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Zwei wie Feuer und Wasser – es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Emotionen überkochen!
Für den gut aussehenden Mark Bressler gibt es zwei Arenen, in denen er unschlagbar ist: auf dem Eishockeyfeld und im Bett. Bis er sich vor einem wichtigen Spiel verletzt – und strikte körperliche Schonung – in jeder Hinsicht – verordnet bekommt. Mark lässt seine schlechte Laune an jedem aus, der ihm über den Weg läuft. Pech für Chelsea Ross, seine neue Assistentin, für die sich wieder einmal bestätigt, dass alle Stars überheblich und arrogant sind. Einfach unausstehlich – und unglaublich anziehend ...
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Seitenzahl: 454
Es gibt zwei Dinge, bei denen Mark Bressler mit seinen 38 Jahren unschlagbar ist: beim Eishockey und beim Sex. Doch das ändert sich schlagartig, als der langjährige Kapitän der Seattle Chinooks sich vor einem wichtigen Spiel verletzt. Schlimm genug, dass sich seine Mannschaft ohne ihn den begehrten Stanley Cup holt, aber dass er nun aus gesundheitlichen Gründen auch noch auf körperliche Liebe verzichten muss, gibt ihm den Rest. Mark lässt seine schlechte Laune an jedem aus, der ihm über den Weg läuft. Pech für Chelsea Ross, seine neue Assistentin, für die sich wieder einmal bestätigt, dass alle Stars überheblich und arrogant sind. Einfach unausstehlich – und unglaublich attraktiv …
Seit sie sechzehn Jahre alt ist, erfindet Rachel Gibson mit Begeisterung Geschichten. Mittlerweile hat sie nicht nur die Herzen ihrer Leserinnen erobert, sie wurde auch mit dem »Golden Heart Award« der Romance Writers of America und dem »National Readers Choice Award« ausgezeichnet. Rachel Gibson lebt mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Katzen und einem Hund in Boise, Idaho.
Von Rachel Gibson außerdem bei Goldmann lieferbar: Das muss Liebe sein. Roman Traumfrau ahoi! Roman Sie kam, sah und liebte. Roman Er liebt mich, er liebt mich nicht. Roman Ein Rezept für die Liebe. Roman Gut geküsst ist halb gewonnen. Roman Frisch getraut. Roman Liebe, fertig, los! Roman Küssen will gelernt sein. Roman Darf’s ein Küsschen mehr sein? Roman Küss weiter, Liebling! Roman Küsse auf Eis. Roman
Nur weil man Schwein hatte, noch am Leben zu sein, hieß das noch lange nicht, dass man darüber glücklich sein musste.
»Gestern Abend hat Ihre Eishockeymannschaft ohne Sie den Stanley-Cup gewonnen. Wie fühlen Sie sich dabei?«
Mark Bressler, Ex-NHL-Superstar und in jeder Hinsicht ein knallharter Typ, ließ den Blick über die Mikrofonreihe und die Wand aus Kameras zu den etwa zwölf Reportern schweifen, die sich im Presseraum der Key Arena drängten. Er hatte in den vergangenen acht Jahren für Seattle gespielt und die letzten sechs davon als Mannschaftskapitän brilliert. Fast sein Leben lang hatte er sich geschunden, um den Stanley-Cup eines Tages in die Luft recken zu können und das kalte Silber in seinen Händen zu spüren. Er hatte sich dem Eishockey mit Leib und Seele verschrieben, seit er sein erstes Paar Schlittschuhe zugeschnürt hatte. Er hatte Blut, Schweiß und Tränen auf dem Eis gelassen und sich mehr Knochenbrüche zugezogen, als er zählen konnte. Eishockey als Profisport war sein Leben. Alles, was ihn ausmachte, und gestern Abend hatte sein Team ohne ihn gewonnen. Vom Wohnzimmersofa aus hatte er zusehen müssen, wie die elenden Mistkerle auf der Eisfläche mit seinem Pokal ihre Runden drehten. Was zum Henker glaubten die, wie er sich dabei fühlte? »Natürlich wünschte ich, ich hätte dabei sein können, aber ich freue mich riesig für die Jungs. Keine Frage.«
»Nach Ihrem Unfall vor sechs Monaten wurde der Mann engagiert, der jetzt neben Ihnen sitzt, um an Ihre Stelle zu treten«, meinte ein Reporter und nahm Bezug auf den erfahrenen Eishockeyspieler Ty Savage, der Mark als Kapitän der Chinooks nachgefolgt war. »Das war damals eine kontroverse Entscheidung. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hörten, dass Savage Sie ersetzen würde?«
Es war kein Geheimnis, dass Savage und er sich nicht leiden konnten. Soweit Mark sich erinnerte, war er dem Mann zum letzten Mal so nahe gewesen, als er in der regulären Saison gegen ihn das Bully ausgeführt hatte. Damals hatte er Savage als überschätztes primadonnenhaftes Arschloch beschimpft und Savage ihn als zweitklassige Möchtegern-Möse. Ein ganz normaler Arbeitstag. »Als Savage unter Vertrag genommen wurde, lag ich im Koma. Ich glaube nicht, dass mir da irgendwas ›durch den Kopf‹ ging. Jedenfalls nichts, woran ich mich erinnern würde.«
»Und was denken Sie jetzt?«
Dass Savage ein überschätztes primadonnenhaftes Arschloch ist. »Dass das Management ein echtes Gewinnerteam zusammengestellt hat. Die Jungs haben hart trainiert und alles gegeben, um den Pokal nach Seattle zu holen. Zu Beginn der Play-offs lagen wir bei achtundfünfzig Punkten und vierundzwanzig Toren. Ich muss nicht extra darauf hinweisen, dass das beeindruckende Statistiken sind.« Er schwieg und überlegte sich den nächsten Satz gut. »Es versteht sich von selbst, dass die Chinooks von Glück sagen konnten, dass Savage frei und für den Transfer offen war.« Dass er ihm Dankbarkeit schuldete oder Savage für die Mannschaft der reinste Glücksfall gewesen war, käme ihm niemals über die Lippen.
Das überschätzte primadonnenhafte Arschloch lachte, und Mark fand den Kerl fast sympathisch. Aber nur fast.
Jetzt wandten sich die Reporter Ty zu. Während sie sich nach Savages überraschender Bekanntgabe, sich aus dem aktiven Sport zurückzuziehen, und nach seinen Zukunftsplänen erkundigten, senkte Mark den Blick auf seine Hand, die auf dem Tisch ruhte. Zwar hatte er die Schiene für die Pressekonferenz abgenommen, doch sein rechter Mittelfinger war so steif wie die Stahlstifte und die Nägel, mit denen er zu einem permanenten Stinkefinger zusammengeflickt war.
Sehr passend.
Nachdem die Reporter auch den Rest der Chinooks an dem langen Pressetisch mit Fragen bombardiert hatten, wandten sie sich wieder an Mark. »Planen Sie ein Comeback, Bressler?«, wollte ein Journalist wissen.
Mark blickte lächelnd auf, als würde diese Frage nicht Salz in seine tiefste Wunde streuen. Er sah dem Mann ins Gesicht und rief sich in Erinnerung, dass Jim – für einen Zeitungsfritzen – ganz okay und bisher immer fair gewesen war. Nur aus dem Grund reckte Mark nicht die rechte Hand hoch, um ihm seine Verachtung zu zeigen. »Die Ärzte sagen nein.« Obwohl es gar keiner Ärzte bedurft hatte, um ihm zu bestätigen, was er schon von dem Moment an gewusst hatte, als er auf der Intensivstation die Augen aufschlug. Der Unfall, der die Hälfte der Knochen in seinem Körper zertrümmert hatte, hatte sein Leben zerstört. Ein Comeback war ausgeschlossen. Selbst wenn er erst achtundzwanzig gewesen wäre statt achtunddreißig.
Geschäftsführer Darby Hogue trat vor. »In der Chinooks-Organisation wird es für Mark immer einen Platz geben.«
Als was? Er konnte nicht einmal die Eismaschine lenken. Aber es spielte auch keine Rolle. Wenn Mark nicht Eishockey spielen konnte, wollte er sich lieber ganz von der Eisbahn fernhalten.
Die Pressemeute widmete sich wieder dem Spiel vom Vorabend, und Mark lehnte sich zurück. Mit der gesunden Hand umfasste er den Griff seines Stocks, der an seinem Schenkel lehnte, und strich mit dem Daumen über das glatte Walnussholz. Schon an guten Tagen hasste Mark Pressekonferenzen. Und obwohl heute kein guter Tag war, saß er trotzdem hier, tief im Inneren der Key Arena, weil er nicht wie ein Spielverderber aussehen wollte. Wie ein Arsch, der nicht damit klarkam, seiner Mannschaft dabei zusehen zu müssen, wie sie ohne ihn die begehrteste Eishockeytrophäe errang. Außerdem hatte Faith Duffy ihn am Morgen angerufen und um sein Kommen gebeten, und es fiel ihm schwer, der Frau etwas abzuschlagen, die noch immer seine Rechnungen beglich.
In der nächsten halben Stunde beantwortete Mark mit Engelsgeduld Fragen und schaffte es sogar, über ein paar miese Witze zu lachen. Er wartete, bis auch der letzte Reporter aus dem Raum marschiert war, bevor er seinen Stockgriff fester umfasste und sich hochdrückte. Savage räumte ihm einen Stuhl aus dem Weg, und Mark murmelte ein Dankeschön. Es gelang ihm sogar, aufrichtig zu klingen, während er einen Fuß vor den anderen setzte und langsam den Raum durchquerte. Er fand sein gewohntes, gleichmäßiges Tempo und schaffte es bis zur Tür, bevor sich der erste stechende Schmerz in seiner rechten Hüfte festsetzte. Er hatte am Morgen keine Medikamente genommen, weil er nicht wollte, dass ihm irgendwas die Sinne vernebelte; deshalb zirkulierte in seinem Blutkreislauf nichts, das den Schmerz hätte lindern können.
Seine Teamkameraden klopften ihm auf den Rücken und versicherten ihm, wie sehr sie sich freuten, ihn zu sehen. Vielleicht meinten sie es auch so. Ihm war es völlig egal. Er musste hier raus, bevor er noch ins Straucheln geriet. Oder noch schlimmer, auf den Arsch fiel.
»Es ist schön, dich zu sehen.« Im Flur holte ihn Stürmer Daniel Holstrom ein.
Marks Oberschenkel krampfte so, dass ihm vor Schmerz der Schweiß auf der Stirn stand. »Gleichfalls.« In den vergangenen sechs Jahren hatte er Seite an Seite mit Daniel in der Angriffslinie gekämpft. Und Daniel als Rookie eingeführt. Das Letzte, was er wollte, war, vor dem Stromster oder sonst wem zusammenzubrechen.
»Ein paar von uns gehen gleich zu Floyd’s. Komm doch mit.«
»Ein andermal.«
»Wir ziehen heute Abend wahrscheinlich um die Häuser. Ich ruf dich an.«
Klar zogen sie um die Häuser. Schließlich hatten sie den Pokal gewonnen. »Ich hab schon was vor«, log er. »Aber wir treffen uns bald mal.«
Daniel blieb stehen. »Ich komm drauf zurück«, rief er Mark nach.
Mark nickte und atmete tief durch. Lieber Gott, dachte er, lass es mich noch bis zum Auto schaffen, bevor mein Körper schlappmacht.
Er glaubte schon, dass Gott ihn erhörte, als ihn am Ausgang eine kleine dunkelhaarige Frau einholte.
»Mr Bressler«, legte sie los und heftete sich ihm an die Fersen. »Ich bin Bo aus der PR-Abteilung.«
Sein Verstand mochte vor Schmerzen getrübt sein, aber er wusste, wer sie war. Die Jungs aus der Mannschaft nannten sie den Mini-Pitbull, kurz Mini-Pit, und das aus gutem Grund.
»Ich möchte mit Ihnen reden. Haben Sie ein paar Minuten? «
»Nein.« Er lief weiter. Setzte einen Fuß vor den anderen. Als er mit der schlimmen Hand nach der Tür griff, stieß Mini-Pit sie für ihn auf, und er hätte sie dafür knutschen können. Stattdessen murmelte er seinen Dank.
»Die Personalabteilung schickt Ihnen eine neue Betreuerin ins Haus. Sie kommt heute noch vorbei.«
Was hatte eine Betreuerin mit PR zu tun?
»Ich glaube, diese werden Sie mögen«, fuhr Bo fort, während sie ihm ins Freie folgte.
Eine leichte Sommerbrise kühlte den Schweiß auf Marks Stirn, doch die frische Luft half nicht, das Hämmern in seinem Kopf zu mildern und die Schmerzen in seinem Körper zu lindern. Am Straßenrand wartete ein schwarzer Lincoln auf ihn, und er verlangsamte seine Schritte.
»Sie kommt auf meine persönliche Empfehlung.«
Der Chauffeur stieg aus und öffnete ihm die hintere Beifahrertür. Mark ließ sich vorsichtig in den Wagen gleiten und biss die Zähne zusammen, so sehr schmerzte sein verkrampftes Bein.
»Wenn Sie ihr eine Chance geben könnten, wüsste ich es sehr zu schätzen«, rief Bo noch, als der Fahrer die Tür zuschlug und sich zurück zum vorderen Teil des Wagens begab.
Mark griff in seine Hosentasche und zog ein Röhrchen mit Schmerztabletten heraus. Mit einem Plopp öffnete er den Deckel, warf sechs Pillen ein und kaute. Wie Jose Cuervo war Vicodin pur nur was für Kenner.
Bo rief ihm noch etwas zu, als der Wagen in Richtung SR 520 losfuhr. Er hatte keinen Schimmer, warum die Personalabteilung ihm ständig neue Betreuerinnen auf den Hals hetzte. Er wusste nur, dass es was mit dem Nachsorgeprogramm der Organisation zu tun hatte, aber Mark brauchte kein Kindermädchen. Er verabscheute es, von anderen abhängig zu sein. Zum Teufel, er hasste es schon, auf den Fahrservice angewiesen zu sein, der ihn durch die Gegend kutschierte.
Er legte den Kopf zurück und atmete tief durch. Die ersten drei Betreuerinnen hatte er schon wenige Sekunden nach Dienstantritt gefeuert. Er hatte ihnen nahegelegt, aus seinem Haus zu verschwinden, und die Tür hinter ihnen zugeknallt. Danach hatte die Chinooks-Organisation ihn wissen lassen, dass die Pflegerinnen in ihrem Auftrag arbeiteten. Dass die Organisation nicht nur für ihr Gehalt, sondern auch für Marks Behandlungskosten aufkam, die nicht von der Versicherung abgedeckt waren. Was gewaltige Summen waren. Kurz gesagt, er durfte niemanden feuern. Aber das hieß natürlich nicht, dass er den Mädels nicht beim Kündigen unter die Arme greifen konnte. Die letzten zwei Betreuerinnen, die ihm geschickt worden waren, hatten es nicht mal eine Stunde ausgehalten, und er ging jede Wette ein, dass er die nächste in der Hälfte der Zeit rausekeln konnte.
Ihm fielen die Augen zu, und während der zwanzigminütigen Autofahrt nach Medina döste er. Im Traum blitzten Bilder durch sein müdes Hirn. Er beim Eishockeyspielen, die Wangen vom Fahrtwind gekühlt, der ihm das Trikot hochpeitschte. Er konnte das Eis riechen, das Adrenalin auf der Zunge schmecken; er war wieder der Mann, der er vor dem Unfall gewesen war. Ein richtiger Mann.
Das unmerkliche Wechseln des Lincoln auf die Abfahrtsspur weckte ihn, und wie immer erwachte er voller Schmerz und Enttäuschung. Er schlug die Augen auf und blickte durchs Fenster auf die von Bäumen gesäumten Straßen, die nach Geld und Überheblichkeit stanken. Er war fast daheim. In einem leeren Haus und einem Leben, das er nicht mehr wiedererkannte und hasste.
Landschaftsgärtner mähten und kanteten in Grüppchen die makellosen Rasenflächen in dem kleinen Seattler Vorort. Ein paar der reichsten Menschen der Welt lebten in Medina, doch Reichtum allein öffnete keine Türen und garantierte keinen Zutritt zu einem elitären Zirkel. Sehr zur Bestürzung seiner Exfrau. Christine hatte sich so verzweifelt gewünscht, der exklusiven Gruppe von Frauen anzugehören, die sich in ihren St. John- und Chanel-Kostümen im Country Club zum Lunch trafen. Die älteren, perfekt frisierten Damen und die jüngeren Gattinnen von Microsoft-Millionären, die sich in ihrem Snobismus suhlten. Egal, wie viel von Marks Kohle Chrissy für ihre guten Zwecke stiftete, sie ließen sie nie vergessen, dass sie aus einer Arbeiterfamilie in Kent stammte. Selbst darüber hätten sie vielleicht noch hinweggesehen, wenn ihr Mann seine Millionen als Geschäftsmann oder im Finanzwesen gescheffelt hätte. Aber Mark war Sportler, und das in keinem akzeptablen Sport wie Wasserpolo. Er spielte Eishockey!
In den Augen der Bewohner von Medina hätte er genauso gut mit Drogen dealen können. Ihm persönlich war es immer völlig egal gewesen, was die Leute von ihm hielten. Das war es noch immer, aber Chrissy hatte es kirre gemacht. Sie war dem Mammon derart verfallen und so überzeugt davon, man könnte für Geld alles kaufen, dass sie ihm die Schuld gegeben hatte, als sie das Einzige, was sie sich so verzweifelt wünschte, dafür doch nicht bekam. Klar, es gab da so einiges, was er in seiner Ehe falsch gemacht hatte oder hätte besser machen können, aber er hatte nicht vor, die Schuld dafür auf sich zu nehmen, dass sie nicht zu den Cocktail-Partys der Nachbarn eingeladen und im Country Club brüskiert wurde.
Als er an seinem fünften Hochzeitstag nach einer fünftägigen Reise nach Hause kam, war seine Frau weg. Sie hatte ihr ganzes Zeugs mitgenommen, ihm aber aufmerksamerweise ihr Hochzeitsalbum dagelassen, das auf der zentralen Kücheninsel aus Granit auf ihn wartete. Es war bei einem Foto von ihnen beiden aufgeschlagen, auf dem eine zauberhafte Chrissy in ihrem Vera-Wang-Kleid strahlte, während er im Armani-Smoking neben ihr stand. Das Küchenmesser in seinem Kopf hatte das Bild vom trauten Eheglück irgendwie verdorben. Für ihn jedenfalls.
Sollte man ihn ruhig einen Romantiker schimpfen.
Er wusste nach wie vor nicht so recht, was sie eigentlich so erbost hatte. Schließlich war er gar nicht oft genug zu Hause gewesen, um sie so richtig zu vergrätzen. Sie hatte ihn verlassen, weil er und sein Geld ihr nicht genügten. Sie hatte mehr gewollt und es weiter unten an der Straße gefunden, bei einem Sugar-Daddy, der fast doppelt so alt war wie sie. Die Tinte auf den Scheidungspapieren war kaum getrocknet, da war sie schon in ein Haus ein paar Straßen weiter gezogen, wo sie jetzt unweit von Bill Gates am Seeufer wohnte. Doch trotz der nobleren Adresse und des akzeptablen Ehemanns bezweifelte Mark, dass die Mädels im Country Club jetzt plötzlich netter zu ihr waren. Höflicher, ja. Netter, nein. Aber das machte Chrissy bestimmt nicht mal viel aus. Solange sie ihr Küsschen auf die Wange hauchten und ihr Komplimente über ihre Designer-Klamotten machten, war sie glücklich.
Als die Scheidung vor einem Jahr rechtsgültig geworden war, hatte Mark »Nichts wie weg aus Medina« ganz oben auf seine Prioritätenliste gesetzt. Gleich hinter dem Stanley-Cup-Gewinn. Doch Mark war kein Multitasking-Talent. Er machte immer schön eins nach dem anderen, dafür aber gründlich. Die Suche nach einem neuen Zuhause stand noch immer auf Platz zwei der Liste, nahm derzeit allerdings auf der Wichtigkeitsskala hinter »Drei Meter ohne Schmerzen gehen« nur den zweiten Rang ein.
Der Lincoln bog in Marks kreisrunde Einfahrt und hielt hinter einem ramponierten Honda CR-V mit kalifornischem Kennzeichen. Vermutlich die Betreuerin. Mark umklammerte seinen Stock und sah durchs Fenster zu der Frau, die auf seiner Verandatreppe hockte. Sie hatte eine große Sonnenbrille auf und trug eine Jacke in knalligem Orange.
Der Chauffeur kam zu ihm nach hinten und öffnete ihm die Tür. »Darf ich Ihnen heraushelfen, Mr Bressler?«
»Ich komme zurecht.« Als er aus dem Wagen stieg, krampfte seine Hüfte und die Muskeln schmerzten. »Danke. « Er gab dem Fahrer ein Trinkgeld und konzentrierte sich auf den Backsteinbürgersteig, der zu seiner Veranda führte, und die Flügeltür aus Mahagoni. Er kam langsam, aber stetig voran, da das Vicodin jetzt endlich wirkte und den Schmerz linderte. Die Frau mit der orangefarbenen Jacke stand auf und beobachtete hinter ihrer großen Sonnenbrille, wie er sich näherte. Unter der Jacke trug sie ein Kleid in allen erdenklichen Farben, aber der buntscheckige Alptraum beschränkte sich nicht auf ihre Kleidung. Ihre Haare waren oben auf dem Kopf blond, wiesen jedoch weiter unten einen unnatürlichen rötlich-rosa Farbton auf. Er schätzte sie auf Ende zwanzig/Anfang dreißig, womit sie jünger war als ihre Vorgängerinnen. Und hübscher, trotz der Haare. Sie reichte ihm kaum bis zur Schulter und war ziemlich dünn.
»Hallo, Mr Bressler«, begrüßte sie ihn, als er brüsk an ihr vorbeilief und die Treppe hinaufstieg. Sie hielt ihm die Hand hin. »Ich bin Chelsea Ross. Ihre neue Betreuerin.«
Aus der Nähe betrachtet war die Jacke der Frau auch nicht schöner. Sie war aus Leder und sah aus, als hätte sie höchstpersönlich drauf rumgekaut. Er ignorierte die ausgestreckte Hand und durchwühlte seine Tasche nach seinen Schlüsseln. »Ich brauche keine Betreuerin.«
»Ich hab schon gehört, dass Sie schwierig sind.« Sie schob ihre Brille hoch auf den Kopf und lachte. »Sie werden mir doch das Leben nicht schwer machen, oder?«
Er steckte den Schlüssel ins Schloss und sah über die Schulter in ihre strahlend blauen Augen. Er hatte nicht viel Ahnung von Damenmode, doch selbst er wusste, dass man nie zu viele grelle Farben auf einmal tragen sollte. Es war, als würde man zu lange in die Sonne gucken, und er fürchtete schon zu erblinden. »Ich versuche nur, Ihnen Zeit zu sparen.«
»Ich weiß es zu schätzen.« Sie folgte ihm ins Haus und schloss die Tür. »Offiziell fange ich erst morgen an. Ich wollte nur schon mal vorbeischauen und mich vorstellen. Nur kurz hallo sagen.«
Er schlenzte seine Schlüssel auf den Flurtisch, die über die Tischplatte schlitterten und neben einer Kristallvase liegen blieben, die schon seit Jahren nicht mal mehr flüchtig Bekanntschaft mit echten Blumen gemacht hatte. »Na schön, dann können Sie ja jetzt wieder gehen«, brummte er und lief weiter über den Marmorboden, an der Wendeltreppe vorbei in die Küche. Von den vielen Schmerzmitteln, die er auf leeren Magen genommen hatte, wurde ihm jetzt langsam übel.
»Das Haus ist wunderschön. Ich hab schon in einigen schönen Häusern gearbeitet und weiß, wovon ich rede.« Sie folgte ihm, als hätte sie es überhaupt nicht eilig, sich endlich vom Acker zu machen. »Eishockey war gut zu Ihnen.«
»Man kann davon leben.« »Wohnen Sie allein hier?«
»Ich hatte mal einen Hund.« Und eine Frau.
»Was ist passiert?«
»Er ist gestorben«, antwortete er und hatte plötzlich das komische Gefühl, sie von irgendwoher zu kennen, war sich aber sicher, dass er sich an diese Haare erinnern würde. Obwohl er bezweifelte, dass er es ihr besorgt hätte, selbst wenn sie eine andere Frisur gehabt hätte. Sie war nicht sein Typ.
»Haben Sie schon zu Mittag gegessen?«
Er überquerte den Marmorboden zu dem Kühlschrank aus Edelstahl, öffnete ihn und zog eine Flasche Wasser heraus. »Nein.« Klein mit großer Klappe war noch nie sein Typ gewesen. »Kennen wir uns irgendwoher?«
»Gucken Sie Reich und Schön?«
»Gucke ich was?«
Sie lachte. »Wenn Sie Hunger haben, könnte ich Ihnen ein Sandwich machen.«
»Nein.«
»Auch wenn ich offiziell erst morgen anfange, könnte ich eine Suppe hinkriegen.«
»Ich sagte nein.« Er neigte die Wasserflasche an seine Lippen und musterte die Frau über den durchsichtigen Plastikrand. Ihre Haare hatten unten echt einen seltsamen Farbton. Nicht ganz rot und nicht ganz rosa, und ihm drängte sich die Frage auf, ob sie sozusagen den Teppich gefärbt hatte, damit er zu den Vorhängen passte. Vor ein paar Jahren hatte sich eine Chinooks-Anhängerin mal die Schamhaare blaugrün gefärbt, um ihre Unterstützung zu demonstrieren. Mark hatte sich die Frau zwar nicht persönlich und aus nächster Nähe angesehen, dafür aber die Fotos.
»Tja, Sie haben gerade eine einmalige Chance verpasst. Ich koche sonst nie für meine Arbeitgeber. Das schafft nur unnötige Präzedenzfälle, und um ganz ehrlich zu sein, bin ich in der Küche eine absolute Niete«, gestand sie mit einem breiten Grinsen, das sogar süß hätte sein können, wäre es nicht so nervtötend gewesen.
Gott, er hasste fröhliche Menschen. Zeit, ihr so richtig auf den Schlips zu treten, um sie loszuwerden. »Sie klingen gar nicht wie eine Russin.«
»Ich bin auch keine.«
In Zeitlupe setzte er die Flasche ab, während er den Blick demonstrativ auf ihre orangefarbene Lederjacke senkte. »Warum sind Sie dann angezogen, als kämen Sie geradewegs von der Fähre?«
Sie blickte verdutzt an sich herab und erklärte: »Das ist meine Pucci.«
Mark war sich relativ sicher, dass sie nicht »meine Muschi« gesagt hatte, aber es hatte verdammt noch mal so geklungen. »Ich verliere bei Ihrem Anblick noch mein Augenlicht. «
Sie blickte auf und kniff die blauen Augen zu Schlitzen zusammen. Er konnte nicht sagen, ob sie gleich lachen oder ihn anschreien würde. »Das ist nicht besonders nett.«
»Ich bin auch nicht besonders nett.«
»Politisch korrekt auch nicht gerade.«
»Na, das wird mir den Schlaf rauben.« Er trank noch ein paar Schlucke. Er war müde und hungrig und wollte sich setzen, bevor er noch stürzte. Vielleicht vor der Glotze bei einer Gerichtssoap einnicken. Tatsache, er verpasste gerade Judge Joe Brown. Er deutete zum Ausgang. »Da geht’s raus. Passen Sie auf, dass Ihnen nicht die Tür ins Kreuz fällt.«
Wieder lachte sie, als hätte sie einen Sprung in der Schüssel. »Ich mag Sie. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.«
Sie hatte mehr als nur einen Sprung in der Schüssel. »Sind Sie …« Er schüttelte den Kopf, als ob er nach dem richtigen Ausdruck suchte. »Was ist die politisch korrekte Bezeichnung für zurückgeblieben?«
»Ich glaube, das Wort, das Sie suchen, ist ›geistig behindert‹. Und nein. Ich bin nicht geistig behindert.«
Er deutete mit der Flasche auf ihre Jacke. »Sind Sie auch sicher?«
»Ganz sicher.« Achselzuckend stieß sie sich von der Theke ab. »Auch wenn ich an der Uni mal beim Komasaufen gestürzt bin. Hab mich selbst mit dem Bierfass bewusstlos geschlagen. An dem Abend sind mir vielleicht ein paar Gehirnzellen abhandengekommen.«
»Zweifellos.«
Sie griff in die Tasche ihrer hässlichen Jacke und zog ein Schlüsselbund mit einem kleinen herzförmigen Anhänger heraus. »Ich bin morgen um neun hier.«
»Da schlaf ich noch.«
»Ach, schon okay«, sagte sie heiter-beschwingt. »Ich klingele so lange, bis Sie aufwachen.«
»Ich hab ’ne geladene Schrotflinte«, log er.
Ihr Lachen war noch zu hören, als sie den Raum schon längst verlassen hatte. »Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen, Mr Bressler.«
Wenn sie auch nicht »geistig behindert« war, so war sie doch durchgedrehter als Hackepeter. Oder noch schlimmer, eins von diesen permanent fröhlichen Weibern.
Was für ein Riesenarschloch. Chelsea schüttelte ihre Lederjacke ab und öffnete die Tür ihres Honda CR-V. Eine Schweißperle rann zwischen ihre Brüste und durchnässte den Formbügel ihres BHs, während sie die Jacke ärgerlich nach hinten schleuderte und sich in den Wagen gleiten ließ. Sie schlug die Tür zu und durchwühlte die Hobo Bag, die auf dem Beifahrersitz lag. Sie schnappte sich ihr Handy, tippte die Nummer ein und wurde direkt zur Mailbox durchgestellt. »Vielen Dank auch, Bo«, schnauzte sie ins Telefon, während sie den Schlüssel in die Zündung steckte. »Als du mich gewarnt hast, dass der Typ schwierig sein könnte, hättest du ruhig gleich dazu sagen können, dass er ein ausgesprochenes Arschloch ist!« Sie klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter, startete mit einer Hand den Wagen und kurbelte mit der anderen das Fenster herunter. »Ein bisschen mehr Vorbereitung wäre schön gewesen. Er hat mich zurückgeblieben genannt und meine Pucci beleidigt!« Sie klappte das Telefon zu und pfefferte es auf den Beifahrersitz. Sie hatte zwei Monate gespart, um sich diese Pucci-Jacke zu kaufen. Was wusste der Typ schon von Mode? Schließlich war er Eishockeyspieler.
Sie steuerte den Wagen auf die Straße und fuhr an den Häusern der Reichen und Versnobten vorbei. Eine kräftige Brise wehte durchs Fenster, und Chelsea lupfte ihr Kleid und ließ ihre Haut von der kühlen Luft trocknen. Wahrscheinlich würde sie unter den Brüsten Ausschlag bekommen, und das war alles Mark Bresslers Schuld. Na gut, er hatte sie nicht gezwungen, an einem heißen Junitag eine Lederjacke zu tragen, aber sie hatte trotzdem Lust, ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben. Schließlich war er Sportler. Das war Grund genug.
Gott, sie hasste Typen wie Mark Bressler. Unverschämte Kerle, die sich für was Besseres hielten. In den letzten zehn Jahren war sie permanent von solchen Männern umgeben gewesen. Sie hatte ihre Termine gemanagt, ihre Hunde ausgeführt und ihre Partys organisiert. Sie hatte als persönliche Assistentin von Filmstars und Multimillionären gearbeitet. Von Promis der Kategorien A-D, bis sie endlich die Nase voll gehabt hatte.
»Die Nase voll« hatte sie letzte Woche im Gästehaus eines zweitklassigen Schauspielers gehabt, der über Nacht mit einer Hauptrolle in einer HBO-Serie groß rausgekommen war. Sie hatte fünf Monate für ihn gearbeitet, im Gästehaus gewohnt, dafür gesorgt, dass er pünktlich zu seinen Terminen erschien, und seine Besorgungen erledigt. Alles war glattgegangen, bis er an jenem Abend zu ihr ins Gästehaus gekommen war und ihr befohlen hatte, sich hinzuknien und ihm einen zu blasen oder sich nach einem anderen Job umzusehen.
Zehn Jahre aufgestaute Wut und Ohnmacht hatten sie die Hand zur Faust ballen lassen. Zehn Jahre voller mieser Jobs und Enttäuschungen, in denen sie sich für nichts und wieder nichts den Arsch aufgerissen hatte. Zehn Jahre, in denen sie dabei hatte zusehen müssen, wie andere anmaßende, talentfreie, eklige Typen Erfolg hatten, während sie auf ihre große Chance wartete. Zehn Jahre schmierige sexuelle Avancen und undankbare Jobs ließen sie ausholen und ihm eins aufs Auge hauen. Danach hatte sie ihre Siebensachen in den Honda CR-V gepackt und ihre zweitklassige Agentin angerufen, um ihr zu sagen, dass sie die Nase vollhatte. Sie war 1600 Kilometer von Hollywood weggezogen, weg von den Egos und der Arroganz, nur um bei einem der größten Arschlöcher auf Erden eine Anstellung zu bekommen. Auch wenn Mark Bressler streng genommen nicht ihr Arbeitgeber war. Ihr Gehalt zahlten die Seattle Chinooks – den dicken, fetten Bonus inklusive.
»Drei Monate«, murmelte sie beschwörend vor sich hin. Wenn sie es drei Monate aushielt, hatte die Chinooks-Organisation ihr einen Zehntausend-Dollar-Bonus versprochen. Nachdem sie Mr Bressler kennengelernt hatte, wusste sie, wofür dieser Bonus war.
Bestechung.
Sie schaffte das. Immerhin war sie Schauspielerin. Sie hatte schon vieles für viel weniger ertragen. Sie fuhr auf die SR 520 in Richtung Bellevue, wo ihre Schwester eine Eigentumswohnung besaß. Sie wollte diese zehn Riesen. Und aus keinem noblen Beweggrund wie Kranken zu helfen oder der Kirche oder der städtischen Essensausgabe eine Spende zukommen zu lassen. Sie hatte nicht vor, ihre Familie zu beglücken und endlich doch noch einen Abschluss in Krankenpflege, Technischem Zeichnen oder Grafikdesign zu machen. Genauso wenig wie eine Anzahlung auf ein Haus oder ein neueres Auto zu leisten. Sie hatte keinerlei Absicht, irgendeinen dieser Schritte zu tätigen, der ihr eine Zukunft hätte sichern oder etwas für ihren Geist hätte tun können.
Nach Ablauf der drei Monate wollte sie die zehn Riesen dafür verwenden, etwas für ihren Körper zu tun. Noch bis vor wenigen Tagen hatte sie überhaupt keinen Plan gehabt. Aber jetzt schon, und sie hatte alles bis ins Detail ausgeklügelt. Sie wusste, was zu tun war und wie sie es anpacken musste, und nichts und niemand würde ihr dabei im Weg stehen. Weder das drohende Gesundheitsrisiko noch die Missbilligung ihrer Familie würde sie von ihrem Vorhaben abhalten.
Schon gar nicht ein stinkiger, zu groß geratener, arroganter Eishockeyspieler mit einer fiesen Ader und einem Riesenkomplex.
»Das schmeckt super, Chels. Danke.«
Chelsea blickte von ihrem Spaghettiteller auf und sah ihre Schwester Bo über den Tisch hinweg an. Das Essen war nicht besonders gelungen. Die Sauce war von Prego. »Ich bin ein 3-Sterne-Aufwärmer.«
»Es schmeckt besser als bei Mom.«
Die Schwestern schüttelten sich vor Ekel. »Sie lässt das Fett nie abtropfen.«
»Gibt der Sauce Würze«, zitierte Bo ihre Mutter, während sie ihren Merlot erhob. »Prost.«
»Worauf trinken wir?« Chelsea griff nach ihrem Glas. »Mein Talent, die Sauce in den Topf zu geben?«
»Das, und auf deinen neuen Job.«
Von der Haarfarbe mal abgesehen war es wie ein Blick in den Spiegel, wenn sie Bo ansah. Dieselben blauen Augen, dieselbe kleine Nase, derselbe volle Mund. Derselbe zierliche Körper und dieselben großen Brüste. Es war, als wären die Olsen-Zwillinge losgezogen und hätten zwei Paar identische Stripper-Titten erstanden. Nur dass die Realität nicht ganz so glamourös aussah, wenn man so gebaut war wie ihre Mutter. Die Realität sah nämlich so aus, dass den Schwestern schon von Geburt an vorbestimmt war, unter Rücken- und Schulterschmerzen zu leiden. Und ab vierzig wären sie dazu verdammt, ihre abschlaffenden Brüste hinter sich her zu schleifen.
Bo stieß mit Chelsea an. »Auf dass du länger durchhältst als die anderen Betreuerinnen.«
Obwohl Chelsea die Ältere von beiden war, um schlappe fünf Minuten, war Bo die Reifere. Jedenfalls behaupteten das alle. »Ich halte länger durch.« Sie war scharf auf die zehn Riesen, wollte aber ihrer Schwester nicht verraten, was sie mit dem Geld vorhatte. Das letzte Mal, als sie das Thema Brustverkleinerung angesprochen hatte, war die ganze Familie ausgeflippt und hatte ihr Impulsivität vorgeworfen. Und auch wenn der Vorwurf gelegentlich zutraf, hatte sie doch schon seit Jahren darüber nachgedacht, sich die Brüste verkleinern zu lassen. »Er hat zwar meine Intelligenz angezweifelt und verächtlich über meine Pucci-Jacke gesprochen, aber ich habe schon für viele Ärsche gearbeitet und weiß, wie ich ihn mit meinem gewinnenden Wesen auf meine Seite ziehen kann. Ich lächele einfach und nehme ihm mit aller Freundlichkeit den Wind aus den Segeln. Schließlich bin ich Schauspielerin. Kein Problem.« Sie trank einen Schluck und stellte das Glas wieder weg. »Obwohl er einen leichten Dachschaden haben muss, denn wer mag denn Pucci nicht?«
Bo hob die Hand.
»Du zählst nicht.« Chelsea drehte Spaghetti um die Zinken ihrer Gabel. »Du hast Angst vor Farben, und Mark Bressler zählt nicht, weil er ein zu großer Banause ist, um die Kunstfertigkeit von Designer-Klamotten zu schätzen zu wissen.« Bos Apartment entsprach ihrer Persönlichkeit: schlicht und minimalistisch. Über dem schwarz-weiß gestreiften Sofa hingen ein paar Tintenzeichnungen. Sie hatte ein paar staubige Farne aus Seide, aber nirgendwo ein paar nennenswerte Farbtupfer.
»Er ist eben Eishockeyspieler.« Achselzuckend aß Bo noch einen Bissen. »Elite-Eishockeyspieler sind arrogant und unverschämt. « Nach dem Runterschlucken fügte sie hinzu: »Obwohl Mark gar nicht so schlimm war, als ich mit ihm zu tun hatte. Wenigstens nicht so schlimm wie einige andere sein können. Vor seinem Unfall haben wir mit ihm und ein paar seiner Kollegen eine Riesenmedienkampagne aufgezogen, und er war sogar relativ nett. Klar haben wir uns in die Haare gekriegt, doch letzten Endes war er ganz vernünftig. Er hat sich auch nicht gesträubt, sein Hemd auszuziehen.« Grinsend hob sie die Hand. »Der Typ hatte ein Eight-Pack. Ich. Schwöre. Bei. Gott.«
Chelsea dachte an den Mann, der auf seinen Stock gestützt über den Bürgersteig auf sie zugelaufen war, dabei aber alles andere als schwach gewirkt hatte. Alles an ihm strahlte Kraft und Finsterkeit aus. Augen, Haare, Aura. Ein gefährlicher Archetyp. Wie Hugh Jackman in X-Men — ohne die Krallen, die Gesichtsbehaarung und die Superkräfte. Nicht zu verwechseln mit dem Hugh Jackman, der als Moderator der Oscarverleihung gesungen und getanzt hatte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Mark Bressler plötzlich zu singen anfing. »Wie schlimm war sein Unfall?«
»Hat dir das keiner von der Nachsorge gesagt?«
»Andeutungsweise.« Achselzuckend biss Chelsea ein Stück von dem Knoblauchbrot ab. »Sie haben mir eine Mappe mit seinen Reha-Maßnahmen und ein paar Infos gegeben. «
»Und du hast sie nicht gelesen?«
»Nur einen Blick drauf geworfen.«
Bo riss entsetzt die Augen auf. »Chelsea!«
»Was denn? Ich hab gesehen, dass zweimal in der Woche ein Physiotherapeut zu ihm nach Hause kommt, und den Rest wollte ich morgen lesen. Ich lese immer alles erst am Abend zuvor. Dann ist es noch frisch im Kopf.«
»Das war schon an der Highschool immer deine Entschuldigung. Ein Wunder, dass du den Abschluss geschafft hast.«
Chelsea deutete mit dem Brot auf ihre Schwester. »Was ist Bressler zugestoßen?«
»Letzten Januar ist er auf der 520er-Brücke bei Blitzeis ins Schleudern geraten. Sein Hummer hat sich dreimal überschlagen. « Bo trank einen Schluck Wein. »Es war schrecklich. Der große SUV sah aus wie aus der Schrottpresse. Keiner hat geglaubt, dass er überlebt.«
»Fehlen ihm …« – Chelsea tippte sich mit dem Finger an die Schläfe – »ein paar Tassen im Schrank?« Das würde sein rüpelhaftes Benehmen und seine Antipathie gegen ihre Pucci-Jacke erklären.
»Wie es ihm mental geht, weiß ich nicht.«
»Ich kannte mal eine Maskenbildnerin, die am Set von Schatten der Leidenschaft gearbeitet hat. Nach einem Sturz vom Balkon war sie nicht mehr dieselbe. Es war, als hätte sie keinen Filter mehr, und alles, was ihr durch den Kopf ging, sprudelte einfach so aus ihr heraus. So sagte sie einem der Regisseure, jemand hätte ihm ins Hirn geschissen.« Chelsea aß ihr Brot auf und fügte hinzu: »Da war was dran, aber sie wurde trotzdem gefeuert.«
»Ich dachte, du wärst Komparsin bei Reich und Schön.«
»Das war letzten Monat. Bei Schatten der Leidenschaft hab ich vor drei Jahren mitgemacht.« Sie zuckte die Achseln. »Ich hab eine Barschlampe gespielt und ein Trägerhemdchen und abgeschnittene Jeans-Shorts getragen. Mein Text lautete: ›Laden Sie mich auf einen Drink ein?‹« Sie hatte gehofft, dass ein brillant vorgetragener Satz sich zu einer Stammrolle entwickeln könnte, aber das war natürlich nicht passiert.
»Ich hab Slasher Camp da«, sagte Bo grinsend. »Wir können bis zu deiner Szene vorspulen und sie uns immer wieder ansehen.«
Chelsea lachte. Sie war die erste Schlampe gewesen, die in dem B-Movie mit der Axt erschlagen worden war. »Ich glaube, das war mein bester Schrei überhaupt.«
»Ich dachte, dein bester Schrei war in Killer Valentine.«
»Der war auch gut.« Auch da war sie die erste Schlampe gewesen, die um die Ecke gebracht wurde. Diesmal mit einem Dolch in der Brust.
»Mom hasst deine Horrorfilme.«
Chelsea griff nach ihrem Wein und warf ihrer zuverlässigen, erfolgreichen Zwillingsschwester einen ironischen Blick zu. »Mom hasst fast alles an mir.«
»Nein, tut sie nicht. Sie hasst es nur, dich halbnackt und blutüberströmt zu sehen. Sie macht sich nur Sorgen um dich.«
Das war noch so ein Gespräch, das Chelsea lieber nicht führen wollte. Hauptsächlich, da es immer aufs Gleiche hinauslief. Dass Bo sich schlecht fühlte, weil alle fanden, Chelsea hätte ihr Leben verkorkst. Dass sie impulsiv und vorschnell war, doch in einer Familie voll verbissener Ehrgeizlinge musste ja einer der unterste in der Hackordnung sein. »Erzähl mir mehr von Bressler«, bat sie daher, um das Thema zu wechseln.
Bo stand auf und räumte ihren Teller und ihr Glas ab. »Er ist geschieden.«
Das hätte sich Chelsea auch denken können. Sie erhob sich ebenfalls und trank ihren Wein aus. »Kinder?«
»Nein.«
Sie griff nach ihrem Teller und folgte ihrer Schwester in die Küche. »Er war der Kapitän, stimmt’s?«
»Die letzten sechs Jahre.« Bo stellte ihr Geschirr in die Spüle und warf Chelsea einen Blick über die Schulter zu. »Er war einer der Spieler mit den besten Statistiken in der NHL, und wenn er bei dem siegreichen Spiel gestern Abend dabei gewesen wäre, hätte er den Titel ›Wertvollster Spieler‹ errungen. « Sie drehte den Wasserhahn auf und spülte ihren Teller ab. »Am Tag nach dem Unfall war die ganze Organisation in Aufruhr. Das absolute Chaos. Alle sorgten sich um Mark, aber auch um die Mannschaft und darüber, was der Verlust des Kapitäns für die Chancen der Chinooks auf den Pokalsieg bedeutete. Der inzwischen verstorbene Mr Duffy zögerte nicht lange und nahm Ty Savage unter Vertrag. Alle waren schockiert, wie gut das alles funktioniert hat. Savage ist eingesprungen und hat es super hingekriegt, in Marks Rolle zu schlüpfen. Oder vielmehr in seine Schlittschuhe. Mark musste sich um nichts Sorgen machen als um seine Genesung.«
Am Vorabend war Chelsea mit Bo und Jules Garcia, der Mrs Duffys Assistent war und glatt als Mario Lopez durchging, bei dem siegreichen Spiel gewesen. Der Mario Lopez, der als Stargast bei Nip/Tuck – Schönheit hat ihren Preis aufgetreten war. Nicht der aus California Highschool.
Chelsea war kein großer Eishockey-Fan, aber sie musste zugeben, dass sie von dem Fieber angesteckt worden war und es vor Spannung kaum ausgehalten hatte. Die drei waren bis zum Ende der Siegerehrung dageblieben und hatten den Spielern dabei zugesehen, wie sie auf dem Eis ihre Runden drehten, den Pokal über den Kopf gereckt wie siegreiche Helden. »War Bressler gestern Abend im Stadion?« Sie klappte die Spülmaschine auf und räumte das Geschirr ein, das ihre Schwester kurz vorspülte.
Bo schüttelte den Kopf. »Wir haben ihm einen Wagen geschickt, aber er ist nicht aufgekreuzt. Ich glaube, er hat gute und schlechte Tage. Wahrscheinlich war gestern ein schlechter. «
Chelsea zog die obere Lade heraus und räumte die Gläser hinein. »Ihm muss ein Stein vom Herzen gefallen sein, dass sein Unfall seine Mannschaft nicht den Pokal gekostet hat.«
»Könnte ich mir vorstellen. Er ist fast ums Leben gekommen und hatte schon genug andere Probleme.« Bo reichte ihr einen Teller.
»Und ich kann mir vorstellen, dass man sich sehr glücklich schätzt, am Leben zu sein, wenn man nach so einem Unfall wieder aufwacht. Ich kannte mal einen Stuntman, der von einem brennenden Gebäude stürzen musste und falsch auf dem Airbag aufkam. Nachdem er aus dem Koma erwacht war, nahm er sein Studium wieder auf und arbeitet heute als Anwalt, der sich auf Arbeitsunfälle spezialisiert hat. Diese Erfahrung hat sein ganzes Leben verändert und alles relativiert.«
»Ja. Manchmal geschehen unvorhergesehene Dinge und krempeln dein Leben völlig um.« Bo drehte den Wasserhahn zu und trocknete sich die Hände ab. »Was hast du mit dem Zehntausend-Dollar-Bonus vor?«
Chelsea klappte die Spülmaschine zu und wandte sich ab. Wenn es auf der Welt einen Menschen gab, der sie durchschaute, selbst wenn sie nicht durchschaut werden wollte, war es ihre Zwillingsschwester. »Ich hab mich noch nicht entschieden.«
»Wie wär’s mit Studieren?«
»Vielleicht.« Sie lief ins Wohnzimmer und fuhr mit dem Finger über einen künstlichen Farn, der dringend mal abgestaubt werden musste.
»Oder mit Anlegen? Ich könnte dich mit meinem Börsenmakler zusammenbringen.«
Sie könnte zwar lügen, doch ihre Schwester würde es merken. Ausweichen war die beste Strategie. »Ich hab ja noch Zeit. Ich denk drüber nach.«
»Du kannst es nicht einfach für Designer-Klamotten auf den Kopf hauen.«
»Ich haue gern mein Geld für Klamotten auf den Kopf.« Wenn sie mal welches hatte. »Ganz besonders für Designer-Klamotten. «
»Tja, tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber Mark Bressler hat recht. Du bist eine Symphonie aus misstönenden Farben.«
Chelsea drehte sich um und sah ihre Schwester an, die ganz in Schwarz-Weiß gekleidet in der Küchentür stand, das kurze dunkle Haar zu einem stummeligen Pferdeschwanz zusammengebunden. Bei der Beschreibung ihrer Schwester musste sie fast grinsen.
»Der Bonus, den du aus Bresslers Nachsorgeprogramm bekommst, wird nicht lange reichen, wenn du ihn für Klamotten verpulverst. Wenn du dich allerdings jetzt schon für Kurse anmeldest, kannst du in diesem Herbst mit dem Studium beginnen.«
Sie hatten noch nicht darüber gesprochen, dass Chelsea wieder wegwollte, doch der Zeitpunkt jetzt war genauso gut wie jeder andere. »Im Herbst bin ich nicht mehr hier. Ich geh zurück nach L.A.« Sie hatte mit Protest gerechnet. Dass ihre Schwester versuchen würde, sie zum Bleiben zu überreden, damit sie nicht so weit voneinander weg wohnten. Aber nicht damit, dass die nächsten Worte ihrer Schwester sie wie ein Faustschlag ins Gesicht treffen würden.
»Du bist jetzt dreißig. Es wird langsam Zeit, dass du dich verantwortungsbewusst verhältst, Chelsea. Du hast es mit der Schauspielerei versucht. Jetzt musst du dir realistischere Ziele setzen.«
Dass der Rest ihrer Familie es albern fand, dass sie ihrem Traum von der Schauspielerei nachjagte, war ihr klar gewesen. Dass sie die Augen verdrehten und sagten, sie sei unrealistisch. Dass Bo allerdings auch so dachte, hatte sie nicht gewusst. Der Schmerz klang zu einem unangenehmen Druck in einem Winkel ihres Herzens ab. »Und worüber sollt ihr hinter meinem Rücken lästern, wenn ich plötzlich verantwortungsbewusst werde?« Der Rest der Familie konnte über Chelsea sagen, was er wollte, aber wenn es aus Bos Mund kam, tat es weh.
Bo seufzte. »Du kannst nicht für den Rest deines Lebens in Slasher-Filmen mitspielen. Und willst du wirklich ewig für irgendwen die Assistentin spielen?«
Chelsea strich sich die Haare hinter die Ohren. Nein, sie wollte nicht ewig für irgendwen die Assistentin spielen, und sie wusste besser als jeder andere, dass sie nicht für den Rest ihres Lebens in Slasher-Filmen mitspielen konnte. Sie wurde langsam zu alt dafür, aber sie hatte einen Plan. Als sie Hals über Kopf aus L.A. abgehauen war, hatte sie überhaupt keinen Plan gehabt. Außer aus der Stadt zu verschwinden, bevor sie noch jemanden killte. Doch dank der Chinooks-Organisation hatte sie jetzt einen.
»Nicht beleidigt sein. Ich sage doch nur, dass es vielleicht an der Zeit ist, erwachsen zu werden.«
»Warum? Du bist erwachsen genug für uns beide«, konterte sie und schaffte es, dass ihr die Kränkung, die sie tief im Inneren spürte, nicht anzuhören war.
»Das musste ich auch sein. Du warst schon immer die lustige Zwillingsschwester. Die, deren Nähe immer alle gesucht haben.« Bo verschränkte die Arme unter der Brust. »Diejenige, die Partys schmiss, wenn Mom und Dad verreist waren, und ich musste mit Untersetzern durch die Gegend rennen, damit die Bierdosen deiner Freunde keine Ringe auf Moms Couchtisch hinterließen. Ich musste dann hinterher aufräumen, damit du keine Schwierigkeiten bekamst.« In Chelseas Augen brannten Tränen. »Du bist mit Untersetzern durch die Gegend gelaufen, weil immer alle von dir denken sollten, dass du die brave Zwillingsschwester bist. Die kluge Zwillingsschwester. « Sie deutete anklagend auf ihre Schwester. »Und du musstest nie hinter mir her räumen.«
»Ich räume noch immer hinter dir her.«
»Nein. Tust du nicht.«
»Warum bist du dann hier?«
»Weil ich meine Schwester brauchte.« Sie hielt sich die Hand vor den Bauch, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube bekommen, doch sie weinte nicht. Sie war eine bessere Schauspielerin, als man es ihr je zugetraut hatte. »Ich wollte sowieso hier ausziehen, sobald ich meinen ersten Gehaltsscheck bekomme, aber so lange muss ich ja nicht warten. Ich hab genug Geld für die erste Monatsmiete und die Kaution.« Sie sah in die blauen Augen ihrer Schwester. Die beiden waren so verschieden und sich doch in vielerlei Hinsicht so ähnlich, dass sie genau wussten, was sie sagen mussten, um sich gegenseitig weh zu tun. »Ich weiß, dass der Rest der Familie findet, ich hätte mein Leben verpfuscht, aber ich wusste nicht, dass du das auch so siehst.«
»Jetzt weißt du’s.«
»Ja.« Enttäuscht wandte sich Chelsea zum Gästezimmer. »Jetzt weiß ich’s.« Sie lief den Flur entlang, bevor ihre Gefühle sie übermannten. Leise schloss sie die Tür hinter sich und setzte sich auf die Bettkante. Bo war die andere Hälfte ihrer Seele. Der einzige Mensch auf der Welt, der ihr wirklich weh tun konnte.
Chelsea streckte sich auf dem Bett aus und starrte mit leerem Blick an die Wand. Nur wenn sie mit ihrer Familie zusammen war, fühlte sie sich wie eine Versagerin. Ihre Mutter war eine erfolgreiche Promoterin in Las Vegas, ihr Vater war bis zu seinem Tod vor drei Jahren Kardiologe gewesen, und ihr Bruder arbeitete als Anwalt in Maryland. Ihre ältere Schwester lebte in Florida und scheffelte als CPA mit nur einer Hand voll Klienten Millionen, und Bo arbeitete in der PR-Abteilung einer Eishockeymannschaft, die gerade den Stanley-Cup gewonnen hatte. Und Chelsea … war eine arbeitslose Schauspielerin.
Sie war nur unglücklich über ihr Leben, wenn sie mit ihrer Familie zusammen war. Chelsea hätte ihrer Familie gern gefallen, indem sie eine bekannte Schauspielerin geworden wäre und über das Prestige verfügt hätte, das damit einherging. Sie hätte für ihr Leben gern bedeutende Film- und Fernsehrollen an Land gezogen. Sie würde einen Mord begehen, um mehr vorzuweisen zu haben als Slasher-Filme und kleine Nebenrollen in Fernsehserien und Werbespots. Natürlich hätte sie sich gewünscht, ihr Lebenslauf würde nicht derart vor Statistenrollen strotzen, dass es schon peinlich war. Aber das hieß nicht, dass sie unglücklich war. Fehlanzeige. Klar, sie hatte ihr Leben in Hollywood sattgehabt. Sie hatte eine Auszeit gebraucht. Vielleicht war ihre Entscheidung, von dort wegzugehen, ein bisschen voreilig gewesen, doch sie wollte wieder zurück, und wenn es so weit war, wäre sie besser als je zuvor. Ihre Körperproportionen wären harmonischer. Keine Rückenbeschwerden mehr. Keine Schulterschmerzen. Keine Rollen mehr als die Schlampe vom Dienst.
Die Tür hinter ihr öffnete sich, und sie spürte, wie sich die Matratze unter dem Gewicht ihrer Schwester senkte. »Ich will nicht, dass du ausziehst.«
Chelsea wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich glaube, es wäre das Beste.«
»Nein.« Bo legte sich zu ihr, wie früher in ihrer Kindheit, und schlang von hinten den Arm um ihre Schulter. »Ich hab dich gern hier, und ich will, dass du so lange bleibst, wie du willst. Es tut mir leid, dass ich das zu dir gesagt habe. Ich finde nicht, dass du dein Leben verpfuscht hast. Ich finde dich nur sehr impulsiv und mache mir große Sorgen um dich.«
Chelsea drehte sich um und sah ihrer Schwester in die Augen. »Ich weiß, aber das solltest du nicht. Ich passe schon lange auf mich selbst auf. Ich arbeite vielleicht nicht in einem Beruf, der dir oder Mom gefällt, allerdings musste ich nie hungern.« Bis auf die wenigen Wochen ganz am Anfang, als sie im Auto übernachten musste, doch davon wusste ihre Familie nichts.
»Tut mir leid, dass ich sauer geworden bin und das zu dir gesagt habe. Ich will, dass du bleibst. Du hast mir gefehlt.«
»Du hast mir auch gefehlt, und mir tut es auch leid.« Ihre Schwester war das Yin zu ihrem Yang. Die Dunkelheit zu ihrem Licht. Die eine konnte ohne die andere nicht existieren. »Ich hab dich lieb, Bo.«
»Ich dich auch, Chels. Tut mir leid, was ich über deine Klamotten gesagt habe. Ich weiß, dass dir dein Outfit sehr wichtig ist.« Bo drückte sie ein bisschen, und Chelsea konnte das Lächeln in der Stimme ihrer Schwester hören. »Sie sind auch nicht alle so misstönend.«
»Danke. Und deine sind nicht alle so langweilig.« Chelsea lachte. »Wenigstens mussten wir uns nie um Klamotten streiten wie andere Schwestern.«
»Stimmt. Oder um Jungs.«
Mit dem anderen Geschlecht war es immer schwierig gewesen. Aus irgendeinem Grund hatten alle Typen, denen Bo oder sie je einen Korb gegeben hatte, danach grundsätzlich die andere Zwillingsschwester um eine Verabredung gebeten. Aber da sie sich zu ganz gegensätzlichen Männertypen hingezogen fühlten, hatten sie sich nie um Jungs gestritten. Das war nie ein Problem gewesen. »Das liegt daran, dass du immer mit nerdigen Muttersöhnchen ausgegangen bist und ich mit schleimenden Verlierertypen. Wir sollten beide langsam mal anfangen, unser Beuteschema zu ändern.«
Bo hielt Chelsea die Hand hin, und sie klatschten sich ab. »Ich mag gar nicht dran denken, dass du weggehst. Also lass uns die drei Monate nicht drüber reden.«
»Okay.«
»Was willst du am ersten Arbeitstag anziehen?«
Chelsea dachte an den Mann, der ihre Intelligenz und ihre Klamotten beleidigt hatte. »Ich hab eine Gaultier-Tunika, die ich mit einem Gürtel über einer hautengen Jeans trage.« Wenn Mark schon die Pucci-Jacke nicht mochte, würde er die mit knallbunten Federn bedruckte Gaultier-Tunika erst recht hassen.
»Schone den armen Kerl, Chels«, bat Bo sie mit einem herzhaften Gähnen. »Er ist erst vor einem Monat aus der Reha-Klinik entlassen worden. Ich weiß nicht, ob er körperlich in der Verfassung ist, den Schock zu verkraften.«
Licht von dem 60-Zoll-Flachbildfernseher fiel auf Mark und glitt über seine nackte Brust. Mit der rechten Hand knetete er einen Anti-Stress-Ball, während er sich die Höhepunkte des Spiels vom gestrigen Abend ansah. Er saß auf dem Ledersofa im großen Schlafzimmer und bildete eine schwarze Silhouette im Dunkeln. Die Sportberichterstattung wechselte von den Stanley-Cup-Highlights zu dem Interview von heute Vormittag in der Key Arena. Er sah sich selbst zu und fragte sich, wie er so normal wirken und so normal klingen konnte. Der Unfall, der ihm die Knochen zertrümmert hatte, hatte ihm die Seele aus dem Leib gerissen. Er war innerlich leer, und in diese Leere war eine schreckliche Wut gesickert, die er nicht überwinden konnte. Er versuchte es noch nicht einmal. Ohne seine Wut war er leer.
Mit der freien Hand nahm er die Fernbedienung und richtete sie auf den Fernseher. Sein Daumen glitt auf den Aufwärtspfeil, und er zappte durch Reality-Shows und Wiederholungen auf Kabel. Bei einem Porno auf Cinemax blieb er schließlich hängen. Auf dem Bildschirm gebärdeten sich zwei Frauen wie Katzen und schleckten sich von oben bis unten ab. Sie hatten hübsche Titten, rasierte Mösen und trugen hochhackige Stripper-Schuhe. Normalerweise war das die Art niveauvolle Unterhaltung, die er genoss. Eine Frau steckte das Gesicht zwischen die Beine der anderen, und Mark sah eine Weile zu und … wartete.
Nichts beulte seine Boxer Briefs aus, und er drückte auf den Aus-Knopf und tauchte das Zimmer in völlige Dunkelheit. Er legte den Ball mit Gel-Einlage neben sich und stemmte sich von der Couch hoch. Seit dem Unfall hatte er keine vernünftige Erektion mehr gehabt, dachte er, während er den Raum zu seinem Bett durchquerte. Wahrscheinlich waren die Medikamente schuld. Oder sein Schwanz funktionierte einfach nicht mehr. Erstaunlich, dass es ihm nicht so viel ausmachte, wie es sollte.
In Anbetracht seines Sexuallebens vor dem Unfall müsste es ihn wahnsinnig machen. Er hatte ihn immer hochgekriegt. Tag und Nacht, egal wann. Er war immer bereit gewesen. Es hatte nie viel gebraucht, um ihn in Stimmung zu bringen. Und jetzt interessierte ihn nicht mal mehr ein heißer Lesbenporno.
Mark zog die dicke Decke zurück und kroch ins Bett. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. So jämmerlich, dass er genauso gut zu dem Röhrchen Tabletten auf seinem Nachttisch hätte greifen und dem allen ein Ende hätte machen können, wäre das nicht noch jämmerlicher gewesen. Wenn es nicht der feige Ausweg wäre.
Mark hatte nie aus irgendwas den feigen Ausweg genommen. Er hasste Schwäche, was einer der Gründe war, warum es ihm ein Gräuel war, diese Betreuerinnen um sich zu haben, die ihm den Puls maßen und seine Medikamenteneinnahme überwachten.
Innerhalb weniger Minuten setzte die Wirkung des Ambien ein, und er fiel in einen tiefen, ruhigen Schlaf und träumte den einzigen Traum, den er je für sich selbst gehabt hatte. Er hörte das Geschrei der Menge, das mit dem Aufprall der Graphitschläger auf dem Eis kollidierte, und das Schsch der messerscharfen Kufen. Die Stadiongerüche stiegen ihm in die Nase, Schweiß und Leder, frisch aufbereitetes Eis und ein Hauch von Hot Dogs und Bier. Er schmeckte Adrenalin und Erschöpfung, während sein Herz hämmerte und seine Beine über die Eisfläche rasten, den Puck auf der Schaufel seines Schlägers. Er spürte, wie der kalte Fahrtwind über seine Wangen streifte, sich in den Ausschnitt seines Trikots stahl und den Schweiß auf seiner Brust kühlte. Tausende von Zuschauern, die den Blick nicht von ihm wenden konnten; er konnte ihre Spannung fühlen, die Aufregung in den unscharfen Gesichtern sehen, als er vorbeilief.
In seinen Träumen war er wieder da. Wieder gesund. Ein Mann. Seine Bewegungen waren fließend, mühelos und schmerzfrei. In manchen Nächten träumte er, dass er Golf spielte oder für seinen alten Hund Babe die Frisbeescheibe warf. Babe war schon seit fünf Jahren tot, aber das machte nichts. Im Traum strotzten sie beide vor Leben.
Doch beim Erwachen im grellen Morgenlicht wurde er immer wieder aufs Neue mit der niederschmetternden Wahrheit konfrontiert, dass das Leben, das er gekannt hatte, vorbei war. Verändert. Auf den Kopf gestellt. Und er wachte immer mit Schmerzen auf, mit steifen Muskeln und schmerzenden Knochen.
Die Morgensonne schien durch den Gardinenspalt und warf eine lange Lichtsäule über das Fußende von Marks großem Doppelbett. Als er die Augen aufschlug, überrollte ihn schon die erste Schmerzwelle. Er warf einen Blick auf den Wecker auf seinem Nachttisch. 8.25 Uhr. Er hatte gute neun Stunden geschlafen, fühlte sich aber trotzdem nicht ausgeruht. In der Hüfte pochte der Schmerz, und seine Beinmuskeln zogen sich zusammen. Er richtete sich langsam auf und weigerte sich, auch nur einen einzigen Ächzer oder ein noch so leises Stöhnen von sich zu geben, während er sich behutsam auf die Bettkante setzte. Er musste schnell machen, bevor seine Muskeln sich verkrampften, allerdings auch nicht zu schnell, damit sie sich nicht verknoteten. Er griff nach dem Röhrchen Vicodin auf dem Nachttisch und schluckte ein paar Tabletten. Dann stand er vorsichtig auf und schnappte sich den vierfüßigen Gehstock aus Aluminium an seinem Bett. An den meisten Tagen fühlte er sich wie ein alter Krüppel, doch nie so sehr wie am Morgen, bevor er seine Muskeln aufgewärmt hatte.
Langsam aber stetig lief er über den dicken beigefarbenen Teppich ins Bad, wo der Aluminiumstock über die glatten Marmorfliesen stampfte. Den Großteil seines Berufslebens war er morgens mit einem gewissen Grad an Schmerzen aufgewacht. Normalerweise von den harten Schlägen, die er im Spiel am Vorabend abbekommen hatte, oder aufgrund berufsbedingter Sportverletzungen. Er war daran gewöhnt, das durchzustehen. Schmerzen hatten immer zu seinem Leben gehört, aber nie das Ausmaß angenommen wie die, unter denen er jetzt litt. Jetzt brauchte er mehr als nur Ibuprofen, um den Tag durchzustehen.