rein, Alter. Aber ich wette, bei Leeway Productions liegt mehr als nur eine Leiche im Keller.«
***
»Bist du ein Arschloch?«
Jake Morris hatte mit einigem gerechnet, als er zum Vorstellungsgespräch bei der Safety Angels Agency antrabte. Das Sicherheitsu nternehmen hatte seinen Sitz in der Eighth Avenue, unweit vom Ramada Inn. Keine schlechte Adresse.
Cliff Shannon höchstpersönlich nahm den neuen Bewerber unter die Lupe. Als oberster Boss von Safety Angels hatte Shannon fast zweihundert Männer unter Vertrag. Er war ein Riese mit Bodybuilder-Figur und langen braunen Locken. Sein Mund wurde von einem schmalen Bart umrahmt.
Und dieser Mund hatte gerade die Frage formuliert, ob Jake Morris ein Arschloch sei.
»Kommt drauf an, wen Sie fragen, Sir«, gab der Ex-Sträfling nach einer kurzen Pause zurück. Er hatte den giftgrünen Bewerbungsbogen der Safety Angels ausgefüllt. Darin hatte er auch seine Gefängnisstrafen vermerken müssen. Ehrlich währt am längsten, hatte er sich gesagt. Wenn er es verheimlichte und die Firma es rauskriegte, war er den Job sowieso gleich wieder los.
»Wie meinst du das?« Cliff Shannon ließ nicht locker.
»Die Leute, die ich zusammengeschlagen habe, halten mich natürlich für ein Arschloch. Aber ich habe dafür gebüßt. Und es gibt ein paar Menschen, die mich ganz okay finden.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel meine Freundin. Und der Gefängnispfarrer vom Maryland Penitentiary. Dort bin ich nämlich bis vor zwei Tagen gewesen.«
Der Boss der Safety Angels sah dem Vernarbten lange in die Augen. Morris hielt dem Blick stand.
»Weißt du was, Jake Morris? Ich glaube auch, dass du okay bist.«
Cliff Shannon stand auf. Er deutete auf einen riesigen Papierberg auf seinem Schreibtisch.
»Lauter Absagen. Ich habe was Besseres zu tun, als mich mit Lügnern und Blendern rumzuärgern. Du hast gleich in deine Bewerbung reingeschrieben, dass du mehrfach gesessen hast. Respekt. Das zeigt, dass du Mut hast. Und zu deinen Fehlern stehst. Ich kann hier keine Arschlöcher gebrauchen, die sich vor Verantwortung scheuen.«
Der Safety-Angels-Boss atmete tief durch, wobei sich sein gewaltiger Brustkorb unter dem Uniformhemd hob.
»Die Kunden vertrauen uns ihr Leben und ihren Besitz an, Jake. Es gibt andere Sicherheitsfirmen, die grundsätzlich keine Knastvögel einstellen. Ich finde das falsch. Jeder kann mal einen Fehler machen. Er muss nur dazu stehen.«
Morris nickte knapp. Dieser Cliff Shannon war ein Mann nach seinem Geschmack.
»Ich würde sagen, du hast den Job«, grinste der Boss. »Lass es uns miteinander versuchen, okay?«
Er streckte Jake Morris seine Rechte entgegen. Der schlug sofort ein.
»Sie werden es nicht bereuen, Mr. Shannon!«
»Ich bin Cliff, okay?«
Das Safety-Angels-Oberhaupt ließ sich wieder in seinen Schreibtischsessel plumpsen und nahm eine Kunststoff -tafel zur Hand, auf der unzählige bunte Magnete befestigt waren. Er murmelte vor sich hin.
»Mal sehen, wo ich dich einsetzen kann. Das FBI hat vorhin angerufen. Bei Leeway Productions hat es einen Toten gegeben. Da muss ich die Wachen verstärken, da könntest du mitmachen. Aber das ist ganz weit draußen in Queens. Am Arsch der Welt, sozusagen.«
Morris starrte beschämt vor sich hin. Er würde ein Auto brauchen, um zu Leeway zu fahren. Aber er hatte keins. Und auch noch kein Geld, um sich eins zu kaufen.
Cliff Shannon schien seine Gedanken erraten zu haben.
»Ist nicht leicht, wenn man gerade aus dem Knast kommt, stimmt’s?«
Morris nickte.
Der Safety-Angels-Boss dachte einen Moment nach. Dann griff er in seine Hosentasche, zog einen Schlüsselanhänger raus und warf ihn Morris zu.
»Das sind die Schlüssel für meine Harley. Die Maschine steht unten in der Tiefgarage. Komm sowieso kaum dazu, damit rumzudüsen. Ich leih sie dir, bis du dir ’ne Karre leisten kannst. Okay?«
Der Ex-Sträfling war verwirrt.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll…«
»Du siehst, ich vertraue dir«, grinste Cliff Shannon.
»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Mr. Shannon. Bei Gott, das werde ich nicht tun.«
Shannon hob den Telefonhörer ab.
»Ich sage den Jungs in der Tiefgarage Bescheid, dass du ab sofort die Harley fährst. Wir sehen uns dann bei Leeway.«
Morris verließ das Büro mit weichen Knien. Er konnte kaum glauben, dass er einen Tag nach seiner Haftentlassung bereits einen guten Job und ein Motorrad hatte. Sollte sich sein Leben endlich zum Besseren wenden?
Dieser Cliff Shannon ist doch wirklich ein feiner Kerl, dachte der Vernarbte.
***
Ich merkte schon nach weniger als einer halben Meile, dass wir verfolgt wurden.
Milo und ich saßen in meinem roten Sportwagen XKR. Kaum hatte ich das 363-PS-Geschoss vom Leeway-Gästeparkplatz heruntergelenkt, als sich auch schon dieser winzige Import-Sportwagen an unsere Rücklichter hängte.
Auch mein Freund warf einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel.
»Renault Alpine«, brummte Milo. »Schönes Auto. Wenn diese Lady einen Detektiv-Fernkurs gemacht hat, sollte sie das Geld zurückfordern. Auf diese Tour beschattet man zwei G-men nicht.«
»Deine Witze waren schon mal besser, Alter. Aber ich gebe dir Recht. Der blonde Engel kurvt so auffällig hinter uns her, als lege sie es darauf an, von uns angehalten und von mir um ein Rendezvous gebeten zu werden.«
»Warum von dir?«, fragte Milo.
»Welches anständige Mädchen will von dir schon um ein Rendezvous gebeten werden?«, grinste ich.
Ich lenkte den Sportwagen über den Long Island Expressway zurück nach Manhattan. Leeway Productions lag so weit am Rande von Queens, dass es nur noch wenige hundert Yards bis zur Bezirksgrenze von Nassau County waren.
Die Lady in dem blauen Sportflitzer fuhr nun dicht auf. So dicht, dass ich ihr blondes Haar und ihre schwarze Sonnenbrille genau erkennen konnte. Der Verkehr war jetzt um die Mittagszeit relativ ruhig. Erst nach fünf Uhr nachmittags würde sich wieder die Blechlawine der Pendler von Manhattan zurück nach Queens in Bewegung setzen.
Plötzlich zog unsere Verfolgerin den Alpine auf die linke Spur. Sie überholte und schlug dann das Lenkrad wieder ein. Ich tippte die Bremse an. Beinahe hätte ich ihren Wagen gerammt.
Nun sahen wir die Lady von hinten. Sie hob die rechte Hand und deutete damit nach vorn. Ein unmissverständliches Zeichen. Wir sollten ihr folgen.
Alles roch meilenweit nach einer Falle.
Trotzdem ließ ich mich darauf ein und fuhr an der Caldwell Avenue vom Expressway hinunter. Milo gab für alle Fälle per Funk unsere Position an das Field Office durch.
Die Lady parkte ihren Renault vor einem schäbigen Diner. Während sie ausstieg, konnten wir einen Blick auf ihr atemberaubendes Fahrgestell werfen.
Unsere Verfolgerin trug ein lindgrünes Minikostüm, hohe Pfennigabsätze und eine weiße Bluse mit üppigem Inhalt. Das blonde Haar war zu einer frechen kurzen Fransenfrisur geschnitten.
Hüftschwenkend ging sie in das schäbige Diner voraus. Ich parkte den Sportwagen, dann folgten wir ihr. Ich stieß die Schwingtür auf. Es roch nach drei Tage altem Bratfett und kaltem Schweiß. Nach der aseptischen Klinikatmosphäre bei Leeway Productions war das fast eine Wohltat.
Die Blonde eiwartete uns in einer Sitznische. Sie hatte ihre langen Beine übereinander geschlagen. Die Sonnenbrille hatte sie noch nicht abgenommen.
Wir traten auf sie zu.
»Zwei G-men«, sagte sie mit einer rauchigen, geheimnisvollen Stimme. »Männer des Gesetzes, die das Rätsel um Leeway Productions lösen sollen.«
Ich präsentierte meinen Ausweis.
»Ich bin Special Agent Jesse Trevellian. Das ist mein Kollege Special Agent Milo Tucker. Können Sie Angaben zu der versuchten Erpressung und dem Mordanschlag bei Leeway machen?«
»Setzt euch doch erst mal, Boys.«
Das taten wir.
Ein schwammiger Kellner, dem die Brusthaare aus dem T-Shirt quollen, brachte unaufgefordert Kaffee.
»Bei Leeway liegt einiges im Argen«, sagte die Blonde. Dann fügte sie im Plauderton hinzu: »Übrigens: Ich habe eine Bombe in meiner Handtasche.«
***
Jake Morris’ Hand krallte sich um den Gashebel der Harley.
Er kostete jede Sekunde der Fahrt nach Queens aus. Für Jahre hatte seine Welt nur aus ein paar grauen Wänden bestanden, die ihn einsperrten und ihm die Luft abdrehten. Jetzt genoss er die Freiheit in vollen Zügen bei seinem Trip über den Long Island Expressway nach Queens.
Der Vernarbte lenkte das Motorrad auf den Gästeparkplatz von Leeway Productions. Dort sollte er sich mit einem seiner neuen Kollegen treffen, einem Kerl namens Chuckie.
»Chuckie wird dir den Laden zeigen«, hatte Cliff Shannon gesagt.
Morris erkannte seinen Kollegen sofort an der Safety-Angels-Uniform. Sie bestand aus einem hellgrünen Hemd, dunkelgrüner Hose und blitzenden schwarzen Schuhen. Er hätte selbst so eine Kluft gestellt bekommen. Sie war in einem Paket in der Satteltasche.
Der Vernarbte stoppte die Harley, stieg ab und ging auf Chuckie zu. Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Chuckie war ein gedrungenes Kraftpaket mit kurzen Haaren und leicht vorstehenden Augen. Er beugte seinen Kopf zu Jake Morris, als ob er ihn küssen wollte. Aber dann begann er zu schnüffeln.
»Raucher?«
Morris schüttelte den Kopf.
»Ist auch besser so. Auf Zigarettenrauch reagieren die Computerchips besonders empfindlich. Wenn du rauchen würdest, müsstest du deine letzte Kippe zwei Stunden vor Schichtbeginn ausmachen, kapiert? Und wenn du mal Schnupfen hast, meldest du dich sofort krank. Die wollen da drinnen auch nicht den kleinsten Nieser hören!«
Chuckie deutete auf den futuristischen Glas- und Stahlpalast hinter ihm. Im Schlepptau des Gedrungenen stiefelte Morris auf einen Nebeneingang zu, während Chuckie ihm Informationen gab.
»Ich habe keine Ahnung, wie Computerchips hergestellt werden, Jake. Ich weiß nur, dass bei Leeway Sauberkeit höchstes Gebot ist. Und Sicherheit natürlich. Dafür sind wir zuständig.« Chuckie deutete auf eine Plastikkarte, die an seinem Hemd befestigt war. »Jeder Mitarbeiter hat so ein Ding. Die sollen praktisch fälschungssicher sein. Alle Leeway-Angestellten müssen die Karte bei sich führen, sogar Mr. Holborn selbst. Das ist der Vorstandsvorsitzende, weißt du. Wenn du jemanden ohne Karte hier drin antriffst«, Chuckie klopfte auf sein Holster mit dem .45er Colt Government, »dann sofort raus mit der Knarre und den Typen in Schach halten, bis Hilfe eintrifft. Leeway Productions ist der wichtigste Kunde von unserer Saf ety Angels Agency. Und der schwierigste.«
»Warum?«
»Weil es hier jeden Tag um Millionen Dollar geht, Jake. Die Fertigungsanlage ist wahnsinnig empfindlich, kapierst du? Ein einziges Stäubchen kann eine Siliziumplatte im Wert von 100.000 Bucks zerstören. Das hat mir einer der Eierköpfe von Leeway mal erklärt«, fügte Chuckie halblaut hinzu, während sie an einer Gruppe von Sof tware-Ingenieuren in gelben Jogginganzügen vorbeimarschierten.
Die beiden Wachmänner traten in einen Nebentrakt mit Umkleideräumen und Duschen.
»Du musst dich erst duschen, bevor du den Dienst antreten darfst«, erklärte Chuckie. »Egal, ob du es zu Hause schon getan hast. Du könntest dir ja auf dem Weg ein paar Stäubchen oder Bakterien eingefangen haben…«
Morris zog sich aus. Sein neuer Kollege betrachtete die zahlreichen Verbände, mit denen seine Schnittwunden versorgt worden waren.
»Ich bin dienstfähig«, sagte Morris schnell.
»Hab kein Wort gesagt«, meinte Chuckie. »Du bist jedenfalls wohl hart im Nehmen, stimmt’s?«
Darauf erwiderte Jake Morris nichts. Er ging schweigend in eine der Nasszellen.
»So oft im Leben wirst du dich noch nie geduscht haben«, witzelte Chuckie. »Im inneren Bereich patrouillieren wir auch in Jogginganzügen, weil Mr. Holborn das so will. Und ins Allerheiligste dürfen wir nicht, in die Abteilung A. Da kann sowieso kein Unbefugter rein, weil man durch ’ne Schleuse mit Codeschlüssel und anderem technischen Sicherheitskram muss. - Trotzdem haben sie da drin einen umgelegt«, fügte Chuckie nachdenklich hinzu.
Morris kam aus der Dusche zurück und frottierte sich vorsichtig ab. Dann schlüpfte er in die Uniform, nachdem er die Zellophanhülle der chemischen Reinigung abgerissen hatte.
»Umgelegt?«
»Ja. Hat Mr. Shannon das nicht erzählt?«
»Er meinte nur, dass es einen Toten gegeben hätte. Aber nicht, dass der Mann umgebracht wurde.«
Jake Morris setzte sich auf ein Bänkchen und begann damit, seine Schuhe zuzubinden. Er beugte sich dafür nach vorne. Aus dem Augenwinkel sah er ein orangefarbenes Plastikpäckchen, das mit Klebestreifen unter der Bank befestigt war. Aus dem Paket drang ein leises, fast unhörbares Ticken.
»Chuckie«, knurrte Morris mit rauer Stimme, »es gibt hier etwas, das du dir ansehen solltest…«
***
Ich flankte über den Tisch und riss die Handtasche an mich. Gleichzeitig hatte Milo seine SIG Sauer P 226 aus dem Gürtelholster gezogen und legte im Beidhandanschlag auf den schäbigen Kellner an. Wir mussten ja damit rechnen, dass die Blonde Komplizen hatte.
Der Mann mit der Schürze war so erschrocken, dass er ein paar Teller fallen ließ und sie dadurch von ihrer scheußlichen Existenz erlöste. Ich öffnete die Handtasche, während mir das perlende Gelächter der Blonden in den Ohren klingelte.
Die Tasche enthielt den üblichen Lady-Kram, von Lippenstift über Puderdose bis zum Taschenspiegel. Auch eine Packung Kondome fehlte nicht. Aber nichts, was auch nur entfernt an eine Bombe erinnerte.
»Ihr Boys habt wirklich schlechte Nerven«, grinste die Lady. »Ist das ’ne Berufskrankheit?«
Milo holsterte seine Dienstwaffe wieder. Er rutschte auf die Bank. Genau wie ich. Nachdem ich einen Blick auf die Drivers Licence des Girls geworfen hatte, pfefferte ich die Handtasche in die Arme der Blonden.
»Irreführung von Bundesbeamten könnte man das nennen, was Sie da gerade getan haben, Miss Eve Gladys Gould!«
Die Blonde ließ ein strahlendes Lächeln sehen.