7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €
Autumn sucht in Las Vegas das Glück – und findet einen Ehemann ...
Autumn Haven hatte eigentlich vor, bei einem Kurztrip nach Las Vegas ihr Glück im Spielcasino zu versuchen – und nicht nach einer feuchtfröhlichen Nacht neben dem Eishockeyspieler Sam Leclaire aufzuwachen, der sich auch noch als ihr frischgebackener Ehemann herausstellt. Doch Sam scheint es mit dem Bund fürs Leben nicht so ernst zu nehmen, denn ehe sie sich versieht, ist er auf und davon. Zwei Jahre später kreuzen sich ihre Wege ein zweites Mal, und für Autumn stellt sich die Frage, ob sie damals in Vegas nicht vielleicht doch eine Glückssträhne hatte ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 442
Buch
Autumn Haven hatte eigentlich vor, bei einem Kurztrip nach Las Vegas ihr Glück im Spielcasino zu versuchen – und nicht nach einer feuchtfröhlichen Nacht neben dem attraktiven Eishockeyspieler Sam LeClaire aufzuwachen, der sich auch noch als ihr frischgebackener Ehemann herausstellt. Doch der Frauenschwarm scheint es mit dem Bund fürs Leben nicht so ernst zu nehmen, denn ehe sie sich versieht, ist er auf und davon. Als Autumn bemerkt, dass sie schwanger ist, sind die Scheidungspapiere schon unterwegs.
Ihr Sohn Conner wird die Liebe ihres Lebens, denn von Männern hat sie erst einmal genug.
Jahre später trifft Autumn bei einer Hochzeit ausgerechnet auf Sam, und bald schon muss sie sich fragen, ob sie damals in Vegas nicht vielleicht doch eine Glückssträhne hatte …
Autor
Seit sie sechzehn Jahre alt ist, erfindet Rachel Gibson mit Begeisterung Geschichten. Mittlerweile hat sie nicht nur die Herzen zahlloser Leserinnen erobert, sie wurde auch mit dem »Golden Heart Award« der Romance Writers of America und dem »National Readers Choice Award« ausgezeichnet. Rachel Gibson lebt mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Katzen und einem Hund in Boise, Idaho.
Rachel Gibson
Küssen hat noch
nie geschadet
Roman
Übersetzt von Antje Althans
EINS
Der richtige Mann für mich:
ist kein Berufssportler
Sam LeClaire war ein gut aussehender Kotzbrocken. Das fanden alle. Angefangen bei Sportjournalisten bis hin zu übereifrigen Fußballmüttern.
Das Mädchen in seinem Bett fand das ebenfalls. Auch wenn es kein Mädchen mehr war, sondern eine erwachsene Frau.
»Ich begreife nicht, warum ich nicht mitkommen kann.«
Sam, der sich vor dem Spiegel seine blau gestreifte Krawatte band, warf einen Blick auf das Supermodel. Die Schönheit hieß Veronica Del Toro, war allerdings schlicht unter ihrem Vornamen bekannt. So wie Tyra, Heidi und Gisele.
»Weil ich nicht ahnen konnte, dass du heute in der Stadt bist«, erklärte er ihr nun schon zum zehnten Mal. »Auf den letzten Drücker noch jemanden mitzubringen wäre unverschämt.« Was natürlich nicht der wahre Grund war.
»Aber ich bin Veronica.«
Eben. Das war der wahre Grund. Sie war unverschämt, und auch noch narzisstisch. Obwohl er das niemandem verübelte. Er selbst konnte auch unverschämt und narzisstisch sein, doch ungeachtet der vielen Gerüchte, die über ihn kursierten, wusste er sehr gut, wann man sich benehmen musste.
»Ich esse auch nicht viel.«
Wohl eher gar nichts. Noch so eine Eigenschaft, die ihn tierisch an ihr nervte. Dass sie nie etwas aß. Zuerst bestellte sie sich Unmengen, da sie anscheinend kurz vorm Verhungern war, und dann stocherte sie nur lustlos darin herum.
Sam schob den Krawattenknoten nach oben und reckte das Kinn zur Seite, um sich den Hemdkragen zuzuknöpfen. »Ich hab dir schon ein Taxi gerufen.« Im Spiegel verfolgte er, wie Veronica aus dem Bett stieg und auf ihn zugeschlendert kam. Sie lief über seinen Teppich, als stakste sie über den Laufsteg. Mit langen, schlaksigen Gliedern und großen Brüsten, die kaum wackelten.
»Wann kommst du wieder?«, hauchte sie und schlang ihm dabei die Arme um die Taille, legte das Kinn auf seine Schulter und schmachtete ihn mit ihren dunkelbraunen Augen an.
»Spät.« Er reckte das Kinn zur anderen Seite. Während er auch die zweite Kragenspitze festknöpfte, warf er einen Blick zur Kommode, wo sein klobiger Meisterschaftsring lag. Der Ring aus Weiß- und Gelbgold war mit dem Logo seiner Mannschaft verziert, in das hundertsechzig Diamanten, Smaragde und Saphire eingearbeitet waren. Zudem waren auf der einen Seite der Stanley-Cup und die Jahreszahl eingraviert und auf der anderen sein Name und seine Spielernummer. Er hatte das Ding aus der Schublade geholt, um es Veronica zu zeigen, gedachte aber nicht, es zu tragen. Obwohl er durchaus gern Schmuck trug. Doch der Ring war so riesig, dass er ihm bis zum Fingerknöchel reichte, und echt protzig. Selbst für einen Mann, der es protzig mochte.
»Wie spät ist es?«
Im Spiegel ließ er den Blick zum Wecker auf dem Nachttisch schweifen. Schon halb sieben, und die Hochzeit sollte um sieben beginnen. Eigentlich hätte er gar keine Zeit für ein Treffen mit Veronica gehabt, aber sie war nicht sehr oft in der Stadt, und er hatte sich eine schnelle Nummer versprochen. Allerdings hätte er es besser wissen müssen. Schließlich war sie Veronica, und da ging gar nichts schnell. »Sehr spät. Wann geht dein Flieger?«
»Morgen früh.« Seufzend ließ sie ihre schlanken Hände auf seinem Smokinghemd über seine harten Brustmuskeln gleiten. »Ich könnte hier auf dich warten.«
Er wandte sich ihr zu, und ihre Hände wanderten zu seiner Taille. »Keine Ahnung, wann ich zurück bin. Es könnte richtig spät werden.« Obwohl er das bezweifelte, da in nur fünf Tagen das Auftaktspiel der regulären Saison anstand. Er strich ihr das lange dunkle Haar hinter die Schultern. »Ruf mich an, wenn du wieder in Seattle bist.«
»Das kann Monate dauern, und bis dahin bist du längst mit der Mannschaft unterwegs.« Enttäuscht ließ sie die Hände sinken und stakste zum Bett zurück.
Während sie in ihren knappen Slip stieg, betrachtete er ihren knöchrigen Arsch. An Veronica war viel Liebenswertes. Ihr Gesicht. Ihr Körper. Ihre Oberflächlichkeit. In ihrem Kopf ging nichts Tiefgründiges vor sich, aber daran konnte er nichts Falsches finden. Es war nichts falsch daran, immer nur an der Oberfläche zu kratzen und jeden tiefschürfenden Gedanken zu vermeiden. Das machte das Leben einfacher. »Wir können uns jederzeit unterwegs treffen.«
»Schon.« Sie griff nach ihrem roten T-Shirt und zog es sich über den Kopf, bevor sie in ihre Jeans stieg. »Aber bis dahin hast du ein blaues Auge.«
Er grinste. »Stimmt.« Er schnappte sich seine Anzugjacke und schlüpfte hinein. In der letzten Saison hatte er Veronica in Pittsburgh aufgegabelt. An jenem Abend hatte er gegen die Penguins ein Tor gemacht, aufgrund einer doppelten kleinen Strafe vier Minuten auf der Strafbank abgesessen und sich sein erstes größeres Veilchen der Saison eingehandelt. Vielleicht brachte sie ihm dieses Jahr ja genauso viel Glück. Er griff nach seiner Geldbörse und schob sie in die Gesäßtasche seiner Khakihose.
»In der letzten Saison war dein schönes Gesicht völlig entstellt«, jammerte Veronica und schlüpfte in ihre Pumps.
So schlimm war es nun auch wieder nicht gewesen. Nur ein paar Nähte und kleinere Blutergüsse. Während seiner sechzehn Jahre in der NHL hatte er schon Schlimmeres erlebt.
»Du solltest modeln.«
»Nein danke.« Vor Jahren hatte er mal Werbung für Diesel-Unterwäsche gemacht und die ganze Prozedur sterbenslangweilig gefunden. Er hatte fast den ganzen Tag im knappen weißen Slip rumgesessen, bis die Crew diverse Sets aufgebaut hatte. Und zum Schluss waren dabei Riesenplakatwände und Anzeigen in Zeitschriften mit Fotos rausgekommen, auf denen sein Sack praktisch raushing und echt gigantisch wirkte. Die Jungs aus der Mannschaft hatten ihn aufgezogen ohne Ende, und seine Mutter hatte sich einen Monat nicht mehr in die Kirche getraut. Nach dieser Erfahrung überließ er das Modeln lieber Typen, denen diese Art von Aufmerksamkeit zusagte. Typen wie Beckham.
Gemeinsam verließen sie das Schlafzimmer in Sams zentral gelegener Loftwohnung. Im offenen Innenbereich umschmeichelten graue Schatten die Ledermöbel, und das verblassende Sonnenlicht warf matte Muster auf den Holzboden.
Sam hielt Veronica die Wohnungstür auf und schloss sie hinter sich ab. Als die zwei durch den Gang liefen, schweiften seine Gedanken zu dem Spiel gegen San José in einer knappen Woche. In der letzten Saison waren die Sharks zwar schon in der Vorrunde der Play-offs ausgeschieden, doch das garantierte den Chinooks noch lange keinen Sieg im Eröffnungsspiel dieser Saison. Bei weitem nicht. Die Sharks waren hungrig, und ein paar Chinooks-Spieler hatten in der Saisonpause ein bisschen zu heftig gefeiert. Sam war zugegebenermaßen auch kein Kind von Traurigkeit gewesen, aber nicht allzu fett geworden, und seine Leber war noch in guter Verfassung. Johan und Logan hingegen hatten sich je viereinhalb Kilo Übergewicht angefressen, und Vlad soff wie ein Matrose auf Landgang. Das Kapitänsamt war soeben Walker Brooks verliehen worden. Was keine Überraschung war. Schließlich war Walker in den letzten Jahren schon Ersatzkapitän gewesen.
»Ich liebe Hochzeiten«, seufzte Veronica, während sie zum Fahrstuhl trotteten.
Alle gingen davon aus, dass von nun an Alexander Devereaux das A auf dem Trikot tragen würde, doch noch war nichts offiziell. Es hatte so gewisse Andeutungen gegeben, dass Sam das Amt des Ersatzkapitäns übernehmen sollte, aber er hatte nicht angebissen. Er war nicht der Verantwortungsbewussteste, und daran sollte sich nichts ändern.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und die zwei traten ein. »Du nicht?«
»Was?« Zerstreut drückte er auf den Knopf fürs Foyer.
»Magst du keine Hochzeiten?«
»Nicht sonderlich.« Hochzeiten machten ihm in etwa so viel Spaß, wie den Puck in die Eier zu kriegen.
Schweigend fuhren sie ins Erdgeschoss, und als sie die Lobby durchquerten, bugsierte Sam Veronica mit der Hand im Kreuz zu den zwei schweren Türen aus Glas und Edelstahl. Kaum waren sie aufgeglitten, da wartete am Straßenrand schon ein gelbes Taxi auf sie.
Er küsste sie zum Abschied. »Ruf mich an, wenn du das nächste Mal in der Stadt bist. Ich will dich wirklich gern wiedersehen«, gab er ihr noch mit auf den Weg und schlug dann die Taxitür zu.
Neblige Wolken umfingen die sich verdunkelnde Skyline von Seattle. Sam lief zu Fuß bis zur nächsten Ecke und schlenderte die zwei Blocks bis zum Rainier Club in der Fourth Avenue weiter. Der Stadtlärm hallte von den Gebäuden wider, und er betrachtete sich prüfend im Schaufenster. Eine leichte Brise fuhr ihm unters Revers und wehte die blonde Haarsträhne hoch, die ihm in die Stirn fiel. Die feuchtkalte Luft veranlasste ihn dazu, seinen Blazer doch lieber zuzuknöpfen.
Er konzentrierte sich wieder auf den überfüllten Bürgersteig, und nach kurzer Zeit erblickte er den traditionsreichen, exklusiven Club mit der alten Backsteinfassade und dem gepflegten Rasen, der förmlich nach Geld stank. Während er die Straße entlangging, drehten sich Passanten nach ihm um, von denen einige sogar seinen Namen riefen. Er hob zwar zum Gruß die Hand, lief aber weiter. Dieses Ausmaß an Beachtung war neu für ihn. Klar, er hatte seine Fans. Sogar eine Menge. Die seine Karriere verfolgten und auf ihren Trikots stolz seinen Namen und seine Spielernummer trugen. Doch seit dem Pokalgewinn im Juli hatte sich sein Bekanntheitsgrad um das Hundertfache gesteigert, was durchaus okay für ihn war. Seine Fans wollten bloß Autogramme oder ihm die Hand schütteln, und damit kam er klar.
Nach der Hälfte des Blocks überquerte er die Straße. Das Leben meinte es gut mit Sam. In der letzten Saison hatten die Seattle Chinooks den Stanley-Cup gewonnen, und sein Name wäre bis in alle Ewigkeit auf der höchsten Eishockeyauszeichnung eingraviert. Die Erinnerung, wie er, den Pokal über den Kopf gereckt, vor den Zuschauern im Heimstadion seine Siegesrunde auf dem Eis gedreht hatte, zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen.
Seine Karriere befand sich auf dem Höhepunkt. Mit Blut, Schweiß und Schinderei hatte er alle Ziele erreicht, die er sich je gesteckt hatte. Er verdiente mehr Geld, als er je für möglich gehalten hätte, und investierte es mit Vorliebe in Immobilien, Designeranzüge, guten Wein und schöne Frauen.
Als er unter die schwarze Markise des Rainier Clubs trat, begrüßte ihn ein Empfangsportier. Sein Privatleben lief auch ziemlich rund. Eine feste Freundin hatte er zwar nicht, aber das war ganz nach seinem Geschmack. Die Frauen waren verrückt nach ihm, und er nach ihnen. Manchmal vielleicht ein bisschen zu sehr.
Die Inneneinrichtung des exklusiven Clubs war so spießig, dass er den Drang verspürte, die Schuhe auszuziehen, wie früher als kleiner Junge, wenn seine Mom einen neuen Teppich erstanden hatte. Ein paar seiner Mannschaftskameraden lungerten am Fuß der breiten Treppe herum und schienen sich leicht unwohl zu fühlen, sahen ansonsten allerdings gut aus mit ihren teuren Anzügen und ihrer Sommerbräune. In zwei Monaten würden einige von ihnen mit mindestens einem blauen Auge und mit genähten Wunden im Gesicht rumlaufen.
»Schön, dass du’s noch geschafft hast«, meinte Stürmer Daniel Holstrom, als Sam sich näherte.
Harfenmusik waberte die Treppe hinab. Sam schob die Manschette seines Smokinghemds zurück und sah auf seine TAG-Heuer-Herrenuhr. »Noch zehn Minuten«, verkündete er. »Worauf wartet ihr noch?«
»Vlad und Logan sind noch nicht da«, antwortete Torwart Marty Darche.
»Ist Savage denn hier?«, fragte Sam, womit er den Bräutigam und ehemaligen Chinooks-Kapitän, Ty Savage, meinte.
»Ich hab ihn etwa vor zehn Minuten gesehen«, erwiderte Daniel. »Das erste Mal, dass er jenseits der Eisfläche in Schweiß ausbricht. Zumindest soweit ich weiß. Wahrscheinlich hat er Angst, dass die Braut zur Vernunft gekommen und auf halbem Weg nach Vancouver ist.«
Marty senkte verschwörerisch die Stimme. »Da oben warten mindestens vier Playmates auf uns.«
Was keine Überraschung war, wenn man in Betracht zog, dass die Braut nicht nur die Eignerin der Seattle Chinooks, sondern in grauer Vorzeit auch einmal Playmate des Jahres gewesen war. »Wird bestimmt ’ne tolle Party«, lachte Sam, der aus den Augenwinkeln einen glänzenden rotbraunen Pferdeschwanz und ein sanftes Profil wahrnahm. Als er sich umdrehte, blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Alles in ihm kam zum Stillstand, während sein Blick der Frau mit dem Pferdeschwanz folgte, die durch die Lobby auf die Eingangstüren zusteuerte. Sie trug ein Headset und gab Anweisungen in das winzige Mikrofon vor ihrem Mund. Ein schwarzer Pullover schmiegte sich an ihren Körper, und an ihrer schwarzen Hose war ein Mini-Akku befestigt. Irritiert zog Sam die Augenbrauen zusammen, und in seinem Magen sammelte sich Säure. Wenn es auf diesem Planeten eine Frau gab, die ihn nicht liebte, die ihn sogar abgrundtief hasste, war es die Frau, die gerade durch die Eingangstüren verschwand.
Daniel legte ihm die Hand auf die Schulter. »Hey, Sam, ist das nicht deine Frau?«
»Du hast eine Frau?« Marty wandte sich neugierig nach vorn.
»Exfrau.« Die brennende Säure in seinem Magen stieg langsam nach oben.
»Ich wusste gar nicht, dass du mal verheiratet warst.«
Daniel lachte, als fände er das saukomisch.
Sam warf Daniel aus den Augenwinkeln einen strafenden Blick zu. Eine stumme Warnung, die den Flügelstürmer nur noch lauter lachen ließ, doch wenigstens hielt er die Klappe und behielt die schmutzigen Details über Sams feucht-fröhlichen Ausflug zu einer kitschigen Hochzeitskapelle in Las Vegas für sich.
Bevor er die Treppe hinaufstieg, richtete er seine Aufmerksamkeit noch einmal kurz auf den Eingangsbereich. Die Frau hieß Autumn, und genau wie der Herbst war sie schön und unberechenbar. An einem Tag war sie angenehm warm, und schon am nächsten so kalt, dass es einem die Eier abfror.
Er erreichte das erste Stockwerk und kam an der Harfenspielerin vorbei. Sam liebte keine Überraschungen. Es gefiel ihm gar nicht, wenn ihn etwas unvorbereitet traf. Lieber wusste er gern vorher, woher die Schläge kamen, damit er sich dagegen wappnen konnte.
Er lief über den kurzen Flur, in dem sich nur noch wenige Hochzeitsgäste aufhielten. Er hatte nicht damit gerechnet, Autumn heute Abend hier zu sehen, doch allzu überrascht hätte er wohl nicht zu sein brauchen. Schließlich war sie Hochzeitsplanerin, oder, worauf sie großen Wert legte, »Event-Managerin«. Wo war da der Unterschied? Hochzeit oder Event, es war derselbe verdammte Zirkus. Aber es war typisch für Autumn, eine solche Bagatelle derart aufzubauschen.
»Möchten Sie sich ins Gästebuch eintragen?«, fragte ihn eine Frau, die an einem runden Tischchen saß. Normalerweise unterschrieb Sam nur in Gegenwart seines Anwalts, doch die Frau mit den großen braunen Augen ließ ein Lächeln aufblitzen, und er trat auf sie zu. Sie trug ein enges rotes Oberteil, das über der Brust spannte, und ein funkelndes Band in ihren dunklen Haaren.
Sam war ein großer Fan von eng und funkelnd und erwiderte ihr Lächeln. »Klar.« Sie reichte ihm einen albernen Füller mit einer großen weißen Feder. »Hübsches Haarband.«
Anscheinend war sie nicht an Komplimente gewöhnt, denn sie betastete errötend ihren Kopf. »Machen Sie sich lustig über mich?«
»Nein. Es sieht gut aus in Ihren Haaren.«
»Danke.«
Als er sich vorbeugte, streifte seine Krawatte das weiße Leinentischtuch. »Sind Sie mit der Braut oder mit dem Bräutigam verwandt?«
»Weder noch. Ich arbeite für Haven Event Management.«
Sein Lächeln erstarb. Das bedeutete, dass sie für Autumn tätig war. Autumn Haven. Während ihr Vorname zu ihr passte wie die Faust aufs Auge, war ihr Nachname, der »Hafen« bedeutete, ein krasser Widerspruch in sich. Wie Riesenkrevette, stummer Schrei oder verschmuster Puma.
»Na dann viel Spaß«, meinte Sam sarkastisch und gab Autumns Angestellter den Füller zurück. Er legte die kurze Strecke zum großen Saal zurück, wo ein Platzanweiser Sam zu einem Stuhl relativ weit vorn führte. Er schritt über einen roten Teppich, der mit weißen Rosenblütenblättern übersät war. Die meisten Plätze waren bereits von diversen Eishockeyspielern samt Ehefrauen oder Freundinnen besetzt. Zwischen Exkapitän Mark Bressler und Faiths Assistent Jules Garcia entdeckte er die Ross-Zwillinge, Bo und Chelsea. Die Zwillinge arbeiteten in der einen oder anderen Funktion für die Chinooks-Organisation und waren besser unter ihren Spitznamen Mini-Pit und Kleiner Boss bekannt.
Er nahm einen der letzten freien Plätze neben Frankie »der Sniper« Kawczynski ein. Ganz vorne stand ein Mann im blauen Anzug mit einer Bibel in der Hand vor einem riesigen Steinkamin, der mit roten Rosen und irgendwelchen weißen Blumen geschmückt war. Das musste der Prediger sein, vielleicht auch ein Friedensrichter. Aber eines war sicher, ein falscher Elvis war er nicht.
»Hey, Sam. Lungern Daniel und Marty noch immer unten rum?«
»Ja.« Sam sah auf die Uhr. Wenn sie es noch vor der Braut schaffen wollten, sollten sich die Jungs lieber sputen. Dies war eines der Ereignisse, zu denen die Spieler pünktlich erscheinen mussten, und die Teilnahme an der Hochzeit von Faith Duffy, Eignerin der Seattle Chinooks, ganz abzusagen, war undenkbar. Ansonsten würde Sam nicht im Anzug hier hocken und darauf warten, dass die Show endlich begann. Und sich vor den Reizen seiner Exfrau fürchten.
Aus der Musikanlage dröhnte irgendwelche Hochzeitsmucke, und Sam warf einen Blick über die Schulter, als eine Frau, die er als Mutter der Braut wiedererkannte, den Saal betrat. Statt ihrer sonst knallengen Klamotten und ihren protzigen Klunkern trug sie heute ein schlichtes rotes Kleid. Ihre einzigen Accessoires bestanden aus einem Blumensträußchen und dem winzigen weißen Kläffer, den sie auf dem Arm trug. Der wie alle kleinen Kläffer große Ohrmuscheln hatte. In Rot, passend zu seinen Nägeln.
Dicht hinter der Brautmutter betraten Ty Savage und sein Vater Pavel den Raum. Vater und Sohn waren Eishockeylegenden, und jeder, der sich auch nur annähernd für den Sport interessierte, hatte den Namen Savage schon einmal gehört. Sam hatte Pavel von frühster Kindheit an beim »Old School«-Eishockey zugesehen, bei dem es noch keine Schutzhelme und Kampfregeln gab. Später hatte Sam dann sowohl mit als auch gegen Ty gespielt und war unbestritten einer der besten Spieler, die sich je ein Paar Schlittschuhe zugeschnürt hatten. Beide Männer steckten in traditionellen schwarzen Smokings, und einen unbehaglichen Augenblick lang blitzte vor Sams geistigem Auge seine eigene Hochzeit auf. Nur dass er statt eines Smokings ein BELIEVE-T-Shirt von Cher und Jeans getragen hatte. Er wusste nicht, was demütigender gewesen war, die Hochzeit oder das T-Shirt.
Ty und Pavel nahmen ihre Plätze gegenüber der Brautmutter vor dem Kamin ein. Ty wirkte ganz ruhig. Gar nicht nervös oder von der Angst getrieben, einen Riesenfehler zu begehen. Vermutlich hatte Sam auf seiner Hochzeit auch recht ruhig gewirkt. Natürlich war er hackevoll gewesen. Das war die einzige Erklärung für sein Handeln. Der Schrecken des Ganzen war erst am nächsten Morgen bis in sein Hirn vorgedrungen. Die Erinnerung an seine hackevolle Hochzeit mied er wie eine Hure die Sittenpolizei. Auch jetzt schob er sie weit weg und verschloss sie sicher dort, wo er alle unangenehmen Erinnerungen und ungewollten Gefühle verwahrte.
Die leise Harfenmusik ging in den Hochzeitsmarsch über, und als die Braut den Saal betrat, erhoben sich alle. Faith Duffy war eine der schönsten Frauen auf dem Planeten. Groß und blond, mit einem fantastischen Gesicht. Wie eine Barbiepuppe. Perfekte Brüste. Und er fand nicht, dass er ein Perversling war, nur weil ihm ihr Busen auffiel. Schließlich war sie Playmate des Jahres gewesen, und die meisten Männer hier im Saal hatten ihre Fotostrecke bewundert. Heute trug sie ein eng anliegendes weißes Kleid, das sie vom Hals bis zu den Knien verhüllte. Über den hauchdünnen Schleier auf Faiths Kopf hinweg erhaschte er einen Blick auf Autumn, die hinten in den Saal schlüpfte. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie ihn als unreif und egoistisch beschimpft, ihm vorgeworfen, ein verantwortungsloser geiler Bock zu sein, und ihre Tirade mit dem Vorwurf beendet, Fußpilz im Gehirn zu haben. Was nicht stimmte. Er hatte noch nie Fußpilz gehabt, nicht mal am Fuß, und hatte ihr das sehr übel genommen. Er hatte die Beherrschung verloren und sie eine zickige Kneifzange genannt. Was in ihrem Fall auch stimmte, aber das war noch nicht das Schlimmste gewesen. Nein, das Schlimmste war der Ausdruck in den blauen Augen seines dreijährigen Sohnes Conner gewesen, der plötzlich hinter dem Sofa auftauchte. Als hätten seine Eltern ihm eigenhändig einen Dolch ins Herz gestoßen. Das war das Schlimmste daran gewesen. Nach diesem Abend hatten sie einvernehmlich beschlossen, dass es das Beste wäre, sich nicht mehr am selben Ort aufzuhalten. Deshalb war es heute das erste Mal, dass er sich mit Autumn im selben Gebäude befand, sie überhaupt sah, seit wie lange inzwischen? Zwei Jahre vielleicht?
Zwanzig Monate, zwei Wochen und drei Tage. So lange war es her, seit Autumn das Pech hatte, sich im selben Raum aufzuhalten wie der größte Idiot auf dem Planeten. Wenn nicht auf dem Planeten, dann wenigstens an der Pazifikküste. Und das waren eine Menge Idioten.
Sie stand ganz hinten im Cutter Room des Rainier Clubs, den Blick auf die Braut gerichtet, die ihren Strauß aus weißen Pfingstrosen, Hortensien und tiefroten Rosen jetzt ihrer Mutter reichte. Faith nahm ihren Platz gegenüber dem Bräutigam ein, der nach ihrer Hand griff, sie ganz spontan an die Lippen hob und küsste. In den letzten Jahren hatte Autumn eine Menge Hochzeiten geplant. So viele, dass sie ganz gut vorhersagen konnte, welche Paare es langfristig schaffen würden. Sie erkannte es an der Art und Weise, wie sie miteinander sprachen und einander berührten und wie sie mit dem Stress umgingen, den die Planung einer Hochzeit mit sich brachte. Und sie prophezeite, dass Ty und Faith gemeinsam steinalt werden würden.
Als die Hochzeitsgäste wieder Platz nahmen und der Geistliche mit der Trauungszeremonie begann, senkte Autumn den Blick auf den leicht gerundeten Bauch der Braut. Erst vor wenigen Wochen war sie telefonisch von Faith darum gebeten worden, den Champagner am Tisch der Brautleute durch Cidre zu ersetzen. Nach drei Monaten fiel ihre Schwangerschaft noch kaum auf. Die Braut gehörte zu den glücklichen Frauen, die vor Gesundheit nur so strotzten.
Im Gegensatz zu Autumn. Sie hatte schon ab dem dritten Monat ihre Jeans nicht mehr zugekriegt und an morgendlicher Übelkeit gelitten, bevor sie überhaupt wusste, dass sie mit Conner schwanger war. Dementsprechend blass war sie dann auch gewesen. Und anders als Faith Duffy hatte sie keinen Mann gehabt, der sie umsorgte, ihr die Hand küsste und ihr das Gefühl gab, sicher und geborgen zu sein. Stattdessen war sie ganz allein gewesen, hatte sich krank und elend gefühlt und eine Scheidung durchlitten.
Auch ohne Sam direkt anzusehen, wusste sie haargenau, wo er saß. War sich seiner breiten Schultern in dem teuren Anzug bewusst und darüber im Bilde, dass das Licht vom Kronleuchter in seinem blonden Haar leuchtete. Als sie unauffällig in den Raum geschlüpft war, hatte sie sich nicht einmal umschauen müssen, um zu wissen, dass er in der vierten Reihe unmittelbar am Gang saß. Sie spürte es einfach. Wie den Spannungskopfschmerz, der sich wie ein Ring um ihre Schläfen legte. Den brauchte sie auch nicht erst zu sehen, um zu wissen, dass er da war. Aber anders als bei den Kopfschmerzen konnte sie gegen Sam LeClaire nichts unternehmen, um ihn wieder loszuwerden.
Nervös tippte sie mit dem Finger auf die Event-Mappe in ihrer Hand. Natürlich hatte sie gewusst, dass Sam unter den Gästen wäre. Es gehörte zu ihrem Service, dafür zu sorgen, dass die Einladungen rechtzeitig abgeschickt und die Rückmeldungen kontrolliert wurden. Gemeinsam mit der Braut hatte sie die Tischordnung höchstpersönlich festgelegt und Sam mit drei anderen ledigen Eishockeyspielern und diversen großbusigen Playmates an Tisch sieben platziert.
Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. Das gefiele ihm sicher.
Autumns Headset piepste, und sie drehte die Lautstärke leiser, während Ty und Faith ihr traditionelles Ehegelübde ablegten. Die Zeremonie war kurz und schmerzlos, und als der Bräutigam nach seiner Braut griff, hielt Autumn den Atem an. Auch nach den unzähligen Hochzeiten, die sie im Laufe der letzten Jahre organisiert hatte, selbst bei den Paaren, bei denen sie von Anfang an wusste, dass ihre Ehe scheitern würde, hielt sie den Atem an. Sie war zwar nicht die romantischste Frau auf der Welt, aber diesen Bruchteil einer Sekunde wartete sie trotzdem ab. Diesen kurzen magischen Moment, bevor ein Kuss einen Mann für den Rest seines Lebens mit seiner Frau verband.
Als Tys und Faiths Lippen sich berührten, verspürte sie im Herzen einen leisen Stich. Sie war eine Idiotin. Ungeachtet der Statistiken, ihrer eigenen schmerzlichen Scheidung und der zynischen Stimme in ihrem Kopf glaubte sie noch immer an eine Liebe wie im Märchen.
Trotz allem.
Für den Bruchteil einer Sekunde fiel Autumns Blick auf Sams blonden Hinterkopf. Der Ring um ihre Schläfen drückte noch ein bisschen fester, der Schmerz stach jetzt ins rechte Auge, und sie verließ den Saal. Viele Jahre lang hatte sie Sam gehasst. Mit glühender Leidenschaft, aber dieser alles verzehrende Hass raubte ihr zu viel emotionale Energie. Nach ihrem letzten Streit mit ihm hatte sie deshalb zum Wohle ihres Sohnes und ihrer eigenen geistigen Gesundheit beschlossen, sich von ihrer Wut zu verabschieden. Ihren Hass loszulassen. Was leider auch hieß, sich von ihrer Lieblingsfantasie zu verabschieden. Von der, in der ihr Fuß, seine Eier und ein Haken auf sein attraktives Kinn eine tragende Rolle spielten.
Immerhin hatte sie Sam nie den Tod an den Hals gewünscht, nicht mal eine langfristige Verstümmelung. Sich nie in Fantasien ergangen, in denen sie Sam mit einer Dampfwalze, einem Schwerlaster oder einem Sattelschlepper überrollte. Nein, nichts derart Brutales. Conner brauchte einen Vater, egal, wie beschissen er war, und mit Ausnahme ihrer Eiertritt-Fantasie war sie schlicht und ergreifend kein gewalttätiger Mensch.
Sich von ihrem Hass zu verabschieden war nicht leicht gewesen. Schon gar nicht, wenn Sam sich mit Conner verabredete und dann absagte. Oder wenn es sein Besuchswochenende war und er stattdessen mit seinen Kumpels irgendwo hinfuhr und Conner das Herz brach. Sie hatte hart daran arbeiten müssen, ihre Wut loszulassen, und war inzwischen ziemlich gut darin, überhaupt nichts mehr für ihn zu empfinden. Aber andererseits hatte sie Sam jetzt seit zwanzig Monaten, zwei Wochen und drei Tagen nicht mehr gesehen. Nicht mal von weitem.
Hinter Autumn brach Applaus los, als sie durch den Flur in den Cascade Room lief. Sie schlängelte sich zwischen zwanzig runden Tischen hindurch, die mit feinem weißem Leinen und roten Servietten eingedeckt waren, die kunstvoll gefaltet auf edlem Wedgwood-Porzellan lagen. Das Licht von den Kronleuchtern und den flackernden Spitzkerzen leuchtete in den Kristallgläsern und wurde von dem polierten Silberbesteck reflektiert.
Schon bei ihrem ersten Treffen mit Faith hatte die Braut ihren Wunsch nach unaufdringlicher Eleganz geäußert. Sie hatte sich fantastische Blumen, wunderschöne Tischgedecke und hervorragendes Essen gewünscht. Dass Faith kein bestimmtes Motto vorschwebte, war kein Problem gewesen, und so war sie im Handumdrehen zu Autumns Lieblingskundin geworden.
Eine Braut mit gutem Geschmack und ohne Budgetbegrenzung. Die einzigen echten Probleme hatten sich aus zeitlichen Zwängen ergeben. Normalerweise brauchte man für die Planung einer Hochzeit acht Monate, aber Faith hatte alles in drei Monaten abwickeln wollen. Während sie die prächtigen Blumengestecke aus verschiedenfarbigen Rosen und Pfingstrosen mit vereinzelten weißen Geißblattblüten bewunderte, empfand Autumn Stolz auf das, was sie gemeinsam mit ihrem Personal auf die Beine gestellt hatte.
Allerdings wäre diese Hochzeit noch perfekter gewesen, wenn Faith der Veröffentlichung ihrer Hochzeitsfotos in der lokalen und landesweiten Presse zugestimmt hätte. Ihre Trauung mit dem Elitespieler Ty Savage, der seinen geliebten Sport an den Nagel gehängt hatte, um ein ehemaliges Playmate zu heiraten, das sich inzwischen zur Eignerin einer Eishockeymannschaft gemausert hatte, war eine Sensation. Insbesondere in der Welt des Sports. Diese Art von Werbung wäre für Autumn unbezahlbar gewesen und hätte ihrer Firma einen ungeheuren Schub geben können. Das wäre die Chance gewesen, auf die sie schon lange wartete, doch Faith hatte ihre Zustimmung verweigert. Sie hatte keine große Sache aus ihrer Hochzeit machen wollen. Keine Fotos. An niemanden.
Autumn gab einen Befehl in ihr winziges Mikrofon, und das Catering-Personal marschierte im Smoking aus der Küche die Treppe hinab. Jeder Mitarbeiter trug ein Tablett mit Moët Chandon in Sektflöten oder mit warmen und kalten Vorspeisen in den großen Saal und mischte sich unter die Hochzeitsgäste.
Durch die offene Tür beobachtete Autumn, wie der Fotograf, Fletcher Corbin, und sein Assistent Chuck um gute Fotos kämpften. Fletcher war groß und dünn, mit einem noch dünneren Pferdeschwanz. Er war einer der besten Fotografen in der Branche, und Autumn buchte ihn immer, wenn er Zeit und die Braut das Geld dazu hatte. Sie arbeitete gern mit ihm, weil sie ihm nicht zu sagen brauchte, was er tun sollte oder was für Aufnahmen sich die Braut wünschte. Das schätzte sie an Fletcher und den meisten Anbietern bei dieser speziellen Veranstaltung am meisten. Sie beherrschten ihr Handwerk. Sie passten sich an, ohne großes Aufhebens darum zu machen.
Umringt von ihren Gästen standen Braut und Bräutigam jetzt mitten im großen Saal. Autumn drehte die Innenseite ihres Handgelenks nach oben und schob den langen Ärmel des schwarzen Vintage-Pullovers zurück, den sie in einer ihrer Lieblingsboutiquen in der Seattler Innenstadt gefunden hatte. Er war am Halskragen mit winzigen Pailletten besetzt und für vierzig Dollar das reinste Schnäppchen gewesen.
Sie sah auf die Uhr und schob den Ärmel wieder nach unten. Seit ihrem ersten Auftrag als Wohnungsverschönerin hatte sie das Zifferblatt ihrer Uhr auf der Innenseite des Handgelenks getragen, um das Uhrenglas nicht zu zerkratzen. In den vergangenen fünf Jahren jedoch trug sie aus einem ganz anderen Grund eine Uhr mit großem Zifferblatt und breitem Armband.
Die Hochzeit hinkte fünf Minuten hinter dem Zeitplan her. Nicht übel, aber sie wusste nur allzu gut, dass aus fünf Minuten ganz leicht zehn werden konnten. Und aus zehn zwanzig, und dann gäbe es Probleme mit der Koordinierung mit der Küche.
Sie drückte einen Knopf an dem Receiver an ihrem Gürtel und lief zum hinteren Ende des Raumes. Sie klemmte sich ihre Mappe unter den Arm und griff nach der Flasche mit Cidre, die in einem silbernen Eiskübel auf dem Tisch der Braut stand.
»Ich bin hier«, meldete sich ihre Assistentin Shiloh Turner.
»Wo ist hier?« Sie zog die Goldfolie ab und umfasste den Flaschenhals.
»Im Cutter Room.«
»Irgendwelche Nachzügler?«
»Die Trauzeugin der Braut und der Trauzeuge des Bräutigams plaudern angeregt am Kamin. Sie sehen nicht so aus, als hätten sie es eilig.«
Schon von dem Tag an, als die Brautmutter darauf bestanden hatte, dass ihr kleiner Kläffer Bestandteil der Zeremonie werden sollte, hatte sie geargwöhnt, dass die Frau zum Problem werden könnte. Gestern Abend beim Probedinner war sie in rosafarbenem Elasthan und hochhackigen Stripperschuhen aufgekreuzt und hatte Autumns Verdacht bestätigt. »Gib ihnen noch ein paar Minuten, und tu dann dein Möglichstes, um sie zum Weitergehen zu animieren«, bat sie und machte sich an dem Korken zu schaffen, bis er mit einem leisen Plopp herausflutschte.
Winzige kohlensäurehaltige Bläschen sprudelten leise, während sie den Cidre in zwei Sektflöten aus Kristall goss. Es gab noch viel zu tun, und sie ging im Geiste die Liste durch. Die Planung einer Hochzeit war aufwendig, selbst wenn es nur eine kleine war. Alles musste perfekt terminiert werden, und schon der geringste Patzer konnte eine Traumhochzeit in eine absolute Katastrophe verwandeln.
In Gedanken ganz bei ihrer Liste, stellte Autumn die Flasche zurück in den Kübel und schnappte sich die Gläser. Sie wandte sich wieder zum Saal und wäre fast mit dem Kopf zuerst gegen eine breite Brust unter einem weißen Hemd, einer blau gestreiften Krawatte und einem marineblauen Blazer gerannt. Ihre Ledermappe rutschte ihr weg, als sie den Blick über den Krawattenknoten an dem kräftigen Hals, das markante Kinn, die hellbraunen Lippen und die leicht schiefe Nase gleiten ließ, bis er an einem Augenpaar mit der Farbe eines heißen Sommerhimmels hängen blieb.
Aus der Nähe sah Sam sogar noch besser aus. So gut wie an dem Abend, als sie ihn in einer überfüllten Bar in Las Vegas zum ersten Mal gesehen hatte. Einen großen, blonden, blauäugigen Gott, der vom Himmel herabgestiegen war. Doch die Nase, die Narbe auf seinen hohen Wangenknochen und sein Schwerenöter-Lächeln hätten ihr schon damals eine Warnung sein müssen, dass er alles andere als ein Engel war.
Ihr Magen krampfte sich zusammen, doch sie stellte zufrieden fest, dass der Grund dafür nicht brennender Groll war. Sie verspürte auch nicht den Wunsch, ihn in die Eier zu treten. Auch wenn sie Sam nicht mochte, er hatte ihr das schönste Geschenk ihres Lebens gemacht. Sie wusste nicht, wie ihr Leben ohne Conner aussähe. Sie wollte nicht mal drüber nachdenken, und aus diesem Grund, und aus diesem Grund allein, biss sie die Zähne zusammen und setzte ein falsches Lächeln auf. Dasselbe Lächeln, das sie bei Bräuten aufsetzte, die sich weiße Tiger wünschten oder auf einem rosafarbenen Thron zum Altar getragen werden wollten. Sie würde freundlich zu ihm sein, selbst wenn es sie umbrachte.
Und das war durchaus möglich.
ZWEI
Der richtige Mann für mich:
hat ein normal großes Ego
Sam drehte sich verwundert um. Er hatte schon so lange nicht mehr erlebt, dass sich Autumns rote Lippen zu einem freundlichen Lächeln verzogen. Also konnte auf keinen Fall er gemeint sein.
Aber außer ihm war niemand im Raum. Er drehte sich wieder zu ihr, legte den Kopf schief und versuchte, ihre Laune einzuschätzen. »Hallo, Autumn.«
Ihr Lächeln geriet ins Wanken. »Sam.«
»Lange nicht gesehen.«
»Ungefähr ein Jahr.«
Er suchte in ihren dunkelgrünen Augen nach den Vorboten irgendwelchen Ärgers. »Etwas länger, glaub ich.« Zum Glück sah er kein Gewitter darin aufziehen und verspürte kein Bedürfnis, seine Kronjuwelen zu schützen. »Ich hab dich eben schon gesehen und dachte, ich sag nur mal kurz hallo, damit du weißt, dass ich hier bin.« In Wahrheit hatte er mit ihr reden wollen, um ihre Reaktion einzuschätzen und potenzielle Probleme im Keim zu ersticken.
»Das wusste ich schon. Du stehst auf der Gästeliste.«
»Ach so. Klar.« Er bückte sich und hob ihr die Mappe auf. »Hast du einen Drink nötig?«, witzelte er, als er sich wieder aufrichtete.
»Das ist Cidre, und der ist nicht für mich.«
Von den heutigen Gästen hätte er keinen für einen Abstinenzler gehalten. Wenigstens keinen von denen, die er kannte. »Was treibt denn Conner heute Abend?«
»Hängt mit Vince ab.«
Vince. Die männliche Ausgabe von Autumn. Nur größer. Fieser und aufs Töten gedrillt. Sam hasste Autumns Bruder Vince. »Und wie geht’s dir so?«
»Gut.« Sie blickte auf die große silberne Armbanduhr an ihrem Handgelenk, deren rundes Zifferblatt auf ihrem Puls ruhte, und er fragte sich, ob dort noch immer sein Name eintätowiert war oder ob sie ihn hatte entfernen lassen. »Ich würde ja gern noch bleiben und den ganzen Abend mit dir plaudern, aber ich muss arbeiten«, flötete sie mit diesem Lächeln, das Sam nicht eine Sekunde lang täuschte. Sie spreizte den Ellbogen ab, und er schob ihr die Ledermappe wieder unter die Achsel. »Danke. Amüsier dich gut.« Sie ließ ihn stehen und stolzierte aus dem Saal. Sam drehte sich um und sah ihr nach. Das lief gut. Irgendwie zu gut. Er verließ sich besser nicht darauf, dass sie ihn nicht doch noch kalt erwischte und ihm heimlich Arsen oder ein Abführmittel ins Essen mischte. Vielleicht sogar beides, damit er möglichst jämmerlich verreckte.
Sein Blick glitt von ihrem rötlichen Pferdeschwanz über ihren schmalen Rücken zu den hübschen Kurven ihrer Hüfte. Die Patten der zwei Gesäßtaschen lenkten seine Aufmerksamkeit auf ihren drallen Hintern. Autumn war eine hübsche Frau, ohne Zweifel, aber hinreißend war sie nicht. Sie hatte sanfte Rundungen an all den richtigen Stellen. Eine schlanke Taille und schöne Brüste, und er hielt sich auch nicht für einen Perversling, weil er so dachte. Schließlich hatte er sie nackt gesehen, allerdings war ihr Körper im Grunde nichts Besonderes. Sie war nicht sein Typ. Er mochte große dünne Frauen mit Riesentitten. Hatte immer den überkandidelten Typ anziehend gefunden. Warum also hatte er in jenen wenigen Tagen in Las Vegas eine derart durchschnittliche Frau so verdammt faszinierend gefunden?
Sam verließ den Saal ebenfalls und mischte sich wieder unter die Gäste, die gerade mit Champagner auf das Brautpaar anstießen. Er hätte seine seltsame Faszination für Autumn auf Las Vegas schieben können. In dieser Stadt kam einem nie etwas real vor. Oder auf den Alkohol. Der war in Strömen geflossen. Oder darauf, dass damals Juni war. Im Juni spielte er immer ein bisschen verrückt, doch er war sich nicht sicher, ob es an einem dieser Aspekte gelegen hatte.
Er schnappte sich von einem vorbeischwebenden Tablett ein neues Glas Champagner und stellte das leere zurück. Das Einzige, was ihm wirklich klar war, dessen er sich hundert Prozent sicher war, war, dass er in einer Bar eine rothaarige Frau kennengelernt, sie drei Tage später geheiratet und am nächsten Morgen wie ein benutztes Badetuch bei Caesar’s zurückgelassen hatte. Er verstand, warum Autumn ihn hasste. Er begriff es und konnte es ihr nicht verübeln. Sein damaliges Verhalten gehörte nicht zu seinen glorreichsten Momenten. Nur traurig, dass es auch nicht sein schlechtester gewesen war.
Durch die Menschenmenge, die sich jetzt um Ty und Faith scharte, erhaschte er wieder einen Blick auf den rötlichen Pferdeschwanz. Die Gästeschar teilte sich für einen kurzen Moment, und er beobachtete, wie Autumn dem Brautpaar zwei Sektgläser mit Cidre reichte. Es konnte nur einen Grund geben, warum Ty und Faith auf ihrer eigenen Hochzeit keinen Schampus tranken. Und der war nicht, dass sie plötzlich zum Glauben gefunden hatten.
Autumn zog sich diskret zurück, und Sam verlor sie aus den Augen. Ty und Faith freuten sich bestimmt auf das Kind. Sie sahen glücklich aus.
Sam schlürfte einen Schluck aus der kristallenen Sektflöte. Er selbst war vor sechs Jahren nicht gerade happy gewesen, als er erfuhr, dass er Vater würde; doch das hatte sich geändert, als er erfahren hatte, dass Conner wirklich sein Sohn war, und er ihn zum ersten Mal im Arm hielt.
»Hey, Sam.«
Er warf einen Blick hinter sich, wo der neueste Assistenztrainer der Mannschaft, Mark »der Hitman« Bressler, stand. Bis ungefähr vor einem Jahr war Mark ein Elite-Eishockeyspieler und Kapitän der Chinooks gewesen. Doch letzten Winter hatte er einen furchtbaren Autounfall gehabt, der seiner Karriere ein jähes Ende gesetzt hatte. Danach hatte Ty Savage Marks Platz in der Mannschaft eingenommen. »Scheint, als hätte der Kapitän unserer Besitzerin einen Braten in die Röhre geschoben.« Er deutete mit seinem Glas auf das glückliche Paar. »Das muss beim Eishockey eine Premiere sein.«
»Himmelherrgott, LeClaire. Achte auf deine Ausdrucksweise!«
»Welche Ausdrucksweise?« Hatte er geflucht, ohne was davon zu merken?
»Hier sind Damen anwesend.«
Er hatte nur Braten in die Röhre geschoben gesagt. Seit wann war Braten in die Röhre geschoben eine fragwürdige »Ausdrucksweise« und Himmelherrgott nicht? Und seit wann interessierte Bressler das? Sam senkte den Blick auf die Blondine an Marks Seite, auf deren Rücken zärtlich seine Hand ruhte. Ah ja. »Hallo, Kleiner Boss.«
»Hey, Sam«, antwortete Chelsea, deren Aufmerksamkeit von der Braut gefesselt war. »Faith ist schwanger? Bist du dir da sicher?«
Er zuckte mit den Schultern. »Mir fällt kein anderer Grund ein, warum Ty und sie statt edlem Schampus beschissenen Cidre trinken.«
»Oh mein Gott!« Ihre blauen Augen leuchteten, und sie strich sich aufgeregt eine Haarsträhne hinter die Ohren. »Ich erfahre mal was vor meiner Schwester.«
Der Ring an ihrer linken Hand ließ ihn fast erblinden. »Das ist ja ein Klunker!«
Lächelnd hielt sie die Hand hoch. »Ist er dir aufgefallen?«
»Der ist schwer zu übersehen.« Er war sich ziemlich sicher, dass der mürrische Kerl an ihrer Seite ihn ihr geschenkt hatte. »Schätzchen, brich mir nicht das Herz, indem du mir sagst, dass du ab jetzt tabu bist.«
Sie grinste. »Tut mir leid.«
Er nahm ihre Hand und betrachtete den riesigen Diamanten. »Ist der echt, oder hat irgendein Witzbold dir einen geschliffenen Zirkonia geschenkt?«
»Na klar ist der echt, du dummer Sack.«
»Achte auf deine Ausdrucksweise!«, erinnerte er Mark und ließ Chelseas Hand wieder los. »Hier sind Damen anwesend.« Er sah sich nach Chelseas Zwillingsschwester um. »Ist deine Schwester auch noch hier? Sie ist zwar nicht so nett wie du, aber …«
»Sie ist inzwischen auch vergeben.«
»Verdammt.« Lächelnd streckte er seinem Freund und ehemaligen Mannschaftskameraden die Hand hin. »Meinen Glückwunsch. Du bist ein Glückspilz.«
Mark schüttelte Sam die Hand, während er den Arm um seine Verlobte schlang und sie besitzergreifend an sich zog. »Ja, ich Glückspilz.« Chelsea blickte zu Mark auf, und die beiden lächelten sich an, als amüsierten sie sich über einen Insiderwitz. Wie es Verliebte eben taten.
Sam hob sein Glas. Was er selbst nie tat, weil er es rührselig und nervig fand. Er hätte nie im Leben geglaubt, dass der Hitman einer dieser rührseligen, nervigen Typen wäre. »Bis später, ihr zwei«, murmelte er verlegen und verzog sich, bevor sie noch mit Knutschen anfingen oder so was in der Art.
Er kämpfte sich durch die Menschenmenge zum Brautpaar vor. »Gratuliere, Ty«, sagte er herzlich und schüttelte dem Bräutigam die Hand. Da er nicht wusste, ob der Braten in der Röhre schon allgemein bekannt war, beschloss er, ihn lieber nicht zu erwähnen.
»Danke, dass du gekommen bist.«
»Sam!« Die Braut umarmte ihn und drückte ihn fest. Sie war wunderschön und weich und roch fantastisch. Sie würde Ty eine gute Ehefrau sein. Verdammt, eigentlich jedem Mann. Jedem Mann außer Sam. Sam war nicht für die Ehe geschaffen. Ganz offensichtlich.
»Sie sind eine wunderschöne Braut«, sagte er bewundernd, als er sich zurückzog und ihr ins Gesicht schaute.
»Danke.« Sie lächelte. »Und glauben Sie nicht, dass ich das Gespräch vergessen hab, das wir damals in St. Paul geführt haben.«
Sie hatten ein Gespräch geführt? Da sie ihn anlächelte, musste er es wohl jugendfrei gehalten haben.
»Ich konnte euch nicht allen eine Einladung für eine Party in der Playboy Mansion organisieren, aber dafür hab ich euch heute Abend ein paar Playmates eingeladen.«
Ach, das Gespräch! Sie hatte ihm und den Jungs eine Einladung in die Playboy Mansion versprochen, wenn sie den Stanley-Cup holten. »Hab ich schon gesehen.«
»Das überrascht mich nicht.« Sie lachte. »Ich hab die Hochzeitsplanerin angewiesen, sie zu euch an den Tisch zu setzen.«
Unter normalen Umständen hätte er diese Nachricht sehr begrüßt. Jetzt musste er sich zu einem Lächeln zwingen. »Fabelhaft. Danke.«
»Ich hoffe, das entschädigt euch für mein gebrochenes Versprechen.«
»Jetzt sind wir quitt.« Er trat einen Schritt zurück, und Manager Darby Hogue und seine Frau traten vor, um ebenfalls ihre Glückwünsche an das Brautpaar loszuwerden.
Sam trank noch einen Schluck und erblickte über den Rand seines Glases hinweg die Playmates. Sie waren nicht zu übersehen: vier junge Frauen mit aufgeplusterten Mähnen und noch aufgeplusterteren Brüsten, umzingelt von Blake, Andre und Vlad. Vier gegen drei, das war unausgewogen. Da war es wohl seine Pflicht, die Zahlen auszugleichen. Er ließ sein Glas sinken, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Autumn. Er konnte einfach nicht den gebührenden Eifer aufbringen, der dazu nötig war, um Frauen in kurzen Röcken und tief ausgeschnittenen T-Shirts anzubaggern. Nicht während die Mutter seines Kindes um ihn kreiste und nach Gründen suchte, ihn noch mehr zu hassen als sowieso schon. Wenn das überhaupt noch möglich war.
Stattdessen unterhielt er sich mit Walker und Smithie und ihren besseren Hälften. Er lächelte und nickte, während die Frauen von ihren eigenen Hochzeiten und den Geburten ihrer Kinder erzählten. Gott sei Dank unterbrach Walker seine Frau, als sie sich für eine Kacka-Geschichte erwärmte.
»Hast du schon gehört, dass das Management Richardson tauschen will?«, fragte Walker.
Allerdings. Er mochte Richardson. Er war ein guter, solider Flügelspieler, aber jetzt, wo Ty sich zur Ruhe setzte, brauchten sie einen vielseitigeren Mann. Einen, der sowohl Strafschüsse abwehren als auch als Flügelstürmer fungieren konnte. »Weißt du, wen sie sich ansehen?«
»Bergen, zum Beispiel.«
»Den Inselbewohner? Hm.« Sein letzter Stand war, dass Bergen noch immer einen Durchhänger hatte.
»Und dann«, erzählte Walkers Frau kichernd, »rief er: ›Ich mach Kacka ins Töpfchen, Mommy!‹«
Scheiß drauf. »Wir sehen uns«, murmelte Sam und steuerte schicksalsergeben auf die Playmates zu. Ihm war völlig egal, was Autumn dachte. Sie war eine zickige Kneifzange, und gegen ein harmloses Gespräch mit vier schönen Frauen war nichts einzuwenden.
Autumn kniete zwischen den Stühlen der Braut und des Bräutigams und ging den Rest des Zeitplans mit ihnen durch. Autumn war ein großer Fan von Listen, sowohl beruflich als auch privat. Wenn es um Hochzeiten ging, kannte sie die Liste auswendig. Doch für alle Fälle hatte sie sich auch das kleinste Detail in ihrer Mappe notiert.
Es war kurz nach acht, und das Essen und die Trinksprüche neigten sich dem Ende zu. Faith wirkte erschöpft, musste aber nur noch das Anschneiden der Hochzeitstorte und den ersten Tanz hinter sich bringen, bis der Bräutigam sie nach Hause bringen konnte.
Autumn selbst wäre gegen Mitternacht zu Hause. Wenn sie Glück hatte.
»Danke«, seufzte Faith zufrieden. »Sie haben für einen reibungslosen Ablauf gesorgt.«
»Und für einen pünktlichen«, fügte Ty hinzu, der nie einen Hehl aus seinem Wunsch nach einer kleinen, überschaubaren Hochzeit gemacht hatte. Doch wie die meisten Männer hatte er sich den Wünschen der Braut gebeugt.
»Gern geschehen.« Sie sah auf ihre Uhr. »In etwa fünf Minuten wird Shiloh die Gesellschaft zu Ihnen in den Rainier Room bitten.«
»Könnten Sie das nicht jetzt schon tun?«, erkundigte sich Ty, doch es klang eher nach einer Aufforderung als nach einer Frage.
»Aber es sind noch nicht alle mit Essen fertig«, protestierte Faith.
»Ist mir egal. Du bist müde.«
»Du kannst nicht erwarten, dass alle einfach aufspringen und gehen.«
»Erwähnen Sie ganz nebenbei, dass die Bar geöffnet ist«, schlug Ty Autumn vor. »Dann trampeln sie sich gegenseitig nieder, um an die Gratisgetränke zu kommen.«
Autumn stand lachend auf. Sie rief ihre Assistentin an und beauftragte sie, ganz nebenbei die Bar zu erwähnen, wenn sie die Gäste dazu einlud, sich in den Nebenraum zu Faith und Ty zu gesellen. Als sie hinter dem Tisch des Brautpaars hervortrat, fiel ihr Blick auf Sam, der gerade dabei war, den Playmates ihre Schlüpfer, besser gesagt ihre Stringtangas, abzuschwatzen. Sie kicherten, berührten ihn an der Schulter und himmelten ihn an wie einen Gott.
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte der Anblick von Sam in Gesellschaft einer wunderschönen Frau oder auch zweien sie bis ins Mark getroffen. Sodass sie sich am liebsten vor Schmerz gekrümmt hätte, doch die Zeiten waren lange vorbei. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Solange er es nicht vor ihrem Sohn tat. Was er aber, wie sie argwöhnte, tat, weil er ein verantwortungsloser geiler Bock mit Fußpilz im Gehirn war.
Als Shiloh das Mikrofon in die Hand nahm und ihre Ankündigung machte, verließ Autumn den Saal und überprüfte ihre Liste noch zwei Mal. Die Hochzeitstorte konnte angeschnitten werden, die Band war bereit, und die zwei Barkeeper warteten nur darauf, Getränke zu mixen. Sie konnte eine kurze Pause einlegen und flüchtete in die Damentoilette. Während sie sich die Hände wusch, betrachtete sie ihr Gesicht in dem sanften Licht. Als Kind hatte sie ihre roten Haare und grünen Augen gehasst. Der Kontrast der kräftigen Farben zu ihrer blassen Haut war ihr zu stark gewesen, doch jetzt gefiel ihr das. Sie hatte ihre Komplexe überwunden und war zu einer attraktiven, selbstbewussten Frau geworden. Inzwischen war sie dreißig Jahre alt und besaß eine Firma für Party- und Eventplanung, die es ihr ermöglichte, ihre Rechnungen zu bezahlen und ihren Sohn großzuziehen. Die Unterhaltszahlungen, die sie von Sam bekam, überstiegen die Kosten, die beim Aufziehen eines Kindes entstanden, bei weitem und erlaubten es ihr, ihr Haus und ihre Autos bar zu bezahlen und sich ab und zu einen Urlaub zu gönnen. Und trotzdem wusste sie, dass sie Conners Lebensunterhalt auch allein bestreiten könnte, wenn sie dazu gezwungen wäre.
Sie trocknete sich die Hände ab und öffnete die Tür. Die schlechte Wirtschaftslage wirkte sich auf ihr Geschäft aus, weshalb sie ihr Angebot auf eine Vielzahl von Events erweitert hatte, statt sich nur auf Hochzeiten zu beschränken. Zurzeit plante sie eine Willy Wonka-Geburtstagsparty für zwanzig Zehnjährige, die nächsten Monat stattfinden sollte. Alle nötigen Requisiten und Anbieter für die Party aufzutreiben war eine große Herausforderung gewesen, hatte allerdings auch Spaß gemacht. Aber nicht so sehr wie Hochzeiten. Hochzeiten plante sie am liebsten, was bei ihrer Vergangenheit eine Ironie des Schicksals war.
Sie lief über den Flur durch Grüppchen aus Hochzeitsgästen, die auf dem Weg in den Rainier Room waren. An der heutigen Feier nahmen eine Menge schöner und reicher Menschen teil. Daran war nichts auszusetzen. Autumn verdiente ihre Brötchen damit, sich auf schöne, reiche Menschen einzustellen, genauso wie auf solche mit kleinem Budget. Ihr machte beides Spaß, und wie sie nur allzu gut wusste, hieß »reicher« keineswegs immer »unkomplizierter«.
Als sie an Sam vorbeikam, sonderte er sich von seinen Teamkameraden und ein paar Playmates ab.
»Autumn, hast du eine Minute Zeit?«
Einen Meter von ihm entfernt blieb sie stehen. »Nein. Dreißig Sekunden.« Sie hatten zwar einen gemeinsamen Sohn, aber sie konnte sich nicht vorstellen, was sie zu besprechen hätten. »Was willst du?«
Als er den Mund aufmachte, um zu antworten, klingelte das Handy, das an ihrem Gürtel klemmte, und sie hielt entschuldigend einen Zeigefinger hoch. Es gab nur einen Menschen in ihrem Telefonverzeichnis mit dem Anchors Aweigh-Klingelton: ihren Bruder Vince. Und Vince rief nur an, wenn es ein Problem gab.
»Hey, Carly hat gerade angerufen«, verkündete er. »Sie ist krank und kann nicht auf Conner aufpassen. Und ich muss in einer halben Stunde bei der Arbeit sein.«
Es war zu früh für Autumn, um schon nach Hause zu gehen. Sie verzog sich in eine ruhigere Ecke und sagte: »Ich rufe Tara an.«
»Hab ich schon. Sie geht nicht ran.«
Autumn ging in Gedanken diverse Optionen durch. »Dann rufe ich in seiner Kita an und frage, ob sie ihn nehmen … Scheiße, die machen in einer Stunde zu.«
»Was ist mit Dina?«
»Dina ist weggezogen.«
»Ich könnte mich krankmelden.«
»Nein.« Vince hatte diesen neuen Job erst seit einer Woche. »Ich lass mir was einfallen.« Sie schloss die Augen und schüttelte ratlos den Kopf. Babysitter-Probleme waren für jede allein erziehende Mutter schwer in den Griff zu kriegen. Die ungewöhnlichen Arbeitszeiten einer Event-Managerin ließen diese Stunden für sie zu einem Alptraum werden. »Ich weiß nicht. Dann musst du Conner wohl herbringen, und eine meiner Angestellten muss ihn ein paar Stunden bespaßen.«
»Ich hol ihn ab.«
Autumn warf einen überraschten Blick hinter sich. Sam hatte sie gar nicht mehr auf dem Schirm gehabt. »Warte mal kurz.«
Sie ließ ihr Handy sinken. »Was?«
»Ich hol Conner ab.«
»Du hast getrunken.«
Er runzelte die Stirn. »Dann muss Natalie ihn eben abholen.«
Natalie. Seine »persönliche Assistentin«. Autumn hatte nichts gegen Sams neueste »Assistentin«. Sie fand es bloß lächerlich, dass er seine Freundinnen »Assistentinnen« nannte. Sie schüttelte unschlüssig den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Ist das wirklich ein Grund zu streiten?«
Conner konnte mit der »Assistentin« zu seinem Dad fahren, in eine vertraute Umgebung, oder in den Rainier Club kommen und sich dort langweilen, bis sie ihn mit nach Hause nehmen konnte. Oberflächlich betrachtet schien das ein einfach lösbares Problem zu sein, doch sie hatte Conner nachts gern bei sich. Sie schlief besser, wenn sie wusste, dass er im Zimmer gegenüber tief und fest schlief.
»Vergiss es.« Kopfschüttelnd wandte er sich ab.
Aber wenn man eine gute Mutter sein wollte, durfte man nicht immer nur an sich denken. Sie hielt ihn am Arm fest. »Warte.« Als er sich umdrehte, trafen sich ihre Blicke und durch den Wollblazer erhitzte seine Körperwärme ihre Hand. Sein Bizeps verhärtete sich unter ihrer Berührung, und sie ließ die Hand wieder sinken. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als seine Hitze ihr direkt ins Herz gegangen wäre und sie hätte verglühen lassen. Heutzutage war sie allerdings immun dagegen und hielt sich ihr Handy wieder ans Ohr. »Sam nimmt ihn mit zu sich.«
»Was macht der Idiot denn da?«
Sie biss sich auf die Lippe, um ein Lächeln zu unterdrücken. »Er ist ein Hochzeitsgast.«
»Grüß Vince von mir«, rief Sam sarkastisch, während er sein Handy aus der Tasche zog. Er tippte eine Nummer ein und sprach ins Telefon. »Hey, Nat. Ich weiß, dass du heute Abend frei hast, aber könntest du Conner für mich abholen?« Er lächelte und gab Autumn das Daumen-hoch-Zeichen. »Ja, bring ihn einfach zu mir. Ich sollte in ein paar Stunden da sein.«