Inhaltsverzeichnis
Buch
Autorin
Von Rachel Gibson außerdem bei Goldmann lieferbar:
Titel
PROLOG
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
DREIZEHN
VIERZEHN
FÜNFZEHN
SECHZEHN
SIEBZEHN
ACHTZEHN
Buch
Adele Harris ist attraktiv, intelligent und hat es als Fantasyautorin geschafft, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Nur mit den Männern will es einfach nicht so richtig klappen. Sie wurde in ihrem Leben schon von so vielen enttäuscht, dass sie schon fast die Hoffnung aufgegeben hat, eines Tages doch noch ihrem Traummann zu begegnen.
Autorin
Von Rachel Gibson außerdem bei Goldmann lieferbar:
Gut geküsst ist halb gewonnen. Roman (46465)
Ein Rezept für die Liebe. Roman (46218)
Er liebt mich, er liebt mich nicht. Roman (46021)
Sie kam, sah und liebte. Roman (45964)
Traumfrau ahoi! Roman (45630)
Das muss Liebe sein. Roman (45458)
Frisch getraut. Roman (46534)
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Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel»Not Another Bad Date« bei Avon Books,an Imprint of HarperCollins Publishers, New York.Copyright © der Originalausgabe 2008 by Rachel GibsonCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010by Wilhlem Goldman Verlag, München, in derPenguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.Umschlagfoto: Pando Hall/getty imagesRedaktion: Anita HirtreiterKA · Herstellung: Str.ISBN : 978-3-641-04272-1V003www.goldmann-verlag.de
www.penguinrandomhouse.de
PROLOG
Devon Hamilton-Zemaitis war eine schöne Frau. Dass sie tot war, änderte nichts daran.
An einem trostlosen, wolkigen Freitagnachmittag waren sich alle in der Grace Baptist Church, Ecke Thirty-first und Elm, einig, dass Devon eine gut aussehende Leiche war. Sogar noch als Tote war sie hinreißend, elegant und beneidenswert – lauter Eigenschaften, auf die ihre Mutter bei der Erziehung immer sehr viel Wert gelegt hatte. Sie lag ganz friedlich im blassrosa Satin ihres Mahagonisargs, und das gedämpfte Licht leuchtete in ihrem aschblonden Haar und umschmeichelte ihr glattes Gesicht, das dank eines jahrelangen strengen Hautpflegeprogramms und Botox makellos war. Zarte Tätowierungen umrandeten ihre Augen und schattierten ihre Lippen, und Oscar Seinger vom Bestattungsinstitut Seinger and Sons hatte hervorragende Arbeit geleistet und die klaffende Wunde links an der Stirn und die Beule am Kopf perfekt kaschiert.
Als ihre Freundinnen und Klubkameradinnen aus der Junior League am Sarg defilierten, weinten sie ein paar Tränen in mit Monogrammen bestickte Taschentücher und dankten dem Herrn, dass es Devon gewesen war und nicht sie, die das Stoppschild an der Kreuzung Vine und Sixth überfahren und einen Wilson-Brothers-Müllwagen gerammt hatte.
Ausgerechnet einen Müllwagen, dachte Meme Sanders entsetzt, als sie auf ihre Freundin seit der ersten Klasse herabblickte. Kein sehr würdevolles Ende, aber mal wieder typisch
Devon, mit ihrem Chanel-Kostüm aus Boucle-Tweed und den Mikimoto-Perlen dabei so gut auszusehen.
Ausgerechnet einen Müllwagen. Genevieve Brooks tupfte sich die Augenwinkel und verbarg ein leises Lächeln hinter ihrem Taschentuch. Noch am selben Tag, als Devon dagegen gestimmt hatte, Lee Ann Wilson in die Junior League aufzunehmen, hatte sie ein Müllwagen der Wilson Brothers aus dem Weg geräumt. Genevieve fragte sich, ob sich außer ihr noch jemand dieser herrlichen Ironie bewusst war. Natürlich sah Devon wunderschön aus, musste Genevieve zugeben, als sie auf die Frau herabblickte, die sie schon seit ihrem ersten »Little Miss Sparkle«-Schönheitswettbewerb kannte. Devon wäre lieber gestorben, als – nun ja – tot auszusehen, und Genevieve fragte sich, ob Devon die zum Kostüm passenden zweifarbigen Chanel-Pumps trug oder ob man wirklich ohne Schuhe begraben wurde.
Ausgerechnet einen Müllwagen. Cecilia Blackworth Hamilton Taylor Marks-Davis weinte in das Revers des Brooks-Brothers-Anzugs ihres neuesten Ehegatten. Ihr kleines Mädchen von einem Müllwagen getötet? Wie grauenvoll! Erst zweiunddreißig und schon tot. Was für eine Vergeudung einer schönen Frau und eines schönen Lebens. Wenigstens hatte ihr Ehemann dafür gesorgt, dass sie gut aussah, auch wenn weißer Boucle eigentlich schon wieder out war.
Cecilia warf einen Blick auf ihren Schwiegersohn und ihre Enkelin. Das arme Ding klammerte sich an seinen Daddy und vergrub das Gesicht in seinem maßgeschneiderten schwarzen Anzug. Cecilia hatte Zachary Zemaitis nie gemocht. Hatte nie verstanden, warum Devon so erpicht darauf gewesen war, ihn zu bekommen. Natürlich sah er gut aus, aber er war einfach so... männlich. Dieser muskulöse Oberkörper, diese kräftigen Arme! In Gegenwart von Männern, denen lupenreines Testosteron
durch die Adern floss, hatte Cecilia sich noch nie wohl gefühlt.
Ausgerechnet einen Müllwagen. Um Gottes willen! Zach Zemaitis saß in der vordersten Kirchenbank, den Arm tröstend um seine zehnjährige Tochter gelegt. Devon hätte das gehasst, und Zach war überzeugt, dass seine Frau, wo immer sie jetzt auch war, einen Riesenaufstand machte...
»Ausgerechnet einen Müllwagen«, beschwerte sich Devon Hamilton-Zemaitis bei dem Toten, der hinter ihr in der Schlange stand. Er hatte so schlechte Manieren, die Augen zu verdrehen.
»Gute Frau, wir haben alle unsere Probleme«, gab er zurück. Devons Meinung nach bestand das größte Problem des Mannes darin, dass seine Familie ihn in einem billigen Anzug beerdigt hatte. Wahrscheinlich von JCPenney.
Devon erschauderte, so wie es sich für eine Dame gehörte. Wenigstens hatte Zach sie die Reise in den Himmel im Chanel-Kostüm und mit ihrer besten Perlenkette antreten lassen. Auch wenn Boucle im Grunde schon wieder out war und sie ihre dazu passenden zweifarbigen Pumps vermisste. Sie blickte auf ihre nackten Füße, die unter weißen Wolkenschwaden verschwunden waren. Sie hoffte doch stark, dass Zach ihre Sachen nicht für die Junior-League-Auktion spendete, sonst landeten die Chanel-Pumps noch bei Genevieve Brooks. Genevieve hatte Devon schon seit ihrem ersten »Little Miss Sparkle«-Schönheitswettbewerb beneidet, und Devon hasste die Vorstellung, dass Genevieve ihre großen, knochigen Füße in diese schönen Schuhe zwängte.
Ohne einen Schritt zu machen, bewegte sich Devon in der Schlange nach vorne. Es war ein sonderbares Gefühl, vorwärtszugleiten wie auf einem unsichtbaren Fließband. Aber tot zu sein, war eben sonderbar. Eben noch war sie nach Hause gerast,
um Zach zur Rede zu stellen, und im nächsten Moment war sie von einem weißen Licht aufgesaugt worden und an einem Ort ohne jegliche Materie gelandet. Ihrer Schätzung nach stand sie seit etwa einer Stunde in der Schlange, vielleicht auch seit zwei, aber das konnte nicht stimmen. Ihr Unbewusstes sagte ihr, dass es eine Beerdigung gegeben hatte und dass sie in ihrem weißen Kostüm begraben worden war. Seit dem Unfall mussten vier oder fünf Tage vergangen sein, aber wie war das möglich?
Sie dachte an ihr kleines Mädchen und verspürte ein sonderbares Gefühl in der Brust. Es war kein richtiger Schmerz, wie damals, als sie noch am Leben war. Eher ein angenehmes, warmes Kribbeln voller Liebe und Sehnsucht. Was sollte aus ihrer armen kleinen Tiffany werden? Zach war ein guter Vater, wenn er mal zu Hause war. Was nicht oft vorkam, und ein Mädchen brauchte seine Mutter.
Sie glitt weiter vorwärts und kam vor einem riesigen goldenen Tor an einem hochragenden weißen Pult zum Stehen. »Endlich«, seufzte sie erleichtert.
»Devon Zemaitis«, brummte der Mann hinter dem Pult, ohne den Mund zu öffnen oder auch nur von der Schriftrolle vor ihm aufzusehen.
»Devon Hamilton-Zemaitis«, korrigierte sie ihn.
Endlich blickte er auf, und in seinen Augen spiegelten sich die weißen Wolkenschwaden. Auf einen teilnahmslosen Wink hin erschien eine ältere Frau, die ihre Haare in einem strengen Knoten trug und ein lavendelfarbenes Kostüm mit Goldknöpfen anhatte.
»Mrs. Highbanger?«
»Highbarger«, korrigierte ihre Lehrerin aus der sechsten Klasse sie grimmig.
»Seit wann sind Sie denn tot?«
»Nach menschlicher Zeitrechnung seit fünf Jahren, aber ein
Tag beim Herrn zählt tausend Jahre, und tausend Jahre zählen als ein Tag.«
Devon hatte das Gefühl, wieder die Schulbank zu drücken und Mrs. Highbargers endlosem Geschwätz über Brüche zuzuhören. »Was?«
»Gott setzt die Tage nicht fest wie der Mensch auf Erden.«
»Ach so.« Das erklärte vermutlich auch, warum sie das Gefühl hatte, erst seit einer Stunde tot zu sein. »Dann sind Sie hier, um mich in den Himmel zu holen?«, fragte sie, bestens gerüstet, vor Gott zu treten. Sie hatte ein paar Fragen an ihn. Wichtige Fragen. Zum Beispiel, warum er Katastrophen wie Cellulitis, Ballenzehen und brüchige Haarspitzen zuließ. Und danach würde sie Antworten auf die größten Rätsel des Lebens verlangen, zum Beispiel, wer J. F. Kennedy erschossen hatte und -
»Nicht ganz«, unterbrach Mrs. Highbarger Devons Liste für das Frage-Antwort-Spiel mit Gott.
»Was?« Sie musste sich verhört haben. »Ich komme doch in den Himmel, oder?«
»Während deiner Zeit auf Erden hast du dir deinen Platz im Himmel nicht verdient.«
»Ist das ein Scherz?«
Statt zu antworten, glitt Mrs. Highbarger ohne ihr Zutun vorwärts, und Devon wurde hinter ihr hergezogen.
»Verdient hab ich eine Menge! Ich hab mehr Geld aufgetrieben als alle anderen in der Junior League. Meine Benefizveranstaltungen waren immer die tollsten.«
»Du hast anderen nur geholfen, um dir selbst zu helfen, damit dein Foto auf der Gesellschaftsseite erschien und du deine Freundinnen rumkommandieren konntest.«
Wen kümmert’s?, dachte Devon.
»Gott«, antwortete ihre alte Lehrerin.
»Sie können meine Gedanken lesen?«
»Ja.«
Scheiße.
Genau.
Sie glitten wie auf einer unsichtbaren Rolltreppe abwärts, und Devon verspürte den ersten Anflug von Panik. »Ich komme doch nicht in die Hölle? Zu Satan in eine Feuergrube?«
»Nein.« Mrs. Highbarger erschauderte. »Du kommst in einen Raum irgendwo dazwischen, wo jeder seine eigene Vorstellung von der Hölle hat.«
Devon musste an Genevieve Brooks denken, wenn diese das Protokoll der Junior-League-Treffen verlas, und verspürte dabei leichte Kopfschmerzen. Bis in alle Ewigkeit Genevieve zuzuhören, wäre für sie die Hölle.
»Weil der Herr voller Liebe ist, wird dir die Chance gewährt, dich hochzuarbeiten.«
Das war eine Erleichterung, und Devon wurde schon viel zuversichtlicher. Immerhin hatte sie sich einen Platz in der Cheerleader-Mannschaft der University of Texas erkämpft. Verglichen damit war das hier ein Kinderspiel.
»Du fängst damit an, es an den Menschen, denen du Unrecht getan hast, wiedergutzumachen.«
Devon dachte scharf nach. Sie war ein guter Mensch. Praktisch perfekt. »Ich hab nie jemandem Unrecht getan.«
Mrs. Highbarger warf Devon einen tadelnden Blick zu, und vor ihr stieg eine Erinnerung auf. Eine Erinnerung an blonde Locken, türkisfarbene Augen und Einhörner. »Ach.« Mit einer herablassenden Handbewegung wischte sie die Erinnerung weg. »Sie war total falsch für ihn. Er hat sie nicht geliebt. Nicht richtig. Sondern mich. Ich hab den beiden sogar einen Gefallen getan. Bestimmt ist sie inzwischen verheiratet und hat einen Haufen merkwürdiger Kinder.«
»Sie hat nie wieder Liebe gefunden.«
Vermutlich war es Gottes Wille, dass Devon deshalb Gewissensbisse verspürte, aber Fehlanzeige. Dieses Weibsstück hatte ihr um ein Haar Zach ausgespannt, obwohl alle wussten, dass er ihr gehörte. Er war eine Nummer zu groß für diese Tussi gewesen, und sie hatte genau das bekommen, was sie verdient hatte.
Sie glitten weiter abwärts, und Devons Optimismus zerplatzte wie eine Seifenblase. »Was muss ich denn machen?«
»Mach es wieder gut.«
»Indem ich ihr drei Wünsche gewähre?« Sie erreichten den Boden dessen, wohin sie auch gingen, und blieben inmitten etwas dunklerer Wolken stehen.
»Eher so was wie ein Geschenk.« Mrs. Highbarger hob den Zeigefinger. »Du bekommst die Chance, es wiedergutzumachen. Wenn du es nicht vermasselst, steigst du zur nächsten Ebene näher am Himmel auf, wo du eine weitere Chance bekommst, und so weiter.«
Sie musste es also an dieser Wie-hieß-sie-noch mit den Locken wiedergutmachen. Der Tussi, die ihr schon seit der Grundschule verhasst war. Das wurmte sie. Sehr.
»Du hast keine Ewigkeit dafür«, warnte die alte Lehrerin sie. »Wenn sie jemanden findet, den sie lieben kann, bevor du die Vergangenheit in Ordnung gebracht hast, ist es vorbei mit deiner Aufstiegschance.«
Devon grinste und dachte an das perfekte Geschenk. »Da«, sagte sie, doch Mrs. Highbarger schüttelte den Kopf.
»Du lernst es einfach nicht.« Die Lehrerin trat rückwärts durch eine Schiebetür aus Glas, die aus dem Nichts auftauchte. Die Türen schlossen sich zischend, der graue Nebel formte solide Wände, und einen furchterregenden Augenblick lang wähnte sich Devon in einer Art Gefängnis. Ihre Haut kribbelte, und als sie an sich herabblickte, wehte ihr schönes Chanel-Kostüm
EINS
»Küss mich, Baby!«
»Nein, wirklich nicht.« Im Licht der 60-Watt-Birne auf ihrer Veranda legte Adele Harris die Hand auf die Brust ihrer neuesten Verabredung. »Das war für einen Abend genug Aufregung.«
Sam King, Investment-Banker und ehemaliger Nerd, der sich zum Arsch von Weltklasse entwickelt hatte, verwechselte die Hand auf seiner Brust mit einem Streicheln, trat einen Schritt vor und drängte Adele mit dem Rücken gegen die Tür. Die kühle Oktoberluft fuhr über ihre Wangen und in das Revers ihres Mantels, und sie musste entsetzt mit ansehen, wie Sam das Gesicht zu ihr senkte. »Baby, du weißt nicht, was Aufregung bedeutet, bis ich dir mit einem Kuss einheize.«
»Ich passe. Ich glaube nicht – arggg -« Sam presste seine Lippen auf Adeles und erstickte ihren Protest. Er schob ihr die Zunge in den Mund und vollführte eine seltsame Wirbelbewegung. Drei schnelle Kreise nach links. Drei nach rechts. Das ganze von vorne. So war sie seit Carl Wilson in der sechsten Klasse nicht mehr geküsst worden.
Sie zwängte ihre freie Hand zwischen sie und schob ihn weg. »Hör auf!«, stieß sie hervor, während sie in das Handtäschchen griff, das von ihrer Schulter hing, und ihre Schlüssel herauszog. »Gute Nacht, Sam!«
Seine Kinnlade klappte herunter. »Du bittest mich nicht rein?«
»Nein.« Sie wandte sich ab und schloss ihre Haustür auf.
»Warum zum Teufel? Ich hab hundertzwanzig Dollar für ein Abendessen geblecht und werde nicht mal flachgelegt?«
Sie drückte die Tür auf und warf einen Blick auf den Schwachkopf, der auf ihrer Veranda stand. Der Abend hatte ganz annehmbar begonnen, war aber seit dem Salatgang rapide bergab gegangen. »Ich bin keine Prostituierte. Wenn du eine sichere Nummer willst, musst du einen Eskortservice anrufen.«
»Aber die Weiber lieben mich! Ich hab’s nicht nötig, dafür zu bezahlen«, protestierte er einen Tick zu laut. »Die Weiber können es kaum erwarten, von mir rangenommen zu werden.«
Als die Hauptspeisenteller abgeräumt waren, war die Verabredung vollends den Bach runtergegangen, und in der letzten Stunde hatte Adele sich sehr um Nettigkeit bemüht.
»Natürlich«, sagte sie, schaffte es aber nicht, einen Hauch Sarkasmus zu unterdrücken. Sie betrat ihr Haus und drehte sich zu ihm.
»Kein Wunder, dass du mit fünfunddreißig noch allein bist«, höhnte er. »Du musst erst mal lernen, mit Männern umzugehen.«
In der vergangenen Stunde hatte sie Interesse an seinem narzisstischen Geschwafel geheuchelt. An seiner ständigen Angeberei und seiner arroganten Einstellung, dass er ein Superfang war und sie wahnsinniges Glück hatte. Sie hatte sich gesagt, dass es nicht seine Schuld war. Dass sie in letzter Zeit den Verdacht hegte, dass etwas an ihr war, das die Männer austicken ließ, aber jetzt hatte er die Grenze überschritten. Sie an einem sehr empfindlichen Punkt getroffen. »Und du musst erst mal lernen, zu küssen wie ein Mann«, gab sie zurück und knallte ihm die Haustür vor der Nase zu.
»Was zum Teufel ist nur los mit mir?«, fragte sie sich selber. Sie strich sich ihr dichtes, lockiges Haar hinter die Ohren und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür. Das nahm langsam absurde
Züge an. Alle Männer, mit denen sie in den letzten... wie viel?... zwei oder drei Jahren ausgegangen war, waren Ärsche gewesen. Wenn sie nicht schon von Anfang an Ärsche waren, verwandelten sie sich im Handumdrehen in welche. Zuerst hatte sie noch geglaubt, sie zöge Ärsche eben an. Dass nur Idioten sie attraktiv fanden, doch in letzter Zeit hatte sie sich gefragt, ob es noch an etwas anderem lag. Ob da etwas an ihr war, das Männer, die normalerweise ganz in Ordnung waren, in Schwachköpfe verwandelte. Denn mal ehrlich, wie viele Ärsche und Idioten gab es auf der Welt? Und wie wahrscheinlich war es, dass ausgerechnet sie mit jedem einzelnen davon ausging? Mehrfach? Ohne Unterbrechung?
Nicht sehr wahrscheinlich. Adele verriegelte die Tür. In den letzten Monaten war sie zu der Überzeugung gelangt, dass sie verflucht war. Zu ständig miesen Dates.
Sie hängte ihren Mantel in den Flurschrank und ging ins Wohnzimmer. Dort pfefferte sie ihre Handtasche auf das grüne Sofa und griff nach der Fernbedienung auf dem gläsernen Couchtisch. Vor ein paar Monaten hatte sie ihrer Freundin Maddie anvertraut, dass sie unter einem Fluch zu stehen glaubte, doch diese hatte es mit einem Lachen abgetan, und sie hatte das Thema nicht wieder angesprochen.
Es gab Menschen, die sie für ein bisschen anders hielten – vielleicht sogar sehr anders. Als Heranwachsende hatte sie an Magie geglaubt; an Feenstaub, Einhörner und Töpfe mit Gold. Als Kind hatte sie an Zeitritzen und Leben auf fernen Planeten geglaubt. An Geister und alternative Wirklichkeiten. An unbegrenzte Möglichkeiten. Jetzt, als Erwachsene, schloss sie zwar immer noch nichts völlig aus, aber an unbegrenzte Möglichkeiten glaubte sie nicht mehr.
Sie schaltete den Fernseher an und hockte sich auf die Armlehne der Couch. Auch wenn sie in letzter Zeit nicht mehr an
Magie und Ähnliches glaubte, konnte sie von ihrer Fantasie und den Möglichkeiten, an die sie als Kind geglaubt hatte, sehr gut leben. Bisher hatte sie zehn Science-Fiction- und Fantasy-Romane veröffentlicht. Die Recherchen dafür hatten sie schon an höchst bizarre Orte geführt, und sie war Zeugin zu vieler paranormaler Phänomene geworden, die wissenschaftlich nicht erklärbar waren, um irgendetwas pauschal abzutun.
Sie zappte durch die Fernsehkanäle und blieb bei den Zehn-Uhr-Nachrichten hängen. Die Recherchen für ihre vielen Bücher hatten nie Flüche umfasst, und sie wusste nicht viel darüber. Sie hatte keine Ahnung, wie sie funktionierten und ob man dafür Hexenkunst oder schwarze Magie beherrschen musste. Ob im Grunde jeder einen anderen mit einem Fluch belegen konnte oder ob man dazu wenigstens ein Grundwissen über Flüche, Zauber und Banne benötigte.
Ich bin verrückt. Adeles Hirn zog sich zusammen, und sie ließ die Fernbedienung aufs Sofa plumpsen. Genauso verrückt, wie die Leute manchmal von ihr glaubten. Sie stand auf und lief durchs Wohnzimmer ins Bad. Denn wer glaubte schon, mit einem Fluch belegt zu sein?
Eine Verrückte eben.
Sie schob ihre langen Ärmel hoch, drehte den Wasserhahn über dem Waschbecken auf und griff nach der Seife. Eine Verrückte, die schon seit Jahren kein gutes Date oder anständigen Sex mehr gehabt hatte. Eine ewige Brautjungfer, aber nie selbst Braut. In den vergangenen zwei Jahren war sie auf den Hochzeiten zweier ihrer engsten Freundinnen gewesen, und die dritte Freundin, Maddie, hatte gerade angekündigt, dass sie im Frühling heiraten wollte. Ausgerechnet Maddie, die alle Männer für potenzielle Serienmörder hielt. Maddie, die so paranoid war, dass sie ein Arsenal aus Pfefferspray, Schlagringen und Elektroschockern mit sich rumschleppte, hatte jemanden gefunden,
der sie liebte. Die durchgeknallte Maddie hatte jemanden gefunden, der sein Leben mit ihr verbringen wollte, während Adele nicht einmal jemanden auftrieb, der eine Beziehung mit ihr wollte, die länger dauerte als bis Mitternacht.
Die Seife flutschte ihr aus den Händen, während sie sie anständig zum Schäumen brachte. Sie blickte auf in den Spiegel und wusch sich mit den Fingerspitzen das Gesicht. Es war echt deprimierend. Noch vor ein paar Jahren waren alle vier Freundinnen solo gewesen, hatten sich regelmäßig zum Mittagessen getroffen und auf den Bahamas zusammen Urlaub gemacht. Sie waren allesamt Schriftstellerinnen und hatten viele Gemeinsamkeiten. Doch dann hatte eine nach der anderen geheiratet oder würde bald heiraten, und Adele war die Einzige, die noch single war. Sie konnte nicht mehr jederzeit zum Hörer greifen, um über Handlungsstränge, Männerprobleme oder die letzte Episode von CSI zu quatschen. Nach Jahren mit einem ausgefüllten Privatleben fühlte sie sich einsam und allein. Sie fühlte sich ausgeschlossen und tat sich selber leid. Dabei hasste sie Selbstmitleid fast genauso sehr wie die viele Zeit, die sie mit Grübeleien darüber verbrachte, was mit ihr nicht stimmte.
Sie griff nach einem Waschlappen, hielt ihn unters warme Wasser und wusch sich die Seife aus dem Gesicht. Sie war erst zweimal verliebt gewesen. Das letzte Mal vor drei Jahren. Er hieß Dwayne Larkin und war groß, blond und sehr sexy. Er war nicht perfekt gewesen, aber über seine lästige Angewohnheit, an den Achseln seiner Hemden zu riechen und auf dem Reißverschluss seiner Jeans Luftgitarre zu spielen, hatte sie großzügig hinweggesehen. Trotz seiner Macken hatten sie einiges gemeinsam gehabt. Sie begeisterten sich für alte Science-Fiction-Filme, faulenzten gern an Sonntagnachmittagen und wussten beide, wie es war, in jungen Jahren ein Elternteil
zu verlieren. Dwayne war nett und lustig gewesen, und sie hätte sich vorstellen können, den Rest ihres Lebens als Mrs. Larkin zu verbringen. Sie hatte im Geiste sogar schon begonnen, sich das passende Porzellan auszusuchen. Bis zu dem Tag vor drei Jahren, als er in ihrer Küche gestanden und sie einen Fettarsch genannt hatte. In einer Sekunde hatte er ihr noch von seinem Tag in der Arbeit erzählt, und in der nächsten hatte er mitten im Satz innegehalten, den Kopf zur Seite gedreht wie ein Androide und gesagt: »Du bist ein Fettarsch.«
Sie war damals so fassungslos, dass sie ihn fragte, was er gerade gesagt hatte. Leider hatte er es wiederholt.
»Adele, du hast einen dicken, fetten Arsch.« Er hatte sein Bier abgestellt und die Hände sehr weit gespreizt. »Etwa so breit.«
Von allen verletzenden Dingen, die er ihr hätte sagen können, war das das Verletzendste. Er hätte sie dumm oder hässlich nennen können, und es hätte sie nicht so tief getroffen. Nicht nur, weil es ihre größte Angst war, sondern weil er genau wusste, wie tief es sie kränken würde. Er hatte gewusst, dass sie den großen, breiten Hintern ihrer Großmutter Sally geerbt hatte und dass sie am Tag acht Kilometer joggte, jeden verdammten Tag, um zu verhindern, dass er ihre untere Körperhälfte übernahm. Vor diesem Abend hatte er stets betont, wie sehr es ihm gefiel, wie sich ihr Hintern in seine Hände schmiegte. Anscheinend war er ein Lügner. Noch schlimmer, ein gemeiner Lügner.
Adele hatte ihn aus ihrem Leben verbannt, doch aus irgendeinem Grund ließ Dwayne sich nicht völlig verbannen. Etwa einmal im Monat öffnete sie ihre Haustür und fand auf ihrer Veranda irgendwelche Gegenstände. Eine Socke, einen Waschlappen oder einen kopflosen Darth Vader, alles Dinge, die sie nach der Trennung bei Dwayne vergessen hatte.
Sie drehte das Wasser ab und trocknete sich das Gesicht. Ihre Freundinnen fanden, sie sollte Dwayne festnehmen lassen oder jemanden anheuern, der ihn zusammenschlug. Klar, er hatte was von einem Stalker, dachte sie, als sie in ihr Schlafzimmer ging, aber sie hatte keine Angst vor Dwayne.
Auf ihrer Frisierkommode aus Eichenholz lag ein Häufchen Zopfbänder, und sie band sich mit einem davon ihre langen, lockigen Haare zu einem dicken Pferdeschwanz zusammen. Wenn überhaupt, nervte Dwayne sie eher, als dass er ihr Angst machte, und sie wünschte, er würde nach vorne blicken. Leicht war es nicht gewesen, aber sie hatte es auch geschafft.
Sie zog sich aus, schlüpfte in ein schlichtes weißes T-Shirt und lief zurück ins Wohnzimmer. Etwa im zweiten Jahr des Fluches hatte sie aufgehört, hübsche Dessous zu kaufen und zu tragen. Sexy Unterwäsche war reine Verschwendung, und in schlichten T-Shirts schlief es sich bequemer.
Nach jedem Verlust und Rückschlag in ihrem Leben hatte sie nach vorne geblickt. Sie hatte sich vom Tod ihrer Mutter, als sie zehn war, erholt, und ihr Herz war irgendwann auch wieder geheilt, nachdem ihre erste Liebe es ihr gebrochen hatte. Nicht, dass sie den Tod ihrer Mutter damit gleichsetzen wollte, vom ersten Jungen, den sie je geliebt hatte, abserviert worden zu sein, aber beide Verluste waren auf ihre Art niederschmetternd gewesen und hatten ihr Leben verändert. Der Verlust ihrer Mutter hatte sie gelehrt, unabhängig zu sein. Der Verlust ihrer ersten Liebe hatte sie gelehrt, ihr Herz nicht so leicht an jemanden zu verlieren.
Die Nachrichten wurden von der Tonight Show abgelöst, und Adele schaltete um. Sie hatte schon jahrelang nicht mehr an ihre erste Liebe gedacht, doch selbst nach der langen Zeit war es ihr immer noch peinlich, wie schnell und heftig sie sich in Zach Zemaitis verliebt hatte. Sie hatte alles an ihm geliebt. Sein
unbefangenes Lächeln und sein tiefes Lachen. Seinen schweren Arm auf ihren Schultern und den Geruch seiner T-Shirts und seiner warmen Haut. Als er sie zum ersten Mal küsste, hatte sie es überall gespürt. Im Herzen. Im Bauch. In den Kniekehlen.
Sie hatte ihn im letzten Studienjahr an der University of Texas kennengelernt, hatte aber schon seit ihrem ersten Tag auf dem Campus gewusst, wer er war. Alle wussten, wer Zach Zemaitis war. Das Football-Team der Texas Longhorns war total angesagt, und in Texas kannte jeder den Star-Quarterback der UT mit dem blendenden Aussehen und den beeindruckenden Statistiken. Alle wussten, dass er für eine Profikarriere ausersehen war, genau wie alle wussten, dass er mit der Chef-Cheerleaderin der UT, Devon Hamilton, ausging.
Adele mochte Zach erst an der Uni kennengelernt haben, aber Devon kannte sie schon fast ihr ganzes Leben. Die beiden waren aus derselben texanischen Kleinstadt an die UT gekommen. Sie hatten zwölf Jahre lang dieselben staatlichen Schulen besucht, waren aber nicht gerade die besten Freundinnen. Nicht mal annähernd. Devons Familie war wohlhabend, während Adeles Vater nur mit Mühe einen durchschnittlichen Lebensstandard für sich und seine zwei Töchter halten konnte. Devon verkehrte nicht mit Mädchen, deren Familien nicht zum Cedar Creek Country Club gehörten und deren Mütter nicht Mitglieder der Junior League waren. Devon hatte es nie für nötig gehalten, sie zu beachten- bis zur sechsten Klasse, als Adele eine unverzeihliche Sünde begangen hatte. Damals hatten die beiden Mädchen um die Rolle der Tinkerbell in der Schulaufführung von Peter Pan konkurriert, und Adele hatte gewonnen. Danach hatte Devon gemeint, ihr das Leben zur Hölle machen zu müssen. Das letzte Mal im letzten Studienjahr an der UT, als sie beide um die Rolle von Zachs Freundin konkurriert hatten.
Adele blieb auf dem Sci-Fi Channel und The Dresden Files
hängen. Sie setzte sich auf die Couch und sagte sich, dass es Schlimmeres gab, als an einem Samstagabend Paul Blackthorne dabei zuzusehen, wie er in seiner Lederjacke und mit dem ewigen Bartschatten paranormale Verbrechen löste und Chicago vor machtbesessenen Vampiren, Werwölfen und diversen Bösewichten rettete. Schlimmeres, wie sich durch ein weiteres mieses Date zu quälen.
Aber heute Abend fesselte Paul sie nicht, und ihre Gedanken schweiften zu Zach Zemaitis und daran, wie er in einer abgetragenen Levi’s und einem alten weißen T-Shirt ausgesehen hatte.
Sie waren im selben Kommunikationswissenschaftskurs gewesen, damals, als sie noch glaubte, vielleicht Journalistin werden zu können. In den ersten Wochen jenes Semesters hatte sie in der letzten Reihe gesessen und sich nach Kräften bemüht, nicht auf die kurzen blonden Haarsträhnen zu achten, die sich über seinen Ohren und in seinem langen, kräftigen Nacken ringelten. Wie alle anderen weiblichen Wesen im Kurs hatte sie versucht, sich nicht von seinen breiten Schultern und kräftigen Armen ablenken zu lassen, und wie die anderen Mädchen war sie grandios gescheitert.
Zach war mit gutem Aussehen und Talent gesegnet. Er wurde von allen wie ein Rockstar behandelt, und trotzdem schien ihn auf dem Campus wirklich jeder zu mögen. Doch Adele, die zwar seinen muskulösen Körper und sein markantes Gesicht zu schätzen wusste, hatte immer geargwöhnt, dass mit seiner Intelligenz etwas nicht stimmte. Er musste einen Dachschaden haben, vielleicht von zu vielen Schlägen auf den Helm, was seine körperliche Perfektion zur totalen Verschwendung machte und eine echte Schande war. Warum sonst sollte ein Typ wie Zach mit einem durchtriebenen Miststück wie Devon Hamilton ausgehen? Klar, Devon war umwerfend, aber an der UT gab es viele umwerfende Mädchen. Allem Anschein nach war er geistig
zurückgeblieben oder schlicht und einfach oberflächlich. Vielleicht auch beides.
Eines Tages pflanzte er sich dann vor sie und drehte seinen Stuhl um. Als wäre es nicht schon schockierend genug, in Zachs dunkelbraune Augen zu sehen, die von langen dichten Wimpern umgeben waren, hatte er mit seinem lässigen Südstaatendialekt zu ihr gesagt: »Ich frag mich schon länger, was du mit deinen Haaren machst.«
»Was?« Sie war so fassungslos, dass sie sich sogar nach hinten gedreht hatte, um zu sehen, mit wem er sprach. Doch da war niemand, und sie hatte sich wieder nach vorne gedreht und gefragt: »Sprichst du mit mir?« Sportskanonen wie Zach mit wunderschönen Cheerleader-Freundinnen sprachen nämlich normalerweise nicht mit Mädchen wie Adele. Sie stand auf Theater und hing mit Leuten rum, die über interplanetare Teleportation diskutierten.
Nicht, dass sie sich für nicht gut oder hübsch genug gehalten hätte, aber sie verkehrte einfach nicht in denselben privilegierten Kreisen, wo einem alle in den Arsch krochen, nur weil man einen Football werfen oder einen perfekten Flickflack hinlegen konnte.
Sein leises Lachen hatte das Schweigen zwischen ihnen überbrückt. »Ja, ich rede mit dir. Hast du eine Dauerwelle?«
Machte er sich über sie lustig? Vor Carrie Bradshaw und Shakira hatte sie ihre Haare immer gehasst und nie kapiert, warum jemand eine Dauerwelle wollte, wenn er glattes Haar haben konnte. »Ich mach gar nichts damit«, hatte sie geantwortet und auf die Pointe gewartet. An der Junior High war sie Schamhaarkopf genannt worden. Normalerweise von seiner Cheerleader-Freundin.
»Sie sind von Natur aus so?« Sein Blick schweifte über ihr Gesicht und streichelte ihre Haare.
»Ja.« Er hatte die längsten Wimpern, die sie je an einem Kerl gesehen hatte, und trotzdem war er der männlichste Typ, den sie je getroffen hatte.
»Hm. Sie sind wirklich schön. Sie gefallen mir.« Er sah ihr wieder in die Augen, ließ seine weißen Zähne und sein perfektes Lächeln aufblitzen und sagte: »Ich bin Zach.«
Hatte er gerade gesagt, dass ihre Haare schön wären? Schockierend. »Adele.«
»Ich weiß.«
Schock Nummer zwei. »Wirklich?«
»Klar.«
Dann hatte er sich wieder nach vorne gedreht und Schreibblock und Bleistift auf den Tisch vor sich geworfen, während sie wie vom Donner gerührt dagesessen hatte, auf seinen Football-Spieler-Nacken gestarrt und sich gefragt hatte, was zum Teufel gerade geschehen war.
Am nächsten planmäßigen Kurstag hatte er sich wieder vor sie gesetzt. Und sich wieder umgedreht. Diesmal hatte er sie nach ihrem silbernen Manschettenarmband gefragt, in das drei Keltische Knoten eingraviert waren.
»Der hier symbolisiert die Interdependenz der Natur«, hatte sie ihm erklärt und sich gefragt, warum er schon wieder mit ihr quatschte. Wo sie doch nicht mal zu den Football-Spielen ging. »Und der hier die Beziehung zwischen Mensch und Erde. Und das hier ist der Knoten der Liebenden.«
Grinsend blickte er von ihrem Handgelenk auf. »Knoten der Liebenden, ja?«
Sie zog die Hand zurück und zuckte mit den Achseln. »Jedenfalls glauben das einige Archäologen. Die Kelten haben nur sehr wenige Aufzeichnungen hinterlassen, deshalb weiß es niemand mit Sicherheit.«
Er langte über den Tisch, griff mit seiner warmen Hand nach
ihren Fingern und zog ihre Hand sanft zu sich. »So einen Knoten der Liebenden hab ich noch nie gesehen.«
Sie versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, doch er hielt sie fester. »Im Penthouse oder im Hustler findet man so was auch nicht.«
Er lachte aus voller Kehle und ließ sie los. »Das erklärt es wohl.« Er sah ihr sekundenlang in die Augen und drehte sich nach vorne, als der Unterricht begann.
Mit Fingern, die von seiner Berührung immer noch warm waren, hatte sie nach ihrem Stift gegriffen und Interesse daran geheuchelt, was der Professor am Pult sagte. Doch um den Dozenten zu sehen, musste sie an Zachs breiten Schultern vorbeischauen; sein T-Shirt lag eng an seinen Muskeln an und schmiegte sich um die Wölbung seiner Bizepse. Sie gab es auf, sich auf die Vorlesung zu konzentrieren, und studierte seinen Hinterkopf und sein blondes Haar.
Zach kam ihr überhaupt nicht begriffsstutzig vor. Als hätte er ein paar Schläge zu viel auf den Kopf bekommen. Er schien sogar nett zu sein, aber irgendwas musste mit ihm nicht stimmen. Irgendwas. Was erklärte, warum so ein netter Typ mit Devon Hamilton ausging.
Fünf Stunden später fragte sie sich das immer noch, als Zach das Restaurant betrat, in dem sie fünf Abende pro Woche jobbte und Pizza servierte. Er war mit drei Football-Kumpels gekommen und hatte gewartet, bis sie Feierabend hatte.
»Wo ist deine Freundin?«, hatte sie gefragt, als er ihr galant die Tür öffnete.
»Welche Freundin?«
Adele trat an die frische Nachtluft und schob einen Arm in ihren Sweater. »Du weißt genau, welche Freundin.«
Er stellte sich hinter sie und hielt ihr den Sweater, während sie den anderen Arm in den Ärmel schob. »Beschreib sie mir.«
»Blond. Dünn. Hüpft viel im Cheerleader-Röckchen durch die Gegend.«
»Ach, die.« Er zog ihr die Haare hinten aus dem Sweater, und seine warmen Fingerspitzen streiften ihren Nacken. »Sie ist nicht meine Freundin.«
Adele schaute zu seinem verdunkelten Gesicht auf. »Seit wann?«
»Du stellst zu viele Fragen.«
Eigentlich ging es sie sowieso nichts an. Und es war ja auch nicht so, als wollte er sie um eine Verabredung bitten. »Ist dir nicht kalt?«
»Ich bin wie ein Schmelzofen. Mir wird nie kalt.«
Das lag vermutlich an den vielen Muskeln. Er brachte sie bis zu ihrem Zimmer im Wohnheim und ließ sie mit nichts als einem Händedruck vor der Tür stehen. Doch als er sie am nächsten Abend bis zur Tür brachte, schob er sie an die Wand und küsste ihr die Luft aus der Lunge. Er hatte ihr gestanden, dass er nicht mehr aufhören konnte, an sie zu denken, und innerhalb von zwei sehr kurzen Monaten hatte er sie so verliebt in ihn gemacht, dass es ihr schwergefallen war, in seiner Gegenwart zu atmen. Etwas anderes zu tun, als an ihn zu denken. Sie verliebte sich so schnell, heftig und rettungslos, dass sie nicht gezögert hatte, sich ihm mit Leib und Seele hinzugeben.
Adele hatte zwar nie geplant, sich für die Ehe aufzusparen, aber ihre erste sexuelle Erfahrung hatte sie mit jemandem machen wollen, den sie liebte. Sie hatte geglaubt, dass Zach dieser Mensch war, doch als sie ihm alles gegeben hatte, was sie zu geben hatte, hatte er ihr Herz zerquetscht wie eine Bierdose. Er hatte sie ohne Umschweife abserviert und war zu Devon zurückgekehrt, und Adele war so am Boden zerstört gewesen, dass sie die University of Texas mitten im Semester verlassen hatte und mehr als tausend Meilen weggezogen war, um bei ihrer Großmutter
in Boise, Idaho, zu leben. Wenige Monate, nachdem sie zu ihrer Großmutter gezogen war, hatte sie per Post eine Einladung bekommen. Cecilia Blackworth Hamilton Taylor-Marks-Davis und Charla May und James Zemaitis baten um die Ehre von Adeles Teilnahme an der Hochzeit ihrer Kinder Devon Lynn Hamilton und Zachary James Zemaitis. Auf dem Brief hatte kein Absender gestanden, doch Adele hatte auch so gewusst, von wem er war.
Adele hatte gewusst, dass Zach Devon heiraten wollte, doch offensichtlich hatte es der Cheerleaderin nicht gereicht, den Footballer zu bekommen. Sie hatte es ihr unbedingt unter die Nase reiben müssen.
Adele hatte keiner Menschenseele von ihrer Beziehung zu Zach erzählt. Weder ihren Freundinnen noch ihrer Schwester. Rückblickend fragte sie sich, wie sie so dumm hatte sein können. Sie hatte ihr Herz nicht nur allzu leicht verschenkt, sondern auch noch an eine eingebildete Sportskanone.
Als Letztes hatte sie gehört, dass Zach als Profi für Denver spielte. Nicht, dass sie sich aktiv für Sport interessierte, aber sie hatte seinen Namen ab und zu im Sportteil der Abendnachrichten gehört oder sein Gesicht in TV-Werbespots für Gatorade, Axe oder ein Mittel gegen Pilzentzündungen im Leistenbereich gesehen. Okay, als Werbeträger dafür hatte sie ihn nie gesehen.
Sie wusste nicht, ob er immer noch für Denver spielte oder inzwischen verkauft worden war. Sie hatte keine Ahnung, wo er war oder was er gerade tat, und es war ihr auch egal. Hoffentlich war er immer noch mit Devon verheiratet, die ihm das Leben zur Hölle machte.
Adele lehnte den Kopf an das Sofakissen und seufzte. Sie wurde langsam leicht verbittert. Über ihr Leben und die Männer, und so wollte sie nicht leben. Sie liebte ihr Leben, jedenfalls
zum größten Teil, und trotz der Häufung mieser Dates und ihres ersten schlimmen Liebeskummers liebte sie Männer.
Oder etwa nicht?
Sie setzte sich ruckartig auf und sah sich im Raum um. Was, wenn die vielen miesen Dates eher mit verdrängtem Zorn und Groll zu tun hatten? Adele schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte keinen verdrängten Zorn und Groll. Wenigstens glaubte sie das nicht, aber... wenn er verdrängt war, woher sollte sie es dann wissen?
»Oh Gott«, stöhnte sie. Sie war wirklich verrückt.
Das Telefon klingelte und ersparte ihr weitere seelische Qualen. Adele stand auf und lief in die Küche, um den schnurlosen Hörer abzunehmen. Sie warf einen Blick auf die Vorwahl und stöhnte. Ihre Seelenqualen waren noch nicht vorbei. Sie war jetzt wirklich nicht in der Stimmung, mit Sherilyn, ihrer älteren Schwester, zu reden. Der Verantwortungsbewussten. Der mit dem perfekten Leben. Die glücklich mit einem Zahnarzt verheiratet war und in Fort Worth eine perfekte Tochter im Teenageralter großzog. Die perfekte Schwester, die in vier Monaten einen perfekten kleinen Jungen zur Welt bringen sollte. Die weder verflucht noch verrückt war.
Sie erwog, den AB rangehen zu lassen, nahm dann aber doch ab, weil es wichtig sein könnte.
»Hallo, Shery. Wie geht’s?«
»William ist weg.«
Adeles Augenbrauen schossen bis zum Haaransatz nach oben, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Wo ist er denn hin?«
»Er ist mit seiner einundzwanzigjährigen Assistentin zusammengezogen.«
»Nein!« Adele zog sich einen Küchenstuhl vom Tisch weg und setzte sich. Sie hatte William zwar nie gemocht, hätte ihm
aber auch nicht zugetraut, so tief zu sinken, seine schwangere Frau sitzen zu lassen.
»Doch. Ihr Name ist Stormy Winter.«
Vermutlich gab es wichtigere Fragen, doch Adele stellte sie trotzdem: »Ist sie eine Stripperin?«
»Er behauptet, nein.«
Was bedeutete, dass Sherilyn dasselbe gefragt hatte. »Wie geht’s Kendra?«, fragte Adele und meinte ihre dreizehnjährige Nichte.
»Die ist stocksauer. Auf mich. Auf William. Auf die ganze Welt. Es ist ihr peinlich, dass ich schwanger bin und dass ihr Vater mit einer Frau zusammengezogen ist, die nur acht Jahre älter ist als sie.«
Wow! Sherilyns Leben war noch verkorkster als Adeles. Das war mal was ganz Neues.
»Mein Leben ist ein Trümmerhaufen.« Sherilyns Stimme brach, und sie fing an zu weinen. »Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. An einem Tag war noch alles per-perfekt, und am nächsten haut William einfach ab.«
Adele argwöhnte, dass da durchaus Warnsignale gewesen waren, die Sherilyn lieber ignoriert hatte. »Wie kann ich dir helfen?«, fragte sie in dem Glauben, sowieso nichts tun zu können als zuzuhören.
»Ich ziehe wieder nach Cedar Creek. Komm mit mir nach Hause.«
Adele war zu Hause.
»Ich brauche dich, Dele.«
Adele war seit der Beerdigung ihres Vaters vor sieben Jahren nicht mehr in Cedar Creek gewesen.
Sherilyn fing wieder an zu schluchzen, bevor sie sich zusammenriss und mit Mühe hervorstieß: »In dieser Kri-Krise brauch ich meine Fa-Familie.« Das klang eher so, als sei Sherilyn jenseits
jeder Krise und steuerte geradewegs auf einen Nervenzusammenbruch zu. »Bitte! Ich muss nach Hause fahren. Ich er-ertrag es hier nicht ohne William. Unsere Fr-Freunde wissen es alle, und sie bemitleiden mich. Mein Leben bricht komplett zusammen.«
ZWEI
Die Texaner liebten Gott, die Familie und Football, wenn auch nicht immer in dieser Reihenfolge. Das hing stark von der Jahreszeit und der neuesten Ehefrau des Bruders ab.
Gesegnet sei ihre Seele.
Der Sonntag gehörte dem Herrn, der über die Kirchenbänke im Bible Belt herrschte. Sein Wort trieb die Gläubigen mit Predigten über Sünde und Erlösung in religiöse Raserei und lud die Luft mit dem elektrischen Knistern seines Geistes auf.
Bekomme ich ein Amen?
Gott konnte den Sonntag haben. Doch der Freitagabend gehörte dem Highschool-Football. Quer durch den Longhorn-Staat herrschte er über die Tribünen, trieb die Gläubigen in eine Spielfeld-Raserei und lud die Luft mit dem elektrischen Knistern fünfundzwanzigtausend jubelnder Fans auf.
Bekomme ich ein Glory Hallelujah?
Als die Sonne über der Ebene von Cedar Creek unterging, überfluteten unzählige Tausendfünfhunderter-Wattbirnen den grünen Rasen des Warren-P.-Bradshaw-Stadions. Bewaffnet mit Filzanhängern, knallbunten Bommelmützen und warmen Stadiondecken strömte die Hälfte der Einwohner von Cedar Creek herbei, um den Cedar Creek Cougars dabei zuzusehen, wie sie gegen ihre Rivalen vom anderen Ende der Stadt, die Lincoln Panthers, kämpften. Da es um die Chance auf die Staatsmeisterschaft ging, war die Spannung vor dem Spiel enorm.