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Krimi Sammelband Bullenkiller: 7 Thriller Dieses Buch enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Tote Bullen Alfred Bekker: Wettlauf mit dem Killer Alfred Bekker: Killer ohne Skrupel Alfred Bekker: Doppeltes Mörderspiel Alfred Bekker: Verschwörung der Killer Alfred Bekker: Ein Sarg für den Prediger! Alfred Bekker: Satansjünger Ein Berliner Kriminalbeamter wird in der Nähe des Westhafens von Moabit umgebracht. Kommissar Harry Kubinke vom BKA und sein Team von Spezialisten übernehmen den Fall. Die Ermittler finden schnell heraus, dass der Ermordete in dunkle Geschäfte verwickelt war. Da stirbt ein weiterer Kommissar und die Spur des Killers führt in einen Club, der unter der Kontrolle krimineller Banden steht... Für Kubinke läuft die Zeit weg, denn auf der Todesliste des Mörders stehen offenbar noch weitere seiner Kollegen! Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark.
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Seitenzahl: 1008
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Krimi Sammelband Bullenkiller: 7 Thriller
Alfred Bekker
Published by Alfred Bekker, 2018.
Title Page
Krimi Sammelband Bullenkiller: 7 Thriller
Tote Bullen
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Wettlauf mit dem Killer
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Killer ohne Skrupel
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Alfred Bekker | Doppeltes Mörderspiel
Verschwörung der Killer | Alfred Bekker
Ein Sarg für den Prediger | Alfred Bekker
Satansjünger | Alfred Bekker
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Further Reading: 11 Thriller für den Sommer Juli 2017
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About the Author
About the Publisher
Dieses Buch enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Tote Bullen
Alfred Bekker: Wettlauf mit dem Killer
Alfred Bekker: Killer ohne Skrupel
Alfred Bekker: Doppeltes Mörderspiel
Alfred Bekker: Verschwörung der Killer
Alfred Bekker: Ein Sarg für den Prediger!
Alfred Bekker: Satansjünger
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EIN BERLINER KRIMINALBEAMTER wird in der Nähe des Westhafens von Moabit umgebracht. Kommissar Harry Kubinke vom BKA und sein Team von Spezialisten übernehmen den Fall. Die Ermittler finden schnell heraus, dass der Ermordete in dunkle Geschäfte verwickelt war. Da stirbt ein weiterer Kommissar und die Spur des Killers führt in einen Club, der unter der Kontrolle krimineller Banden steht... Für Kubinke läuft die Zeit weg, denn auf der Todesliste des Mörders stehen offenbar noch weitere seiner Kollegen!
Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark.
Ein Harry Kubinke Krimi
von Alfred Bekker
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EIN HARRY KUBINKE KRIMI
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 140 Taschenbuchseiten.
Ein Berliner Kriminalbeamter wird in der Nähe des Westhafens von Moabit umgebracht. Kommissar Harry Kubinke vom BKA und sein Team von Spezialisten übernehmen den Fall. Die Ermittler finden schnell heraus, dass der Ermordete in dunkle Geschäfte verwickelt war. Da stirbt ein weiterer Kommissar und die Spur des Killers führt in einen Club, der unter der Kontrolle krimineller Banden steht... Für Kubinke läuft die Zeit weg, denn auf der Todesliste des Mörders stehen offenbar noch weitere seiner Kollegen!
Ein packender Berlin-Thriller mit Kommissar Harry Kubinke.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Mit einem Titelbild von Firuz Askin.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Udo’s Imbiss am Berliner Westhafen in Moabit hatte 24 Stunden geöffnet. „Udo's“ mit Apostroph. Darauf bestand Udo Jakobi, der Besitzer des Schnellrestaurants, in dem sich zu den üblichen Stoßzeiten sowohl die Anzugträger aus dem Verwaltungskomplex der Hafenverwaltungsgesellschaft, als auch die Arbeiter von den Binnenschifffahrtsterminals tummelten.
Man bekam dort die besten Fishburger von Berlin.
Man konnte natürlich auch Pommes rot-weiß oder eine Currywurst bekommen. Notfalls sogar einen Veggie-Döner, der gerade bei den unter Bewegungsarmut und Kalorienüberschuss leidenden Angestellten der Hafenverwaltungsgesellschaft sehr beliebt war.
Aber die eigentliche Spezialität von Udo's Imbiss war und blieb der Fishburger.
Udo Jakobi kam gebürtig aus Bremerhaven und hatte deswegen besondere Affinität zu Fisch und Fischgerichten. Auch wenn sich der selbstkreierte Krabben-Döner nicht so richtig durchgesetzt hatte – der Fishburger hatte das Schnellrestaurant in ganz Moabit berühmt gemacht.
Und Udo Jakobi war clever genug, sich die Markenbezeichnung >Udo's Fishburger< schützen zu lassen.
Thorben Rademacher, Kommissar bei der Mordkommission, hatte eine anstrengende Nachtschicht hinter sich. Jetzt war es vier Uhr morgens und Rademacher hatte den toten Punkt längst überwunden.
Er bestellte einen Kaffee, zwei Fishburger und eine Portion Chips. Rademacher trank als Erstes den halben Kaffeebecher leer.
Sein Handy klingelte. Rademacher nahm den Apparat ans Ohr.
„Was gibt es?“, fragte er.
„Hier spricht Ede Gerighauser.“
„Verdammt, wo bleiben Sie?“
„Ich werde nicht zu Ihnen hereinkommen.“
„Was soll das Theater?“
„Haben Sie mich nicht verstanden? Ich komme nicht zu Ihnen!“
„Aber unser Treffpunkt war Udo's Imbiss.“
„Kann schon sein.“
„Und wie soll das jetzt laufen?“
„Kommen Sie raus an die Kaimauer vom Kanal.“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Rademacher blickte auf die Fishburger, verschlang einen davon mit ein paar Bissen und trank den Kaffee aus. Die Pommes ließ er liegen. Er hatte sie probiert und festgestellt, dass sie ihm nicht knusprig genug waren.
Wenig später ging er in die Nacht hinaus.
Das Hafenbecken und der Hohenzollernkanal, über den der Westhafen mit Havel und Spree verbunden war, wirkten wie ein breites, lichtloses Band. Dahinter waren die Lichter der Stadt zu sehen. Das Verwaltungsgebäude der Hafengesellschaft mit seinem 52 Meter hohen Turm, hob sich wie ein drohender Schatten dagegen ab.
Es war eine klare Nacht.
Kräne erhoben sich wie Umrisse riesenhafter Spinnenmonster.
Rademacher schlang auch den zweiten Fishburger herunter und wischte sich die Finger an einem Taschentuch ab. Dann überprüfte er kurz den Sitz seiner Waffe. Sie steckte in seinem Holster. Darüber trug er einen dunklen Blouson. Die Jacke war weit geschnitten, sodass sich die Waffe nicht abzeichnete.
Rademacher ging auf die Kaimauer zu.
Ein dunkler Schatten hob sich gegen das Lichtermeer ab. Rademacher zögerte einen Moment, dann trat er näher. Von der Gestalt am Ende war nichts Näheres zu erkennen.
Das muss er sein!, dachte Rademacher. Er sah auf die Uhr. Vier Uhr und zehn Minuten.
Die Gestalt bewegte sich nun und kam Rademacher entgegen.
In einer Entfernung von ein paar Schritten wartete der Schatten schließlich. Das Licht einer Laterne fiel auf seinen Körper vom Hals abwärts. Das Gesicht blieb im Dunkeln.
Die rechte Hand war tief in seiner Manteltasche vergraben.
„Herr Rademacher?“
„Ja?“
Der Mann zog eine Waffe mit Schalldämpfer unter seinem Mantel hervor. Der Strahl eines Laserpointers tanzte durch die Nacht. Der Schuss war kaum zu hören. Zweimal blitzte das Mündungsfeuer auf.
Die erste Kugel traf Rademacher in die Brust und riss ein Loch in den Stoff seines Blousons. Die zweite Kugel traf ihn dicht darüber.
Das graue Kevlar einer kugelsicheren Weste kam darunter zum Vorschein.
Rademacher taumelte zu Boden. Er griff unter den Blouson, um seine Dienstwaffe zu ziehen.
Erneut blitzte die Schalldämpferpistole in der Hand des Killers auf. Fünf Schüsse in rascher Folge ließen den Körper des Kommissars zucken. Ein Schuss traf den Kopf, noch ehe er seine eigene Waffe abdrücken konnte.
Regungslos lag er in seiner Blutlache.
Der Killer trat aus dem Schatten.
Mit dem Fuß stieß er den verrenkt daliegenden Körper an. Er steckte seine Waffe ein. Rademachers Pistole nahm er vom Boden auf und warf sie im hohen Bogen ins Hafenbecken. Anschließend bückte er sich und packte die Leiche bei den Schultern. Dann schleifte er den Toten zur Kaimauer und ließ ihn ins Wasser rutschen.
Der Killer atmete tief durch.
Er streifte die Latexhandschuhe ab, mit denen er seine Hände vor Schmauchspuren geschützt hatte und warf sie hinterher.
Sie schwammen noch ein paar Augenblicke auf der dunklen Wasseroberfläche, weil sie zu leicht waren, um die Oberflächenspannung zu durchbrechen.
Innerhalb von wenigen Augenblicken hatte das dunkle Wasser des Hafenbeckens aber dann doch alles verschluckt.
Die Leiche trieb dicht unter der Oberfläche, war aber erstmal unsichtbar. Vielleicht geriet der Körper des Kommissars ja in irgendeine Schiffsschraube...
War gar nicht so unwahrscheinlich.
Dann ist er Hackfleisch, dachte der Killer.
Dr. Bernd Claus führte uns in die Leichenhalle des gerichtsmedizinischen Instituts der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst. Dieser zentrale Erkennungsdienst hatte seine Labors in Moabit.
Dr. Claus öffnete eins der Kühlfächer. Anschließend zog er das weiße Laken, das den Toten bedeckte, so weit zur Seite, dass man das Gesicht sehen konnte.
Es war bleich und aufgedunsen. Auf der Stirn war die Eintrittswunde eines Projektils zu sehen. Anhand der Fotos, die mein Kollege Rudi Meier und ich zuvor in unserem Präsidium zu Gesicht bekommen hatten, hätte ich ihn nicht wieder erkennen können.
„Dies ist Kommissar Thorben Rademacher von der Mordkommission. Dass er etwas anders aussieht als auf den offiziellen Fotos in seiner Dienstakte, liegt einfach daran, dass er eine ganze Weile im Wasser gelegen hat. Herr Delmar, sein Vorgesetzter bei der Mordkommission, hat ihn auch nicht wiedererkannt, obwohl er tagtäglich mit ihm zu tun hatte.“
„Was können Sie uns darüber sagen, was geschehen ist?“, fragte Rudi.
„Rademacher wurde von mehreren Kugeln getroffen. Er trug eine Kevlar-Weste, die einige davon auffing. Die Hämatome am Oberkörper sind deutlich zu sehen.“ Dr. Claus zog das Laken noch ein Stück zurück. Die Blutergüsse befanden sich in Herznähe und inzwischen so groß wie Untertassen. „Der Treffer in den Hals ging glatt durch. Dasselbe gilt für einen Streifschuss an der Schulter. Mindestens diese beiden Projektile müssten sich noch am Tatort befinden.“
„Bislang wissen wir noch nicht, wo der sein könnte, aber vielleicht sind Ihre Untersuchungsergebnisse das entscheidende Mosaikstein, das uns weiterhilft!“, sagte ich.
„Der tödliche Schuss ging in den Kopf, durchdrang mitten auf der Stirn die Schädeldecke und blieb an der Halswirbelsäule stecken.“
„Also wurde der Schuss von schräg oben geführt“, schloss ich.
„Ja“, nickte Dr. Claus. „Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Rademacher durch die Wucht der Treffer, die von der Kevlar-Weste aufgehalten wurden, zu Boden taumelte, während der Killer weiter auf sein Opfer geschossen hat. Als der Kopftreffer ihn erwischte, muss er sich gekrümmt haben. Der ballistische Bericht liegt ja bereits vor und danach sind die Kugeln aus einer Entfernung von mindestens fünf Metern abgefeuert worden. Aber ich nehme an, Sie haben den Bericht bereits gelesen.“
„Er ist ein Grund dafür, dass wir den Fall übernehmen“, erklärte ich. „Der Abgleich des untersuchten Projektils hat nämlich ergeben, dass die verwendete Waffe zuvor bereits einmal in einer Schießerei im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen benutzt wurde.“
Dr. Claus zuckte die Schultern. „Die Kollegen von der Ballistik waren diesmal deutlich schneller als ich. Aber ich konnte ihnen leider auch nur ein einziges Projektil bieten – nämlich jenes, das in der Halswirbelsäule stecken geblieben ist. Sie können also von Glück sagen, dass der Täter zufällig aus diesem Winkel getroffen hat, sonst wäre die Kugel durch die hintere Schädelwand wieder ausgetreten und Sie könnten jetzt in der ganzen Stadt nach ein paar Kugeln suchen, an der vielleicht noch etwas DNA-testfähige Hirnmasse haftet.“ Dr. Claus deutete auf den Oberkörper. „Die Projektile, die von der Kevlar-Weste aufgefangen wurden, liegen wahrscheinlich auf dem Grund des Kanals. Das stundenlange Wasserbad, dem die Leiche ausgesetzt war, muss sie weggespült haben.“
Ich deutete auf die Achseln des Toten, um die herum dunkle Stellen zu sehen waren.
„Druckstellen eines zu eng geschnallten Schulterholsters und – Schleifspuren. Der Täter muss den Toten unter den Achseln angefasst und weggeschleift haben.“
„Dann war es nur eine Person“, schloss ich.
Dr. Claus nickte. „Sagen wir so: Es hat nur einer angepackt.“
„Gibt es Spuren, die darauf hindeuten, dass der Tote in einem Kofferraum transportiert wurde?“
„Nein. Wahrscheinlich geschah der Mord in der Nähe des Wassers. Der Täter musste ihn nur ein paar Meter weiter schleifen und hineinwerfen.“
„Wann war der Todeszeitpunkt?“
„Rademachers Leiche wurde gestern Mittag am Kanalufer gefunden. Ich denke, dass der Tote mindestens sechs Stunden im Wasser war. Also würde ich schätzen, dass Herr Rademacher gestern zwischen drei und fünf in der Früh starb. Aber Sie bekommen natürlich noch meinen ausformulierten Bericht, wo Sie das alles nachlesen können.“
„Erst mal danken wir Ihnen, Dr. Claus“, sagte ich.
Der Gerichtsmediziner schob den Toten zurück in seine vorläufige Ruhestätte, nachdem er das Tuch wieder über sein Gesicht gebreitet hatte.
„Rufen Sie mich an, falls Sie noch Fragen haben.“
„In Ordnung.“
Wir machten wir uns auf zu Rademachers Kripo-Kollegen. Herr Delmar war sein direkter Vorgesetzter und Herr Nürnberger wiederum war der Vorgesetzte von Herrn Delmar.
Inzwischen lief die Suche nach dem möglichen Tatort längst auf Hochtouren.
Als Laie denkt man ja erstmal, dass ein Kanal für die Binnenschifffahrt ein stehendes Gewässer ohne Strömung ist und dass deswegen in so einem Fall die Leiche in der unmittelbaren Nähe des Fundortes ins Wasser gelangt sein muss .
Dass ist aber ein Irrtum.
Durch den Schiffsverkehr, durch den Betrieb der Schleusen und weitere, ähnliche, in ihrem Zusammenspiel nur sehr schwer zu berechnende Faktoren, kommt es auch in Gewässern, die man gemeinhin als nicht-fließend bezeichnet, zu erheblichen Sogwirkungen. Und diese Sogwirkungen können mit einer Flussströmung in den Auswirkungen durchaus vergleichbar sein.
Ganz so einfach würde die Suche nach dem Tatort also nicht werden.
Zahlreiche Kollegen der Berliner Polizei sollten sich in der Nähe des Westhafens umhören, ob jemand dort Kommissar Rademacher in der Nacht seines Todes gesehen hatte.
Herr Nürnberger empfing uns in seinem Büro. „Herr Delmar ist noch nicht hier. Er wurde zwischenzeitlich zu einem Tatort gerufen, aber ich nehme an, dass Sie mit sprechen können, sobald wir hier fertig sind.“
„In Ordnung“, sagte ich. „Erzählen Sie uns am besten alles, was Ihnen zum Kollegen Rademacher einfällt. Wir stehen ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Alles, was wir wissen ist, dass er in Ufernähe erschossen wurde, eine Kevlar-Weste trug und die Kugel, die ihn tötete, aus einer Waffe stammt, die bei einer Schießerei im Club ‚El Abraxas’ verwendet wurde.“
„Und das ‚Abraxas’ steht unter Kontrolle von Benny Farkas, einem der aufstrebenden Kriminellen Berlins“, ergänzte Herr Nürnberger. Er hatte sich offenbar gut informiert.
„Die genauen Hintergründe der Tat konnten nie wirklich aufgeklärt werden“, fuhr ich fort. „Tatsache ist, dass es damals fünf Tote und mehrere Schwerverletzte gab, darunter auch der Anführer einer Drogengang.“
„Sieht ganz nach geschäftlichen Differenzen aus, wenn man das so bezeichnen will“, sagte Herr Nürnberger. „Aber was den Kollegen Rademacher angeht, könnte es da noch eine alte Rechnung geben. Er war schließlich erst seit ein paar Monaten hier bei uns in der Abteilung. Vorher gehörte er zu Drogenfahndung.“
„Bei uns sind die Akten noch nicht angekommen“, gab ich Auskunft. „Ich kenne nur die Kurzfassung, die uns Kriminaldirektor Bock gegeben hat.“
„Die Sache ist ganz einfach: Kommissar Rademacher wurde verdächtigt, kleine Drogendealer und Mitglieder von Gangs erpresst zu haben, indem er ihnen Drogen unterschob und Beweismittel manipulierte. Es lief ein Verfahren gegen ihn. Dieses Verfahren ist inzwischen eingestellt worden, aber man hielt es für besser, Rademacher trotzdem zu versetzen.“
„Mich wundert, dass man ihn nicht bis zur Klärung der Sache suspendiert hat!“, ergänzte ich.
„Nein, das sehen Sie jetzt falsch. Die Sache konnte sehr schnell geklärt werden und Rademacher galt als unbescholten.“ Herr Nürnberger zögerte einen Moment, ehe er weitersprach. Ihm schien selbst aufzufallen, dass sich da allein schon angesichts der nüchternen Aufzählung der Fakten ein widersprüchliches Bild ergab. Aber Herr Nürnberger hatte offenkundig keinerlei Interesse daran, diesen sachlichen Widerspruch auch noch sprachlich hervorzuheben. Er wirkte etwas verunsichert. Schließlich fuhr er schließlich fort: „Nun, er sollte jedenfalls nichts mehr mit Drogen zu tun haben.“
„Dann war seine Weste vielleicht doch nicht so rein, wie das eingestellte Verfahren vermuten lässt?“, fragte ich.
Ein messerscharfer Schluss.
Aber einer, der Herr Nürnberger nicht gefiel.
Und einer, den er so auch nicht stehen lassen wollte.
Er brauchte allerdings einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen und darauf zu reagieren.
Nürnberger atmete zuerst tief durch und setzte zweimal an, ohne dass dann tatsächlich auch irgendein Satz über seine Lippen gekommen wäre. Dann zuckte er die Schultern, ehe er schließlich doch seine Sprache wiederfand. „Jemand, der in der Drogenfahndung arbeitet, vollführt täglich einen Tanz auf der Rasierklinge. Man sieht wie die Dealer mit Millionen jonglieren und der Ermittler denkt an die Hypotheken für sein Haus und daran, dass sein Wagen noch nicht abgezahlt ist und sich seine Kinder beklagen, dass schon im zweiten Jahr nacheinander keine Urlaubsreise drinsitzt, während der Drogenboss mit dem Privatjet mal kurz nach Monaco hinüberfliegen kann.“
„Da will ich nicht widersprechen“, sagte ich.
Herr Nürnberger fuhr fort: „Da braucht man schon einen stabilen Charakter, um auf der richtigen Seite zu bleiben.“
Ich hob die Augenbrauen. „Wem sagen Sie das!“
„Glauben Sie, Rademacher besaß nicht den nötigen Charakter?“, mischte sich Rudi ein.
„Wie gesagt – die Untersuchung konnte den Verdacht gegen ihn nicht erhärten“, erklärte Nürnberger nochmals. „Sie werden es ja in den Akten nachlesen können.“
„Sobald die uns erreicht haben“, sagte Rudi. Und er gab sich wirklich große Mühe, dabei nicht sarkastisch zu klingen.
Unser Gegenüber nickte.
„Ja“, sagte Herr Nürnberger.
„Aber das ist keine Antwort auf die Frage.“
„Welche Frage meinen Sie nochmal?“, fragte Herr Nürnberger.
„Die mit dem Charakter“, stellte ich klar.
Nürnberger lächelte dünn. „Ja, Sie haben Recht. Aber die lässt sich vielleicht auch gar nicht so leicht beantworten. Wer von uns kann schon in den Schädel eines Kollegen hineinschauen?“ Herr Nürnberger machte eine kurze Pause, erhob sich aus seinem Schreibtischstuhl und füllte seinen Kaffeebecher wieder auf. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, sagte er schließlich: „Ich will ehrlich sein.“
Na endlich!, dachte ich.
Herr Nürnberger fuhr fort: „Am Anfang war ich sehr skeptisch, was Rademacher anging.“
„Warum?“
„Dafür kann ich Ihnen noch nicht einmal einen greifbaren Grund angeben.“
„Aha...“
„Es war einfach mein Bauchgefühl – und in all den Jahren, in denen ich als Ermittler meinen Mann stehe, habe ich gelernt, dass es einem das Leben retten kann, wenn man sich auf dieses Gefühl verlässt.
„Okay...“
„Aber was Rademacher angeht, hat mich mein Instinkt wohl getrogen.“
„Erklären Sie mir das!“
„Jedenfalls gab es keinen Ärger, so lange er hier war und soweit ich das beurteilen kann, hat er gute Arbeit geleistet. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit“, sagte ich.
Man ist ja höflich.
Selbst hier im sprachlich etwas raueren Berlin.
Aber das ist sowieso nur ein Klischee.
Wirklich.
Nürnberger nickte. „Vielleicht kann Ihnen Herr Delmar etwas mehr dazu sagen, schließlich arbeitete er mit Rademacher direkt zusammen.“
Kollege Delmar ließ immer noch auf sich warten, so aßen wir eine Pizza, die vom Express Service für die ganze Abteilung geliefert wurde. Kriminalhauptkommissar Delmar traf schließlich doch noch ein.
Er bat uns in sein Büro.
„Tut mir Leid, dass es etwas später geworden ist, aber ich war bei einem Tatort und bin auf dem Rückweg leider in einen Stau geraten.“
„Ist schon in Ordnung“, sagte ich.
„Sie sind Kubinke und Meier vom BKA, nicht wahr?“
„Ja – und wir suchen zurzeit den Mörder Ihres Kollegen Thorben Rademacher“, bestätigte Rudi.
„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, weshalb der Fall nicht in unserer Zuständigkeit geblieben ist!“
„Weil die Tatwaffe im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität benutzt wurde“, gab ich Auskunft. „Der Fall hat eine größere Dimension, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Delmar zuckte mit den Schultern. „Meiner Ansicht nach sagt das nicht viel aus. Diese Waffen gehen doch von Hand zu Hand. Andererseits könnte da natürlich ein Zusammenhang bestehen. Über Rademachers Vergangenheit in der Drogenabteilung wissen Sie ja sicher inzwischen Bescheid oder?“
„In Ansätzen. Es gab da wohl mal einen Verdacht gegen Rademacher, wonach er Verdächtige erpresst haben soll.“
„Deswegen war er dann bei uns bei den Tötungsdelikten. Die Sache ist niedergeschlagen worden, es kam nicht einmal zu einer offiziellen Anklage. Aber wie heißt es so schön? Es bleibt immer etwas hängen. Ganz besonders, wenn es um einen Polizisten geht. Der kleinste Flecken auf der weißen Weste kann schon dazu führen, dass man wie ein Paria behandelt und bei Beförderungen übergangen wird.“ Delmar zuckte die Schultern. „So ist das nun einmal und bevor man sich auf das Spiel einlässt, informiert man sich am besten über die Regeln und akzeptiert sie.“
„Wollen Sie damit sagen, dass Rademacher damals etwas angehängt wurde?“
„Mir gegenüber hat er in diese Richtung ein paar Andeutungen gemacht. Ist doch klar, wenn ich ein Drogenhändler wäre und hätte mit einem Polizisten eine Rechnung offen, kann ich ihm doch am besten schaden, in dem ich seine Gesetzestreue in Frage stelle!“
„Aber wenn das wirklich so gewesen ist, dann hatten diese Leute doch ihr Ziel erreicht. Rademacher war kalt gestellt. Wozu ihn noch ermorden?“
„Das würde ich auch gerne wissen.“
„Was wissen Sie über Rademachers Privatleben?“, fragte Rudi.
„Ehrlich gesagt, war er ein ausgeprägter Einzelgänger. Ihm fehlte der Teamgeist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wenn die Beamten einer Schicht zum Kegeln gingen, fuhr er nach Hause. Er hat mal erwähnt, dass er ein Eigenheim draußen im Umland hat. Und ich nehme an, dass er gar nicht daran dachte, hier in die Gegend zu ziehen. Vielleicht nahm er auch an, dass die Versetzung irgendwann zurück genommen werden würde.“
„Wie waren die Chancen dafür denn?“
„Gar nicht so schlecht. Wahrscheinlich hätte er hier noch ein halbes Jahr abreißen müssen und wäre dann wieder zurück auf seine alte Planstelle gekommen, falls nicht zwischenzeitlich doch noch Beweise aufgetaucht wären, dass er irgendwie Dreck am Stecken hatte. Aber dafür gab es keine Hinweise.“
„Wir brauchen die Anruflisten seines Diensttelefons“, sagte ich.
„Die können Sie haben“, versprach Delmar.
„Zeigen Sie uns bitte noch seinen Schreibtisch.“
„Ich führe Sie hin.“
„An was für einem Fall arbeitete er im Moment?“
„Denken Sie, dass seine Ermordung damit zusammenhängt?“
„Wir müssen allen Spuren nachgehen.“
„In der Otto Beierlein Straße wurde eine Rentnerin von ein paar Jugendlichen ausgeraubt und niedergestochen. Sie ist an den Folgen der Verletzungen gestorben. Rademacher bearbeitet den Fall zusammen mit Frau Tomasino und Herrn Wolff, die Sie beide gerne dazu befragen können.“
Delmar führte uns zu Rademachers Schreibtisch. Das Dienstzimmer teilte er sich mit den Kollegen Wolff und Tomasino. Die beiden berichteten uns von dem Fall, an dem sie mit Rademacher zuletzt gearbeitet hatten. Es schien sich um Routineermittlungen zu handeln.
„Er hat ziemlich viel mit seiner neuen Flamme telefoniert“, berichtete uns Herr Wolff noch.
„Wissen Sie, wer das war?“, hakte ich nach.
„Sie heißt Christine. Den Nachnamen kenne ich nicht, aber ich nehme an, dass sie die Telefonlisten überprüfen und anhand der Daten werden Sie das leicht herausfinden.“
Der Schreibtisch selbst bot nichts, was auf den ersten Blick ins Auge fiel. Wir packten dennoch den Inhalt in einen Pappkarton und nahmen ihn mit. Insbesondere alles das, was persönlichen Charakter hatte. Ein Telefonregister und einen voll geschriebenen Notizblock zum Beispiel. Außerdem beschlagnahmten wir seinen Rechner. Sollten die Kollegen im Labor mal den Email-Verkehr unter die Lupe nehmen.
Wir waren gerade in den Dienst-Porsche eingestiegen, als uns ein Anruf erreichte. Herr Kriminaldirektor Bock, unser Chef, war am Apparat.
„Es hat sich jemand gemeldet, der Rademacher in der Nacht seines Todes gesehen haben will“, berichtete uns Kriminaldirektor Bock. Rademachers Bild war mit der Frage an die Bevölkerung über die Medien verbreitet worden, wer den Beamten der Mordkommission in der Mordnacht gesehen hatte, um auf diese Weise nach und nach rekonstruieren zu können, was sich vor der Tat ereignet hatte. Vor allem ging es uns natürlich um den Tatort, denn dort waren möglicherweise noch Spuren zu finden. „Der Mann heißt Udo Jakobi und betreibt eine 24-Stunden-Snack Bar mit Fischgerichten. Der Laden liegt am Westhafen.“
„Wir sind schon so gut wie dort“, versprach ich.
Als wir Udo’s Imbiss am Berliner Westhafen erreichten, waren dort bereits zwei Einsatzfahrzeuge der Schutzpolizei.
Wir stiegen aus. Vögel kreischten.
Ein Frachter lag an der Kaimauer vor Anker.
Mehrere uniformierte Kollegen der Schutzpolizei sahen sich dort bereits um.
Wir betraten Udo’s Imbiss.
Es herrschte kaum Betrieb.
Eine junge Polizistin saß zusammen mit einem Mann mit weißer Schürze und Matrosenmütze an einem der Tische. Wir traten hinzu.
„Harry Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Rudi Meier“, stellte ich uns vor.
„Rebecca Düpree“, nannte die junge Polizistin ihren Namen. „Herr Udo Jakobi hat uns angerufen, und wir haben gleich das BKA verständigt.“
„Danke.“ Wir setzten uns dazu. „Sie haben Thorben Rademacher wiedererkannt“, wandte ich mich an Udo Jakobi.
Der Besitzer von Udo’s Imbiss nickte. „Ja. Er aß regelmäßig hier. Fast täglich. Die Uhrzeit war wochenweise verschieden. Ich nehme an, dass er immer nach seiner Schicht hier vorbei kam. Zwei Fishburger und eine Tasse Kaffee, dazu Chips. Das war seine Standard-Bestellung.“ Udo Jakobi atmete tief und fuhr schließlich fort: „Sein Bild wurde im Lokalfernsehen gebracht. Ich habe ihn gleich wiedererkannt.“
„Schildern Sie uns, was geschehen ist.“
„Es war ungefähr vier Uhr morgens. Er saß am letzten Tisch dort hinten, in der Ecke. Dort ist er immer hingegangen. Er gähnte dauernd, weil er wohl eine Nachtschicht hinter sich hatte. Er hat seine Bestellung aufgeben, angefangen zu essen und wurde dann über das Handy angerufen.“
„Konnten Sie etwas verstehen?“
„Ja, er war der einzige Gast um die Zeit und ich habe mitbekommen, dass sich mit dem Typ am anderen Ende der Leitung verabredet hatte. Er war etwas ungehalten darüber, dass der Kerl noch nicht da war. Vielleicht sollte er auch in der Imbiss auf ihn warten.“
„Woraus schließen Sie, dass es ein Mann war?“
Udo Jakobi zuckte mit den breiten Schultern und hob die Augenbrauen. „Also, wenn Sie mich so fragen...“
„Ja?“
„Ich habe das einfach nur angenommen.“
„Hm.“
„Durch die Art, wie er mit ihm redete.“
„Okay.“
„Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausgedrückt habe...“
„Doch, doch... Fahren Sie ruhig fort, Herr Jakobi.“
„Jedenfalls verließ er kurz nach dem Anruf das Lokal und verschwand draußen in der Dunkelheit.“
„Sie haben nichts mehr gesehen oder gehört?“
„Nein. Wenn es dunkel ist, spiegeln die Scheiben. Man sieht fast nichts.“
„Mehr können Sie uns nicht sagen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Nein, tut mir Leid.“
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Rudi. Wir kennen uns gut genug, um zu wissen, was der andre denkt. Manchmal muss es gar nicht mehr ausgesprochen werden.
„Wir danken sehr für Ihre Auskünfte“, erklärte Rudi schließlich.
Udo Jakobi schluckte. „Hoffentlich konnte ich Ihnen weiterhelfen.“
„Wird sich zeigen“, sagte ich.
„Na, dann....“
„Weiß man vorher nie“, sagte ich.
Udo Jakobi runzelte die Stirn.
„Ich verliere ungern Stammkunden auf diese Weise. Dass er ein Bulle – ich wollte sagen: ein Polizist - war, habe ich übrigens erst in den Nachrichten gehört.“
„Meine Kollegen suchen die Umgebung nach Hinweisen ab“, sagte Rebecca Düpree.
„Ich hoffe, die finden etwas“, antwortete ich. „Wenn man den Tatort nicht kennt, stochert man mit seinen Ermittlungen ziemlich im Nebel herum.“
Wir erhoben uns. Ich wandte mich noch einmal an Udo Jakobi, der ziemlich nervös wirkte und sich die schwitzigen Hände an seiner Schürze abwischte. „Eine Frage noch...“
„Ja?“
„Sie meinten, dass er jemanden hier erwartet hat.“
„Genau.“
„Hat er sich zuvor mal mit jemandem hier getroffen oder war er immer allein, wenn er seine Fishburger aß?“
„Er war eigentlich immer allein.“
„Eigentlich?“
„Zumindest, wenn ich dabei war, aber ich muss gestehen, dass zwar meine Imbiss 24 Stunden geöffnet hat, aber ich nicht rund um die Uhr hinter dem Tresen stehen kann.“
„Könnten wir Ihre Angestellten dazu befragen?“
„Sicher.“
Es stellte sich heraus, dass Jakobi insgesamt fünf feste Angestellte hatte, dazu drei Aushilfskräfte, die stundenweise engagiert wurden. Von den fest Angestellten fehlte eine und von den Aushilfskräften zwei Personen, deren Arbeitszeiten in der Imbiss erst später begannen.
Eine als Aushilfskraft angestellte junge Frau mit offenkundig asiatischen Wurzeln namens Jessica Liao wollte gesehen haben, dass sich Rademacher einmal mit einem Mann um die dreißig und einmal mit einer Blondine getroffen hatte. Die Blondine war auch noch einem anderen Angestellten aufgefallen, der Mann hingegen nicht.
„Der Mann, mit dem er sich traf, war ziemlich groß, schlaksig und hatte gelocktes, dunkles Haar“, berichtete uns Jessica Liao. „Er wurde wohl eingeladen. Jedenfalls ist er mir schon deswegen in Erinnerung geblieben, weil er vier Fishburger geschafft hat.“
„Haben Sie einen Namen oder irgendetwas von dem Gespräch der beiden mitbekommen?“, fragte ich.
Jessica Liao schüttelte den Kopf und strich eine Strähne ihrer schulterlangen, blauschwarzen Haare aus Gesicht. „Nein, tut mir leid. Aber es gab Streit zwischen den beiden, woraufhin der Mann mit dem gelockten Haar wutentbrannt hinausgelaufen ist. Er hätte mich fast umgerannt. Ach, übrigens, er trug ein Goldkettchen mit einem Kreuz auf der Brust.“
„Bis wann sind Sie hier in Udo's Imbiss?“
„Heute bis fünf Uhr am Nachmittag.“
„Dann wird vorher noch einer unserer Kollegen hier vorbeikommen und mit Ihnen zusammen ein Phantombild anfertigen. Er heißt Herr Prewitt.“
„Glauben Sie, dass dieser Lockenkopf den Mann umgebracht hat?“
„Er ist bislang nur ein Zeuge. Jeder, der in den letzten Tagen und Wochen mit dem Opfer zu tun hatte, kann uns vielleicht wertvolle Informationen darüber geben, wer einen Grund gehabt haben könnte, Rademacher umzubringen.“
„Und was können Sie uns über die Frau sagen?“, fragte Rudi.
Die junge Frau wandte den Blick in Rudis Richtung. Mit einer beiläufigen Bewegung strich sie sich das blauschwarze Haar zurück und klemmte eine Strähne hinter das Ohr.
„Ich glaube, die beiden hatten was miteinander – so wie die sich angesehen haben“, lautete die Meinung von Jessica Liao. „Ihr Blond war nicht echt, die Brüste auch nicht und ich nehme an, sie hat sich auch die Lippen machen lassen. Ich frage mich, was sie mit ihrem Körper angestellt hat, dass Sie das in dem Alter schon nötig hatte!“
„Wie alt würden Sie sie schätzen?“, fragte Rudi.
„Mitte zwanzig. Sie war so groß wie ich, also unter 1,70 m. Unter ihrem Mantel trug sie ein ziemlich edles, aber knappes Kleid. Irgendwie passte sie überhaupt nicht hier her. Dementsprechend war auch ihr Appetit. Sie hat eine Tasse Kaffee genommen, aber der war ihr wohl auch nicht recht. Jedenfalls hat sie ihn stehen lassen. Ach ja, am Arm, da trug sie ein Armband, das mir sofort aufgefallen ist.“
„So?“
„Es war geformt wie zwei kleine Schlangen, die sich um das Handgelenk winden. Sah schon aus wie was ganz Besonderes.“
„Unser Zeichner Herr Prewitt wird auch von ihr ein Bild anfertigen“, kündigte ich ihr an.
Über Funk meldete sich einer der uniformierten Beamten der Berliner Polizei vom Hafenbecken aus bei Rebecca Düpree.
„Wir haben hier vielleicht etwas gefunden.“
Rudi und ich gingen ins Freie. Zusammen mit Polizeimeisterin Düpree liefen wir zur Kaimauer. Auf der linken Seite passierten wir dabei ein kleines Lagerhaus und erreichten schließlich die uniformierten Kollegen, die dort den Boden absuchten.
Einer von ihnen stellte sich mir als Polizeimeister Ernst Golltke vor und deutete auf einen dunklen Fleck auf dem Boden. „Das könnte Blut sein“, meinte er. „Genau kann man das natürlich nur sagen, wenn man einen Hämoglobin-Schnelltest oder Luminol zur Hand hat – in dem eingetrockneten Zustand. Aber fürs Erste können Sie meiner Erfahrung trauen – das hier ist meiner Meinung nach Blut.“ Er deutete zur Kaimauer, wo sich zwei weitere Kollegen auf dem Boden umsahen.
„Ich rufe unsere Spurensicherer an“, kündigte Rudi an.
Herr Golltke deutete in Richtung seiner Kollegen. „Dort an der Mauer gibt es noch weitere Blutspuren.“
„Das könnte passen“, stellte ich fest. „Rademacher wurde hier erschossen und dann zum Wasser geschleift! Dann fehlen uns eigentlich nur noch die Projektile.“
„Da sehe ich wenig Hoffnung“, meinte Golltke. „Wahrscheinlich sind die ins Wasser gefallen.“
„Kommt auf die Schussposition an“, widersprach ich. „Wenn wir Glück haben, finden wir dort hinten an der Uferböschung noch etwas.“
Zur gleichen Zeit erreichten unsere Kollegen Jürgen Carnavaro und „Olli“ Oliver Medina Rademachers Eigenheim in Oranienburg. Rademacher hatte sich einen schmucken Bungalow in der Jasper Straße gekauft, einer breiten Allee mit Häusern, die der oberen Mittelklasse entsprachen.
Unsere Kollegen parkten ihren Volkswagen aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft am Straßenrand, gingen durch die offene Hofeinfahrt zur Garage und standen schließlich vor der Haustür.
Ein Team der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst war ebenso auf dem Weg hier her wie die BKA-Kommissare Fred LaRocca und Annemarie O’Hara, deren Aufgabe es sein würde, Jürgen und Olli bei der Hausdurchsuchung zu helfen.
Annemarie war mit einem irischen Computerspezialisten verheiratet, der im Entwicklerzentrum eines großen Online-Händlers in Berlin-Mitte arbeitete. Auf diese Weise war unsere Kollegin zu ihrem exotischen Nachnamen gekommen.
Aber da sie selbst rothaarig war, hielt sie jeder selbst für eine Bilderbuch-Irin, sobald sie ihren Nachnamen nannte.
Nur der deutlich hörbare Berliner Akzent, der bei Annemarie O'Hara immer wieder durchkam, irritierte dabei etwas.
Jürgen und Olli stutzten.
Das Haus war ziemlich bald, nachdem man Rademacher an Land geholt und identifiziert hatte, von Kollegen der Schutzpolizei versiegelt worden.
Aber das Siegel war gebrochen.
Jürgen griff nach seiner Dienstwaffe. Olli folgte seinem Beispiel.
„Hier war offenbar jemand schneller als wir!“
„Rademacher war unverheiratet und lebte allein. Eigentlich dürfte niemand hier gewesen sein!“
Jürgen holte den Schlüsselbund hervor, der mit einem Karabinerhaken an Rademachers Gürtel befestigt gewesen war. Er war zusammen mit dem Teil, der bei der Leiche gefundenen persönlichen Habe, der nicht mehr im Labor untersucht zu werden brauchte, am Morgen per Kurier ins Präsidium gesandt worden.
Jürgen öffnete die Tür.
Geräusche waren zu hören.
Olli ging mit der Waffe in der Hand voran, durchschritt beinahe lautlos den Empfangsraum und erreichte schließlich die halb geöffnete Tür zum Wohnzimmer. Jürgen folgte.
Mit einem Tritt öffnete Olli die Wohnzimmertür.
„Waffe weg! Polizei!“, rief er.
Ein durchdringender Schrei ertönte.
Eine junge Frau stand mitten im Raum. Sie war blond, trug Jeans, T-Shirt und einen Blouson.
Das einzig auffällige an ihrem Outfit war das Armband mit den zwei das Handgelenk umschmeichelnden Schlangen.
Sie stand wie erstarrt da, in der Rechten hielt sie einen .22er Revolver und richtete ihn auf Olli.
„Die Waffe weg!“, wiederholte unser Kollege.
Sie schluckte und zitterte. Auf ihrer Stirn perlte der Angstschweiß.
„Okay“, flüsterte sie schließlich. „Ich gebe auf! Wer immer Sie auch sind, tun Sie mir nichts!“
„Wir sagten, wer wir sind!“, hielt Jürgen ihr entgegen. Er machte ein paar schnelle Schritte nach vorn, nahm ihr die Waffe aus der Hand und legte ihr anschließend Handschellen an.
Sie setzte sich auf die Couch.
„Ich bin Kommissar Jürgen Carnavaro und dies ist mein Kollege Kommissar Oliver Medina. Wir kommen vom Bundeskriminalamt und untersuchen den Tod unseres Kollegen Thorben Rademacher. Und jetzt möchte ich gerne wissen, wer Sie sind!“
„Christine Wistanow“, sagte sie.
„Und was tun Sie in Thorben Rademachers Wohnung?“, fragte Jürgen.
„Thorben und ich waren seit einiger Zeit ein Paar“, erklärte Christine Wistanow. „Wenn Sie mal in meiner Jacke nachsehen, dann werden Sie feststellen, dass ich einen Wohnungsschlüssel besitze - so wie sich umgekehrt auch an Thorbens Schlüsselbund ein Schlüssel zu meiner Wohnung finden müsste.“
„Angenommen, es stimmt, was Sie sagen...“
„In seiner Brieftasche trug er ein Foto von mir mit sich herum. Thorben war eben ein Romantiker.“
„Das können wir leider nicht mehr überprüfen“, bedauerte Jürgen. „Thorben Rademachers Brieftasche befindet sich nämlich sehr wahrscheinlich zusammen mit seinem Handy auf dem Grund des Hohenzollernkanals, falls sie ihm nicht von seinem Mörder entwendet wurde.“
„Ihre Beziehung erklärt aber noch nicht, weshalb Sie das Siegel der Polizei ignoriert haben“, mischte sich Olli ein. „Was wollten Sie in der Wohnung?“
„Also, ich will ehrlich sein.“
„Darum möchte ich doch gebeten haben“, erwiderte Jürgen.
Sie nickte und blickte zur Seite. Den direkten Augenkontakt mit einem der beiden Kommissaren mied sie.
Sie sagte: „Wir hatten uns gestritten. Ziemlich heftig sogar. Also habe ich mich zunächst auch nicht gewundert, dass Thorben nicht bei mir anrief. In dieser Hinsicht war er ohnehin ziemlich unzuverlässig. Aber dann habe ich die Meldung im Radio gehört.“
„Unseres Wissens haben Sie sich aber nicht bei der Polizei gemeldet“, hielt Olli ihr entgegen.
„Ich wollte zuerst ein paar Privatsachen aus der Wohnung holen. Das ist der Grund dafür, dass ich hier bin.“
„Um ein Polizeisiegel zu brechen, ist das trotzdem eine ziemlich dünne Erklärung“, meinte Jürgen.
„Ach wirklich?“
„Sie sehen ja, was jetzt passiert ist.“
„Ich sitze in Handschellen hier.“
„Sie haben uns mit einer Waffe bedroht.“
„Eigentlich wollte ich in diese Sache nicht hineingezogen werden.“
„Nach der großen Liebe hört sich das mit Ihnen und Rademacher ja nicht an“, sagte Olli.
„Ach – und Sie können das beurteilen?“, fauchte sie.
Olli sah sie an. „Es scheint Ihnen ziemlich gleichgültig zu sein, wer Ihren Freund umgebracht hat.“
„Stattdessen war es Ihnen nur wichtig, ein paar persönliche Dinge aus Herrn Rademachers Wohnung verschwinden zu lassen“, ergänzte Jürgen.
Olli sagte: „Ich muss sagen, bei diesem hohen Grad an gegenseitiger Verbundenheit kommen mir schon fast die Tränen. Scheint ein richtiger Glückspilz gewesen zu sein, der Herr Rademacher. Ich meine, dass er Sie kennengelernt hat...“
„Manche Frauen sollen ja emotional sehr stark klammern“, meinte Jürgen. „Wie gut, dass Herr Rademacher bei Ihnen dieses Problem nicht gehabt haben dürfte. Jemand, der so eiskalt ist, wie Sie, hat als Partnerin für einen Polizisten doch auch ein paar Vorteile... Er konnte sich dadurch sicherlich auch voll in seine Einsätze stürzen, da er genau wusste, dass der keine trauernde Witwe hinterließ...“
„...sondern eine Frau, die nach seinem Tod auch noch die Wohnung aufräumt“, ergänzte Olli sarkastisch.
„Wollen Sie mich jetzt verarschen?“, fragte Christine Wistanow.
„Sinn für Ironie hat sie jedenfalls nicht“, sagte Jürgen.
„Nee, hat sie nicht“, bestätigte Olli.
„Sonst würde sie so eine Frage nicht stellen, Olli.“
„Würde sie nicht“, meinte Jürgen Carnavaro.
Wenig später trafen Annemarie O'Hara und Fred LaRocca ein. Etwa zeitgleich war auch das Team der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst am Tatort.
Annemarie führte eine gründliche Durchsuchung bei Christine Wistanow durch.
Außerdem wurden Fingerabdrücke genommen.
Christine Wistanow protestierte dagegen zwar ziemlich lautstark, aber das war zwecklos. Als Kommissarin Annemarie O’Hara Christine gegenüber klarmachte, dass die erkennungsdienstliche Behandlung auch im Präsidium durchgeführt werden könnte, ließ diese ihren Protest verstummen.
„Juristisch gesehen war das, was Sie getan haben, ein Einbruch und ein bewaffneter Angriff auf zwei BKA-Kommissare. Hinzu kommt noch ein Verstoß gegen das Waffengesetz“, erklärte Annemarie.
„Ich habe den .22er, um mich verteidigen zu können!“
„Die Gesetze sind für alle gleich und verbieten den Besitz von Schusswaffen, es sei denn Sie haben dafür eine Erlaubnis. Und von der haben wir bislang nichts gesehen. Ich fürchte, wir werden da auch wohl nichts mehr zu sehen bekommen...!“
„Sie können mich mal!“
„Sie werden sich auf einigen Ärger einstellen müssen und kümmern sich am besten schon mal um einen Anwalt. Aber vielleicht unterstützen Sie uns ja auch noch ein bisschen bei der Suche nach dem Mörder des Mannes, den Sie als Freund bezeichnet haben.“
„Vielleicht werden Sie und Ihre Kollegen für diese unrechtmäßige Festnahme sich auch noch vor einem Richter verantworten müssen!“, fauchte sie.
„Es steht Ihnen jederzeit frei, sich zu beschweren oder rechtliche Schritte einzuleiten. Aber ich empfehle Ihnen dringend, sich vorher juristisch beraten zu lassen“, lautete Annemaries ausgesprochen kühle Erwiderung.
Fred LaRocca führte in einem Nebenraum mit seinem Laptop eine Online-Abfrage durch.
Jürgen Carnavaro sah ihm dabei über die Schulter.
Annemarie kam herein, ging zu den beiden Kommissaren hin und fragte: „Was machen wir jetzt mit ihr?“
„Irgendetwas stimmt nicht mit ihr“, meinte Jürgen. „Unser System zeigt uns mehrere Verurteilungen wegen Beischlafdiebstahl an. Einmal hat sie einen Freier ausgeraubt und dafür auch eine Weile gesessen... Eine Prostituierte, die sich den Akten nach auch schon als Erpresserin zu betätigen versucht hat...“
„Es könnte sein, dass Habgier bei diesem Einbruch das Motiv war“, glaubte Fred LaRocca.
„Aber ich habe nichts bei ihr gefunden, das darauf hindeutet“, wandte Annemarie ein. „Also ich meine: Diebesgut. Die Beute eben.“
„Dann sind wir ihr eben zuvor gekommen“, entgegnete Jürgen. „Sie kommt mit auf das Präsidium. Die Waffe wird beschlagnahmt und ballistisch überprüft. Durch das, was wir bei ihr an Vorstrafen haben, ist ihre Version, wonach sie Rademachers liebende Gefährtin war, wohl ziemlich zweifelhaft.“
„Spätestens morgen ist sie gegen Kaution wieder draußen“, gab Annemarie zu bedenken.
„Ja, aber bis dahin haben wir vielleicht ein paar Punkte geklärt.“
Die Maschinenpistole ratterte. Ede Gerighauser hob die Hände. Die Schüsse zischten über ihn hinweg und stanzten Löcher in die Wand. Ein Muster, das Ähnlichkeit mit einer Sinuskurve hatte.
Der MPi-Schütze riss das Magazin aus der zierlichen Waffe vom israelischen Typ Uzi heraus, warf es zur Seite und steckte ein neues hinein.
Ede Gerighauser zitterte vor Angst. Er musste die Kiefer fest aufeinander pressen, um nicht mit den Zähnen zu klappern, so schlimm war es.
Der Puls schlug ihm bis zum Hals. Kalter Angstschweiß perlte ihm über die Stirn.
Der MPi-Schütze stellte sich breitbeinig auf.
Er trug eine Military-Hose und eine Lederjacke. Darunter ein T-Shirt mit V-förmigen Ausschnitt.
Unterhalb des Halsansatzes war eine Tätowierung zu sehen. Drei ineinander greifende Ringe.
Der Kerl trat näher. Die kurze Mündung der Uzi war auf Ede Gerighauser’ Kopf gerichtet.
„Schrei ruhig. Hier wird dich niemand hören, Ede! Die Polizei traut sich in dieses Viertel ohnehin nur in Mannschaftsstärke – und hier hat sie schon gar nichts zu suchen.“
Der MPi-Schütze lachte rau.
Ede Gerighauser war nur zu gut bewusst, wie Recht sein Gegenüber hatte.
Man hatte ihn auf eine abgelegene Industriebrache gebracht. Dieses Lagerhaus rottete seit Jahren vor sich hin. Der Untergrund war mit Giftmüll verseucht, die Firma war Bankrott gegangen und jetzt stritt man sich vor Gerichten darüber, wer für die Schäden aufzukommen hatte. Ein Ort, an dem man wahrscheinlich sogar seine Leiche erst nach Wochen finden würde.
Wenn überhaupt.
Der MPi-Schütze beugte sich zu Gerighauser herab.
„Wie nennt man mich, Ede?“
„Den King.“
„Den King, richtig. – und seinen König verrät man doch nicht oder?“
„Ich habe es nicht freiwillig getan!“
„Du hast es getan! Und das ist das Einzige, was zählt.“
„Erschieß mich nicht!“
„Deinetwegen sitzt mein Bruder im Knast!“
„Bitte! Ich tu alles, was du willst, King!“
Der Mann, der sich >King< nennen ließ, lachte zynisch. „Keine Sorge, Ede. Ich werde dich noch nicht erschießen. So einen Wurm wie dich, der sich vor Angst in die Hosen macht und innerlich ohnehin schon tot ist, weil er sich dauernd an seinem eigenen Stoff vergreift! Du bist ein Stück Dreck, Ede! Aber das ist dir nicht klar. Keine Sorge, ich werde dir das schon richtig beibringen.“ >King< wandte sich um und brüllte: „Wo ist die Schlampe?“
Schritte waren zu hören.
Zwei maskierte Männer brachten eine junge Frau in den Raum. Ihre Hände waren auf den Rücken gefesselt, die Augen verbunden.
„Maria!“, stieß Ede hervor. „Was habt ihr mit meiner Schwester vor?“
Der King stieß sie vorwärts. Sie taumelte Ede entgegen. Die Uzi knatterte los. Der King hielt die Waffe hoch, sodass Schultern und Kopf der jungen Frau getroffen wurden. Ihr Körper zuckte unter den Treffern. Sie fiel Ede Gerighauser entgegen und landete direkt auf ihm. Sie lebte schon nicht mehr. Überall war Blut. Ede Gerighauser war vollkommen damit besudelt. Völlig fassungslos nahm er Maria in die Arme.
Ein dicker Kloß saß ihm im Hals.
Ede Gerighauser konnte noch nicht einmal schreien.
„Warum sie?“, flüsterte Ede.
„Jetzt bist du dran, Ede!“
Der King warf einem seiner Leute die Uzi zu. Der Maskierte fing sie sicher auf. Dann griff der King unter seine Jacke und holte eine Automatik vom Kaliber .45 hervor und setzte sie Ede Gerighauser an den Kopf. „Weißt du, was mit dem Gehirn geschieht, wenn ich den Stecher durchziehe?“, fragte er mit breitem Grinsen. Gerighauser schloss die Augen.
Der King drückte ab.
Es machte nur klick.
„Gar nichts geschieht!“, lachte der King. „Ich werde dich nicht töten, Ede. Noch nicht. Erst sollst du noch leiden. Deine Strafe ist es, vorerst weiter zu leben. Weiter zu leben in dem Bewusstsein, dass du an all dem Schuld bist. Maria hätte nicht sterben müssen, wenn du uns nicht verraten hättest. Und wenn du zufällig in nächster Zeit mal wieder deine Eltern besuchen solltest... Na ja, vielleicht hat man sie auch schon gefunden!“
„Nein!“, brüllte Ede.
„Du bist schuld daran, Ede! Nur du ganz allein – so wie du auch schuld daran bist, dass mein Bruder und fast alle Führungskräfte der ‚Killer Bandoleros’ verhaftet wurden!“
„Nein!“, schrie Ede Gerighauser noch einmal.
„Aber irgendwann werde ich zuschlagen und auch dein Leben ausknipsen. Aber vorher wird dich die Schuld innerlich aufgefressen haben. Wenn ich dich töte, wirst du innerlich längst tot sein.“
„Hey, was ist mit Ihnen los?“, drang eine Stimme wie aus weiter Ferne in Ede Gerighauser’ Bewusstsein. Hände fassten ihn bei den Schultern. „Soll ich einen Arzt holen?“
Erst jetzt begriff Ede Gerighauser, dass es nur eine Erinnerung gewesen war, die ihn so sehr in Beschlag genommen hatte, dass er sie für real hielt.
Ein Flashback.
Er blickte auf seine Hände und starrte sie ungläubig an. Von Marias Blut war nirgends etwas zu sehen. Stattdessen sah er auf dem Grab, das sich vor ihm befand, Marias Namen. Ihren Namen und die Namen seiner Eltern. Die Erinnerungen drohten ihn wieder zu übermannen. Er sah sich erneut die Wohnung seiner Eltern betreten. Sah das Blut an den Wänden. Den Geruch...
„Hören Sie, Sie sehen wirklich so aus, als wäre Ihnen nicht gut. Soll ich nicht doch besser den Notarzt rufen?“, fragte der stämmige, grauhaarige Mann mit den wachen, dunkelbraunen Augen. Auf seiner hohen Stirn hatte sich eine tiefe Furche gebildet.
Ede Gerighauser wandte den Kopf.
In dieser Sekunde nahm er den Grauhaarigen zum ersten Mal bewusst wahr.
„Es geht schon“, behauptete Gerighauser.
„Wirklich?“
„Wirklich.“
Der Grauhaarige zuckte mit den Schultern. „Wie Sie meinen.“ Irritiert ging er davon und drehte sich nach ein paar Dutzend Metern noch einmal um.
Ede Gerighauser stand in sich versunken da und beachtete den Mann schon gar nicht mehr.
Die rechte Hand steckte in der tiefen Tasche seines Mantels und umfasste den Griff einer Pistole.
Sie hätten mir helfen können, Kommissar Rademacher!, dachte er. Aber Sie haben es nicht getan.
Am nächsten Tag fanden wir uns im Büro unseres Chefs zur Besprechung ein. Außer Rudi und mir waren auch unsere Kollegen Jürgen Carnavaro und Oliver Medina sowie eine ganze Reihe weiterer Ermittler unserer Abteilung anwesend. Darunter auch Max Herter, ein Innendienstler aus unserer Fahndungsabteilung und Hans-Peter Haselmann, der Chefballistiker.
„Guten Morgen“, begrüßte uns Kriminaldirektor Bock, nachdem alle anwesend waren. Seine Sekretärin Mandy hatte uns Kaffee serviert, und ich nippte an dem heißen, aber unvergleichlich guten Gebräu. „Wer von Ihnen Lokalnachrichten gehört hat oder schon dazu gekommen ist, eine Zeitung zu lesen, wird bemerkt haben, dass der Fall Rademacher hohe Welle geschlagen hat. Einige Medien scheinen die Sache für ihre Zwecke ausnutzen zu wollen. Das Ganze geht etwa in die Richtung, dass man sich in der Stadt wohl nicht mehr sicher fühlen kann, wenn schon Polizisten umgebracht werden. Das ist natürlich Unsinn. Jeder weiß, dass die Verbrechensraten in Berlin seit Jahren konstant rückläufig sind. Ich fürchte nur, dass von dieser Wahrheit in der Öffentlichkeit kaum etwas durchdringen wird!“
„Andererseits hat uns der Gang an die Öffentlichkeit den Hinweis auf Udo’s Imbiss beschert“, hielt Max Herter dem entgegen.
Kriminaldirektor Bock nickte. „Ja, das ist richtig, Max“, räumte er ein. „Aber ich denke, auch Sie sind erschrocken darüber, welche Folgen dieser Gang an die Öffentlichkeit darüber hinaus hatte. Ich bin weit davon entfernt, die Maßnahme für falsch zu halten. Schließlich habe ich sie selbst nach reiflicher Überlegung angeordnet. Ich will nur, dass jedem von Ihnen klar ist, was für ein zweischneidiges Schwert es sein kann, die Öffentlichkeit in die Fahndungsarbeit mit einzubeziehen. Die Sache gleitet einem schneller aus der Hand, als einem lieb ist.“ Kriminaldirektor Bocks Gesichtsausdruck wirkte sehr ernst, während er das sagte. Für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille im Büro. Dann wandte er sich an Max. „Es liegen tatsächlich ein paar neue Erkenntnisse vor. Vielleicht fassen Sie den Kollegen kurz die Lage zusammen.“
„Ja, Herr Bock. Auf jeden Fall ist die Westhafenstraße in Moabit tatsächlich der Tatort. Erstens besteht kein Zweifel mehr daran, dass der Fleck auf dem Asphalt eine Blutlache war, zweitens, dass es so gut wie unmöglich wäre, allein diesen Blutverlust zu verkraften und dass drittens der Tote zum Wasser geschleift worden ist.“
„Außerdem konnte ein Projektil in der Uferböschung sichergestellt werden“, ergänzte unser Ballistiker Hans-Peter Haselmann. „Den Untersuchungsergebnissen nach stammt es aus derselben Waffe, mit der Rademacher getötet wurde, sodass wir das Ergebnis der DNA-Analyse wohl nicht abwarten brauchen, um davon ausgehen zu können, dass wir tatsächlich den Tatort gefunden haben.“
„Was ist mit den Zeugenaussagen von Udo Jakobi und seinen Angestellten?“, hakte Kriminaldirektor Bock nach.
„Daraus sind Phantombilder hervorgegangen“, erläuterte Max Herter und präsentierte uns das erste dieser Bilder mit Hilfe eines Beamers in überdimensionaler Größe an der Wand. Es zeigte einen Mann mit gelocktem Haar. „Die haben wir mit Personen abgeglichen, die in irgendeinem Zusammenhang mit Rademacher standen und sind fündig geworden. Wir haben eine mindestens 85-prozentige Übereinstimmung zwischen dem Mann, mit dem sich Rademacher einmal in dem Imbiss getroffen hat, und einem gewissen Ede Gerighauser. Gerighauser war ein kleiner Dealer und Mitglied einer Rocker- und Drogengang mit der Bezeichnung ‚Killer-Bandoleros’. Mit seiner Hilfe wurde Manuel Bentz, der Anführer der Gang zusammen mit dem Großteil seines Führungspersonals verhaftet.“
„Lass mich raten: Thorben Rademacher war maßgeblich an der Verhaftung beteiligt!“, glaubte Jürgen.
Max bestätigte dies. „So ist es. Angeblich versucht Bentz’ Bruder Lionel Bentz – genannt ‚Der King’ – die Gang wieder aufzubauen. Tatsache ist, dass Ede Gerighausers Eltern und seine Schwester kurz nach Manuel Bentz’ Verhaftung ermordet wurden.“
„Der Schluss liegt nahe, dass es sich da um einen Rachefeldzug handelt“, meinte Kriminaldirektor Bock. „Genießt Ede Gerighauser Zeugenschutz? Hat er eine neue Identität?“
„Nein. Jedenfalls nicht, dass wir davon wüssten oder dass er dafür behördliche Hilfe in Anspruch genommen hätte. Es ist zumindest nichts darüber in den Akten verzeichnet. Den Grund dafür müssen wir noch herausfinden.“
„Auf jeden Fall gehörte Gerighauser nicht zu den Fällen, in denen Rademacher wegen des Unterschiebens von Beweismaterial und Erpressung von Spitzeldiensten ins juristische Kreuzfeuer kam“, stellte Kriminaldirektor Bock mit Blick auf seine Unterlagen fest.
„Die Tatsache, dass Gerighauser Rademacher nicht angezeigt hat, heißt nicht, dass es in seinem Fall nicht auch so gewesen sein könnte“, gab Rudi zu bedenken. „Vielleicht hatte Gerighauser einfach nur kein Vertrauen in die Polizei.“
„In dem Fall hätte Gerighauser ein erstklassiges Motiv, um Rademacher umzubringen“, glaubte Olli. „Er könnte Rademacher für den Tod seiner Eltern und Schwester verantwortlich gemacht haben.“
„Allerdings ist ja wohl noch nicht erwiesen, dass Gerighauser tatsächlich die Person war, mit der Rademacher an dem Abend telefonierte“, gab ich zu bedenken. „Sein Handy wurde ja leider nie aufgefunden.“
„Wir gehen der Spur auf jeden Fall weiter nach“, entschied Kriminaldirektor Bock. „Ist Gerighauser Aufenthaltsort bekannt?“
„Leider nicht“, sagte Max. „Er scheint untergetaucht zu sein.“
„Er wird zur Fahndung ausgeschrieben, aber wir gehen nicht an die Öffentlichkeit damit“, bestimmte unser Chef. „Was ist mit der Frau?“
Max Herter projizierte ihr Phantombild an die Wand und überblendete es anschließend mit dem Foto, das anlässlich einer Festnahme gemacht worden war.
„Hier ergibt sich eine hohe Übereinstimmung mit Christine Wistanow, einer mehrfach wegen verschiedenen Delikten vorbestraften Prostituierten.“
„Unter Rademachers Kollegen glaubte man, Christine sei seine Freundin“, ergänzte ich.
Jürgen Carnavaro zuckte mit den Schultern und warf ein: „Wer weiß, vielleicht glaubte Rademacher das sogar selbst.“ In knappen Worten informierte er uns darüber, wie und unter welchen Umständen Christine Wistanow in Rademachers Haus aufgegriffen worden war.
„Unsere Verhörspezialisten Meinert Schneider und Pascal Horster haben sich die halbe Nacht mit ihr befasst und versucht, etwas aus ihr herauszubekommen, das über ihre Standard-Aussage hinausging, mit der sie bereits uns abgespeist hatte. Heute Morgen ist ihr Haftprüfungstermin. Ihr Anwalt ist ein gewisser Karlheinz Bandella, der zuvor häufiger mal für Benny Farkas tätig war.“
„Das ist ein interessantes Detail“, murmelte ich.
„Es kommt noch besser“, mischte sich nun Hans-Peter Haselmann ein. „Die konfiszierte Waffe vom Kaliber .22 wurde bei derselben Schießerei in Benny Farkas’ Club ‚El Abraxas’ benutzt, wie die .45er mit der Rademacher ermordet wurde.“
„Dann wird es Zeit, dass wir Farkas mal näher auf den Zahn fühlen!“, meinte Rudi.
Max zeigte uns ein Foto von ihm. Ein geckenhafter Mann mit dunklem Teint, feinem Oberlippenbart in schneeweißem Anzug. Am Revers trug er eine Rose. „Das ist Farkas! Ein Dutzend Clubs dürfte unter seiner Kontrolle stehen. Außerdem gilt er als einer der Großverteiler von Drogen in Berlin“, erläuterte Max. „Die ‚Killer Bandoleros’ sollen zu seinem Verteilernetz gehört haben, nur konnte man das im Prozess leider nicht nachweisen. Die Kollegen von der Drogenfahndung vermuteten, dass es damals zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Benny Farkas und den ‚Bandoleros’ kam. Vermutlich konnte man sich über Gewinnmargen nicht einig werden, woraufhin einige Mitglieder der ,Killer Bandoleros’ mehrfach in Farkas Club ziemlich rustikal aufgetreten sind und die Gäste verscheucht haben. Es ist zu vermuten, dass dies der Hintergrund der Schießerei ist, die dann stattfand und bei der mindestens ein Mitglied der ‚Killer Bandoleros’ ums Leben kam.“
„Ich schlage vor, Farkas’ Club heute Abend mal einen kleinen Besuch abzustatten“, meinte Jürgen.
Max Herter hatte uns alles, was er herausgefunden hatte, zu einem Datendossier zusammengestellt.
Rudi und ich saßen im Anschluss an die Sitzung in unserem gemeinsamen Dienstzimmer und arbeiteten die Unterlagen durch. Ich sah mir vor allem die Liste der Personen an, die damals bei der Schießerei verdächtigt worden waren, daran beteiligt gewesen zu sein. Der Einzige, in dessen Fall es immerhin zu einer Anklage gekommen war, hieß Reza Tannous. Er war mehrfach wegen Körperverletzung und illegalem Waffenbesitz vorbestraft und war damals Türsteher im ‚Abraxas’ gewesen. Inzwischen galt er als rechte Hand und Mann fürs Grobe in Benny Farkas’ Organisation. Da seine letzte Bewährung wegen einer Schlägerei erst in einem Monat auslief, war seine Adresse bekannt.
„Steht da irgendwo, weshalb es nicht zum Prozess gekommen ist?“, fragte Rudi.
„Vermutlich reichten die Beweise einfach nicht aus“, erwiderte ich.
Gegen Mittag fuhren wir zu Rademachers ehemaligem Revier und besprachen uns mit seinem direkten Vorgesetzten Herrn Kassavetes, dem Leiter der Drogenabteilung.
„Thorben Rademacher war ein hervorragender Polizist, der gute Erfolge verbuchen konnte“, sagte Kassavetes. „Es ist schade, dass seine Karriere diesen Knick bekam und man ihn nach Moabit abschob. Aber da war er ja nicht allein betroffen.“
„Es wurde noch ein Beamter namens Sebastian Maybaum verdächtigt, Beweismittel manipuliert und Kleinkriminelle zu Spitzeldiensten erpresst zu haben“, sagte ich.
„Ja. Maybaum verrichtet heute in einer anderen Dienststelle seinen Dienst. Ich habe ihn neulich beim Schieß-Training getroffen. Er arbeitet jetzt im Innendienst. Und das, obwohl gegen keinen der beiden auch nur ein Prozess eröffnet worden ist!“
„Es erschien damals wohl einigen Leuten opportun wohl, die beiden aus der Schusslinie zu nehmen.“
„Ja, so kann man das auch nennen!“, erwiderte er gallig.
„Man hatte bei Ihren Ermittlungen noch einen dritten Beamten im Visier“, stelle ich fest. „Sein Name war Tom Subotitsch.“
„Tom ist noch hier im Revier. Allerdings können Sie heute nicht mit ihm sprechen.“
„Warum nicht?“
„Er ist zu einer Fortbildung nach Frankfurt gefahren. Man bringt da den Angehörigen von Drogenabteilungen im ganzen Land die Anwendung neuer Drogen-Schnelltests bei.“
„Dann ist er morgen wieder hier?“
„Er hat zwei Wochen Urlaub genommen. Ich glaube, der Tod von Rademacher hat ihn sehr mitgenommen.“
„Die beiden standen sich nahe?“
„Ja, sie waren eng befreundet und arbeiteten im Dienst als Team zusammen: Maybaum, Rademacher und Subotitsch. Und ich hatte selten ein so erfolgreiches Team.“
„Sie haben dafür gesorgt, dass Manuel Bentz und die Führungsriege der ‚Killer Bandoleros’ hinter Gitter kamen!“
Kassavetes machte einen etwas überraschten Eindruck. Sein Lächeln wirkte verkrampft. „Sie scheinen ja bereits gut informiert zu sein.“
„Ein Informant namens Ede Gerighauser spielte dabei eine entscheidende Rolle.“
„Schon möglich!“, murmelte Kassavetes. „Worauf wollen Sie hinaus?“
„Auf gar nichts.“
„So?“
„Ich will es nur verstehen.“
„Ah, ja...“
„Also?“
Kassavetes behauptete: „Die Sache war sauber. Gerighauser hat sich – im Gegensatz zu ein paar anderen, die sich erst bezahlen und nachher von Erpressung und Manipulation herumschwadronieren – nie an die Justiz gewandt.“
„Vielleicht, weil er gesehen hatte, dass die anderen Verfahren nicht einmal vor Gericht kamen.“
„Wenn man auf der einen Seite die verworrene Aussage eines Junkies und Drogendealers hat, während auf der anderen Seite die Karriere eines Musterpolizisten auf dem Spiel steht, wird man sich wohl dafür entscheiden, letzterem zu glauben.“
„Ja, das könnte Gerighauser auch gedacht haben.“
„Fangen Sie jetzt auch an, uns irgendetwas anzuhängen?“, fragte Kassavetes etwas ungehalten. Eine tiefe Furche erschien auf seiner Stirn.
„Ich frage mich, warum Sie sich angegriffen fühlen, es ging doch um Rademacher – und nicht um Sie!“, erwiderte Rudi.
„Und letztlich versuchen wir nur, die Sache aufzuklären, um seinen Mörder zu fassen. Daran sollte doch auch Ihnen gelegen sein – gleichgültig, was da vielleicht noch nachträglich über Ihren Musterpolizisten ans Tageslicht kommen mag“, ergänzte ich.
Kassavetes atmete tief durch.
„Wissen Sie, in unserem Job können Sie nur zurechtkommen, wenn das Team zusammenhält“, sagte er dann.
„Ich hoffe, dass schließt nicht ein, Straftaten zu decken“, hielt ich ihm entgegen.
Er zögerte mit seiner Antwort und erklärte schließlich. „Sie können mir glauben, dass ich mindestens ebenso daran interessiert bin, Rademachers Mörder zu fassen wie Sie!“
„Kommen wir zu Ede Gerighauser zurück. Hatten auch Maybaum und Subotitsch Kontakt zu ihm?“
„Soweit ich weiß, ja.“
„Rademacher hat sich nachweislich nach seinem Ausscheiden aus dem Drogendezernat noch mit Gerighauser getroffen. Haben Sie dafür irgendeine Erklärung?“
Kassavetes runzelte die Stirn. „Nein, das wundert mich.“
„Weshalb?“
„Gerighauser gilt sein ein paar Wochen als spurlos verschwunden. Glauben Sie, dass er was mit Thorbens Tod zu tun hat?“
„Seine Eltern und seine Schwester wurden im Gefolge der Verhaftung von Manuel Bentz und seinen ‚Killer Bandoleros’ umgebracht.“
„Die Morde konnten leider nicht aufgeklärt werden, sonst säße Manuels Bruder Lionel, der sich großspurig ‚Der King’ – der König – nennen lässt, längst in einer JVA.“
„Aber wenn Gerighauser für seine Dienste erpresst wurde, hätte er allen Grund, auch sauer auf Rademacher zu sein.“
„Das ist allerdings wahr...“, murmelte Kassavetes nachdenklich.
„Warum ist Gerighauser nicht geschützt worden gekommen?“, fragte jetzt Rudi. „Eigentlich wäre das doch in seinem Fall üblich.“
Kassavetes vollführte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und sah erst Rudi und dann mich einen Moment lang an. „Rademacher meinte, er hätte ihm das angeboten, aber Gerighauser wollte das nicht. Er würde der Polizei, der Staatsanwaltschaft und allen anderen, die mit dem Staat zu tun hätten, nicht trauen. Einem wie ihm würden die sowieso nicht helfen...“
„Und für dieses Gespräch gibt es keine Zeugen?“, fragte ich. „Oder waren Subotitsch und Maybaum dabei?“
„Es tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung.“
Ich holte ein paar zusammengefaltete Computerausdrucke aus der Innentasche meiner Jacke und reichte sie Kassavetes.
„Was ist das?“, fragte er, noch ehe er die Blätter auseinandergefaltet hatte.
„Die ausgedruckten Datenblätter jener Personen, auf deren Anzeige hin damals die internen Ermittlungen eingeleitet wurden. Vielleicht können Sie uns etwas dazu sagen. Schließlich sind alle wegen Drogendelikten vorbestraft und hatten verschiedentlich mit Beamten Ihrer Abteilung zu tun.“
Kassavetes warf einen Blick auf die Blätter. „Rafi Mustafi war die treibende Kraft. Ein Kleindealer, der uns wiederholt ins Netz gegangen war. Ich erinnere mich genau an den Fall. Rademacher und Maybaum haben ihn als Informanten angeworben, nachdem er mit einer kleinen Menge Crack verhaftet wurde. Später behauptete er, Rademacher und Maybaum hätten ihm gedroht, sie könnten die Beweismittel so manipulieren, dass er für Jahre in den Knast wandern würde. Nur deswegen habe er als Informant gedient!“
„Und die beiden anderen?“, fragte ich.
„Victor Beinhauer und Benjamin Braun kamen erst aus ihren Löchern, als die Ermittlungen schon liefen. Zu einer Zeugenaussage vor Gericht kam es nie.“
„Weshalb nicht?“
„Beinhauer war plötzlich verschwunden und tauchte erst zwei Monate nach der Verhandlung wieder auf, als er nach einer Prügelei festgenommen wurde.“
„Könnte ihn jemand überzeugt haben, dass es besser für ihn wäre, nicht auszusagen?“, hakte ich nach.
„Das ist reine Spekulation, Herr Kubinke.“
„Aber möglich.“
Kassavetes zuckte die Schultern. „Vielleicht entsprach es auch einfach nicht der Wahrheit, was er behauptete und da hat er kalte Füße bekommen.“
„Und was ist mit Nummer drei?“
„Benjamin Braun? Der hat seine Aussage offiziell zurückgezogen. War eine ziemlich große Blamage für die Staatsanwaltschaft.“
„Wenn die Sache so eindeutig war, dann verstehe ich nicht, weshalb Maybaum und Rademacher versetzt wurden!“