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Ein Leben für Reich, Territorium und Kirche: Kurfürst Friedrich III. von Sachsen Als "Friedrich der Weise" ist er in die Geschichtsschreibung eingegangen. Kurfürst Friedrich III. ist den meisten in erster Linie für seine Unterstützung des Reformators Martin Luther ein Begriff. Dabei hat sich der Fürst aus dem Hause Wettin auf vielfältige Weise historische Verdienste erworben: als wichtiger Motor hinter der Reichsreform ab 1495, Universitätsgründer und Vertreter einer ausgleichenden Kirchen-Politik in den schwierigen Jahren der Reformation. Der renommierte Kirchenhistoriker Armin Kohnle widmet dem sächsischen Kurfürsten nun eine kurzweilig geschriebene Biographie, die den rührigen Herrscher in all seinen Facetten beleuchtet. - Friedrich der Weise: eine historische Biographie voller neuer Erkenntnisse - Das Wirken des sächsischen Herrschers in der Reformations- und Renaissance-Zeit - Kurfürst, Humanist, Kirchenpolitiker: von der Leipziger Teilung bis zum Bauernaufstand - Auf dem aktuellen Forschungsstand dank der Auswertung zahlreich neu erschlossener Quellen - Mehr als die Wiege der Reformation: das Kurfürstentum Sachsen zu Beginn des 16. Jahrhunderts als kulturelles und machtpolitisches Zentrum 500 Jahre danach: die Friedrich-Biographie zum Jubiläumsjahr Im Mai 2025 begehen wir bereits den 500. Todestag Friedrichs des Weisen. Da das Erscheinungsdatum der letzten Biographie mittlerweile rund 40 Jahre zurückliegt, hat Historiker Armin Kohnle den Faden wiederaufgenommen. Zahlreiche Quellen wurden für dieses Buch neu erschlossen und ausgewertet. Sie zeigen den Kurfürsten Friedrich in einem neuen Licht, als Privatperson, als Beförderer von Renaissance-Kunst, Bildung und Wissenschaft wie auch als Gegenpol zum Habsburger Kaiser Karl V. Eine lohnende Lektüre für alle, die mehr über Reformbestrebungen und Machtverschiebungen im ausgehenden Mittelalter erfahren möchten: Die aktuelle Biographie zu Kurfürst Friedrich III. liefert einen wertvollen Beitrag zur reichsdeutschen und sächsischen Geschichte.
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Seitenzahl: 491
Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen
(1463–1525)
Armin Kohnle, Dr. phil., Jahrgang 1960, studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Evangelische Theologie in Heidelberg und Cambridge, Promotion und Habilitation fanden in Heidelberg statt. Seit 2009 hat er den Lehrstuhl für Spätmittelalter, Reformation und territoriale Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig inne. Kohnle ist Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Neben der allgemeinen Reformationsgeschichte und der sächsischen erritorialkirchengeschichte gehört die Lutherforschung zu seinen besonderen Arbeits- und Publikationsfeldern.
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© 2024 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
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Cover: Anja Haß, Leipzig
Coverbild: Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (1486–1525), 1527
von Lucas Cranach dem Älteren © akg-images
Satz: makena plangrafik, Leipzig/Zwenkau
Druck und Binden: BELTZ Grafische Betriebe GmbH, Bad Lagensalza
ISBN 978-3-374-07642-0
eISBN (PDF) 978-3-374-07643-7 // eISBN (E-Pub) 978-3-374-07644-4
www.eva-leipzig.de
Dieses Buch verdankt seine Entstehung zwar dem aktuellen Anlass des 500. Todestags Friedrichs des Weisen am 5. Mai 2025, ist zugleich aber das Produkt einer seit drei Jahrzehnten andauernden Beschäftigung mit der deutschen Fürstenreformation des 16. Jahrhunderts. Die vom Verlag vorgegebene Beschränkung des Umfangs hat sich als Fluch und Segen erwiesen. Auf der einen Seite war nicht daran zu denken, die fast 600 Druckseiten starke Friedrich-Biographie von Ingetraut Ludolphy durch ein ähnlich umfangreiches Werk ersetzen zu wollen; auf der anderen zwingt der knappe Raum zur Konzentration auf das Wesentliche. Auf ausufernde Literaturangaben und Forschungsdiskussionen musste verzichtet werden. Nicht verzichtet wurde hingegen auf Quellenbelege sowie Hinweise auf einschlägige und vor allem neuere Titel, die Ludolphy noch nicht zur Verfügung standen.
Das von Ludolphy ausgewertete Quellenmaterial ist seit dem Erscheinen ihres Buches im Jahr 1984 in vielfältiger Weise ergänzt oder durch bessere Editionen ersetzt worden. Insbesondere das Projekt »Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513–1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung« der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bietet eine Fülle bisher unbekannter Texte, die vieles in einem neuen Licht erscheinen lassen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Projekts sei für ihre bereitwillige Unterstützung gedankt.
Das Thema Friedrich der Weise ist in verschiedene Lehrveranstaltungen an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig eingeflossen. Zuletzt wurden im Wintersemester 2022/23 und im Sommersemester 2023 Vorlesungen zur Geschichte des Kurfürsten gehalten. Den Teilnehmern und Hörern ist ebenso zu danken wie meinen Assistenten Hannes Haas, Thomas Linke und Christiane Hesse sowie der Institutssekretärin Kerstin Backhaus, die das Manuskript kritisch gelesen und mit mir diskutiert haben.
Ich widme dieses Buch, das in seiner Sicht auf Friedrich den Weisen ein sehr persönliches geworden ist, meinen Leipziger Kollegen und Freunden:
Peter Zimmerling zum 65. Geburtstag
Jens Herzer zum 60. Geburtstag
Leipzig und Müllheim (Baden) im Frühjahr 2024
Armin Kohnle
Vorwort
Zur Einführung
Warum Friedrich?
Alte und neue Quellen
Friedrich in der Forschung
Friedrichs Welt
Der Aufstieg der Wettiner
Leipziger Teilung
Land und Kirche nach der Leipziger Teilung
Ein schöner Herr und junger Sohn zu Sachsen
Geburt und Bildungsgang
Ein schöner Herr im Bild
Tod des Vaters
Die Mühen der Regierung
Eine brüderliche Herrschaft
Berater und Amtsträger
Geteilte Last: Die Mutschierung von 1513
Im Dienst von Kaiser und Reich
Reichsreform und habsburgische Machtpolitik
Alter Kaiser, junger Kurfürst
Junger König, junger Kurfürst
Zwischen Königsstreue und Standesinteresse
In habsburgischen Diensten
In Opposition zum König?
Balancepolitik und Generalstatthalterschaft
Friedrich privat
Der Mensch Friedrich
»Ach, mein Vetter Herzog George«
Auf Freiersfüßen
Der spätmittelalterliche Laienchrist
Pilger im Heiligen Land
All die lieben Heiligen
Der fromme Stifter
Der Universitätsgründer
»Unter meiner Regierung hat die Universität Wittenberg zu lehren begonnen«
Markt der edlen Wissenschaften und Orakel
Bauherr für die Universität
Der Renaissancefürst
Friedrich, der Humanist?
Förderer von Architektur, Kunst und Musik
Nürnberg, die Kulturmetropole des Reiches
Der vorreformatorische Kirchenpolitiker
Bischöfe und geistliche Gerichtsbarkeit
Klöster und Klosterreform
Päpste und Kardinäle
Beschützer Luthers und erwählter Kaiser
Die Anfänge der Lutherschutzpolitik
»Zum Keisar ward erkorn ich«: die Königswahl von 1519
Miltitz und kein Ende
Gegen den Strom
Von Köln nach Worms
Lutherschutzpolitik unter äußerem Druck
Nicht gegen Gottes Wort
Tod und beginnendes Nachleben
Das letzte Testament
Tod und Beisetzung
Beginnendes Nachleben
Epilog
Stammtafel der Wettiner vom 14.–16. Jahrhundert (vereinfacht)
Zeittafel zur Geschichte Friedrichs des Weisen
Abbildungsverzeichnis
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Werke
Anmerkungen
Register der Personen und Orte
Abbildungen
Am 5. Mai 1525 starb Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen in seinem geliebten Jagdschloss Lochau, das er um 1500 an der Stelle einer älteren Burg hatte errichten lassen.1 Von dieser bescheidenen Residenz inmitten der damals wildreichen Lochauer Heide ist nichts mehr zu sehen. An gleichem, später Annaburg genanntem Ort steht heute ein im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts viel aufwendiger gestaltetes Schloss, das den baulichen Zustand der Friedrich-Zeit nur noch in den Grundmauern erkennen lässt. Zum Ort des Friedrich-Gedenkens wurde nicht Lochau, sondern die Wittenberger Schlosskirche, wo Friedrich von langer Hand die Memoria der ernestinischen Familie verankert hatte.2
Der Tod Friedrichs des Weisen war eine Zäsur in der sächsischen ebenso wie in der allgemeinen Reformationsgeschichte. Unter seinem Bruder und Nachfolger Johann begann die obrigkeitlich organisierte Umgestaltung der kursächsischen Kirchenverhältnisse nach den Prinzipien der Wittenberger Reformation. War der Weg Kursachsens zu einem lutherischen Territorium seither deutlich vorgezeichnet, bildeten die annähernd vier Jahrzehnte der Regierung Friedrichs, der als dritter sächsischer Kurfürst aus dem Hause Wettin diesen Namen trug, in reformationsgeschichtlicher Perspektive eine Zeit des Übergangs.
Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen über die Kraft der Ablässe an die Tür der Wittenberger Schlosskirche anschlug, war Friedrich bereits 54 Jahre alt. Nach den Maßstäben der Zeit galt er als alter und erfahrener Fürst. Seine politische, kulturelle und religiöse Sozialisation stammte aus einem untergehenden Zeitalter. Gewiss, in Friedrichs Welt blieb über das Epochenjahr 1517 hinweg vieles so, wie er es kannte; aber die Probleme, mit denen er in den letzten sieben Jahren seiner Herrschaft zu ringen hatte, waren doch von anderem Zuschnitt und von größerer Tragweite als alles, was ihm bis dahin begegnet war. Erst diese Endphase seiner Regierungszeit, die weitgehend unter dem Eindruck der Sache Luthers stand, machte aus Friedrich dem Weisen die historische Gestalt, an die man sich heute erinnert. Ohne Luther wäre Friedrich zwar ebenfalls als bedeutender sächsischer Kurfürst, als Reichspolitiker, Universitätsgründer, Kunstmäzen und Reliquiensammler in die Geschichte eingegangen, er hätte es aber kaum zu der Bekanntheit gebracht, die ihn als Beschützer Luthers auszeichnet.
Dabei ist Friedrich der Weise gerade in seinem Verhältnis zur aufkommenden Reformation nur schwer zu fassen. Die Gretchenfrage nach Friedrichs Haltung zur Lehre Luthers ist noch immer nicht abschließend beantwortet. Dementsprechend kontrovers sind die Deutungen, die seit dem Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Kurfürsten vorgetragen wurden. Ein modernes Lebensbild darf nicht den Fehler begehen, die gesamte Biographie dieses Fürsten durch die reformatorische Brille zu betrachten oder die Darstellung gar erst mit dem Auftreten Luthers beginnen zu lassen. Vielmehr ist Friedrichs Politik in den frühen Reformationsjahren nur verständlich zu machen, wenn sie in die längerfristigen Linien seiner Herrschaft eingezeichnet wird. Kontinuitäten und Umbrüche müssen aufgedeckt, Kontexte identifiziert und in ihrer Bedeutung für die Politik des Kurfürsten gewichtet werden. »Männer machen die Geschichte«3, dieses Diktum Heinrich von Treitschkes kann Gültigkeit nur dann beanspruchen, wenn das Individuelle und das Besondere in die allgemeinen Entwicklungen eingebettet werden.
Dieses Buch verdankt seine Entstehung zwar dem Anlass des bevorstehenden 500. Todestages und der seit gut 150 Jahren vorherrschenden Forschungsperspektive, Friedrich den Weisen als Schutzherren Martin Luthers verstehen zu wollen. Es verengt den Blick jedoch nicht auf die Jahre nach dem öffentlichen Auftreten Luthers. Friedrichs Leben fiel zum größeren Teil in das ausgehende Mittelalter. Der junge Kurfürst ist aber viel weniger vertraut als der behäbige, von Krankheit gezeichnete, schwergewichtige, sein Gesicht hinter einem Vollbart verbergende alte Fürst, der uns in dem berühmten Kupferstich Albrecht Dürers von 1524 entgegentritt (unten → Abbildung 14). Und doch sollte man das Leben eines Menschen generell nicht von seinem Ende her betrachten, will man nicht dem Irrtum aufsitzen, dass alles genau so kommen musste, wie es kam. Geschichte ist an jedem einzelnen Punkt offen. Das gilt auch für das individuelle Leben Friedrichs des Weisen, dessen Verlauf von Konstellationen abhängig war, die nicht vorhersehbar oder gar vorherbestimmt waren. Friedrich selbst lebte in der Überzeugung, dass er in einer besonderen Verantwortung gegenüber Gott stand. Diese religiöse Dimension muss bei einem Menschen des Spätmittelalters – und insbesondere bei einem von tiefer Frömmigkeit geprägten Laienchristen – beachtet und darf nicht modern-säkularistisch bagatellisiert werden. Seine Frömmigkeitsmotive ernst zu nehmen, bedeutet aber nicht, dass wirtschaftliche, dynastische oder politische Interessen und Motivationen ignoriert werden dürften. Vielmehr wird hier davon ausgegangen, dass jeder Mensch – und besonders ein Politiker wie Friedrich – aus einer komplexen Motivationslage heraus handelt und dass es die Aufgabe des Historikers ist, diese handlungsleitenden Motive in ihrer Verschränktheit zu erkennen.
Bei der Aufdeckung dieser Motive ist immer zu bedenken, dass vormoderne Fürsten in der Regel nicht nur als Privatpersonen agierten, sondern zugleich als Landesherren in einer festgelegten Rolle. Die Fürsten des 15. und frühen 16. Jahrhunderts legten größten Wert darauf, in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild von sich zu verbreiten. Stärke, Macht und kriegerische Tugenden konnten dabei ebenso herausgestellt werden wie Frömmigkeit oder Gerechtigkeit; Gelehrsamkeit, Bildung und Kunstsinn wurden unter dem Einfluss des Humanismus ebenfalls wertgeschätzt. Wenn ein Fürst über diese Qualitäten nicht selbst verfügte, förderte er sie bei anderen. Das Private sollte nach Möglichkeit nur insoweit an die Öffentlichkeit gelangen, wie es dem eigenen »Image« nützte. Friedrich der Weise pflegte das Bild des frommen, kunstsinnigen, friedliebenden und die Gelehrsamkeit hochschätzenden Fürsten. Dies nur als Rollenverhalten abzutun, würde jedoch zu kurz greifen. Er selbst war zwar nicht ungebildet, erhielt den Zunamen »der Weise« aber nicht wegen seiner besonderen Bildung, sondern wegen seiner klugen Politik. Deshalb sollten öffentliche Rolle und tatsächliche, durch Quellen belegbare Eigenschaften differenziert, aber nicht auseinandergerissen werden.
Eine nähere Beschäftigung mit Friedrich dem Weisen ist aus folgenden Gründen eine lohnende Aufgabe.
Friedrich war der Kurfürst der frühen Reformationsjahre und damit nicht nur ein Zeitzeuge dieses Umbruchs, sondern auch an zentraler Stelle aktiv daran beteiligt und maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Lehre Luthers und seiner Wittenberger Kollegen nicht unterdrückt wurde. Deshalb ist Friedrich eine Figur nicht nur der sächsischen und deutschen Geschichte, sondern der Weltgeschichte.
Friedrich war geradezu ein Musterherrscher aus der Dynastie der Wettiner, die den mitteldeutschen Raum über viele Jahrhunderte beherrschte. Im Unterschied zu anderen Fürsten war er kein Krieger, sondern ein Friedensfürst, dem die Wohlfahrt seines Landes mehr am Herzen lag als persönlicher Ruhm.
Friedrich war der Gründer der Universität Wittenberg, die zum Ausgangspunkt des größten kirchlichen und theologischen Umbruchs der frühen Neuzeit wurde.
Friedrich spielte in der Politik der Kaiser Friedrich III. und Maximilian I. eine wichtige Rolle, ebenso bei der Wahl Kaiser Karls V. im Jahr 1519. Damit war er nicht nur an kirchengeschichtlichen, sondern auch an machtpolitischen Weichenstellungen, die die europäische Geschichte für lange Zeit prägten, maßgeblich beteiligt.
Das Profil einer historischen Persönlichkeit entsteht im Kopf des Historikers und ist von dessen Interessen, Prägungen, Überzeugungen und Voreingenommenheiten beeinflusst. Diese Selbstverständlichkeit gilt auch für die Rekonstruktion der Lebensgeschichte eines Fürsten, der heute zu den »ökumenischen Heiligen« gerechnet wird.4 Aus katholischer oder radikalreformatorischer Perspektive wird man Friedrich den Weisen anders beurteilen als aus landeskirchlich-evangelischer. Auch das folgende Lebensbild ist das Ergebnis des ordnenden, deutenden und wertenden historischen Rekonstruierens, schützt sich aber vor Subjektivität und Einseitigkeit durch eine möglichst breite Auseinandersetzung mit den Quellen und mit der Forschungsliteratur.
Friedrich der Weise gehörte nicht zu denen, die ihr Herz auf der Zunge trugen. Das ist bedauerlich für den Historiker, dem es geschwätzige Menschen leichter machen als wortkarge und diplomatisch agierende Persönlichkeiten wie Friedrich, der jedenfalls in seinen öffentlichen Äußerungen lieber zu wenig als zu viel sagte. Dennoch fließen die Quellen zu seinem Leben reichlich. Sie sind allerdings uneinheitlich verteilt und verschieden gut erschlossen. Während von Friedrichs frühen Jahren nur Bruchstücke bekannt sind, wächst die Zahl der zur Verfügung stehenden Texte seit seinem Herrschaftsantritt 1486 kontinuierlich an. Dies liegt nicht nur an den vielen dem Kurfürsten im Dienst für Kaiser und Reich zuwachsenden neuen Aufgaben, sondern auch an der in seiner Regierungszeit deutlich greifbaren Professionalisierung und »Verdichtung« von Herrschaft und Verwaltung,5 die mit einer zunehmenden Verschriftlichung einhergingen.
Für die ersten 30 Jahre seines Lebens wünschte man sich hingegen mehr Detailwissen. Hier ist noch immer die Biographie des Kurfürsten aus der Feder Georg Spalatins unverzichtbar. Spalatin stand Friedrich dem Weisen nahe, seit er 1509 als Prinzenerzieher, Sekretär, Geistlicher, Bibliothekar, Historiograph und Berater an den Hof kam.6 In seiner Eigenschaft als Geschichtsschreiber, der im Auftrag des Kurfürsten die sächsische Vergangenheit erforschte, verfasste er Lebensbeschreibungen der Kurfürsten von Sachsen.7 Keinen kannte er aber so gut wie seinen Dienstherrn Friedrich III. Spalatins Friedrich-Biographie entstand unmittelbar nach dem Tod des Kurfürsten und ist auch heute noch von Wert. Während des 16. Jahrhunderts allerdings war sie weitgehend unbekannt, da sie zeitgenössisch nicht gedruckt wurde. Das moderne Bild Friedrichs des Weisen ist durch Spalatins Vita stark beeinflusst, seit sie 1770 erstmals mangelhaft8 und 1851 von Christian Gotthold Neudecker und Ludwig Preller9 zuverlässiger veröffentlicht wurde.
Eine objektiv-distanzierte Lebensbeschreibung bietet Spalatin freilich nicht. Da sein Text nicht zur unmittelbaren Publikation gedacht war, ging es ihm nicht primär um eine möglichst positive Außendarstellung, sondern eher um die Würdigung seines von ihm hochgeschätzten Herrn. Friedrichs Lebensbeschreibung schöpft zum Teil aus schriftlichen Quellen, darüber hinaus aber auch aus persönlichen Erlebnissen. Die greifbare Sympathie für den Kurfürsten und die deutliche Positionierung Spalatins auf der Seite Luthers entwerten seinen Text keineswegs. Spalatins Biographie ist eine Fundgrube für Beobachtungen und Beurteilungen, die man aus Urkunden und Akten so nicht erheben kann. Auch Philipp Melanchthons Rede, die bei der Beisetzung des Kurfürsten in der Wittenberger Schlosskirche vorgetragen wurde,10 war keine objektive historische Betrachtung, sondern ein dem Anlass entsprechendes humanistisches Fürstenlob, das insbesondere auf Friedrichs Friedensliebe und Festigkeit im Glauben abhob. Ähnlich verhält es sich mit Melanchthons Deklamation über den Kurfürsten von 1551,11 mit der man bereits das Feld der Friedrich-Memoria betritt.
Während Friedrichs albertinischer Vetter Herzog Georg von Sachsen schon um die Zeit des Ersten Weltkriegs mit einer Edition seiner kirchenpolitischen Akten bedacht wurde12 und auch sein Großneffe, der Herzog und Kurfürst Moritz eine Ausgabe seiner politischen Korrespondenz erhalten hat,13 ist für Friedrich den Weisen und seinen Bruder Johann erst seit wenigen Jahren eine auf die Kirchenpolitik konzentrierte Quellenausgabe in Arbeit.14 Diese Edition deckt aber nur die letzten zwölf Regierungsjahre Friedrichs des Weisen ab. Für die Zeit zwischen seinem Herrschaftsantritt 1486 und der Mutschierung 1513 ist man nach wie vor auf verstreut gedruckte oder ungedruckte Überlieferung angewiesen. Für die reformationsgeschichtlich entscheidende Phase steht nunmehr aber eine Materialfülle zur Verfügung, die tiefe Einblicke in das Verhältnis Friedrichs zu den Bischöfen, zum Papsttum, zu Klöstern und zu anderen kirchlichen Institutionen und Akteuren erlaubt. Aus dieser neuen Edition schöpft die vorliegende Darstellung in erheblichem Maße. Darüber hinaus werden die lange bekannten älteren Ausgaben, die Material zu Friedrich dem Weisen enthalten, so Förstemanns Neues Urkundenbuch15 oder die Planitz-Berichte aus dem Reichsregiment,16 selbstverständlich ebenso benutzt wie neuere Editionen, unter denen etwa die von Sina Westphal zusammengetragene Korrespondenz Friedrichs mit Empfängern in Nürnberg zu nennen ist.17Die Reichspolitik der frühen Regierungsjahre Friedrichs ist in der mittleren Reihe der Deutschen Reichstagsakten heute deutlich besser erschlossen, als es zu Ludolphys Zeit der Fall war.
Es wäre allerdings eine Illusion und einer lesbaren Darstellung auch nicht zuträglich, in der Verwertung der Quellen irgendeine Vollständigkeit anzustreben. Vielmehr wird es darauf ankommen, das Einschlägige und Exemplarische zu identifizieren und zum Sprechen zu bringen. Das Leben Friedrichs des Weisen ist nur aus einer klugen Mischung von lange bekannten und neuen Texten zu rekonstruieren und eine ermüdende Häufung von Einzelfällen zu vermeiden. Das Bekannte vom Unbekannten und das Typische vom Außergewöhnlichen zu unterscheiden, ist ohne die Kenntnis der älteren und jüngeren Forschung zu Friedrich dem Weisen aber nicht möglich.
Nach ersten Versuchen im 17.18 und 18. Jahrhundert19 blieben das Leben und Wirken Friedrichs des Weisen ein beliebtes Sujet während des gesamten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Versuche einer Gesamtbiographie legten der Dresdner Lehrer Moritz Tutzschmann 1848,20 der lutherische Pfarrer Carl Becker 1861,21 die Schriftstellerin Amanda Hoppe-Seyler 1868,22 der Hallenser Gymnasiallehrer Otto Nasemann 188923 sowie der Naumburger Gymnasiallehrer Ernst Borkowsky 1929 vor.24 Keiner dieser Autoren ist dem Kreis der professionell-universitären Allgemeinhistoriker oder Kirchenhistoriker zuzurechnen. Ohne Quellenbelege verfasst, sind ihre Lebensskizzen im wissenschaftlichen Kontext heute nicht mehr brauchbar, wenngleich als literarische Produkte noch immer lesenswert.
Das wissenschaftliche Interesse an Friedrich dem Weisen ging Hand in Hand mit dem Aufblühen der reformationsgeschichtlichen Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Namen Gustav Leopold Plitt,25 Theodor Kolde,26 Julius Köstlin27 und Johannes von Walter28 sind hier ebenso zu nennen wie insbesondere Paul Kalkoff, der die Haltung Friedrichs zu Luther und zur Reformation in zahlreichen Büchern und Aufsätzen vor und nach dem Ersten Weltkrieg thematisiert29 und darüber hinaus Friedrichs Rolle bei der Königswahl von 1519 in das Blickfeld gerückt hat.30 Kalkoffs These, Friedrich sei ein Lutheranhänger der ersten Stunde gewesen und habe Luther aus innerer Überzeugung von der Wahrheit der reformatorischen Theologie geschützt, ist in dieser Radikalität von der nachfolgenden Forschung aber kaum einmal übernommen worden. Dies gilt insbesondere für Paul Kirns Leipziger historische Habilitationsschrift über Friedrich den Weisen und die Kirche aus dem Jahr 1926,31 die sich explizit gegen Kalkoffs Interpretation der Rolle Friedrichs als Anhänger Luthers positionierte und dem Kurfürsten in der Lutherfrage eine »Neutralität der Gesinnung« attestierte.32
Das Spektrum der Meinungen zu dieser Problematik ist damit grob skizziert: Es reicht von der kompletten Verortung des Kurfürsten auf der Seite Luthers und der Reformation bis zur neutralen Distanzierung Friedrichs von der Reformation. Auf einer mittleren Linie zwischen Kalkoff und Kirn liegt Ingetraut Ludolphy, die festgestellt hat: »Eine gewisse Affinität der Glaubenshaltung Friedrichs zu der Luthers muß bestanden haben«.33 Als Schülerin des Leipziger Kirchenhistorikers Franz Lau hat Ludolphy die ältere Friedrich-Forschung synthetisiert und weitergeführt. Ihre materialreiche Darstellung aus dem Jahr 1984 liefert den Ausgangspunkt und den Maßstab für jede nachfolgende Beschäftigung mit Friedrich dem Weisen. Die Fülle der von Ludolphy verarbeiteten Quellen führte allerdings nicht nur zu einem erheblichen Seitenumfang, sondern auch zu Schwerfälligkeiten in Aufbau und Darstellung. 2006 wurde diese Arbeit noch einmal unverändert nachgedruckt. Das Werk spiegelt jedoch den Forschungsstand der frühen 1980er-Jahre wider.
Die Forschung ist seither nicht stehengeblieben. Zwar hat sich seit Ludolphy – wenn man von der schmalen und ohne wissenschaftlichen Anspruch geschriebenen Arbeit von Klaus Kühnel34 absieht –, niemand mehr an eine Gesamtbiographie Friedrichs des Weisen in deutscher Sprache gewagt, aber die Zahl der zu spezielleren Fragen erschienenen Titel ist insgesamt doch beachtlich. Zu erwähnen ist die Studie Bernd Stephans über Friedrichs Verhältnis zu Bildung und Künsten. Diese Leipziger Dissertation aus dem Jahr 1980, die in DDR-Zeiten nicht gedruckt werden konnte, erschien erst 2014, spiegelt aber noch den Forschungsstand ihrer Entstehungszeit wider.35 Eine spezifisch Leipziger Konkurrenzsituation hat dazu geführt, dass Stephans Ergebnisse von Ludolphy ignoriert wurden, obwohl sie von ihnen durchaus hätte profitieren können. Eine gefällige, für ein englischsprachiges Publikum gedachte Zusammenfassung auf der Basis von Ludolphys Biographie bot 2011 der durch zahlreiche Lebensbeschreibungen hervorgetretene amerikanische Literat Sam Wellman.36 Dann lieferte der 550. Geburtstag Friedrichs des Weisen im Jahr 2013 den Anlass für Tagungen und Aufsatzbände, die viele Einzelaspekte der Geschichte des Kurfürsten behandelten.37 Friedrichs große Reliquiensammlung ist durch die Studie von Johanna Liedke inzwischen in völlig neuer Weise aufgearbeitet.38 Zuletzt ist ein Biogramm zu erwähnen, das aus dem Akademieprojekt »Briefe und Akten« hervorging39 und das neben kleineren Vorarbeiten zum vorliegenden Buch40 als jüngste Studie zum Kurfürsten Friedrich angesprochen werden kann. Für das Gedenkjahr 2025 ist damit zu rechnen, dass es weitere Publikationen zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich geben wird,41 die das in Leipzig neu erschlossene Quellenmaterial, so steht zu hoffen, intensiv verwerten und zu einem differenzierteren Bild Friedrichs des Weisen beitragen werden.
In noch höherem Maße als in einer modernen sozial durchlässigen Gesellschaft entschied bei einem Menschen des späten Mittelalters die Herkunftsfamilie über die Ausgangsbedingungen und die Aufstiegschancen eines Knaben. Die Familie, in die Friedrich der Weise hineingeboren wurde, war die der Wettiner.
Friedrich entstammte einer der ältesten Adelsdynastien des Reiches. Ihre frühesten Vertreter lassen sich bis in das 10. Jahrhundert zurückverfolgen, doch erst ab dem 11. Jahrhundert spielte die Familie, die sich nach ihrer Stammburg Wettin im heutigen Saalekreis in Sachsen-Anhalt benannte, eine Rolle in der großen Politik des obersächsischen Raumes.42 Der schrittweise Herrschaftsaufbau war durch den glücklichen Umstand begünstigt, dass immer ausreichend viele erbfähige Söhne zur Verfügung standen, ohne die kein mittelalterliches Fürstengeschlecht gedeihen konnte.
1089 wurde Graf Heinrich von Eilenburg mit der Markgrafschaft Meißen belehnt. Seither führte die Familie den Titel »Markgrafen von Meißen«. Diese Markgrafschaft Meißen blieb für mehr als 800 Jahre im Besitz der Wettiner. Sie reichte im Mittelalter vom heutigen Thüringen bis weit östlich der Elbe in den Raum um Görlitz und Zittau; von Torgau im Norden bis zum Kamm des Erzgebirges im Süden. Zum eigentlichen Begründer der wettinischen Hausmacht wurde Konrad von Kistritz im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts. Unterstützt wurde der Aufstieg der Familie durch Silberfunde bei Freiberg (»Erstes Berggeschrei«), die den nötigen finanziellen Rückhalt lieferten. Eine wichtige Etappe lag in der Mitte des 13. Jahrhunderts, als die Wettiner zunächst das Erbe der Landgrafen von Thüringen antraten (1247) und dann die Pfandherrschaft über das Reichsland Pleißen mit den Städten Altenburg, Chemnitz und Zwickau hinzugewannen. Am Ende des 13. Jahrhunderts, in der Regierungszeit Markgraf Heinrichs des Erlauchten (1218–1288), stand die Dynastie auf dem Höhepunkt ihrer Macht.
Innerwettinische Nachfolgekämpfe und ein langjähriger Streit mit dem Königtum, das seine Machtstellung im Raum östlich der Saale wiederzugewinnen versuchte, stürzten die Familie um 1300 jedoch in eine existenzbedrohende Krise, aus der erst der Ausgleich mit dem Königtum unter Markgraf Friedrich I. dem Freidigen (reg. 1291–1323) herausführte. Die folgende Entwicklung hatte auch für die Regierungszeit Friedrichs des Weisen noch eine Relevanz. André Thieme beschreibt sie wie folgt: »Im 14. und 15. Jahrhundert gelangen den Wettinern bedeutende herrschaftliche Zugewinne. Unter anderem banden sie seit 1307 das vormalige Reichsland Pleißen mit den Städten Altenburg, Chemnitz und Zwickau fest in ihre Herrschaft ein. Fast alle größeren Adelsgeschlechter Mitteldeutschlands gerieten unter wettinische Lehnshoheit, darunter die Burggrafengeschlechter von Altenburg, Leisnig, Meißen und Dohna, die Vögte von Weida, Gera und Plauen und in der thüringischen Grafenfehde von 1347–1349 auch die wichtigsten thüringischen Herren. Dabei brachten die Wettiner wichtige Teile der adligen Herrschaften auch ganz unmittelbar an sich und formten sie wie Altenburg (1329), Leisnig (1365) und Plauen (1466) zu wettinischen Vogteien/Ämtern um. Durch die Ehe Markgraf Friedrichs III. (reg. 1349–1381) kam die Herrschaft Coburg 1353 in wettinischen Besitz. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts können die Wettiner als unangefochtene Hegemonen des gesamten mitteldeutschen Bereichs gelten.«43
1423 erhielt Friedrich der Streitbare das nach dem Aussterben der Askanier ledige Herzogtum Sachsen-Wittenberg und erlangte damit die Kurwürde. Mit diesem ersten Friedrich begann die dynastische Zählung von Neuem. Seither gehörte die Familie zum erlauchten Kreis der Königswähler und damit zum obersten Rang unter den Reichsfürsten.44 Doch nicht nur der Status der Familie wurde erhöht, auch der territoriale Machtzuwachs setzte sich im späten 15. Jahrhundert fort. 1472 wurden das Herzogtum Sagan in Niederschlesien, 1477 die niederlausitzischen Herrschaften Sorau, Beeskow und Storkow auf Wiederkauf hinzugewonnen. Am Ende dieses jahrzehntelangen Wachstums stand ein Territorialbesitz von beachtlichen Ausmaßen, der von der Werra im Westen bis in die Oberlausitz im Osten reichte. In Franken, in der Niederlausitz und in Niederschlesien verfügten die Wettiner über Außenposten. Auf dieser territorialen Basis lag ein wettinisches Königtum nicht mehr außerhalb des Denkbaren. Eine Voraussetzung dafür wäre freilich gewesen, dass dieses Territorium in einer Hand hätte bleiben müssen.
Schon als Friedrich der Weise 1463 zur Welt kam, waren die wettinischen Lande geteilt.45 Sein Großvater Friedrich II., genannt der Sanftmütige (→ Stammtafel S. 328), regierte seit der Altenburger Teilung von 1445 das Kurfürstentum Sachsen, die Markgrafschaft Meißen sowie Teile des Vogt- und Osterlandes. Dessen Bruder Wilhelm III. (der Tapfere) herrschte in Thüringen, Franken sowie im Rest des Vogt- und Osterlandes. Friedrich der Sanftmütige starb 1464; sein Enkel Friedrich war damals erst ein Jahr alt. Ernst, der mittlere unter den beiden überlebenden Söhnen des Sanftmütigen und Vater Friedrichs des Weisen, war seit 1451 Kurprinz, da ein älterer Bruder bereits gestorben war. Friedrichs Vater hatte einen jüngeren Bruder mit Namen Albrecht, später Albrecht der Beherzte genannt.46 Albrecht war ein Abenteurer, bewarb sich 1471 um die böhmische Königskrone, kämpfte 1475 im Auftrag des Kaisers in Burgund, pilgerte 1476 nach Jerusalem, führte zweimal ein Reichsheer gegen die Ungarn, wurde von König Maximilian zum Statthalter in den Niederlanden ernannt und hatte später auch das Statthalteramt in Friesland inne. Auch wenn diese Unternehmungen meist erfolglos und mit einem Schuldenberg endeten, bietet ein solcher Condottiere spannenderes Futter für die Geschichtsschreibung als der eher unauffällige Ernst. Friedrich der Weise schlug eher nach seinem Vater als nach seinem Onkel.
Die Großmutter Friedrichs väterlicherseits war Margarethe von Österreich. Mit dieser Ehe Friedrichs des Sanftmütigen wurde 1431 in Leipzig das enge Verhältnis der Wettiner zum Haus Habsburg begründet, was auch für Friedrich den Weisen noch eine wichtige Rolle spielte. Margarethe war eine außerordentlich fromme Dame, die Wallfahrtsorte und das Mönchtum förderte. Friedrichs Mutter hieß Elisabeth von Bayern und war eine Tochter Herzog Albrechts des Frommen von Bayern und seiner Frau Anna. Die Ehe der Eltern Friedrichs war glücklich. Elisabeth kümmerte sich sorgfältig um die Erziehung ihrer sieben Kinder. Friedrichs ältere Schwester Christine heiratete 1478 König Johann von Dänemark, Norwegen und Schweden. Auf Friedrich folgten vier Brüder und eine weitere Schwester: Ernst schlug eine geistliche Karriere ein und wurde Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt; Adalbert brachte es zum Administrator des Erzbistums Mainz; Johann, später der Beständige genannt, blieb im weltlichen Stand, regierte gemeinsam mit Friedrich und wurde dessen Nachfolger; Margarethe heiratete 1487 den Herzog Heinrich von Braunschweig-Lüneburg; Wolfgang, der jüngste Bruder Friedrichs des Weisen, erreichte das Erwachsenenalter nicht. Von den Geschwistern Friedrichs starben auch seine ältere Schwester Christine und seine beiden jüngeren Brüder Ernst und Adalbert vor ihm. Überlebt haben ihn nur sein Bruder Johann und seine Schwester Margarethe von Braunschweig. Allein zwischen 1484 und 1486 verlor Friedrich vier seiner nächsten Angehörigen: 1484 seinen Bruder Adalbert und seine Mutter Elisabeth, 1486 seine Großmutter Margarethe und seinen Vater Ernst.
Das Brüderpaar Ernst und Albrecht, Vater und Onkel Friedrichs, spielte in der sächsischen Geschichte eine wichtige Rolle, nicht so sehr wegen des »sächsischen Prinzenraubs«, bei dem die Knaben im Alter von 14 und 12 Jahren von dem Raubritter Kunz von Kaufungen aus Altenburg entführt wurden, um den Großvater Friedrichs des Weisen zu erpressen. Wichtiger waren die territorialen Weichenstellungen ihrer Regierungszeit. Beim Tod Friedrichs des Sanftmütigen traten sie die Herrschaft gemeinsam an. Nach anderthalb harmonischen Jahrzehnten gemeinsamer Regierung und Hofhaltung entfremdeten sich die Brüder jedoch immer mehr voneinander. Um 1480, Friedrich der Weise war damals ein Jüngling von 17 Jahren, war es vorbei mit der brüderlichen Eintracht.47 Nach der Rückkehr des Kurfürsten Ernst von einer Pilgerreise nach Rom wurde die gemeinsame Hofhaltung in Dresden 1482 aufgelöst. Albrecht siedelte mit einer Jahresrente nach Torgau über.48
Landesteilungen waren in der spätmittelalterlichen sächsischen Geschichte keine Seltenheit. Zwischen 1382 und 1485 gab es nur wenige Jahre, in denen die wettinischen Besitzungen in einer Hand lagen. Allerdings blieb ein Bewusstsein von der Zusammengehörigkeit der Teile während des Spätmittelalters erhalten. 1482 fiel nach dem kinderlosen Tod Wilhelms des Tapferen der Thüringer Landesteil zurück an die Brüder Ernst und Albrecht, so dass alle wettinischen Lande für wenige Jahre wieder vereint waren. Doch drei Jahre später sollte die Leipziger Teilung diese Situation beenden.
Die Leipziger Teilung von 148549 war eine grundlegende Weichenstellung für die Regierungszeit Friedrichs des Weisen. Warum es zu dieser Teilung gekommen ist, in der Vater und Onkel Friedrichs die Einheit der wettinischen Lande opferten, um nicht länger in einer gemeinsamen Regierung festzustecken, lässt sich nicht mehr restlos erhellen. Die Initiative ging jedenfalls von Friedrichs Vater aus, der als der Ältere die Teilung vornahm, woraufhin Albrecht als der Jüngere seinen Anteil wählte. Von der Teilung ausgenommen war der Kurkreis um Wittenberg, an dem die Kurwürde hing. Als Ausgleich dafür sollte Albrecht 25.000 Gulden erhalten. Der Rest wurde nach einem komplizierten Verfahren taxiert, wobei die Erträge der Ämter ermittelt wurden. Auf dieser Basis entstand ein meißnisch-osterländischer Teil – das albertinische Sachsen – mit 56 Städten, darunter Leipzig und Dresden, und ein thüringischfränkischer Teil – das ernestinische Sachsen – mit 70 Städten, darunter Weimar und Coburg (→ Karte im Vorsatz).50 Die Teile wurden so gegeneinander abgegrenzt, dass keine geschlossenen territorialen Komplexe entstanden, denn das Gesamtterritorium sollte perspektivisch zusammengehalten werden. Viele adlige Lehnsträger waren in beiden Landesteilen begütert, was als zusätzlicher Kitt zwischen den Teilungsprodukten diente. Gemeinsam blieben auch die Nutzung der Bergwerke, die Herrschaft über die Bergstadt Schneeberg mit ihren Silbervorkommen, die Besitzungen in Schlesien und in der Niederlausitz, die Schutzherrschaften über die Städte Erfurt, Nordhausen, Mühlhausen und Görlitz sowie die Schirmherrschaft über das Hochstift Meißen.
Weil man errechnet hatte, dass der thüringische Teil weniger wert war als der meißnische, sollte sein Besitzer vom anderen Bruder 100.000 Gulden erhalten – eine beträchtliche, später aber reduzierte Summe, die vielleicht auch deshalb so hoch angesetzt war, weil Ernst hoffte, dass Albrecht sie nicht aufbringen konnte und deshalb den thüringischen Teil wählen würde. Aber Friedrichs Vater hat sich verrechnet. Albrecht wählte den meißnischen Teil, das künftige albertinische Herzogtum Sachsen, während Ernst den thüringischen Teil erhielt, das ernestinische Kurfürstentum Sachsen. Am 11. November 1485 fand die Teilung in Leipzig statt, obwohl Albrecht bis zuletzt vor den Folgen gewarnt hatte. 1486 bestätigte der Kaiser die Abmachung. Friedrich der Weise wurde nach dem Tod seines Vaters Kurfürst und Landesherr im ernestinischen Kurfürstentum, das das heutige südliche Thüringen, die fränkischen Besitzungen um Coburg, das sächsische Vogtland, Zwickau, Altenburg und die Gebiete um Grimma und Colditz, Eilenburg und Torgau, dazu die Kurlande um Wittenberg umfasste. Die Tragweite dieser Teilung, die nicht wie die früheren eine Episode blieb, sondern die sächsische Geschichte für die kommenden Jahrhunderte bestimmte, war damals nicht absehbar.
Das wettinische Territorium des Spätmittelalters51 war auf dem Weg zu einem frühmodernen Staat, schon bevor Friedrich der Weise an die Regierung kam. Unter Friedrich setzte sich die Modernisierung und Zentralisierung fort. An der Spitze stand der Fürst, mit dem die lokalen Herrschaftsträger durch das Lehnswesen verbunden waren. Als Herrschaftsinstitution fungierten der Hof, der Hofrat mit Kanzlei und Rentkammer sowie das Oberhofgericht. Der Fürstenhof bot zugleich den Rahmen für das Privat- und Alltagsleben des Landesherrn. Zu ihm gehörten die Räte, Diener, Knechte und Mägde, Musiker und Sänger, der Leibarzt und viele andere Personen.52 Die »wesentlichen Räte« dienten dem Fürsten ständig, die »Räte von Haus aus« wurden von Fall zu Fall herangezogen. Der Kanzler stand der Kanzlei und ihrem Personal vor und war nicht mehr wie in früheren Zeiten ein Geistlicher. Der Landrentmeister war für die Finanzen zuständig. Neben den Einnahmen aus dem Silberbergbau und den Abgaben aus den Ämtern bildete das Ungeld, eine Tranksteuer auf Bier und Wein, die dritte Säule der Einnahmen.53
Das Land war mit einem Netz von Ämtern und Amtmännern, Schossern und Geleitsmännern überzogen, die die Verwaltung vor Ort besorgten und die Abgaben einzogen. Sie standen dem Fürsten aber auch als Gesandte oder Ratgeber zur Verfügung. Adel, Städte und Geistlichkeit bildeten zusammen die Landstände, die den Landesherrn auf den im Abstand mehrerer Jahre stattfindenden Landtagen berieten und über Steuern und andere Leistungen mit ihm verhandelten. Dem Ziel, das Land mit Herrschaft zu durchdringen, diente auch die Zentralisierung der Rechtsprechung und die Abwehr konkurrierender Gerichtsbarkeiten. Nachdem 1483 ein Oberhofgericht in Leipzig als für alle wettinischen Lande zuständiges, von Fürst und Hof getrenntes Gericht eingerichtet worden war, tagte es nach der Leipziger Teilung abwechselnd im albertinischen Leipzig und im ernestinischen Altenburg. Diese rudimentären Strukturen von Herrschaft, Verwaltung und Justiz, die Friedrich der Weise vorfand, wurden in einem langen Prozess der Verdichtung zu dem weiterentwickelt, was man heute unter einem Staat versteht. Die Reformation wirkte wie ein Treibmittel in diesem Prozess.
Noch reisten die Fürsten von Residenz zu Residenz durch das Land. Allerdings kam diese Praxis im 15. Jahrhundert allmählich an ihr Ende.54 Landesherrliche Residenzschlösser oder Burgen gab es im wettinischen Herrschaftsbereich in großer Zahl: die Wartburg über Eisenach, Jena, Weimar, Coburg, Altenburg, Rochlitz, Colditz, Leipzig, Eilenburg, Grimma, Dresden, Meißen, Torgau und Wittenberg. Nach 1474 wurde Dresden bevorzugt, wo sich der Hof zwischen 1477 und 1482 fast ununterbrochen aufhielt.55 Die Brüder Ernst und Albrecht ließen viele mittelalterliche Burganlagen zu zeitgemäßen Schlössern im Renaissance-Stil umbauen, so die Albrechtsburg in Meißen, Schloss Hartenfels in Torgau oder das Schloss in Dresden. Nach der Leipziger Teilung lagen Rochlitz, Leipzig, Dresden und Meißen im albertinischen Herzogtum, die übrigen Residenzen im ernestinischen Kurfürstentum. Auch kleinere Jagdschlösser wie Lochau oder Colditz im ernestinischen Teil dienten als Aufenthalte. In eine ähnliche Position als Hauptresidenz wie Dresden auf der albertinischen Seite rückte auf ernestinischer Seite am ehesten Torgau, doch hielt Friedrich der Weise an der Reiseherrschaft länger fest als sein albertinischer Vetter. Trotz seiner Bedeutung als intellektuelles und geistliches Zentrum spielte Wittenberg keine mit Dresden vergleichbare Rolle.
Voraussetzung für jede aktive Regierung war auch im Spätmittelalter ein solider Haushalt. Finanziell war Sachsen über weite Strecken des 15. Jahrhunderts nicht besonders stark aufgestellt. Das änderte sich in der Jugendzeit Friedrichs des Weisen infolge des sog. »Zweiten Berggeschreis«.56 Um 1470 wurden reiche Silbervorkommen in Schneeberg und 1491/92 am Schreckenberg beim heutigen Annaberg-Buchholz entdeckt. Von dem dadurch ausgelösten wirtschaftlichen Aufschwung profitierte auch die Landesherrschaft. Nach dem Anfall Thüringens im Jahr 1482 belief sich der Haushalt der Brüder Ernst und Albrecht auf jährlich 137.000 Gulden, eine beträchtliche Summe, mit der die beiden wettinischen Territorien »zu den wenigen finanziellen Großmächten des Reiches«57 zählten. Auch Friedrich der Weise gehörte, obwohl er die Einkünfte aus den Bergwerken mit seinem albertinischen Vetter teilen musste, zu den finanziell potentesten Reichsfürsten und konnte sich kostspielige Bauvorhaben ebenso leisten wie die Finanzierung einer Universität. Die kursächsischen Einnahmen lagen zwischen 1492 und 1508 bei durchschnittlich 62.446 Gulden jährlich, zwischen 1514 und 1522 bei durchschnittlich 75.000 Gulden.58 Dennoch deckten die hohen Einnahmen nicht die Ausgaben. Auch Friedrich benötigte Kredite und hatte Schulden, die sich für ihn und seinen Bruder Johann im Jahr 1514 auf etwas mehr als 200.000 Gulden beliefen.59
Sachsen war ein durch und durch christianisiertes Land, überzogen von einem Netz an Diözesen und Klöstern. Das Diözesansystem war während des Hochmittelalters entstanden und bildete die Grundlage für die christliche Missionierung des Raumes östlich der Saale. Über die wettinischen Lande erstreckten sich um 1500 nicht weniger als zwölf Erzdiözesen und Diözesen: Bamberg, Brandenburg, Breslau, Halberstadt, Magdeburg, Mainz, Meißen, Merseburg, Naumburg-Zeitz, Prag, Regensburg und Würzburg. Einige Bistümer berührten wettinisches Territorium allerdings nur am Rande. Brandenburg war von Bedeutung, weil Wittenberg in dieser Diözese lag. Größer waren die Überschneidungen mit der Erzdiözese Mainz und massiv mit den im engeren Sinne sächsischen Bistümern Meißen, Merseburg und Naumburg, die den größten Teil des wettinischen Herrschaftsbereichs überspannten. Die Hochstiftsgebiete, in denen die jeweiligen Bischöfe die weltliche Herrschaft innehatten, waren zum größten Teil von wettinischem Territorium umschlossen.
Die wettinische Schutzherrschaft über die sächsischen »Landesbistümer«60 war um 1500 bereits fest etabliert. Die Bischöfe von Meißen, Merseburg und Naumburg leisteten Heerfolge und besuchten gelegentlich sogar die Landtage. Die Stiftsuntertanen waren der landesherrlichen Besteuerung und Gesetzgebung unterworfen. Ein formelles Nominationsrecht bei Bischofswahlen hatten die Wettiner zwar nicht durchsetzen können, in der Regel entsprachen die aus dem sächsischen Niederadel stammenden Kandidaten dennoch ihren Wünschen. Der Einfluss der Wettiner auf die Zusammensetzung der Domkapitel war unterschiedlich: In Meißen hatten sie 1481 durch päpstliches Privileg sämtliche Besetzungsrechte für Kanonikate und Prälaturen erworben – außer den beiden durch die Universität Leipzig zu besetzenden Stellen. In Naumburg und Merseburg verfügten sie über jeweils zwei Präbenden, zwei weitere wurden durch die Universität Leipzig besetzt.
Die Bistümer Meißen, Merseburg und Naumburg wurden in die Leipziger Teilung einbezogen.61 Da das Bistum Meißen beide Landesteile berührte und des Schutzes und der Verteidigung beider Linien bedurfte, wurde festgelegt, dass die Bischöfe von Meißen auch künftig unter dem Schutz beider wettinischer Linien stehen sollten. Umgekehrt erwartete man von den Bischöfen Freundschaft, guten Willen und hilfreichen Beistand. Anders die Bischöfe von Merseburg, die 1485 demjenigen der beiden wettinischen Brüder zugewiesen wurden, der den meißnischen Anteil erhalten würde; Naumburg wurde demjenigen überlassen, der den Weimarer Teil erhalten würde. Meißen war das wichtigste und am weitesten ausgedehnte der drei sächsischen Landesbistümer. Bis zur Reformation reichte seine Diözese von der Mulde bis zu Oder und Queis, vom Erzgebirge bis in den Raum südlich von Berlin. Tatsächlich fühlten sich die Meißner Bischöfe eher dem albertinischen Herzogtum zugehörig und entzogen sich dem Zugriff des Kurfürsten Friedrich. Der weltliche Herrschaftsbereich des Meißner Bischofs blieb verstreut und konzentrierte sich um die Städte Stolpen und Wurzen. Nicht besonders ausgedehnt war das Bistum Merseburg, zu dem die Stadt Leipzig gehörte. Das Merseburger Hochstiftsgebiet war ebenfalls klein. Auch Naumburg-Zeitz war ein bescheidenes Bistum mit kleinem Hochstiftsgebiet und gerade deshalb im Spätmittelalter dem Zugriff der Wettiner ausgesetzt. Die wettinischen Gebiete in Thüringen gehörten überwiegend zur Diözese Mainz, die bedeutende Stadt Erfurt sogar zum Mainzer Hochstift.
Es lag in der Natur des mittelalterlich-dynastischen Denkens, dass nachgeborene Söhne mit Bischofsstühlen versorgt wurden, eröffnete dies doch auch für sie die Perspektive einer Existenz als geistliche Reichsfürsten. Auch die Wettiner besetzten im Spätmittelalter Bistümer mit Familienangehörigen, wobei man in Halberstadt, Mainz und Magdeburg erfolgreich war. Bamberg und Würzburg waren ebenfalls im Blick. Aus dem näheren Umfeld Friedrichs des Weisen ist vor allem auf seinen jüngeren Bruder Ernst hinzuweisen.62 Er wurde nach intensiven diplomatischen Verhandlungen im Alter von gerade einmal elf Jahren vom Magdeburger Domkapitel zum Erzbischof gewählt (1476). 1478 erteilte Papst Sixtus IV. gegen eine entsprechend hohe Geldzahlung die nötige Dispens. Das Bistum Halberstadt erwarb Friedrichs Bruder um 1479. Friedrich der Weise pflegte zu diesem jüngeren Bruder ein gutes, wenngleich nicht ganz konfliktfreies Verhältnis.
Mönche, Nonnen und nach einer Regel lebende Weltkleriker waren im mitteldeutschen Raum am Ende des 15. Jahrhunderts in den Städten und auf dem Land in großer Zahl anzutreffen.63 Neben der Bistumspolitik war die Klosterpolitik das zweite große Feld der vorreformatorischen Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen. Reguliertes christliches Leben hatte sich in mehreren Wellen über den obersächsischen Raum verbreitet. Während des 10. und 11. Jahrhunderts wurden in den Bischofsstädten die ersten Kanonikerstifte eingerichtet. Traditionelles benediktinisches Mönchtum etablierte sich östlich der Saale erst seit dem späten 11. Jahrhundert, als in Pegau der erste benediktinische Männerkonvent eingerichtet wurde. Erfolgreicher als die Altbenediktiner waren die Zisterzienser, die mit zahlreichen männlichen und weiblichen Klöstern in den wettinischen Landen vertreten waren. Ihre wichtigsten Konvente waren Altzella bei Nossen und Kloster Buch bei Leisnig. Altzella diente den Wettinern seit dem Hochmittelalter als Grablege.64 Die Gründung von Bettelordenskonventen der Franziskaner und Dominikaner setzte nach 1230 ein und erfasste die meisten der im Hoch- und Spätmittelalter entstandenen sächsischen Städte. Weniger verbreitet waren die Augustinereremiten und die Karmeliten. Auch Ritterorden konnten im Spätmittelalter vereinzelt Fuß fassen, ohne dass es beim Deutschen Orden, den Johannitern oder Templern zur Ausbildung eines geschlossenen Ordensgebiets gekommen wäre.
Die Ausgangslage der Regierung Friedrichs des Weisen war demnach komplex. Trotz stabiler Finanzen war die Leipziger Teilung eine Hypothek, die seine Herrschaft von Anfang an belastete. Das Verhältnis zu den albertinischen Vettern war prekär, weil die zahlreichen Überschneidungen zu Interessenkonflikten führten, die immer wieder mühsam ausgeglichen werden mussten. Die wirtschaftliche Prosperität erlaubte es dem Kurfürsten, sich dem inneren Landesausbau zu widmen und das ernestinische Territorium mit Bauten zu schmücken, ja sich über viele Jahre dem Dienst für Kaiser und Reich zu verschreiben.
Friedrich der Weise wurde an einem Montag, dem 17. Januar 1463 in Torgau geboren. Sein Geburtstag fiel auf den Gedenktag des Mönchs, Asketen und Einsiedlers Antonius, des Vaters der Mönche, der von der Mitte des 3. bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts im heutigen Ägypten gelebt hat und angeblich über 100 Jahre alt geworden ist. Dass Antonius in der Frömmigkeit Friedrichs auch später noch eine Rolle spielte, zeigt das 1496 bei Albrecht Dürer für die Wittenberger Schlosskirche bestellte Altarretabel mit den Heiligen Antonius und Sebastian auf den Seitenflügeln und mit Maria und dem Kind in der Mitte.65 1501 ließ Friedrich ebenfalls für die Wittenberger Schlosskirche ein Silberbild des heiligen Antonius anfertigen.66
Spalatin überliefert einen Brief von Friedrichs Mutter Elisabeth an Herzog Wilhelm den Tapferen in Weimar, geschrieben am Tag von Friedrichs Geburt. »Mit Begierung in Freuden unsers Gemüths verkünden wir Euer Liebe, daß wir nach milder Güthe und Verleihung Gottes des Allmächtigen auf heut Datum dieses Briefs mit einem schönen Herrn und jungen Sohn zu Sachsen versehen und begnadet sind«.67 Elisabeth war sich sicher, dass ihr Schwager die Freude über die Geburt des Knaben mit ihr teilen würde. Dass der Thronfolger den Namen Friedrich erhielt, war in der Familie seit Friedrich dem Streitbaren üblich. Auch die Uhrzeit von Friedrichs Geburt überlieferte Spalatin: mittags zwischen zwölf und ein Uhr.68
Auch wenn dieser erste Sohn des Kurfürstenpaars ein geborener Sachse war, waren die fürstlichen Dynastien des ausgehenden Mittelalters doch Produkte deutscher und europäischer Adelsheiraten. Das traf auch auf den kleinen Friedrich zu. Unter seinen Vorfahren finden sich römisch-deutsche Könige und Kaiser wie der Staufer Friedrich II. und der Wittelsbacher Ludwig der Bayer. Auch der zur Zeit von Friedrichs Geburt regierende Kaiser Friedrich III. gehörte zu seinen Verwandten, denn Friedrichs Großmutter Margarethe war eine Schwester des Habsburgers. Über Friedrichs Urgroßmutter bestanden Verwandtschaftsbeziehungen nach Polen (Masowien). Andere Linien führten nach Mailand, nach Mantua69 und nach Verona. Aber auch mit den regierenden Dynastien im Reich war Friedrich verwandt: mit den Welfen in Braunschweig, den Hohenzollern in Brandenburg, den Greifen in Pommern, den Wittelsbachern in Bayern sowie den Herzögen von Sachsen-Lauenburg und von Jülich-Berg, außerdem mit den Grafen von Görz und von Henneberg. Friedrich war sich seines Platzes in der Welt des europäischen Adels sehr wohl bewusst, wie ein Blick auf die Wappen seiner Verwandtschaft auf seinem Epitaph in der Wittenberger Schlosskirche deutlich macht (→ unten Abbildung 19).70
Für die ersten Jahre des jungen Prinzen war die ältere Forschung fast ausschließlich auf die spärlichen Nachrichten angewiesen, die Spalatin überliefert. Doch inzwischen sind weitere Spuren offengelegt, die das Bild zu ergänzen und zu erweitern vermögen.71 Wie damals üblich, blieb Friedrich als Kleinkind in der Kernfamilie. 1465 erhielt er einen eigenen Diener mit Namen Curd Buchsenschmid.72 Vermutlich verbrachte er seine frühe Kindheit in der Obhut des »Frauenzimmers«, das unter Kurfürst Ernst zu einer eigenen Institution am kursächsischen Hof in Dresden geworden war.73 Hier hatte seine Mutter Elisabeth das Sagen. Im Januar 1471, Friedrich war 8 Jahre alt, verfügte sein Vater jedoch, dass er der Erziehung seiner Großmutter Margarethe übergeben werden sollte.74 Dies war verbunden mit einem Ortswechsel für den kleinen Prinzen, der nun in der Obhut der alten Herzogin »bei Leipzig« erzogen wurde; hier ist an Grimma zu denken.75 Dieses Arrangement galt auch für die jüngeren Brüder Friedrichs. Grimma gehörte neben Altenburg, Colditz, Leisnig und einigen anderen Orten zum Wittum seiner Großmutter.
Erst an diesem Punkt setzt Spalatins Bericht ein, der lediglich davon weiß, dass Friedrich zusammen mit seinen Brüdern Johann, Adalbert und Ernst »zur Lehre gezogen« wurde.76 Das ist bemerkenswert insofern, als Ernst und Adalbert für eine geistliche Karriere vorgesehen waren, weshalb man an solche Knaben üblicherweise höhere Bildungsansprüche stellte als an diejenigen, die wie Friedrich im weltlichen Stand blieben und auf die Regierung vorbereitet wurden. Friedrich, obwohl einige Jahre älter als seine für ein geistliches Amt vorgesehenen Brüder, drückte jedoch offenbar für geraume Zeit gemeinsam mit ihnen die Schulbank. Von Friedrich selbst erfuhr Spalatin, dass er auf der »Thumstuben«, also der Turmstube zu Grimma, worunter vermutlich ein Raum im dortigen Schloss zu verstehen ist, zu studieren angefangen hat.77 Bereits um 1472 nahm Kurfürst Ernst, der auf eine gute Bildung seiner Söhne offensichtlich großen Wert legte, die Knaben ihrer Großmutter weg, um sie gelehrteren Leuten zur Erziehung zu übergeben.78 Die Rede ist von dem Ritter Caspar von Schönberg, über dessen Rolle bei der Ausbildung des kleinen Friedrich aber nichts weiter in Erfahrung zu bringen ist.79 Diese Phase dauerte bis etwa 1476 – Friedrich war jetzt 13 Jahre alt.
Zwischen etwa 1476 und 1480 sind Friedrich und seine Brüder auf Schloss Rochlitz nachweisbar, ganz sicher im Jahr 1478.80 Hier fungierte der Kaplan Johannes Zehentner als Erzieher der Fürstensöhne. Man darf also vermuten, dass Friedrich die Jahre zwischen seinem 13. und seinem 17. Geburtstag in Rochlitz auf dem Schloss an der Mulde zubrachte. Vor einigen Jahren tauchten bei Restaurierungsarbeiten in der ehemaligen Amtsstube des Rochlitzer Schlosses, die in dieser Zeit als herrschaftlicher Wohn- und Gesellschaftsraum genutzt wurde, einige Wandritzzeichnungen auf.81 Sie finden sich in den Laibungen der Fensternischen, die im Spätmittelalter wohl noch mit Sitzbänken und Simsen ausgestattet waren. Zu sehen sind Motive aus dem Bereich des ritterlichen Kampfes und der Architektur. Das geübte Auge erkennt attackierende Reiter und einen reitenden Bogenschützen, eine Steinbüchse mit Kanonier und einen armlosen Ritter, die Darstellung einer Burg und einer Stadt, eines Turmes und einer Kirche sowie einige Zelte. Zusammen könnten diese Zeichnungen eine Belagerungsszene darstellen (→ Abbildung 1). Daneben gibt es Texte und Symbole, darunter das Fragment eines Wappenreiters und ein Mühlespiel. Wann diese Wandritzzeichnungen entstanden sind und auf wen sie zurückgehen, ist unbekannt. Schriftbild und Motive lassen eine Entstehung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vermuten. Deshalb könnte man auf die Idee kommen, in den Wandritzzeichnungen ein Werk Friedrichs, seiner Brüder oder auch von deren Pagen zu sehen. Auch wenn sich der letzte Nachweis nicht führen lässt, ist es doch eine schöne Vorstellung, dass wir in Rochlitz einen Blick in das Spielzimmer des späteren Kurfürsten werfen können.
Nach der Rochlitzer Zeit hat Friedrich die sächsische Heimat für einige Jahre verlassen. Von Spalatin erfährt man, dass er sich mit seinem Bruder Adalbert bei Erzbischof »Dieter von Eisemberg« aufhielt.82 Dieser 1482 gestorbene Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg,83 dessen Nachfolger Friedrichs kleiner Bruder Adalbert werden sollte,84 war Anhänger einer strengen Kirchenreform. Solche Männer waren unter den adligen Reichsbischöfen eine Ausnahme. Isenburg geriet wegen seiner Reformgesinnung sogar in einen Konflikt mit dem Papst, der ihn 1461 absetzte und in den Kirchenbann erklärte. Der Erzbischof musste 1462 resignieren, nur um 1475 erneut zum Erzbischof von Mainz gewählt zu werden. Bekannt wurde er 1477 auch als Gründer der Universität Mainz. Die Nachricht Spalatins vom Aufenthalt Friedrichs bei seinem Bruder Adalbert und bei Erzbischof Diether liefert einen Hinweis auf Bildungsstationen des jungen Friedrich in Mainz und Aschaffenburg um das Jahr 1480.85 Hier dürfte Friedrich auch mit den Diskussionen über eine Kirchenreform bekannt geworden sein; mit Diether von Isenburg lernte er außerdem einen Universitätsgründer kennen.
Wahrscheinlich sind Spalatins Nachrichten über Friedrichs Lehrer Ulrich Kemmerlin86 erst auf diese Aschaffenburger Phase zu beziehen. Aschaffenburg gehörte zum Mainzer Hochstift und war eine Nebenresidenz der Erzbischöfe von Mainz. Als Friedrichs jüngerer Bruder Adalbert 1481 zum Koadjutor und 1483 zum Administrator von Mainz gewählt wurde, machte auch Kemmerlin Karriere. 1482 wurde er Domherr am Kollegiatstift St. Peter und Alexander in Aschaffenburg, wo er von 1493 bis zu seinem Tod 1519 das Amt des Dechanten innehatte.87 Diesem Lehrer bewahrte Friedrich eine lebenslange Anhänglichkeit. Durch Spalatin ließ er einen so gnädigen Brief an Kemmerlin schreiben, dass dieser zu Tränen gerührt war.88 Vom Tod Kemmerlins erfuhr der Kurfürst 1519 auf dem Weg nach Frankfurt am Main zur Königswahl, als er mit dem Schiff an Aschaffenburg vorbeikam. Er ließ Kemmerlins Eltern einige Goldmünzen mit seinem Konterfei durch Heinrich Stromer von Auerbach zuschicken. Neben Kemmerlin war der Ritter Dr. Otto Spiegel einer der Erzieher Friedrichs. Spiegel hatte in Leipzig die Rechte studiert, wurde Rat der Brüder Ernst und Albrecht und reiste 1479 in das Heilige Land.89 Wohl nicht lange nach seiner Rückkehr übernahm er die Erziehung der Söhne des Kurfürsten. Über seine Lehrer Kemmerlin und Spiegel kam Friedrich in Kontakt mit dem Leipziger Frühhumanismus, ohne dass er deshalb als Humanist angesprochen werden könnte. Dass Friedrich auch am Wiener Hof seines Onkels, des Kaisers Friedrich III., eine Bildungsphase durchlaufen hätte, wie die ältere Literatur angenommen hat,90 ist hingegen ohne Beleg.
Von Spalatin erfährt man nur wenig Konkretes über die Inhalte der Bildung, die Friedrich genoss. Vermutlich entsprach sie dem Zeitüblichen. Dazu gehörten Lesen, Schreiben und Rechnen, aber auch körperliche und handwerkliche Übungen, außerdem die ritterlichen Künste wie das Reiten, der Lanzenkampf und höfische Umgangsformen. Das Drechseln gehörte später zu den Freizeitbeschäftigungen des Kurfürsten – vielleicht hat er es schon als Jugendlicher erlernt.91 Auch Lateinkenntnisse erwarb der junge Friedrich. Sein Vater konnte kein Latein und hat sich dafür geschämt, als ihm dieses Defizit 1480 bei einem Besuch in Rom bei Papst Sixtus IV. bewusst wurde.92 Der entstehende Fürstenstaat verlangte nicht nur nach einem gelehrten Beamtentum, sondern auch nach gebildeten Fürsten. Die alltägliche Regierungsarbeit und der interne Schriftverkehr wurden zwar fast ausschließlich in deutscher Sprache abgewickelt, aber auch dies erforderte Kenntnisse, und Latein war in der äußeren Politik noch immer von großem Nutzen. Friedrich lernte Latein, merkte sich vor allem aber gute Sprüche aus Terenz, Cato93 und anderen lateinischen Schriftstellern.94 Der Kurfürst hat, wie Spalatin bemerkt, »gut Latein fast wol verstanden, zuweilen auch Latein geredt«.95 Allerdings ließ sich Friedrich lateinische Texte regelmäßig von Spalatin übersetzen – solche Übersetzungen sind in großer Zahl überliefert.96 Sicher kann sich der Kurfürst in der lateinischen Sprache also nicht gefühlt haben. Immerhin verstand er genug, um sich 1519 selbst als »Lateiner« zu bezeichnen, dem es aufgefallen war, dass eine Werbung des päpstlichen Legaten nicht den üblichen Formen entsprach. Dennoch erbat Friedrich von Spalatin eine Übersetzung.97
Auch Französisch gehörte zur Schulbildung Friedrichs – diese Sprache soll er »ziemlich verstanden, geschrieben und geredt« haben.98 »Ziemlich« bedeutet hier »ziemlich gut«. Bei einer Gelegenheit schickte er französische Bücher an seinen Bruder Johann,99 was für eine französische Lektüre der Brüder sprechen könnte. Beispiele für französische Texte Friedrichs gibt es freilich nicht. Die Korrespondenz mit französischen Adressaten wurde auf Latein geführt.100 Über Lektüre, die nicht zu seinen alltäglichen Herrscherpflichten gehörte, ist so gut wie nichts bekannt. Ein Interesse für Frömmigkeitsliteratur wird man aber voraussetzen dürfen, denn er und sein Bruder Johann forderten den Erfurter Augustinereremiten und Theologieprofessor Johann von Paltz auf, seine Predigten, von denen sie beeindruckt waren, in den Druck zu geben. Dass die »Himmlische Fundgrube«, die 1490 in Leipzig gedruckt wurde und in zahlreichen weiteren Ausgaben kursierte, auch zum Lesestoff der Brüder gehörte, wird man annehmen dürfen.101 Über deren religiöse Erziehung ist sonst nichts bekannt.
Man kann nicht davon ausgehen, dass Spalatin die Palette der Schulfächer Friedrichs vollständig wiedergibt, denn zumindest die Kenntnis der Geschichte des sächsischen Territoriums und der wettinischen Familie muss man voraussetzen. Dass Friedrich die höfische Etikette sowie das Reiten und das ritterliche Turnier, das »Stechen und Rennen«, frühzeitig eingeübt hat, erwähnt Spalatin im Zusammenhang mit der Anekdote, dass er sein erstes Lanzenstechen in Dresden absolvierte. Als er auf die Bahn ritt, bemerkte ein altes Weib: »Was zeigt man das Kind!«, was ihn sehr verdross und woran er sich noch nach Jahren erinnerte.102 Als »Kind« bezeichnet zu werden, war für einen jugendlichen Ritter in voller Rüstung gewiss kein Kompliment.
Friedrich war, so kann man resümieren, alles andere als ungebildet, genoss aber auch keine herausragende humanistische oder universitäre Bildung. Intellektuelle Regsamkeit und eine Wertschätzung von Gelehrsamkeit blieben ihm allerdings sein Leben lang. Wenn Zeitgenossen wie Herzog Georg von Sachsen oder Luther ihn als »weise« bezeichneten und Spalatin in seiner Biographie an einigen Stellen auf Friedrichs Weisheit abhob,103 bezog sich dies jedoch nicht auf seinen Bildungsstand, sondern auf seine Regierungsqualitäten und seinen Charakter.104
Wie der junge Friedrich ausgesehen hat, verrät ein aus Nürnberg stammendes Porträt eines jungen Mannes, der mit Friedrich dem Weisen zu identifizieren ist. Das Gemälde wurde dem Maler Hans Traut von Speyer zugeschrieben und in die Zeit um 1486 datiert.105 Hinsichtlich Zuschreibung und Datierung ist man heute jedoch vorsichtiger und spricht nur noch von einem Nürnberger Meister um 1486/90 (→ Abbildung 2).106 Für die Identifizierung des jungen Mannes mit Friedrich spricht ein erwiesenermaßen den jungen Kurfürsten zeigendes Gemälde, das ihn als Stifter einer typisch spätgotischen Schutzmantelmadonna darstellt.107 Auf die Schulter fallende Locken, Stirnband, Kette, Form des Unterhemds und Gesichtszüge weisen eine so große Ähnlichkeit mit dem Nürnberger Jünglingsporträt auf, dass an der Identität des Abgebildeten mit Friedrich dem Weisen kein Zweifel bestehen kann.
Scheint es aus Kindertagen kein Porträt zu geben, ließ sich Friedrich als Kurfürst öfter malen. Dass er am 10. Juli 1489 in Zwickau einem Maler aus Nürnberg Modell saß und dafür zwei Gulden bezahlte, geht aus einer Weimarer Rechnungsnotiz hervor.108 Von 1492 stammt das erste Porträt Friedrichs auf dem sog. Bartgroschen (→ Abbildung 3). Die charakteristischen Züge des jüngeren Friedrich: schütterer Bart und schulterlanges lockiges Haar sind auch auf dieser frühesten sächsischen Münze mit seinem Bildnis deutlich zu erkennen. Das bekannteste Porträt Friedrichs aus seinen frühen Jahren als Kurfürst stammt jedoch von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1496 (→ Abbildung 4). Datierung, Zuschreibung und Künstler sind in diesem Fall nicht strittig. Dieses wohl bei einem Aufenthalt in Nürnberg entstandene Porträt zeigt den Kurfürsten im Alter von etwa 33 Jahren.
Der junge Kurfürst hatte, wie seine frühen Porträts zeigen, mit dem behäbigen und übergewichtigen alten Fürsten, wie man ihn aus seinen letzten Lebensjahren kennt, äußerlich nichts gemein. Bis in das beste Mannesalter war Friedrich ein durchaus attraktiver und offenbar auch energischer Herr, wobei vor allem das Dürer-Porträt von 1496 eine geradezu düstere Entschlossenheit ausstrahlt. Schon im 15. Jahrhundert wurden Porträts genutzt, um ein öffentliches Bild zu erzeugen. Als Vorreiter dieser Strategie gilt Kaiser Maximilian I. Dass man auch bei Friedrich eine »Imagebildung« und ein »Marketing« antrifft, ist eine in der Kunstgeschichte heute gängige Annahme.109 Auch Friedrich versuchte die öffentliche Wahrnehmung seiner Person zu steuern. Allerdings hatte er keine Scheu, auch seine weniger vorteilhafte Seite in der Öffentlichkeit zu zeigen, wovon seine Altersporträts beredtes Zeugnis ablegen.
Am 26. August 1486 starb Kurfürst Ernst. Er war erst 45 Jahre alt, als er während einer Jagd in den Wäldern bei Colditz vom Pferd stürzte und wenig später im nahen Colditzer Schloss seinen Verletzungen erlag.110 Damit blieb Friedrich mit 23 Jahren ohne Eltern zurück. Auf die Herrschaftsübernahme war er weniger gut vorbereitet als sein albertinischer Vetter Georg, der schon zu Lebzeiten seines Vaters Albrecht die Regierungsgeschäfte jahrelang eigenständig hatte führen müssen.111 Doch der Tod des Kurfürsten Ernst kam überraschend. Zwar hatte Friedrich seinen Vater 1481 zum Reichstag nach Nürnberg begleitet, und auch zu den Teilungsverhandlungen in Leipzig 1485 und zur Königswahl Maximilians I. am 16. Februar in Frankfurt am Main sowie zur Krönung in Aachen am 9. April 1486 waren er und sein Bruder Johann mitgekommen. Doch eine eigenständige Regierungsverantwortung hatte Friedrich bisher nicht tragen müssen.
Zu seinen ersten Aufgaben gehörte die Organisation der Beisetzung des Vaters in der Fürstenkapelle des Meißner Doms.112 Friedrich der Streitbare, der Großvater des Verstorbenen und Urgroßvater Friedrichs des Weisen, hatte diese Kapelle nach 1425 an die Westseite der Kirche anbauen lassen. Sie diente den Wettinern seither als Grablege. Das Hochgrab des streitbaren Friedrich ist das den Raum bis heute dominierende Monument,113 gegen das sich die in den Boden eingelassenen Grabplatten seiner Nachfolger eher bescheiden ausnehmen. Doch die gravierte Grabplatte des Kurfürsten Ernst114 ist ebenfalls von hoher Qualität. Hergestellt in der Werkstatt Hermann Vischers d. Ä. und Peter Vischers d. Ä. in Nürnberg, zeigt sie den Kurfürsten in ganzer Figur in einem gotischen Gehäuse und auf einem Löwen stehend mit Kurhut, Kurmantel und Kurschwert sowie langem, in Locken auf die Schultern fallendem Haar.115 Umgeben ist die Figur von jeweils sechs Wappenschilden, ein weiteres mit Helmzier über seinem Haupt.116 Die lateinische Inschrift nennt den Todestag sowie die wichtigsten Titel und Ämter des Verstorbenen: Reichserzmarschall, Kurfürst, Landgraf von Thüringen und Markgraf von Meißen.117
Die Art der Beisetzung entsprach den Bestimmungen des Kurfürsten Ernst in seinem Testament, das von den Söhnen genau beachtet wurde. Dieses Testament118 wurde nur wenige Stunden vor dem Tod des Kurfürsten verfasst und legte nicht nur fest, dass er standesgemäß im Meißner Stift zur Erde bestattet und sein Grab mit einer Platte aus Stein oder »Geschmelz« bedeckt sein sollte, sondern es wurde auch ein Begängnis angeordnet, bei dem Arme gespeist und Almosen verteilt werden sollten. Außerdem stiftete Ernst eine ewige Messe für sich selbst und seine in Altenburg bestattete Gemahlin Elisabeth. Auch hierin sind die Söhne dem Wunsch des Vaters gefolgt und haben eine Anniversarfeier eingerichtet.119 An Amtleute, Räte und Städte erging die Anweisung, das erste Jahresgedächtnis mit Vigilien und Seelenmessen zu begehen.120 1489 stiftete Friedrich eine neue Vikarie in der Fürstenkapelle, 1495 für das Seelenheil seines Vaters die Summe von 120 Gulden.121 Mit der Beisetzung des Kurfürsten Ernst endete jedoch die Tradition der Meißner Grablege für den ernestinischen Zweig der Familie, eine Folge der Leipziger Teilung und der allmählichen Lösung der Ernestiner von ihren meißnischen Wurzeln. Schon in seinem ersten Testament von 1493 sah Friedrich der Weise das Kloster Reinhardsbrunn als Ort seiner Beisetzung vor.122
Für Friedrich war eine weitere Regelung im Testament seines Vaters von noch größerer Bedeutung: die Übertragung der Herrschaft an ihn und seinen jüngeren Bruder Johann gemeinsam: »Zum dritten orden, schaffen vnd wollen wir, das alle vnnser land vnd leute vnd was wir von recht gehapt haben vnd verlassen, an die hochgebornnen fursten, hern Fridrichen vnd hern Johannsen gebrudere, hertzogen zu Sachssen etc., vnnseren lieben söne, komen vnd gefallen sollen, wie das einem yden zu recht zu steen soll, auch barschaft, celynod vnd darzu schuld, so wir aussensten haben, nach lawt briue vnnd sigel verhanden.«123 Einzelheiten, wie die gemeinsame Regierung gestaltet werden sollte, enthielt das Testament nicht. Entweder war dies längst mündlich vereinbart oder Ernst vertraute darauf, dass seine Söhne eine einvernehmliche Lösung finden würden. Dass Friedrich als dem Älteren die Kurwürde zustand, sah schon die Goldene Bulle vor. Mit der kurfürstlichen Würde verbunden war die Außenvertretung des Territoriums; Johann war als Herzog von Sachsen aber ebenfalls ein regierender Fürst mit dem Recht, am Reichstag teilzunehmen.
Eine strenge Primogenitur hatte sich bei den Wettinern in dieser Zeit noch nicht etabliert, wie die zahlreichen Landesteilungen des Spätmittelalters zeigen. Vielmehr scheint bei dieser Regelung die Idee einer Risikoverteilung eine Rolle gespielt zu haben. Angesichts der alltäglichen Gefährdung des Lebens, die man beim Tod des siebzehnjährigen Adalbert soeben in der eigenen Familie erlebt hatte, lag es nahe, dass man Vorsorge traf für den Fall, dass einer der Söhne vor der Zeit sterben würde. Dann konnte der Überlebende die ernestinische Linie fortsetzen. Mit Johann Friedrich, dem Sohn Johanns und Neffen Friedrichs des Weisen, stand erst 1503 ein männlicher Nachkomme aus dem ernestinischen Stamm zur Verfügung, mit dem die dynastische Kontinuität gesichert war.