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Auf der Insel Fehmarn wird eine junge Frau tot am Strand von Staberhuk aufgefunden. Was zunächst wie ein Unfall aussieht, erweist sich als Mord! Die Freundinnen der Toten, die ihren gemeinsamen Urlaub in einer Waldhütte verbringen, sind geschockt. Dirk Westermann und Thomas Hartwig nehmen die Ermittlungen auf. Die Freundinnen bekommen es in der einsamen Waldhütte mit der Angst zu tun und wollen verschwinden. Nur wenig später findet die zweite Freundin den Tod. Dieses Mal ist es eindeutig Mord. Die Polizei tappt im Dunkeln und muss um das Leben der dritten Frau bangen …
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Seitenzahl: 508
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Heike Meckelmann
Küstensturm
Kriminalroman
Atemlos! Lotta Freimann wird kurz nach ihrer Ankunft auf der Ostseeinsel Fehmarn tot am Strand von Staberhuk aufgefunden. Ihre Freundinnen Tilda und Stina sind erschüttert. Sie wollten den gemeinsamen Urlaub nutzen, um den Liebeskummer von Stina zu bekämpfen – und nun kämpfen sie im Wald von Staberhuk um ihr Leben. Ein Mann, der die Waldhütte mit einem gefährlichen Geheimnis aus seiner Vergangenheit verbindet, beobachtet die Frauen und bedroht ihre Leben. Kurze Zeit später spürt der Polizeihund Watson eine weitere Leiche auf. Die Kommissare Westermann und Hartwig suchen fieberhaft nach dem Täter. Die Dritte der Freundinnen verlässt die einsame Hütte und wird unter Polizeischutz gestellt. Doch dann will sie ihren Aufenthalt abbrechen und ihre letzten Sachen aus der Hütte holen. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, als der Mörder sich erneut auf die Jagd nach der jungen Frau begibt, um an sein Ziel zu gelangen. Wird es Westermann und Hartwig, mit Unterstützung der Hobby-Ermittlerin Charlotte Hagedorn, gelingen, den Mörder rechtzeitig zu finden?
Heike Meckelmann wurde in der Nähe von Elmshorn geboren und zog vor mehr als 30 Jahren auf die Insel Fehmarn. Sie betrieb nach dem Studium der Betriebswirtschaft auf der Insel lange Zeit einen Friseurbetrieb und eine Hochzeitsagentur. Viele Jahre arbeitete sie als Fotografin und nahm als Sängerin ein eigenes maritimes Album auf, bevor sie mit ihrer Familie eine Pension auf der Insel übernahm. Seit 2016 arbeitet sie als freie Autorin auf Fehmarn und schreibt Kriminalromane, die überwiegend auf der Insel spielen, und Reiseliteratur. Über 17 Jahre mit einem Fehmaraner verheiratet, bezeichnet sie sich durch und durch als Insulanerin, die ihre Insel genauso liebt, wie die Geschichten, die sie auf der Sonneninsel schreibt.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Zeichnungen im Buch: © Kornelia Groll
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Dirk Hinz / photocase.de
ISBN 978-3-8392-6760-8
Entzünde im Wald ein Licht für jede dort verborgene Seele … es wäre taghell.
(Heike Meckelmann)
Eiskalte Regentropfen peitschten wie Nadelstiche in sein Gesicht, als das Boot auf unbeherrschten Wellen mitten in der Nacht Richtung Strand schlingerte. Das Kribbeln nahm zu, als er daran dachte, wie er ihren Körper entsorgt hatte. Er wollte mehr …
»Lass uns Steine werfen«, rief Jonas seinem Vater zu. »Ja, such flache Stücke, damit kann man wunderbar ditschen.«
»Was ist ditschen, Papa?« Der achtjährige Blondschopf aus einem kleinen Dorf von der Ostküste Fehmarns sah seinen Vater von der Seite an. »Ditschen … das bedeutet, dass man einen Stein so auf die Wasseroberfläche wirft, dass er mehrmals wieder hochspringt, bevor er im Wasser verschwindet.«
»Aha, dann ditschen wir jetzt die Steine ins Wasser.« Aufgeregt lief er am Strand umher, um passende Stücke zu finden.
»Paaapa, da liegt eine Frau!«, brüllte Jonas und deutete auf den Fuß der Steilküste, die senkrecht nach oben ragte. Nicht weit entfernt der Leuchtturm von Staberhuk.
»Du tüddelst«, rief sein Vater und stapfte durch den Sand. »Das macht der Nebel, da kann man schon mal Gespenster sehen«, lachte sein Dad, dem das Lächeln gefror, als er die leblose Person entdeckte. Jonas hatte recht. Vor ihm am Strand lag eine Frau. Ihre langen blonden Haare hatten sich um ihr Gesicht ausgebreitet. Sie schaute mit starrem, gebrochenem Blick genau in ihre Richtung. Nico Weiland hielt seinem Sohn die Augen zu und zog ihn geschockt zur Seite. Der 40-Jährige war nicht leicht aus der Fassung zu bringen, aber das hier überstieg seine Toleranzschwelle. Er schluckte, zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer der Polizei. »Hier liegt eine tote Frau am Strand. Ja, die ist eindeutig tot. Staberhuk, unterhalb der Steilküste. Etwa 200 Meter vom Parkplatz entfernt. Gut, wir warten.«
Es sollte eine Reise der Heilung werden und endete in einer Katastrophe.
Stina drehte den Schlüssel im Schloss. Leise öffnete sie die Tür zu Marcels Appartement. Ein sanftes Kribbeln durchströmte ihren Körper, als sie sein unwiderstehliches Lächeln vor sich sah. Er war ihre große Liebe. Zehn Jahre waren sie zusammen. Sie war ein halbes Kind, zurückhaltend und verspielt, als er sie in ihrem Lieblingscafé ansprach, in dem sie mit ihrer besten Freundin oft Zeit verbrachte. Nachdem er am Nebentisch seinen Espresso genippt, sich mit der Hand selbstsicher durch die dunklen Haare gefahren und die Mädchen minutenlang durch gletscherblaue Augen fixiert hatte, kam er zu ihnen und lud sie und ihre Freundin zu einem Kaffee ein. Auf Anhieb hatte der Mann sie beeindruckt, und sie verliebte sich augenblicklich in ihn. Dass er wesentlich älter war, spielte in ihren Augen keine Rolle.
Der 37-jährige erfolgreiche Geschäftsmann verwöhnte sie, bereitete ihr mit jeder Geste und teuren Geschenken ein Leben, von dem andere in ihrem Alter nur träumen konnten. Sie wohnte zu Hause, bis sie mit dem Studium begann, und ihre Eltern beobachteten die Beziehung zuerst mit gewissem Argwohn, der sich schnell auflöste, weil sie ihre Tochter bei Marcel Andresen sicher aufgehoben wähnten. Dennoch baten sie Stina, bis zum Abschluss ihres Studiums in ihrer eigenen Wohnung zu bleiben.
Sie entwickelte sich zu einer attraktiven Frau, weshalb er sie wie einen kostbaren Schatz im Auge behielt. Er war nicht eifersüchtig, er wollte seinen Besitz schützen.
Zu ihrem 27. Geburtstag hielt er den Zeitpunkt für angebracht zu heiraten. Als Zeichen steckte er ihr einen funkelnden Diamantring an den Finger. Das alles klang nach einer fetten Seifenoper.
Heute wollte sie ihn überraschen. Stina hatte sich den Nachmittag freigehalten, obwohl sie für ihre Abschlussarbeit lernen musste. Die zierliche Studentin absolvierte ein Studium in Sport und Politik. Marcel hatte sie gebeten, nicht zu studieren. Er hielt es nicht für angebracht. Sie sollte als Frau an seiner Seite brillieren und brauchte in seinen Augen kein Studium. So schmeichelhaft sie es empfand, so verbissen stritt sie mit ihm um ihre persönliche Freiheit. Marcel war erfolgreicher Startupper und verdiente ein Vermögen mit seiner Marketingfirma im Bankenviertel von Frankfurt. Sie wollte ihm nicht nachstehen und ihre Unabhängigkeit bewahren. Aber heute hatte sie vor, ihn zu verwöhnen.
Lautlos schlich Stina voll Vorfreude in den Flur, zog das Haargummi aus ihren langen weizenblonden Haaren und schüttelte sie. Marcel liebte es, wenn sie ihre Haarpracht offen zur Schau stellte. Er nannte sie dann Rapunzel, was den eigentlichen Stand ihrer Beziehung offenbarte, las man zwischen den Zeilen. Diese Märchenfigur saß in einem Turm gefangen, genau wie sie, nur dass ihrer luxuriös war und sie nicht erkannte, dass er von dort alle Fäden zog.
Ihre blauen Augen strahlten, als sie den weitläufigen, mit schwarzem Marmor gefliesten Flur entlangschritt, um den Wohnbereich zu betreten.
Vor einer halben Stunde hatte sie in Marcels Firma angerufen. Seine Assistentin, die ihn besser kannte als jeder andere, hatte ihr mitgeteilt, dass er zu einem Termin sei und dann direkt nach Hause fahren wollte. Jetzt würde sie ihn überraschen. Ihr Blick wanderte zur modernen, ebenfalls mit schwarzen Fliesen und gleichfarbigen Hochglanzschränken ausgestatteten Küche, um dann beim Panoramablick der Frankfurter Skyline hängenzubleiben. Diese Aussicht würde in naher Zukunft ihr Zuhause sein. Ihr Herz schlug heftig. Sie warf einen Blick auf den funkelnden Verlobungsring, der an ihrem linken Ringfinger sein Feuer versprühte, wie Marcel es ausdrückte. Langsam zog Stina eine Flasche aus ihrer dunkelblauen Ledertasche … Dom Perigon … An diesem Abend wollte sie ihm zeigen, wie sehr sie ihn liebte. Dazu gehörte nicht nur der Champagner, sondern auch das rote Nichts aus hauchdünner Seide, das mehr zeigte als verhüllte und das sie in ihrer Tasche verwahrte. Marcel hatte nie verlangt, sie in Dessous zu sehen, was sie zur Kenntnis nahm, aber nicht beunruhigte. Er war eben anders als andere Männer. Sie drückte das weiche Leder der Tasche an sich, um diesen besonderen Schatz zu hüten, und bekam rote Wangen. Stina zog am Wasserfallkragen ihrer meerfarbenen Bluse, als hätte sie Atemnot. Sie öffnete den Kühlschrank, um die Flasche kaltzustellen, als sie im Hintergrund leise Musik wahrnahm. Stina blieb stehen und lauschte. Sie legte ihre Tasche auf die Kücheninsel, um nachzusehen, woher sie kam. Marcel hatte sicher vergessen, das Bluetooth-Gerät im Bad auszustellen? Sie wusste, dass dies vorkam, weil er ständig in Eile war. Ein Workaholic. Und zu Hause konnte er nicht sein, das hatte sie von seiner Assistentin erfahren.
Stina hielt noch immer die Flasche in der Hand und huschte auf dem Steinboden Richtung Schlafzimmertür, um in das angrenzende Bad zu gelangen.
Als sie die schweren schwarz lackierten Eichentüren aufschob, blieb ihr Herz für einen Augenblick stehen. Das Szenario, das sich ihr bot, ließ sie geschockt im Türrahmen verharren. Innerhalb eines Moments zersprang das Bild einer glücklichen Beziehung in 1000 Scherben. Sie war wie gelähmt und nicht in der Lage, ein einziges Wort herauszubringen. In ihr explodierte das Gefühl, jemand würgte sie und sie müsste sterben. Ihr wurde schwindelig. Ihr Blick war starr auf das Bild vor ihr gerichtet.
Auf dem Kingsizebett lag Marcel … nackt auf dem Rücken. Er hatte die Augen geschlossen und stöhnte erregt. Auf ihm hockte rittlings eine Frau mit schulterlangen, lockigen dunklen Haaren, die sich in Ektase wild mit den Fingern durch die Mähne fuhr. Seine Hände hatten ihre Hüften gepackt und gaben den ruckartigen Takt an. Sie stöhnte aufgegeilt und bewegte sich im vorgegebenen Rhythmus auf Marcels Lenden. Er schnaufte durch die Nase und befahl mit eiskaltem Ton: »Los, gib’s mir. Fick mich! Härter, du Schlampe.« Er rammte die Unbekannte wie einen Amboss auf seinen Schwanz und schien kurz vor dem Höhepunkt zu stehen. Stina sah sein verzerrtes Gesicht, dann glitt ihr Blick zum gläsernen Nachtisch. Dort lag ein Streifen mit weißem Pulver und ein zusammengerolltes Stück Aluminiumpapier. Sie wusste sofort, dass es sich um Kokain handelte.
Tränen stiegen in ihre Augen, als Marcel nach den Brüsten der Frau griff und sie hart durchknetete. In Ekstase schlug er die Augenlider auf.
Sein verzerrter Blick traf ihren. Ruckartig stieß er die stöhnende Person von sich und schnellte hoch. Seine Bettgefährtin landete neben Marcel auf der Matratze und sah ihn fassungslos an. Im gleichen Moment entdeckte sie, warum er sie heruntergestoßen hatte. Sie erfasste die Situation, lehnte sich lasziv auf die Seite und fuhr ihrem Liebhaber besitzergreifend mit den Fingerspitzen über seine nackte Brust. Lächelnd wischte sie mit der anderen Hand Pulverreste von ihren Lippen, um sie genüsslich vom Handrücken zu lecken.
»Stina, es ist nicht, wonach es aussieht«, war Marcels peinlicher Versuch, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen, und der erniedrigende Satz, der 1.000-fach in derartigen Situationen benutzt wurde, um zu retten, was nicht mehr zu retten war. Er stieß die Frau erneut von sich, schnellte aus dem Bett, streifte eine am Boden liegende Hose über die Hüften und schoss auf seine Verlobte zu. Seine dunklen Haare hingen ihm vor den Augen. Stina holte aus, schlug Marcel die flache Hand ins Gesicht, drehte sich um und griff nach der auf dem Tresen liegenden Tasche. Sie war im Begriff, fluchtartig die Wohnung zu verlassen, als sie bemerkte, dass sie die Flasche Champagner noch immer in der Hand hielt. Sie holte tief Luft, und drehte sich um. Mit eiskaltem Blick ging sie zurück, sah Marcel mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck im Raum stehen und schmetterte den Dom Perigon gegen die Wand über dem Bett. Die Fremde schrie auf und hielt schützend ihre Arme vor die Augen. Die Flasche zersprang in 1.000 Stücke, und die Scherben fielen auf die zerwühlten Seidenlaken. Der Champagner hinterließ einen riesigen Fleck an der Betonwand, der sich Richtung Fußboden ausbreitete. Stina drehte sich um und rannte zur Eingangstür. Sie hörte seinen Schrei durch das Loft hallen, als sie die Tür hinter sich schloss. Dann war ihre Kraft verbraucht.
Sie wollte ihn nie wiedersehen …
Der schlanke Mann sog die Luft tief in seine Lungen. Sie roch nach Freiheit. Er zog den verschlissenen Bundeswehrrucksack über die linke Schulter und setzte einen Fuß vor den anderen.
Er drehte sich nicht ein einziges Mal um. Mit jedem Schritt folgte er dem inneren Drang, dieser Gegend den Rücken zuzukehren. Er nudelte den winzigen silbernen Stecker in seinem Ohrläppchen, bis es rot anschwoll, dann steckte er eine Hand in die Hosentasche der verwaschenen Jeans, die locker auf seinen Hüften saß. Mit der anderen zog er die dunkle Kapuze seines Hoodies tief in die Stirn. Nachdenklich zog er die Hand wieder aus der Tasche und betrachtete die Innenfläche. 27 Euro 75. Für einen Moment blieb er stehen, zog die Augenbrauen hoch, begutachtete die Münzen und die beiden zerknitterten Zehn-Euro-Scheine. Emotionslos ließ er die Hand wieder in der Tasche verschwinden. Er hatte die leise Ahnung, dass ihm nichts anderes übrig bleiben würde. Er musste per Anhalter fahren. Das Geld brauchte er. Schließlich benötigte er heute noch irgendetwas Essbares. Ludger Hanke zog den Reißverschluss der schwarzen Bikerjacke hoch und stapfte weiter.
Trotz der prekären Finanzlage legte sich ein überlegenes Lächeln auf seine Lippen. Er stellte sich an den Straßenrand und hielt immer dann, wenn ein Wagen heranrollte, den Daumen hoch. Etliche Autos fuhren an ihm vorbei, ohne seiner Person Beachtung zu schenken. Wer will auch einen bärtigen Kerl mit finsterem Blick neben sich auf dem Beifahrersitz sitzen haben?, überlegte er und stiefelte weiter. Niemand hielt in der darauffolgenden Stunde an. So lief er eine gefühlte Ewigkeit und etliche Kilometer durch eisige Kälte. Der Januar forderte seinen Tribut, die Minusgrade drangen langsam durch seine Kleidung. Er war sich sicher, dass über kurz oder lang ein Wagen halten würde. Es hatte angefangen zu schneien. »Verdammt!«, murrte er, das Wetter war niederschmetternd und die Nässe setzte seiner Kleidung und dem Gemüt zu. Er fing an zu frieren. Häuser wurden mit jedem Kilometer seltener. Vom Winter kahl gefressene Bäume säumten stattdessen die Straßen. Zielstrebig folgte er der Allee. Es kann ja nicht ewig dauern, irgendein Idiot … seine positive Energie erhielt erste Kratzer. Seine Lippen liefen blau an und die Laune sank auf ein Minimum. So habe ich mir meine Freiheit nicht vorgestellt,dachte er und legte an Geschwindigkeit zu.Ich muss irgendwo unterkommen, wenn nicht bald …
In diesem Moment unterbrach tiefes Brummen seine Gedanken. Hanke blieb stehen und neigte seinen Kopf so, dass er das Fahrzeug trotz seiner Kapuze erkennen konnte. Mit pfeifendem Ächzen hielt neben ihm ein 40-Tonner. Ludger atmete erleichtert auf und öffnete die Beifahrertür. Der Fahrer, ein grauhaariger Mann um die 50, sah ihn durchdringend an und fragte: »Wo soll’s hingehen«?
»Richtung Küste?«
»Könnte was werden, wenn du nicht wählerisch bist. Ich muss über Kiel nach Flensburg.« Der Fahrer verzog seinen Mund und zuckte die Schultern.
»Flensburg, Kiel, perfekt!«
»Don’t lie to me, lie to me, promise me«, dröhnte es durch den Wagen, als Lotta und Tilda ihre Stimmen zum Besten gaben. Dann verstummte das Lied der Sängerin Lena. Lotta Freimann, die blonde OP-Schwester, die den Golf steuerte, schaltete das Radio aus. »Da, die Ostsee!« Johlend hob Tilda, die auf dem Beifahrersitz saß und ihre Füße auf das Armaturenbrett gelegt hatte, ihre Hand und deutete mit ihrem Finger Richtung Windschutzscheibe. »Geil, das ist ja so geil!«, rief sie und rutschte auf dem Sitz von einer Seite zur anderen. »Nun mach mal halblang. Das ist ja nun nicht so aufregend«, entgegnete Lotta, gähnte und rollte ihre grünen Augen. Sie war müde. Außerdem kannte sie die Insel seit ihrer Kindheit. Sie hatte oft mit ihren Eltern auf Fehmarn die Ferien verbracht. Für sie war die Ostsee eine vertraute Umgebung. Es war für sie wie nach Hause kommen. Wenngleich ihr Herz ebenso zu klopfen anfing, wie das ihrer Freundin, die vor Energie nur so strotzte. Sie freute sich darauf, Tilda und Stina ihre Insel näherzubringen. Stina Christiansen, die schweigsam im Fond des Wagens saß, beugte sich nach vorn und stützte ihre Ellbogen auf die Lehnen von Fahrer- und Beifahrersitz. Wortlos warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und blies sich eine lange blonde Haarsträhne aus dem blassen, schmalen Gesicht. Es war kurz vor 15 Uhr. »Wow«, hauchte sie beeindruckt, als sich wie aus dem Nichts die Stahlbetonbrücke träge aus dem Nebel schälte. »Die wirkt unheimlich in diesem Dunst«, sagte Stina mit brüchiger Stimme. »Und die wollen sie abreißen? Eine Konstruktion, die die Geschichte dieser Insel entscheidend geprägt hat? Ein Wahrzeichen, das selbst wir in unserem Kaff kennen? Denen sollte man mal die Konsequenzen aufzeigen«, philosophierte Tilda, nahm ihre Füße von der Ablage. »Ich fass es nicht.« Sie quetschte ihre Nase gegen die Seitenscheibe.
»Ich hoffe sehr, dass sie bleibt. Ich liebe diesen überdimensionalen Kleiderbügel«, erwiderte Lotta nachdenklich, und eine Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Sie hatte ihre taillenlangen weizenblonden Haare mit einem Gummiband stramm am Hinterkopf zusammengerafft, sodass ihr apartes Profil reizvoll zu Geltung kam. Der elfenbeinfarbene Rollkragenpullover aus Mohairwolle schmeichelte ihrem Teint, wodurch sie der amerikanischen Schauspielerin Gwyneth Paltrow noch mehr ähnelte. »Die Brücke steht außerdem unter Denkmalschutz. Aber wer kann schon voraussehen, was Politiker sich alles einfallen lassen, um sich der alten Lady zu entledigen. So viel ich vor Kurzem erst gelesen habe, wird sie wohl erhalten bleiben. Dafür soll jetzt unterm Sund ein weiterer Tunnel gebaut werden«, sagte Lotta. »Warum das denn?«, wollte Stina wissen. »Na, für die vielen Züge und die Lkws, die bisher über die Brücke rollten.« Die zierliche Freundin auf der Rückbank versank wieder in ihrer Sprachlosigkeit, spielte mit einer Haarsträhne. Sie starrte aus dem Fenster, um auf das graue Wasser zu schauen, das ihre Laune widerspiegelte. Lotta konzentrierte sich auf die zum Teil gefährlich rutschige Fahrbahn. Der Wagen rollte langsam über die Brücke. Lotta, die normalerweise zehn- bis zwölf- Stunden-Schichten als Operationsschwester schob, spürte die Müdigkeit in jedem Knochen. Sie gähnte zum wiederholten Mal und fing an zu reden, um nicht am Steuer einzuschlafen. »Der neueste Stand ist anscheinend, dass sie die Brücke für den langsamen Verkehr erhalten, und die Bahn, Laster und Pkws durch den Tunnel sollen. Dann gäbe es hier sogar zwei unterirdische Wege auf Fehmarn. Aber genau weiß ich es leider auch nicht. Niemand wird schlau aus den wenigen Informationen, die durchsickern.« Lotta schüttelte den Kopf. »Warum noch einen Tunnel? Gibt es schon einen auf der Insel? Und woher weißt du das alles? Wir leben in Frankfurt«, wollte Tilda wissen und nagte an ihrer Unterlippe und betrachtete ihre Fingernägel. »Nein, aber hätte mich auch gewundert, wenn du dich mit dem Weltgeschehen auseinandersetzt. Hör mal, Tilda, hier soll zwischen Puttgarden und Rodby immerhin der längste Tunnel Europas entstehen.«
»Und was ergibt das für einen Sinn?«, fragte Tilda. »Aha, jetzt kommen Tildas Sinnfragen. Aber mal ehrlich. Keinen, wenn du mich fragst! Hier ist alles wunderbar so, wie es ist. Niemand, außer einer Handvoll Leute, braucht dieses Megaprojekt. Aber da wirken sehr wohl andere Mächte, wenn du mich fragst. Oder was meinst du, Stina, brauchen wir einen Tunnel?«
Die Studentin zuckte die Schultern. »Ist mir, ehrlich gesagt, egal.« Sie lehnte sich in die Polster zurück und schloss die Augen. Sie sieht mitgenommen aus, überlegte Lotta, als sie in den Rückspiegel sah, und seufzte.
Wenig später fuhren sie die Abfahrt Richtung Burg hinunter. »Zehn Minuten, dann haben wir es geschafft«, sagte die Krankenschwester und hielt sich erneut die Hand vor den Mund, weil sie das Gähnen nicht unterdrücken konnte. »Ich bin total müde.« Die Sportstudentin drehte den Kopf zum Fenster und kaute auf ihrem Nagel. Sie hing unübersehbar eigenen Gedanken nach. Ihr war es gleich, ob sie die Brücke abreißen würden oder Tunnel bauten. In ihrem Schädel drehte sich alles um das schrecklichste Erlebnis in ihrem Leben. In ihrem Blick offenbarte sich tiefe Traurigkeit, die selbst die vor ihnen auftauchende Altstadt von Burg nicht vertreiben konnte. Ein verräterischer Glanz bedeckte ihre Augen. Der immer dicker werdende Kloß im Hals erschwerte ihre Atmung.
Die Frage, was falsch gelaufen war in ihrer Beziehung, beschäftigte sie, seit sie Frankfurt verlassen hatten … eigentlich seit sie aus Marcels Loft geflohen war. Sie allein fühlte sich schuldig an der Trennung. Warum bin ich nicht mehr auf ihn eingegangen? Vielleicht habe ich ihm nicht genug gezeigt, dass ich ihn liebe. Vielleicht hätte ich …? Stina versank in Selbstvorwürfen und sah nach draußen, ohne auch nur irgendetwas wahrzunehmen. Tränen stiegen in ihre Augen und kullerten über ihre eingefallenen, blassen Wangen.
»Jede Menge Läden«, tönte Tilda und verwuschelte ihre langen dunklen Locken. In ihrem Gesicht zeichneten sich tiefe Grübchen ab, als sie Lotta grinsend von der Seite ansah. »Party und Shoppen fallen schon mal nicht aus.«
Lotta schüttelte den Kopf und drehte ihr Fenster einen Spalt herunter. »Du hast immer nur das eine im Sinn. Party und Shoppen. Wir wollen uns ausruhen, lesen und Stina aufmuntern, hast du das schon wieder vergessen? Und wie passt das alles nur mit deinen philosophischen Sinnfragen zusammen? Kneipen und Shoppen.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das Häufchen Elend auf der Rückbank. Tilda verzog den Mund und sah ihre Freundin beleidigt von der Seite an. »Männer hast du auf deiner Agenda vergessen. Hier ist sowieso der Hund begraben. Schau dich um. Wo man hinsieht, gähnende Leere. Hier sind so gut wie keine Menschen in diesem Kaff«, maulte Tilda und raufte sich die vom Kopf abstehenden Haare. Der Wagen rollte die Breite Straße entlang. »Da wird man ja wohl darauf hoffen können, dass nachts was abgeht. Wir müssen unser Stinalein zumindest ablenken.« Damit drehte Tilda sich um und zwinkerte der Studentin mit dem Liebeskummer aufmunternd zu.
Die junge Frau guckte ihre Freundin an und musste auf einmal lachen. »Das kann ja lustig werden. Ich freue mich auf die Woche mit euch. Und Party können wir auch in der Hütte veranstalten. Wein haben wir ja genug dabei. Außerdem siehst du schon aus, als wenn du gerade erst von einer Fete kommst.« Lotta hatte Burg längst verlassen und durchfuhr den Ort Staberdorf. »Nett«, stellte Stina fest und betrachtete die kleinen Häuser links und rechts der Straße. Dann wurden die Lichter und Gebäude immer spärlicher, und das milchig trübe Wetter zog wie eine Fahne über die vorbeiziehenden Felder. Es dämmerte. Wenig später lenkte Lotta ihren schwarzen Golf in einen schmalen Privatweg. »Darfst du da so reinfahren? Da war ein Verbotsschild!« Tilda deutete auf das nicht zu übersehende Schild. »Wir dürfen«, entgegnete Lotta und fuhr unbeeindruckt weiter. »Das habe ich mit der Eigentümerin des Gutshofes abgesprochen. Normalerweise darf kein Fremder hier reinfahren, Privatweg, aber als Mieter vom Ferienhaus …«, sie lächelte.
Kurz darauf bog die 28-Jährige in einen schmalen Waldweg ein. Sie stellte den Scheibenwischer an, weil der Nebel sich immer wieder schwerfällig auf die Frontscheibe legte und die Sicht erschwerte. Wenig später stoppte sie am Wegrand, der genau hier das Ende ihrer langen Fahrt bedeutete. Dahinter begann der Wald, das Staberholz, in dem sich die Ferienhütte befinden sollte. Groß und mächtig hatte er sich vor ihnen aufgebaut und wirkte nicht gerade vertrauenerweckend. Mittlerweile war es 15:30 Uhr. »Wird schon duster«, flüsterte Stina. »Wird Zeit, dass wir die Hütte finden.« Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche, um die Taschenlampe anzustellen, warf einen Blick auf das Display und entdeckte unzählige WhatsApps und Anrufe in Abwesenheit. Der kann sich melden, bis er schwarz wird, dachte sie, zog die Augenbrauen zusammen und presste die Lippen aufeinander. Sie schaltete das Handy komplett aus und steckte es zurück in ihre Tasche. »Und wo ist jetzt die Hütte? Ich bin schon total gespannt«, wollte sie stattdessen wissen und verzichtete auf die Taschenlampe.
»Mitten im Wald, ist nicht mehr weit. Hat die Besitzerin am Telefon versprochen. Den Rest müssen wir von hier aus allerdings zu Fuß marschieren.«
»Also laufen. Bewegung hält den Geist wach und bringt den Körper in Wallung«, sinnierte Tilda, rutschte mit den Füßen in ihre derben Stiefel, band die Schnürsenkel zu und sprang aus dem Wagen. »Boah, ist das kalt«, rief sie und hechtete bibbernd in engen schwarzen Jeans und dunklem Pullover zum Heck des Golfs, um ihren dicken, wadenlangen rabenschwarzen Wintermantel aus dem Kofferraum zu ziehen. Sie öffnete die Klappe, zog den Mantel heraus und streifte ihn über. Dann griff sie nach der abgewetzten Ledertasche, in der sie ihre Sachen verwahrte. Lotta, ebenfalls in Jeans und Stiefeln, zog den Reißverschluss ihrer blauen Daunenjacke hoch, die auf dem Rücksitz gelegen hatte, und stieg ebenso aus. Gefolgt von Stina, die sich einen rosa Schal um Hals und Haare schlang, der in Kontrast zu ihren himmelblauen Augen stand. »Ist schon sehr einsam hier«, stellte sie leise fest und schluckte.
»Wieso, wir wollten doch eine Hütte im Wald, jetzt hast du sie. Bin echt gespannt, wie das Teil aussieht«, sagte Tilda, lachte, und es klang frech.
Alle drei schulterten ihre Rucksäcke, packten die Taschen. Dann stiefelten sie los. Auf Tildas Rücken, in ihrem Bundeswehrrucksack, klackerte es verdächtig. »Sag mal, hast du nur Flaschen mit?«, fragte Lotta und drehte sich zu ihrer Freundin um. »Nö, aber ein bisschen Flüssiges muss sein. Ich wusste ja nicht, wann wir einkaufen können, und bis dahin hält mein Bestand den Geist beieinander.« Sie zuckte grinsend die Schultern. Je weiter sie ins Innere des Gehölzes vordrangen, umso stiller und unheimlicher wurde es. Ein nicht zuzuordnendes Rauschen durchdrang die Bäume und ließ die Baumwipfel zittern. Stina war sich auf einmal überhaupt nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war, hier den Urlaub zu verbringen. In einer Hütte, in einem finsteren Wald, zumal das Wetter ihnen augenscheinlich einen dicken Strich durch die Rechnung machen könnte.
»Das ist spuki«, rief Tilda und sprintete voraus. »Hey, seht mal, da vorne ist sie.« Die dunkelhaarige 28-Jährige zeigte mit dem Finger auf die Hütte, die, umgeben von dicken Baumstämmen, eine furchterregende Kulisse gefunden hatte. »Das ist echt krass! Wie das Hexenhäuschen von Hänsel und Gretel. Da bekommt der Begriff Märchen eine völlig neue Bedeutung. Und ich bin die böse Hexe …« Sie eilte mit wehendem Mantel auf die Hütte zu, gefolgt von Lotta und Stina, die sich fragend ansahen. »Die tickt manchmal sehr sonderbar. Findest du, es war eine gute Idee hierherzukommen?«, flüsterte die Sportstudentin und betrachtete die milchigen Nebelschwaden, die wabernd über den Boden zogen. »Auf jeden Fall. Du sollst mal sehen, die Woche wird klasse, und du wirst keinen Gedanken mehr an – wie hieß der Kerl noch gleich? – verschwenden«, munterte Lotta ihre Freundin auf und verzog ihren Mund zu einem Lächeln. »Wirst sehen, wird toll!«
Stina seufzte und folgte den Freundinnen, die auf den Eingang der Hütte zutraten, der auf fünf knarrenden Stufen über eine kleine Veranda erreichbar war. Tilda hatte ihre Tasche fallen lassen, die aussah, als hätte sie bereits mehrere Kriege überlebt und wartete vor der Holztür darauf, dass irgendjemand die Haustür öffnete.
»Schlüssel?«, forderte sie Lotta mit einer lässigen Handbewegung auf.
»Der soll da unten hinter dem Stein versteckt liegen. Guck doch mal«, deutete die OP-Schwester mit dem Finger zurück zum Treppenabsatz.
Tilda ließ den Rucksack von den Schultern gleiten und stieg die Holzstufen wieder hinunter. Sie musste achtgeben, dass sie auf den zum Teil moosbewachsenen Stufen nicht ausrutschte. »Die hätten ruhig vorher saubermachen können, bevor man sich hier das Genick bricht. Das sieht alles schon ganz schön marode aus«, murmelte Tilda. Der genauso vermooste Findling drängte sich an die Hauswand, direkt unter einem von Holzläden verschlossenen Fenster, als müsste er die windschiefe Hütte vor dem Zusammenbruch schützen. »Hier ist ni… doch, hab ihn.« Sie zog eine verwitterte Dose hinter dem Stein hervor. »Da muss erstmal jemand drauf kommen«, sagte sie, zog die Augenbrauen hoch und hielt die verrostete Büchse in die Höhe. »Uhu«, tönte ein unheimlicher Ruf durch den Wald, der Stina eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
»Was war das?«, fragte sie flüsternd und drehte sich eingeschüchtert um. »Das, meine Süße, war, wenn ich mich nicht täusche, eine Eule«, sagte Lotta.
»Woher willst du das wissen? Es hört sich gruselig an.« Stina verschränkte die Arme vor der Brust und verschanzte ihre Lippen hinter dem Schal.
Lotta schmunzelte, obwohl ihr der Eulenschrei genauso einen Schrecken eingejagt hatte. Sie wollte der Freundin Mut zusprechen und schob sie zur Tür. »Weil ich es weiß!« Tilda steckte gleichmütig und unberührt von dem Schrei des Vogels den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn langsam herum. Sie öffnete die knarzende Tür und stieß sie mit dem Fuß auf. Ernüchtert stellte sie fest, dass es im Inneren der Hütte stockdunkel war und sie nichts erkennen konnte. Mit der Hand fuhr sie an der Wand entlang und suchte nach einem Lichtschalter. Ihre Finger ertasteten ihn und bewegten den Hebel. Die Birne einer Glaslaterne, die mittig über einem Holztisch hing, leuchtete dezent auf. »Boah, das ist ja traumhaft.« Sie trat zurück, griff Rucksack und Tasche und verschwand in der Hütte. Die Mädels folgten ihr. Stinas mulmiges Gefühl in der Magengegend breitete sich weiter aus, als es im hinteren Teil der Waldhütte leise knarzte. »Was war das?«, rief sie. Wäre ich bloß zu Hause geblieben …
*
Im Frankfurter Bankenviertel saß Marcel hinter seinem Schreibtisch und warf einen Blick aus dem bodentiefen Fenster über die Dächer der Stadt. Er trommelte mit den Fingerkuppen auf die dunkle Eichenplatte. Sein Gesicht war wutverzerrt und die Wangenknochen traten hart hervor. Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten. Er hatte die letzten Nächte nicht geschlafen und über seine Nachlässigkeit nachgedacht. Seine Faust krachte hart auf die Schreibtischplatte, als seine Assistentin den Raum mit einem Becher Kaffee betrat. »Marcel, was ist? Kann ich dir helfen?« Sie kannte ihren Chef besser als jeder andere in diesem Büro. Heimlich verehrte sie ihn, hatte es ihm aber nie zu verstehen gegeben. Allein, dass sie an seiner Seite arbeiten konnte, machte sie glücklich. Vielleicht hat er sich von seiner Freundin getrennt, überlegte sie, und ihre Hoffnung, ihn doch eines Tages für sich zu gewinnen, stieg. Er drehte sich um und sah ihr in die Augen. »Raus! Ich hab ganz klar zu verstehen gegeben, dass ich von niemandem gestört werden will.« Anika Wortmann schluckte ernüchtert, bekam einen roten Kopf und stellte hastig den Kaffeebecher auf die Schreibtischplatte. Sie kämpfte mit den Tränen. Dann drehte sie sich um, um das Büro schnellstens wieder zu verlassen. Sie schloss leise die Tür hinter sich und bekam gerade noch mit, wie ihr Chef mit einem Schrei den Becher gegen die Tür schmetterte.
Marcel Andresen sprang von seinem Ledersessel auf und steckte die Hände in die Taschen seiner Hose. »Verdammt, wie konnte mir das passieren?«, murmelte er. »Wie konnte ich sie mit nach Hause nehmen? Ich hätte damit rechnen müssen.« Er presste seine Kiefer wütend aufeinander. Mich hat noch niemand verlassen, was bildet sie sich ein?In seinem Kopf arbeitete es ununterbrochen. Er erinnerte sich daran, dass er vor etlichen Jahren wegen seiner Frauengeschichten und seines Drogenkonsums schon einmal eine Beziehung zerstört und sogar seinen Job verloren hatte. Frankfurt sollte sein Neuanfang werden. Er hatte sein altes Leben komplett hinter sich gelassen, und dann traf er diese blonde bezaubernde Studentin, die ihn vom ersten Moment an faszinierte. Wie sie mich angelächelt hat … Marcel starrte über die Dächer der Stadt.
Die Frau, mit der Stina ihn erwischt hatte, war eine von vielen. Er hätte nur vorsichtiger sein müssen. »Verdammt.« Marcel konnte nicht aus seiner Haut und brauchte dieses andere Leben, um seine Neigungen auszuleben. Stina hingegen war die perfekte Frau, die ihm nie auf die Schliche kommen würde, weil sie gutmütig und lieb war. Sie war die Frau, die er heiraten wollte. Die künftige Mutter seiner Kinder, die seinem Leben die Ruhe gab, die er brauchte. Er hätte weiterhin seine Spielchen fortführen können, ohne dass sie es jemals erfuhr. »Hätte, hätte …«, schnaufte er und zerrte die Jacke von der Stuhllehne. Sie hatte ihn enttäuscht und er würde das nicht hinnehmen. Er entschied, wo und wann es endete. »Das macht man mit mir nur einmal«, knurrte er gefährlich leise und verschwand aus seinem Büro. Aufkeimende Wut und unsägliches Verlangen wüteten in ihm.
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In der Hütte roch es nach Holz, Moos, gefolgt von einem Geruch, der nicht zuzuordnen war. »Macht mal sämtliche Fenster auf. Hier muss dringend gelüftet werden. Die scheint schon länger leer zu stehen«, murmelte Lotta pragmatisch, rümpfte die Nase und setzte ihre Tasche am Boden ab. Zielstrebig stakste sie zum Sprossenfenster, das sich über der Spüle befand, und versuchte, es mit beiden Händen zu entriegeln. »Das geht so nicht«, stellte sie fest. »Wir müssen zuerst die Fensterläden von außen öffnen. Die sind verhakt.« Sie trat vor die Tür. Draußen war es durch den dichten Baumbestand mittlerweile dunkel. Stina, die ihr gefolgt war, sog die feuchte Waldluft tief in ihre Lunge und half Lotta. Nacheinander öffneten sie die Läden aller drei Fenster und befestigten die angebrachten Haken an den Halterungen der Holzwand. Das unheimliche Rauschen, das sie vorhin im Wald wahrgenommen hatten, schwoll immer mehr an. Der Wind hatte zugenommen. Tilda, die die Freundinnen durch das Fenster beobachtet hatte, stieß den Fensterflügel von innen auf und rief mit einem Grinsen im Gesicht: »Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen. Kommt nur herein, hier gibt es leckere Weinchen und ein wärmendes Feuer.« Sie kicherte. Lotta stand mit verschränkten Armen vor der Hütte, schüttelte den Kopf und schmunzelte. Stina eilte zurück ins Innere, zog das Handy aus ihrer Jackentasche, stellte es an und warf erneut einen Blick auf das Display. Jede Menge Mitteilungen waren dazugekommen. »Er soll in der Hölle schmoren«, schnaubte sie und schaltete das Telefon sofort wieder aus.
Die nach Moos riechende Waldluft drang durch das geöffnete Fenster in das Häuschen ein und durchzog den Raum.
»Das riecht schon wesentlich besser. Lasst die Tür auch einen Moment offen stehen. Wir werden erst mal die Hütte inspizieren«, sagte Stina. Sie zog ihre Jacke aus, legte sie über einen der leeren Stühle, sah sich um und schlich auf eine Tür zu, die sie anhand eines Emailleschildes als Badezimmer ausmachte. Sie öffnete die Tür. Enttäuscht starrte sie in den schmalen Raum, der einem Schlauch ähnelte. »Hier riecht es auch nicht gerade berauschend. Keine Badewanne, und die Dusche ist, ehrlich gesagt, eine Katastrophe.« Sie deutete auf das winzige Waschbecken und die Toilette, die direkt unter ein schmales Fenster gequetscht war. »Nicht gut!«
»Wir sind hier in einer Waldhütte. Was hast du erwartet? Badewanne mit Whirlpool? Hier geraten wir an die Basis des Lebens. Einfach und gediegen bringt es uns back to the roots.« Lotta lachte, als Tilda ihre Freundin beschwichtigte. »Ich glaube, wir werden hier jede Menge Spaß haben. Und sieh mal, wir haben hier sogar einen Kamin. Genügend Holz hab ich unter dem Dachvorstand gesehen. Wirst sehen, das wird richtig kuschelig«, sagte die praktisch veranlagte Lotta und versprühte Optimismus. »Und was ich noch anmerken wollte und ich hoffe, ich habe euren ungeteilten Zuspruch: Ab jetzt herrscht Handyverbot! Wir werden hier wirklich in der Natur mit der Natur leben und uns nur auf uns beschränken. Ich halte das für eine tolle Erfahrung.« Tilda streckte die Hand aus und forderte die Handys der Freundinnen ein. »Ich möchte nicht, dass uns in dieser Woche irgendetwas stört.« Lotta überreichte es ihr bereitwillig. Stina zögerte. Sie musste wissen, was Marcel … Widerwillig reichte sie Tilda ihr Telefon. Die Philosophiestudentin legte die Handys in die Schublade einer Kommode, die unter dem Spülbecken direkt unterhalb des Fensters eingebaut war. Stina umfasste ihre Schultern. »Ist ganz schön eisig hier«, murmelte sie und zog ihre Jacke wieder an. »Ich mach gleich Feuer«, kündigte Tilda an und ging auf die noch verschlossene Tür zu. »Da ist sicher unser Schlafzimmer«, lotste sie die Freundin von ihrem Handy weg.
»Uhu«, schallte der Ruf der Eule aus dem Wald. »Mach die Fenster zu«, rief Stina und hielt sich die Ohren zu.
Draußen war es stockdunkel. Tilda drehte den Türknauf in der Hand, um in das zweite Zimmer zu kommen, als der Fußboden im Nebenraum knarzte. Die drei Freundinnen fuhren zusammen. Stina schrie. Dann schlug die Haustür mit lautem Knall ins Schloss.
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Der Lkw hielt auf einem Rastplatz an der A1. Der Fahrer stieg aus. »Bin gleich wieder da«, murmelte er und verschwand. Der Fahrzeugführer seiner Mitfahrgelegenheit steckte den Tankstutzen in die Öffnung und wartete. Es dauerte eine Weile, dann verschloss er sie wieder und stiefelte Richtung Kassenhäuschen. Ludger Hanke nutzte die Zeit, öffnete die Beifahrertür und schwang sich aus dem Führerhaus, um eine zu rauchen. Neben ihm hielt ein weiterer Lastwagen. Der schlaksige Mann mit dem langen Zopf und dem dichten Bart stand rauchend da und sah sich um. Der Fahrer stieg ebenfalls aus und grüßte. »Na, auch vollmachen?«, fragte er und deutete auf den Tank des Fahrzeugs. »Ne, nur ’ne Handvoll Wasser loswerden.«
Ein schwarzer Audi stand abseits und zwei Männer beobachteten die Lkws, zwischen denen sich der hagere Mann bewegte.
»Auch gut«, antwortete die schlanke Gestalt und zog an der Zigarette. »Wo geht’s denn hin?«, wollte er wissen. »Kopenhagen«, lautete die knappe Antwort.
»Da müssen Sie doch über Puttgarden.«
»Genau, mein Bester.«
»Können Sie mich mitnehmen? Ich muss genau dorthin.«
»Kein Problem. Steigen Sie ein. Ich bin gleich wieder da.« Der Raucher grinste und sah sich um. Keine Menschenseele zu sehen. Nur der Wagen, in dem die Männer saßen. Sie schienen ihn zu beobachten. Der Bärtige drückte die Zigarette am Boden aus und schlich auf das Auto zu. Ein dritter Mann stieg gerade in den schwarzen Audi mit Lüneburger Kennzeichen. Mit einem Satz stand er neben dem Wagen und sah die Männer durchdringend an. Dann verschwand er zwischen den Lkws, zerrte seinen Rucksack aus dem Führerhaus und öffnete die Fahrertür, sodass niemand mitbekam, dass er umstieg. Wenig später kam der Fahrer der neuen Fahrgelegenheit zurück, während der andere noch immer an der Kasse wartete, um sein Geld loszuwerden. Er grinste und wusste, dass er seinem Ziel näher kam. Die Männer in dem Audi sahen dem Lkw nach und warteten auf den Fahrer des ersten Lastkraftwagens, um die Verfolgung aufzunehmen.
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Der nächste Morgen war wesentlich freundlicher. Der Nebel hatte sich verzogen, und die Sonne lugte zwischen dichten Wolken hervor. Der Wald lag in einem diffusen Licht und wirkte friedlich. Selbst der Wind hatte sich ausgetobt.
Die drei Freundinnen lagen auf ihren Matratzen und schliefen. Es war kurz nach 7 Uhr, als Lottas Lebensgeister erwachten. Sie reckte sich unter ihrer Decke. Ausgeschlafen blinzelte sie mit den Augen und warf einen Blick durch die Fensterluke, die direkt über ihrem Kopf im Dach eingebaut war. Vereinzelte Sonnenstrahlen, die es durch die Bäume hindurch geschafft hatten, kitzelten ihre Nasenspitze. Sie wunderte sich, dass sie überhaupt so lange geschlafen hatte. Als Krankenschwester war sie an weniger Schlaf gewöhnt. Es zeigte ihr, wie sehr sie die Ruhe brauchte. Als sie sich bewegte, um ihre Glieder auszustrecken, kam auch Leben in die anderen beiden. Tilda, absolut keine Frühaufsteherin, setzte sich auf und stieß mit dem Kopf gegen einen der dicken Dachbalken im Dachgeschoss. »Oh Mann, das gibt eine Beule«, jammerte sie, verzog das Gesicht und fuhr sich durch die zerzausten Haare. Die Freundinnen kicherten. Stina zog die Beine an und sah verschlafen in die Runde. Sie würde am liebsten unter der Decke liegen bleiben, obwohl sie normalerweise jeden Morgen joggte. Die Welt der drei jungen Frauen sah heute wesentlich freundlicher aus als gestern bei der Anreise.
Die am Vorabend unbehagliche Atmosphäre der Ferienhütte hatte sich nach dem Lüften der Räume und dem Entzünden des Feuers im Kamin aufgelöst. Selbst die Geräusche, die sie aus dem ungenutzten Nebenzimmer wahrgenommen hatten, stellten sich als Sinnestäuschung heraus. Ein Haken, der sich aus der Verankerung eines der Fenster gelöst hatte und vom Wind fortwährend knarzend gegen das Holz der Hütte schlug, war die Ursache und hatte beim Öffnen der Tür auch die Haustür zuschlagen lassen. Zwei Flaschen Wein später hatten sie die nötige Bettschwere und sich schlafen gelegt.
»So, Mädels, aus dem Bett. Der Tag wartet.« Lotta schlug ihre Decke zurück und begab sich auf die Knie. Leise kroch sie bis zum kleinen Sprossenfenster, das sich neben der Leiter befand. Die zusätzlichen Schlafplätze hatten sie gestern Abend unter dem alten Giebeldach des Holzhauses entdeckt. Blau-weiß gestreifte dicke Matratzen, die fast die gesamte Fläche des Raumes bedeckten, ergaben eine urige Schlafstätte. Sie beschlossen in ihrer Weinlaune, dass sie gemeinsam auf dem Dachboden schlafen wollten.
Stina lag wohlbehütet in der Mitte des Matratzenlagers und fühlte sich sicher aufgehoben. Ihre langen blonden Haare umrahmten ihr zerknautschtes Gesicht. Tilda hatte sich wieder unter die Decke verzogen und sie so weit über den Kopf gezerrt, bis nur noch dunkle Haaransätze wahrzunehmen waren. Stina drehte sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellenbogen. »Lass uns Frühstück machen, später erkunden wir den Wald«, flüsterte Lotta und erhob sich. »Wirst sehen, dann sieht die Welt gleich anders aus. Hier ist es sicher und niemand wird uns stören.« Die OP-Schwester kletterte die Stufen hinunter. Sie hatte für alles eine Lösung parat und packte an, wenn es nötig war. Stina schlug die Decke zurück und folgte ihrer Freundin, während Tilda sich murrend umdrehte.
Die 28-jährige Lotta Freimann entdeckte eine Kaffeemaschine, öffnete die Türen des einzigen Hängeschrankes und hielt Ausschau nach Filtertüten. Sie fand eine Dose mit Kaffeepulver, nahm sie heraus und schüttelte sie. »Die ist voll«, strahlte sie. »Ich hatte es gehofft. Den Kaffee hatte ich vergessen. Oder hast du?«
Stina schüttelte den Kopf. »Ich hab an gar nichts gedacht. Mein Kopf ist leer. Nicht mal Zahnpasta habe ich eingepackt.« Sie zuckte die Schultern, stand wie eine Porzellanpuppe vor ihrer Freundin. »Kannst du von mir haben. Hast du wenigstens eine Zahnbürste?« Stina nickte. »Na, dann ist das doch kein Problem. Was uns fehlt, besorgen wir später, wenn wir in Burg einkaufen.« Die Studentin war erleichtert.
Lotta, die Souveräne in dieser Runde, lächelte und stellte die Kaffeemaschine an. »Komm, Lütte, wir decken den Tisch. Tilda ratzt länger, so wie ich sie kenne.« Die Krankenschwester öffnete die Tür und trat auf die Veranda. Sie reckte sich in ihrem Jogginganzug, schüttelte die langen Haare und sah um sich. Die Sonne tauchte den Wald in ein stimmungsvolles Licht. Es herrschte eine unbeschreibliche Ruhe. Nicht einmal ein Vogel war zu hören. Hoffentlich bleibt das so, dachte Lotta und machte sich daran, die Fensterläden zu öffnen. Sie empfand die Ruhe als große Erleichterung, die sie für gewisse Zeit von ihrer schweren Arbeit abschalten ließ. Stina entriegelte die Fenster in allen Räumen von innen, bis frische Waldluft die Hütte durchwehte. Anschließend inspizierten sie die wenigen Schränke auf der Suche nach Geschirr. Zehn Minuten später war ein kunterbunter Frühstückstisch gedeckt. Lotta nickte und lächelte. Sie sah selbst ungeschminkt, mit zerwühlten Haaren und im Jogginganzug faszinierend aus. Sie zog ihre Tasche zu sich, die sie gestern Abend neben dem Sofa abgestellt, hatte und öffnete den Reißverschluss. Gelassen nahm sie Brot, Margarine, Marmelade und Obst heraus. »Das hast du alles besorgt?«, staunte Stina. »Ne, ich hab nur meinen Kühlschrank geplündert. Langt fürs Erste, oder?«
Die Freundin nickte und sog den Holzgeruch der Hütte ein.
Während sie gemütlich am Tisch saßen, Brot aßen und heißen Kaffee schlürften, schnupperte Tilda eine Etage höher den Duft des Wachmachers. Ausgeruht und gut gelaunt kletterte sie wenig später in langen Sporthosen und einem ausgeleierten Shirt die Stiege hinab. Ihre dunklen, ewig zerzaust wirkenden Haare legten sich um ihr blasses Gesicht und ließen es noch schmaler erscheinen. »Hm, das riecht aber lecker. Ich sehe schon, das wird ein geiler Tag«, sagte sie und kräuselte spitzbübisch die Nase, bis ausgeprägte Grübchen sich auf ihren Wangen zeigten.
Lotta zog die Augenbrauen hoch und grinste sie an.
Eine Stunde später stapften sie satt und fröhlich durch das Staberholz, um die Umgebung auszukundschaften, die für die kommende Woche ihr Zuhause sein würde. Es gab kaum Nennenswertes in dem Wald zu sehen, der mit seinen gerade mal fünf Hektar Fläche nicht groß herauskam. »Verlaufen können wir uns hier jedenfalls nicht«, frotzelte Tilda und sammelte einen dicken Ast vom Boden auf. »Nein, aber die Umgebung ist vielfältig. Ich bin mit meinen Eltern früher so oft hier gewesen. Der Wald liegt direkt an der Steilküste, das sehen wir uns nachher genau an. Und der Leuchtturm von Staberhuk ist nicht weit entfernt. Dazu kann ich euch interessante Geschichten erzählen. Aber lasst uns jetzt erst mal den Wald erkunden. Ist immer gut, wenn man weiß, wo man sich befindet und … wo das Auto abgestellt ist«, lachte Lotta.
Stina Christiansen knibbelte an ihrem Zopf. »Wieso müssen wir wissen, wo der Wagen steht? Im Dunkeln kriegen mich sowieso keine zehn Pferde aus der Hütte.« Sie schüttelte den Kopf. Das Ende ihres Zopfes schlug ihr dabei ins Gesicht. Sie zog den rosafarbenen Schal enger um ihren Hals. Ihre empfindlichen Wildlederstiefel rutschten über den feuchten Boden und verdreckten bei jedem Schritt mehr. »Die richtigen Schuhe hast du aber nicht eingepackt«, stellte Tilda belustigt fest. »Kein Problem, wir fahren heute Nachmittag in die Stadt und kaufen ein. Dann können wir uns mit Lebensmitteln eindecken und nach passenden Schuhen für Stinchen schauen«, sagte Lotta und erschrak plötzlich.
Es raschelte hinter ihr. Sie drehte sich um. »Das war sicher nur eine Taube. Ist dieses Idyll nicht wundervoll? Bringt unsere Seele ins Gleichgewicht«, lachte Tilda und sprang amüsiert zwischen den am Boden liegenden Ästen umher. »Ich hab keine Lust mehr, hier herumzustreunen. Du hast doch eben von einem Leuchtturm gesprochen. Lass uns mal da hinlaufen«, flüsterte Stina. Die Geräusche im Wald lösten Beklemmungen in ihr aus. Sie fühlte sich beobachtet. Das Staberholz verbreitete, trotz der Sonnenstrahlen, Unheimliches. Es herrschte kein Wind, wurde aber zunehmend diesiger. »Dieser verdammte Nebel, die merkwürdigen Laute«, stellte sie fest und suchte nach dem Ausgang. Sie kannte zwar die Umgebung, aber den Wald hatte sie nie wirklich ausgekundschaftet. »Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelpumpel heiß’ …«, johlte Tilda und tanzte wie ein Kind zwischen den Bäumen.
Bis Stina auf einmal schrie und ohne Vorwarnung Richtung Lichtung rannte. »Was ist denn?«, fragte Lotta.
»Da war ein Schatten!«
Hauptkommissar Dirk Westermann, Leiter der Oldenburger Mordkommission, saß am Schreibtisch seiner Dienststelle und las einen Bericht. Die Tür öffnete sich, und sein Kollege Thomas Hartwig betrat das Büro. Der Hauptkommissar sah ihn fragend an: »Wo ist dein Wolf?«
»Mein Wolf ist ein top ausgebildeter Polizeihund, was selbst dir nicht entgangen sein dürfte und wir haben soeben die letzte Prüfung absolviert.« Seine Augen leuchteten, und er wedelte mit dem Zertifikat in seiner Hand. »Unser Watson ist seit heute als staatlich geprüfter Polizeihund in Sachen Drogen und Leichen unterwegs.« Der durchtrainierte, smarte Kommissar konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während er sich mit der Hand durch die dunklen, bis in den Nacken reichenden Haare fuhr. »Ich habe ihn hinten im Wagen und wollte wissen, ob du mit uns eine Runde durch den Wald laufen willst.«
»Welchen Wald?«, fragte Westermann, schob die Brille aus alter Gewohnheit in die nackenlangen, weißen welligen Haare, obwohl er die Lesebrille im letzten Herbst durch eine Gleitsichtbrille ersetzt hatte. Der schwarze Rahmen stand ihm gut zu Gesicht und ließ ihn markant erscheinen. Er warf einen Blick auf die Sportklamotten des jüngeren Kollegen. »Ich dachte, wir könnten Richtung Eutin, kurz vorm Kellersee ist ein Waldgebiet. Ich hab das Gefühl, ich muss unbedingt raus und eine Runde joggen. Hast du Lust?« Westermann nickte, stand auf und griff zu seinem Caban. »Ja, ich brauche auch dringend frische Luft. Dieser Mief hier drinnen macht mich zurzeit platt. Nur Routine ist nicht die große Herausforderung. Unendlich viel Aktenkram führt zur Stumpfsinnigkeit. Und bei den Cold Cases kommen wir auch nicht richtig voran. Außerdem habe ich, gelinde gesagt, riesigen Kohldampf.« Dirk Westermann rieb seine Hand über den flachen Bauch, dann kraulte er seinen weißen Dreitagebart. »Kohl, da sagst du was. Wenn wir gelaufen sind, können wir am Kellersee leckeren Kohleintopf essen. Ich kenne da ein nettes Lokal.«
»Kiek mol einer an. Du kennst ein nettes Restaurant am Kellersee?«
»Was dagegen? Komm!« Westermann stand auf, klappte die Akte zu und ging um den Schreibtisch. Er zog die Ärmel seines grauen Sweatshirts nach unten und schob ein Feuerzeug, das neben dem Computer lag, in die Tasche seiner Jeans.
Der Kommissar zog seine Jacke an, und die beiden Polizeibeamten verließen die Dienststelle. »Wir sind per Handy zu erreichen, wenn etwas sein sollte!«, rief Westermann seinem Kollegen Evert zu, der gerade auf den Eingang zukam. Der nickte. Thomas Hartwig öffnete die Heckklappe, Watson sprang heraus und lief mit wedelndem Schwanz auf den Hauptkommissar zu. Der einjährige tschechoslowakische Wolfshund hatte an ihm anscheinend einen Narren gefressen. Thomas Hartwig holte die Leckerlis aus der Tasche seiner verwaschenen Jeans und beobachtete die begeisterte Begrüßung zwischen Westermann und dem Diensthund. Seine Wangenknochen traten hart hervor. Ihm missfiel, wie der Hund an seinem Chef hing. Schließlich hatte er die komplette Ausbildung mit Watson absolviert und teilte mit ihm seine Junggesellenbude in Neustadt. »Vielleicht hättest du dir den Hund anschaffen sollen«, grummelte Thomas. »Steig ein, Verräter«, lotste er Watson zurück in den Hundekäfig.
»Wann fährst du nach Fehmarn?«, wollte Hartwig wissen, während er den Wagen lenkte.
»Am Wochenende. Katrin möchte zu einer Vernissage, und ich begleite sie. Nettes Event mit Kanapees und Champagner.« Thomas prustete los. »Soll ich dir Watson zur Verstärkung mitgeben? Der räumt mit Sicherheit den Laden auf.«
Dirk lachte und schüttelte den Kopf. Er hatte im eigenen Wagen miterlebt, dass der Hund, sobald er nicht unter Kontrolle war, ein Flegel seiner Zunft war und jede Menge Schaden anrichten konnte. »Ne, lass mal. Ich werde allein mit denen fertig. Außerdem haben wir ja Charlotte dabei, die wird uns schon rechtzeitig da rausholen.« Dirk Westermann dachte daran, wie er der Fotokünstlerin Charlotte Hagedorn das Leben gerettet hatte, während Hartwig und er gemeinsam auf Fehmarn ermittelten. Und er musste schmunzeln, als er daran dachte, dass er durch sie ihre Nichte Katrin kennen und lieben gelernt hatte. Es war damals sein erster Mordfall auf der Insel, und er würde den grausamen Überfall auf die Künstlerin niemals vergessen.
»Ich muss dringend tanken«, murmelte Hartwig und fuhr von der Straße ab. Westermann nickte und sie hielten an den Zapfsäulen. Auf dem Gelände standen nur zwei Pkws und ein Lkw. Der Hauptkommissar blieb im Wagen sitzen und unterhielt Watson, der sich fiepend bemerkbar machte. Neben dem Lkw stand ein Mann mit dichtem grauem Bart und Zopf, der den Rauch seiner Zigarette so intensiv inhalierte, als sei es die erste nach langer Zeit. Dirk beobachtete den schlanken, trotzdem muskulösen Mann, der Jeans trug, die ihm irgendwann mal gepasst haben mussten. Überhaupt sah er angeschlagen aus. Die blasse Haut und der ungepflegte Bart verstärkten die tiefliegenden Augenringe. Er hatte etwas an sich, das bedrohlich wirkte. Seine dunklen Augen hatten einen lauernden Blick, der Westermann an ein jagendes Tier erinnerte. Selbst Watson knurrte verhalten, als er den Mann aus dem Fond heraus beobachtete. »Westermann, du spinnst. In jedem Kerl siehst du einen potenziellen Mörder. Mensch, lass gut sein. Watson, sei ruhig, alles in Ordnung.« Hartwig kam zurück und stieg ein. Er reichte Dirk ein Eis und packte sich selbst eines aus. Im hinteren Teil des Wagens fing es an zu rumoren. Der Hund knurrte leise bei jedem Bissen, den die Männer sich genehmigten.
Auf einmal stand der Bärtige unmittelbar neben dem Wagen und starrte die Kommissare mit eisigem Blick an.
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»Da hinten kann man den Leuchtturm sehen, zumindest seine Umrisse«, rief Stina und fing an, ihre Schritte zu beschleunigen, nachdem sie sich beruhigt hatte. Ihre Fantasie hatte ihr einen Streich gespielt, und sie war froh, auf einer Wiese zu stehen und nicht mehr im Wald umherirren zu müssen.
Lotta erreichte die Freundin, und sie stapften weiter Richtung Leuchtturm. »Müsst ihr so schnell gehen?«, maulte Tilda, die hinter ihren Freundinnen her stolperte. Ihr Mantel wehte bei jedem Schritt auseinander und sah aus wie schlagende Flügel, als sie sich um die eigene Achse drehte, um den Wind durch ihre Haare wehen zu lassen. Die schmale Straße zum Turm erschien ihr endlos, und sie verspürte überhaupt keine Lust mehr, noch weiterzugehen. Sie hätte es vorgezogen, sich auf eine Bank zu setzen. Sie steckte gähnend die Hände in die Manteltaschen und schlurfte hinterher.
Der Nebel wurde dichter und zog vom Wasser aus über die Felder ins Landesinnere. Es war zwar kein bisschen Ostsee zu sehen, aber das Rauschen der Wellen klar und deutlich zu hören. Um die Frauen herum entstand eine milchige Suppe, die sich zäh ausbreitete. Lotta und Stina hatten das Gelände des Leuchtturms erreicht und begutachteten die Umzäunung. Sie warteten auf Tilda. »Sag mal, hast du eigentlich noch andere Klamotten als deine Grufti Outfits?«, fragte Stina.
»Nö«, war die knappe Antwort. »Lass uns ums Grundstück rumlaufen, dann kommen wir runter ans Wasser. Direkt zum Turm können wir sowieso nicht«, schlug Lotta vor. Stina folgte ihr auf dem Wanderweg Richtung Strand. Hinter sich hörte sie leises Knarzen und drehte sich mit unsicherem Gefühl um. Dann sah sie erleichtert, dass Tilda über das grün gestrichene, hüfthohe Metallgeländer kletterte. »He, warum sind wir denn hier? Stellt euch nicht so an! Ihr wolltet doch zu diesem Leuchtfeuer der Historie.« Mit einem Satz landete sie auf der anderen Seite des Zauns. »Bist du wahnsinnig? Das ist verboten!«, fluchte Lotta. »Wenn uns hier jemand sieht. Das gibt richtig Ärger. Dieses Grundstück ist fast historisch. Hier hat der Maler Ernst Ludwig Kirchner einige Sommer verbracht, um seine Bilder zu malen. Unglaublich. Da springt man nicht mal eben über den Zaun.«
»Mann, nun stellt euch nicht an wie Püppchen. Ihr wolltet Abenteuer und Erholung. Wo erholt man sich besser als an einem Leuchtturm. Wir beschreiten den Weg der alten Seebären.«
Sie winkte ihre Freundinnen heran, die an einem kleinen Haus stehengeblieben waren, das sich auch auf dem Grundstück befand. »Ich geh da nicht rüber«, murmelte Stina. »Sei kein Frosch. Wir wollten was erleben oder etwa nicht? Tilda hat recht«, antwortete Lotta und zog ihre Freundin hinter sich her.
Entschlossen liefen sie zum Metallzaun und kletterten ihr nach. Erleichtert rannten sie Tilda hinterher, die mit verschränkten Armen vor dem Leuchtturm stand und ihre Fingernägel begutachtete. Prustend blieben sie vor dem zweifarbig gemauerten Bauwerk stehen. »Das sieht aber urkomisch aus. Ist denen das Geld für die anderen Steine ausgegangen?«, kicherte Stina und betrachtete die farblich unterschiedlichen Mauersteine. »Ne, soweit ich weiß, war der Turm anfangs komplett aus gelben Steinen. Die haben dem Wetter wohl auf der Westseite nicht standgehalten, sodass sie ausgetauscht werden mussten. Ich finde, das hat was«, lachte Lotta und stiefelte einmal um den Leuchtturm von Staberhuk herum. »Es ist toll, auf den Spuren Ernst Ludwig Kirchners zu wandeln, oder?« Stina sah sie fragend an und stapfte in ihren vom Dreck versauten Stiefeln weiter über das Grundstück. Sie entdeckte eine hölzerne Pforte, die auf ein Portal führte. Von dort aus hatte man einen fantastischen Blick über die Ostsee. Der Riegel des quietschenden Tores schlug, nachdem sie hindurchgeschlüpft war, in einem Schnappschloss ein. Die zarte Person betrat eine vorgelagerte Empore, die einem Balkon ohne Geländer glich und jetzt nur einen kleinen Ausblick auf Teile der Ostsee und den Strand bot. Sie war enttäuscht, dass sie nur einige Findlinge sehen konnte, die verstreut im Sand lagen. Das Meer war weitgehend vom Nebel verschluckt worden. »Das müsst ihr euch ansehen!«, rief sie. »Das ist der Hammer.« Sie trat einen Schritt zurück und setzte sich auf eine verwitterte Holzbank, die im geschützten Teil der etwa acht Quadratmeter großen Plattform vor einer Hecke aufgestellt war. Lotta und Tilda kamen über das Rasenstück angelaufen. Sie staunten, als sie die Freifläche betraten. »Wow, da kann man sicher weit gucken, wenn klare Sicht ist, und das Meer bis zum Horizont bestaunen«, flötete Tilda. Sie näherte sich der Felskante, die zum Strand hin senkrecht in die Tiefe abfiel, und wedelte mit den Armen, während Lotta bei Stina stehen blieb. »Halt Abstand, oder willst du den Abgrund runterfliegen«, mahnte sie und presste die Hand auf ihr Herz. Tilda grinste sie an und tänzelte weiterhin gefährlich nahe der Felsklippe herum. »Tanz auf dem Drahtseil«, flötete sie ausgelassen. Der Mantel flatterte wie Fledermausflügel. Es schien, als würde sie jeden Moment abheben. »Lass das! Findest du das cool?«, rief Stina und wurde blass. Ohne Vorwarnung geriet Tilda in ihrer unbekümmerten Art gefährlich ins Straucheln. Sie ruderte mit den Armen und schien das Gleichgewicht zu verlieren. Starr vor Angst standen die Freundinnen da, unfähig, sich zu bewegen und auch nur einen Schritt auf sie zu zu machen. Tilda riss erschrocken die Augen auf, als ein Stück des Bodens unter ihrem Fuß wegbrach. Ein markerschütternder Schrei hallte über die Ostsee.
Der Tag gefiel ihr. Es war genau diese Art von Stimmung, die sie mit ihrer Kamera einfangen wollte.
Das Wetter war kühl, neblig und wirkte geheimnisvoll. Charlotte Hagedorn trällerte, als sie, mit ihrem Rucksack auf den Schultern und in ihren dicken Wollmantel eingepackt, ihr Fahrrad über den Sandweg Richtung Staberhuk dirigierte. Sie kratzte sich mit einer Hand unter ihrer mit Delfinen bestickten Mütze. Die Künstlerin wusste aus Erfahrung, dass sie bei dem Wetter fast eine Stunde unterwegs sein würde, bis sie ihr Ziel erreichte. Sie kannte sich aus. Sie liebte es, auf der Insel Fotos zu machen, wenn keine Sonne schien. Sie inspizierte selbst Orte, die Insulaner nie vorher aufgesucht hatten. Unheimliche Orte, an denen Geheimnisvolles aufzuspüren war. Nicht umsonst nannte man sie die Miss Marple der Insel. Durch ihre manchmal etwas eigenwillige Art, Ereignissen nachzugehen, hatte sie den Kommissaren Dirk Westermann und Thomas Hartwig von der Mordkommission Oldenburg das eine oder andere Mal bei der Aufklärung einiger Mordfälle auf Fehmarn helfen können. Selbst wenn ihre Hilfe nicht immer erwünscht gewesen war.
Sie sah auf ihre Armbanduhr. Es war fast 9 Uhr, als sie die Spitze des Leuchtturms Staberhuk in weiter Ferne wahrnahm. Ihr Herz klopfte, und eine frische Röte überzog ihr Gesicht. Ob dies an der Vorfreude auf ihre Fotosafari im Nebel lag oder der fast 16 Kilometer langen Strecke geschuldet war? Wild entschlossen trat sie in die Pedale ihres roten Fahrrades und hatte nach weniger als zehn Minuten ihr Ziel erreicht.
Ein Leuchten trat in ihre Augen. Pfeifend fuhr sie den schmalen Sandweg entlang, bis sie nicht mehr weiter konnte. Die kleine Teerstraße, die den Radweg kreuzte, stoppte ihren Übereifer, und sie bremste quietschend den fast 20 Jahre alten Drahtesel aus. Sie sprang übermütig vom Rad und rückte ihren Rucksack zurecht. Der Blick nahm ihr wie immer den Atem.
Der 1903 massiv erbaute, jüngste Leuchtturm im Südosten der Insel, hatte es ihr von Anfang an angetan.
Der Turm thronte direkt an der Steilküste und lieferte nach wie vor eine strategisch wichtige Befeuerung der Seestraße. Charlotte Hagedorn kannte viele Geschichten um diesen Leuchtturm. Sie stellte ihr Fahrrad an einem wilden Rosenstrauch ab, der direkt am Hang gewachsen war und von dessen Blüten sie jedes Jahr wunderbar duftende Rosenmarmelade einkochte. Erleichtert kraxelte sie, das Ziel am Fuß der Steilküste im Auge, zwischen dem Buschwerk den Abhang hinunter, um für einen Moment an ihrem Geheimstrand auszuruhen. Sie wollte sich das Leuchtfeuer aus genau der Perspektive anschauen und Fotos schießen.
Charlotte strahlte, als sie den Turm hinaufblickte, der von den wenigen Sonnenstrahlen ausgeleuchtet wurde. Sie setzte sich auf einen der großen Findlinge und stellte das Objektiv ein. Dann richtete sie die Kamera auf das verschwommen wirkende Meer, das spiegelglatt und in Nebel getaucht vor ihr lag. Sie roch den Seetang, der sich zwischen den Steinen aufgehäuft hatte, und drückte ab.
Auf einmal hörte sie Gelächter und sprang auf. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und sie fühlte sich gestört in diesem Moment der Stille.