Kriminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit - Willibald Alexis - E-Book

Kriminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit E-Book

Alexis Willibald

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Beschreibung

Dieses eBook: "Kriminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Diese Sammlung der interessantesten Kriminalgeschichten der Geschichte beinhaltet massenweise dokumentarerzählerische Darstellungen von Kriminalfällen. Wichtigstes Vorbild dieser Sammlung waren die Fälle, die Paul Johann Anselm von Feuerbach während seiner Zeit im bayerischen Ministerial- und Justizdienst gesammelt und zwischen 1808 und 1829 in mehreren Bänden veröffentlicht hatte. Die Fälle stammen aus der Zeit des 17. bis 19. Jahrhunderts und werden auf mehreren tausend Seiten detailliert aufgearbeitet.

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Willibald Alexis, Julius Eduard Hitzig

Kriminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit

e-artnow, 2014

Inhalt

Rosenfeld
Die Geheimrätin Ursinus
Exner
Der Magister Tinius
Karl Ludwig Sand
Gerhard von Kügelgens Ermordung
Winkelmanns Ermordung
Gesche Margaretha Gottfried
Die Goldprinzessin
Das Gelöbnis der drei Diebe
Geständnis des Räubers Karl Friedrich Masch
Warren Hastings
Der Sohn der Gräfin von St. Geran
Ludwig Christian von Olnhausen
Mary Hendron und Margaret Pendergras
Zur Geschichte der englischen Highwaymen
Exner
Der Doctor Castaing
Das papistische Complot
William Lord Russell
Der blaue Reiter
Der verrätherische Ring
Das Gelöbniss der drei Diebe
Die Tragödie von Salem
Jochim Hinrich Ramcke
Miguel Serveto
Eine erste Conventiklerin
Die Quäker in Boston
Eliçabide
Die beiden Markmann
Der Dieb als Vatermörder
Der Sohn des Bettlers
Contrafatto
Wilster, genannt Baron von Essen
Don Antonio Perez und die Prinzessin Eboli
Der Kerker von Edinburg
Die Schlieffen und die Adebar
Bathseba Spooner
Peytel
Die schöne Würzkrämerin
Karl Grandisson
Die Soldprinzessin
Der Duc d’Enghien
Georges Cadoudal’s Verschwörung
Major John André
Die fünf Mörder auf der Esperance
Die Müllerin von Fockendorf
Euphemie Lacoste
Obrist Charteris
Delacollonge
Der Jahrmarkt zu LeerdamAus den Verhalen van geheime Misdaden. (Groningen 1830.) unter dem Namen »Nemesis.« Wir möchten diesen Fall zu den apokryphischen, wie die »Beiden Nürnbergerinnen,« der »Blaue Reiter« rechnen, wo eine verarbeitende Hand sichtbar geworden, der Kern aber echt und von einer pikanten Wahrheit ist, daß er aufbewahrt zu werden verdient.
Der blinde Zeuge
Bletry
Die Leiche entdeckt. Wer sie abgeliefert.
Georg Heckmann’s Intervention.
Das Alibi der Magdalene Dinicher
Der Einspänner mit dem Schimmel
Die Beine im Pfastadter Hohlwege
Die schwarze Dame
Die Bewohner verstört; die Gäste fortgewiesen
Das blutige Haus
Die Wahrnehmungen der Frau Lacour
Die blutige Hand am Treppengeländer
Bletry’s Deutung der Wahrnehmungen und die Alibibeweise
Die gelbe Kiste
Motive der That.
Fisson und die untergeschobenen Schlüssel.
Fieschi
Alibaud
Francois Ravaillac
Jacques Clement
François DuplessisDamiens
Louvel
Francesco Fava
Papavoine
Mathias Lenchauer
Eine Entführung
George Frederick Manning und Maria Manning
Eine Hinrichtung in Appenzell
Constantin Weise
Friseur Dombrowsky
Hortense Lahousse
Die unsichtbare Mistress Blythe
Der Wunderdoctor Frosch
Das Wundermädchen aus der Schillerstrasse
Wilhelmine Krautz
Die Familie Tomascheck
Der nürnberger Kassendiebstahl
Karl Friedrich Masch, sein Räuberleben und seine Genossen
Benedikt Accolti.
Kaspar Trümpy aus Bern
Ein Mord im Criminalgefängniß von Nürnberg
Criminalistische Miscellen aus Nürnbergs Vergangenheit.
Die Meuterei aus der Insel du Levant.
Der Giftmörder Dr. Eduard William Pritchard
Jakob Friedrich Hadopp.
Criminalistische Miscellen aus Nürnbergs Vergangenheit.
Johann Heinrich Furrer.
Der Kindermörder Heinrich Götti.
Der Buchbindermeister Ferdinand Wittmann
Criminalistische Miscellen aus Nürnbergs Vergangenheit.
Die Fenier-Verschwörung.
Timm Thode, der Mörder seiner Familie.
Der Bootsmann Paulino Torio aus San-Tomas.
Miles Weatherhill.
Der Wildschütz Hermann Klostermann.
Die Selbstanzeige der Witwe Kruschwitz in Gassen.
Der Tod des Rentier Peter Tixier.
Hans Kohlhase und die Minckwitz’sche Fehde.
Die Ermordung des Typographen J. W. Lackner.
Die Gebrüder Streicher.
Anna Böckler.
Marschall Bazaine.
Straßen-, Eisenbahn-und Bankräuber in Amerika.
Die Rinderhirten im Südwesten von Nordamerika
Der Proceß Nicotera.
Der Proceß Szedlaczeck.
Ein Lynchgericht.
Ein sonderbarer Geschworener.
Eine Lotteriespielerin.
Der Proceß Pokorny.
Marie Köster.

Rosenfeld

Der neue Messias in Berlin

Inhalt

Zu Anfang der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts sah man in der Uckermark, Priegnitz und auch im benachbarten Mecklenburgischen einen Mann herumstreifen, dessen Kleidung und Wesen nicht viel von einem Bettler verschieden war. Er bat aber nie um eine Gabe, nur um einen Trunk Wasser, höchstens, wenn man, ihm nicht mit der Einladung dazu entgegenkam, um ein Nachtquartier. Ihm war nur daran gelegen, mit denen, die er besuchte, sich in ein Gespräch einzulassen, und es waren meistens Schäferknechte, die er auf dem Felde traf; doch ging er auch in einsam gelegene Häuser, wo Tagelöhner, Weber oder sonst arme Handwerker wohnten.

Zunächst trug der Mann einen grünen Jägerrock, dann, als der Rock verschossen und zerrissen war, näherte sich seine Erscheinung immer mehr der eines Bettlers und hatte etwas Unheimliches, ja, man konnte sie erschreckend nennen. Sein Gesicht war blaß und erdfarben, die Augen lagen tief im Kopfe, und der Körper hatte eine schlaffe Haltung. Doch brauchte man keine Furcht wie vor einem gewöhnlichen Abenteurer zu hegen, der abends um eine Herberge bittet und morgens als Dieb verschwunden ist. Man kannte seinen Namen, er hieß Rosenfeld, und sein grüner Jägerrock war ein Überbleibsel aus seinem früheren Jägerdienst beim Markgrafen von Schwedt.

Zwar führte er kein Geld in der Tasche, aber am Kinn einen langen Bart, der nicht den Räuber, sondern den Propheten verkündete. Manchmal trat er an einen Hirten mit einem biblischen Gruß, schlug aber, wenn der Hirt geantwortet hatte, die Augen gen Himmel auf und wandte ihm den Rücken mit einem Seufzer. Der Hirt sah ihn vielleicht erst nach einem Jahr wieder. Doch ging er nur von denen so schnell fort, die den Gruß nicht erwiderten, wie er es wünschte. Wo er empfänglichen Stoff für den Samen, den er ausstreuen wollte, fand, ließ er sich in längere Religionsgespräche ein. Einst, im Dorfe Stendell bei Schwedt, im Jahre 1762, glaubte er eine andächtige Versammlung gefunden zu haben, die gern auf seine Predigten hörte und sich in religiöse Gespräche mit ihm einließ; als er aber, erwärmt von ihrer Aufmerksamkeit, die Arme erhob und zu prophezeien anfing, sagten sie, er sei nicht gescheit.

Rosenfeld war auch in seiner späteren sieggekrönten Laufbahn kein Fanatiker, der mit eiserner Stimme Mauern einrennen und mit der Fackel der Begeisterung die Welt in Brand stecken will. Sein Feuer brannte still, er wartete auf Zeit und Gelegenheit und verstand die Kunst der Berechnung. Er schwieg, als er bei den Leuten im Dorfe keinen Glauben fand, blieb aber auf ihre Einladung eine Zeitlang in der Gemeinde, auch ließ er sich die gute Aufnahme gefallen. Später ergab sich, daß die Tochter eines Hauses, in dem er einst logierte, von ihm schwanger geworden war. Er hatte jedoch, um sie sich gefügig zu machen, keine Prophezeiungen, keine frommen Sprüche angewandt. Der Religionseifer schien eine Zeitlang in ihm zu ruhen, um sich in der Stille zu neuen Offenbarungen zu stärken.

Nach den Akten findet man ihn erst wieder um 1765 in der Gegend von Prenzlau schwärmend. Seine Erscheinung war hier schon viel armseliger, sein Blick irre geworden. Er war Prophet, der in langer Beschaulichkeit zu der Gabe gelangt war, nach der seine Seele dürstete. So trat er zu Dedelow in das Haus eines Schäfers, bat um einen Trunk Wasser und sprach dann, die Schale hebend, mit bedeutungsvollem Tone zu Mann und Frau: »Kinder, so ihr nur wüßtet, wer ich bin!« Als sie ihn fragten, wer er sei, antwortete er: »Ich bin der Bote Gottes, ausgegangen, seine Schafe zu suchen. Von mir ist im Propheten Micha IV, 8 geweissagt: Du Turm Eder, eine Feste der Tochter Zion, es wird deine goldene Rose kommen, die vorige Herrschaft, das Königreich der Tochter Jerusalem!«

Da er gläubige Zuhörer fand, führte er noch ein langes biblisches Gespräch mit ihnen, wie die Bekehrung gerade jetzt Not tue; es werde aber bald die Zeit kommen, in der die Gerechten das Land beherrschen würden – das verheißene Reich, das Hauptthema seiner Verkündigungen, über das seine Vorstellungen sich erst später vollständig ausbildeten.

In diesem Hause war der Samen aufgegangen. Mann und Frau baten dringend den gottseligen Mann, daß er länger bei ihnen weile, und er blieb mehrere Tage und kam öfter wieder. Diese Anhänger in Dedelow blieben ihm auch nach seinem Sturz treu; sie hielten ihn für einen Mann Gottes, obwohl seine große Prophezeiung nicht eingetroffen war. Zu beiden hatte er nämlich gesagt, sie möchten auf das Jahr 1770 achthaben, es werde da eine große Wandlung eintreten. Sie hatten von Tag zu Tag genau acht, die Frau aber mußte später vor Gericht eingestehen, es sei doch gar nichts Merkwürdiges in dem Jahr geschehen, der heilige Mann müsse sich wohl im Jahr verrechnet haben.

Bald war Rosenfeld nicht mehr der umherirrende Vagabund, den man hier auslachte, dort aus Mitleid und Neugier aufnahm. Sein Name war auf dem flachen Lande weitverbreitet, er kannte seine Anhänger, die bald eine stille Gemeinde bildeten. Wo er anklopfte, wurde er freudig empfangen, man drang in ihn zu bleiben, man schätzte es für ein Glück, wo der Mann Gottes verweilte.

Gewöhnlich begann er vor seiner Gemeinde mit vielen Bibelstellen von der jetzigen Verderbtheit des Menschengeschlechts zu reden. Die Welt liege im argen, Recht und Gerechtigkeit seien verdreht. Das war ja das ewige Thema, was die Leute von den Kanzeln aller Glaubenseiferer herab zu hören gewohnt waren. Die Verderbtheit der Welt legt sich jeder aus, wie er Lust hat. Jeder hat über Unrecht, das ihm widerfahren ist, zu klagen, und die uckermärkischen Landleute hatten besonderen Grund dazu. Der Siebenjährige Krieg war kaum vorüber; schwere Abgaben, die harte Akzise, drückten sie neben anderen allgemeinen Leiden.

Wenn der Prediger auf diese Weise leichten Eingang bei ihnen gefunden hatte, folgten zuerst allerlei allgemeine Versprechungen von einem Erretter aus diesen Trübsalen, einem Wiederhersteller des gekränkten Rechts, einem Heiland und Erlöser. Zwar war ein solcher schon dagewesen, und so sprach er sich über diesen wichtigen Punkt nur in Andeutungen aus und gab zu erkennen, er würde mehr offenbaren, wenn seine Zuhörer dafür reif wären. Dazwischen zitierte er Bibelstellen, die von einem zweiten, künftigen Heiland redeten, wie Matth. III, 11 und XI, 26: »Und er hat seine Worfschaufel in seiner Hand; er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheunen sammeln, aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer.« – »Es wird kommen aus Zion, der da erlöse, und abwende das gottlose Wesen von Jakob.« Dann andere, wo von einer zweiten Ankunft Jesus, um die Welt zu richten, die Rede war.

Dreister geworden, sprach er schon aus: Der Jesus, welcher gewesen, sei nur ein prophetisches Luftbild, eine Art Fata Morgana des Jesus, welcher noch kommen müsse und werde. Ja, vor einzelnen Zuhörerkreisen, deren Glaube ihn zu erwärmen schien, überkam es ihn wie ein heiliges Feuer der Erkenntnis, und er rief aus, das sei ein falscher Messias gewesen! Der rechte sollte doch gekommen sein, um die Welt vor Sünde, Tod und des Teufels Gewalt zu erretten, und alle diese drei Dinge seien nach wie vor in der Welt, das sei ein verfluchter Christus gewesen, der gen Himmel gefahren wäre und seine Jünger im Stich gelassen hätte. Endlich ging er noch weiter und erklärte die ganze Heilsgeschichte für unwahr. Das Neue Testament sei als Erdichtung zu verwerfen.

Als er so weit gegangen war, ergab sich die praktische Folge von selbst. Er schalt auf die Prediger als Propheten der Unwahrheit, er eiferte gegen die Taufe, gegen den Genuß des Abendmahls, gegen alle geistlichen Bücher, mit Ausnahme des Alten Testaments. Endlich zog er auch gegen alle weltlichen Obrigkeiten zu Felde, vom Dorfschulzen bis zum König, und das in den härtesten Ausdrücken.

Es spricht für den wunderbaren Einfluß, den er schon auf die Gemüter erlangt haben mußte, daß wir von keinerlei Art Widerspruch hören. Das Landvolk in jenen Gegenden betrachtete seine Obrigkeit als die von Gott eingesetzte. Wer mußte der Mann sein, der sich sogar gegen einen König wie Friedrich II. solche Angriffe erlauben durfte? Und – was mehr war als gegen den König und seine Diener – auch gegen die geistlichen Bücher, die sich als Heiligtümer von Kind zu Kindeskind in jenen Bauernfamilien vererben, und selbst gegen den Hauptteil der Bibel, gegen das Neue Testament?

Gegen die Prediger war die Menge leicht aufzubringen. In jenen Gegenden finden sich unter den Landleuten nicht nur die allerstrengsten Kritiker des Lebenswandels der Geistlichen, sondern auch ihrer Dogmen, und die geringste Abweichung macht sie zu den strengsten Richtern, Gegnern und Anklägern ihrer Pfarrer. Diesmal, vermutlich nach langer Dürre, schlug der Gewitterregen einer religiösen Begeisterung so tief in den durstenden Boden, daß er mit dem Prediger auch die Postillen, Gesangbücher, sogar das Neue Testament fortschwemmte. Einer der neu Bekehrten, der Schlosser Zimmermann aus Berlin, warf nach einem Konventikel, in dem Rosenfeld seine ganze Feuerglut wider die falschen geistlichen Bücher entladen hatte, seinen ganzen Vorrat davon ins Feuer.

Bei der späteren gerichtlichen Vernehmung seiner Jünger über Rosenfelds Lehre gab es bei aller Unterschiedlichkeit der Zeugnisse vollkommene Übereinstimmung in mehreren Punkten, in denen die Worte des Meisters hörbar wurden: Der auf Golgatha gekreuzigte Messias sei nur die Verheißung des künftigen; Christus sei verflucht, weil er am Holz gehangen, und wer an ihn glaube, sei verdammt; die ganze Lehre von seiner Kreuzigung sei eine heidnische Fabel; der Christus, der zu Jerusalem eingeritten, sei ein Hurensohn, ein Dieb, ein Zuhälter. Durch das Abendmahl genössen die Menschen den Teufel; es sei ein Götzenopfer vom Drachen gesetzt; des Königs Bild, der Drachenkopf, wäre ja darauf gedruckt. Nach der Meinung der Christen heiße das nichts anderes, als Gott zu verschlingen. In der Taufe würden die Kinder dem König verkauft, der der Teufel wäre. Durch sie solle der unreine Geist ausgetrieben werden; demnach also müsse Gott ihn den Menschen eingegeben haben. Die Taufe sei ein Bund mit dem Tode. »Wisset ihr nicht, daß alle, die wir in Jesum Christ getauft sind, die sind in seinen Tod getauft?« – »Was machen sonst, die sich taufen lassen über den Toten, so allerdinge die Toten nicht auferstehen? Was lassen sie sich taufen über den Toten?« Die Obrigkeiten seien krumme Schlangen – und der König ihr Oberster, nämlich der Beelzebub, der den Mammon mehr liebe als Gott. Der König sei der ägyptische Pharao, der rote Meerdrache, der große Drache.

Das wurde von Rosenfeld nicht metaphorisch und von den Königen im allgemeinen, sondern von dem damals regierenden König von Preußen, von Friedrich II., ganz speziell gesagt, und er wußte den staunenden Landleuten dafür Tatsachen zu nennen, denn als er einst in seiner Eigenschaft als Jäger und Unterförster des Markgrafen von Schwedt von ihm auf der Jagd vertraulich gefragt worden, wer er, der Markgraf, eigentlich sei, habe er ihm geantwortet: der Drache! Der verstorbene Markgraf sei darauf nicht zornig geworden, sondern habe geantwortet: »Du hast Recht, der bin ich auch.« Damit sprach aber der Markgraf, als von königlichem Geblüt, das Urteil über seine ganze Familie aus.

Von Rosenfeld selbst scheint man nichts Schriftliches über seine Lehre zu besitzen. Entweder hütete er sich aus einer weltklugen Vorsicht, oder er ahmte die großen Vorbilder nach. Von zweien seiner eifrigsten Anhänger und Apostel hat man dagegen einen Hirtenbrief, der in der Abschrift dem Prediger Fehland zu Biesenthal zugeschickt wurde und in dem er angeklagt wurde, sein göttliches Amt zu mißbrauchen. Fehland solle sich rechtfertigen, das Gericht Gottes über solche Irrlehrer sei nahe.

Der Verfasser dieses Briefes, Richter, einer der eifrigsten Rosenfeldianer, gestand auch, auf das Vorderblatt eines Gesangbuches geschrieben zu haben: »Fehland ist ein Hurenmeister; denn er verführt ja die Leute zur geistlichen Hurerei. Die Bilder in der lutherischen Kirche sind Bilderdienst und Abgötterei, das ist geistliche Hurerei. Das Gesangbuch ist ein Zauberbuch, denn es ist von menschlichen Händen gemacht, und Salomo sagt: viel Predigen macht den Geist müde, und des Büchermachens sei kein Ende. Die Kirche ist in vielen Stellen der Bibel ein Hurenhaus genannt. Man braucht nicht in die Kirche zu gehen, wo noch dazu so viel Gotteslästerliches gepredigt wird, sondern man braucht nur fromm und in Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit zu wandeln.«

Die Gemüter seiner Anhänger schienen Rosenfeld so weit vorbereitet, um mit dem großen Satze vorzutreten, den freilich auch jetzt noch nur die Geweihtesten unter den Eingeweihten klar und deutlich zu hören bekamen: der Heiland Jesus war nicht der wahre Heiland, also muß der wahre Heiland noch erscheinen, und dieser zweite Heiland bin ich selbst, von Gott zur Erlösung der Welt gesandt. Rosenfeld nahm nur einen nach dem anderen in die Weihe dieser letzten Erkenntnis auf. Als er später vor Gericht gefragt wurde, weshalb er diese Vorsicht beobachtet habe, antwortete er: »Es wäre ja töricht gewesen, gleich einem jeden zu sagen, ich bin der.« Denen aber, denen er sich zu erkennen gab, versprach er, wenn sie ihm treu nachfolgten, ewiges Leben hier auf Erden. Er machte diese Versicherung ohne alle Abstriche und zog gegen die Prediger vor allen Dingen deshalb zu Felde. Starb jemand von seinem Anhang, sagte er den Zweiflern: der Gestorbene hätte es noch nicht treu genug gemeint. Selbst vor Gericht wiederholte er diese Antwort; nur in diesem Punkte blieb er sich selbst bis zuletzt treu.

Über diese seltsamste und, wie es uns scheint, für ihn gefährlichste Lehre hatte er sich eine eigene Beweistheorie gebildet: Gott hat die Menschen geschaffen zum ewigen Leben. Als aber der Mensch Gottes Gebot übertrat, fiel Gottes Zorn auf ihn, und er übergab ihn dem Tode. So herrschte der Tod von Adam bis auf Moses. Moses führte die Kinder Israels aus Ägypten, legte ihnen Leben und Tod vor und gab ihnen die Wahl. »Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse. – Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, daß du das Leben erwähltest und du und dein Same leben möget.« Das ewige Leben war nämlich die Verheißung, die Gott Abraham gegeben hatte. Aber alle waren ungehorsam. Da kam statt der Verheißung das Gesetz. Die Gnade kann nicht durch das Gesetz erworben werden. So kam der Zorn Gottes über uns, und wir müssen sterben, bis der Zorn Gottes ein Ende haben wird; das ist, bis Christus kommt, der der verheißene Sohn ist und des Gesetzes Ende. Der wird den Tod verschlingen und den Bund mit dem Tode lösen. Dann sollen wir wieder im Lande wohnen, das Gott Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat. Gott will nicht das Leben wegnehmen. Auferstehen ist Ablassen von Sünde; und Gott sagt: ich will ihnen heraushelfen von allen Arten, da sie Unrecht getan haben.

Es versteht sich, daß jeder dieser Sätze, ja auch jedes Wort in ihnen durch Bibelstellen belegt war. Es bewährte sich jenes alte Wort, daß aus den Buchstaben der Bibel sich alles beweisen läßt, und noch besser aus denen ihrer Übersetzung.

Rosenfeld war sicherer geworden und sein Anhang größer. Er trat nunmehr öffentlich mit der Erklärung hervor, daß er der wahre Messias sei, Gott der Sohn, der wahre, einzige, allmächtige Gott, der Herr aller Herren und der König aller Könige.

Seine Gemeinde glaubte alles. Solche Verheißungen wie er hatte noch kein Religionsführer seinen Anhängern gemacht. Wer ihm glaubte, wie sollte der nicht alles für ihn opfern? Willig brachte man ihm, was die armen Leute nur erschwingen konnten. Er selbst forderte nie etwas, noch äußerte er seine Unzufriedenheit, wenn das Geschenk ihm zu gering schien, wenigstens niemals in Gegenwart des Gebers. Er nahm alle Geschenke mit den Worten an, was sie ihrem Heiland Gutes täten, täten sie sich selbst zugute. – Später übte der neue Heiland eine andere Taktik, er nahm fast gar nichts mehr von seiner Gemeinde an und gab von dem Erhaltenen verschiedenes zurück, wodurch der Glaube seiner Anhänger an ihn noch beträchtlich wuchs.

Sein Lebensunterhalt war durch ziemlich regelmäßige Spenden gesichert. Der Heiland war aber auch ein Mensch mit einem von Jugend, wie er selbst später versicherte, sehr starken Geschlechtstrieb. Plötzlich trat er vor seinen vertrautesten Anhängern mit dem Satze hervor: er habe die Schlüssel zum verschlossenen Paradiese, er habe das Buch des Lebens, das, nach der Beschreibung in der Offenbarung Johannis, mit sieben Siegeln versiegelt sei. Um das Erlösungswerk zu vollenden, müsse er die Siegel öffnen, und dazu müsse er sieben Jungfrauen haben.

Mit dieser wunderbaren Eröffnung trat er schon während seines Aufenthalts in Prenzlau hervor. So blind war der Glaube seiner Anhänger, daß sie die Forderung nicht verwunderte; gern wären sie seiner Forderung nachgekommen, aber sieben Jungfrauen waren in der damaligen Prenzlauer Gemeinde nicht aufzutreiben, und die Erfüllung seines Begehrens blieb bis auf eine spätere Zeit ausgesetzt.

Unter seinen Anhängern war einer der bedeutendsten der Schäfer Gumtow, gebürtig aus dem Mecklenburg-Schwerinischen, der Rosenfeld um das Jahr 1765 kennengelernt hatte. Der Ruf des Wundermanns war aus den umliegenden Dörfern schon zu ihm gedrungen, als Rosenfeld eines Abends an seine Tür klopfte und um ein Nachtlager bat.

Beide waren bald in einem eifrigen Gespräch, das Bibelsprüche zum Gegenstand hatte. Als beim Abendtischgebet der Name Jesus genannt wurde, sagte Rosenfeld: »Jesus mag wohl bei Euch am Tische sein, und Ihr kennt ihn nur nicht.« Beim Abschied von der Familie schrieb er verschiedene Sprüche auf und empfahl Gumtow, darüber nachzudenken, und als er wiederkam, besprach er diese Bibelstellen mit ihm.

Nach mehreren Besuchen entdeckte sich Rosenfeld dem erstaunten Gumtow und seinem Weibe als der Heiland der Welt, durch den alle erlöst und gerettet werden würden. Zwar sei schon einer vor ihm gewesen, der sich dafür ausgegeben habe, aber der sei nicht der rechte gewesen. Er sei der erste Held, der die Menschen, ohne daß sie stürben, ins Himmelreich bringen könne. Die Prediger, die vom Tode redeten, seien Lügner. Er habe die Schlüssel des Paradieses und das Buch des Lebens. Das Buch sei mit sieben Siegeln verschlossen, und um es zu öffnen, brauche er sieben Jungfrauen. Diese wären schon von Anbeginn der Welt dazu ausersehen und darunter auch die drei Töchter des Gumtow, die dieser ihm überliefern müsse. Täte er es nicht, so würden alle Seelen über ihn »Ach« schreien. Wenn er selbst aber nicht der rechte Heiland sei, so sollten alle Strafgerichte und Flüche ihn treffen, die sonst auf Gumtow fallen würden.

Gumtow war ein äußerst ehrlicher Charakter, dessen Frömmigkeit aber in Einfalt überging. Er war bereits so in Rosenfelds Netzen, daß er alles glaubte. Er erschrak über den Gedanken, daß alle Seelen verloren gehen und über ihn »Ach« schreien sollten. Aus wahrhafter Gewissensangst, durch seine Weigerung seine Mitmenschen ins Verderben zu stoßen, willigte Gumtow in alles ein. Seine Töchter waren aber damals noch zu jung; die Eröffnung der sieben Siegel des Buches des Lebens wurde verschoben.

Gumtow sollte übrigens der erste Märtyrer seiner Sekte werden. Nachdem er sich aus Prenzlau als Schäfer nach Lychen verdungen hatte, wurde seine Verbindung mit Rosenfeld bekannt. Man wollte hier keine Sektierer zu irdischen Schäfern haben und entließ ihn aus dem Dienst. Er ging nach Berlin und nährte sich hier als Tagelöhner, bis er aufs neue mit Rosenfeld in Verbindung trat, alles zur Glorie des neuen Heilands und zur Errettung des Menschengeschlechts ihm opferte, endlich aber im vollen, ehrlichen Glauben ihn wider Willen verriet und sein Ende herbeiführte.

Eine Hauptstation in Rosenfelds Wirksamkeit wurde bald darauf das Städtchen Biesenthal, vier Meilen von Berlin entfernt und damals abseits aller Hauptstraßen gelegen. Der neue Heiland fand an diesem isolierten Ort außerordentlichen Zulauf. Sein Anhang wurde so zahlreich und trat zugleich so laut auf, daß man nun von seiner Person und seinem Treiben auch in Berlin hörte.

Ein erstes offizielles Dokument über ihn ist der Bericht des Amtes Biesenthal an die Regierung vom 19. August 1768, in dem es heißt, daß das ganze Städtchen voll Unruhe sei; ein gewisser Rosenfeld gebe sich für den Messias aus und lebe davon. Sein Anhang bestehe schon aus 25 Personen, mit denen Polizei und Justiz nicht mehr fertig würden. Alles sei voll Tumult, weil die Gläubigen ergrimmt wären über die Ungläubigen. Die Rosenfeldianer nämlich suchten die anderen zu bekehren, und in ihrem Eifer gegen die Unbekehrten störten sie den Frieden zwischen den Eheleuten und wiegelten die Kinder gegen ihre Eltern auf. Niemand sei in diesem Werke eifriger als der Garnweber Glanz, welcher den neuen Messias in seinem Hause aufgenommen habe. Diejenigen, welche sich nicht von ihm bekehren lassen wollen, seien nun auf der anderen Seite ebenso ergrimmt über seinen Bekehrungseifer und hätten ihm die Fenster eingeworfen. Ja, sie drohten sogar, sein Haus in einen Trümmerhaufen zu verwandeln, wenn er nicht von Rosenfeld ließe, ihn fortjage und die sektiererischen Zusammenkünfte einstelle. Glanz aber sei so eifrig für den neuen Heiland, daß er dem allen trotze, und es sei das Äußerste zu befürchten.

Dazu kam es jedoch nicht. Rosenfeld wurde mitten aus einer Versammlung seiner Anhänger verhaftet und festgesetzt. Der Weber Glanz, sein Wirt, wollte durchaus zum Märtyrer für ihn werden und bat, ihn mitzuverhaften, was aber unterblieb. Dagegen trat unerwartet ein anderer seiner Anhänger auf, Richter. Dieser Mann, bis dahin ihm treu ergeben und uns schon bekannt als der Verfasser oder Mitverfasser des angeführten Hirtenbriefes – auch soll der Beweis für das ewige Leben auf Erden von ihm herrühren –, also jedenfalls einer der bedeutendsten und tätigsten Geister seiner Sekte, gab nun zu Protokoll: Er halte sich für verpflichtet, des Bösewichts Rosenfeld Irrlehren anzuzeigen. Dieser behauptete nämlich: der Heiden Zeit sei um; er sei als Jesus und Gott gekommen; wenn er nur erst die 24 Ältesten zusammengebracht, würde er den königlichen Stuhl umstoßen, dem König das Schwert abfordern und mit seinen 24 Königen den ganzen Erdkreis richten. Seine Anhänger brauchten nicht mehr zu arbeiten. Er selbst müsse jetzt gefangen werden, dies aber sei seine sechste und letzte Gefangennahme, er war wirklich schon fünfmal, wahrscheinlich aber nur Vagabundierens wegen, arretiert gewesen, wenn er herauskomme, beginne sein Königtum. Übrigens treibe Rosenfeld mit den Töchtern seiner Anhänger Unzucht.

Derselbe Richter, der seinen Meister hier so hart anklagte, erscheint aber bald darauf wieder als sein getreuester Anhänger. Welche Macht mußte von diesem Manne ausgehen! Es ist dies die zweite der von uns aufgeworfenen Fragen, die die Akten nicht beantworten. Richter schlug übrigens später noch einmal um, da seine gesunde Vernunft die Oberhand behielt.

Unerschüttert ging dagegen Weber Glanz am andern Tag aufs Amt, um seinen gefangenen Meister zu besuchen, erklärte laut, Rosenfeld sei der Gesalbte des Herrn; er wisse von keinem andern und lasse nicht von ihm. Er tobte so lange, bis man auch ihn festnahm. Der Einundfünfzigjährige war als höchst fleißiger und ordentlicher Arbeiter bekannt, doch auch als einfältig und grüblerisch. Er übertraf alle anderen in der Sekte an Enthusiasmus, ja selbst seinen Meister. Ihm war die Festnahme mehr als willkommen, denn so konnte er sich zu seinem Glauben bekennen.

Zur Beichte war er seit zwei Jahren nicht gegangen, aber nur, weil er zu arm für den Beichtgroschen gewesen war. Dagegen antwortete er auf die Frage, ob er nicht wisse, daß Zusammenkünfte, wie sie in seinem Hause gehalten würden, verboten wären, man käme ja auch ganze Nächte zusammen, um Karten zu spielen. Feierlich und fest erklärte er, daß er Rosenfeld für den Messias halte, denn die Schrift lehre es ihn, wobei er sich wieder auf den Spruch Micha: »Du Turm Eder, eine Tochter der Feste Zion« usw. berief. Auch sage es ihm der Geist Gottes, denn er seufze täglich um den rechten Weg zu Gott, und im Gewissen sei er überzeugt, daß Rosenfeld selbst Gott sei. Rosenfeld verspräche ihnen das Gnadenreich, das auch der alte Gott ihnen versprochen. Auf Erden werde es sein, wo ja auch das Paradies gewesen sei; und in der Heiligen Schrift stände, die Gerechten sollen das Erdreich besitzen ewiglich.

Gefragt, ob Rosenfeld nicht gesagt habe, daß nach seinem Gefängnis seine königliche Herrschaft angehen würde, erklärte er, das nicht zu wissen; nur wisse er, daß in der Schrift stände, aus sechs Trübsal will ich dich erretten, und in der siebenten soll dir kein Leid widerfahren. Ob Rosenfeld mit seinen Töchtern Unzucht getrieben, habe er nicht gesehen noch sonst gemerkt; auf die allgemeine Frage aber, ob er es denn für etwas Unrechtes halte, rief er aus: »Nein, Rosenfeld hat einen gesalbten Geist, er ist ein Gesalbter des Herrn. Mit anderen ist es freilich etwas Böses.«

Noch entschiedener und heftiger äußerten sich einige andere in Biesenthal festgenommene Anhänger wie ein gewisser Beck und seine Frau, ein Seifart und sein Weib. Diese vier erklärten, wie der Weber Glanz, Rosenfeld für den wahren Messias und ihren Gott. Einstimmig erklärten sie: »Wenn ihr Herr und Meister, Rosenfeld, nur erst Stärke genug hätte, würde er die königliche Majestät selbst vom Throne schmeißen und nötigen, ihm die Schuhe nachzutragen. Ein Rosenfeldianer könne mit seines Glaubensgenossen Frau und Tochter verkehren; nur nicht mit Christus, das sei als mit Vieh. Wenn man bis 1770 wartete, würde man das über Christus erfahren, das sie jetzt nicht sagen dürften.«

Die Untersuchung zog sich sehr in die Länge, da man von Gerichts wegen nach allen Orten schrieb, wo eine Voruntersuchung gegen Rosenfeld stattgefunden hatte. Inzwischen erfolgte im Dezember 1769 ein Urteil, nach dem Rosenfeld im Berliner Irrenhause bis zur Probe seiner Besserung einzusperren sei, jeder seiner Anhänger aber zur Strafe ein Jahr in der Festung Spandau sitzen solle.

In Biesenthal verbreitete sich nun die Gemeinde, die so viele Märtyrer aufzuweisen hatte, ungemein. Besonders tätig waren die zurückgebliebenen Glieder der Glanzschen Familie. Dem Verbote und der Strafe zum Trotz versammelten sie sich wieder im selben Haus, nur in noch größerer Zahl, und verkündeten laut jedem, der es hören wollte, der neue Messias werde wiederkommen mit Feuer und Schwert, und der Prediger Fehland würde das erste Schlachtopfer sein.

Einige drangen zum Prediger Fehland selbst ins Haus und betrugen sich gegen ihn auf die tumultuarischste Weise. Man warf zerrissene Blätter eines Gesangbuches aus dem Fenster und rief den Kindern zu, sie könnten damit Karten spielen.

Eine besondere Rolle spielte dabei jener abtrünnige Gläubige, der eben noch eine Art Judasrolle gegen Rosenfeld gespielt hatte. Spandau und das Irrenhaus hatten eine andere als die erwartete Wirkung hervorgebracht. Richter empfand es als großes Unrecht, einen solchen Mann verlassen zu haben, der nun im hellen Glorienschein des Märtyrertums leuchtete. Richter bekannte sich rasch wieder zu seiner Lehre und versäumte nichts, um seine Reue und seinen wiedergewonnenen Glauben vor den Leuten leuchten zu lassen. Es war jetzt, daß er den oben zitierten Hirtenbrief an die Gemeinde und die anklagenden Stellen in das Gesangbuch schrieb, und er schrie so laut und ungestüm seinen Glauben durch die Straßen, daß man jetzt auch ihn verhaftete und auf ein Jahr nach Spandau schickte.

Befragt, wie er zu seinen früheren Angaben gekommen sei und wie er sein Urteil habe ändern können, erklärte Richter: »Dazu habe ihn das Gerede der Leute von der Unzucht Rosenfelds und der Schwängerung des Mädchens in Stendell gebracht; das eine aber sei unwahr, und für das andere werde Rosenfeld gewiß seine guten Gründe gehabt haben. Im übrigen müsse er den Rosenfeldschen Sätzen beipflichten, weil er sie in der Heiligen Schrift gegründet finde. Den Prediger Fehland aber könne er nur für den Teufel halten, denn er predige vom Tode, und nur durch des Teufels Neid sei der Tod in die Welt gekommen.«

Rosenfeld befand sich inzwischen in Berlin in nicht zu strenger Haft. Das Irrenhaus trug nur dazu bei, seine Glorie in den Augen seiner Anhänger zu vermehren. Sein treuer Gumtow und dessen Familie beschlossen, alles zu tun, um den Heiland, der für sie litt, zu entschädigen, und Rosenfeld nahm diese Untertanentreue gnädig hin. Er forderte etwas von ihnen, was der Autorität der Akten bedarf, um geglaubt zu werden.

Gumtows Frau mußte, auf ihres Mannes Befehl, ihre fünfzehnjährige Tochter, die sich bei Verwandten aufhielt, abholen. Auf dem Wege nach Berlin sagte sie ihr, sie sollte Rosenfeld vorgestellt werden. Sie solle nur genau achthaben auf dessen Worte und Vermahnungen und ihnen folgen. Was Rosenfeld sage, sei recht, ihr bisheriger Glaube aber irrig, und sie wäre ewig verflucht, wenn sie Rosenfelds Lehre nicht annehme. – Um der Pilgerfahrt die rechte Weihe zu geben, nahm man in Biesenthal noch einen Mann und eine Frau aus der Gemeinde mit. Kurz vor Berlin wurde dem jungen Mädchen eröffnet, sie sollte eine von den sieben Jungfrauen werden, wozu sie schon durch die Geburt bestimmt sei, und sie müsse deshalb alles tun, was Rosenfeld von ihr verlangen würde.

In der Dämmerung kamen die vier Personen im Irrenhaus an und wurden vom Türhüter in eine besondere Stube gewiesen. Rosenfeld, von ihrer Ankunft benachrichtigt, erschien. Er fragte das Mädchen, ob sie eine Braut Christi werden wolle. Sie antwortete: »Ja!« Er fuhr fort, dann müsse sie auch alles tun, was er von ihr verlange, ob sie das aufrichtig wolle. Als das Kind auch darauf mit Ja antwortete, legte er sie auf ein Bett und vollzog den Beischlaf mit ihr im Angesicht der Mutter, ihres späteren Schwagers Lüdemann und einer Frau Naumann.

Dann sprach er: »Dies ist die Versiegelung, wodurch wir beide aufs Festeste miteinander verknüpft sind und wodurch ich überzeugt werden mußte, daß du noch vorher mit keiner Mannsperson zu tun gehabt. Mache dir auch mit keiner andern dergleichen zu tun, wenn du nicht ewig verlorengehen willst.« Zugleich aber ermahnte er die Umstehenden, ihm nicht hierin nachzuahmen. Denn was er getan, stehe nur ihm frei, indem er der Christ sei, von welchem gesagt worden, daß er kommen solle. Dann blieben die fünf Personen noch etwa eine Stunde beisammen, das Mädchen aber wurde zu ihren Verwandten gebracht, bei denen sie etwa vier Jahre blieb.

Im März 1771 berichteten die Inspektoren des Berliner Irrenhauses, Rosenfeld sei ein wahrhaftes Exempel von Liebe und Mitleid, den Elenden in der Anstalt sei er aus eigenem Antriebe unverdrossen und gern zur Hand gegangen, habe die Kranken fleißig gewartet und sich als ein getreuer Gehilfe der Irrenwärter gezeigt. Sie möchten ihn deshalb ungern missen; doch bitte er allzu dringend um seine Entlassung. Da auch der Arzt des Hauses berichtete, er habe sich ordentlich geführt und sei keineswegs geistesgestört, wurde seine Entlassung unter der Bedingung verfügt, daß Rosenfeld sich bei einem bekannten, guten Bürger einmiete, der, falls sich abermals schwärmerische Religionsideen bei ihm einstellten, darüber sofort dem Magistrat berichten solle.

Dieser bekannte, gute Bürger fand sich auch sogleich in der Person des Schlossermeisters Zimmermann in Berlin, der ihn willig aufnahm und sich für ihn verbürgte, weil er einer seiner eifrigsten Anhänger war, doch zur Zeit noch ohne Wissen der Behörden. Zimmermann, ein rechtlicher, fleißiger Mann, hatte sich im Zorn an dem Präfekten des Werderschen Singechors vergriffen und mußte deshalb kurze Zeit in Spandau einsitzen. Hier hatte er die Rosenfeldianer kennengelernt und wurde, noch ehe er Rosenfeld selbst gesehen, eines der eifrigsten Glieder ihrer Gemeinde. Aus der Haft entlassen, wurde er einer der fanatischsten Anhänger des neuen Heilands.

Zimmermann starb bald nach der Aufnahme Rosenfelds in seinem Haus im Mai 1771, und niemand kümmerte sich um den neuen Messias. Er zog zu einem andern Wirt nach Charlottenburg und versuchte auch dort, seine Gemeinde zu vergrößern.

Im Jahre 1775 schlug er seinen dauernden Wohnsitz in Berlin auf und schrieb an seine Anhänger Befehle aus, ihm die sieben Jungfrauen zu stellen, um mit ihnen an das große Erlösungswerk zu gehen. Niemand machte Einwendungen. Der Schäfer Gumtow lieferte drei Töchter, der Weber Glanz aus Biesenthal zwei, und zwei ein anderer Anhänger mit Namen Meyer. Alle beteuerten später, als reine Jungfrauen zu Rosenfeld gekommen zu sein, und nach ihren naiven Aussagen in den Protokollen darf man ihrer Versicherung Glauben beimessen.

Rosenfeld behandelte die naiven Geschöpfe grausam und kaltherzig. Nur eine von ihnen liebte er – wenn dieses Wort hier passend ist –, sie war seine Favoritin, seine nächtliche Bettgenossin; er zeugte auch drei Kinder mit ihr, von denen jedoch nur eins am Leben blieb. Die anderen waren seine Sklavinnen, die er zu sich rief und wieder fortschickte, wie es ihm paßte, aber auch Sklavinnen im buchstäblichen Sinne. Sie mußten für ihn arbeiten, vom Morgen bis in die späte Nacht Wolle spinnen; sechs arme Mädchen, einige davon kaum über das Kindesalter, mußten den in Wollust und Faulheit bequem dahinlebenden Mann allein ernähren. Jetzt erst wies Rosenfeld die Geschenke und Opfergaben seiner Anhänger ab. Er lebte vom Erlös der Arbeiten der armen Geschöpfe, die er prügelte und hungern ließ. Sein Grundsatz war, sie dürften sich nicht satt essen, sondern müßten nüchtern bleiben, um das Himmelreich zu schauen und das Werk zu vollenden. Alles weltliche Fleisch aber müsse abgefastet werden. So tyrannisch – und wie sich bei der Tyrannei von selbst versteht –, auch mißtrauisch war sein Regiment, daß er den armen Geschöpfen nicht erlaubte, mit ihren Eltern zu reden; ja, er verhinderte, daß sie auch nur untereinander sprachen.

Die Favoritin war die Tochter seines enthusiastischen Glanz. Je mehr er sie auszeichnete, desto schnöder behandelte er ihre Schwester, die die Favoritin haßte. Die Arme entlief, von Hunger und Kummer überwältigt, zu ihrer Mutter, doch bald kam Rosenfeld und drohte: wenn sie nicht wiederkäme, gehöre sie nicht zu den sieben glücklichen Jungfrauen, sondern sei ewig verdammt und verloren. In unglaublicher Befangenheit und Verblendung zwang die Mutter ihre Tochter, zu Rosenfeld zurückzukehren.

Sie war nicht die einzige, die die Behandlung nicht aushalten konnte. Eine andere seiner gezwungenen Beischläferinnen namens Meyer ging zu ihren Eltern zurück, wo sie bald starb. Auch die Gumtow-Töchter entliefen. Aber das empörte weder die Eltern, noch öffnete es den Anhängern die Augen. Man hörte von keiner Beschwerde oder Klage; vielmehr heirateten zwischen 1775 und 1777 zwei von Rosenfelds ältesten und eifrigsten Anhängern in Berlin zwei von den Gumtowschen Töchtern. Es schien, als hätten sie dem Meister das Recht der ersten Nacht zugestanden und fühlten sich geehrt, ihre so geweihten Frauen aus seiner Hand zu empfangen.

Erst im Jahre 1780 kam die Sache wieder durch eine Anzeige an die Öffentlichkeit, die so merkwürdig war wie die Sekte selbst. Der alte, ehrliche Schäfer Gumtow reichte beim König Friedrich II. eine Klage gegen Rosenfeld ein, daß er nicht erfüllt hätte, was er versprochen habe. In rührender Einfalt klagte der Schäfer seinem König die Undankbarkeit des neuen Messias, dem er doch fünfzehn Jahre treu gewesen sei und ihm alle seine drei Töchter gegeben hatte, weshalb er jetzt in Armut, Spott und Verachtung geraten sei. Er wisse nun überhaupt nicht mehr, was er von Rosenfelds Lehre halten solle, also bitte er den König, daß er Rosenfeld prüfe, ob etwa seine Lehre nicht die rechte und er nicht der rechte Messias wäre, was er jedoch nicht glauben könne. Wenn es aber so wäre, dann möchte der König ihn bestrafen.

Aber in derselben Eingabe erklärte Gumtow, es gereue ihn schon, einen solchen Mann angeklagt zu haben, denn was ihn betreffe, sei er völlig überzeugt, daß Rosenfeld wirklich der sei, für den er sich ausgebe, nämlich der gerechte und lebendige Gott.

Dies war in der ganzen Weltgeschichte wahrscheinlich noch nicht vorgekommen. Der Anhänger einer neuen Lehre, noch im Glauben, daß sein Meister sein Gott sei, verklagt diesen seinen Gott bei der weltlichen Obrigkeit, bei demselben König von Preußen, der dieser Lehre zufolge der große Drache ist, daß er ihm gegen seinen Gott Recht schaffe!

Durch diese Klage wurde die Sache mit den sieben Siegeln und den sieben Jungfrauen zum erstenmal bekannt. Friedrich II. duldete vieles, was unsere Sittlichkeitspolizei nicht duldete, dies durfte er nicht dulden, und die gerichtliche Untersuchung und der Kriminalprozeß gegen Rosenfeld wurden sofort eingeleitet.

Aus den Aktenauszügen dieses Prozesses erfahren wir weniger den äußeren Hergang der Verhandlungen als die Lehrsätze und die innere Geschichte der Sekte.

Rosenfeld, mit Vornamen Johann Paul Philipp, war 1731 im Eisenachschen geboren. Er war von gesunder, fester Leibesbeschaffenheit und erinnerte sich, nie krank gewesen zu sein. Der Hang zum weiblichen Geschlecht war schon von früh auf, wie er selbst gestand, in ihm vorherrschend. Nach dem Gutachten der Ärzte fand sich bei ihm keine Spur von Verrücktheit, auch nicht von melancholischer Furchtsamkeit oder Geistesverwirrung; vielmehr zeigte er in allen Gesprächen viel Geistesgegenwart, aber immer ein scheinheiliges, kriechendes Wesen dabei.

Rosenfelds Vater war Kriegs-und Kammerrat in Weimar und als Landrat in Stuttgart gestorben. Seine Schwägerin, deren Mann in Berlin Kammergerichtsrat war, lebte zur Zeit von Rosenfelds Auftreten noch in Berlin. Er hatte eine gelehrte Erziehung genossen, aber keine moralischen Vorbilder in seinem elterlichen Hause gefunden. Der Vater lebte mit der Mutter in Streit, und der Sohn hielt in diesen Zwistigkeiten zum Vater, der mehrere Mätressen unterhielt. Später wurde Rosenfeld zu einem Landprediger in Pension gegeben, auf den er aber schlecht zu sprechen war. Er sagte vor Gericht: »Wenn ich die Prediger schimpfe, so meine ich solche, die wirklich falsche Lehren vorbringen, die so sind wie der Magister Schenk. Wenn ich mit seinem Paten Christian spielen mußte und der gewann, so sagte er: ›Ach der Christian behält doch die Oberhand über den Johann.‹ Der Christian ist nachher Apotheker geworden und der Magister Schenk ohne Erben gestorben.«

Rosenfeld hielt es für das entsetzlichste Schicksal, aus der Welt zu gehen, ohne Kinder zu hinterlassen. Unstet wie er war, wählte er das Jägerleben. Er schickte sich aber schlecht zum Diener und hatte in fünfzehn Monaten drei Herrschaften. Endlich gelang es ihm doch, eine Unterförsterstelle beim Markgrafen von Schwedt zu erlangen, wo er längere Zeit aushielt, sich verheiratete und vier Kinder zeugte. Aber auch hier hielt er es nicht aus. Er klagte bitter über das ihm durch die Oberförster widerfahrene Unrecht. Gewiß ist, daß er wegen einer falschen Holzsignation zur Untersuchung gezogen wurde, aber wieder freikam. Dies hätte, wie einige versichern, seinen Verstand zerrüttet. Dazu machte seine Mutter ein Testament, worin sie ihn, zum Besten seiner Kinder, enterbte. Unfriede herrschte zwischen ihm und seiner Frau; er beschuldigte sie und ihre Mutter, es mit seinen Feinden gehalten und ihn verraten zu haben, wozu sie durch einen Prediger verleitet worden seien.

Er verließ den Dienst, tief ergrimmt über die Prediger, die Weiber, die Gerechtigkeit in dieser Welt. Von seiner Frau betrachtete er sich als geschieden. Überall, wo er hinkam, sprach er von der jetzt aufgekommenen Herrschaft der Weiber über die Welt. Er erklärte den Leuten, er fühle sich berufen, dieses Übel abzustellen und das Männerrecht, wie er es nannte, wieder einzuführen.

Vom Jahre 1762 an zog er umher, um seine Lehre zu predigen. Ohne Paß und zerlumpt, wie er war, griff man ihn mehrmals als Bettler und Vagabunden in Schwedt, Frankfurt an der Oder, Magdeburg und zwischen Leipzig und Naumburg auf und steckte ihn ins Gefängnis. Für einen neuen Religionsstifter fehlte der Polizei am Ende des Siebenjährigen Krieges die Rubrik.

Nach seiner ersten Verhaftung wegen Religionsunfug in Biesenthal vor Gericht gestellt, trat er kühn auf und legte sein Glaubensbekenntnis, anscheinend in vollem Selbstbewußtsein seiner göttlichen Sendung, ab.

»Er gehe nicht in die Kirche; denn er fände in der Schrift keinen anderen Glauben, als den Abraham, Isaak und Jakob gehabt, welches fromme Männer gewesen. Unser Herz sei Gottes Tempel; Gott wolle nicht steinerne Tempel haben. In der Kirche geschehen gotteslästerliche Sachen, weil man da sagte: es sei schon alles geschehen, und in der Bibel stände doch, vorzüglich in der Offenbarung Johannis, es soll erst geschehen. Er könne dem nicht glauben, der ihm das Leben abspräche; nun sagten aber die Prediger, wir würden sterben, welches doch nicht geschehe, wenn man nur fromm lebe. Er glaube, das Tausendjährige Reich habe begonnen, denn er habe Gottes Stimme gehört. Er habe sich nicht für den Messias ausgegeben, sondern nur gesagt: Wer nach Gottes Gesetzen und Rechten einhergehe, der ist mit dem Heiligen Geist gesalbt, und die werden Könige und Priester sein. Seinen Anhängern habe er insofern Königreiche versprochen, als uns die Schrift Gesalbte und Könige nennt. Er habe keine Soldaten, könne den König also nicht absetzen. In der Bibel stünde, es würden Heilande heraufkommen, die würden die Welt richten. König sei ein jeder, wenn er nach Gottes Gerichten über sich selbst herrsche. Der König sei der große Drache, weil er – wie der Drache – alles verschlinge, so der König ein Schwert hätte, uns alle zu töten, wenn wir sündigen. Die Leute brauchten nicht mehr zu arbeiten, wie im Zacharias stehe, wenn die Zeit komme, nämlich auf eine so sklavische Weise. Er glaube, er sei in der Wahrheit und im Recht. Mit der Frau Richter in Stendell habe er sich abgegeben, weil seine Frau ihn verlassen habe, das hielte er nicht für Unrecht noch Hurerei, sondern er habe seinen Namen und Geschlecht nicht wollen untergehen lassen, und das könne Gott und dem König nicht zuwider sein.«

Schon bei diesem ersten Geständnis äußerte er sich über den Punkt Obrigkeit sehr vorsichtig und ausweichend. Er wiederholte öfter, er wäre der Obrigkeit gänzlich untenan, jedoch erklärten seine Anhänger, er habe ihnen gesagt, sie müßten wenigstens jetzt noch gehorchen, solange die Drachen noch die Gewalt hätten.

Weniger kühn und entschieden verhielt er sich bei der zweiten Untersuchung im Jahre 1781. Seine Sprache war verwirrt, vielleicht aus Angst, vielleicht auch in der Absicht, bei den Richtern den Eindruck von Geistesgestörtheit zu erwecken. In einem der ersten Verhöre erklärte er aufgeregt, man beabsichtige, das Weiberrecht an die Stelle des Männerrechts zu setzen, das zu erhalten seit je seine Absicht gewesen sei. Ohne weiteres bestätigte er, sich für Gott und Christus ausgegeben zu haben. Jedoch leugnete er den Vorwurf, mit den anderen sechs Beischläferinnen einen Verkehr ausgeübt zu haben, durch den sie nicht hätten schwanger werden können. Daß sie nicht schwanger geworden wären, sei nur die Folge ihrer Sünden und ihres Ungehorsams ihm gegenüber gewesen.

Daß Christus nicht der rechte Messias sei, habe er allerdings gelehrt, denn das stände schon in Offenbarung I, 8 geschrieben: »Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht der Herr, der da ist, der da war und der da kommt, der Allmächtige!« Aus Schriftstellen habe er behauptet, daß noch ein zweiter kommen müsse. Er habe sich dafür ausgegeben, jedoch nach dem Glauben, denn es sei eines jeden Sache, sich davon zu überzeugen, und er hätte es eines jeden Glauben überlassen.

Was er gelehrt habe, hätte er nicht des Wohllebens wegen gelehrt. Er habe das Vaterrecht wiederherstellen wollen, denn wer an kein Vaterrecht glaube, der glaube auch keinem Gott. Die Mädchen hätte er nicht der Wollust wegen gehalten, sondern lediglich dazu, daß sein Geschlecht nicht ausgerottet werde, Stamm und Namen erhalten bleiben. Der Mann müsse herrschen, darum hätte er auch das Geld, das die Mädchen verdient, an sich genommen. Der Gehorsam und das Bauen müßten wiederhergestellt werden. Aber die Mädchen wären voll List und Ränke gewesen, hinter seinem Rücken hätten sie gefressen und üppig gelebt. Er habe ihnen deutlich vorgestellt, daß in der Welt alles zum Verderben und Untergang gerichtet sei. Das “Weib müsse also wiederum den Mann suchen. Das Ehebett müsse beibehalten und der Bund und die Versöhnung zwischen Mann und Weib wiederhergestellt werden. Er hätte sieben haben müssen, weil er nicht habe wissen können, welche die rechte sei, die ihm treu bleiben und auf Bauen, nicht auf das Verderben gehen würde.

Nur die Tochter des Glanz hätte sich danach aufgeführt, den Mann nicht zu verderben noch zu verschlingen gesucht. Darum hätte er es auch besonders mit ihr gehalten, wolle beständig bei ihr bleiben und wünsche, mit ihr ordentlich getraut zu werden. Ein Wunsch, der natürlich nicht in Erfüllung ging.

Seine Bibelkenntnisse waren außerordentlich groß. Er fand für jede Anführung einen Beleg in der Schrift.

Auf den äußeren Schein hat Rosenfeld wenig gegeben. Er verlangte von seinen Anhängern keine göttliche Verehrung. Auch in seinem Sultansleben in Berlin bewahrte er das dürftige Äußere, das er als wandernder Prophet zur Schau getragen hatte. Dagegen war er streng und scharf in den Sittengesetzen gegen seine Gemeinde.

Das Vertrauen seiner Anhänger war unerschütterlich. So versicherte die eine der Gumtowschen Töchter noch vor Gericht: sie glaube, daß Rosenfeld der einzige, wahre Gott sei und gewiß der große Erlöser. Darum habe sie auch immer gebetet, Gott möge ihn doch das große Werk vollführen lassen, wozu er ihn gesandt.

Nach abgeschlossener Untersuchung verurteilte der Kriminalsenat des Kammergerichtes Rosenfeld zum Staupenschlag und zu lebenslänglicher Festungsstrafe. Das oberste Kriminaldepartement änderte das Urteil auf Zuchthaus; wenn er sich wieder mit Frauenspersonen würde abgeben wollen, wurde nachdrückliche Züchtigung angedroht. Nach zwei Jahren sei von seiner Aufführung zu berichten.

Dieses letzte Urteil wurde ihm am 5. Dezember 1781 bekannt gemacht. Er legte Berufung ein. Inzwischen hatte sich der König die Sache selbst vortragen lassen und verordnete durch eine Kabinettsorder vom 12. Januar 1782, daß es bei der Entscheidung des Kriminalsenats bleiben solle.

Am 8. November 1782 erlitt Johann Paul Philipp Rosenfeld, der neue Messias, öffentlich der Staupenschlag, ohne daß ein Wunder geschah. Nachdem er ihn überstanden hatte, bestieg er den bereitstehenden Wagen. Er rief zum versammelten Volke: »Ist jemand, der mich beschuldigen kann – hab’ ich ihm Leides getan, ihn betrogen oder bestohlen? –, der rede, hier bin ich!« Es antwortete niemand, und der Wagen rollte nach Spandau fort.

Die Geheimrätin Ursinus

Inhalt

Die Witwe des Geheimen Justizrats und Regierungsdirektors Ursinus lebte, geachtet und gesucht, in den ersten Kreisen von Berlin. Der Rang und das Ansehen ihres vor wenigen Jahren verstorbenen Gatten, ihr ansehnliches Vermögen, ihre Gestalt, ihre ansprechenden Gesichtszüge sowie ihr Geist und ihre Bildung machten sie zu einem Glanzpunkt in der damaligen Gesellschaft.

Um so überraschender wirkte die Nachricht von ihrer Verhaftung. Die Art, wie sie erfolgte, lebt noch im Gedächtnis vieler als ein so außergewöhnliches Ereignis, daß es den ruhigen Lebensstrom des friedlichen Berlins jener Tage völlig unterbrach. Sowenig man erwartete, daß die Sandhügel um Berlin bersten und Feuer speien würden, ebensowenig war man darauf gefaßt, im Kreise der Berliner Damenwelt eine Nachfolgerin der Giftmischerin Brinvillier zu finden.

Die Geheimrätin Ursinus befand sich am Abend des 5. März 1803 in einer Gesellschaft. Sie saß am Spieltisch, als ein Diener mit allen Zeichen des Schreckens hereintrat und ihr meldete, daß auf dem Flur und im Vorzimmer Polizeibeamte stünden und sie sprechen wollten. Die Ursinus verzog keine Miene. Sie legte ihre Whistkarten fort, bat ihre Mitspieler wegen der kleinen Störung um Entschuldigung und stand mit den Worten auf, es sei nur ein Mißverständnis und sie hoffe, in einer kleinen Weile wieder zurück zu sein. Sie ging und kam nicht wieder zu ihrer Whistpartie. Nach wenigen Minuten banger Erwartung wußte man, daß sie ins Kriminalgefängnis abgeführt und daß sie des Giftmordes bezichtigt worden war.

Ihr Bedienter, Benjamin Klein, hatte sich zu Ende Februar unwohl befunden. Als er es seiner Herrin klagte, gab sie ihm eine Tasse mit Fleischbrühe und einige Tage nachher einige Rosinen. Dies milderte nicht das Unwohlsein, vielmehr erregte es ihm neue Übelkeiten. Als ihm daher am 28. Februar die Geheimrätin Reis anbot, wollte er ihn nicht essen. Ihm kam der Umstand seltsam vor, daß sie den Reis darauf in den Abtritt warf; der Gedanke stieg in ihm auf, daß die Speisen etwas der Gesundheit Nachteiliges enthalten könnten, und er beschloß, sich in den Zimmern und Spinden seiner Herrschaft heimlich umzusehen. Er fand wirklich am 21. März in einem Spinde ein Pulver mit der Aufschrift »Arsenik«.

Als ihm am folgenden Tage die Geheimrätin wieder einige gebackene Pflaumen anbot, nahm er sie zwar, brachte aber keine in den Mund. Er teilte vielmehr seinen Fund und seine Furcht der Kammerjungfer Schley mit, die die Pflaumen zu ihrem Bruder, einem Apothekerlehrling in der Flittnerschen Apotheke, trug, um sie dort untersuchen zu lassen. Hier stellte sich schnell heraus, daß die Pflaumen Gift enthielten. Der Prinzipal der Apotheke, Assessor Flittner, zeigte den Vorfall seinem Vorgesetzten, dem Obermedizinalrat Welper, an und dieser dem Direktor der Immediatkriminalkommission, dem Geheimrat Warsing, der, nach vorläufiger Vernehmung des Bedienten, der Kammerjungfer und der Beteiligten in der Apotheke, die Arretierung der Ursinus veranlaßte.

Dies wußte man in den ersten Stunden. Bald nachher wußte man weit mehr. Auch ihr Gatte war vor drei Jahren van Gift gestorben, das sie ihm beigebracht hatte, dergleichen ihre Tante, die unverehelichte Witte, ebenso ein Geliebter der Ursinus, ein holländischer Offizier namens Ragay.

All dies wußte das Publikum in Berlin bestimmt und war entbrannt darauf, noch mehr zu wissen.

Da den Leuten die gerichtliche Untersuchung zu lange dauerte, auch vielleicht zu geringe Resultate versprach, erschien schon im gleichen Jahre ein Buch von dem Historiker Friedrich Buchholz: »Bekenntnisse einer Giftmischerin, von ihr selbst geschrieben«, das vielen für bare Wahrheit galt, doch aber nur ein Roman ist, dessen Hauptmotive allein dem entnommen sind, was vor Publikation von der Untersuchung bekannt geworden war.

Die Ursinus leugnete beharrlich alle die zur Sprache gebrachten Giftmorde; nur die Giftversuche gegen ihren Bedienten Klein räumte sie ein, und bei der gründlich geführten Untersuchung ergab sich folgendes:

Sophie Charlotte Elisabeth, verwitwete Ursinus, am 5. Mai 1760 geboren, war die Tochter des österreichischen Legationssekretärs Weingarten, nachher von Weiß genannt. Die Historiker jener Zeit nennen ihn Baron von Weingarten.

Charlotte lebte bis zu ihrem zwölften Jahre bei ihren Eltern; dann wurde sie nach Spandau zur Hofrätin Haacke, einer älteren Schwester, zum Religions-und wissenschaftlichen Unterricht gegeben. Ihre Eltern waren katholisch; sie bekannte sich aus freien Stücken zur lutherischen Kirche. Einer Liebschaft wegen, die ihre Eltern nicht duldeten, nahmen sie ihre Tochter aus Spandau wieder zu sich nach Stendal.

Hier lernte sie ihren künftigen Ehemann, den damaligen Obergerichtsrat Ursinus, den Hausfreund ihrer Eltern, kennen, der ihr vom Anfang ihrer Bekanntschaft an eine ausgezeichnete Aufmerksamkeit bewies und nach einem Jahr um sie anhielt. Sie liebte den älteren, ernsten und kränklichen Mann nicht gerade, aber sie war, wie sie versichert, ihm herzlich gut und entschloß sich leicht, ihn zu heiraten, weil ihre Eltern ihr seinen exemplarischen Lebenswandel, seinen Fleiß, sein Amt und seine Aussichten als beneidenswerte Vorteile schilderten, wogegen sein Gehörfehler und seine Kränklichkeit nicht in Betracht kommen könnten.

Neunzehnjährig, heiratete sie ihn; die Eheleute blieben bis 1792 in Stendal und kamen, nach verschiedenen Aufenthaltsorten, nach Berlin, wo Ursinus am 11. September 1800 starb.

Die Ursinus versicherte, wegen der Kränklichkeit ihres Mannes schon bald nach ihrer Heirat mit ihm das Übereinkommen getroffen zu haben, den eigentlichen Zweck der Ehe zu beseitigen. Sie habe den Schmerz über die Kinderlosigkeit ihrer Ehe möglichst zu verbergen gesucht. Anfangs sei ihr das nicht schwer geworden, später aber sei ihr die Entbehrung sehr schwergefallen, und sie habe eine heftige Neigung zu dem holländischen Offizier Ragay gefaßt.

Ihre merkwürdigen Äußerungen darüber in einem der Verhöre sind folgende: »Ich habe meinen Mißmut darüber, daß unsere Ehe kinderlos blieb, soviel als möglich zu verbergen gesucht. Daß ich darüber Mißmut empfand, hatte einen doppelten Grund. Einmal wünschte ich mir Kinder, um, solange sie noch klein wären, sie als Spielzeug zu gebrauchen, wenn sie älter würden, Menschen an ihnen zu haben, die durch Bande des Blutes Verpflichtungen zur Liebe gegen mich hätten; und dann fühlte ich, daß mein Blut heftig wallte und mein Körper Befriedigung forderte, die ich bei Ursinus nicht finden konnte. Nichtsdestoweniger habe ich ihm darüber je Vorwürfe gemacht; vielmehr unterdrückte ich durch Zerstreuungen aller Art die Winke der Natur um so williger, als wir jenes Übereinkommen getroffen. Nur die Folge, welche eben diese Entbehrung für mich hatte, war mir unangenehm, da, wie gesagt, die Fülle der Gesundheit, in welcher ich lebte, Befriedigung zu fordern schien und ich ein Toben in meinem Körper verspürte, welches mich oft krank machte. Das war jedoch in den ersten Jahren meiner Ehe nicht der Fall, sondern ich nahm dies alles erst in späteren Jahren wahr, besonders alsdann, wenn ich im Umgange mit andern Männern war, oder auch, wenn ich von diesen zufällig einen Druck der Hand, oder auch noch mehr, wenn ich, wäre es auch nur im Pfänderspiele gewesen, von jemandem einen Kuß erhielt, welches letztere allerdings öfter der Fall war wie ersteres. Dies empfand ich besonders, wenn es von dem Ragay geschah, denn ich will kein Geheimnis daraus machen, daß ich an diesem Ragay mit innigem Gefühl der Liebe gehangen habe.«

Ihr Ehemann billigte nicht allein, er begünstigte auch diese Leidenschaft; doch soll es nach der Versicherung der Ursinus nicht bis zum Bruch der ehelichen Treue gekommen sein. Über dieses wunderbare Verhältnis gibt ein Brief, der zu den Akten kam, von Ursinus’ Hand geschrieben und an Ragay adressiert, Auskunft.

»Berlin, den 29. Oktober 1796

Nachmittags 4 Uhr

Lieber Freund!

Hier ein Brief für Sie, der schon vorgestern abend einlief und den ich gestern nicht schickte, um Ihnen Unruhe zu ersparen. Ich wünsche, sein Inhalt sei gut und Sie haben durch den Verzug nicht gelitten. Ich würde ihn auch heute nicht geschickt haben (weil ich ungern allein schreiben wollte und Lotte nicht konnte), hätte der Maler mich nicht fragen lassen, wo Sie in Potsdam wohnten. Ob nun gleich die arme Lotte still im Zimmer blieb, keinen Arzt hat, weil sie nie auf Ärzte hielt (außer Tissot), so könnte doch jener Mann sie zufällig gesehen haben und Sie mit der Nachricht beunruhigen, sie sei krank. – Das ist sie nun eigentlich nicht, und nach dem zweiten Aderlaß heute morgen hoffe ich viel – in Absicht des Körpers –, ihr Gemüt leidet.

Nun zur Erzählung: Sie verließen sie, schon von starkem Andränge des Blutes gegen den Kopf (einer Fülle von Gesundheit) geplagt, dazu kamen Beängstigungen. – Bis Mittwoch hielt sie sich in beständiger pflichtmäßiger Tätigkeit und zählte nur immer die Stunden, als wollte sie die Tage los sein. Ihr Brief an Sie war ihre letzte Kraft, das Übel stieg – was litt die Gute! Der Kopf ward benebelt, das Herz geängstigt, sie war nicht mehr Lotte – und doch war sie es so ganz, immer nur befürchtend, daß niemand durch sie leiden solle; darum sollte ich nicht schreiben, darum erwähnte sie ihrer Gesundheit jetzt nicht. – Was der Körper leidet, sieht man, die Verwundungen der Seele sieht man nicht, und darum erkundigt man sich so viel nach diesem und kann jene um ein Nichts willen verletzen – sagte sie einmal ganz sanft, sonst klagt sie nicht. Gestern abend entschloß sie sich zum heutigen Aderlaß, und es ist viel besser: Röte ist auf den Wangen, Lächeln um die Lippe. – Schreiben kann sie heute nicht, sie würde sonst wollen.

Sage recht was Freundliches, und morgen schreibe ich gewiß; bis dahin soll man ruhig sein. Ich habe keinen Augenblick Mißtrauen, aber unbegreiflich ist mir die neue Veränderung im Plan und Benehmen, die von allem, was man mir am Sonnabend sagte, so abweicht.

Und das ist sie mir nach dem, was sie mir erzählt hat, auch! Können Sie mir darüber einen Aufschluß geben? So wie darüber, wann eher Sie wohl hier wieder herkommen und ob Ihr Schicksal Sie bald wieder an einen anderen Ort ruft? So ist es jetzt wohl Zeit! Ich verdiene ihn in jeder Absicht und kann schweigen. – Ob ich Ihr Freund bin? In welchem Grade ich es bin, wissen Sie. Ach, wie ist der Mensch; am Quell des reinsten Glücks darbt er! Hat nur Stunden zu leben und verläßt Wirklichkeiten, um Schattenbildern nachzujagen, die, wenn er sie erhält, ihm nicht so viel Glück geben werden, als er jetzt hatte. Hier die Zeitung. Morgen schreibt die gute Lotte und schickt die heutige, die wir erst spät erhalten. Auch der Friede wird endlich kommen, dann wird uns nichts so gereuen, als die Zeit en attendant nicht besser genossen zu haben. Da Sie sich unserer mündlichen Unterhaltung entzogen haben, so ist es natürlich, daß die schriftliche, soviel es angeht, ersetzen muß; man müßte tagebuchmäßig etwas schreiben, damit nicht immer die Journaliere drängte. Wohnen Sie denn noch bei Herrn von Huguenin? Ich bitte mir auf die Rückseite dieses Briefes zu antworten, weil ich dem guten Weibe gern einst zeigen will, was ich schrieb, und selbst zu zerstreut bin, also gern wieder hätte, was ich Ihnen geschrieben. Mit dem herzlichsten Anteil haben wir gestern aus Ihrem Brieflein gelesen, daß es mit Ihrer Gesundheit besser geht. ›Daß nur kein TerkaleonEin böser Dämon aus einer damals beliebten Oper. kömmt‹, sagte Lotte kopfwiegend; ›wir waren schon vier-bis fünfmal so weit, und dann springt es immer wieder vom Guten zum minder Guten über. Gott mache ihn glücklich!‹

Hätten Sie Aug’ und Stimme gesehen, Sie würden beinahe nicht zweifeln, daß Gott ein solches Gebet erhören würde; er wird’s, und ich stimme herzlich mit ein: Gott mache Sie glücklich!

Theodor Ursinus«

Diesen Brief konzipierte die Ursinus selbst, und ihr Mann mußte ihn abschreiben.

Den Wunsch der Rücksendung erfüllte übrigens Ragay, und so kam der Brief unter die Papiere der Ursinus, wo er sich mit ihrem Konzepte, nebeneinandergeheftet, befindet. Auch den Wunsch, auf der Rückseite zu antworten, erfüllte Ragay; aber anstatt der Andeutungen über die lebendigen Gefühle der Frau, kam keine andere Antwort als die kühle Floskel: »Die Stimmen der besten Freunde sind mir sehr teuer, die Ihren berühren mich nicht weniger, und ich zweifle keinen Augenblick an Ihrer Aufrichtigkeit.«

Deutete nicht etwa die Kühle auf eine nach dem befriedigten Genuß schon erloschene Liebesglut, so könnte man der Versicherung der Ursinus Glauben schenken, daß ihre Leidenschaft nicht die Grenzen des Erlaubten überschritten habe. Der kühle Holländer gab ihr dazu keinen Anlaß.

Sie selbst sagt über dieses Verhältnis noch aus, daß Ragay schon damals Berlin verlassen wollte, angeblich weil er den Wahn gehegt hätte, daß sie doch keine wahre Liebe gegen ihn empfände. Als aber seine Abreise ihr bitteren Kummer und Schmerz verursacht hätte und sie wirklich krank geworden wäre, habe ihr Mann, der es bemerkt und bedauert, ihr angeraten, alle Wege einzuschlagen, um ihn wieder zurückzuführen. Da der weibliche Anstand ihr verbot, dies selbst zu tun, hatte sich ihr Mann dazu erboten und den von ihr selbst aufgesetzten Brief kopiert.

Aber Ragay kam nicht, und Ragay blieb nicht. Der schwere Kampf zwischen Pflicht und Liebe habe in ihr, sagt sie, nicht den Gedanken, den Geliebten zu morden, sondern Hand an sich selbst zu legen, erzeugt. Indessen sei dieser Zustand glücklicherweise damals vorübergegangen, und des Holländers Entfernung von Berlin und dann sein Tod im Juli 1797 hätten sie völlig beruhigt.