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Dieser Band enthält folgende Krimis: East Harlem Killer (Alfred Bekker) Trevellian und der Handlanger des Todes (Pete Hackett) Trevellian und die Blutspur in den Raubtierkäfig (Pete Hackett) Tiefster Hass (Alfred Bekker) Trevellian und die Ratten der Bronx (Jan Gardemann) Verschwundene Kinder in verschiedenen Städten der USA rufen die FBI-Agenten Trevellian und Tucker auf den Plan. Die Spur führt zu einem Zirkus. Als sich ein Mitarbeiter verdächtig macht, wollen die G-men ihn festnehmen. Aber dem Verdächtigen gelingt die Flucht. Gleichzeitig bekommen es die Agenten mit einer Schutzgeld-Erpresserbande zu tun.
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Krimi Quintett Sonderband 1016
Copyright
East Harlem Killer
Trevellian und der Handlanger des Teufels: Action Krimi
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Trevellian und die Blutspur in den Raubtierkäfig
Tiefster Hass
Trevellian und die Ratten der Bronx
Dieser Band enthält folgende Krimis:
East Harlem Killer (Alfred Bekker)
Trevellian und der Handlanger des Todes (Pete Hackett)
Trevellian und die Blutspur in den Raubtierkäfig (Pete Hackett)
Tiefster Hass (Alfred Bekker)
Trevellian und die Ratten der Bronx (Jan Gardemann)
Verschwundene Kinder in verschiedenen Städten der USA rufen die FBI-Agenten Trevellian und Tucker auf den Plan. Die Spur führt zu einem Zirkus. Als sich ein Mitarbeiter verdächtig macht, wollen die G-men ihn festnehmen. Aber dem Verdächtigen gelingt die Flucht. Gleichzeitig bekommen es die Agenten mit einer Schutzgeld-Erpresserbande zu tun.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Thriller von Alfred Bekker
Ein Gangsterboss wird vor Gericht freigesprochen, weil Beweismittel auf ungesetzliche Weise beschafft wurden und sich außerdem Zeugen plötzlich nicht mehr erinnern können. Noch auf den Stufen des Gerichtsgebäudes trifft ihn die Kugel eines Killers und für die Ermittler beginnt die Jagd nach dem Mörder. Denn dieses Attentat ist nur der Beginn einer Welle der Gewalt... Ein Action Thriller von Henry Rohmer (Alfred Bekker) Henry Rohmer ist das Pseudonym von Alfred Bekker. ALFRED BEKKER ist ein Schriftsteller, der vor allem durch seine Fantasy-Romane und Jugendbücher einem großen Publikum bekannt wurde. Daneben schrieb er Krimis und historische Romane und war Mitautor zahlreicher Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
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Ray Azzaro hob die Hand zum Victory-Zeichen, als er die Stufen des Gerichtsgebäudes hinab schritt. Eine Handvoll Polizisten schirmten den Puertoricaner ab, der soeben wegen eines Verfahrensfehlers einer Verurteilung wegen Mordes entgangen war.
Mehrere Kamerateams und Dutzende von Reportern drängten sich um Azzaro, der die Aufmerksamkeit sichtlich genoss.
Eine Mikrofonstange reckte sich Azzaro entgegen.
„Ein kurzes Statement!“, rief jemand.
Azzaro grinste.
„Was soll ich sagen? Wir leben eben in einem Rechtsstaat“, lachte er und bleckte dabei zwei Reihen makellos weißer Zähne.
Ray Azzaro ahnte nicht, dass er sich in dieser Sekunde im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs befand.
Mein Kollege Milo Tucker und ich hielten uns etwas abseits des Menschenauflaufs auf, der rund um den Haupteingang des Gerichtsgebäudes entstanden war.
Ray Azzaro war des Mordes an einen Barbesitzer in East Harlem, dem überwiegend spanischsprachigen Stadtteil New Yorks bezichtigt worden, aber District Attorney David Lacombe war mit seiner Anklage sang- und klanglos untergegangen. Es hatte sich herausgestellt, dass Beweismittel teilweise unter gesetzeswidrigen Bedingungen erhoben worden waren. Man hatte den Verdächtigen nach seiner Verhaftung nämlich nicht hinreichend über seine Rechte aufgeklärt.
Darüber hinaus waren im Verlauf des Verfahrens die Zeugen der Anklage reihenweise umgefallen, hatten ihre Aussagen zurückgezogen oder waren nicht mehr bereit, sie vor Gericht zu bestätigen.
Die Staatsanwaltschaft vermutete, dass diese Zeugen unter Druck gesetzt worden waren. Beweise hatte sie dafür allerdings nicht vorlegen können.
Plötzlich hatte sich niemand mehr daran erinnern können, dass Ray Azzaro die Bar, in der das Verbrechen verübt worden war, am Tatabend überhaupt betreten hatte.
Wir vom FBI Field Office New York ermittelten seit langem gegen jenen Mann, der als Auftraggeber dieses Mordes verdächtigt wurde.
James Gutierrez.
Ein Mann, der hinter vorgehaltener Hand auch als der „Wäscher von East Harlem“ bezeichnet wurde. Er war an Dutzenden von Bars, Clubs und Diskotheken im gesamten Big Apple beteiligt oder betrieb sie in eigener Regie.
Diese Etablissements, so glaubten wir, dienten einzig und allein der Wäsche von Drogengeldern.
Ray Azzaro, der als Gutierrez’ Mann fürs Grobe galt, schien sich in seiner Rolle als Medienstar immer mehr zu gefallen.
„Ich danke der Staatsanwaltschaft dafür, dass sie nicht in der Lage war, ein Verfahren auf die Beine zu stellen, das wenigstens diese Jury aus handverlesenen, bibeltreuen Hausfrauen und weißen Bürgerwehraktivisten überzeugt hätte. Ich danke außerdem meinen Anwälten, dass sie es geschafft haben, diesem besser ungenannt bleibenden Schmalspurrechtsverdreher, der durch politische Schleimscheißerei zum District Attorney werden konnte, mal gezeigt wurde, wo seine Grenzen sind. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn er sich sogar sein Universitätsdiplom und seinen Doktorhut selbst gekauft hat!“
„Ein widerlicher Kerl“, kommentierte Milo den Auftritt Ray Azzaros, der sich immer weiter in seinen Triumph hinein zu steigern schien.
Plötzlich veränderte sich Ray Azzaros Gesichtsausdruck. Er wurde starr. Mitten auf seiner Stirn erschien ein roter Punkt, der rasch größer wurde. Gleichzeitig ging ein Ruck durch seinen Körper. Er sackte in sich zusammen.
Tumult entstand.
Eine Kugel hatte Ray Azzaros Stirn durchschlagen. Instinktiv ging meine Hand zum Griff meiner SIG Sauer P226. Ich blickte an der Fassade eines zehnstöckigen Gebäudes empor, das dem Gericht gegenüber lag. Von dort aus musste der Schuss gekommen sein.
Das dritte Fenster im siebten Stock war offen. Ein Windstoß wehte die Gardine ins Freie. Wahrscheinlich die Zugluft, die entstand, wenn jemand gleichzeitig die Wohnungstür öffnete. Der Killer machte sich offenbar schleunigst davon.
„Los! Vielleicht kriegen wir den Kerl noch“, rief ich Milo zu.
„Seit wann glaubst du an Wunder, Jesse?“
Wir kämpften uns durch die Menge, während im Hintergrund bereits Sirenen von Einsatzfahrzeugen der City Police und des Emergency Service schrillten. Anschließend rannten wir über die Straße. Der Van eines Pizza-Service bremste mit quietschenden Reifen. Der Fahrer zeigte mir einen Vogel, ich ihm meine ID-Card des FBI Field Office New York.
Endlich erreichten wir die andere Straßenseite.
Über Handy hatte Milo längst unsere Zentrale an der Federal Plaza verständigt. Von dort aus würden alle weiteren, als notwendig erachteten Maßnahmen ergriffen werden.
Wir erreichten den Eingang des gewiss schon etwas älteren, aber in einem Top-Zustand befindlichen Brownstone-Hauses. Ein Bürohaus der gehobenen Sorte – ohne den Komfort der modernen Glaspaläste, aber mit dem Charme und dem Stil der Architektur der dreißiger.
Anwaltskanzleien residierten hier. Die unmittelbare Nähe zum Gerichtsgebäude war zweifellos ein Standortvorteil, der zumindest für Kanzleien der mittleren Kategorie es attraktiver erscheinen ließen, sich hier einzumieten anstatt in einer Etage des Empire State Building.
In der Eingangshalle patrouillierten Angehörige eines privaten Security Service in schwarzen Uniformen herum. Sie trugen sechsschüssige kurzläufige Revolver vom Typ Smith & Wessen Kaliber .38 an den Gürteln – eine Waffe, die wir vom FBI auch lange benutzt hatten, bevor sie gegen die sechzehnschüssige P226 der schweizerischen Firma SIG Sauer wegen der größeren Feuerkraft ausgetauscht worden war.
Ich ging auf den ersten der Security Guards zu, zeigte ihm meine ID-Card und sagte: „Jesse Trevellian, FBI. Vom dritten Fenster im siebten Stock ist auf das Portal des Gerichtsgebäudes geschossen worden. Sorgen Sie mit Ihren Leuten dafür, dass die Ausgänge, das Treppenhaus und die Aufzüge bewacht werden. Niemand darf das Haus verlassen, bevor unsere Verstärkung nicht eingetroffen ist und die Personen kontrollieren konnte.“
„Ja, Sir, kein Problem.“
Ich gab ihm meine Karte. „Da ist meine Handynummer drauf. Melden Sie sich sofort, wenn sich hier unten etwas tut.“
„In Ordnung.“ Er steckte die Karte ein. „Drittes Fenster, siebter Stock, sagten Sie?“
„Ja.“
„Das müssen die Räume von Watson & Partners sein. Die sind letzte Woche ausgezogen. Seitdem steht die Etage leer, weil sich noch kein Nachmieter gefunden hat, der bereit war, die horrende Miete zu bezahlen!“ Der Security Guard drehte sich um. Sein Name stand in Großbuchstaben an seinem Uniformhemd: BO HENNESSY. „Hey, Buddy! Bring die FBI-Agenten ins Siebte! Aber pass auf, kann sein, dass sich da oben ein schießwütiger Killer herumtreibt!“
‚Buddy’ – dem Hemdaufdruck nach hieß er Bud Conroy – zog Revolver und Generalschlüssel und bedeutete uns, ihm zu folgen.
Hennessy bellte inzwischen Befehle an seine Leute durch die Eingangshalle. Ein Security Guard, der seinen Platz in einem Kubus aus Panzerglas hatte und von dort aus den Eingang überwachte, griff zum Telefonhörer, um Anweisungen weiterzugeben.
Bud Conroy führte uns zum Treppenhaus. Wir konnten nur hoffen, dass Hennessy auch wirklich meinen Anweisungen folgte und in Kürze noch ein paar Security Guards hier in Stellung gingen und sich die ‚schwarzen Sheriffs’ nicht nur auf die Aufzüge konzentrierten. Schließlich musste innerhalb kürzester Zeit dem Täter jegliche Fluchtmöglichkeit genommen und jedes noch so kleine Loch gestopft werden.
Wenn es nicht ohnehin schon zu spät war.
Wir nahmen jeweils zwei bis drei Stufen mit einem Schritt. Dabei stellte sich heraus, dass es Bud Conroy in punkto Kondition durchaus mit zwei durchtrainierten G-men wie Milo und mir aufnehmen konnte.
Schließlich erreichen wir den siebten Stock.
Ein kurzer Korridor führte zu den Räumen von Watson & Partners.
Das Firmenschild war abmontiert.
Lediglich ein Umriss und die Schraubenlöcher waren noch zu sehen.
„Hieß nicht einer der Verteidiger von Azzaro Watson?“, fragte Milo.
„Allerdings!“
Die Zugangstür zum Bereich von Watson & Partners war durch eine Glastür vom Eingangsbereich getrennt, wo sich auch der Zugang zu den Aufzügen befand.
Die überprüften wir zuerst.
Keine der vier Kabinen war gerade in Höhe des siebten Stocks. Drei befanden sich auf dem Weg nach unten, die vierte bewegte sich aufwärts, wie anhand der Leuchtanzeigen erkennbar war.
„Wenn der Kerl den Lift genommen hat, sind wir zu spät“, stellte Conroy fest.
„Aber dann läuft er hoffentlich Ihren Kollegen in die Arme!“, erwiderte Milo.
Conroy steckte den Generalschlüssel ins Schloss der Glastür.
„Ist offen!“, stellte er überrascht fest.
„Bleiben Sie hier und achten Sie auf den Fahrstuhl!“, sagte ich.
„Aber…“
„Das ist jetzt unser Job, Mister Conroy.“
Mit der SIG in der Faust öffnete ich die Tür. Milo folgte mir. Lautlos traten wir in den Korridor. Zu beiden Seiten befanden sich die Türen zu den Büroräumen, in denen diese ihre Mandanten berieten. Ganz klassisch und konservativ. Kein Großraumbüro und abgesehen von der Eingangstür gab es auch keinerlei Glas. Seriosität schien bei Watson & Partners Trumpf gewesen zu sein. Ich fragte mich, weshalb diese Kanzlei ihren Sitz mit freiem Ausblick auf die künftige Stätte des zu erringenden juristischen Triumphs, den die Mitarbeiter von Watson & Partners für ihre Mandanten zu erringen hatten, aufgegeben hatte.
Das dritte Fenster musste sich im ersten oder zweiten Zimmer auf der rechten Seite befinden. Die Räume auf der anderen Seite des Korridors waren zur Rückseite ausgerichtet und kamen nicht in Frage.
Ich trat die erste Tür auf.
Milo sicherte auf dem Flur.
Ein kahler Raum ohne Möbel lag vor mir. Die Abdrücke auf dem hellblauen Teppichboden zeigte genau an, wo die einzelnen Möbelstücke gestanden hatten.
Beide Fenster waren geschlossen.
Ich schnellte zurück, machte Milo ein Zeichen.
Diesmal war er dran, die Tür aufzustoßen und den Raum als erster zu betreten, während ich auf dem Flur sicherte.
Mit der SIG in der Faust machte er einen Schritt in den Nachbarraum, dessen Tür nur angelehnt gewesen war. Das Fenster stand offen. Anders als in den ultramodernen Bürotürmen, die sich dreißig, vierzig oder noch mehr Stockwerke in den Himmel über Manhattan erheben, bei denen sich die Fenster oft aus Angst vor Selbstmördern gar nicht mehr öffnen lassen und Frischluft einzig über die Klimaanlage in die Räume gebracht werden kann, waren hier ganz herkömmliche Schiebefenster zu finden, wie sie in den meisten amerikanischen Häusern üblich sind.
Milo senkte die Waffe.
Dies war also der Ort, von dem aus geschossen worden war.
„Los, lass uns die anderen Räume noch kurz durchsuchen“, sagte Milo.
„Warte!“
„Was ist?“
„Hier stimmt was nicht.“ Ich deutete auf den Vorhang am Fenster. Er hing schlaff herunter, bewegte sich nicht. „Mister Conroy, öffnen Sie die Glastür!“, rief ich.
„Steht offen!“, gab Conroy einen Augenblick später zurück.
Milo sah mich verständnislos an. „Worauf willst du hinaus, Jesse?“
„Kein Durchzug, Milo! Der Kerl ist nicht durch die Glastür zu den Aufzügen gelaufen!“
„Sondern?“
Ich rannte über den Flur, stieß die Tür gegenüber auf. Sie war nur angelehnt. Mit der SIG in der Hand trat ich ein. Eines der zum Hinterhof ausgerichteten Fenster stand offen. Zugluft entstand und ließ die Tür hinter mir zuschlagen.
Ich lief zum Fenster und blickte in den Hinterhof. Ein Mann mit Baseball-Kappe und einer Sporttasche über der Schulter ging eiligen Schritts auf die etwa hundert Meter entfernte Ausfahrt des von mehrstöckigen Brownstone-Bauten eingerahmten Hinterhofs zu, der vor allem als Parkplatz diente.
Über eine Feuertreppe konnte man hinab gelangen. Ich zögerte keine Sekunde, schwang mich aus dem Fenster, erreichte den ersten Absatz der Feuertreppe und rannte sie hinunter.
„Stehen bleiben! FBI!“, rief ich dem Kerl mit der Baseball-Cap hinterher.
Der Kerl drehte sich um.
LAKERS stand in Großbuchstaben auf seiner Mütze. Die Augen waren durch eine Sonnebrille mit Spiegelgläsern verdeckt, sodass man von seinem Gesicht lediglich Nase und Kinnpartie sehen konnte.
Der Mann mit der LAKERS-Mütze griff unter seine blousonartige Jacke, riss eine Waffe hervor und feuerte sofort in meine Richtung.
Schüsse peitschten, kratzten Funken sprühend am Metallgestänge der Feuertreppe entlang oder gruben sich in das vergleichsweise weiche Brownstone-Mauerwerk.
Ich feuerte zurück.
Milo hatte inzwischen das Fenster erreicht und gab mir ebenfalls Feuerschutz.
Der Kerl rannte auf die Ausfahrt zu.
Ich sah zu, dass ich hinunter kam, nahm mehrere Stufen mit einem Schritt, sprang und rutschte, bis ich schließlich den Asphalt des Hinterhofs unter den Schuhen hatte.
Wieder peitschten Schüsse in meine Richtung. Ich duckte mich hinter einer parkenden Limousine, feuerte zurück, ohne jedoch zu treffen.
Der Mann mit der LAKERS-Mütze hatte jetzt die Einfahrt zum Hinterhof erreicht.
Ein Wagen bremste.
Es handelte sich um einen Ford in Silber Metallic. Der LAKERS-Mann richtete die Waffe auf den Fahrer, umrundete die Motorhaube, riss die Fahrertür auf und zerrte den etwa fünfzigjährigen Mann am Steuer grob heraus.
„Nicht schießen!“, zitterte der Ford-Fahrer.
Der Killer gab ihm einen Schlag mit dem Lauf seiner Pistole, der ihn niedersinken ließ. Dann setzte er sich ans Steuer. Er setzte den Wagen zurück. Rücksichtslos fuhr er auf die sich an die Einfahrt anschließende Straße. Ein Wagen bremste mit quietschenden Reifen.
Ich rannte hinterher, zielte auf die Reifen des Ford. Den vorne rechts erwischte ich. Der LAKERS-Mann startete trotzdem durch. Funken sprühten und ein Geruch von verbranntem Gummi verbreitete sich, als der Ford nach vorne schoss.
Der LAKERS-Mann vollführte mit dem Ford einen riskanten Fahrbahnwechsel. Ein Chevrolet musste bremsen. Zwei weitere Fahrzeuge fuhren auf. Ein Fahrradkurier konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen.
Mit aufheulendem Motor und über den Asphalt kratzender Felge vorne rechts dröhnte der Ford die Fahrbahn entlang.
Ich erreichte die Straße, sprang auf den Kofferraum eines parkenden Wagens, legte die SIG Sauer P226 an und feuerte.
Zwei Schüsse.
Einer traf den Reifen hinten rechts.
Es war ohnehin schon ein Wunder gewesen, wie der LAKERS-Mann es geschafft hatte, den Ford trotz des zerschossenen Vorderreifens in der Spur zu halten.
Jetzt brach er hinten aus, schabte an einer Reihe parkender Fahrzeuge entlang und blieb schließlich an einem von ihnen hängen.
Die beiden verbleibenden Reifen drehten durch.
Die Metallfelge sprühte Funken wie ein Schweißgerät.
Der LAKERS-Mann öffnete die Tür, riss die Waffe empor und feuerte in meine Richtung. Ich duckte mich, sprang vom Wagen und rannte hinter ihm er.
Keine fünfzig Meter entfernt befand sich eine Subway-Station. Der LAKERS-Mann rannte die Stufen hinab, die in die Tiefe führten. Hinunter in die unterirdische Stadt aus Subway-Bahnhöfen, Schienentunnels und Abwasserkanälen, von denen nur noch ein Bruchteil in Gebrauch war. Zehn Stockwerke tief reichte dieser Maulwurfsbau, wie er von New Yorkern oft liebevoll genannt wurde, unter die Oberfläche.
Ich setzte dem flüchtigen LAKERS-Mann, den ich für den Mörder Ray Azzaros hielt, weiter nach. Ein Strom von Menschen kam mir entgegen, hielt mich auf und es nützte mir auch nichts, dass ich mit meiner FBI-Marke herumwedelte. Es waren einfach zu viele. Schon nach wenigen Augenblicken hatte ich den LAKERS-Mann aus den Augen verloren. Aber noch war ich nicht bereit aufzugeben.
Schließlich erreichte ich den Bahnsteig.
Ein Zug fuhr gerade weg.
Der Bahnsteig war voller Menschen. Eine Minute später stand ich fast allein dort. Milo sah ich die Treppe hinunter kommen, die SIG in der einen und die FBI-Card in der anderen Hand.
Er sah sich suchend um.
Von dem LAKERS-Mann war nirgends eine Spur zu finden.
Ich steckte meine Pistole weg und griff stattdessen zum Handy, um sicherzustellen, dass der gerade Richtung Central Park abgefahrene Zug bei der nächsten Station von Kollegen des New York Police Department unter die Lupe genommen wurde. Meine knappe Täterbeschreibung sollte dabei helfen: Der Killer war mindestens einsachtzig groß, männlich, Baseball-Cap mit der Aufschrift LAKERS und eine Sporttasche der Firma Nike.
„Danach könnte man nicht einmal ein Phantombild fabrizieren, Jesse“, tadelte mich Milo, der alles mitbekommen hatte. Auch er steckte jetzt die SIG zurück ins Holster und ließ die FBI-Marke in der Jackentasche verschwinden.
„Sehr witzig, Milo! Leider hat der Kerl auf meine Aufforderung seine Brille nicht abgenommen, damit ich ihn besser sehen kann!“
Wir kehrten zurück zum Tatort.
Nur eine Viertelstunde später war dort bereits der Teufel los. Rund um das Portal des Gerichtsgebäudes natürlich auch. Ein Wagen des Coroners war vorgefahren, um die Leiche von Ray Azzaro abholen.
Der gesamte Bereich vor dem Gerichtsgebäude und um das gegenüberliegende Brownstone-Gebäude war abgesperrt worden. Uniformierte Kollegen der City Police hatten das übernommen. Außerdem waren ein halbes Dutzend G-men am Tatort eingetroffen, darunter unsere Kollegen Leslie Morell und Jay Kronburg. Clive Caravaggio, der stellvertretende Chef des FBI Field Office New York traf zusammen mit seinem Kollegen Orry Medina etwas später ein. Wenn ein Bluthund dieser Größe des organisierten Verbrechens selbst das Opfer eines Mordanschlags wurde, war das ein Fall für das FBI. Schließlich lag nahe, dass dahinter eine Fehde unter organisierten Gangsterbanden steckte.
Kollegen der Scientific Research Division, dem in der Bronx ansässigen zentralen Erkennungsdienst, dessen Einrichtungen und von allen New Yorker Polizeieinheiten benutzt wurden, trafen ein. In besonderen Fällen hatten wir darüber hinaus die Möglichkeit, auch unsere eigenen erkennungsdienstlichen Mitarbeiter und Labors einzuschalten.
In diesem speziellen Fall reichten die Kapazitäten unserer SRD-Kollegen vollkommen aus. Captain Ross McAllister, der Chief des 42. Precinct des New York Police Department leitete den Einsatz unserer Kollegen von der City Police. McAllister war ein bärbeißiger, sommersprossiger Mann mit roten Haaren. Seine irischen Vorfahren waren nicht zu leugnen.
„Einem Widerling wie Ray Azzaro dürfte wohl kaum jemand eine Träne nachweinen", meinte er, als wir uns zusammen mit meinem Kollegen Clive Caravaggio in einem der leer stehenden Büroräume von Watson & Partners trafen.
„Trotzdem werden wir den Mord an ihm mit derselben Intensität verfolgen, wie jedes andere Verbrechen", erwiderte ich. „Auch, wenn jetzt der eine oder andere sagen wird, dass es mit Azzaro den Richtigen getroffen hat."
„Einen Mann, der um keinen Preis der Welt hätte freikommen dürfen!“, war McAllister überzeugt. „Ich glaube nicht, dass ihm in East Harlem viele Leute vermissen werden!“
Clive zuckte die Achseln. „Wer weiß, vielleicht hat sogar dieser James Gutierrez ihn auf dem Gewissen…“
„Sein eigener Boss?“, fragte Milo.
„Warum nicht?“, erwiderte Clive. „Azzaro war für Gutierrez der Mann fürs Grobe – und so ein Mann fürs Grobe weiß doch häufig über die dunkelsten Kellerlöcher Bescheid, die sein Auftraggeber zu verbergen hat…“
„Wenn wir erst einmal den Killer haben, bekommen wir auch den Boss, der hinter ihm steht!“, war ich überzeugt. Die Liste derer, die Azzaro den Tod gewünscht hatten, musste ziemlich lang sein. Dutzende von kleinen Bar- und Ladenbesitzer in East Harlem, denen Azzaro im Auftrag von Gutierrez auf die Füße getreten war. Natürlich auch die Konkurrenz im Geldwäschergeschäft, die Azzaro recht erfolgreich eingedämmt hatte. Nach unseren Ermittlungen war Azzaro es gewesen, der seinem Boss den Weg nach oben buchstäblich frei geboxt hatte. Oft genug mit Unterstützung von einschlägig bekannten Kriminellen oder Straßengangs. Azzaro war schlau genug gewesen, sich die Hände nur dann schmutzig zu machen, wenn er vollkommen sicher sein konnte, nicht erwischt zu werden.
Mein Handy schrillte.
Es war die Zentrale. Ich bekam Bescheid darüber, dass unser Zeichner Agent Prewitt auf dem Weg zum Tatort war, um mit mir und Milo ein Phantombild des Täters zu erstellen, das möglichst schnell an die Medien gegeben werden sollte.
Miles Pendros von der Scientific Research Division trat zu uns. Ich kannte Miles von anderen Einsätzen her, hatte ihn aber in seinem schneeweißen Ganzkörperschutzanzug mit Kapuze und Mundschutz nicht erkannt. Erst jetzt, da er sich beides zur Seite schob, sah ich, mit wem ich es zu tun hatte.
„Hi, Miles!“
„Hi, Jesse.“
Er begrüßte auch die anderen und meinte schließlich: „Diese Anzüge sind das pure Grauen. Angeblich sollen die atmungsaktiv sein.“
„Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, im Außendienst zu sein“, grinste Milo.
Aber das Tragen dieser Schutzanzüge hatte sich in der Spurensicherung bewährt. Gerade die Technik der DNA-Analyse und der Einsatz von Luminol, um normalerweise unsichtbare oder teilweise schon entfernte Spuren sichtbar zu machen, hatten das Geschäft der Spurensicherung in den letzten Jahren revolutioniert. Eine Schuppe, die aus dem Haar eines Beamten rieselte, konnte am Tatort zu einem dermaßen verwirrenden Befund führen, dass der Fortgang der Ermittlungen dadurch stark verzögert wurde.
„Viel kann man im Moment noch nicht sagen“, erklärte Pendros. „Der Raum war leer, der Täter hat keine Patronenhülse hinterlassen und das Projektil kann erst nach der Obduktion der Leiche untersucht werden, denn soweit ich den Coroner verstanden habe, steckt es noch in Azzaros Kopf.“
„Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn die Waffe schon mal benutzt worden wäre!“, meinte Clive.
„Fingerabdrücke gibt es nirgendwo“, fuhr Pendros fort. „Der Täter hat Handschuhe getragen. Er hatte allerdings Öl unter den Füßen und hat deswegen ein paar Abdrücke produziert, die mit bloßem Auge fast nicht sichtbar sind, aber…“
„Ihr habt da so eure Tricks“, schloss ich.
Miles nickte.
„Worauf du wetten kannst! Der Kerl trug Turnschuhe der Marke Nike, Größe 41. Ich würde daher auf einen eher kleinen Täter schließen.“
„Ich habe den Mann gesehen“, sagte ich. „Eins achtzig war der mindestens, vielleicht sogar noch größer!“
Miles hob die Augenbrauen. „Schuhgröße 41 passt nicht so richtig dazu, oder?“
„Kannst du laut sagen!“
„Aber an den Messungen wirst da ja wohl nicht zweifeln wollen.“ Miles Pendros zuckte die Schultern und lächelte verschmitzt. „Wie ihr G-men das zusammenbringt – diesen großen Kerl und die kleinen Füße – das ist euer Problem. Aber dafür habt ihr ja eure berühmte Ausbildung in Quantico hinter euch.“ Ein bisschen Ironie schwang in Miles’ Worten mit. Ich hatte zufällig von einem seiner Kollegen mal gehört, dass Miles Pendros selbst mal versucht hatte, die Aufnahmetests der FBI-Akademie in Quantico zu bestehen und gescheitert war. Vielleicht kamen daher die Seitenhiebe auf das FBI, die er sich hin und wieder wohl einfach nicht verkneifen konnte.
„Das ist zumindest ein sehr auffälliges körperliches Merkmal, das uns bei der Fahndung helfen wird!“, glaubte Clive. „Was wollen wir mehr.“
Während der Zeit, wie wir am Tatort zubrachten, stellte sich noch mehr heraus. So waren sämtliche Fenster der siebten Etage geschlossen gewesen, wie die Mitarbeiter des Security Service versicherten. Auch die Spurenlage an dem Fenster zum Hinterhof, durch das der Täter über die Feuerleiter geflüchtet war, ergab, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf diesem Weg das Gebäude betreten hatte.
Vielmehr sprach alles dafür, dass er auf dem herkömmlichen Weg in die ehemaligen Räumlichkeiten von Watson & Partners gelangt war.
Mit Hilfe von Bo Hennessy fanden wir schließlich die entsprechende Video-Sequenz der Überwachungskamera im Eingangsbereich.
In dieser Sequenz sprach er kurz mit einem der Security Guards, dessen Identität schnell ermittelt war. Er hieß Brendon Carlovich, war vierunddreißig Jahre alt und galt nach Bo Hennessys Angaben als außerordentlich zuverlässig. Die Video-Sequenz konnte uns, was das Äußere des Killers anging, zwar nicht wirklich weiterhelfen, abgesehen davon, dass sich unsere Spezialisten vom Innendienst darum kümmern konnten, ob der Kerl mit der LAKERS-Mütze tatsächlich auch Schuhgröße 41 hatte, was mit Hilfe neuester biometrischer Messverfahren auch anhand von Videoaufnahmen möglich war.
Carlovich konnte sich jedoch über die bekannten Details hinaus noch an zwei weitere wichtige Einzelheiten erinnern. Erstens hatte der LAKERS-Mann Carlovichs Angaben nach stark nach Menthol und Zigaretten gerochen. Und zweitens konnte sich der Wachmann daran erinnern, dass er sich nach der Kanzlei Bridger, Garland & Associates im achten Stock erkundigt.
„Ich habe kurz bei der Kanzlei durchgerufen, um mich danach zu erkundigen, ob er dort tatsächlich einen Termin hatte. Sonst hätte ich ihn gar nicht zu den Fahrstühlen gelassen", berichtete Carlovich. „Sicherheit wird bei uns nämlich groß geschrieben, müssen Sie wissen."
„Hat er einen Namen genannt?", fragte ich.
Carlovich nickte. „John Smith."
„Nicht besonders originell."
„Habe ich auch gedacht, Agent Trevellian. Aber wenn Bridger, Garland & Associates einen Termin mit einem gewissen John Smith vereinbart hat und in der Eingangshalle taucht jemand mit diesem Namen auf, dann habe ich keinen Grund, denjenigen daran zu hindern, das Gebäude zu betreten."
„Es macht Ihnen auch niemand einen Vorwurf", versicherte ich.
„Wer hätte auch schon ahnen können, dass es sich bei diesem Typ um einen Killer handelt! Schließlich können wir unmöglich bei all den Mandanten der in diesem Haus residierenden Anwälte Leibes- und Gepäckvisitationen durchführen. Dann hätten wir sehr schnell deren gesamte Mandantenschaft verprellt."
Wenig später statteten wir der Kanzlei Bridger, Garland & Associates einen kurzen Besuch ab. Wir bekamen dort die Auskunft, dass tatsächlich ein Mann namens telefonisch um einen Termin gebeten hatte. Er wollte angeblich Rechtsauskunft in einer Erbschaftsangelegenheit.
Wie unsere Kollegen Leslie Morell und Jay Kronburg herausfanden, hatte dieser ominöse "John Smith" auch in zwei anderen Kanzleien angerufen, um einen Termin zu bekommen, war dort jedoch auf spätere Termine vertröstet worden.
Inzwischen traf unser Zeichner Agent Prewitt ein, der zusammen mit dem Security Guard Carlovich, Milo und mir ein Phantombild erstellte. Dazu benutzte er natürlich schon lange nicht mehr Block und Bleistift, sondern ein hochmodernes Laptop mit einer speziellen Software zur Erstellung brauchbarer Phantombilder.
Da in diesem Fall niemand besonders viel vom Gesicht des Verdächtigen gesehen hatte, blieb das Ergebnis trotz eines Top-Bildprogramms und dem unbestreitbaren Können Agent Prewitts eher dürftig.
Wir waren gerade damit fertig, als uns ein sehr interessantes Ergebnis der SRD-Kollegen erreichte.
Es war Miles Pendros, der mir die Neuigkeit per Handy mitteilte.
„Am Schloss der Glastür, die zu den Räumen von Watson & Partners sind keinerlei Spuren eines Einbruchs erkennbar. Da wir davon ausgehen, dass der mutmaßliche Täter über diesen Weg an den Tatort gelangt ist, muss man daraus eigentlich den Schluss ziehen, dass er wahrscheinlich einen Schlüssel hatte oder ihn jemand hereingelassen hat, Jesse."
„Ich danke dir, Miles."
Wenig später besprach ich die Sache mit Milo und Clive.
„Wenn ihr mich fragt, dann gibt es da nur zwei Möglichkeiten, wie er an den Schlüssel herangekommen sein kann", sagte Clive. „Entweder er hatte einen Helfer bei den Wachleuten oder bei Watson & Partners.“
„Dürfte auf jeden Fall interessant sein, diese Kanzlei mal unter die Lupe zu nehmen", fand ich.
Es war später Nachmittag. James Gutierrez saß mit zwei dunkelhaarigen Schönheiten in den Armen an einem Tisch im Buena Vista Club in der 110. Straße Ost, einer Latino-Disco, die als Tummelplatz von Kokain-Dealern für den gehobenen Bedarf bekannt war. James Gutierrez kontrollierte diesen Laden über einen Strohmann namens Rex Hueldez. Der Buena Vista Club diente ihm vor allem zur Geldwäsche. Gewinn brauchte der Club ansonsten kaum abwerfen. Tat er es doch – um so besser.
Wichtig war nur, dass der Umsatz möglichst hoch war. Je höher der Umsatz, desto mehr schwarzes Geld konnte man durch ihn hindurch schleusen und zu schneeweißem Kapital machen, mit dem sich ganz legale Geschäfte machen ließen. Und genau darauf waren sie alle aus, die mit illegalen Geschäften ihr Geld machten. Die Drogenbarone ebenso wie die Paten der Müll-Mafia oder Falschgeldhändler, die mit dem Export von falschen Dollar-Noten nach Südamerika oder in die ehemaligen GUS-Staaten ein Vermögen machten.
Das Problem blieb immer dasselbe - und Männer wie James Gutierrez hatten die Lösung dafür.
Die Drogenhändler, die allabendlich im Club herumhingen und ihren Stoff an Rechtsanwälte, Yuppies aus der Wall Street und andere Kunden verhökerten, die bereit waren, für guten Koks etwas mehr auszugeben, als man an den Straßenecken der Bowery oder in der South Bronx dafür hinblättern musste, nahm Gutierrez eigentlich nur in Kauf. Im Grunde stellten sie eine Gefahr für sein Geschäft dar - wenn auch nicht ihn persönlich, denn im Zweifelsfall musste sein Strohmann für alle rechtlichen Folgen den Kopf hinhalten.
Gutierrez waren diese schmierigen Typen, die allabendlich an den Tresen herumhingen oder ihre Hüften zu den Latino-Rhythmen wiegten, die im Buena Vista gespielt wurden, zuwider.
Aber da es die Leute von Benny Duarte waren, dem Koks-König von East Harlem, der es geschafft hatte, so etwas wie der Generalvertreter eines kolumbianischen Drogensyndikats im Big Apple zu werden, konnte James Gutierrez die Koksdealer nicht aus dem Buena Vista und anderen seiner Clubs verbannen. Schließlich war Benny Duarte einer seiner wichtigsten Kunden. Davon abgesehen hatte er mehr Männer unter Waffen als sonst irgendjemand in East Harlem, dem Latino-Viertel von New York, in dem Puertoricaner, Exil-Kubaner, Kolumbianer und Mexikaner lebten. Die Puertoricaner stellen dabei die weitaus größte Gruppe dar. Gutierrez’ Eltern waren auch von der Insel gekommen. Er selbst war allerdings bereits in East oder auch Spanish Harlem geboren worden, das im Süden an Yorkville, im Westen an das schwarze Harlem und im Osten an den East River grenzte.
Richtung Norden trennte es der Harlem River von der South Bronx, die inzwischen ebenfalls eine sehr starke puertoricanische Gemeinde besaß.
Für Gäste hatte das Buena Vista um diese Zeit noch gar nicht geöffnet. Aber bevor der Publikumsverkehr losging, wolle der Boss sich noch etwas amüsieren. Eine Champagnerflasche stand auf dem Tisch. Die Gläser schäumten über und die beiden Girls, die Gutierrez im Arm hielt, schienen bester Laune zu sein.
Rex Hueldez, Gutierrez’ Strohmann stand hinter dem Schanktisch und beobachtete misstrauisch die Szene. Hueldez war Mitte dreißig, hatte dunkel gelocktes Haar und sehr hager. Er hatte bei Gutierrez als Türsteher angefangen. Jetzt konnte er sich Clubbesitzer nennen, auch wenn ihm durchaus klar war, dass er seine Existenz auch jetzt noch zu hundert Prozent Gutierrez verdankte.
„Auf die Zukunft, Muchachas!“, rief Gutierrez, der bereits mehrere Champagnergläser gelehrt hatte.
Die Girls kicherten.
Aber dieses Kichern erstarb von einem Augenblick zum anderen, als die Eingangstür um Buena Vista zur Seite flog.
Ricky Balbo, der breitschultrige und fast zwei Meter große Türsteher des Buena Vista, taumelte durch den Raum und flog der Länge nach zu Boden. Mit einem Fluch auf den Lippen wischte er sich das Blut von der Nase.
Ein unglaublich dicker Mann Anfang vierzig und in einen schneeweißen Maßanzug gekleidet, betrat den Raum. Das blauschwarze Haar war nach hinten gekämmt.
Drei Kerle mit schwarzen Rollkragenpullovern und Bodybuilderfigur begleiteten ihn. Sie trugen Maschinenpistolen vom Typ MP 7 der Firma Heckler und Koch im Anschlag.
„Mister Duarte!“, stieß Gutierrez völlig verblüfft hervor.
Mit allem hätte er jetzt gerechnet, nur nicht damit, dass ausgerechnet Benny Duarte ihm einen Besuch abstattete.
Der Koks-König von East Harlem deutete auf den am Boden liegenden Balbo.
„Lausige Bodyguards beschäftigen Sie, Gutierrez!“, tadelte er den Mann hinter den Champagnergläsern.
Die Girls saßen jetzt auf einmal ziemlich steif da. Ihre Gesichter erbleichten.
Benny Duarte trat näher.
Hueldez machte eine unbedachte Bewegung, die damit quittiert wurde, dass gleich zwei von drei MP7-Läufen auf ihn gerichtet wurden.
„Hey, keine Panik! Am besten, wir bleiben alle ganz ruhig!“, zeterte Hueldez.
Duarte steckte sich eine Zigarre in den Mund und zündete sich an.
„Indem Sie das hier dulden, begehen Sie gerade eine Ordnungswidrigkeit, Hueldez“, lachte Duarte, blies den Rauch in die Luft und lächelte kalt. „Schließlich ist das Rauchen in sämtlichen Lokalen des Big Apple verboten – und bei Zuwiderhandlung wird der Besitzer in Regress genommen!“
„Mister Duarte, ich...“, flüsterte Hueldez, aber der Mann in Weiß bedeutete ihm mit einer kurzen, knappen Geste zu schweigen. „Gehe Sie einfach eine Weile spazieren, klar?“
Hueldez wandte den Blick in Gutierrez’ Richtung.
„Ist schon in Ordnung, Rex!“, sagte dieser.
Duarte versetzte dem am Boden liegenden Türsteher einen Tritt. „Und nehmen Sie diese Stück Scheiße mit, Hueldez! Ich will mich mit Ihrem Boss mal ungestört unterhalten.“
Ricky Balbo bleckte die Zähne wie ein Raubtier. Die obere Reihe war so gleichmäßig, dass sie falsch sein musste. Er ballte die Fäuste.
„Ist schon gut!“, schritt jetzt Gutierrez ein. „Tut, was Mister Duarte wünscht!“
„Ist das Ihr Ernst, Mister Gutierrez?“, vergewisserte sich Ricky Balbo.
„Sí, claro!“, bestätigte Gutierrez.
Balbo erhob sich. Zusammen mit Hueldez verließ er den Raum.
„Ihr verschwindet auch besser!“, knurrte Duarte die beiden Girls an Gutierrez’ Tisch an. „Tut mir wirklich leid, normalerweise habe ich nichts gegen charmante Gesellschaft, aber diesmal stören mich eure Ohren…“
Die beiden jungen Frauen ließen sich das nicht zweimal sagen und verzogen sich sofort – offensichtlich froh darüber, den Raum verlassen zu können. Gutierrez schluckte.
„Jetzt sind wir allein, Gutierrez!“
„Wollen Sie einen Schluck Champagner, Mister Duarte?“
„Was gibt’s denn zu feiern?“
„Was wollen Sie?“
Duarte setzte sich an den Tisch und ließ sich dabei von einem seiner Leibwächter den Stuhl zurechtrücken. Den Zigarrenrauch blies er Gutierrez direkt ins Gesicht.
„Unser beide Geschäfte sind – wie soll ich mich da angemessen ausdrücken? Ziemlich eng miteinander verwoben!“
„Sí, es verdad“, murmelte Gutierrez fast tonlos. „Das stimmt…“
„Und da werden Sie es doch sicher verstehen, dass ich anfange, mir Sorgen zu machen, wenn ein Kerl, der als Gutierrez’ Bluthund bekannt wurde, plötzlich ungeniert von einem Profikiller auf den Stufen des Gerichtsgebäudes niedergestreckt wird!“
„Sie sprechen von Azzaro!
„Natürlich spreche ich von Azzaro – und wie Sie hier so ruhig sitzen und Champagner schlürfen können, ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich!“
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
Einer von Duartes Leibwächtern zapfte sich ungefragt ein Bier und trank es halbleer, bevor er den Mund verzog und es mit vor Ekel verzerrtem Gesicht stehen ließ.
„Ich habe keine Ahnung, wer hinter dem Anschlag auf Azzaro steckt“, behauptete Gutierrez.
„Wirklich nicht? Eigentlich liegt es nahe, dass jemand von Ihrer direkten Konkurrenz dahinter steckt. Jemand, der Sie treffen will und Ihnen dafür erst einmal einen Bauern aus dem Spiel nimmt. Aber ich nehme an, dass Azzaro in Ihrem ganz persönlichen Spiel sehr viel mehr als nur ein Bauer war – habe ich Recht?“
„Hören Sie, Mister Duarte, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich habe meine Organisation im Griff und gegen Konkurrenz kann ich mich wehren…“
„Mit diesem Jammerlappen von Bodyguard, der wie eine Vogelscheuche vor der Tür herumstand?“ Duarte lachte rau. „Das ist doch nicht Ihr Ernst. Hier kann doch jeder hereinspazieren und Sie umlegen, Gutierrez!“ Duarte beugte sich etwas weiter vor und sprach nun in gedämpftem Tonfall. „Sie stecken in Schwierigkeiten, Gutierrez. Und zufällig bin ich der Mann, der Sie raus hauen kann – oder haben Sie vielleicht Ihren Bluthund selbst umbringen lassen, weil er Ihnen lästig wurde? Weil er vielleicht zu gierig wurde und sich all die kleinen, schmutzigen Geheimnisse, die er mit Ihnen teilt, bezahlen lassen wollte?“
„Sie erwarten doch nicht im Ernst, dass ich dazu jetzt etwas sage!“
„Wenn erst die Homicide Squad oder das FBI auf der Matte stehen, werden Sie antworten müssen, Gutierrez und ich kann nur auch in meinem eigenen Interesse hoffen, dass Sie sich bis dahin Ihre Antworten etwas besser zurechtgelegt haben, anstatt Champagner zu schlürfen!“
„Ich weiß Ihre Sorge um mich zu schätzen, Mister Duarte“, erwiderte Gutierrez, dem bereits der Schweiß auf der Stirn stand. Ihm war klar, worauf Duarte hinauswollte. Und das gefiel ihm ganz und gar nicht… „Ich komme sehr gut allein zurecht. Dass es zwischendurch mal ein paar Schwierigkeiten gibt, wissen Sie ja wohl auch aus eigener Erfahrung.“
„Ich mache Ihnen ein Angebot“, sagte Duarte.
Ein Angebot von der Sorte, die man nicht ablehnen kann!, dachte Gutierrez bitter. Genau so etwas hatte er erwartet. Aber nicht mit ihm! Er war entschlossen, Duarte die Stirn zu bieten – wenn auch vielleicht nicht gerade jetzt, da die Läufe mehrerer Maschinenpistolen vom Typ MP 7 auf ihn gerichtet waren.
„Ich schütze Ihre Geschäfte, Mister Gutierrez und dafür bekomme ich einen Anteil von allem, was Sie an Gewinn einstreichen von sagen wir dreißig Prozent. Ich bin ja kein Unmensch und möchte natürlich auch, dass Sie existieren können. Aber für den Schutz muss ich nun einmal gewisse Unkosten vorstrecken… Sie haben sicher Verständnis dafür.“
„Ich werde mir Ihren Vorschlag durch den Kopf gehen lassen, Mister Duarte…“
Duarte schnipste mit den Fingern, woraufhin einer der Bodyguards seine MP7 an einen der anderen Gorillas weiterreichte. Der Kerl begann mit den Fingerknochen zu knacken.
„Die direkte spanische Übersetzung des Wortes ‚Killer’ lautet ‚Matador’, wie jeder der in Spanish Harlem aufgewachsen ist, sich erinnern sollte“, begann Duarte. Er sprach mit leiser, wispernder Stimme, deren Klang Gutierrez an klirrendes Eis erinnerte. „Matador hört sich sehr viel poetischer an als Killer – finden Sie nicht, Mister Gutierrez?“ Duarte deutete auf den Kerl, der sich offenbar anschickte, Gutierrez zusammenzuschlagen. „Matador – das ist sein Spitzname. Er tötet langsam. Er weiß, wie man Schmerzen zufügt. Wenn er mit Ihnen fertig ist, werden Sie ein Krüppel sein, Gutierrez…“
„Pfeifen Sie Ihren Dobermann zurück!“, zeterte Gutierrez.
„Was soll ich machen? Er hatte in letzter Zeit wenig zu tun und braucht wieder Übung!“
Matadors Pranke schnellte blitzschnell vor. Er packte Gutierrez’ Nase, drehte sie her herum. Gutierrez schrie. Blut lief ihm über das Gesicht.
„Okay, okay...“, stieß Gutierrez schließlich hervor, nachdem er sich wieder gefasst hatte. „Dreißig Prozent sind in Ordnung.“
„Fünfunddreißig“, verlangte Duarte. „Dreißig hätte ich genommen, wenn es ohne irgendwelche Schwierigkeiten zu einer Einigung gekommen wäre.“
Gutierrez schluckte.
Hass leuchtete in seinen Augen.
Aber er konnte nichts tun.
Nicht jetzt…
Matador packte Gutierrez’ Handgelenk bis es knackte. Und der Wäscher von East Harlem schrie.
„Wir sind uns also einig“, stellte Duarte fest.
„Ja“, knurrte Gutierrez.
Der dicke Mann im schneeweißen Anzug erhob sich. Ein triumphierendes Grinsen stand auf seiner Stirn. „Ich habe immer gerne mit Ihnen Geschäfte gemacht, Gutierrez. Und ich hoffe, dass das noch lange so bleibt – zukünftig auch gerne wieder in angenehmerer Gesprächsatmosphäre. Aber das liegt ganz bei Ihnen. Und jetzt noch eine Sache: Wer spuckt Ihnen ins Geschäft, Gutierrez? Wer immer es ist, ich blas ihn aus dem Weg…“
Milo und ich fuhren später zur neuen Residenz von Jeffrey Watson, dem ehemaligen Chef von Watson & Partners.
Per Handy versorgte uns die Zentrale über alle gegenwärtig über Watson vorliegenden Informationen. Agent Max Carter, einer unserer Innendienstler aus der Fahndungsabteilung, hatte auf die Schnelle herausfinden können, dass die Kanzlei vor kurzem aufgelöst worden war.
Trotzdem waren alle drei Teilhaber weiterhin an der Verteidigung in Ray Azzaros jüngstem Prozess beteiligt gewesen. Schließlich war jeder von ihnen nach wie vor als Anwalt zugelassen.
„Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!“, meinte Milo. „Ein Gangster stirbt durch einen Schuss, der aus der Kanzlei seines Anwalts abgegeben wurde. An Zufälle glaubt doch da niemand!“
Zuvor hatte Watsons Kanzlei immer wieder Mandanten aus dem Umfeld von James Gutierrez verteidigt, darunter mehrere Drogenhändler, die wir der Organisation von Benny Duarte zurechneten, einem Drogenkönig, der unseren Erkenntnissen nach in geschäftlichen Verbindungen zu Gutierrez stand, ohne dass wir einem der beiden daraus bislang einen Strick hätten drehen können.
Watsons gegenwärtige Wohnung war eine Traumetage am Ende der Fifth Avenue mit Blick auf den Central Park.
Wir hatten gerade einen Parkplatz gefunden, als Milos Handy schrillte. Es war noch einmal Agent Carter aus dem Innendienst. Er war auf einen interessanten Fall gestoßen, der vor drei Jahren vor Gericht ausgetragen worden war. Ray Azzaro war wegen schwerer Körperverletzung und Drogenhandel angeklagt und aus Mangel an Beweisen schließlich freigesprochen worden. Der Verteidiger in diesem Verfahren war ebenfalls niemand anderes als Jeffrey Watson gewesen, Senior Partner der Kanzlei Watson & Partners.
Wir fuhren in den zwölften Stock des exklusiven Appartementhauses in dem er jetzt residierte. Die Miete dieser Traumetage musste mindestens das Dreifache dessen betragen, was ihn die Räumlichkeiten in dem Brownstone-Bau gegenüber dem Gerichtsgebäude gekostet hatte.
Aber Jeffrey Watson schien sich das leisten zu können.
An seiner Wohnungstür verriet kein Schild, dass sich hier die Residenz eines Anwalts befand. Ob er überhaupt noch ein Büro unterhielt, war noch keineswegs klar.
Ich betätigte die Klingel.
Ein Kameraauge nahm uns ins Visier.
Ein paar Augenblicke später ertönte eine leise Stimme aus der Sprechanlage. „Sie wünschen?“
„Jesse Trevellian, FBI!“, meldete ich mich und hielt meine ID-Card in die Kamera. „Mein Kollege Special Agent Milo Tucker und ich habe im Zusammenhang mit der Ermordung eines ehemaligen Mandanten von Ihnen ein paar Fragen.“
„Werfen Sie Ihren FBI-Ausweis bitte durch den Briefschlitz, damit ich mich von dessen Echtheit überzeugen kann.“
Ich zuckte die Achseln, wechselte einen kurzen Blick mit Milo und warf schließlich meine ID-Card durch den Briefschlitz.
Wenig später öffnete sich die Tür. Ich hörte, wie mehrere Ketten und zusätzliche Sicherheitsschlösser geöffnet wurden.
Ein kleiner, hagerer Mann mit etwas wirren Haaren stand vor uns. Ich erkannte ihn von seinen Auftritten im Gerichtssaal wieder und schätzte ihn auf etwa fünfzig Jahre. Seine Brille mit den dicken, viereckigen Gläsern und der knallroten Fassung wirkte sehr auffällig.
„Mister Jeffrey Watson?“, vergewisserte ich mich.
„Der bin ich. Kommen Sie herein“, sagte er und winkte uns mit einer lässigen Geste zu.
Er drehte sich um. Wir folgten ihm, während die Tür hinter uns von selbst ins Schloss fiel. Watson brachte uns in sein Wohnzimmer, das mehr Quadratmeter hatte, als die meisten New Yorker Wohnungen insgesamt.
Kaum etwas ist im Big Apple – und vor allem in Manhattan – so knapp wie Wohnraum. Die verschwenderische Art und Weise in der Watson damit umging, schien fast so etwas wie eine Demonstration zu sein. Er wollte damit jedem Besucher zeigen, dass er es geschafft hatte und es sich leisten konnte, eine Fläche, die sich gut und gerne für eine fünfstellige Summe im Monat vermieten ließ, einfach so gut wie leer stehen zu lassen.
Die Einrichtung des Wohnzimmers, in das er uns führte, war von genauso demonstrativer Schlichtheit. Ein paar Regale in Metalloptik. Ein abstraktes, großformatiges Bild, das Kreise und Quadrate auf einer hellblau grundierten Fläche sich abwechseln und ein Muster erzeugen ließ, das sich wahrscheinlich vielfältig interpretieren ließ, eine Designer-Lampe in Form eines Schlangenkopfes, in deren Rachen ein großer Halogenscheinwerfer strahlte – das war schon beinahe alles. Diese Wohnung hatte kaum etwas, das eine persönliche Note verriet. Außer einer Bibel, einem Windows-Handbuch und einem Ratgeber für legale Steuertricks gab es keinerlei Bücher.
„Bitte setzen Sie sich“, forderte Jeffrey Watson uns auf. Wir nahmen in tiefen Ledersesseln Platz, die rund um einen Glastisch gruppiert waren.
„Ich denke, Ihnen ist der Name Ray Azzaro ein Begriff“, begann ich.
„Oh, natürlich ist er das!“, fiel mir Watson ins Wort. „Natürlich! Vor allem seit die lokalen Fernsehnachrichten ausführlich über das Attentat auf ihn vor dem Gerichtsgebäude berichtet haben.“ Watson schüttelte energisch den Kopf, während seine Gesichtszüge einen nachdenklichen Ausdruck zeigten. „Ich sage Ihnen, mit diesem Land geht es bergab. Es gibt keinen Respekt mehr vor dem Gesetz und selbst auf den Stufen eines Gerichtsgebäudes ist man nicht mehr sicher davor, einfach durch eine Kugel niedergestreckt zu werden."
„Mister Azzaro war ein Mandant von Ihnen", stellte ich sachlich fest.
„Allerdings!“
„Konnten Sie ihn nicht an seinem peinlichen Auftritt auf den Stufen des Portals hindern?“
„Ich war immer jemand, der dem Gedränge und dem Blitzlichtgewitter ausgewichen ist – Azzaro hingegen hat es in dem Moment wahrscheinlich genossen.“
„Bis zu dem Augenblick, da ihm eine Kugel in den Schädel fuhr. Sie waren zuvor schon einmal für Ray Azzaro juristisch tätig.“
Watson nickte.
„Das dürfte aber schon ein paar Jahre her sein, Mister..."
„Trevellian, stellvertretender Special Agent in Charge" , stellte ich zum zweiten Mal vor und fragte mich dabei, ob er nur so tat, als ob er sich meinen Namen nicht hatte merken können und das vielleicht eine ganz bewusst eingesetzte Geste der Geringschätzung war, mit der ich es da zu tun hatte, oder ob er zeitweise wirklich so fahrig und vergesslich aufzutreten pflegte. Meine Eindrücke im Gerichtssaal entsprachen dem jedenfalls nicht. Mir fiel gleich die gerötete Nase auf. Möglich, dass er nur einen Schnupfen hatte, aber da er während unseres gesamten Gesprächs nicht einmal die Nase schnäuzte, tippte ich eher auf einen anderen Grund für seine zerstörten Nasenschleimhäute. Im Laufe der Zeit bekommt man einen Blick für eine durch das Schnupfen von Kokain ruinierte Nase. Für einen Blütenpollenallergiker schniefte er entschieden zu wenig und außerdem hätte er schon ausgesprochen dämlich sein müssen, sich ausgerechnet eine Wohnung zu nehmen, die nur ein paar Schritte vom Central Park entfernt lag.
„Azzaro wurde von Ihrer ehemaligen Kanzlei aus erschossen. Sie sind doch noch Mieter der Etage in dem zehnstöckigen Brownstone-Haus gegenüber dem Gerichtsgebäude."
„Aber nur noch für einen Monat", erwiderte Watson. „Dann läuft der Mietvertrag aus. Leider war es mir nicht möglich, vor dem Ende der Kündigungsfrist einen Nachmieter zu benennen." Er zuckte die Achseln. „Die Zeiten werden härter, selbst für Anwälte, auch wenn es keiner glauben mag."
„Für Sie scheint das ja nicht zuzutreffen", mischte sich Milo in das Gespräch ein.
Watsons Augen verengten sich. „Was wollen Sie damit sagen? Wollen Sie mir irgendetwas anhängen? Dann kann ich Sie nur warnen..."
„Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen vor Gericht die Klingen zu kreuzen", schnitt Milo ihm das Wort ab. „Warum also so empfindlich?"
„Was mein Kollege damit sagen wollte ist lediglich, dass es jemandem, der sich in einer Traumetage in der Fifth Avenue mit Blick auf den Central Park zur Ruhe setzen kann, finanziell nicht gerade schlecht gehen kann," ergänzte ich.
„Meine Finanzen gehen Sie nichts an, und wie kommen Sie überhaupt darauf, dass ich mich zur Ruhe gesetzt hätte?"
„Wie ein Büro sieht das hier nicht gerade aus", stellte ich fest.
„Ich bin mir sicher, dass ich nicht verpflichtet bin, Ihnen diese Fragen zu beantworten!"
„Gut, dann beantworten Sie mir doch bitte eine andere."
„Ich bin gespannt, G-man!"
„Wie kommt der Killer, der Azzaro auf dem Gewissen hat, an den Schlüssel zu Ihren ehemaligen Kanzlei-Räumen?"
Watson sah mich völlig entgeistert an. Er schien fassungslos zu sein. „Wie bitte?"
„Sie haben meinen Kollegen schon richtig verstanden", bestätigte Milo. „Nach den Erkenntnissen der Spurensicherung steht fest, dass der Täter einen Schlüssel hatte. Und eine der Adressen, von denen er diesen Schlüssel haben könnte, sind Sie!“
„Warten Sie!“, verlangte Watson. Er ging mit großen Schritten auf eine Tür zu, schob sie zur Seite. Dahinter befand sich ein weiterer Raum, der ebenfalls sehr spärlich, aber mit edlem Mobiliar eingerichtet war.
Watson ging an einen kleinen Schrank, holte insgesamt drei Schlüssel hervor und hielt sie Milo und mir wenige Augenblicke später vor die Nase. „Watson & Partners besaß drei Schlüssel und hier sind drei Schlüssel. Was wollen Sie mehr?“
„Was ist mit Ihren ehemaligen Teilhabern?“
„Ihre Schlüssel sind dabei. Mit der Abwicklung der Kanzlei haben sie nichts mehr zu tun. Ich hatte es übernommen, mich um einen Nachmieter zu kümmern, also habe ich die Schlüssel.“
„Geben Sie uns bitte die gegenwärtigen Adressen Ihrer ehemaligen Teilhaber“, verlangte ich.
„Da wollen Sie also auch noch herumschnüffeln. Tun Sie es ruhig. Die Adressen schreibe ich Ihnen auf.“
Ich wunderte mich etwas über Watsons feindselige, sehr nervöse und dünnhäutige Art. Schließlich kannte er das Spiel doch bestens, nur dass er diesmal nicht Verteidiger sondern Zeuge war. Zunächst einmal. Wer konnte schon wissen, wie sich das weiter entwickelte?
„Jeder von Ihnen hätte eine Kopie anfertigen können“, erklärte ich.
„Ja sicher! Und außerdem der Besitzer des Appartementhauses sowie jeder der Wachmänner, die ja Zugang zu Generalschlüsseln hatten, um im Notfall in die Wohnungen eintreten zu können“, verteidigte sich Watson. „Ich weiß nicht, welchen Strick Sie mir da drehen wollen, aber daraus wird nichts. Sie fischen im Trüben!“
Abwarten!, dachte ich. Die Verbindungen, die sich zwischen Watson und unserem Fall ergaben, waren für meinen Geschmack zu eindeutig, um auf Zufall basieren zu können. Welche Rolle er allerdings in diesem Stück spielte, würden wir noch ermitteln müssen.
„Erzählen Sie uns so viel wie möglich über Ray Azzaro“, verlangte ich schließlich. „Und natürlich über jeden, der einen Grund haben könnte, ihn töten zu lassen!“
Am frühen Abend versuchten unsere Kollegen Leslie Morell und Jay Kronburg den „Wäscher von East Harlem“ aufzutreiben. Gutierrez hatte mehrere Wohnungen über ganz Manhattan verstreut. Es gab verschiedene Residenzen, die er über Strohmänner gekauft hatte und von deren Existenz nur sehr wenige Personen etwas wussten.
Manche munkelten, dass Gutierrez von Paranoia befallen wäre, andere waren der Überzeugung, dass er genug Feinde hatte, um gute Gründe für seine Angst zu haben.
Aber trotz seiner Ängste hätte Gutierrez niemals darauf verzichtet, sich Abend für Abend in einem der Clubs zu zeigen, die unter seiner Kontrolle standen. Das musste er schon deshalb tun, um allen Konkurrenten deutlich zu machen, dass er nach wie vor die Fäden in der Hand hielt und an ihm niemand vorbeikam, der in East Harlem aus Schwarzgeld schneeweißes Investmentkapital zu machen beabsichtigte.
Im New Vanguard, einer Bar in der 108. Straße Ost kontaktierten Leslie und Jay einen Mann namens Greg Tambino, der hin und wieder als Informant für uns tätig war. Er glaubte zu wissen, dass Gutierrez den heutigen Abend im Buena Vista, einem seiner derzeit angesagtesten Clubs geplant hatte. „Das ist eine Latino-Disco“, meinte Tambino. „Aber das Publikum besteht zum Großteil aus ganz gewöhnlichen Anglo White Americans. Die Preise sind gepfeffert. G-men wie Sie können sich von Ihrem Spesenkonto dort wahrscheinlich nicht einmal einen Tequila bestellen…“ Tambino kicherte in sich hinein, während Jay Kronburg dem Barkeeper im New Vanguard ein Zeichen gab, damit dieser Tambino das Glas nachfüllte.
„Wie kommen Sie darauf, dass Gutierrez heute dort ist?“, hakte unterdessen unser Kollege Special Agent Leslie Morell nach.
Tambino kicherte nur.
„Glauben Sie, ich gebe Ihnen meine Quelle preis, damit das Geld, das Ihr G-men in mich investiert in Zukunft anders wohin fließt!“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Ich mag vielleicht ab und zu einen über den Durst trinken, aber das heißt noch lange nicht, dass es hier oben bei mir schon aussetzt!“, glaubte er und tickte sich dabei mit dem Zeigefinger der rechten Hand gegen die Schläfe. „Er ist dort, verlassen Sie sich drauf.“
„Ab wann?“
„Jetzt schon. Und ich habe noch etwas ziemlich Interessantes gehört.“
„Und was?“, knurrte Jay mäßig interessiert. Er wusste nicht so recht, wie er die Qualität dieser Quelle nun eigentlich einordnen sollte. In der Vergangenheit hatten wir von Tambino schon so manchen wertvollen Tipp erhalten, aber in letzter Zeit war nichts Brauchbares mehr unter seinen Informationen gewesen. Nichts, worauf sich später irgendeine Festnahme oder Ähnliches hätte stützen lassen. Das Meiste waren derzeit Gerüchte und Dinge, die Tambino vom Hörensagen her wusste.
Er beugte sich vor, sprach plötzlich so leise, dass man ihn kaum verstehen konnte. „Gutierrez soll, als er in den Lokalnachrichten des Fernsehens von Azzaros Tod gehört hat, eine Flasche seines besten Champagners geköpft haben!“
„Und Sie waren dabei – oder woher wissen Sie das so genau?“, fragte Jay ungläubig.
„Wenn ich’s Ihnen doch sage! Er hat sich gefreut, dass es Azzaro erwischt hat!“
„Aber das passt doch nicht zusammen!“
„Weil Azzaro sein Mann fürs Grobe war?“
„Ja.“
Tambino kicherte abermals. Sein anschließendes Aufstoßen sorgte dafür, dass sich schon einige der anderen Gäste im New Vanguard nach ihm umdrehten.
Leslie Morell verdrehte die Augen, während er Jay einen kurzen Blick zuwarf, der soviel bedeutete wie: Aus dem Kerl kriegen wir heute nicht mehr viel Vernünftiges heraus.
„Es soll in letzter Zeit zwischen Azzaro und seinem Herrn und Meister ein paar Spannungen gegeben haben.“
„Genaueres!“, forderte Leslie.
„Genaueres kann ich dazu nicht sagen. Aber das mit dem Champagner stimmt, das weiß ich von einem der Girls, die mit am Tisch saßen.“
„Wie heißt das Girl?“
„Eines der Go-Go-Girls aus dem Buena Vista. Nennt sich Dolores. Weiß der Geier, wie sie wirklich heißt. Die hat mir übrigens auch erzählt, dass Gutierrez ziemlich unerfreulichen Besuch von Benny Duarte hatte…“
„Dem Koks-Baron von East Harlem?“, fragte Jay.
„Genau.“
„Worum ging es?“
„Weiß ich leider nicht. Das Girl, von dem ich diese brandheiße Story habe, wurde rausgeschickt. Aber Gutierrez war kreidebleich hinterher und sein Hemd war Blut besudelt. Wenn Sie mich fragen, haben sich da zwei die Meinung auf ziemlich unangenehme Art gesagt!“ Tambino streckte die Hand aus. „Das ist eine Story, die nur ein paar Stunden alt ist, dafür sollten Sie etwas mehr springen lassen, als den üblichen Satz, Agent Kronburg.“
Nachdem Milo und ich aus Jeffrey Watson nicht mehr viel an brauchbaren Informationen herausholen konnten, suchten wir noch Brian Savage und Jack Ehrlich auf, die beiden ehemaligen Teilhaber von Watson & Partners. Ehrlich hatte sich ein schmuckes Haus in Riverdale, North Bronx gekauft. Savage war Teilhaber von Berringer & Associated Partners geworden, einer der angesehendsten Kanzleien an der ganzen Ostküste, die Büros in zwanzig Städten unterhielt.
Sowohl Savage als auch Ehrlich waren offenbar von Watson vorgewarnt worden und so waren ihre Antworten auf unsere Fragen entsprechend einsilbig.
„Eigenartig, dass bei den ehemaligen Anwälten von Watson & Partners plötzlich der Wohlstand ausgebrochen zu sein scheint!“, fand Milo, während wir schon auf dem Weg zurück zur Federal Plaza waren.
Dort wartete eine kurze Besprechung im Büro unseres Chefs auf uns, an der außerdem noch die Agenten Clive Caravaggio, Fred LaRocca und unser indianischer G-men Orry Medina teilnahmen. Jonathan D. McKee, der Chef des FBI Field Office New York im Rang eines Assistant Director hatte inzwischen erste Ergebnisse auf seinem Schreibtisch.
Danach war Azzaro mit einem sehr ungewöhnlichen Kaliber getötet worden, bei dem es sich offenbar um eine Spezialanfertigung handelte. Das Projektil war aus Azzaros Kopf isoliert worden und hatte bestimmt werden können.
„Unsere Kollegen mit Hilfe von NYSIS herauszufinden versucht, ob überhaupt schon einmal mit einer Waffe, die diese Projektile verschießt, ein Verbrechen verübt worden ist“, berichtete Mister McKee. „Die Antwort ist negativ. Daher brauchen wir in diesem Fall noch nicht einmal den ballistische Bericht und dessen Abgleich mit einschlägigen Datenbanken abwarten, um ausschließen zu können, dass der Killer mit dieser Waffe schon mal aktiv war.“
„Was ist das besondere an dem Projektil?“, fragte ich.
Mister McKee kündigte an, dass unser Chef-Ballistiker Dave Oaktree, uns das am nächsten Morgen genauer auseinandersetzen würde, denn daraus ergaben sich garantiert noch ein paar Fahndungsansätze. „Interessanter könnte die Automatik vom Kaliber 45 ein, mit der der Kerl auf sie beide geschossen hat“, fuhr Mister McKee fort und wandte sich dabei an Milo und mich. „Unsere Kollegen von der Scientific Research Division konnten tatsächlich eines der Projektile sicherstellen, was gar nicht so einfach war, wie Sie sich denken können. Dave arbeitet noch an den Tests.“
Eines der Telefone auf dem Schreibtisch unseres Chefs schrillte.
Mister McKee nahm den Hörer ab, sagte ein paar Mal kurz und knapp „Ja!“ und schloss mit dem Satz: „Verstärkung ist unterwegs!“
Er wandte sich an uns.
„Das war unser Kollege Jay Kronburg. Er hat James Gutierrez in einem seiner Clubs aufgespürt und jetzt braucht er noch ein paar Leute, die ihm helfen, den Kerl im Auge zu behalten.“
Ich trank meinen Becher mit Kaffee aus. Mandy, die Sekretärin unseres Chefs war berühmt dafür, das beste Gebräu im gesamten Bundesgebäude an der Federal Plaza zu kochen.
Mit einem Feierabend nach Dienstplan war heute wohl nicht zu rechnen und im Hinblick auf die zu erwartende lange Nacht war diese Dosis Koffein sicher noch nützlich.
Milo und ich erreichten das Buena Vista in der 110. Straße Ost. Die Neonreklame dieses derzeit offenbar ziemlich angesagten Clubs blinkte bereits auf. Der Betrieb musste hier vor kurzem begonnen haben. Auffallend viele teure Karossen waren in der Umgebung des Nobel Clubs abgestellt worden.
Ich folgte mit dem Sportwagen, den die Fahrbereitschaft des FBI Field Office New York uns zur Verfügung stellte, einem unscheinbaren metallicfarbenen Ford, in dem die Agenten Clive Caravaggio und Fred LaRocca sowie Kollege Orry Medina saßen. Clive hatte bereits in der Vergangenheit im Umkreis des Buena Vista ermittelt und daher traute ich ihm zu, dass er in den engen Seitenstraßen noch eine Parkmöglichkeit finden würde.
Ein paar Minuten später stellte ich den Sportwagen in eine Parklücke am Straßenrand. Clive hatte den Ford etwa zwanzig Meter von uns entfernt abgestellt.
Milo und ich stiegen aus. Clive, Orry und Fred kamen uns schon entgegen. Unsere Kollegin Josy O'Leary war bereits vor uns hier eingetroffen, um Jay und Leslie zu unterstützen.
Clives Handy schrillte.
Er nahm das Gerät ans Ohr, murmelte ein paar knappe Erwiderungen und sagte schließlich an uns gerichtet: „Das war Jay. Er hat James Gutierrez bereits ausgemacht. Er hängt mit ein paar Girls herum und war zuvor in eine intensive Unterhaltung mit dem Rex Hueldez verwickelt – dem Strohmann, der mit Gutierrez dreckigem Geld diesen Nobelschuppen betreibt!“
„Interessanter ist für uns, was Gutierrez macht, wenn er das Buena Vista erst einmal verlassen hat“, meinte ich. Wir mussten einfach wissen, in welchem seiner zahllosen Schlupflöcher sich der Wäscher von Harlem im Moment vorwiegend aufhielt, mit wem er sich zurzeit traf und so weiter. Natürlich hätten wir Gutierrez auch zum Verhör laden können, aber wir waren nicht scharf auf die geglätteten, in Anwesenheit eines Anwalts gegebenen Auskünfte, die wir unter diesen Umständen von Gutierrez zu erwarten hatten. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass er durch das FBI oder Beamte der City Police in der einen oder anderen Sache vernommen wurde. Er war erfahren darin, bei solchen Gelegenheiten, extrem vorsichtig zu sein und keine Äußerung fallen zu lassen, die ihn später in irgendeiner Form in Schwierigkeiten bringen konnte.
Bei dieser Operation ging es darum, herauszukriegen, was hinter den Kulissen für ein Spiel gespielt wurde. Azzaros Ermordung war vermutlich nur die Spitze eines Eisbergs, von dem sich bekanntermaßen neun Zehntel unter der Wasseroberfläche befinden.
Wir legten Kragenmikros und Ohrhörer an, um ständig Verbindung untereinander zu haben.
„Im Moment sitzt Gutierrez mit einigen Girls zusammen, aber so richtig gut gelaunt kommt er mir eigentlich nicht vor“, meldete sich Jay Kronburg über die Link-Verbindung. „Ist nur so ein Gefühl, aber für meinen Geschmack zieht der Kerl hier nur seine Show ab und will zeigen, dass er der große Hecht im Karpfenteich ist, der alles im Griff hat. Aber irgendeine Laus ist ihm über die Leber gelaufen…“
Der Empfang war hervorragend, was bei manchen Einsätzen in unterirdischen Parkhäusern oder dergleichen schon mal schwierig sein konnte.
„Vielleicht kommt die Laus da vorne gerade!“, stellte ich fest. Wir hatten gerade die Seitenstraße verlassen und befanden uns auf der dem Buena Vista gegenüberliegenden Straßenseite.
Eine lange Stretch-Limousine hielt vor dem Club. Sie war schneeweiß, so wie der Anzug des schwergewichtigen Manns, dem von einem seiner Bodyguards gerade aus dem Wagen geholfen wurde.
„Benny Duarte will den Abend ausgerechnet im Buena Vista verbringen – wenn das nicht eine interessante Neuigkeit ist!“, stieß Clive hervor.
„Zumal Duarte heute Nachmittag noch ziemlich mies auf Gutierrez zu sprechen gewesen ist, wenn wir unserem Informanten trauen können, dem wir in der New Vanguard Bar getroffen haben“, war Jays Stimme über Ohrhörer vernehmbar. „Angeblich soll Duarte Gutierrez übel zugesetzt haben.“
„Würde das nicht die angespannte Stimmung bei Gutierrez erklären?“, meinte Clive. „Vielleicht weiß er, dass sich heute noch der Schneekönig von East Harlem die Ehre bei ihm gibt…“
„Duarte ist doch wahrscheinlich einer seiner wichtigsten Kunden“, mischte sich Milo ein. „Warum sollte er schlechte Laune bekommen, wenn er auftaucht?“
„Jedenfalls scheinen die beide ihre Differenzen ausgeräumt zu haben – worin sie auch immer sie bestanden haben mögen“, murmelte Jay.
Josy meldete sich von der anderen Straßenseite zu Wort.
„Hier steht eine Limousine mit laufendem Motor im Hinterhof“, berichtete sie. „Ich schätze, das ist Gutierrez’ Wagen.“
„Kannst du einem GPS-Sender anbringen?“
„Ich werde es versuchen, hätte aber gerne noch Verstärkung hier.“
Clive wandte sich an Milo und mich. „Macht ihr das? Wir müssen uns ohnehin auf die verschiedenen Eingänge verteilen, damit er uns nicht durch die Lappen geht.“
Auf der anderen Straßenseite hatte inzwischen ein Mercedes angehalten. Den Wagen kannte ich. Er stammte ebenfalls aus dem Fundus unserer Fahrbereitschaft. Zwei junge Agenten – Don Gavin und Allan Salionowsky waren die Insassen. Mister McKee hatte die beiden jungen Quantico-Absolventen ebenfalls unserem Observationsteam zugeteilt. Clive dirigierte sie in die Nähe der Ausfahrtstraße des Hinterhofs, in dem sich Josys Angaben nach die Limousine befand. Wenn es nicht gelang, die Limousine mit einem GPS-tauglichen Sender zu bestücken, über den wir dann den Weg des Wagens verfolgen konnten, musste dem Wagen jemand direkt auf den Fersen sein.
Auf getrennten Wegen machten sich Milo und ich zu Josys gegenwärtigem Standort auf. Milo marschierte mitten durch das Buena Vista hindurch und hatte so Gelegenheit, den Auftritt des großen Kokainkönigs Benny Duarte mitzubekommen.
Ich hingegen war gezwungen, einen ganzen Block zu umrunden. Da ich nicht zuviel Zeit verlieren und noch rechtzeitig helfen wollte, nahm ich einen Teil der Strecke in gemäßigtem Jogging-Tempo.
Schließlich erreichte ich die Einfahrt zum Hinterhof. Inzwischen war es ziemlich dämmrig geworden. „Bleib am Beginn der Zufahrt stehen!“, riet mir unsere irischstämmige Kollegin Josy über Funk. „Da läuft so ein Typ mit einer Uzi unter dem Arm herum…“
Ich blieb an der Ecke, so wie Josy es mir geraten hatte. Aus der Deckung heraus konnte ich alles beobachten. Jay meldete, dass Gutierrez kurz mit Duarte sprach, der offenbar als privilegierter Gast im Buena Vista behandelt wurde.
Eine halbe Stunde lang harrten wir auf unseren Posten aus, ohne dass sich etwas tat.
Josy ging inzwischen auf die Limousine zu und tat dabei so, als wäre sie etwas beschwipst und hätte Schwierigkeiten, sicher zu gehen. Der Bodyguard drückte eine Zigarette aus und warf sie auf den Boden. Etwas, wofür man im Rest des Big Apple schon eine saftige Strafe zahlen muss, weil sich unsere Stadtregierung das Ziel gesetzt hat, aus New York ein sauberes Pflaster zu machen.
Der Chauffeur, der am Steuer saß und bis dahin nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad herumgetickt hatte, drehte sich auch zu ihr um.
„Was machen Sie hier?“, fragte der Bodyguard grob. Seine rechte Hand ging augenblicklich zum Griff der Uzi, die er an einem Riemen über der Schulter trug. „Los, verschwinden Sie!“
Josy simulierte einen Schluckauf.
„Kein Problem, ich habe mich hier wohl ein bisschen verlaufen…“
„Kommt davon, wenn man den Hinterausgang benutzt.“
Josy machte einen ungeschickten Schritt, tat so, als würde sie stolpern und landete direkt neben dem Hinterreifen links auf dem Asphalt. Blitzschnell klebte sie den Sender unter den Wagen.
Der Uzi-Träger trat an sie heran, packe sie grob am Arm und stellte sie wieder auf die Füße. „Hauen Sie ab! Am besten gehen Sie einfach den Weg zurück, woher Sie gekommen sind!“
„Aber – dann lande ich ja wieder im Buena Vista!“
„Claro! Es verdad! Und dann lassen Sie sich vom Barkeeper ein Taxi bestellen.“
Josy ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie ging zurück zum Hinterausgang, durch den sie gekommen war.
Ich stellte unterdessen fest, dass der Uzi-Träger nun schon zum dritten Mal auf die Uhr schaute.
Endlich meldete Jay, dass Bewegung in die Sache kam. Gutierrez brach auf. „Er hat einen Anruf auf sein Handy gekriegt“, stellte Jay fest.
Wenig später meldete Milo, dass Gutierrez den Korridor passiert hatte, der zur Hintertür führte. Josy hatte sich inzwischen längst wieder unter die Gäste des Buena Vista gemischt, um nicht weiter aufzufallen.
Ich beobachtete, wie Gutierrez ins Freie trat. Er schritt auf die Limousine zu, nahm dabei sein Handy in die Hand und wählte eine Nummer. Das Gespräch war sehr kurz. Er sagte höchstens einen Satz, dann steckte er das Gerät weg.
Hinter ihm folgte ein breitschultriger Kerl mit weißblond gefärbten Haaren. Er war breitschultrig, muskulös und gut einen Meter neunzig groß.
Auch er trug eine Uzi im Anschlag.
Sein Kollege öffnete die Hintertür der Limousine.
Plötzlich ging ein Ruck durch den Körper des Bodyguards.
Er sackte in sich zusammen und blieb reglos am Boden liegen. Auf seiner Stirn hatte sich ein kleiner, roter Punkt gebildet.
Ein Einschussloch.
Aber es war kein Schussgeräusch zu hören gewesen.
Ein zweiter Schluss peitschte lautlos durch die Luft und zerschmetterte den linken Außenspiegel der Limousine.
Gutierrez hechtete sich in seinen Wagen und riss die Tür hinter sich zu. Schüsse krachten jetzt laut durch den Innenhof. Der zweite Leibwächter schaffte es gerade noch seine Uzi empor zu reißen und feuerte eine ziemlich ungezielte Salve auf die Fensterfronten der oberen Stockwerke.
Ich rannte die Einfahrt zum Hinterhof entlang, riss die SIG aus dem Holster. An der Ecke blieb ich stehen.
Gutierrez hatte sich inzwischen im Wagen verkrochen. Der Chauffeur startete. Die Reifen der Limousine drehten durch.
Ich machte einen Sprung nach vorne, während mindestens ein Dutzend Kugeln in den gepanzerten Seitenscheiben hängen blieben. Schüsse fetzten auch in den Reifen hinten links hinein. Die Limousine brach aus, anstatt schnurgerade durch die Ausfahrt des Hinterhofs hinauszuschießen, krachte sie gegen eine Wand.
Der Fahrer war nach vorn gegen das Lenkrad geprallt. Dabei hatte sich der Airbag entfaltet.
Am Hintereingang des Buena Vista sah ich Milo und Josy auftauchen.
Sie wurden sofort von einem der Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Hinterhofs aus beschossen.
Eine MPi ratterte los.
Die Kugeln rissen kleine Stücke aus der Wand.
Dieser geballten Feuerkraft hatten Milo und Josy nichts entgegenzusetzen.
Ich lief zu Gutierrez’ Limousine, riss die hintere Tür auf.
Gutierrez war benommen.
Beim Aufprall des Wagens war er nach vorn geschleudert worden und mit dem Kopf gegen die Trennscheibe zur Fahrerkabine geprallt. Zumindest war dort sein verschmiertes Blut zu sehen, während an Gutierrez’ Kopf eine Platzwunde blutete. Es sah allerdings schlimmer aus, als es tatsächlich war.
Der Fahrer kämpfte sich unter seinem Airbag hervor. „Trevellian, FBI“, rief ich. „Bleiben Sie hier und rühren Sie sich nicht. Unsere Leute sind in der Nähe!"
„Hey, Sie…."
„Rühren Sie sich nicht vom Fleck!“, wies ich ihn noch einmal unmissverständlich an.