Kurzgeschichten zu Halloween - Jeanette Lagall - kostenlos E-Book

Kurzgeschichten zu Halloween E-Book

Jeanette Lagall

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Beschreibung

Brr. Ist es ungemütlich draußen geworden. Der Herbst ist über das Land hereingebrochen. Die Bäume tragen buntes Laub oder stehen als kahle dürre Vorboten des Winters im Nebel, der nun fast täglich in den Nachtstunden hinaufzieht. Kommt herein und setzt euch zu uns an den Kamin, in dem ein munteres Feuer knistert. Schaut nur, wie die Flammen Schatten und Bilder an die Wände unserer einfachen Holzhütte werfen. In Nächten wie dieser wird gemunkelt, dass Geister und andere Wesen in die Welt der Sterblichen kommen, sie heimsuchen oder beglücken. Seid ihr mutig genug, um einen Blick in die Flammen zu wagen? Wer weiß, welche Geschichten sie für euch bereit halten? Einsames Halloween - Jeanette Lagall Schatten - Julia A. Kris Süßes  oder - Aua! - Vanessa Carduie

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Jeanette Lagall, Julia A. Kris

Kurzgeschichten zu Halloween

Die Schicksalsweber

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titel

 

 

Die Schicksalsweber

 

Kurzgeschichten zu Halloween

 

Jeanette Lagall – Julia A. Kris – Vanessa Carduie

 

 

Einsames Halloween

Jeanette Lagall

 

Mit einem traurigen Lächeln schaute Anneliese Schneider der fröhlich durcheinander-plappernden Schar kleiner Hexen, Skelette, Gespenster und sonstiger Gruselgestalten hinterher, die neugierig in ihre prall gefüllten Tüten spähten.

Sie liebte die strahlenden Kinderaugen, wenn sie ihnen die Leckereien in die Tüten füllte. Und die Kinder kamen gerne zu ihr, denn sie war großzügig.

Mit einem Seufzen schloss sie die Tür und schlurfte zurück in ihr leeres Wohnzimmer. Dort ließ sie sich schwerfällig in ihren geblümten Fernsehsessel fallen und hievte ihre geschwollenen Beine auf das Schemelchen davor. Automatisch griff sie nach ihrem Strickzeug. Ach, jetzt hatte sie ihre Herztabletten vergessen! Egal, das würde sie nachher machen. Das Aufstehen war zu mühsam, als dass sie es extra wegen der Tabletten auf sich genommen hätte.

Dies eben war wohl die letzte Geisterschar für heute gewesen. Es war schon ziemlich spät, und die durchgefrorenen Begleitpersonen würden heilfroh sein, die niedliche Gruselmeute endlich wieder nach Hause scheuchen zu können.

Anneliese erinnerte sich noch gut daran, wie anstrengend es war, die ausgelassene Monsterschar von Haus zu Haus zu begleiten, doch sie hatte es gern getan. Die Freude der Kinder, wenn sie etwas ergattern konnten; ihre Lästereien, wenn die Leute „irgendwie doof“ gewesen waren; und ihre getuschelten Beschwerden, wenn jemand es gewagt hatte, etwa „nur“ einen Apfel in die erwartungsvoll ausgestreckten Tüten zu stecken. Dies alles hatte sie für die Anstrengung mehr als entschädigt.

War es wirklich erst letztes Jahr gewesen, als sie ihren Enkel und dessen Freunde noch auf ihrem Halloween-Raubzug begleitet hatte? Tim war damals schon sehr krank, doch er liebte Halloween über alles. Wie hätte sie ihm diese Freude abschlagen können? Der Hirntumor hatte danach gerade noch zwei Monate gebraucht, um sein Werk zu vollenden. Die gleiche Art Tumor, die auch schon Annelieses Tochter auf dem Gewissen hatte.

Das Klappern der Stricknadeln und das Ticken der Wanduhr waren die einzigen Geräusche in dem stillen Zimmer. In dem viel zu stillen Zimmer.

Wenn das Schicksal nur ein klein bisschen weniger grausam gewesen wäre, würde ihr Enkel jetzt in seinem Zombiepiratenkostüm mit seinen Freunden auf dem Boden sitzen, den Mund voller Süßigkeiten, und seine Schätze sichten. Dann wäre es nicht still im Wohnzimmer. Jeder würde den anderen damit überbieten, was er Tolles gefunden hatte.

„Boah, krass, echtes Blut!“

„Die giftigen Riesenspinnen sind viel besser, da kannst du nämlich von sterben!“

„Das Skelett krieg ich!“

„Guck' mal, Oma, Schleimaugen!“

Tim hätte heute länger aufbleiben und so viele Süßigkeiten essen dürfen, wie er wollte. Nun ja, fast so viele. Es sollte ja auch noch ein bisschen übrig bleiben für den nächsten Tag.

Ein Klingeln an der Tür riss Anneliese aus ihren Gedanken. Nanu, noch eine Runde ‚Süßes oder Saures‘? So spät?

Mit einem Ächzen erhob sie sich aus dem Sessel. Auf dem Rückweg durfte sie nicht vergessen, ihre Herztabletten zu nehmen! Sie griff nach der Schale mit Süßigkeiten auf der Anrichte und schlurfte mit müden Beinen zur Tür.

Der Türspion war zerkratzt, doch er reichte allemal aus, um zu erkennen, dass drei Kinder vor der Tür standen. Anneliese schmunzelte. Die drei waren ihren Begleitern wohl ausgebüxt, um die Halloweennacht noch ein wenig länger auszureizen.

Sie öffnete die Tür. Im nächsten Moment fuhr ihre Hand zu ihrem Herzen und die Schüssel mit Süßigkeiten rutschte ihr aus den kraftlosen Fingern und zerschellte auf dem Boden.

„Tim?“, krächzte sie tonlos.

Der Knirps scharrte verlegen mit den Füßen und schaute schuldbewusst zu ihr auf.

„Bitte nicht schimpfen, dass ich so spät nach Hause komme, Oma. Aber wir durften nicht früher.“

„Wir ... spät ... durften ...?“

Sie schaute sich die anderen beiden Kinder an. Mit dem Mädchen, Vera, hatte sich Tim im Krankenhaus angefreundet. Sie war zwei Wochen vor ihm gestorben. Den Jungen kannte Anneliese auch. Es war der kleine Bastian aus der Nachbarschaft. Vor einem knappen Jahr war er auf dem Schulweg in ein Auto gezerrt worden und seitdem verschollen. Der Fall wurde niemals aufgeklärt.

Anneliese war wie vor den Kopf geschlagen. Ihr Blick wanderte von einem Kind zum nächsten und sprang schließlich wieder zu Tim zurück.

„Bist du mir jetzt böse?“, fragte der Kleine ängstlich an seiner Lippe knabbernd und schaute sie dabei treuherzig an.

Annelieses Erstarrung löste sich schlagartig. Mit einem Schluchzer fiel sie vor Tim auf die Knie und zog ihn an sich. Er fühlte sich an wie Tim. Klein und weich, vielleicht ein bisschen kühl. Aber nur so kühl wie ein Kind, das an Halloween zu lange draußen gewesen ist.

„Nein, nein, natürlich bin ich dir nicht böse! Mein Liebling! Ich habe dich so vermisst!“

Tim schlang seine Ärmchen um sie. „Ich habe dich auch vermisst, Oma.“

So standen sie eine Weile, als Anneliese langsam bewusst wurde, dass dies hier eigentlich nicht möglich sein konnte. Hatte sie jetzt den Verstand verloren?

Sie schaute auf, doch die drei Kinder waren immer noch da und guckten sie erwartungsvoll an.

Anneliese räusperte sich. Was hatte Tim da eben gesagt?

„Was soll das heißen, ihr durftet nicht früher kommen?“, fragte sie befangen.

„Na ja, es ist ja so, dass die Toten nur an Halloween auf die Erde kommen können“, erklärte Vera ein wenig altklug. „Daher ging es nicht früher.“

„Ich wollte auch meine Eltern besuchen“, sagte Bastian. „Aber sie wohnen nicht mehr hier.“ Er sah ein wenig traurig aus.

Anneliese nickte mechanisch.

„Kommst du mit uns mit?“, fragte Tim hoffnungsvoll. „Wir wollen zu Veras Eltern gehen, vielleicht kriegen wir da noch ein paar Süßigkeiten.“

„Ja, ja, natürlich komme ich mit euch.“

Sie musste verrückt geworden sein. Sie konnte doch nicht mit drei Geisterkindern zusammen bei fremden Leuten klingeln und um Süßigkeiten bitten! Aber es waren Kinder. Sie konnte sie doch nicht so spät alleine draußen herumlaufen lassen! Aber es waren tote Kinder, niemand ...

Tim streckte ihr seine Hand hin und strahlte sie hoffnungsvoll an. Anneliese konnte nicht anders, als sie zu nehmen. Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter, zur Haustür hinaus und auf die Straße.

Anneliese fühlte sich seltsam leicht und glücklich. Kurz schoss ihr die Frage, ob sie die Tür hinter sich zugemacht habe, durch den Kopf, doch es war nicht weiter wichtig.

 

Am nächsten Morgen wurde das ganze Haus vom gellenden Geschrei der Nachbarin geweckt. In der offenen Tür ihrer Wohnung lag Anneliese Schneider inmitten von Glasscherben und bunten Süßigkeiten. Obwohl ihr Gesicht Spuren von Tränen aufwies, sah sie glücklich aus.

Der hinzugerufene Notarzt konnte nur noch einen Herzinfarkt feststellen.