Kybernetik - Frank Albrecht Uhlhorn - E-Book

Kybernetik E-Book

Frank Albrecht Uhlhorn

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Beschreibung

Kybernetik ist die Lehre von der Steuerung sozialer Systeme. Schon Paulus rechnet die Kunst der Steuerung zu den Charismen. Nachdem die Kirche über Jahrhunderte gewachsen und expandiert war, konstituierte sie sich in der Reformation neu und wurde dann in der Neuzeit von Schleiermachers Kirchentheorie geprägt. In der Moderne sieht sich die Kirche mit Krisenphänomenen konfrontiert. Als Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen werden eine Vielzahl von Konzepten und Modellen entwickelt, um die Aufgaben der Steuerung neu zu bestimmen und zeitgemäß anzuwenden. Im vorliegenden Band wird diese Entwicklung des Sozialsystems Kirche bis in die Gegenwart hinein nachgezeichnet. Dabei kommen Einsichten der frühen Kybernetik ebenso zur Geltung wie Aspekte der Systemtheorie. Im Fokus des Kompendiums stehen die Leitdifferenzen für eine Kirche in der "nächsten Gesellschaft".

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Kompendien Praktische Theologie

Herausgegeben von

Thomas Klie und Thomas Schlag

Band 6Die Kompendien Praktische Theologie bieten kompakte und anschauliche Überblicke über die Teilgebiete der Praktischen Theologie. Die einzelnen Bände präsentieren gesichertes Grundlagenwissen mit Bezug auf ­gegenwartsrelevante Fragestellungen und orientieren sich an folgenden ­Leitthemen: Problemhorizont und gegenwärtige Herausforderungen – ­Geschichte der Disziplin – Systematische Entfaltung – Empirische ­Erkenntnisse – Enzyklopädische Verortung im Ganzen der Praktischen ­Theologie. Besonderes Augenmerk liegt auf der Verzahnung von ­Theoriebildung und Praxisreflexion, der Integration in internationale ­Diskurse ­sowie dem Dialog mit Partnerwissenschaften außerhalb der ­Theologie.

Frank Albrecht Uhlhorn

Kybernetik

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-034078-7

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-034079-4

epub: ISBN 978-3-17-034080-0

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Kybernetik ist die Lehre von der Steuerung sozialer Systeme. Schon Paulus rechnet die Kunst der Steuerung zu den Charismen. Nachdem die Kirche über Jahrhunderte gewachsen und expandiert war, konstituierte sie sich in der Reformation neu und wurde dann in der Neuzeit von Schleiermachers Kirchentheorie geprägt. In der Moderne sieht sich die Kirche mit Krisenphänomenen konfrontiert. Als Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen werden eine Vielzahl von Konzepten und Modellen entwickelt, um die Aufgaben der Steuerung neu zu bestimmen und zeitgemäß anzuwenden. Im vorliegenden Band wird diese Entwicklung des Sozialsystems Kirche bis in die Gegenwart hinein nachgezeichnet. Dabei kommen Einsichten der frühen Kybernetik ebenso zur Geltung wie Aspekte der Systemtheorie. Im Fokus des Kompendiums stehen die Leitdifferenzen für eine Kirche in der "nächsten Gesellschaft".

Dr. Frank Albrecht Uhlhorn ist Superintendent im Kirchenkreis Göttingen.

Inhalt

1.  Einleitung

2.  Paulus als Steuermann

2.1  Die Organisationsform der urchristlichen Gemeinden in ihren sozialen Kontexten

2.2  Gemeinde als Leib Christi

2.3  Der Effekt einer Gemeinschaft als Leib: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

2.4  Die Ordnung des Sozialen unter dem Paradigma »Leib Christi«

2.5  Ausweitung der kollektiven Handlungsfähigkeit durch das Einrichten von Ämtern

2.6  Die Polis und die Gemeinde Jesu Christi

2.7  Intuitive oder systematische Steuerung als Erbe des Urchristentums?

3.  Prinzipien des Werdens der Alten Kirche

3.1  Das Wirken von Paulus als Grundlage für Universalität und Dauer der Kirche

3.2  Solidarität als Grund für den »Sieg im Kampf gegen das Heidentum«

3.3  Kirche als Karrieresprungbrett

3.4  Bewerbung um Entscheidung der Mitglieder

3.5  Umwelt, interne Konsolidierung oder Entscheidung?

4.  Himmlischer Glanz und irdisches Selbstbewusstsein – die Kirche im Mittelalter

4.1  Mehr Independenzen und Interdependenzen zugleich: Chlodwigs Christianisierung der Germanen

4.2  Gesellschaftliche Evolution durch Stratifikation

4.2.1  Die Struktur der Gesellschaft in der Zeit Chlodwigs I.

4.2.2  Die Semantik der Gesellschaft in der Zeit Chlodwigs I.

5.  Die Reformation

5.1  Druckerzeugnisse als Schleusenöffnung für die Ausbildung eines individuellen Glaubens

5.2  Die Entstehung von Öffentlichkeit als Umstellung auf eine Beobachtung zweiter Ordnung

5.3  Die Leipziger Disputation als Beispiel für die Veränderung schriftlicher Interaktion

5.4  Glaube als Kommunikationsmedium

6.  Kirche als selbständiges Teilsystem der Gesellschaft – Die Kirchentheorie Friedrich Schleiermachers

6.1  Auf dem Weg zur Universalkirche

6.2  Praktische Theologie als Aufgabe, Kirche bestmöglich zu gestalten

6.3  Gut Kirchenregiment

6.4  Verfassung, Kirchenrecht und Zucht im Dienst für die freie Geistesmacht

6.5  Kirchentheorie versus Kybernetik?

7.  Die Kirche in der Moderne

7.1  Kirche – nicht Einzelpersonen (Carl Immanuel Nitzsch)

7.2  Die Dialektische Theologie – Beobachtung zweiter Ordnung (Karl Barth)

7.3  Kirche als konziliarer Prozess – Suche nach dem Fließgleichgewicht (Ernst Lange)

7.4  Missionarischer Gemeindeaufbau – strikte Kopplung von Maßnahmen und Wirkungen (Seitz, Schwarz und Herbst)

7.5  Evangelisches Münchenprogramm – Irritationspotenzial (Herbert Lindner)

7.6  Kybernetische Dreiecke – Systemrationalität (Günter Breitenbach)

8.  Kirchentheoretische und kybernetische Erkenntnisse der Gegenwart

8.1  Dialektik versöhnter Gegensätze – Jan Hermelink

8.1.1  Eine Kybernetik eines offenen Kompromisses

8.1.2  Ordnung als lose und zugleich stabile Kopplung

8.1.3  Gemeinschaftlicher Vollzug als normativer Kern

8.1.4  Leitung durch kleine Gruppen und den Bischof

8.1.5  Zukunftsorientierung durch Planungskompetenz

8.2  Kirche als Hybrid dreier Logiken – Pohl-Patalong und Hauschildt

8.2.1  Hören auf das Wort Gottes als Basis aller Kommunikation

8.2.2  Relevanz als Strukturbildungsmerkmal

8.2.3  Die drei Logiken in kirchlichen Vollzügen

8.2.3.1  Gruppe als Basisgestalt von Religion

8.2.3.2  Die größeren Handlungsspielräume der Institution

8.2.3.3  Kirche als Unternehmen mit messbaren Zielen

8.2.4  Kirche als Hybrid

8.2.5  Das TZI-Dreieck als gradueller Ansatz für die Praxis

8.3  Die Gründe für eine Forderung nach einer kybernetischen Wende

8.3.1  Kybernetik und Ekklesiologie

8.3.2  Kybernetik und die Kritik an Reformen

9.  Das System »Kirche« als black box

9.1  Der Input für das System Kirche

9.2  Der Output des Systems Kirche

9.3  Im Inneren der black box

9.4  Rekursionen und ihre Transformationen in der black box

9.4.1  Die antike Gesellschaft und die urchristlichen Gemeinden

9.4.2  Die mittelalterliche Gesellschaft und der himmlische Glanz der Kirche

9.4.3  Die moderne Gesellschaft und die Privatisierung des Glaubens

Exkurs: Die Funktionsweisen von Interaktion

10.  Potenziale struktureller Variabilität für die Kirche

10.1  Der Ordnungsgedanke der Stelle als Anwendungsfall des Prinzips der Kontingenz

10.2  Programme zur Steuerung von Interaktion

10.2.1  Das Programm »Theologie der Kontingenz«

10.2.2  Das Programm »Inklusion«

10.2.3  Das Programm »Governance«

10.3  Konsequenzen für die Personalpolitik und die Organisation von Kommunikationswegen

11.  Effekte, Gefahren und Perspektiven

Literaturverzeichnis

Register

1.  Einleitung

Kybernetik ist ein Schlagwort, das auch im Diskurs der Praktischen Theologie verwendet wird. Seit Manfred Seitz im Jahr 1984 den Begriff in seinem Aufsatz »Missionarische Kirche« benutzt hat, spiegeln sich in diesem Schlagwort große Erwartungen, die in mindestens vier unterschiedlichen Hinsichten erscheinen: zum Ersten soll Kybernetik für eine Theorie der Gemeindepraxis herangezogen werden. So fragt Eberhard Winkler (1998, 55): »Wie lässt sich diese Ordnung so gestalten, dass die allen Gläubigen geschenkten geistlichen Gaben dem Willen Gottes gemäß zur Wirkung kommen?« Im Hintergrund dieser Frage sieht Winkler eine »Problemgeschichte«, die von den Wittenberger Unruhen im Jahr 1521 bis zu einer Gegenwart reicht, in der »volkskirchliche Strukturen zusammenbrechen« (a. a. O., VI). Insgesamt 17 praktische Konzepte wie »Haushalterschaft«, »Geistliche Gemeindeerneuerung« und Gemeinwesenarbeit« sollen helfen, die geistlichen Gaben aller fruchtbar zu machen.

Zum Zweiten wird nicht weniger als der gesamte »Anfang der Praktischen Theologie« mit dem Begriff Kybernetik verbunden. So führt Günter Breitenbach (1994, 27) aus, dass die »wissenschaftliche kybernetische Theoriebildung (…) mit Schleiermachers bahnbrechendem Entwurf einer Praktischen Theologie als Kunstlehre für die Kirchenleitung (beginnt)«.

Zum Dritten deutet sich im Umfeld des Begriffs ein Desiderat an. So prägt Breitenbach die Formel »Kybernetik als vernachlässigtes Fach« (ebd.). Obwohl kybernetische Forschung eine Voraussetzung insbesondere der Praktischen Theologie darstellt, »bleibt das Interesse an der Lehre von der Gemeindeleitung innerhalb der praktisch-theologischen Wissenschaft aber eher gering, die materiale Durchführung im Vergleich zu anderen Gebieten knapp«. Als Grund dafür wird die Auflösung des Zusammenhangs von theologischen und juristischen Perspektiven genannt, die zu einem Verlust der inneren Spannung führe, so dass die Praktische Theologie ihr Interesse am Thema verloren habe (vgl. Breitenbach 1997, 27).

Zum Vierten verbindet sich mit dem Sachgehalt des Begriffs Kybernetik die Feststellung, dass die Kirche in der Krise steckt. So konstatiert Ralph Kunz: »Wer immer sich anschickt, die gegenwärtige Lage der Kirche zu analysieren, und nach ihren Steuerungsmöglichkeiten fragt, verwendet früher oder später das Stichwort Krise.«1 Eine Krise wird in Relation auf die Strukturen, Ressourcen, Mitglieder und die kommunikative Kompetenz der Kirche analysiert.

In der praktisch-theologischen Diskussion wird oft versucht, eine Kirchentheorie in den Bahnen Schleiermachers und eine Kybernetik, die als eigener Wissenschaftszweig von der Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre wegweisende Erkenntnisse erzielte, zu vereinbaren (s. die Entwürfe von Hermelink und Hauschildt/Pohl-Patalong in Kap. 8.1 bzw. Kap. 8.2). Hier soll jedoch versucht werden, beide Ansätze auseinander zu halten. Denn uns scheint, dass an einem entscheidenden Punkt eine Inkompatibilität vorliegt. Schleiermachers Vorgehen beruht auf einer ontologischen Methodologie, die darauf abzielt, das Wesen einer Sache zu erforschen. Ein solcher Ansatz versucht m. a. W. herauszubekommen, »wie es ist« (von Foerster 1993, 97). Kybernetik, insbesondere die einer zweiten Ordnung, konzentriert sich dagegen auf die Dynamik allen Geschehens. Sie will Faktoren wie die Zeit erforschen, die das Entstehen von Prozessen ermöglichen und eine Ontologie durch eine Ontogenetik ersetzen (a. a. O., 104).2

Die Anwendung kybernetischer Erkenntnisse auf die Frage, wie die Kirche gesteuert werden kann, wird von manchen Vorbehalten begleitet. Denn eine Wissenschaft von der Regelung und der Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschinen, wie Norbert Wiener im Jahr 1948 seine bahnbrechende Publikation im Untertitel genannt hat, evoziert den Verdacht, hier würden vor allem technische Methoden angewandt.3 Können Beobachtungen von Input-Output-Verhältnissen geeignet sein, die kategorial ganz anders bestimmten religiösen Vollzüge zu erfassen und zu verstehen? Zudem ist der Begriff »Maschine« erklärungsbedürftig. In der Kybernetik wird darunter ein »motorisches Energiesystem« verstanden, dem ein Sensor hinzugefügt wird, der die Aktivitäten der Maschine (oder des Organismus) registrieren kann und gegebenenfalls bei auftretenden Abweichungen von einem Sollwert Korrekturen einleitet (a. a. O., 99). Heinz von Foerster weist darauf hin, dass er den Begriff Maschine als »Formalismus« benutzt, »der dazu dient, auf disziplinierte Weise zu argumentieren und präzise den Beweis zu führen, dass sich Mensch und Universum nicht trivialisieren lassen und das analytische Problem unlösbar ist.« (von Foerster/Pörksen 2016, 59).

Ungewohnt für ein Denken in traditionellen Bahnen ist auch die Abkehr von kausalen Erklärungen in der Kybernetik. Kausale Erklärungen beruhen darauf, auf lineare Art und Weise Input und Output bei einem System oder Organismus zu messen und in einem nächsten Schritt die ermittelten Werte in ein Verhältnis zu setzen. Kybernetiker sehen dagegen das zu untersuchende System als eine »black box« an.

Eine black box kann nicht geöffnet werden. Sie transformiert auf eine unbekannte Weise den Input in einen Output. Der Output einer trivialen Maschine, etwa eines Autos, in das man zehn Liter Benzin einfüllt und das dann etwa 150 Kilometer weit fährt, ist immer derselbe. Eine nichttriviale Maschine zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass sich ihre Operatoren praktisch mit jeder Operation ändern können, weil sie etwa entschieden hat, heute nicht in der Stimmung für die vorgeschriebene Leistung (wie etwa Hausaufgaben, Steuererklärung usw.) zu sein. Deswegen ist ihr Output unterschiedlich, mal so oder mal anders. Die Dynamik und die Relationen eines Organismus sind darum nicht einfach linear ausrechenbar. Ein solches System ist prinzipiell nicht analysierbar.

Deswegen verzichten Kybernetiker darauf, herauszubekommen, wie eine black box funktioniert. Sie wählen ein grundsätzlich anderes Vorgehen. Denn ihre Entdeckung besteht in der Erkenntnis, dass ein Arbeiten mit dem System bzw. Organismus dennoch möglich ist. Die Forscher beobachten die Funktionen der black box und experimentieren dann mit den erkannten Funktionen. So stellen sie fest, dass, wenn sie Rekursionen (also zirkuläre Anwendungen der Operationen auf sich selbst) verstärken, sich von selbst, also autopoietisch,Eigenwerte bilden. Der Begriff »Eigenwert« stammt von dem Mathematiker David Hilbert (1862–1943) und wird auch in der Quantenmechanik verwendet. Das Phänomen lässt sich etwa bei schwingungsfähigen Systemen oder bei Materialversagen beobachten. Uns interessiert die Anwendung auf soziale Systeme. Hier zeigen die Forschungen, dass auch soziale Systeme als nicht-triviale Maschinen aufgrund des Prozessierens ihrer Eigenwerte unter Einbezug der Kategorie Zeit eine operative Stabilität entwickeln. Es bleibt zwar unmöglich, ihr Verhalten vorauszusagen. Aber es eröffnet sich eine neue Perspektive: die Erforschung der Bedingungen der Möglichkeit von Prozessen, die für soziale Systeme Innovationen ermöglichen. Hilfreich ist auch die Erkenntnis, dass Stabilität sich nicht aus Aktionen gegen die störenden Kräfte ergibt, sondern dadurch, dass diese als Quellen der Kreativität benutzt werden können. »Wir sollten«, so von Foerster, »eine Strategie verwerfen, die uns nach Dingen außerhalb unser selbst suchen lässt, und eine Strategie entwickeln, die uns erlaubt, nach Prozessen innerhalb unser selbst zu forschen.« (1993, 273).

Die Etablierung der Kybernetik als eigene Wissenschaftsdisziplin ist mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges verbunden. Eine Gruppe von Mathematikern unter der Führung von Alan Turing hatte es geschafft, die Verschlüsselung der Nachrichten der Wehrmacht zu dekodieren. Turing erfand einen Rechner, der die Codes der ENIGMA-Maschine entschlüsseln konnte. ENIGMA galt bis dahin aufgrund ihrer unüberschaubaren Anzahl von mehr als 200 Trilliarden Verschlüsselungsmöglichkeiten als »unknackbar«. Doch Turing gelang dies, und durch diese Entschlüsselung der Kommunikation war es den Alliierten möglich, die Pläne insbesondere der deutschen U-Boot-Flotte im Voraus zu kennen.

Der heuristische Weg zu diesem Erfolg war epochemachend und führte zum Beginn eines neuen Zeitalters. Denn die britischen Forscher fanden heraus, dass Information nicht übertragen wird, sondern ein Muster oder eine Matrix dafür sorgen, dass Information errechnet werden kann. Das Nachdenken über eine unmittelbare Lösung für die Entschlüsselung des Codes führte zu keiner Lösung, aber mit Hilfe der Klärung der abstrakten Frage »Wie funktioniert das Funktionieren?« war eine Ebene zweiter Ordnung gefunden, die die konkrete Aufgabe zu bewältigen half. Mit der Erkenntnis, dass alle Regelungen und Steuerungen durch Informationen geschehen, ist nach dem Krieg Information als dritte Größe neben Materie und Geist etabliert worden. Das Informationszeitalter begann.

Um die Bedingungen der Möglichkeit von Prozessen zu erforschen, wird in der Kybernetik von »Was-Fragen« auf »Wie-Fragen« umgestellt. Das Interesse richtet sich nunmehr auf eine ontogenetische Frage: Wie entsteht dieses komplexe Sozialsystem Kirche, wie funktioniert es, wie erhält es sich und wie kann es angepasst werden. Fragt man so, dann erzeugt dieses schon eine mögliche Antwort, bzw. genauer: Diese Frage erzeugt nicht nur eine Antwort, sondern kybernetisch gesehen die Form von mehreren möglichen Antworten, die auch zirkulär in den Paraphrasen der Frage zu finden sind: Wie funktioniert das Funktionieren, was ist das Ziel dieses Ziels, was ist der Zweck eines Zwecks, den das System festgelegt hat? Wer ist der Beobachter, der dieses beobachtet? So wird die kybernetische Maxime eingeholt: Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst (von Förster/Poerksen 2016, 36).

Mit solchen zirkulären Fragen, die neue Möglichkeiten der Modifikation erzeugen, wird deutlich, dass nichts mehr selbstverständlich ist. Dass mit Anwendung dieses Denkansatzes auch der oder die theologische Beobachter:in zur Selbstreflexion gezwungen ist, ergibt sich aus der Logik dieses Prozesses.

In einer solchen Beobachtung zweiter Ordnung ist vor allem ein Ergebnis garantiert: dass sich das Wissen vermehrt, und zwar das Wissen über das eigene Unwissen.

Dieser Forschungsansatz ist deswegen für das soziale System Kirche von Interesse, weil auch die Kirche als System mit Millionen von Mitgliedern und entsprechenden Interaktionen viel zu komplex ist, um es linear-kausal zu steuern. Es stößt an die Grenzen der Beschreibbarkeit, auch wenn das Vorhandensein kirchlicher Leitungsinstanzen (bischöfliche Personen, Landeskirchenämter etc.) auf den ersten Blick im Sinne von Top-down-Hierarchien eine klare Ordnung suggeriert.

Insofern soll das Beobachtungsschema in einem ersten Schritt auf das soziale System Evangelische Kirche in Deutschland und seine historischen Wurzeln angewendet werden. Diese liegen ihrem Anspruch nach in der Verkündigung Jesu Christi, die sich zudem auf die jüdische Tradition bezieht. Uns interessiert jedoch die soziale Dimension der Systembildung, deshalb ist der Einsatzpunkt der Untersuchung im Corpus Paulinum gewählt (Kap. 2). Im Durchgang durch die paulinischen Briefe zeigt sich, dass schon die Urgemeinden Fragen der Leitung und Steuerung reflektieren und durch Organisation das sind, was sie sind.

In den Zeiten der »Alten Kirche« expandiert das soziale System. Untersucht werden soll, was den Erfolg ausgelöst hat (Kap. 3). In der traditionellen Forschung werden mehrere mögliche Faktoren genannt: der Widerstand gegen das Imperium, das Bedürfnis des Reiches nach einer universellen Religion, die Person des Paulus, die soziale Haltung der Solidarität und die der Kirche gesellschaftlich zugewachsene wirtschaftliche und politische Macht. Eine kybernetische Perspektive ergibt ein anderes Ergebnis: das Erfolgsprinzip bestand in der justizförmigen Regelung der internen Operationen. Diese Art der Ausdifferenzierung war weder geplant noch vorgesehen und enthält ein Problem, das in der Kirchengeschichte noch Wirkungen erzeugt: Es führt dazu, dass die Organisation sich nicht um eine Entscheidung ihrer Mitglieder bemühen muss.

Die Kirche des Mittelalters zeichnet sich daraufhin durch ihre die gesamte Gesellschaft prägende Macht aus. In Kap. 4 wird der Grund dafür herausgearbeitet. Er liegt in der Korrelation von Strukturen und der Semantik des vorherrschenden gesellschaftlichen Differenzierungsprinzips. Theologie und Kirche waren in der Lage, Sinnzusammenhänge zu prägen, mit denen sich die stratifikatorische Ordnung begründen konnte. Doch auch in dieser historischen Epoche reproduziert sich der »blinde Fleck« dadurch, dass das soziale System sich unabhängig von den Entscheidungen der Mitglieder aufstellen kann.

In der Reformation, die in Kap. 5 in einer kybernetischen Perspektive untersucht wird, treten die Komponenten Semantik und gesellschaftliche Struktur wieder auseinander. Die Kategorie Öffentlichkeit entsteht und etabliert die funktionale Differenzierung der Gesellschaft und eine gesellschaftsweite Beobachtung zweiter Ordnung. Anschlussfähige Kommunikation benötigt nun Medien. Der Glaube wird zu einem dieser symbolisch generalisierten Medien. Die Einstellung zur Kirche wird wieder eine Sache der Entscheidung. Doch die Organisation der evangelischen Kirche in Deutschland gerät in ein theologisches Abseits, weil sie in die Hände der Obrigkeit (sog. landesherrliches Kirchenregiment) abgegeben wird.

Den Übergang in die Moderne prägt Friedrich Schleiermacher (Kap. 6). Für die Sicherung der Dynamik zwischen den Hervorragenden und der Masse, die für die Zirkulation der freien Geistesmacht entscheidend ist, setzt Schleiermacher nicht auf eine Festlegung von Ämtern oder Hierarchien, die das System steuern könnten, sondern er räumt für diese Funktion der Kirchenverfassung einen hohen Stellenwert ein. Schleiermacher setzt dadurch bereits auf eine Selbststeuerung des Systems. Das ist ein Meilenstein in der Kirchentheorie. Die verwendeten Unterscheidungen streben jedoch einen Gleichgewichtszustand an. Die Kirche als offenes soziales System zu verstehen, bleibt Kirchentheorien des 19. und 20. Jahrhunderts vorbehalten, die in Auswahl in Kap. 7 aufgeführt werden.

Zwei elaborierte Kirchentheorien der Gegenwart werden in Kap. 8 vorgestellt. Jan Hermelink benutzt für seinen Entwurf dezidiert kybernetische Begriffe wie Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung, Selbststeuerung und Entscheidung. Dass er das soziale System als Gegenüber von sichtbaren Instanzen der Leitung und einem Jenseits von Interaktionen des Glaubens versteht, könnte man in das in der Systemtheorie prominent verwendete Spencer-Brownsche Formkalkül eintragen. Die Conclusio, dass eine Leitungsperson das System schließt und seine Einheit erzeugt, ist jedoch nur subjekt- und handlungstheoretisch nachzuvollziehen. Hauschild und Pohl-Patalong wollen ein »Denkmodell Hybrid« (s. u. Kap. 8.2.4) etablieren, doch auch hier steht die »Kategorie Subjekt« im Zentrum des Entwurfs.

Darum erhebt sich zum Abschluss dieses Kapitels die Forderung nach einer kybernetischen Wende (Kap. 8.3). In gängigen Kirchentheorien laufen die normativen Perspektiven auf eine Rationalität des Richtigen hinaus. Wer konzeptionell neue Freiheiten für die Entwicklung der Organisation entdecken will, muss nicht die Ekklesiologie durch Kybernetik ersetzen und nicht in einen »Reformstress« geraten, aber es kann auch nicht im Vorfindlichen verharrt werden. Stattdessen ist mit dem Unkalkulierbaren zu rechnen und das Nicht-Organisierbare nach eigenen Regeln geschehen zu lassen.

Wie das geschehen könnte, soll in einer praktisch-kybernetischen Versuchsanordnung (Kap. 9) gezeigt werden. Das System Kirche wird als black box angesehen und deren Input gemessen. Zu beobachten ist, dass als Output eine religiöse Kultur produziert wird, die dem Milieu des Bildungsbürgertums der 1960er bis 1980er Jahre entspricht. Dieses Produkt erzeugt jedoch nur noch eingeschränkte Anschlusskommunikation. Deshalb wird gemäß der kybernetischen Theorie damit gespielt, die im Inneren der black box wirkenden Mechanismen testweise zu bestimmen. Sie sollen erstens als nicht-kontingente Verknüpfung zweier kontingenter Sachverhalte, zweitens als Entscheidung und drittens als Funktion der Religion ausprobiert werden.

Wird die black box nun mit den funktionalen Werten als Rekursionen gefüttert, die in den historischen Kapiteln erarbeitet worden sind, so zeigt sich ein überraschendes Ergebnis: sowohl in der Antike wie im Mittelalter ist der Mechanismus Verknüpfung zweier kontingenter Sachverhalte tätig. Dem System gelang auch ohne Organisationsprogramm ein In-Beziehung-setzen von externen und internen Faktoren. Deshalb konnten die von der Umwelt des Systems ausgehenden Irritationen in Informationen verwandelt werden. Dies versetzte die Kirche in die Lage, sich der gesellschaftlichen Evolution anzupassen.

In der modern ausdifferenzierten Gesellschaft sind die aufgeführten funktionale Werte jedoch nicht mehr vorhanden. Im Effekt gelingt es dem System immer weniger, sich auf verändernde Bedingungen einzustellen. Es differenziert sich nur in sich selbst aus. Es gelingt daher nicht mehr, eine gesellschaftsweit plausible religiöse Semantik (zum Begriff s. u. Kap. 4.1) zu erzeugen.

Wie ist mit diesem Ergebnis umzugehen, wie könnte das Defizit ausgeglichen werden? Die neueren Kirchentheorien verweisen auf die Interaktion als Basis jeder religiösen Kommunikation. Daran soll hier angeschlossen werden, jedoch mit einer entscheidenden Transformation. Die gesellschaftliche Funktionsweise von Interaktion wird geklärt, sie wird dann im Versuchsaufbau als Umschaltebene zwischen Gesellschaft und Organisation in Anwendung gebracht (Kap. 10).

Vor diesem Hintergrund soll als Ausblick ein Organisationsprogramm konzipiert werden, das die Freiheit schafft, die eigene Struktur des Systems in eine zweiseitige kontingente Relation zur Umwelt zu setzen. Dafür müssen Entscheidungsprämissen für die Steuerung des sozialen Systems bestimmt werden. Definiert wird eine dezidiert religiöse Prämisse, die das Verhalten plausibel selegiert und festlegt, was als systemeigener Erfolg und was als Misserfolg zu bewerten ist, so dass dann nicht mehr beliebig gehandelt werden kann. Dieses Vorgehen soll die Basisentscheidung eines Mitglieds respezifizieren, ohne in einen vormodernen autoritären Einschluss/Ausschluss-Dualismus zurückzufallen.

Um diesen abstrakten kybernetischen Ansatz für das System in seinen alltäglichen Operationen fruchtbar und anschaulich zu machen, wird der Ordnungsgedanke einer Stelle zur Anwendung gebracht. Die Entscheidungsprogramme Theologie der Kontingenz, Inklusion und Governance werden hier implementiert. Dieses Kalkül beherzigt die kybernetische Warnung, dass ein soziales System nicht in seiner Totalität reformiert werden kann. Aber wenn für ein Teil des Systems Kirche (die Stellen der bezahlten Kräfte) die identifizierten Mechanismen wie Entscheidung, Funktion und Verknüpfung von Kontingenzen wieder eingesetzt werden kann, dann wird dieses Vorgehen Effekte für die Personalpolitik und die Organisation von Kommunikationswegen zeigen. Die Hoffnung besteht darin, dass die Kommunikationen der Kirche in Deutschland dann wieder anschlussfähiger werden können. Aber wie immer bei Versuchen können auch Nebenwirkungen, Gefahren und neue Probleme nicht ausgeschlossen werden. Ein Hinweis am Schluss dieser Publikation soll das Missverständnis vermeiden, als würde der kybernetische Ansatz nur unter anderen Vorzeichen wieder eine Rationalität des Richtigen etablieren wollen.

Im Prinzip ist natürlich alles von dem, was hier niedergelegt ist, schon einmal geschrieben worden. Zudem sind in diesem Kompendium viele nicht erwähnt, die konstruktivistische, kybernetische und systemtheoretische Ideen in ihrer Forschung erfolgreich angewandt haben – wie etwa die Logiker Lars Löfgren und Gotthart Günter, Psychologen wie Matthias Varga von Kibed und Fritz B. Simon, Soziologen wie Talcott Parsons oder Theologen wie Michael Domsgen. So ist nur zu hoffen, dass dieser Überblick die Lesenden dafür ausrüstet, Kybernetik zu erkennen, wenn sie in der Literatur oder den Reformversuchen der evangelischen Kirchen Deutschlands darauf stoßen.

2.  Paulus als Steuermann

Ist es in den Briefen und dem Wirken des Paulus von Tarsus angelegt, dass die »kybernetische Situation«, in der die Kirche sich nun am Beginn des 21. Jahrhunderts befindet, »konfus« (Kunz 2007, 612) ist? Denn die Kunst der Steuerung der Kirche kommt nur in zweiter Linie neben anderen Fähigkeiten zu stehen (vgl. 1 Kor 12,28). Paulus zählt zwar Kybernetik zur »Gabe, die Gott eingesetzt hat«, ordnet sie jedoch dem Apostelamt, den Propheten, den Lehrern und auch den Wundertätern unter. Der Mann aus Tarsus hat jedoch besonders als Apostel das Amt der Leitung in den von ihm gegründeten Gemeinden ausgeübt und so deren Vollzüge gesteuert. Hat er das aber nur notgedrungen getan und wollte es aus theologischen Gründen eigentlich anderen überlassen? In seinen Briefen finden sich Namen von Mitgliedern der ersten Gemeinden (Röm 16,1–16; 1 Kor 16,10.12.17). Waren diese Gemeindeglieder mit der Aufgabe der Steuerung betraut? Das bleibt unklar.

Eindeutig ist jedoch, dass Paulus Anweisungen zur Gestaltung der Gemeinde erteilt. Diese füllen die Funktion einer Steuerung aus. So lobt der Apostel ein Ziel für das Glaubensleben aus: Im »Siegpreis der himmlischen Berufung Gottes ist Christus Jesus« (Phil 3,14). Paulus stellt konkrete Regeln dafür auf, wie mit den »Unzüchtigen« (1 Kor 5,1–5; 2 Kor 2,5–8) bzw. mit den »Schwachen« zu verfahren ist, die »Götzenopferfleisch« essen (1 Kor 8) und verweist »Rechtssachen« an ihren Ort in der Gemeinde (1 Kor 6,1–3). Neben christlichen Tugenden (z. B. Röm 12,9–21) und der Aufzählung von nicht gewünschtem Verhalten (z. B. Röm 1,26–31) beschreibt Paulus die Lebensform eines Christenmenschen als »Freiheit vom Gesetz« (Röm 7,6; 8,2–4; Gal 4,5) und erklärt den Vorgang, wie der Glaube an Christus überhaupt zu Stande kommt (Röm 10,17). Schließlich ist im Römerbrief ein Leitbild für die Ermöglichung und den Bestand der Sozialform »christliche Gemeinde« ausgeführt: Das Evangelium ist die »Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben (…). Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt« (Röm 1,16f.).

Hat Paulus die Frage, ob Kybernetik für das Gedeihen einer Gemeinde gewinnbringend eingesetzt werden kann, für nicht entscheidend gehalten oder war er der erste christliche Kybernetiker, weil er diese Aufgabe »geistlich« verstanden hat und sie praktisch als »Gemeindeaufbau«1 ausübte?

2.1  Die Organisationsform der urchristlichen Gemeinden in ihren sozialen Kontexten

Diese Fragen sollen in eine historische, soziologische und praktisch-theologische Perspektive eingerückt werden. Dazu wird zunächst dargestellt, welcher Organisationsform der historische Typus »urchristliche Gemeinde« entspricht.

Der BegriffOrganisation ist, darauf hat Holger Ludwig zu recht hingewiesen, ein moderner Begriff, der erst mit der Französischen Revolution aufgekommen ist und keine begriffliche Vorgeschichte hat (Ludwig 2010, 139). Für die hier vorgelegte Kybernetik folgen wir jedoch der soziologischen Erkenntnis Armin Nassehis, wonach die »Kirchen als die historisch ersten Systeme bereits früh auf Organisationslösungen gesetzt haben« (Nassehi 2009, 213, vgl. auch Luhmann 2019c, 56).

In der praktisch-theologischen Debatte über die Notwendigkeit von Reformen für die Kirche wird auch häufig der Begriff Institution verwendet. Etwa Herbert Lindner fordert, die staatsanaloge Institution Kirche in eine moderne Organisation zu verwandeln (vgl. Linder 1997, 245). Jedoch besteht, so Ludwig, »wenig bis gar kein Konsens darüber was mit dem Begriff Institution eigentlich genau gemeint ist.« (a. a. O., 21). Die Unterscheidung, dass mit dem Begriff Institution »ein Element des Vorgegebenen und ein Element des Dauerhaften« verbunden ist und dass der Begriff Organisation eine Ordnung umfasst, für die ein Programm, Struktur und Personal konstitutiv ist, aber das »alles variabel« (a. a. O., 14) ist, führt uns dazu, für die Kirche nur den Begriff der Organisation zu verwenden. Wir folgen jedoch dem soziologischen Sprachgebrauch, semantisch verfestigte Interaktionen als »institutionalisiert« zu bezeichnen (vgl. etwa Luhmann 2006, 63).

2.2  Gemeinde als Leib Christi

Auch im Corpus Paulinum lassen sich Hinweise darauf finden, dass Paulus und seine Schüler die Gestalt der Gemeinden schon in einer »Beobachtung zweiter Ordnung«2 reflektiert haben. Es werden dafür Begriffe benutzt, die in der ausgehenden Antike für die Beschreibung der Gesellschaft geprägt wurden. So wird das Kollektiv als »Leib« Christi (1 Kor 12,27) vorgestellt, mit dem die Einzelnen als »Glieder« verbunden sind. In dieser Metapher kommt die zeitgenössische Vorstellung des »organized body of human being« zum Vorschein.3

In der Antike stehen der Begriff und der Sachverhalt von Leib alsOrganisation