Inhaltsverzeichnis
Titel
EINS
ZWEI
Copyright
Buch
Faith Duffy ist eine attraktive 30-jährige Blondine mit Vergangenheit: In jungen Jahren war sie eines der berühmtesten Playmates des Play- boy. Bei den zahlreichen Fotoshootings kam auch das Feiern nicht zu kurz, und bei einer von Hugh Hefner, dem Herausgeber des kultigen Magazins, veranstalteten Party lernte sie den 75-jährigen Virgil Duffy kennen. Trotz des erheblichen Altersunterschiedes verliebte sie sich Hals über Kopf in ihn und wurde seine Frau.
Doch leider währt das Glück nicht lange: Nur fünf Jahre später stirbt Virgil, und Faith steht alleine da. Fast alleine, denn ihr verstorbener Mann hinterlässt ihr neben einem schicken Penthouse und Bargeld seine Eishockeymannschaft, die Seattle Chinooks. Die Jungs sind von ihrer neuen Besitzerin überhaupt nicht begeistert, und vor allem mit dem attraktiven Ty Savage kommt es immer wieder zu Reibereien. Aber wo Reibereien sind, da sprühen auch Funken …
Von Rachel Gibson außerdem bei Goldmann lieferbar: Das muss Liebe sein. Roman (45458) Traumfrau ahoi! Roman (45630) Sie kam, sah und liebte. Roman (45964) Er liebt mich, er liebt mich nicht. Roman (46021) Ein Rezept für die Liebe. Roman (46218) Gut geküsst ist halb gewonnen. Roman (46465) Frisch getraut. Roman (46534) Liebe, fertig, los! Roman (46677) Küssen will gelernt sein. Roman (46684) Darf’s ein Küsschen mehr sein? Roman (46914) Küss weiter, Liebling! Roman (47032)
EINS
In der Nacht vor Virgil Duffys Beerdigung prasselte ein heftiger Gewitterregen auf den Pugetsund. Am nächsten Morgen waren die grauen Wolken verschwunden und gaben den Blick auf die atemberaubende Skyline der Innenstadt von Seattle frei.
Sonnenlicht fiel über die Anlagen seines Anwesens auf Bainbridge Island und durch die gewaltigen Fenster. Unter den Gästen, die ihm beim Leichenschmaus die Ehre erwiesen, gab es so einige, die sich fragten, ob er vom Himmel aus das notorisch graue Aprilwetter steuerte. Sie fragten sich, ob er seine junge Ehefrau unter Kontrolle gehabt hatte, und vor allem, was sie mit dem Vermögen und der Profi-Eishockeymannschaft anstellen würde, die sie gerade geerbt hatte.
Das fragte sich Tyson Savage auch. Die Stimmen, die aus dem vornehmen Wohnzimmer drangen, übertönten das Geräusch seiner Anzugschuhe von Hugo Boss, als er über den Parkettboden im Eingangsbereich lief. Ihn quälte ein ungutes Gefühl, dass die Witwe Duffy ihm seine Chancen auf den Pokalgewinn vermasseln würde. Die üble Vorahnung zwackte ihn im Nacken und veranlasste ihn, seinen engen Krawattenknoten zu lockern.
Ty trat durch die Flügeltür in einen riesigen Raum, der nach polierten Holzmöbeln und altem Geld stank. Er entdeckte mehrere Teamkameraden, die sich für ihre Verhältnisse ganz schön in Schale geworfen hatten und sich im Kreise der High Society von Seattle leicht unbehaglich zu fühlen schienen. Verteidiger Sam Leclaire lief mit einem blauen Auge herum, das er sich letzte Woche im Spiel gegen die Colorado Avalanche zugezogen hatte - eine Aktion, die ihm zudem eine fünfminütige Bankstrafe eingebrockt hatte. Nicht, dass Ty irgendwem eine Keilerei in der Spielfeldecke verübelt hätte. Er selbst war berüchtigt dafür, seine Handschuhe aufs Eis zu werfen, doch im Gegensatz zu Sam war er kein Hitzkopf. Mit nur noch drei Tagen bis zum ersten Play-off-Spiel würde das Veilchen zwangsläufig noch viel schlimmer werden.
Ty verharrte in der Tür, und sein Blick schweifte durch den Raum und blieb an Virgils Witwe hängen, die im Sonnenlicht stand, das durch die Fenster fiel. Selbst wenn die Sonne nicht auf ihr langes blondes Haar geschienen hätte, wäre Mrs Duffy aus den Trauergästen hervorgestochen. Sie trug ein schwarzes Kleid mit Ärmeln, die bis knapp über die Ellbogen reichten, und mit einem Saum, der ihre Knie gerade noch bedeckte. Es war ein dezentes Kleid, das alles andere als dezent wirkte, weil es sich so eng an ihren unglaublichen Körper schmiegte.
Ty kannte Mrs Duffy nicht. Nur wenige Stunden zuvor in der St. James Church hatte er sie zum ersten Mal gesehen. Aber gehört hatte er schon von ihr. Jeder hatte schon von dem Milliardär und dem Playmate gehört. Er hatte gehört, dass die Witwe, bevor sie sich einen reichen, alten Mann angelte, jahrelang in Las Vegas an der Stripperstange getanzt hatte. Dem Klatsch zufolge war eines Abends, während sie mit ihren hochhackigen Acrylschuhen die Bühne gerockt hatte, Hugh Hefner höchstpersönlich in den Club spaziert und hatte sie entdeckt. Er hatte sie in sein Magazin gebracht und zwölf Monate später zu seinem Playmate des Jahres ernannt. Wie es zu der Bekanntschaft mit Virgil kam, wusste Ty nicht, und wie sich die beiden kennengelernt hatten, spielte auch keine Rolle. Dass der Alte abgekratzt war und sein Eishockeyteam einer Goldgräberin hinterlassen hatte, schon. Und zwar eine große.
In der Spielerkabine der Key Arena munkelte man, dass Virgil einen massiven Herzinfarkt erlitten hatte, während er sich abmühte, seine junge Frau im Bett zufriedenzustellen. Es kursierte das Gerücht, dass dem Alten eine Herzklappe geplatzt wäre und er mit einem zufriedenen, breiten Grinsen im Gesicht starb, das der Bestattungsunternehmer nicht mehr hatte entfernen können. Und so wäre der alte Mann mit einem Steifen und einem Lächeln auf den Lippen in den Kremationsofen geschoben worden.
Ty gab nichts auf Klatsch und Tratsch, und ihm war egal, was die Leute trieben oder mit wem. Ob es geil, mies oder irgendwo dazwischen war. Bisher jedenfalls. Er hatte erst vor drei Monaten seinen Vertrag bei der »Seattle Chinooks«-Organisation unterschrieben, zum Teil wegen des Geldes, das der Alte ihm geboten hatte, aber vor allem, weil er ihn zum Mannschaftskapitän machte und ihm die Chance bot, den Stanley Cup zu gewinnen. Sie wollten beide diese Eishockeytrophäe, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Virgil hatte seinen reichen Freunden etwas beweisen wollen. Ty wollte der Welt etwas beweisen: dass er besser war als sein Dad, der große Pavel Savage. Der Pokal war jedem von ihnen durch die Lappen gegangen, und Ty war der Einzige, der noch eine Chance auf ihn hatte. Wenigstens bis Duffy kurz vor den Play-offs abgekratzt war und die Mannschaft einem großen, blonden Playmate hinterlassen hatte. Und plötzlich lag Tys Chance auf den Gewinn der größten Trophäe der Nationalen Eishockey-Liga (NHL) in den Händen eines Trophäenweibchens.
»Hey, Heiliger«, begrüßte Daniel Holstrom ihn, als er näher kam.
Den Spitznamen »Heiliger« hatte Ty in seinem ersten Jahr als Profispieler verpasst bekommen, als er nach einer besonders wild durchzechten Nacht am nächsten Tag beschissen gespielt hatte. Nachdem der Trainer ihn auf die Bank verbannt hatte, hatte Ty behauptet, sich ein Grippevirus eingefangen zu haben. »Du bist wie dein Vater«, hatte der Coach mit einem angewiderten Kopfschütteln gemurmelt. »Ein verdammter Heiliger.« Seitdem hatte Ty sich bemüht, sich von diesem Ruf wieder reinzuwaschen, es aber nicht immer geschafft.
Er warf einen Blick über die rechte Schulter und sah seinem Mannschaftskameraden in die Augen. »Wie läuft’s denn so?«
»Gut. Hast du schon Mrs Duffy dein Beileid ausgesprochen?«
»Noch nicht.«
»Glaubst du, dass Virgil wirklich gestorben ist, während er es seiner Frau besorgt hat? Wie alt war er noch? Neunzig?«
»Einundachtzig.«
»Kriegt man mit einundachtzig noch einen hoch?« Daniel schüttelte ungläubig den Kopf. »Sam findet sie so scharf, dass sie auch Tote auferstehen lassen könnte, aber ehrlich gesagt bezweifele ich sogar bei ihr, dass sie bei so altem Equipment Wunder bewirken kann.« Er schwieg und musterte die junge Witwe, als könnte er sich nicht so recht entscheiden. »Aber sie ist ein heißer Feger.«
»Virgil hatte bestimmt pharmazeutische Hilfe.« Ty musste an seinen Vater denken, der Ende fünfzig war und es noch wie ein Teenager trieb. Behauptete er zumindest. Viagra hatte vielen Männern ihr Sexualleben zurückgegeben.
»Stimmt. Ist Hefner nicht auch schon über achtzig und hat immer noch Sex?«
Behauptete er zumindest. Ty knöpfte seinen marineblauen Blazer auf. »Bis später«, sagte er und schlängelte sich durch die Menschenmenge, die altersmäßig zwischen Grufties und ein paar Jugendlichen lag, die in der Ecke miteinander tuschelten. Während er zielstrebig auf den »heißen Feger« Mrs Duffy zusteuerte, nickte er mehreren seiner geschniegelten und gebügelten Teamkameraden zu, die trotz ihrer Designeranzüge einen leicht unzivilisierten Eindruck machten.
Er blieb vor ihr stehen und streckte ihr die Hand hin. »Mein aufrichtiges Beileid.«
»Danke.« Sie runzelte die glatte Stirn, und ihre großen grünen Augen blickten auf in sein Gesicht. Aus der Nähe war sie sogar noch schöner und sah viel jünger aus. Sie legte ihre Hand in seine; ihre Haut war weich und ihre Finger kalt. »Sie sind der Kapitän von Virgils Eishockeymannschaft. Er hat sie immer in den höchsten Tönen gelobt.«
Es war jetzt ihre Eishockeymannschaft, und über ihre Pläne damit konnte man nur spekulieren. Ihm war zu Ohren gekommen, dass sie sie verkaufen wollte. Er hoffte, dass das stimmte und dass es bald über die Bühne ging.
Er ließ ihre Hand los. »Virgil war ein wunderbarer Mensch.« Was, wie alle wussten, übertrieben war. Wie viele steinreiche Männer, die es gewöhnt waren, ihren Willen durchzusetzen, konnte Virgil ein echter Scheißkerl sein. Doch Ty war mit dem Alten klargekommen, weil sie dasselbe Ziel verfolgt hatten. »Unsere langen Gespräsche über Eishockey waren eine Freude für misch.« Virgil war zwar einundachtzig gewesen, hatte aber über einen scharfen Verstand verfügt und mehr über Eishockey gewusst als viele Spieler.
Ihre vollen »Küss mich, Schätzchen«-Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Ja, für ihn auch.«
Sie war nur leicht geschminkt, was ihn angesichts ihres ehemaligen Berufs überraschte. Er hatte noch nie ein Playmate getroffen, das sich nicht mit Feuereifer anmalte. »Wenn die Jungs und ich Ihnen irgendwie helfen können, lassen Sie es mich wissen«, sagte er nicht besonders überzeugend, doch als Mannschaftskapitän fühlte er sich verpflichtet, ihr seine Unterstützung anzubieten.
»Danke.«
Virgils Sohn und einziger Nachkomme trat vor und flüsterte der Witwe etwas ins Ohr. Ty hatte Landon Duffy bei mehreren Gelegenheiten getroffen und konnte nicht behaupten, ihn sonderlich zu mögen. Er war genauso rücksichtslos und getrieben wie Virgil, verfügte aber nicht über den Charme, der seinem Vater zu solchem Erfolg verholfen hatte.
Das Lächeln der Witwe erstarb, und sie straffte die Schultern. Ihre grünen Augen funkelten vor Zorn. »Danke, dass Sie gekommen sind, Mr Savage.« Wie viele Amerikaner sprach sie seinen Namen falsch aus. Es hieß nicht savage, wie die englische Vokabel für »wildes Tier«, sondern wurde mit französischer Endung ausgesprochen.
Ty beobachtete, wie sie sich umdrehte und davonstolzierte, und fragte sich, was Landon ihr gesagt hatte. Es hatte ihr eindeutig nicht gefallen. Sein Blick glitt über ihre blonden Haare zu ihrem hübsch gerundeten Po in dem dezenten schwarzen Kleid, das alles andere als dezent aussah. Er fragte sich, ob Virgils Sohn ihr einen unsittlichen Antrag gemacht hatte. Nicht, dass es eine Rolle spielte. Ty hatte ganz andere Probleme. Und zwar das Match am Donnerstag in Vancouver, wenn sie im Auftaktspiel der Endspielserie gegen die doppelte Bedrohung durch die Sedin-Zwillinge antreten mussten. Bis vor drei Monaten war Ty noch Kapitän bei den Canucks gewesen und wusste besser als alle anderen, dass man die Jungs aus Schweden nie unterschätzen durfte. Wenn sie in Form waren, verkörperten sie den schlimmsten Albtraum eines jeden Verteidigers.
»Hast du die Bilder gesehen?«
Ty löste den Blick vom entschwindenden Witwenhintern und sah über die linke Schulter zu seinem Teamkameraden, dem vielseitigen Unruhestifter Sam Leclaire. »Nein.« Er brauchte nicht nachzufragen, welche Bilder. Er wusste es auch so und war nicht interessiert genug gewesen, sie sich zu besorgen.
»Ihre Möpse sind jedenfalls echt.« Aus dem Mundwinkel fügte Sam hinzu: »Nicht, dass ich drauf geachtet hätte.« Er bemühte sich um eine unschuldige Miene, doch das blaue Auge verdarb alles.
»Natürlich nicht.«
»Glaubst du, sie kann uns eine Einladung in die Playboy Mansion beschaffen?«
»Bis morgen«, lachte Ty und lief zurück zum Eingang. Als er durch die riesige Flügeltür der Backsteinvilla nach draußen trat, strich die kühle Brise über sein Gesicht. Er blieb stehen, um seinen Blazer zuzuknöpfen, und der Wind wehte die Stimme der Witwe Duffy zu ihm.
»Natürlich will ich dich sehen«, flötete sie. »Der Zeitpunkt ist nur denkbar ungünstig.«
Ty warf ihr einen Blick zu. Sie stand nur wenige Meter entfernt mit dem Rücken zu ihm. »Du weißt doch, dass ich dich liebe. Ich will mich nicht mit dir streiten.« Sie schüttelte den Kopf, wobei ihr Haar über ihren Rücken strich. »Im Moment ist es unmöglich, aber wir sehen uns bald.«
Während sie ums Haus herumlief, stieg Ty weiter die Treppe hinab. Es schockierte ihn nicht, dass Mrs Duffy sich nebenher einen Liebhaber gehalten hatte. Klar hatte sie das. Immerhin war sie mit einem alten Knacker verheiratet gewesen. Einem alten Knacker, der ihr gerade sein Eishockeyteam vererbt hatte.
Ty wollte gar nicht über die vielen Möglichkeiten nachdenken, die seine Chancen auf den Pokal vereiteln konnten, aber natürlich war das Thema in seinen Gedanken stets übermächtig. Virgil hätte zu keinem schlechteren Zeitpunkt den Löffel abgeben können. Jede Art von Unsicherheit konnte und würde sich auf die Spieler auswirken, und nicht zu wissen, wer die Mannschaft kaufen oder welche Veränderungen der neue Besitzer durchführen würde, war ein großes Fragezeichen, das wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebte. Aber noch schlimmer als die Unsicherheit war der Gedanke, einer Stripperin zu gehören, die zuerst zum Playmate und dann zum Trophäenweibchen geworden war. Das genügte, um das Zwacken in seinem Nacken zu einem eisernen Griff zu verstärken.
Während er zu seinem schwarzen BMW schlenderte, verbannte Ty alles aus seinen Gedanken außer seiner neuesten Leidenschaft. Er verbannte Virgils Witwe, den bevorstehenden Verkauf und das kommende Spiel aus seinem Hirn. Für wenige Stunden wollte er sich ausnahmsweise einmal nicht den Kopf über die Pläne der Witwe für das Team oder über das Spiel gegen die Canucks zerbrechen.
Fast sein ganzes Leben lang hatte sich Ty bemüht, die wilden Savage-Impulse zu zügeln, die ihn in Schwierigkeiten bringen konnten, doch er hatte eine echte Schwäche, der er regelmäßig frönte. Ty liebte schöne Autos.
Er ließ sich in das weiche Lederinterieur gleiten und startete den BMW M6. Das starke Brummen des 5-Liter-V 10-Motors vibrierte auf seiner Haut, während er seine Ray-Ban-Pilotenbrille aufsetzte. Die verspiegelten Gläser schützten seine Augen vor der grellen Nachmittagssonne, als er aus dem geschlossenen Anwesen und dann in Richtung Poulsbo fuhr. Er ließ die 500 Pferde unter der Motorhaube lospreschen und machte sich auf den langen Weg nach Hause.
Faith Duffy klappte ihr Handy zu und blickte über die smaragdgrüne Rasenfläche, die mustergültig gepflegten Beete und spritzenden Springbrunnen. Das Allerletzte, was sie im Moment gebrauchen konnte, war ein Besuch ihrer Mutter. Ihr Leben war auch schon so unsicher und beängstigend genug, und Valerie Augustine war ein emotionales schwarzes Loch.
Ihr Blick glitt über die unruhigen Gewässer der Elliott-Bucht, und sie verschränkte die Arme vor der Brust und zog fröstelnd die Schultern hoch, als der kalte Wind ihr die Haare ums Gesicht wehte. Letzte Nacht hatte sie geträumt, dass sie wieder im Aphrodite arbeitete. Dass ihr die langen, blonden Haare um den Kopf wehten, während »Slice of Your Pie« von Mötley Crüe aus den Lautsprechern über der Hauptbühne in dem Stripclub hämmerte. In dem Traum blitzten rosafarbene Laserstrahlen über ihre langen Beine und die fünfzehn Zentimeter hohen Acryl-Plateauschuhe, während sie aufreizend mit den Händen über ihren flachen Bauch fuhr. Sie strich mit den Handflächen über ihren Unterleib, der nur mit einem knappen karierten Rock bedeckt war, und ihre Finger umklammerten den Stuhlsitz zwischen ihren nackten Oberschenkeln.
Faith hasste diesen Traum. Sie hasste das panische Gefühl und das Zusammenkrampfen ihres Magens, das der Traum stets mit sich brachte. Sie hatte den Traum seit Jahren nicht mehr gehabt, aber er lief immer gleich ab. Sie drehte sich auf dem Stuhl zur Seite, wölbte den Rücken und senkte langsam den Kopf zur Bühne und knöpfte gleichzeitig mit den Händen ihre enge weiße Bluse auf. Unter dem pinken Blitzlicht balancierte sie auf dem Stuhlsitz und hob die Beine. Sie strich lasziv mit dem Fuß über ihre Wade, während ihre großen Brüste aus der Bluse quollen und aus dem roten, mit Pailletten besetzten Halbschalen-BH zu fallen drohten. Wie immer scharten sich Männer um die Bühne und glotzten sie mit lüsternen Blicken und offen stehenden Mündern an.
»Layla.« Sie skandierten ihren Künstlernamen und hielten Geldscheine in den Fäusten.
Im Traum umspielte ein »Ich weiß, dass ihr mich wollt«-Lächeln ihre Lippen, während Vince Neil und seine Jungs ein süßes Lächeln und ein zweites Stück Kuchen besangen. In dem Nachtclub, der drei Blocks vom Las Vegas Strip entfernt lag, stellte Faith die Hände neben dem Kopf auf den Boden und vollführte einen perfekten Walkover, bis ihre Füße schulterbreit auseinander standen. Nachdem sie die Bluse beiseitegeworfen hatte, bückte sie sich nach vorne und wiegte sich gleichzeitig in den Hüften. Sie schob das knappe karierte Röckchen über Schenkel und Beine und stieg nur mit einem zum BH passenden roten String bekleidet aus dem Rock. Der schwere Bass und der Beat ließen die Bühne und die Sohlen ihrer Acryl-Plateauschuhe erbeben, während sie zum Objekt männlicher Fantasien wurde und die Kerle so manipulierte, dass sie tief in die Brieftaschen griffen und ihre Kohle herausrückten.
Der Traum ging immer gleich aus. Das viele Geld löste sich in nichts auf wie eine Fata Morgana, und sie wachte um Atem ringend auf. Ihr Herz raste, und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Und wie immer fühlte sie sich wieder wie ein hilfloses kleines Mädchen. Allein und verängstigt.
Frauen, die behaupteten, lieber zu hungern, als sich auszuziehen, hatten diese Wahl wahrscheinlich niemals treffen müssen. Sie hatten niemals fünf Tage hintereinander Hot Dogs essen müssen, weil sie billig waren. Sie hatten nie von Mahlzeiten mit Big Macs und Pommes geträumt, und von Auflaufförmchen mit Crème brûlée.
Faith hielt das Gesicht in den Wind und atmete tief durch. Sie sollte wieder hineingehen. Es war unhöflich, Virgils Freunde bei seinem Leichenschmaus zu vernachlässigen, doch die meisten von ihnen hatten sie sowieso nie richtig gemocht. Was seine Familie betraf - nun, die konnte zur Hölle fahren. Jeder Einzelne von ihnen. Nicht einmal heute hatten sie ihre Verbitterung zurückgestellt.
Virgil war tot. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Noch vor einer Woche hatte er ihr Geschichten über die vielen fantastischen Dinge erzählt, die er in seinem langen Leben getan hatte, und jetzt …
Jetzt war er tot, und sie fühlte sich schrecklich allein. Sie war traurig und erschöpft, weil sie ihren Ehemann und den besten Freund, den sie je gehabt hatte, begraben hatte. Sie wusste, dass manche Menschen Virgil nicht gemocht hatten. In seinen einundachtzig Jahren hatte er sich viele Feinde gemacht. Aber zu ihr war er gut gewesen, besonders in einer Zeit, in der sie nicht immer gut zu sich selbst gewesen war.
Sogar noch nach seinem Tod war er gut zu ihr. Seine diversen Wohltätigkeitsvereine hatte Virgil gestiftet, und der größte Teil seines milliardenschweren Nachlasses war an seinen einzigen Sohn, Landon, gegangen, an dessen drei Kinder und acht Enkel. Aber Faith hatte er das Penthouse in Seattle vermacht, fünfzig Millionen Dollar und sein Eishockeyteam. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie daran dachte, wie sehr das seine Familie angekotzt hatte. Sie glaubten sicher alle, dass sie intrigiert und Ränke geschmiedet hatte, um das viele Geld in die Finger zu kriegen. Dass sie perverse sexuelle Gefälligkeiten gegen das Eishockeyteam eingetauscht hatte, doch in Wahrheit hatte Virgil genau gewusst, dass ihr die Mannschaft egal war. Sie stand nicht auf Sport und war genauso schockiert wie alle anderen, dass Virgil ihr die Chinooks hinterlassen hatte. Vermutlich hatte Virgil das getan, weil Landon nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass er felsenfest damit rechnete, die Mannschaft zu erben. Sobald die Chinooks ihm gehörten, das hatte Faith gewusst, wäre sie aus der Stadionloge verbannt worden. Was sie im Grunde nicht tragisch gefunden hätte. Sie hatte null Interesse an Eishockey. Klar, sie hatte ihren Mann zu einigen Spielen begleitet, dabei aber nie sonderlich auf das Geschehen auf dem Eis geachtet. Sie hatte die Zeit totgeschlagen, indem sie die zänkischen Duffys ausblendete und durch ein Fernglas nach scheußlichen Klamotten und besoffenen Schwachköpfen auf den Plätzen unter ihr Ausschau hielt. An einem guten Abend in der Key Arena hatte sie einen besoffenen Schwachkopf mit scheußlichen Klamotten entdeckt.
Anders als Faith interessierte sich Landon vorrangig für die Spiele und hatte bereits die Tage gezählt, bis er das Team in die Finger kriegen würde. Der Besitz einer professionellen Sportmannschaft war ein Zeichen ungeheueren Reichtums. Die Mitgliedschaft in einem exklusiven Club, die Landon sich sehnlichst gewünscht hatte. Eine Mitgliedschaft, die sein Vater ihm nun verweigert hatte.
Landon war zwar Virgils einziger Sohn, aber sie hatten sich gegenseitig verabscheut. Landon hatte nie versucht, seine Missbilligung für Virgils Leben und seinen Hass auf dessen fünfte Frau, Faith, zu verbergen.
Sie schritt über die langen Teppiche im oberen Flur in die Schlafzimmersuite, die sie sich mit Virgil geteilt hatte. Mehrere Bedienstete einer Umzugsfirma packten ihre Kleider in Kisten, während einer von Landons Anwälten im Hintergrund herumstand und dafür sorgte, dass Faith nichts mitnahm, was ihr seiner Meinung nach nicht gehörte. Sie ignorierte die Möbelpacker und strich mit der Hand über die Rückenlehne von Virgils verschlissenem Ledersessel. Der Sitz war vom jahrelangen Gebrauch eingedellt, und Virgils Lesebrille lag auf dem Tisch auf dem Buch, das er an dem Abend gelesen hatte, als er starb. Dickens, denn Virgil hatte sich mit David Copperfield verbunden gefühlt.
An jenem Abend, vor fünf Tagen, hatte sie es sich in dem Sessel neben ihrem Ehemann gemütlich gemacht und sich eine Wiederholung der Kochsendung Top Chef angesehen. Während Padma Lakshmi im Fernsehen die besten Appetithäppchen bewertete, hatte Virgil plötzlich nach Luft geschnappt. »Ist alles in Ordnung?«, hatte sie gefragt.
»Ich fühle mich nicht gut.« Er hatte Brille und Buch beiseitegelegt und sich ans Brustbein gefasst. »Ich glaube, ich gehe ins Bett.«
Faith legte die Fernbedienung weg, doch noch bevor sie aufstehen konnte, um ihm zu helfen, sackte er zusammen und schnappte nach Luft, und seine mit Altersflecken übersäte Hand fiel schwer in seinen Schoß.
An den Rest des Abends erinnerte sie sich nur verschwommen. Sie wusste noch, dass sie seinen Namen gerufen und seinen Kopf fest auf dem Schoß gehalten hatte, während sie mit der Notruf-Telefonistin sprach. Sie hatte keine Erinnerung daran, wieso er plötzlich auf dem Boden lag, nur daran, wie sie auf sein Gesicht herabgeblickt hatte, als seine Seele aus seinem Körper entwich. Sie erinnerte sich, geweint und ihm gut zugeredet zu haben, nicht zu sterben. Sie hatte ihn angefleht durchzuhalten, doch er hatte es nicht geschafft.
Es war alles so schnell gegangen. Bis die Sanitäter endlich kamen, war Virgil tot. Und seine Familie hatte sie nur noch mehr gehasst, weil sie am Ende bei ihm gewesen war, statt dankbar dafür zu sein, dass er nicht allein gestorben war.
Faith lief ins Schlafzimmer und schnappte sich den Louis-Vuitton-Koffer, in den sie ein paar Sachen zum Wechseln und den Schmuck gepackt hatte, den Virgil ihr während ihrer fünfjährigen Ehe gekauft hatte.
»Ich muss das durchsuchen«, verkündete Landons Anwalt und betrat den Raum.
Faith hatte ihre eigenen Anwälte. »Dazu brauchen Sie einen Durchsuchungsbeschluss«, protestierte sie und drängelte sich brüsk an ihm vorbei. Er machte keine Anstalten, sie aufzuhalten. Faith war schon mit zu vielen wirklich Furcht einflößenden Männern zusammen gewesen, um sich von Landons Rüpeln einschüchtern zu lassen. Auf dem Weg aus dem Wohnzimmer schnappte sie sich ihren schwarzen Valentino-Mantel. Sie steckte Virgils Exemplar von David Copperfield in ihre Hermès-Tasche und lief zielstrebig zum vorderen Teil des Hauses. Sie hätte auch durch den Hinterausgang hinausgehen können, über die Dienstbotentreppe, und sich damit erspart, Virgils Familie in die Arme zu laufen, aber das hatte sie nicht vor. Sie hatte nicht die Absicht, sich davonzustehlen, als hätte sie etwas falsch gemacht. Oben auf der Treppe schlüpfte sie in ihren Mantel und musste bei dem Gedanken an ihre ständigen Diskussionen mit Virgil lächeln. Er hatte immer gewollt, dass sie einen Nerz oder einen Silberfuchs trug, aber sie hatte sich in einem Pelz nicht wohlgefühlt. Nicht einmal nachdem er sie darauf hingewiesen hatte, dass sie eine Scheinheilige war, weil sie Leder trug. Was stimmte. Sie liebte Leder. Obwohl sie in letzter Zeit Geschmack und Mäßigung walten ließ. Etwas, das ihre Mutter erst noch lernen musste.
Als sie die lange Wendeltreppe hinabstieg, setzte sie ein gezwungenes Lächeln auf. Sie verabschiedete sich bei ein paar von Virgils Freunden, die nett zu ihr gewesen waren, und ging durch den Haupteingang hinaus.
Die Zukunft lag vor ihr. Sie war dreißig Jahre alt und konnte tun und lassen, was sie wollte. Sie konnte sich weiterbilden oder sich eine einjährige Auszeit nehmen und irgendwo an einem warmen Strand faulenzen.
Sie blickte zurück zu der zweistöckigen Backsteinvilla, in der sie während ihrer fünfjährigen Ehe mit Virgil gewohnt hatte. Ihr Leben mit Virgil war schön gewesen. Er hatte auf sie aufgepasst, und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie nicht auf sich selbst aufpassen müssen. Sich entspannen können. Durchatmen und Spaß haben können und nicht ums Überleben kämpfen müssen.
»Auf Wiedersehen«, flüsterte sie und richtete die Spitzen ihrer roten Lederpumps entschlossen in die Zukunft. Auf dem Weg zu ihrem Bentley Continental GT klapperten ihre Absätze die Stufen hinab und zur Garage hinter dem Haus. Virgil hatte ihr den Wagen zu ihrem dreißigsten Geburtstag vergangenen September geschenkt. Sie warf den Koffer in den Kofferraum, sprang ins Auto und verließ das Anwesen. Wenn sie sich sputete, könnte sie gerade noch die Fähre um halb sieben nach Seattle erwischen.
Als sie durch die Tore fuhr, fragte sie sich erneut, was sie aus ihrem Leben machen sollte. Abgesehen von den paar Wohltätigkeitsvereinen, in denen sie gelegentlich den Vorsitz übernahm, gab es niemanden, der sie brauchte. Auch wenn es stimmte, dass Virgil sich um sie gekümmert hatte, hatte sie sich auch um ihn gekümmert.
Sie zog ihre Sonnenbrille aus der Handtasche und schob sie sich auf die Nase.
Und was um alles in der Welt sollte sie mit seinem Eishockeyteam und den vielen knallharten, brutalen Spielern anstellen? Ein paar von ihnen hatte sie bei den alljährlichen Weihnachtspartys kennengelernt, die sie mit Virgil besuchte. Sie erinnerte sich vor allem an den großen, schweren Russen, Vlad, den jungen Schweden, Daniel, und den Kerl mit dem ständig geprellten Gesicht, Sam, doch sie zu kennen wäre zu viel gesagt. Für sie gehörten sie nur zu den gut zwanzig Mann, die, soweit sie es beurteilen konnte, sich gerne prügelten und viel in die Gegend spuckten.
Es war das Beste, wenn sie die Mannschaft verkaufte. Das war es wirklich. Sie wusste, was sie von ihr hielten. Schließlich war sie nicht dumm. Sie hielten sie für ein Betthäschen. Ein Trophäenweibchen. Virgils schmückende Begleiterin. Wahrscheinlich reichten sie ihre Playboy-Fotos herum. Nicht, dass ihr das was ausmachte. Sie schämte sich nicht für die Bilder. Sie war damals vierundzwanzig und hatte das Geld gebraucht. Es war tausend Mal besser gewesen als das Strippen, hatte sie mit neuen Leuten bekanntgemacht und ihr neue Optionen eröffnet. Eine dieser Optionen war Virgil gewesen.
Sie näherte sich langsam einem Stoppschild, sah sich nach beiden Seiten um und raste über die Kreuzung.
Faith war daran gewöhnt, dass die Männer sie anglotzten. Sie war es gewöhnt, dass Männer sie nach der Größe ihrer Brüste beurteilten und davon ausgingen, dass sie dumm, leicht zu haben oder beides war. Sie war es gewöhnt, dass die Leute sie wegen ihres Berufes verurteilten oder weil sie einen Mann geheiratet hatte, der einundfünfzig Jahre älter war als sie. Aber wirklich, ihr war egal, was die Welt von ihr dachte. Sie hatte schon vor langer Zeit aufgehört, sich etwas daraus zu machen, als die Welt an ihr vorbeigelaufen war, wenn sie vor dem »Lucky Lady« oder der »Kit Kat Topless Lounge« saß und darauf wartete, dass ihre Mama Feierabend machte.
Das Einzige, was sie auf diese Welt mitbekommen hatte, waren ihr Gesicht und ihr Körper, und sie hatte beides zu nutzen gewusst. Sich etwas daraus zu machen, was die Leute von einem dachten, gab ihnen die Macht, ihr wehzutun. Und Faith gab niemals irgendwem diese Art von Macht. Keinem außer Virgil. Trotz seiner Fehler hatte er sie nie wie ein Betthäschen behandelt. Sie nie behandelt, als sei sie ein Nichts. Klar, sie war sein Trophäenweibchen gewesen. Das ließ sich nicht leugnen. Er hatte sie benutzt, um sein Riesenego aufzupeppen. Wie Virgils Eishockeymannschaft war sie etwas, das ihm gehörte, um die Welt neidisch zu machen. Ihr hatte das nichts ausgemacht. Überhaupt nichts. Er hatte sie mit Liebenswürdigkeit und Respekt behandelt und ihr das geschenkt, was sie sich am meisten wünschte: Sicherheit. Die Art, die sie nie gekannt hatte, und fünf Jahre lang hatte sie in einer hübschen, sicheren Blase gelebt. Und obwohl die Blase nun geplatzt war und sie sich fühlte wie im freien Fall, hatte Virgil dafür gesorgt, dass sie so sanft landete wie nur möglich.
Sie dachte an Ty Savage, mit seiner tiefen, vollen Stimme und dem leichten Akzent. »Unsere langen Gespräsche über Eishockey waren eine Freude für misch«, hatte er über Virgil gesagt.
Faith hatte in ihrem Leben schon mit vielen gut aussehenden Männern zu tun gehabt. Sie war auch mit vielen ausgegangen. Männer wie Ty, deren Aussehen einem den Atem raubte, hauten einen um und verdrehten einem komplett den Kopf. Seine tiefblauen Augen hatten in der Mitte Einsprengsel aus hellerem Blau, wie winzige Farbexplosionen. Eine dunkle Haarlocke fiel ihm in die Stirn, während sich über den Ohren und im Nacken dünnere Strähnen ringelten. Er war groß und gebaut wie ein Geländewagen, aber nach Faiths Geschmack ein bisschen zu unberechenbar. Vielleicht lag es an dem Testosteron, das in hohen Dosen durch den Körper des Mannes hämmerte und das er wie toxische Dämpfe aussandte. Vielleicht auch an der Narbe am Kinn, die ihm ein leicht gefährliches Aussehen verlieh. Obwohl es nicht viel mehr war als eine dünne silbrige Linie, sah die Narbe beängstigender aus als Sams blaues Auge.
Sie dachte an ihre Hand in seiner warmen, festen Handfläche, als er ihr seine Hilfe anbot. Wie viele Männer sagte Ty Savage genau das Richtige, meinte es aber nicht ernst. Das taten Männer selten. Virgil war der einzige Mann, den sie je gekannt hatte, der seine Versprechen hielt. Er hatte sie nie angelogen, auch nicht, wenn es leichter für ihn gewesen wäre. Er hatte ihr eine andere Art gezeigt, ihr Leben zu leben, anders, als sie ihres gelebt hatte. Bei Virgil hatte sie sich aufgehoben und glücklich gefühlt. Und dafür würde sie ihn bis in alle Ewigkeit lieben und vermissen.
ZWEI
Das Buhen Tausender Fans begleitete Tys Rückkehr in die General-Motors-Place-Arena in Vancouver. Dutzende von Spruchbändern hingen von den Tribünen, deren Statements von »Gefallener Heiliger« über »Der Heilige ist ein Verräter« bis hin zu Tys persönlichem Favoriten »FICK DICH, SAVAGE« reichten.
Sieben Spielzeiten lang hatte er das Canucks-Trikot getragen. In den letzten fünf hatte links auf seiner Brust ein C geprangt, und er war hofiert worden wie ein siegreicher Held. Wie ein Rockstar. In der aktuellen Saison trug er zwar immer noch ein C, hatte aber den Killerwal gegen den Lachs eingetauscht, der mit dem Schwanz nach dem Puck schlug. Spieler wurden ständig verkauft. Wenigstens hatte er nicht bis auf den letzten Drücker gewartet, das Angebot über mehr Geld und - etwas unendlich Wertvolleres als Gold - eine bessere Chance auf den Pokal anzunehmen.
Schon länger als eine Saison war allgemein bekannt gewesen, dass er mit dem Management in Vancouver und dem Führungsstil des dortigen Trainerstabs nicht zufrieden war. Dann, kurz nach Weihnachten, wurde Seattles Kapitän, Mark Bressler, in einen schrecklichen Autounfall verwickelt, und die Mannschaft stand auf einmal ohne ihren Führungsspieler da. Daraufhin hatte die Seattler Organisation Ty ein Angebot gemacht, das er seiner Meinung nach nicht ausschlagen konnte, und er hatte den Wechsel vollzogen. In der kanadischen Presse und ganz Kanada gab es eine Menge Leute, sein Vater eingeschlossen, die der Meinung waren, dass er sich deshalb schlecht fühlen sollte - wie ein Verräter. Doch das tat er nicht.
Wenigstens bewarfen ihn die Fans heute Abend nicht mit Gegenständen, was im Grunde ein Schock war, wenn man bedachte, wie verraten sich die Menschen von seinem Überlaufen zum Feind 200 Kilometer weiter südlich gefühlt hatten.
Ein Lächeln umspielte seinen Mundwinkel, als er seinen Helm überstülpte und auf Schlittschuhen zum mittleren Anspielkreis glitt, um mit seinem ehemaligen Mannschaftskameraden Markus Naslund das Spiel zu eröffnen. Sicherheitshalber lief er zwei Mal am Kreis vorbei, bevor er mittendrin stoppte.
»Wie läuft’s denn so, Nazzy?«, fragte er.
»Fick dich, Heiliger«, gab Markus grinsend zurück.
Ty lachte. Er mochte Nazzy. Respektierte sein Können auf dem Eis, doch heute Abend war es seine Aufgabe, in ihm den Wunsch zu wecken, lieber zu Hause geblieben zu sein. Ty kannte die Gegner besser als die Spieler seines eigenen Teams, weil er schon viel länger mit ihnen gespielt hatte, aber in 5-gegen-5-Situationen hatten die Chinooks die beste Mannschaft in der Liga, während ihre Powerplay-Unit der Grund für ein Viertel der Tore war, wenn sie in der Überzahl waren. Wenn die Chinooks Feuer gefangen hatten, dominierten sie das Eis mit Tempo, animalischer Kraft und Eishockey-Verstand.
Doch an jenem Abend in Vancouver lag etwas Merkwürdiges in der Luft. Ty glaubte nicht so sehr ans Verhextsein. Klar, er lief immer erst zwei Mal am mittleren Anspielkreis vorbei, bevor er ihn betrat, doch im Grunde war er nicht abergläubisch. Er glaubte mehr an Können als an irgendein undefinierbares Pech, weshalb er auch einer der wenigen Spieler war, die sich während der Play-offs rasierten.
Aber an diesem Spiel war wirklich irgendwas suspekt. Vom Einwurf der ersten springenden Gummischeibe an entwickelten sich die Dinge nicht zugunsten der Chinooks. Die Verteidigung hatte ihre liebe Mühe, den Puck überhaupt zum Angriff zu spielen, und wie der Rest des Teams konnte Ty keinen festen Rhythmus finden. Ty stürmte zum gegnerischen Netz, hatte jedoch Probleme, den Puck in Schussposition zu bringen.
Schüsse prallten vom Torgestänge ab, und nach der Hälfte des zweiten Drittels war das Spiel zu Eishockey der alten Schule degeneriert. Sam Leclaire und Guard Andre Courture hockten die meiste Zeit wegen »unabsichtlichen« Beinstellens, Ellenbogenstößen, Stockschlägen und übertriebener Härte in den Spielfeldecken auf der Strafbank.
In den letzten Spielsekunden hatte Ty endlich einen Flow und raste mit dem Puck auf der Schaufel übers Eis. Er wusste, dass der Goalie aus Vancouver mit links fing und rechts antäuschte. Das Sch-Sch seiner Schlittschuhe wurde vom Hämmern in seinem Kopf und der schreienden Menschenmenge übertönt. Er holte aus und feuerte zwischen Roberto Luongos Beine. Das Schlägerblatt knallte aufs Eis und zerbrach, und Ty musste ungläubig zusehen, wie der Puck weit neben das Tor rutschte, während der Schluss-Summer ertönte. Das Spielergebnis: Seattle-Vancouver 1:2.
Eine halbe Stunde später saß Ty in der Kabine der Gastmannschaft und starrte mit leerem Blick auf den Teppich zwischen seinen nackten Füßen. Er hatte sich ein Handtuch um die Hüfte und ein zweites um den Hals geschlungen. Seine Mannschaftskameraden standen vor ihren Schließfächern, trockneten sich ab und zogen sich für den Heimflug an. Das einzig Gute an dem Abend war, dass Coach Nystrom die Presse aus der Kabine verbannt hatte.
»Wir werden dieses Spiel hinter uns lassen«, verkündete Coach Nystrom entschlossen, als er hereinkam. Er schob die Hände in die Taschen seiner Anzughose. »Die Assistenztrainer und ich werden uns die Aufzeichnungen des Spiels ansehen, um herauszufinden, was zum Teufel heute schiefgelaufen ist. Wenn wir am Samstag wieder auf Vancouver treffen, sind wir besser vorbereitet.«
»Das Spiel war verhext«, murmelte Vlad »der Pfähler« Fetisov, während er in seine Hose stieg.
Stürmer-Rookie Logan Dumont bekreuzigte sich. »Kam mir auch so vor.«
Ty stand auf und entledigte sich des Handtuchs um seinen Hals. Es war noch zu früh in den Play-offs, um nervös zu werden. »Ein schlechtes Spiel macht noch keine schlechte Play-off-Saison, und es bedeutet nicht, dass wir verhext sind.« Im Training funktionierten sie wie eine gut geölte, unschlagbare Maschine. In den Spielen verstanden sie sich nicht ganz so gut, und Ty fiel nur eine Möglichkeit ein, das in Ordnung zu bringen. »Pokerabend«, rief er. »Ich informiere euch alle rechtzeitig über Zeit und Ort. Bringt Bargeld mit und macht euch aufs Verlieren gefasst.« Die Chinooks liebten Poker, und es gab nichts Besseres als diese Gemeinsamkeit, um ihre Männerfreundschaften zu vertiefen. Zu seinen eigenen Rookie-Zeiten hatten die Jungs ihn in einen Stripclub mitgeschleppt, um ihn in die Gemeinschaft einzuführen. Als er an Vancouver verkauft wurde, hatten sie sich im Mugs and Jugs, einer Sportbar, besser angefreundet. Ty hatte Stripclubs nie besonders gemocht. Was angesichts der aktuellen Chinooks-Eigentümerin eine Ironie des Schicksals war.
Er ließ das Handtuch fallen und fuhr sich mit den Fingern durch das feuchte Haar. Am Morgen hatte er gehört, dass die Witwe die Mannschaft an Virgils Sohn, Landon, verkaufen wollte. So wenig Ty auch über ihn wusste, so ging er doch stark davon aus, dass er ein Riesenarsch war. Trotzdem fand er es besser, einen Arsch als Eigentümer zu haben als ein ahnungsloses Trophäenweibchen.
»Wer bringt die Zigarren mit?«, erkundigte sich Verteidiger Alexander Deveraux, während er sein Oberhemd zuknöpfte.
»Logan«, antwortete Ty prompt und griff nach dem Handtuch, das um seine Taille geknotet war. »Kubanische, klar?« Der dicke Baumwollstoff glitt zu Boden, und er öffnete seine Sporttasche, die auf der Bank stand. Er schob eine alte Ausgabe des Playboy beiseite, die Sam ihm gegeben hatte, und schnappte sich saubere Unterwäsche. Auch wenn er wirklich nicht das brennende Bedürfnis hatte, Mrs Duffy im Evakostüm zu sehen, würde er später wahrscheinlich einen Blick darauf werfen, wenn er nach Hause kam.
»Ich?« Logan schüttelte irritiert den Kopf. »Warum ich?«
»Weil du ein Rookie bist«, wies Sam ihn auf das Offensichtliche hin.
Ty zog sich seinen schwarzen Boxerslip an und rückte seine Kronjuwelen zurecht. Die Presse aus Vancouver würde ihm auflauern, und er freute sich nicht gerade auf den Spießrutenlauf zwischen Kabine und Bus. Die Sportjournalisten waren brutal gewesen, als er verkauft wurde, und er rechnete nicht damit, dass sie heute Abend sanfter mit ihm umspringen würden.
Und er hatte recht. Er hatte kaum drei Schritte aus der Kabine gemacht, als schon die erste Frage auf ihn abgefeuert wurde.
»Die Chinooks haben heute nur sechzehn Mal aufs Tor geschossen. Was ist aus dem ›Exekutionskommando‹ geworden?«, wollte ein Reporter der Vancouver Sun wissen, womit er die aus Ty, Daniel Holstrom und Walker Brookes bestehende Sturmreihe meinte.
Ty schüttelte den Kopf und lief weiter. »Heute war nicht unser Tag.«
»Jetzt, wo die Organisation so sehr im Umbruch ist und zum Verkauf steht«, bemerkte ein anderer Klugscheißer, »muss sich das zwangsläufig auf Ihr Spiel und Ihre Chancen auf den Pokalgewinn auswirken.«
»Wir befinden uns noch ganz am Anfang der Play-off-Saison.« Ty lächelte schief und ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Ich bin da ganz entspannt«, log er.
»Savage, Sie Verräter! Was ist es für ein Gefühl, eine Frau als Eigentümerin zu haben?«
Er lief weiter.
»Ich hab gehört, sie will die Kabine pink streichen.«
»Nein, lachsrosa«, fügte ein anderer Reporter hinzu. »Und Häschenohren auf Ihr Fischchen setzen.«
»Trägt sie ihr Bunny-Schwänzchen, wenn sie Ihren Scheck unterschreibt?« Das brachte sie alle zum Lachen.
Obwohl sie nicht die Bohne lustig waren, grinste Ty und stimmte in das Gelächter ein. »Mir ist egal, was Miss Januar trägt, wenn sie meinen Scheck unterschreibt. Solange sie ihn unterschreibt.«
»Was ist dran an der Ankündigung, dass sie Gespräche über den Verkauf der Mannschaft führt?«
»Davon weiß ich nichts.« Hoffentlich würde alles bald unter Dach und Fach sein. Langwierige Verhandlungen wirkten sich negativ auf die Mannschaft aus. Er hob zum Abschied die Hand und verschwand durch die Hintertür der Arena nach draußen. »Gute Nacht, meine Herren.«
Es war Miss Juli. Sie war Miss Juli gewesen.
»Es hat wohl nicht gereicht, dass du eine schamlose Goldgräberin bist. Du musstest auch noch die Mannschaft meines Vaters zum Gespött der Leute machen. Du bist peinlich.«
Faith blickte vom Sportteil auf, der auf dem Tisch vor ihr lag. Wenn Ty Savage sich schon abfällig über sie äußerte, konnte er zumindest den richtigen Monat nennen. »Dein Vater hat mir die Mannschaft geschenkt«, gab sie zurück. »Ihm war ich nicht peinlich.«
Landon Duffy, der ihr gegenübersaß, warf ihr einen finsteren Blick zu. Er sah seinem Vater so ähnlich, dass es schon unheimlich war, doch während Virgils eisige blaugraue Augen auch verschmitzt funkeln konnten, waren Landons nur kalt. Und heute waren sie geradezu schockgefrostet, woran sie genau erkannte, wie sehr er es ihr übel nahm, 170 Millionen für eine Mannschaft hinblättern zu müssen, die er eigentlich für seine hielt. »Er war ein seniler, alter Mann, der sich leicht manipulieren ließ.«
»So leicht dann ja wohl doch nicht, sonst säßen wir nicht hier. Dann hättest du die Mannschaft schon längst, und nicht ich.« Landon war einer der wenigen Menschen, die sie einschüchterten. Sogar sehr, aber das hieß nicht, dass sie es sich anmerken lassen musste. Sie warf einen Blick nach links zu ihrem Anwalt. Eigentlich bräuchte sie heute gar nicht hier zu sitzen. Ihre Anwälte hätten das regeln können, allerdings sollte Landon nicht wissen, dass er ihr Angst machte. »Bringen wir es hinter uns.«
Ihr Rechtsanwalt schob Landon und seinem Anwaltsteam eine schriftliche Absichtserklärung über den Tisch. Während sie die Akte durchgingen, dachte Faith über den Rat ihres eigenen Anwalts nach, auch andere Angebote in Erwägung zu ziehen. Er hatte etwas von langfristigen Steuervorteilen, Betriebskosten, Sicherheiten, Gehaltsobergrenzen und Cross Merchandising gefaselt, was andere potenzielle Eigentümer anlocken und den Preis hochtreiben würde. Aber Faith war nicht an dem Geld interessiert. Nur daran, jeden weiteren Umgang mit den Duffys zu vermeiden.
Wäre Landon ein anderer Mensch gewesen, ein netterer Mensch, hätte sie ihm die Mannschaft einfach geschenkt. Die 50 Millionen, die Virgil ihr hinterlassen hatte, waren mehr als genug. Doch wenn Landon ein anderer Mensch gewesen wäre, ein netter Mensch, hätte sein Vater vermutlich ihm die Chinooks hinterlassen. Und wenn Virgil ein anderer Mensch gewesen wäre, ein versöhnlicherer Mensch, hätte er nicht dafür gesorgt, dass sein Sohn ihre von Streit geprägte Beziehung so teuer bezahlte.
Faith erhob sich und strich die Falten an ihrem Kamelhaarrock glatt. »Die Besprechung der Details überlasse ich Ihnen, meine Herren.« Sie schnappte sich ihren roten Wollmantel vom Stuhl neben ihr und sagte zu ihrem Anwalt: »Ich bin im Bürogebäude der Chinooks in einer Sitzung mit dem Management, um alle über meine Entscheidung zu informieren.« Sie kannte weder den Trainerstab noch irgendwen vom Management, fand aber, dass sie es verdienten, von ihr persönlich über die Situation in Kenntnis gesetzt zu werden. Es war ihre Aufgabe, sie zu informieren, statt zu warten, bis sie es von ihren Anwälten oder durch die Medien erfuhren. Sie wollte ihnen sagen, wie viel die Organisation Virgil bedeutet hatte, und ihnen versichern, dass sie bei Landon gut aufgehoben wären. Sosehr sie Landon auch verabscheute, das stimmte immerhin. »Rufen Sie mich an, wenn Sie hier fertig sind.«
Landon unterschrieb mit elegantem Schwung und blickte auf. »Denk daran, nichts von dort mitgehen zu lassen. Dir gehört dort nichts.«
Gott, seine ständigen Anspielungen, dass sie eine Diebin war, waren ermüdend, aber lange musste sie sich das nicht mehr bieten lassen.
»Bis wir die endgültigen Papiere unterzeichnet haben und dein Scheck gedeckt ist, gehört dort alles mir.«
»Denk an meine Worte, Layla«, schob er nach und schlug ihr ihren Künstlernamen um die Ohren.
Sie schnappte sich ihre Clutch vom Tisch und hielt sie wie einen Schutzschild vor ihren Bauch, in dem es vor Wut rumorte. Faith hatte fast ihr ganzes Leben mit Männern wie Landon zu tun gehabt. Mit herablassenden Männern, bei denen allein ihre Gegenwart Anstoß erregte, obwohl sie sie mit lüsternen Blicken auszogen. Selbst wenn sie einen Pullover trug, der ihren Körper vom Kinn bis zu den Handgelenken verhüllte, und ihr der Rock bis über die Knie reichte, blieb sie für sie immer die Stripperin, die sich für Geld auszog. Selbst wenn diese Herren Vorsitzende karitativer Organisationen waren, die Geld für weniger vom Schicksal Begünstigte auftrieben. Sie nahmen ihr übel, dass sie es wagte, ihre exklusive Luft zu atmen.
Ihr lag auf der Zunge, Landon zu sagen, dass er sie mal konnte. Sie spürte, wie Layla sich an die Oberfläche drängte, um so richtig vom Leder zu ziehen. Aber genau das wollte
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »True Love And Other Disasters« bei Avon Books, an Imprint of HarperCollins Publishers, New York.
Die Übersetzerin dankt dem Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen für die Unterstützung der übersetzten Arbeit.
1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Juli 2010
Copyright © der Originalausgabe 2009 by Rachel Gibson Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der
Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München Umschlagfoto: Getty Images/Jamie Grill KA · Herstellung: Str. Redaktion: Anita Hirtreiter Satz: omnisatz GmbH Berlin
eISBN : 978-3-641-04867-9
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