Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Als das Ehepaar Lore und Tim Ahlers von der Insel Fehmarn spurlos verschwindet, setzt ihre besorgte Nichte Nadja alles daran, sie zu finden. Verzweifelt bittet sie die Polizei um Hilfe, doch die Recherchen gestalten sich schwierig. Die einzige Spur führt Hauptkommissar Dirk Westermann und seinen Kollegen Thomas Hartwig zur Luxusjacht der Ahlers, die diese erst kürzlich verkauft haben. Aber stürmische Gewässer erschweren die Ermittlungen und ein Mord im Hafenbecken von Burgstaaken wirft weitere Fragen auf. Liegt die Wahrheit am Ende viel näher als gedacht?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 618
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Heike Meckelmann
Küstengeheimnis
Kriminalroman
Tödliche Gezeiten Als das Ehepaar Lore und Tim Ahlers von der Insel Fehmarn spurlos verschwindet, setzt ihre besorgte Nichte Nadja Wentdorf alles daran, sie zu finden. Sie bittet die Polizei um Hilfe, doch die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Die einzige Spur ist die Luxusjacht der Ahlers, welche die Familie jedoch kürzlich an das junge Paar, Erik und Lina Bergmann, verkauft hat. Während Hauptkommissar Dirk Westermann und sein Kollege Kommissar Thomas Hartwig versuchen, das Rätsel um das verschwundene Ehepaar zu lösen, wird im Hafenbecken von Burgstaaken der Hafenmeister Henning Jacobsen tot aufgefunden. Ein Unfall? Dann nehmen die Ermittlungen im Fall Ahlers eine überraschende Wendung. Hat das Paar alles hinter sich gelassen und ist heimlich nach Schweden ausgewandert?
Heike Meckelmann wurde in der Nähe von Elmshorn geboren und zog vor mehr als 34 Jahren auf die Insel Fehmarn. Sie betrieb nach dem Studium der Betriebswirtschaft auf der Insel lange Zeit einen Friseursalon und eine Hochzeitsagentur. Viele Jahre arbeitete sie in der Fotografie und nahm als Sängerin ein eigenes maritimes Album auf. Seit 2016 ist sie als freie Autorin auf Fehmarn tätig und schreibt Kriminalromane, die überwiegend auf der Insel spielen und Reiseliteratur. Über 22 Jahre mit einem Fehmaraner verheiratet, bezeichnet sie sich durch und durch als Insulanerin, die ihre Insel genauso liebt, wie die Geschichten, die sie auf der Sonneninsel schreibt.
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
Bei Fragen zur Produktsicherheit gemäß der Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit (GPSR) wenden Sie sich bitte an den Verlag.
Immer informiert
Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie
regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.
Gefällt mir!
Facebook: @Gmeiner.Verlag
Instagram: @gmeinerverlag
Besuchen Sie uns im Internet:
www.gmeiner-verlag.de
© 2025 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Satz/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung der Fotos von: © Horst Gerlach / iStock.com; Vladimir Drozdin / iStock.com
Schiffsbild: © Heike Meckelmann
ISBN 978-3-7349-3294-6
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Mit Windstärke sieben schlugen die Wellen gegen die Bordwand. Ein Lächeln umspielte ihren Mund, als das Paket in der Dunkelheit verschwand …
Nadja stand vor dem Fenster und wählte. Es war der zweite Oktober. Sie beobachtete den Raben, der sich auf einem Ast gegen den Wind stemmte. Diese Viecher haben sich hier regelrecht eingenistet, stellte sie fest. Der wiederkehrende Signalton im Hörer nagte an ihrem Nervenkostüm. Seit einer Woche wählte die 34-jährige Lehrerin die Nummer ihrer Tante und ihres Onkels. Sie legte das Mobiltelefon auf die Fensterbank und verließ das Wohnzimmer. Im Flur nahm sie die Jacke vom Haken und zog sie über. Nadja stellte sich vor den Spiegel, zog die Mütze aus der Jackentasche, stülpte sie über ihren geflochtenen Zopf. Ein letzter Blick, dann verschloss sie die Wohnungstür hinter sich und hastete die Stufen runter. Vor der Eingangstür verharrte sie für einen Moment. Eine heftige Windböe erfasste sie und fegte ihr Blätter ins Gesicht. Ganz schön stürmisch, stellte sie fest und rannte im Laufschritt über den Parkplatz zu ihrem Auto. Die Frau mit der athletischen Figur stieg ein, drehte den Schlüssel im Zündschloss und der Motor heulte auf. Sie musste zum Hafen von Burgstaaken, dort ihre Verwandten suchen. Vielleicht hatte irgendjemand etwas beobachtet. Auf jeden Fall war sie verwundert, dass offensichtlich niemand sonst sie vermisste. Aber sie hatten schon immer ein besonderes Verhältnis, über das ihre Bekannten oft schmunzelten. Sie drei waren eine eingeschworene Gemeinschaft, telefonierten regelmäßig und waren auch sonst eng miteinander verbunden. Sie vertrauten sich blind und hatten keine Geheimnisse voreinander. Nadja liebte ihre einzigen Verwandten sehr.
Jetzt dachte sie an die unausgesprochenen Gesetze der Hafenlieger, die sie immer amüsiert hatten. Es war offensichtlich, dass jeder genau wusste, was auf dem Schiff des Nachbarn vor sich ging. Konnte doch sein, dass einer der Bootslieger etwas mitbekommen hatte, das auf ihre Verwandten hinwies.
Sie trommelte ihre Finger gegen das Lenkrad, als sie die holprige Katzenkopfstraße zum Hafen hinunterfuhr, und wunderte sich, wie viele Blätter durch die Gegend flogen. In der Nacht hatte es geregnet und das Auto rutschte nah am Kantstein über die Fahrbahn. »Verdammt schlierig«, sagte sie und hielt das Steuer mit beiden Händen fest umschlossen. Es war herbstlich auf der Insel. Angespannt bog sie in die Einfahrt zum Hafengelände ab. Dort, wo vor nicht langer Zeit ein Mehrfamilienhaus gestanden hatte, klaffte jetzt eine große Lücke. Die winzigen Fischerhäuser auf der anderen Straßenseite – leer. Auch sie standen zum Abbruch bereit. Eine Umgehungsstraße sollte an dieser Stelle entstehen, die vom Südstrand hierherführte. Alles auf der Insel veränderte sich drastisch, und sie wusste nicht, ob sie das guthieß. Sie stoppte vor der Halle des Hafenbesitzers. Zwei Fahrzeuge parkten auf dem Platz. Ein Segelschiff auf einem Trailer versperrte ihr die Sicht auf den Liegeplatz ihrer Verwandten. Mittlerweile gab es überall im Hafengelände Parkverbotsschilder. Sie wusste nicht einmal, ob sie ihren Wagen überhaupt abstellen durfte. Es war ihr egal. Die sportliche Frau stieg aus und verschloss die Tür ihres Wagens. Sie stemmte sich gegen den Sturm, der weitaus heftiger tobte als in der Altstadt, schlug den Kragen hoch und marschierte auf den letzten Steg zu. Sie wankte über die Planken. Das Schiff von Lore und Tim Ahlers lag am Ende des Bootsstegs, weil es, mit gut 16 Metern, zu lang war, um in eine der Anlegebuchten zu passen. Fassungslos blieb sie stehen. Die Segeljacht lag nicht an ihrem vorgesehenen Platz, bemerkte Nadja Wentdorf irritiert. Das konnte nicht sein. Suchend sah sie sich um und entdeckte das Beiboot der White Pearl. Das Schlauchboot war an einem der öffentlichen Anleger festgemacht und nur lose vertäut. Was sie am meisten wunderte, war, dass der Motor des Bootes im Wasser hing. Die 34-Jährige ließ den Blick über die aufgewühlte See schweifen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Wieso lag das Schiff nicht am Anleger? Das kann nicht sein, dachte sie und trat ans Ende des Holzstegs. Irgendwas stimmt nicht, dachte sie und versuchte mit einem Blick, das Hafengelände zu erfassen. Es dämmerte. Sie schlug die Arme um ihre Schultern. Wenn sie bei dem Wetter mit dem Schiff rausgefahren sind, müssten sie längst zurück sein. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihr aus. Was hatte das Schlauchboot hier draußen zu bedeuten? Als sie Richtung Hafeneinfahrt schaute, stellte sie mit Erleichterung fest, dass die White Pearl doch da war. Sie entdeckte die elegante marineblaue Jacht weit außerhalb der Fahrrinne. »Das kann alles nicht wahr sein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. In ihrem Hals schwoll ein Kloß an. Falls sie Glück hatte, fand sie den Hafenmeister, der wusste, was hier vor sich ging. Außer ihr war niemand sonst im Hafengelände auszumachen, der ihr eine Antwort auf ihre Fragen hätte geben können. Tim hätte das Beiboot wenigstens vernünftig vertäut, überlegte sie und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Es ist zu spät. Ist längst zu«, sagte sie, stemmte sich gegen die Böen und verhinderte, an den Rand des Steges gedrückt zu werden und ins Hafenbecken zu stürzen. Sie mochte den Hafen, aber sie hasste das Wasser. Sie registrierte, dass die meisten Boote bereits gekrant worden waren. Der Hafen erschien ihr verwaist. Sie wunderte sich, dass ihre Verwandten das Schiff nicht längst in die schützende Bucht verlegt hatten. Sie wusste, dass ihre Tante und ihr Onkel selbst im Herbst und Winter auf der luxuriös ausgestatteten Jacht wohnten und nicht in der Wohnung im Hafen anzutreffen waren, die sie vor Jahren erstanden hatten. Sie hatten das Apartment nach dem Verkauf ihres Hauses fest vermietet. Wie gern wäre sie selbst dort hingezogen. »Sie hätten mich wenigstens fragen können.« Die Enttäuschung war ihr anzusehen. Sie liebte diese Zwei-Zimmer-Wohnung, die einen Blick auf die letzten der Fischkutter freigab. Die ausgemusterte »Kehrheim« und die zum Restaurant umgebaute »Silverland«. Die Kutter waren Zeugen einer Zeit, als es der Fischerei und den Fischern noch gutging auf der Insel. Mittlerweile hatten sich die Kutter reduziert und nur wenige lagen im Hafen, um zum Fischfang rauszufahren.
Nadja hatte keine Ahnung von Schiffen, vertäute das Dingi mit unfachmännisch ausgeführten Knoten an der Belegklampe. Sie verließ den Steg, der bei jedem Schritt wankte und Schwindel verursachte. Sie fühlte sich, als wenn die Gondel einer Achterbahn steil herabstürzte und ins Bodenlose fiel. Dieses aufsteigende Kribbeln war kaum auszuhalten. Die Nichte des Ahlers war froh, als sie endlich festen Boden unter ihren Füßen spürte. Sie marschierte zum Wagen, riss sich die Mütze vom Kopf und setzte sich hinters Lenkrad. Ein letzter Blick galt dem Gebäude, in dem jetzt Fremde wohnten. Ihr Gesicht wirkte blass. Sie fragte sich die ganze Zeit, was nicht stimmte. »Ich muss Maik anrufen«, sagte sie und spürte Panik in sich aufsteigen.
*
Am nächsten Tag wartete sie vor dem Haus. Endlich fuhr ihr einziger Freund und Kollege Maik Stöver mit schepperndem Polo um die Ecke. Der Auspuff klapperte, als hinge er nur lose am Unterboden des Wagens. Es hatte den Anschein, als würde er jeden Moment abfallen. Ihre Zähne klapperten, als er sie erreichte und mit ernstem Gesichtsausdruck anguckte. Der 1,95 Meter große, kräftige Mann, nur in Jeans und Poloshirt gekleidet, bewegte sich auf sie zu und umarmte sie.»Wird alles gut, sollst sehen, da wird nichts passiert sein. Wir gehen der Sache jetzt auf den Grund.« Der Mathelehrer und Informatiker kniff die Augen zusammen, sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht. Die Mimik der jungen Frau entspannte sich. Sie liebte seine Art, auch schwierigen Situationen etwas Positives abzugewinnen. »Komm, lass uns fahren. Mach dir keine Sorgen. Alles wird sich fügen, Mädchen. Du solltest mehr essen. Deine Schultern fühlen sich knochig an.«
Die 1,75 Meter große Lehrerin sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Was soll das heißen – knochig? Und überhaupt, hast du keine Jacke?« Sie versuchte zu lächeln, aber ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, dass es in ihrem Inneren schwelte. Maik bemerkte, dass ihre Hände zitterten, als sie wenig später in die Straße zum Hafengelände einbogen. Kurz darauf standen sie auf dem Steg, und Nadja stellte fest, dass die Jacht immer noch draußen vor Anker lag. Das Beiboot dümpelte genauso im Wasser, wie sie es vertäut hatte. Sie fühlte sich bestätigt. »Jetzt siehst du es selbst. Ich sagte doch, da stimmt was nicht. Wieso liegt der Kahn nicht am Steg?« Die 34-Jährige verzog das Gesicht und steckte die Hände in die Tasche ihrer Jeans.
»Weißt du was, wir setzen mit dem Beiboot über, gucken nach dem Rechten. Vielleicht bekommen wir dann eine Antwort«, sagte er und zwinkerte ihr zu. Sie nickte, aber es wirkte nicht, als wäre sie erleichtert über seinen Vorschlag. Maik griff nach ihrer Hand, als sie umständlich ins schaukelnde Beiboot einstieg. Ihre Gesichtsfarbe ähnelte der einer Leiche, als sie in die Hocke sank und sich am Steg festklammerte. Die Wellen schlugen mit unüberhörbaren Knallgeräuschen gegen die Bootswand, während sie unter größter Anstrengung versuchte, ins Schlauchboot zu klettern.
»Kann das nicht untergehen?«, fragte sie.
Maik schüttelte den Kopf. »Nein, das Boot hat einen festen Boden, das ist zu 100 Prozent sicher, vertrau mir.« Immer wieder schwappte Ostseewasser ins Innere des Beibootes. Der Lehrer registrierte die Heidenangst in den Augen seiner Kollegin. Er wusste, dass sie das Meer und Boote hasste. Nadja hatte enorme Angst davor, ins Wasser zu fallen und zu ertrinken. »Dieses schwarze Ungeheuer«, hatte sie oft geflüstert, wenn sie am Meer unterwegs waren. »Meinst du, das ist eine gute Idee, bei diesem Wind mit dem Boot überzusetzen? Das ist viel zu stürmisch. Wir haben mindestens sieben Windstärken. Was, wenn das Ding doch kentert?« Ihre Stimme klang, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. Sie presste ihre Lippen so fest aufeinander, dass sie kaum noch sichtbar waren. Eine Höllenangst erfasste sie. Maik lächelte. »Dir passiert nichts. Versprochen. Ich bin bei dir.« Er zwinkerte ihr zu, startete den Außenborder und gab Gas. Das Gummiboot peitschte über die Wellen und ploppte bei jedem Wellenschlag mit lautem Knall auf die Wasseroberfläche.
»Fahr nicht so schnell, bitte.« Die Knöchel ihrer Hand traten hervor, so fest umklammerte sie die Haltegriffe an der Innenwand des Bootes. Ihr Blick irrte über die explodierenden Wellen. Bei jedem Aufschlagen aufs Wasser wurde sie vom Sitzplatz hochgeschleudert. »Maik, bitte.« Dann hatten sie endlich das Schiff erreicht. Die Badeplattform war ausgefahren und die Badeleiter runtergelassen. »Das ist alles äußerst bedenklich«, sagte Nadja und versuchte mit zitternden Händen, die Sprossen hinaufzuklettern. »Willst du mich umbringen?«, sagte sie, während Maik mit beiden Händen die Leiter festhielt, damit sie aussteigen konnte. Er sagte kein Wort, vertäute das Schlauchboot an der Jacht und stieg selbst die holzverschlagenen Stufen hoch. Zitternd wankte sie über die Plicht der Segeljacht. Sie war froh, dass sie sich auf der White Pearl befand, die um Längen imposanter in den Wellen schaukelte als dieses Gummiboot. Endlich erreichte sie den Griff der Glastür. Ihr war speiübel, und sie wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Sie hielt sich am Türrahmen fest und zog am Metallgriff. Die Tür war verschlossen. Sie schüttelte den Kopf und warf ihrem Freund einen Blick zu, der ihre Fassungslosigkeit ausdrückte. »Das gibt’s nicht. Die Tür ist nie abgeschlossen.«
»Was meinst du?«, fragte Maik, als er sich neben sie stellte und sich gegen die schwankenden Bewegungen stemmte. Der Wind heulte und ließ die Ösen am Mast scheppern.
»Ich hasse dieses Schiff. Das kann doch alles nicht wahr sein«, flüsterte sie. Ihr Begleiter dagegen bewunderte die Jacht.
»Das ist ein perfekt gebautes Schiff«, staunte Maik, als er die hochglanzpolierten Details betrachtete. »Wirklich eine Traumjacht. Ich gäbe viel darum, sie zu besitzen.« Er warf ihr einen Blick zu, den sie nicht einmal registrierte.
»Die Tür ist normalerweise nie verschlossen, wenn sie an Bord sind.« Sie deutete ins Innere des Schiffes. »Wie kann das sein?« Erneut schüttelte sie den Kopf, traute ihren Augen nicht. Die Abdeckung war schludrig über die nautischen Geräte gestülpt und Teile der teuren Ausrüstung waren Licht und Staub ausgeliefert. »Das hätte Tim niemals zugelassen. Die Instrumente müssen abgedeckt sein, hat er immer gesagt. Und es sieht auf der Jacht nicht gerade aufgeräumt aus.« Sie hielt die Hand über die Augenbrauen und lugte durch die Glasscheibe in den Steuerstand. »Wenn mich nicht alles täuscht, fehlen ein paar ihrer persönlichen Sachen. Maik, hier stimmt was nicht. Ich habe ein ungutes Gefühl.«
Der Lehrer wankte entlang der Reling um das Schiff und versuchte von der anderen Seite, einen Blick in das Innere der Jacht zu werfen. »Ist merkwürdig, aber ich sehe nur, dass niemand an Bord ist. Sonst hätte sich längst jemand bemerkbar gemacht. Mach dir keinen Kopf. Das klärt sich alles auf. Vielleicht sind sie mit dem Beiboot gefahren, um einzukaufen oder essen zu gehen. Sie sind am Abend sicher wieder zurück.«
Nervös nagte sie an ihrer Unterlippe. »Das glaube ich nicht. Maik, was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Zur Polizei?« Sie zog eine Visitenkarte aus ihrem Portemonnaie. »Hast du einen Stift bei dir?«
Maik nickte, zog einen Kugelschreiber aus seiner Brusttasche und reichte ihn ihr. Mittlerweile zitterte auch er. Die Fahrt durch den Hafen ohne Jacke war mehr als leichtsinnig. Mit krakeliger Handschrift schrieb sie: »Bitte melden, dringend!«
»Was ist mit der Wohnung? Vielleicht finden wir dort jemanden«, sagte Maik, um sie zu beruhigen.
»Die ist vermietet. Ihr Zuhause ist seit langem die Jacht. Tim hat immer gesagt: ›wenn ich nicht mehr arbeiten muss, fange ich ein neues Leben an.‹« Ihr Blick verklärte sich.
»Wo ist ihr Wagen?«, wollte Maik wissen.
»Der steht meist in einer Garage in Burg. Da komme ich im Moment nicht ran, habe keinen Schlüssel. Lass uns zurückfahren. Ich muss von diesem verdammten Schiff runter.«
Charlotte Hagedorn, rüstige Künstlerin und selbst ernannte Ermittlerin, bog mit ihrem Fahrrad in die Straße zum Hafen Burgstaaken ein.
Die Frau, die hinter vorgehaltener Hand als »Miss Marple« betitelt und manchmal belächelt wurde, stemmte sich mit vollem Körpereinsatz gegen den Wind, der ihr aus Südost entgegenblies. Normalerweise wäre sie heute mit Sicherheit nicht aus dem Haus gegangen, aber sie musste die Chance nutzen, um Fotos zu schießen, die nicht jeder im Portfolio hatte. Dermaßen stürmisches Wetter hatten sie auf der Insel lange nicht gehabt. Und dabei war erst Anfang Oktober. Außerdem würde ihr ein wenig frische Luft guttun. Die Frau, die mit ihrer Kamera seit Jahren das Leben auf Fehmarn festhielt, war als Fotografin auf der Insel weitreichend bekannt. Die jung gebliebene Charlotte war nicht nur als Fotokünstlerin unterwegs. Für ihre Gitarre fand sie zwar oft keine Muße mehr, doch ab und zu griff sie gern in die Saiten. Dass ihre Stimme mittlerweile eingerostet war und sie die Töne nicht mehr traf, störte sie nicht. Allerdings hatte sie eine andere Gabe, die immer öfter Gesprächsthema war. Der Ruf als selbst ernannte Ermittlerin eilte ihr voraus. Schallender, als ihr manchmal lieb war. Und nicht selten stieß sie mit ihrer Art gegen Wände, die es einzureißen galt. Sie war nicht nur dem Bürgermeister und dem Tourismusmanager der Insel, sondern selbst der ansässigen Polizei manchmal ein Dorn im Auge, das wusste sie. Zugleich war sie eine Bereicherung, wenn es darum ging, die Fälle mit Hilfe der Mordkommission Oldenburg zu lösen. Sie war aus dem kriminalistischen Ermittlerensemble nicht mehr wegzudenken. Zumal Dirk Westermann, der gleichzeitig Leiter der Oldenburger Dienststelle war, vor einem Jahr ihre Nichte Katrin Hagedorn geheiratet hatte. Somit schloss sich der Kreis. Sie war meist im Besitz wichtiger Informationen und auf dem neusten Stand. Die taffe Frau im besten Alter, über das sie als ewig Junggebliebene lieber schwieg, rollte in diesem Moment den Parkplatz des Hafengeländes entlang. Wer sie sah, schaute ihr erstaunt nach. Sie war in letzter Zeit kaum wiederzuerkennen, hatte ihrem Äußeren eine Art Generalüberholung verpasst. Den farbenfrohen Wollmantel hatte sie gegen eine schwarze Lederjacke getauscht, die ihre immer noch sportliche Figur gut zur Geltung brachte. Auf dem Kopf saß jetzt statt der Wollmütze eine rote Baskenmütze.
Sie bremste ab. Vor einem Segelschiff, das auf einem dazugehörigen Trailer thronte, stoppte sie und stieg vom Rad. Der Wind blies ihre Locken aus dem Gesicht, die unter der erdbeerroten Baskenmütze hervorgekrochen waren. Charlotte kettete das Rad an ein Metallgestell und stapfte mit Bedacht den Steg hinunter, der durch Moosbefall und Nässe mit Vorsicht zu betreten war. Sie wollte sehen, aus welcher Perspektive sie die besten Aufnahmen schießen konnte. Das Wasser schwappte über den Holzsteg, und Charlotte musste aufpassen, dass sie nicht das Gleichgewicht verlor. Der Hafen war menschenleer – fast. Sie bemerkte ein etwa drei Meter langes Schlauchboot, das in die Hafeneinfahrt einfuhr. »Das ist ja rein zu doll. Bei dem Schietwetter. Die haben nicht mehr alle Tassen im Kontor. Nee, nee.« Sie schüttelte den Kopf. »Das sind mit Sicherheit keine Fehmaraner«, sagte sie, und beobachtete das Gummiboot, das bei jedem Wellenschlag auf die Wasseroberfläche knallte. Sofort nahm sie die Kamera hoch und schoss erste Fotos. Zwei Leute saßen im Boot, das erkannte sie trotz der Entfernung. Sie hockte sich hin, drückte erneut den Auslöser. Dabei musste sie aufpassen, dass sie nicht auf ihrem Hintern landete, wenn eine neue Böe sie zurückdrängte. Sie registrierte, wie die Personen anlegten und aus dem Schlauchboot kletterten. Dann sah sie, um wen es sich handelte. Sie wusste zwar, dass die Nichte von Lore und Tim ab und zu zum Hafen kam, aber dass sie trotz ihrer Abscheu vor Wasser bei diesem Wetter in ein Boot geklettert war, ließ sie ihren Kopf schütteln. Sie stakste auf die beiden zu. »Moin, Deern. Na, sach mal. Seid ihr lebensmüde? Mit dem lütten Gefährt bei dem Sturm aufs Wasser? Geht gar nicht.« Sie reichte der Frau, die aussah wie ein Geist, die Hand. »Was macht ihr denn da draußen?«
Die 34-Jährige zuckte die Achseln, warf Maik einen vielsagenden Blick zu und sagte: »Ach, Frau Hagedorn. Ich bin wirklich ratlos. Seit einer Woche sind die beiden wie vom Erdboden verschluckt. Sie haben weder unseren Termin abgesagt noch sich sonst irgendwie gemeldet. Dabei telefonieren wir sonst fast täglich. Deshalb sind wir zur Jacht raus. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, ihnen könnte etwas zugestoßen sein. Ich hatte gehofft, sie wären an Bord.«
Maik warf einen letzten Blick zum festgemachten Schlauchboot, dann gesellte er sich zu den Frauen. »Moin, ich bin Maik«, sagte er und reichte Charlotte die Hand.
Die nickte und guckte die beiden an. »Und? Waren sie an Bord?«, wollte sie wissen und betrachtete den Mann an Nadjas Seite. Die verängstigt wirkende Frau schüttelte den Kopf, verzog die Miene und erzählte Charlotte, was geschehen war.
Sie kannte Nadja seit längerem, hatte sie vor ein paar Jahren an einem Spätsommertag auf dem Schiff von Lore und Tim Ahlers kennengelernt. Ihr war damals schon aufgefallen, dass sie sich auf der Jacht nicht wohlfühlte. Zu der Zeit lag die White Pearl allerdings wesentlich ruhiger im Wasser. Sie hatte kaum gesprochen, war ebenso blass wie in diesem Augenblick und dauernd auf der Toilette verschwunden, um sich zu übergeben. Für die Seefahrt ist sie auf jeden Fall nicht geeignet, dachte Charlotte.
»Nun muss ja nicht gleich etwas Schlimmes passiert sein. Sie können ja unterwegs nach Lübeck oder Hamburg sein. Was ist mit Urlaub? Vielleicht wollten sie mal was anderes als Wasser sehen. Aber ich hör mich um, versprochen.« Charlotte zwinkerte Nadja zu. »Ist das Auto denn da?«
Nadja schüttelte den Kopf. »Nein, hab ich nicht gesehen. Auf dem Parkplatz ist es jedenfalls nicht.«
»Na dann. Ich behalte das auf jeden Fall im Auge.« In Charlottes Kopf arbeitete es. Verschwunden? Seit einer Woche? Sie trommelte mit den Fingern auf das Objektiv ihrer Kamera, witterte einen neuen Kriminalfall. Dann wiederum zweifelte sie an ihren Gedanken. Vielleicht hatten die beiden einfach ihre Handys ausgestellt, um ungestört zu sein. Charlotte vermutete, dass sie mit dem Auto unterwegs waren und irgendwann wieder auftauchten. Allerdings ungewöhnlich, nicht wenigstens der Nichte eine Nachricht zukommen zu lassen. Schließlich waren die drei seit dem Tod von Nadjas Eltern sehr eng miteinander verbunden. Aber wahrscheinlich gab es auch hierfür eine plausible Erklärung. Sie sah dem Paar nach, bis es aus ihrem Blickfeld verschwunden war, bewegte sich auf das Ende des Steges zu und fotografierte das über drei Meter lange Schlauchboot. In ihrem Kopf fing es an zu arbeiten. Charlotte konnte sich kaum auf ihren eigentlichen Job konzentrieren. Ohne ersichtlichen Grund verspürte sie ein nicht zu erklärendes Gefühl in ihrer Magengegend. »Alles sehr merkwürdig. Wenn ich es richtig betrachte, glaub ich fast, da stimmt wirklich etwas nicht. Was schlimmstenfalls passieren kann«, sinnierte sie murmelnd und versuchte, die hochschlagenden Wellen mit ihrer Kamera einzufangen.
*
Nadja hatte genug gewartet. Das Abwarten zehrte an ihren Nerven. Sie flocht ihre Haarsträhnen zu einem Zopf und warf einen Blick in den Spiegel. Der Regen klatschte gegen die Scheibe ihres Badezimmerfensters, und sie fror allein schon bei dem Gedanken, ihre Verwandten bei der Polizei vermisst zu melden. Sie warf einen Blick nach draußen. Überall wehten Blätter durch den Garten der dreigeschossigen Wohnanlage. Manchmal nervte es sie, dass das Gebäude keinen Fahrstuhl besaß und sie schwere Taschen unzählige Stufen hinaufschleppen musste. Aber dann, beim Blick aus dem Wohnzimmerfenster, stellte sie sich vor, dass sie in einem exklusiven Penthouse wohnte und den Weitblick bis hin zur Altstadt genoss. Sie hatte einen Arbeitsweg, der kaum der Rede wert war, und sollte eigentlich dankbar sein … eigentlich. Dann wanderten ihre Gedanken zu ihrer Tante und ihrem Onkel, die im Gegensatz zu ihr ein wohlhabendes Leben ohne Konventionen führten. Die taten, was sie wollten, und lebten einfach in den Tag hinein.
Nadja erhob sich und warf einen Blick aus dem Wohnzimmerfenster. Ihr Augenmerk blieb an den Balkonkästen hängen, in denen die letzten Blumen verblüht waren und nur noch braun gewordene Überbleibsel herausragten. Es war Spätnachmittag, tief hängende Wolken schoben sich über den Himmel, und es wurde dunkel. »Ich geh jetzt zur Polizei.« Sie bewegte sich in den Flur, zog den Daunenmantel über, schlüpfte in ihre Lederstiefel und verließ die Wohnung. Mit schnellen Schritten sprintete sie die Treppenstufen hinunter.
Die Polizeiwache lag nur wenige Minuten entfernt. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, als sie ausstieg. Die Nässe sickerte durch den Kragen und kroch ihren Hals entlang. Sie rannte über den Parkplatz zum Eingang der Polizeistation. Die Nässe klebte innerhalb kürzester Zeit überall auf ihrer Haut und erzeugte eine Gänsehaut. Nadja schüttelte sich. Sie öffnete die Tür und traf im gleichen Augenblick auf den Dienststellenleiter Olaf Schütt.
»Moin«, grüßte er und blieb unmittelbar vor ihr stehen. »Nanu? Was machst du denn bei diesem Schietwetter hier? Kann ich was für dich tun?« Er warf ihr einen freundlichen Blick aus blauen Augen zu, während er ihr die Hand reichte. Nadja schaute den Hauptkommissar an und machte ein Gesicht, das zum Wetter passte. Sie kannte den Beamten mit dem weißen Haar und betrachtete seinen vorgewölbten Bauch. Sie wusste, dass er ihr vertraute. Das machte die Sache leichter. Nadja war sicher, dass sie sich bei ihm in den richtigen Händen befand.
»Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben«, sagte sie und schluckte.
Schütt sah sie fragend an. »Was ist denn los, Deern?«
Sie holte Luft: »Lore und Tim sind seit einer Woche nicht erreichbar und ich … ich weiß nicht, was ich noch anstellen soll, um sie zu finden. Das Schiff liegt draußen vor Anker und niemand ist an Bord«, antwortete sie, verfolgte seine Reaktion und räusperte sich. Schütt bemerkte ihre Nervosität.
»Na, dann komm mal mit, Deern.« Er führte sie in sein Büro und bot ihr einen Stuhl an. »Nun erzähl mal, aber der Reihe nach«, sagte er und warf ihr einen väterlichen Blick zu.
»Ich bin wirklich sehr beunruhigt. Seit einer Woche versuche ich die beiden zu erreichen«, sagte sie und zog die Schultern hoch.
»Und weiter?«
»Jedenfalls stimmt da irgendwas nicht, davon bin ich überzeugt.«
»Hm, können sie nicht im Urlaub sein? Du weißt, dass sie am liebsten unterwegs sind«, sagte Schütt und folgte ihrem umherirrenden Blick.
»Und das Schiff lassen sie draußen vor Anker liegen? Obendrein das Schlauchboot einfach so im Hafen? Das glauben Sie doch wohl selbst nicht. Nein, sie hätten sich bei mir gemeldet. Ich bin, ehrlich gesagt, ratlos. Sie müssen mir helfen. Ich will, dass Sie eine Vermisstenanzeige aufnehmen.«
Schütt rollte mit seinem Stuhl vor den Computer und rief ein Formular auf. »Wie lange, sagtest du, sind sie schon weg?«
»Seit einer Woche«, sagte Nadja Wentdorf.
»Und wenn du das glaubst, warum kommst du jetzt erst?«
*
Charlotte hatte ihre Fotosession im Hafen Burgstaaken beendet und genoss die Atmosphäre. Der Wind hatte weiter zugenommen, ihr wurde kalt in ihrer Lederjacke. Sie legte die Kamera in den Fotorucksack und machte sich auf den Rückweg. Vorsichtig bewegte sie sich über den Steg, der durch die Feuchtigkeit kaum Halt bot und ihre Beine ins Rutschen brachte. Charlotte war froh, als sie endlich festen Grund unter ihren Füßen spürte. Sie bewegte sich auf ihr Rad zu, stellte den Rucksack in den Korb und schob es zum Bürocontainer des Hafenmeisters. Es brannte tatsächlich Licht. Charlotte blieb stehen. Ihr kam eine Idee. Sie lehnte ihr Rad gegen den Container. Dann stapfte sie die Holzstufen hinauf und öffnete die Tür.
Der Hafenmeister Hinnerk Jacobsen saß auf seinem Drehstuhl, der die beste Zeit längst hinter sich hatte und auseinanderzufallen drohte. Er war damit beschäftigt, die letzten Krantermine in einen Kalender einzutragen, der die gesamte Wand beanspruchte. »Ja, Moin, Charlotte. Was machst du denn hier bei dem Schietwetter?«, sagte er und keuchte wie ein altes Walross.
Er zog die Augenbrauen hoch, guckte sie an und legte den Stift aus der Hand.
»Ja, auch Moin. Ich hab Bilder geschossen. Ich möchte nächstes Jahr eine Ausstellung im Senator-Thomsen-Haus organisieren und brauch aussagekräftiges Material.«
»Na, wenn du keine Motive hast, wer dann? Hast wohl anständige Wellen zu sehen gekriegt, oder? Das ballert da draußen ja ganz ordentlich«, sagte er und wischte sich mit dem Handrücken Schweißperlen von der Stirn. Charlotte nickte und merkte, dass er Schwierigkeiten beim Atmen zu haben schien. »Ja, jede Menge, aber es sind ja nie die richtigen, wenn du verstehst, was ich meine. Du japst aber ganz schön, mein lieber Hinnerk. Geht es dir nicht gut?«
»Doch doch, liebe Charlotte, alles in Butter aufm Kutter.«
»Na, dann ist ja alles im Lot.« Sie wollte ihn über die Ahlers ausfragen, als Hinnerk die Hand hob und auf den Stuhl neben sich deutete, bevor sie etwas sagen konnte. »Setz dich, Deern, dann trinken wir einen Tee. Du trinkst doch Tee, wenn ich mich recht entsinne, oder? Lass uns ein bisschen klönen.«
Charlotte winkte ab.
Hinnerk röchelte wie eine alte Dampflok, nahm einen Schluck Tee und hustete.
»Na, das hört sich ja nicht gut an«, sagte sie, als sein Bauch dann auch noch undefinierbare Töne von sich gab. »Du musst mal was essen, Jung.« Der untersetzte Hafenmeister zog die Mütze vom Kopf, wischte mit der Hand über seine haarlose Platte und stülpte sie wieder darüber. Er beugte sich nach vorn und hatte Mühe, durchzuatmen. Mit schiefem Grinsen drehte er den Deckel der Thermoskanne auf und schenkte sich dampfenden Tee ein. »Nee, Hunger hab ich nicht. Mir ist schon eine Weile nicht so gut. Ich glaub, ich hab was Falsches gegessen. Mir ist ganz flau. Nicht doch einen Pfefferminztee?« Charlotte winkte ein weiteres Mal ab. Hinnerk wischte seine feuchten Handflächen am Stoff der Latzhose ab und legte sie auf den Bauch, der sich voluminös unter dem Latz seiner Arbeitshose verbarg. Die Künstlerin war dankbar, dass er ihr zum einen die Möglichkeit anbot, sich aufzuwärmen, zum anderen, ihn auszufragen, ohne dass er es merkte.
»Und was gibt’s bei dir sonst so Neues?«, wollte sie wissen.
»Eigentlich nichts. Siehst ja, der Hafen ist leer. Das miesepetrige Wetter trägt auch nicht grad dazu bei, dass die Leute ihre Boote länger im Hafenbecken liegen lassen als nötig. Und mir geht’s, auf Deutsch gesagt, bescheiden«, sagte der 61-Jährige, nahm die Hände auseinander, griff zum Becher und schlürfte seinen Tee.
»Ja, sieht nicht so rosig aus. Josch will sein Schiff auch bald kranen. Ihm graut schon davor, die Pocken vom Unterschiff zu kratzen«, sagte sie. »Und danach will er mit einem Freund nach Norwegen zum Angeln. Bis dahin wollte er den Troll winterfest haben.« Sie seufzte. »Ist mir immer zu kalt, um in der eiskalten Halle mit einem Spachtel rumzukratzen. Da schieß ich lieber ein paar Fotos.«
»Na ja, ist ja im Hafen nun auch nicht gerade muggelig«, sagte er und wischte erneut seine Hände am Stoff ab. Seine Pupillen wanderten umher, als wenn er nicht bei der Sache war. Irgendwie wirkt er richtig krank, stellte Charlotte fest und wunderte sich über Hinnerk. Normalerweise war er die Ruhe selbst. Den fülligen Mann konnte nichts und niemand aus der Fassung bringen. Er war ein Mensch, der seine Arbeit zwar im Zeitlupentempo erledigte, aber stets mit guter Laune durch den Hafen marschierte. Er war nun mal Hinnerk. Heute gefiel er ihr nicht. Er wirkte fahrig, und seine Augen erschienen ihr glasig. Außerdem hatte sie das Gefühl, als wäre er erleichtert, dass sie hier saß und sich mit ihm unterhielt. Charlotte musterte ihn.
»Nee, muggelig nicht, da hast du recht. Aber Bewegung an der frischen Luft … du weißt ja, wir werden nicht jünger. Da braucht es schon mehr Bewegungen als gewöhnlich. Sonst sehen wir nachher alle aus wie die Michelin-Männchen.« Sie warf Jacobsen einen Blick zu, der auf seinem Bauch hängen blieb. Der Hafenmeister räusperte sich, setzte sich aufrecht auf seinen Stuhl und zog die Plauze ein. Seine Mundwinkel wanderten in die Höhe. »Ja, da sagst du was. Dieses ständige Rumsitzen trägt nicht grad zur Ertüchtigung bei.« Er rieb seine Kugel und schielte immer wieder zur Tür.
»Aber nun mal Spaß beiseite«, sagte Charlotte ernst. »Du bist heute irgendwie anders. So kenne ich dich gar nicht.«
»Nö, ich bin die Ruhe selbst«, entgegnete er. »Ich glaub nur, ich brüte irgendwas aus. Bin schon ganz döschig im Kopf. Entweder das Falsche gegessen oder ’ne Erkältung im Anmarsch.« Charlotte hoffte, dass er recht behielt.
»Dann gehörst du allerdings ins Bett und nicht hier in den Hafen.« Sie wusste, dass Hinnerk am liebsten hier unten in Burgstaaken war. Krank – hatte sie ihn überhaupt schon einmal krank erlebt? Aber sie wollte endlich auf den Punkt kommen. »Sag mal, hast du mitgekriegt, dass die Nichte der Ahlers ihre Tante und ihren Onkel vermisst? Sie erschien mir völlig verzweifelt. Ich hab sie auf dem Steg getroffen. Ist da alles in Ordnung?« Sie sah den Hafenmeister an, als könnte er eine Erklärung für ihre Fragen liefern. Charlottes Finger trommelten auf die Armlehne.
Hinnerk schüttelte den Kopf. »Das erscheint mir rätselhaft«, antwortete er. Auf seiner Stirn sammelten sich erneut Schweißperlen, die er mit einer fahrigen Handbewegung von der Haut wischte. »Weiß ihre Nichte nicht, dass das Boot längst … da war sogar ein Verkaufsschild am Schiff. Komisch war nur, dass er es immer abgenommen hat, bevor Lore in den Hafen kam. Aber vielleicht wollte er sie einfach überraschen.« Er guckte Charlotte an und schenkte erneut Tee in seinen Becher.
Sie hatte gehofft, dass er etwas mehr wusste, das Licht ins Dunkel von Lore und Tim Ahlers Verschwinden bringen konnte. Verkaufsschild? Sie musste unbedingt erfahren, was es damit auf sich hatte. »Nun red schon, was ist mit dem Boot? Wieso hing da ein Verkaufsschild? Was weiß ihre Nichte nicht?«
»Ja, das war merkwürdig und ging viel schneller vonstatten als gedacht.«
»Was ging schneller als gedacht? Nun red doch endlich.«
Nadjas Handy klingelte, als sie sich gerade erneut zur Polizeidienststelle aufmachen wollte. Sie musste wissen, ob die Beamten mittlerweile etwas in Erfahrung gebracht hatten. »Ja, Wentdorf?« An ihrem Gesichtsausdruck erkannte man, dass ihr das, was sie hörte, missfiel. Sie stand in Mantel und Mütze in der offenen Tür und starrte auf den Spiegel, in dem sich ihr fassungsloses Gesicht widerspiegelte. Sie lauschte, was am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde, und schlich zurück ins Apartment. Leise schloss sie die Tür und blieb wie angewurzelt stehen. »Das glaube ich nicht … ich verstehe nicht … wann?« Nadja war entsetzt. Ihre Gesichtszüge wirkten versteinert. »Wann? … Das hätten sie mir erzählt … kann nicht sein.« Wieder lauschte sie, starrte in ihr Spiegelbild. »Haben Sie Beweise für eine derartige Aussage? … Sie haben Unterlagen …? Können Sie mir die zeigen?« Sie legte den Schlüssel aus der Hand in die Schale, die neben der Garderobe auf einem Beistelltisch stand. Nadja hielt das Telefon noch am Ohr, als das Gespräch längst beendet war. »Das kann nicht sein«, sagte sie, griff nach dem Schlüsselbund und verließ das Haus.
Nur wenig später öffnete sie die Tür zur Dienststelle. Jan Becker saß an Schütts Schreibtisch und hielt einen Becher Kaffee in der Hand. Der Polizeihauptmeister guckte Nadja an und grinste. Als er allerdings ihren Gesichtsausdruck bemerkte, veränderte sich auch seine Mimik. »Moin, Frau Lehrerin. Wat hest du op’t Hart?« Becker stellte den Becher auf der Schreibtischplatte ab und bot Nadja einen Stuhl an.
»Ich muss den Chef sprechen«, wies sie sein Angebot mit eisigem Blick zurück.
»Der ist …, warte, ich hol ihn.« Becker sprang auf und verließ das Büro. Wenig später kam er mit dem Dienststellenleiter zurück. »Na, Deern. Hast deine Verwandten wiedergefunden?«, versuchte er, ihre Angespanntheit zu ignorieren.
Nadja holte Luft. »Nein, im Gegenteil. Ich habe vorhin einen merkwürdigen Anruf erhalten. Die beiden haben, wie es aussieht, die Jacht verkauft, ohne mir auch nur das Geringste mitzuteilen. Das kann nicht sein. Und ich kann sie immer noch nicht erreichen. Sie müssen was unternehmen. Ich habe ein ungutes Gefühl.«
Schütt merkte, dass ihre Stimme vibrierte. Er nahm ihr gegenüber Platz, griff ihre Hände, die ebenso zitterten wie ihre Stimme. »Das mit dem Schiff habe ich auch rausgefunden. Ich kenne Tim schon lange, aber dass er die Jacht verkaufen wollte, war mir neu. Ich habe gedacht, du wusstest es, deshalb habe ich dich nicht zurückgerufen. Aber zu deiner Beruhigung: Ich fahre gleich runter und guck mir das Ganze aus der Nähe an – versprochen. Du erzählst mir bitte genau, was dir die Person am Telefon erzählt hat. Möchtest du einen Kaffee?«
Sie nickte. »Ja, ich wollte gerade hierherfahren, als das Telefon klingelte. Eine Frau war am anderen Ende. Sie hat ihren Namen erwähnt, aber den habe ich in der Aufregung vergessen. Nur den Vornamen, den hab ich mir merken können. Lina, sie hieß Lina. Die Frau hat mir allen Ernstes erzählt, dass sie und ihr Mann das Boot gekauft hätten. Sie sagte, sie hätten die Jacht am 26. September offiziell und ordnungsgemäß übernommen. Ordnungsgemäß, wie das klingt.« Nadja lachte verächtlich. Schütt registrierte ihre befremdliche Art und fertigte Notizen. »Und einen Tag später konnte ich sie nicht mehr erreichen. Ist doch merkwürdig, oder nicht?«, riss sie Schütt aus seinen Gedanken. Das gleiche Gefühl beschlich ihn, je länger er ihr zuhörte. Irgendwas stimmte mit Nadja nicht.
»Nun mal ruhig und vor allem sachlich bleiben. Hat die Frau sonst was gesagt? Woher hatte die deine Telefonnummer?«
»Nein, gesagt hat sie nur, dass ich jederzeit vorbeikommen und die Papiere überprüfen kann. Es hätte alles seine Ordnung. Und meine Telefonnummer hat sie von der Visitenkarte, die ich an die Tür vom Schiff geklemmt hatte.«
Schütt nickte. »Wir fahren jetzt zusammen runter zum Hafen und gucken nach dem Rechten.«
Wenig später saßen sie in Schütts Dienstwagen und fuhren in das Hafengelände. Direkt vor der Halle des Winterlagers parkte er den Wagen. Der Hauptkommissar stieg aus und rückte seine Strickmütze zurecht. »Der Wind ist ja heftig hier unten«, sagte er und zog den Reißverschluss seiner Uniformjacke bis zum Kragen. Nadja schien seine Worte nicht wahrzunehmen und war längst auf dem Weg zum Steg. Das Klötern und Klappern loser Gegenstände klingelte in seinen Ohren. Er folgte ihr. Jetzt lag die Jacht direkt am Ende des Holzsteges ordnungsgemäß vertäut und das Schlauchboot war verschwunden. Schütt nahm Nadja zur Seite. Er wunderte sich, weil es nicht zu der Beschreibung passte, die sie ihm vermittelt hatte. Der Hauptkommissar klopfte gegen das Schiff.
»Hallo? Jemand an Bord? Hier ist die Polizei!«, rief er und wartete. Es regte sich nichts. Aber er hatte versprochen, ihr zu helfen, und kletterte umständlich über die Reling der schwankenden White Pearl. Er wusste, dass man ein fremdes Schiff nicht einfach betrat, aber unter diesen Umständen hielt er es nicht für angebracht, um Erlaubnis zu fragen. Nadja machte Anstalten, ihm zu folgen. Schütt entdeckte das Beiboot, das ordnungsgemäß auf einem Gestell verzurrt war. Ansonsten sah es nicht so aus, als ob die neuen Besitzer irgendwas im Schilde führten. Der Dienststellenleiter stufte die ganze Geschichte mittlerweile als Hirngespinst seiner jungen Begleiterin ein. Aber nachhaken konnte nicht schaden. Er klopfte gegen die Glastür des fest verbauten Überbaus, der sogenannten Kuchenbude, und trat einen Schritt zurück. Er merkte, dass sich im Inneren etwas bewegte. Auf einmal wurde die Tür aufgeschoben. Ein Mann, Anfang 30, mit kurzem schwarzem Haar und ebenso dunklem Bart, der ihn finster erscheinen ließ, musterte ihn durch schwarze Augen.
»Was? Was machen Sie auf meinem Schiff?«, fragte der Unbekannte und fuhr sich mit der Hand über den Vollbart. Dann erst registrierte er offensichtlich die Polizeiuniform. Oha, dachte Schütt, und ihm fiel auf, dass der Mann dunkle Ringe unter den Augen hatte und aussah, als hätte er die Nacht durchgemacht. Auf einmal fühlte er sich nicht mehr sehr wohl in seiner Haut. »Moin, Schütt, Hauptkommissar, Polizeidienststelle Burg. Und das ist Frau Wentdorf, deren Verwandten diese Jacht gehört … gehörte«, verbesserte er sich. »Und Sie sind?«
»Ich? Der Besitzer des Schiffes, Erik Bergmann. Warum fragen Sie?«
»Ich hätte ein paar Fragen. Dürfen wir reinkommen? Dauert nicht lange.« Der schlaksige Mann, der ihm in verwaschenen Jeans und dunklem Hoodie gegenüberstand, wirkte auf ihn nicht eine Sekunde lang beunruhigt.
»Natürlich, was ist denn passiert? Sie haben uns aus dem Bett geholt. Wir waren schon erstaunt, als wir die Visitenkarte von Frau Wentdorf in der Tür entdeckt haben. Ist was nicht in Ordnung?«
»Das genau möchten wir von Ihnen wissen. Dürfen wir?« Noch einmal machte er eine Handbewegung Richtung Kabine. Erik nickte. Hinter ihm erschien eine Frau, die Mitte bis Ende 20 war und die Fremden mit kaum mehr Begeisterung beobachtete. Schütt merkte sofort, dass die beiden keinen Besuch erwartet hatten. Sie knöpfte sich eilig die Strickjacke zu, unter der sie nur einen BH trug. Langsam wurde ihm die Sache peinlich. Hatte er sich von Tim Ahlers’ Nichte beeinflussen lassen? Seine Gesichtsfarbe veränderte sich und glich einer überreifen Tomate. »Kommen Sie rein, setzen Sie sich«, sagte die Frau, in deren Gesicht er Akne-Narben entdeckte, was sie aber nicht weniger hübsch aussehen ließ. Ihre blonden Haare berührten die Schultern. Sie wirkte ebenso unausgeschlafen wie der Mann an ihrer Seite. Peinlich berührt, zog sie die Strickjacke um ihren Körper. Ihre Beine waren nackt und die Füße steckten in Turnschuhen. Wie es aussah, hatten sie die beiden bei einem Schäferstündchen überrascht. Er musste grinsen, ahnte, was man auf einem Schiff tat, wenn das Wetter mies und man selbst jung war. Da kamen die Hormone in Wallung, vermutete Schütt. Er sammelte sich und sagte: »Nein, danke, wir wollen Sie nicht lange aufhalten, haben nur ein paar Fragen, dann lassen wir Sie wieder in Ruhe.« Sein väterliches Lächeln beruhigte das Pärchen offenbar.
»Kein Problem, schießen Sie los«, entgegnete Bergmann, vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans und sah die beiden an. Er gähnte.
»Sie haben die Jacht von Familie Ahlers erworben, ist das richtig?«
»Korrekt«, antwortete der sympathisch wirkende Mann, während die Frau ihre Arme um die Schultern schlang. »Hat alles seine Richtigkeit. Wir haben das Schiff am 26. September von Tim und Lore Ahlers gekauft. Ich kann Ihnen gern die Papiere zeigen«, sagte er und deutete auf eine Mappe, die in einer der eingebauten Holzfächer lag.
»Ja, das wäre hilfreich. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr Bergmann.«
»Das ist meine Frau Lina. Jetzt setzen Sie sich. Wir stehen hier nicht gerade gemütlich. Wir waren schon erstaunt, als wir die Mitteilung auf dem Schiff erhalten haben. Was ist denn los? War die Jacht geklaut? Die Ahlers wirkten auf mich sehr seriös«, sagte Bergmann, lachte und entblößte eine Reihe großer Zähne. Schütt schob die Lehrerin auf den Sitz neben sich, nahm seine Mütze vom Kopf und setzte sich ebenfalls. Nadja schien sich in ihrer Haut nicht wohlzufühlen, verschränkte zum Schutz die Arme vor ihrer Brust.
»Kaffee?«, wollte die Frau mit Reibeisenstimme wissen.
»Keine Umstände«, sagte Schütt. »Ich sehe mir die Papiere an, und dann sind wir auch schon wieder verschwunden. Die Besitzer … ehemaligen Besitzer sind seit mehr als einer Woche nicht erreichbar. Und genau deshalb sind wir hier. Frau Wentdorf macht sich Sorgen um ihre Verwandten, und wir versuchen rauszufinden, wo sie abgeblieben sind.« Er kniff die Lippen zusammen, musterte den neuen Bootseigner und nickte. Nadja wiederum fixierte die lederne Mappe in den Händen des hochgewachsenen Mannes, der sie anguckte und sich mit den Fingern durch den Bart fuhr. Irgendwie erinnerte er sie an eine schlackernde Marionette. Nadja waren seine herausfordernden Blicke unangenehm. Sie fühlte sich nackt und presste die Arme noch fester über ihren Brustkorb, als er sich mit der Zunge über seine Lippen fuhr. Dann sagte er: »Da können wir Ihnen nicht weiterhelfen. Wir haben uns hier getroffen, den Kauf perfekt gemacht und sind dann ganz entspannt auseinandergegangen.« Erik legte die Mappe auf den Holztisch, der kaum größer als die Packung einer Familienpizza war, schlug sie auf und zog etliche Papiere heraus. »Alles da. Kaufvertrag, Überschreibung, notarielle Beurkundung. Es hat alles seine Richtigkeit. Ich frag mich aber langsam, warum Sie die Unterlagen einsehen wollen? Glauben Sie uns nicht, dass wir das Schiff gekauft haben?« Der Gesichtsausdruck des neuen Schiffseigners veränderte sich, das Lächeln verschwand. »Wir haben die White Pearl reell erworben, bezahlt und, wie Sie sehen, ist alles in Ordnung. Daran ist nicht zu rütteln. Oder haben wir den Kahn falsch geparkt?«, grinste er wieder und guckte provokativ in Nadjas Richtung. Schütt legte seine Hand auf ihre, wollte sie beschwichtigen. Sie griff nach einem der Blätter, die vor ihr ausgebreitet lagen. Es schien, als suchte sie nach Hinweisen, die einen Betrug aufdecken könnten, und starrte auf die Unterschrift. Sie kannte sie und musste feststellen, dass es tatsächlich die ihres Onkels und ihrer Tante waren.
»Scheint alles korrekt zu sein«, flüsterte sie und zog die Schultern hoch.
»Ist alles korrekt«, sagte Erik und überließ die Papiere dem Kommissar. »Sie können sie gerne mitnehmen und überprüfen lassen, wenn Sie uns nicht glauben. Aber so ist es nun einmal. Wir haben hier alles reingesteckt, was wir hatten, und möchten eigentlich in einer Stunde mit unserem Traumschiff zu einem Törn aufbrechen. Also, wenn Sie sonst keine Fragen haben?«
»So eine Jacht ist sicher sehr kostspielig«, merkte Schütt an und betrachtete die Schiffseigner. »Wie Sie auf den Papieren sehen, war die Pearl nicht gerade günstig. Ist ein Luxusmädchen«, sagte Erik und griente. »Aber sie ist es wert. Geschenkt gekriegt haben wir sie nicht.« Schütt warf einen Blick auf das obere Blatt Papier und sah die Summe von 250.000 Euro in dicken Ziffern vor sich aufleuchten. Die neuen Besitzer der White Pearl wirkten auf ihn nicht wie Großverdiener, und er fragte sich, woher sie einen derartigen Betrag hatten.
»Wann haben Sie die Verträge gemacht, und wo? Bei einem Anwalt?« Jetzt war es Nadja, die ihre Sprache wiedergefunden hatte und der einige Fragen auf der Zunge brannten. Lina sah ihren Mann von der Seite an, dann sagte sie: »Wie mein Mann schon sagte: Die sind am 26. September hier auf der White Pearl unterschrieben worden. Eine Notarin hat die Papiere beglaubigt, und wir haben am Ende ein Glas Sekt zusammen getrunken. Dann sind sie von Bord und wir haben uns noch am gleichen Tag eingerichtet.«
Schütt nickte. »Eingerichtet?«
»Ja, wir haben einen längeren Törn vor uns und wollen, sobald das Wetter es zulässt, los. Testfahrt, Sie verstehen?« Lina wirkte aufgekratzt, während sie sprach.
»Und wohin geht die Reise?«, wollte Schütt von ihr wissen.
»Erst mal Richtung Kühlungsborn … mal sehen.«
Der Polizeibeamte nickte erneut. »Ungewöhnliche Zeit für einen derartigen Törn. Die meisten Boote sind längst gekrant. Das ist mutig. Sie wissen, was Sie da machen … der Wind … ich meine … sind Sie seeerfahren?«
»Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich bin schon mehr als einmal auf großen Segelschiffen, die weitaus länger als 16 Meter waren, unterwegs gewesen. Das ist nicht mein erstes Schiff«, sagte Erik. Alles klang schlüssig. Schütt sah keine Veranlassung, die beiden Bootsbesitzer weiter zu belästigen.
»Jo, dat ist, wie es ist«, sagte er und machte Anstalten aufzustehen. Das hochrote Gesicht seiner Begleiterin dagegen zeigte, dass sie mit den Antworten nicht zufrieden war. Dennoch drängte auch sie zum Aufbruch. »Es tut mir leid, wenn wir Ihre Zeit in Anspruch genommen haben. Aber Frau Wentdorf ist in Sorge, was ihre Verwandten angeht. Nichts für ungut. Haben die beiden Ihnen vielleicht erzählt, wohin sie wollten?« Erik und Lina Bergmann schüttelten die Köpfe. Für sie schien das Ganze mit der Klarstellung durch die Papiere erledigt. Der Hauptkommissar verabschiedete sich und verließ mit Nadja den Steuerstand.
»Darf ich mir die Jacht mal ansehen? Ich mag diese Schiffe und würde gern mal gucken. Ich könnte mir so eines ja niemals leisten. Es sei denn, ich gewinne im Lotto«, lachte der Kommissar.
»Sicher, warum nicht. Ist eine echte Perle, die White Pearl. Sind froh, dass sie uns gehört. Das war immer unser Traum.« Nicht ohne Stolz zeigte Erik ihm und seiner Begleitung die Jacht und führte ihn trotz des vermeintlichen Zeitdrucks über das Deck.
»Ja, ein wahres Schmuckstück. Aber wie sind Sie eigentlich darauf aufmerksam geworden?«
Erik folgte dem Polizeibeamten. »Wir haben ein Verkaufsschild mit einer Telefonnummer an der Scheibe entdeckt und sind mit Herrn Ahlers in Kontakt getreten.« Er deutete auf die Seitenscheibe des Steuerstandes. »Mehr war da nicht«, lachte er. »Aber jetzt müssen wir langsam in die Puschen kommen«, sagte er und zeigte auf den Steg.
»Ja, danke für die Führung«, sagte Schütt und verließ die White Pearl. Nadja hatte sich vom Schiff begeben und stand zitternd auf dem Holzsteg. Die Jacht wankte nicht unerheblich auf den Wellen, und selbst Schütt hatte Mühe, von Bord zu kommen. »Na, dann warten Sie mal lieber, bis die See sich wieder beruhigt. Ist nicht gut Kirschen essen mit der Ostsee bei so einem Sturm.« Für einen Moment hielt er inne und starrte auf die Reling.
Lina hatte sich zu ihrem Mann gesellt und die Arme fest um ihren Körper geschlungen. »Wird schon, wir sind hochseetauglich. Mal schauen, wie sich das Wetter entwickelt«, zwinkerte der 32-Jährige. Ist schon ein nettes Paar, stellte Schütt fest und verließ mit Nadja den Steg. Er erwähnte ihr gegenüber nicht, dass er auf dem Schiff etwas entdeckt hatte, das ihm Sorge bereitete.
Er wusste nur eines, er würde die Oldenburger Kollegen mit ins Boot holen. Ich muss mit Westermann sprechen, überlegte er und verließ mit Nadja das Hafengebiet. Die haben einfach mehr Erfahrung mit vermissten Personen.
*
Eine Stunde später klingelte in der Oldenburger Polizeidienststelle das Handy des Ersten Kriminalhauptkommissars Dirk Westermann. Der schlanke, 1,90 Meter große Dienststellenleiter schwenkte seinen Bürostuhl und streckte die Beine aus. Dann nahm er das Gespräch entgegen. »Moin, Olaf. Wie geht’s dir?«, fragte er überrascht, als er die Nummer aus Burg erkannte. Gleichzeitig breitete sich Unbehagen in ihm aus. Er wusste, dass, immer wenn der Kollege von der Insel sich bei ihm meldete, irgendwas im Unreinen war. Westermann richtete sich im Stuhl auf und rückte seine schwarzgerahmte Brille zurecht.
»Du willst mich sicher nicht zum Kaffeetrinken einladen, stimmt’s?«, versuchte der Chef der Oldenburger Kriminalpolizei, das rumorende Gefühl in seiner Magengegend zu beherrschen. Es war gerade mal angenehm ruhig in Ostholstein. Erleichtert hörte er Schütt lachen.
»Nein, mein Bester, eigentlich nicht. Aber du kannst gern einen Kaffee mit mir trinken, wenn du willst. Nee, im Ernst. Wir haben einen merkwürdigen Vorfall, und ich würde es begrüßen, wenn du deine Meinung dazu abgeben könntest. Ich bin mir nicht sicher, was ich von der ganzen Sache halten soll. Um das gleich vorwegzunehmen, es liegt kein offizieller Fall vor, ist keiner gestorben, aber …« Westermann hielt in seiner Bewegung inne. Irgendetwas an Schütts Stimme ließ ihn aufhorchen.
»Erzähl«, sagte er, nahm die Brille ab und fuhr sich mit der Hand durch die weißen nackenlangen Haare. Gespannt lauschte er dem Monolog, der einen längeren Moment in Anspruch nahm. Dann beendete der Ermittler das Gespräch, legte die Stirn in Falten und erhob sich. Er begab sich auf den Gang und marschierte auf direktem Weg zum Büro seines Kollegen Thomas Hartwig. Der 48-Jährige ermittelte seit zehn Jahren an seiner Seite, und sie waren ein eingespieltes Team. Man konnte fast behaupten, dass sie ein freundschaftliches Verhältnis pflegten. Als er die Tür öffnete, sprang der Dritte im Bunde, der vierbeinige Kollege Watson, aus dem Hundekorb und trottete dem hochgewachsenen, schlanken Kriminalhauptkommissar schwanzwedelnd entgegen.
»Na, mein Junge, alles klar?« Der Beamte kraulte den Kopf des tschechoslowakischen Wolfhundes und ließ ihn gewähren, als der seine Hand abschleckte. Hartwig schaute von seinem Schreibtisch hoch und krempelte die Ärmel seines Jeanshemdes auf.
»Na, Chef, alles Klärchen?«
»Ja, oder besser gesagt, ich weiß es nicht. Es gibt auf der Insel einen Vorfall, den wir uns mal aus der Nähe ansehen sollten. Ist kein Tötungsdelikt, also kein Mord, aber irgendwie erscheint Olaf die Sache merkwürdig.« Er setzte sich Hartwig gegenüber und erzählte ihm die Version, die der Burger Dienststellenleiter ihm zum Besten gegeben hatte.
»Lass uns morgen früh auf die Insel fahren. Schütt meinte, er hätte etwas entdeckt und wir sollen mal ein Auge drauf werfen. Bei dem Wind können die Bootsbesitzer sowieso nicht auslaufen.« Westermann wusste nicht, was er von der Sache halten sollte, aber ganz offensichtlich stimmte irgendetwas nicht.
Charlotte saß mit Josch am Esstisch. Es war 9.30 Uhr morgens. Das Kaminfeuer brannte und der pensionierte Kapitän war dabei, sein Ei mit einem merkwürdigen Gestellzu enthaupten. »Eierschalensollbruchstellenverursacher«, las er vom dünnen Stil des Gerätes. Charlotte hatte den Eierköpfer ihrer Freundin Nele abgeschwatzt, die diese in ihrer Frühstückspension den Gästen zur Verfügung gestellt hatte. Als sie dann ihre Pension verkauften, waren die Geräte überflüssig und sie konnte zwei von ihnen ergattern. Sie freute sich darüber, dass ihr alter neuer Freund sich so an dem Spielzeug erfreuen konnte. Sie war glücklich, dass er nach so vielen Jahren wieder in ihr Leben getreten war.
»Dass du dich da so drüber freuen kannst, freut mich ungemein«, lächelte sie und betrachtete den sonnengebräunten Kapitän a. D., der ihr wie immer in maritimer Kleidung gegenübersaß. Manchmal hatte sie das Gefühl, als wähnte er sich noch immer im Dienst und auf großer Fahrt. Sie sah ihn an und lauschte seiner feinen hanseatischen Stimme, die sie an den großen Politiker Helmut Schmidt erinnerte. Josch grinste.
»Pul du dein Ei man weiter ab, Deern. Das nennt man Zerstörung auf höchstem Niveau. Das arme Hühnerei.« Er lachte. Dabei blitzten seine meerblauen Augen. Die Unterhaltung lief entspannt, als Charlotte das Gespräch auf ein anderes Thema lenkte.
»Sag mal, du kennst dich doch aus. Wenn man ein Schiff kauft, geht das alles so einfach ohne Anwalt oder wie muss ich mir das vorstellen? Als mein Mann damals das Schiff kaufte, war das ja alles völlig anders.«
»Wie kommst du denn nun vom Ei auf Boot? Das erklär mir mal. Aber wenn du mich so fragst. Wer verkaufen wollte, traf sich mit dem Käufer, Vertrag unterzeichnen, Geld übergeben, quittieren, fertig. Ob das heute noch so geht? Keine Ahnung.« Josch nahm den geköpften Deckel des Hühnereies und löffelte das Eiweiß heraus.
»Das hat mit dem Ei nichts zu tun. Mir ist da nur etwas Merkwürdiges passiert. Als ich letztens im Hafen in Burgstaaken war und Fotos machen wollte, ist mir die Nichte der Ahlers über den Weg gelaufen. Du hast sie mal kennengelernt, als wir am Strand von Katharinenhof spazieren gingen. Und die Nadja, also die Nichte, war schier verzweifelt.«
»Warum?«
»Weil sie ihre Tante und ihren Onkel sucht und die seit über einer Woche nirgends aufzufinden sind.«
»Und was ist daran so merkwürdig? Kann doch sein, dass die im Urlaub sind. Die werden irgendwann eine Karte schicken, wo ist das Problem?«
»Ach, Josch.« Sie stöhnte. »Dass du es dir immer so einfach machst.«
»Es ist ganz einfach. Man muss sich nur darauf einlassen«, sagte er.
»Ach, du. Sie haben eine Jacht im Hafen liegen, ein richtig schickes Ding, die White Pearl. Das ist eine Luxusjacht, sag ich dir. Wenn du die siehst, schlackerst selbst du mit den Ohren. Dagegen ist unser Schiff ein Bötchen.« Charlotte griente. Josch war stolz auf sein neun Meter langes Spitzgatt. Ihm gefiel nicht, wie sie über den Troll sprach, der seit einem Jahr im Hafen von Orth lag und bald im Winterlager einquartiert werden sollte. »Lass gut sein, der bringt uns überall dorthin, wo wir hinwollen. Das ist ein stabiles Schiff und hat bisher keine Scherereien gemacht, oder?«
»Ja, du hast recht. Aber trotzdem, schicke Jacht, die ist mindestens 16 Meter lang und sehr edel.« Charlotte saß da in weißer Bluse und legerer Jeans, fuhr sich mit der Hand durch die graublonden Locken, als müsste sie Ordnung in ihre Gedanken bringen. Sie schwärmte von der dunkelblauen Segeljacht der Ahlers, während sie die Reste des Hühnereies im Mund verschwinden ließ.
»Aber nun komm mal auf den Punkt. Was wolltest du mir eigentlich erzählen?«
»Ja, das ist wirklich sonderbar.« Sie erzählte ihm die Geschichte, die ihr im Hafen widerfahren war. »Da stimmt doch was nicht, das fühl ich genau. Zumindest hätte Nadja wissen müssen, dass ihre einzigen Verwandten die Jacht verkaufen, oder nicht? Das erzählt man doch. Da stimmt was nicht im Staate Dänemark.«
»Oh, Charlotte. Nicht, dass du gleich wieder ein Verbrechen witterst. Wenn die beiden ihr Schiff verkauft haben, warum sollten sie das gleich ihrer Nichte erzählen?«, lachte er und zwinkerte seinem Gegenüber wohlwollend zu. »Pass mal lieber auf, dass du den gelben Fleck auf deiner Bluse wieder rauskriegst«, grinste er.
»Na, also. Du bist mir ja einer. Du nimmst meine Befürchtungen überhaupt nicht ernst. Ich dachte, du willst mein Helfer sein. Ich glaube, da ist was passiert.«
»Charlotte!«
*
»Jetzt sind wir schon wieder auf der Insel. Langsam sollte ich mir hier einen Job suchen. Oder du übernimmst die Dienststelle in Burg und ich komme mit – was hältst du davon? Schütt geht wahrscheinlich bald in Pension, der ist doch auch schon über 60.« Hartwig redete ohne Punkt und Komma. Westermann saß hinterm Steuer und lenkte den Wagen Richtung Sundbrücke.
»Nicht nur der«, sagte er und vermied es, seinen Kollegen anzusehen. »Wieso ist eigentlich dein Wagen nicht angesprungen?«, wollte er von seinem jüngeren Kollegen wissen. Hartwig zuckte die Achseln und warf einen Blick in den Fond, in dem Watson lag und schnarchte.
»Keine Ahnung«, sagte er, würde sich hüten, seinem Chef zu erzählen, dass ihm der Sprit ausgegangen war und er es nicht bis zur nächsten Tankstelle, geschweige denn zur Insel geschafft hätte. Er hatte seine Freundin Stina gebeten, den Kanister später auf der Tankstelle zu füllen, damit er zumindest selbst zum Tanken fahren konnte.
Vor der Brücke schoben sich die Autos in Schrittgeschwindigkeit in das Baustellengebiet. Neben ihnen rotierten Bagger auf einer zweiten Baustelle. Sie hatten angefangen, den Tunnel unter dem Sund auszuheben, um die Brücke zu entlasten. Einer zweiten Schienenanbindung war der Kleiderbügel, wie er liebevoll von Insulanern und Gästen genannt wurde, nicht gewachsen. Wenn die Beltquerung, die größte Baustelle Europas mit dem längsten Absenktunnel der Welt, fertiggestellt sein sollte, würde auch der Sundtunnel fertig sein. So jedenfalls war der Plan. Ob die Bahn allerdings ihr Versprechen halten würde – wer wusste das schon? Die Instandsetzung der über 60 Jahre alten Fehmarnsund-Brücke lief seit Jahren.
»Die Baustelle kostet Leute, die auf und von der Insel wollten, richtig Nerven. Ich glaube, denen ist gar nicht bewusst, welche Auswirkungen das alles auf die Wirtschaft und den Tourismus hat. Die Geschichte mit der Sanierung kostet mittlerweile allein um die 50 Millionen Euro.« Hartwig warf einen Blick in die Tiefe, als sie die Brücke überquerten. Seine dunklen nackenlangen Haare klebten fast an der Seitenscheibe. »Dann sind wir die längste Zeit über unsere alte Dame gefahren, mein Bester.« Westermann hörte stillschweigend zu und machte sich seine eigenen Gedanken.
»Hm, ist die Zukunft, und die können wir nicht aufhalten, so gerne wir das auch manchmal täten. Zeit anhalten ist nicht«, sagte Westermann. Er wirkte auf seinen Kollegen, als wäre er mit seinen Gedanken anderweitig beschäftigt. Westermann öffnete das Seitenfenster auf seiner Seite und nahm den Geruch von Salz und Algen wahr. Dies tat er immer, wenn er auf die Insel fuhr. Der Wind wirbelte seine Haare durcheinander. Ein kurzer Blick zur rechten Seite, auf die aufgewühlte Ostsee, dann verschwand Katrins und sein Domizil am Sund aus seinem Blickfeld.
»Dann wird es bei uns richtig leise«, vermutete er und schloss das Fenster. »Aber jetzt lass uns mal sehen, was in Burgstaaken vor sich geht.«
Zehn Minuten später erreichten sie über die Kopfsteinpflasterstraße den Hafen. Das Gelände wirkte verwaist. Einige Boote parkten auf Trailern und nur wenige Autos auf den Parkplätzen.
»Man merkt, dass es auf den Winter zugeht. Langsam, aber sicher wird’s beschaulich auf der Insel.« Westermann nahm die Pfeife von der Ablage und schob sie sich zwischen die Lippen. »Kannst du den Hafenmeister aufsuchen? Ich könnte mir vorstellen, dass der Informationen über den Liegeplatz der Jacht und seine Eigner notiert hat. Ich gehe derweil mal runter zum Anleger. Olaf hat mir erklärt, wo ich den Kahn finde. Watson nehm ich mit.« Hartwig nickte. Der Hund, der schlafend im Fond des Wagens gelegen hatte, richtete sich augenblicklich auf und fing an zu fiepen. »Ist ja gut, mein Jung. Geht gleich los.«
Hartwig schlug den Kragen seiner schwarzen Lederjacke hoch, zog den Fan-Schal seines Hamburger Fußballvereines enger um den Hals und stiefelte gegen den Wind Richtung Hafenmeistercontainer. Westermann schloss seinen Caban, entzündete die Pfeife und ließ Watson aus dem Fond.