Langeoog Blut Grossdruck - Kim Lorenz - E-Book

Langeoog Blut Grossdruck E-Book

Kim Lorenz

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Beschreibung

Auf Langeoog wird am Weststrand ein Toter gefunden. Misshandelt, gefoltert, eingebuddelt. Für eine schicke Dekoration wurde auch gesorgt. Wenn Kathrin Hansen glaubte, Schlimmeres könnte der Insel nicht passieren, hatte sie sich geschnitten. Im Laufe der Ermittlungen kramt sie richtig Fieses ans Licht und als ein weiterer Mord geschieht wird klar, dass es mit dem Frieden vorbei ist. Ihre ganze Sorge gilt den Feriengästen, den Familien mit Kindern, die einmal weg von dem Elend dieser Welt, auf der Insel abschalten wollen. Sie heißt es zu schützen. Als dann der Verdacht aufkommt, dass sich das organisierte Verbrechen für die Insel begeistert, gerät Kathrin Hansen mit ihrem Team so richtig in die Bredouille. In dem Moment, wo sie glauben, es geschafft zu haben, gibt es noch etwas obendrauf. Tödlich. Quasi gratis.

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Zum Buch

Auf Langeoog wird am Weststrand ein Toter gefunden. Misshandelt, gefoltert, eingebuddelt. Für eine schicke Dekoration wurde auch gesorgt. Wenn Kathrin Hansen glaubte, Schlimmeres könnte der Insel nicht passieren, hatte sie sich geschnitten. Im Laufe der Ermittlungen kramt sie richtig Fieses ans Licht und als ein weiterer Mord geschieht wird klar, dass es mit dem Frieden vorbei ist. Ihre ganze Sorge gilt den Feriengästen, den Familien mit Kindern, die einmal weg von dem Elend dieser Welt, auf der Insel abschalten wollen. Sie heißt es zu schützen. Als dann der Verdacht aufkommt, dass sich das organisierte Verbrechen für die Insel begeistert, gerät Kathrin Hansen mit ihrem Team so richtig in die Bredouille. In dem Moment, wo sie glauben, es geschafft zu haben, gibt es noch etwas obendrauf. Tödlich. Quasi gratis.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1. KAPITEL

Die schweren dunklen Wolken über dem Meer hätte sie eigentlich als Zeichen für einen düsteren, freudlosen Tag registrieren müssen. Aber Kathrin Hansen sah die Vorzeichen nicht, wollte sie nicht sehen. Sie war gut drauf und freute sich auf die angesetzte morgendliche Besprechungsrunde. Seit nun fast sechs Monaten war sie in ihrem Job und hatte das Gefühl, dass sie von den Kollegen und Bewohnern der Insel angenommen wurde. Mit der Tatsache, dass eine Frau die Polizeistation leitete, hatten sich anfangs viele schwergetan. Klar, es gab immer noch den einen oder anderen Sturkopf, bei einigen älteren Bewohnern dauerte es halt etwas länger.

Trotzdem, sie hatte es geschafft.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil Oma Berta ihr das wunderschöne Ostfriesenhaus an der Höhenpromenade vererbt hatte und Großvater noch Fischer mit eigenem Kutter gewesen war. Er hatte auf der Insel etwas zu sagen gehabt. Als sich verbreitete, dass sie die Enkelin des alten Knut Hansen war, merkte sie, wie die Insulaner, wenn auch zähflüssig, zu ihr auf Tuchfühlung gingen. Und die männlichen Kollegen in der Polizeiinspektion Wittmund hatten kapiert, dass sie auf der Hochschule nicht gerade geschlafen hatte.

Sie war auf Langeoog angekommen.

Kräftig trat sie in die Pedale und freute sich auf einen Kaffee. Ava Sari, in der Dienststelle das Mädchen für alles, zauberte den besten Kaffee, den Kathrin Hansen je getrunken hatte. Stark und schwarz wie die Nacht, aber auf wunderbare Weise Magen schonend, war er das Highlight eines jeden Morgens. Kathrin Hansen musste grinsen, als sie daran dachte, wie perplex ihre Kollegen waren, als sie anstatt Tee um einen Kaffee gebeten hatte. Na ja, ab Mittag war aber auch bei ihr friesischer Tee angesagt.

In ihren positiv eingestellten Gedanken bemerkte sie nicht, dass die Wolken dunkler und bedrückender wurden, dass sie Unheil verbreitend sich langsam über die Insel legten.

Fluchend sah Maartens seinem Hund hinterher, der vom Strandzugang urplötzlich in die Dünen preschte.

»Ben, hierher«, brüllte Maartens, aber der hörte und sah nichts mehr. Der muss was Ungewöhnliches gewittert haben, schoss es Maartens durch den Kopf, als Ben auch schon wieder aus den Dünen auftauchte und auf ihn zugestürmt kam. Mit der Schnauze stieß er Maartens ans Bein und machte dann eine Kehrtwendung zurück in die Dünen.

Betreten der Dünen verboten, las Maartens mit gerunzelter Stirn auf der Hinweistafel, die genau vor ihm stand. Er schätzte die Richtung, die Ben eingeschlagen hatte und kam zu der Überzeugung, dass er von der Höhe aus sehen müsste, was den Hund so aufgebracht hatte. Durch die Dünen laufen war jedenfalls tabu.

Mit einem scharfen Pfiff rief er Ben zurück, nahm ihn an die Leine und stapfte durch den Sand bis zum Dünenkamm. Einige Meter weiter am Strand fiel ihm ein Sandhügel auf. Dekoriert mit einem schwarzen Hut.

Was soll denn das sein, dachte Maartens verwundert und blickte sich um. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Langsam stapfte er auf die Sanderhebung zu, wobei Ben zusehends unruhiger wurde. Maartens ließ ihn ein Stück zurück und umrundete dann abschätzend den Sandhügel. Er suchte nach Anzeichen, das Kinder sich hier ausgetobt hatten, doch es gab nichts, das darauf schließen ließ.

Dafür hatte der Hut es in sich. Aus schwarzem Veloursleder, mit einem extravaganten breiten Rand und dunkelroten Hutband, war er zweifellos in die Designerklasse einzuordnen. Jedenfalls kein Stück, das man als Verzierung für eine Sandburg opfern würde. Maartens blickte sich um, nahm aus dem Sand ein Stück Holz und hob damit, nun richtig neugierig, den Hut etwas an. Als er die strähnigen, schwarzen Haare sah, die sich darunter auf dem Sand kräuselten, fuhr er entsetzt zurück.

»Ach, du Scheiße«, entfuhr es ihm.

Vielleicht lebt die Person ja noch, schoss es ihm durch den Kopf und er begann zu buddeln. Als er in die leblosen, verwaschenen Augen blickte, hörte er abrupt auf und ging auf Abstand. Schockiert betrachtete er das Gesicht und schätzte das Alter des Mannes auf etwa fünfzig Jahre. Eher etwas älter. Die verzerrten Gesichtszüge, der lippenlose Mund und ein abgeschnittenes Ohr ließen auf einen qualvollen Tod schließen. Dass man dem Toten das Ohr in den Mund gestopft hatte, machte die Szene noch makabrer.

»Das ist ja irre, das darf doch nicht wahr sein«, brummelte Maartens und hörte in dem Moment, wie jemand seinen Namen rief. Er blickte hoch und sah Willem Voss über die Höhenpromenade auf sich zukommen.

Erleichtert atmete er auf.

Sein Freund kam gerade richtig.

»Moin, Bent, was ist denn hier los?«, grüßte Voss und blickte irritiert auf den frei gebuddelten Kopf.

»Moin, Willem, hier liegt ein Toter.

Ermordet.«

Voss blickte ihn ungläubig an.

»Ein Mord hier bei uns auf der Insel, das gibt es doch nicht.«

»Kein gewöhnlicher Mord, Willem, der Mann wurde schwer misshandelt.

Widerlich gefoltert.

Die Täter müssen besonders abartige Typen gewesen sein.«

»Wahnsinn, hast du schon die Polizei verständigt?«

»Nein, ich habe ihn ja gerade erst entdeckt, ich rufe jetzt die Dienststelle an.«

Maartens kramte sein Handy aus der Hosentasche und sah sich dabei genauer um. Wenn der Mann am Strand ermordet wurde, musste es Spuren geben. Selbst, wenn die durch den Sand verwischt waren, etwas blieb immer. Es war Blut geflossen, Körperflüssigkeiten waren ausgetreten, doch außer endlos vielen Fußabdrücken und Schleifspuren von Strandkörben, die einige Meter weiter standen, war nichts zu sehen. Vielleicht war der Tote an anderer Stelle gefoltert und dann erst hier hin gekarrt worden, ging es Maartens durch den Kopf. Das wäre eine Erklärung für das saubere Umfeld. Er sah Voss an und blickte prüfend in die Runde.

»Willem, wir lassen keinen näher herankommen. Wenn einer fragt, sagen wir, es hätte ein Unglück gegeben, das noch untersucht werden müsste.«

Dann rief er die Dienststelle der Polizei an.

2. KAPITEL

Kathrin Hansen bemerkte zufrieden, dass die beiden Männer ein gutes Stück vom Tatort entfernt auf sie warteten. Willem Voss kannte sie bereits von einem Vortrag her, den er im Haus der Insel über den Dünenschutz gehalten hatte. Den Mann neben ihm hatte sie noch nicht kennen gelernt, hatte aber durch einen Kollegen von ihm gehört. Danach lebte er seit zwei Jahren als Ruheständler auf der Insel, doch wirklich interessant war, dass er vorher bei der Kripo in Hamburg Leiter der Mordkommission gewesen war. Das war ja schon was.

Sie begrüßte Voss, wandte sich danach an Maartens und stellte sich mit einem Lächeln vor.

»Kathrin Hansen, Leiterin der hiesigen Polizeidienststelle.«

Sie blickte in seine grauen, freundlichen Augen, registrierte das glatt rasierte Gesicht mit dem markanten Kinn, spürte die Ruhe, die der Mann ausstrahlte.

Er war ihr sofort sympathisch.

Ungeniert musterte Maartens die Hauptkommissarin. Er schätzte sie auf etwa Mitte dreißig, profiliertes attraktives Gesicht, blonde kurze Haare, kräftige sportliche Figur. Jeans und Sportschuhe an.

Eine Frau, die wusste, was sie wollte.

»Früher war ich hier einmal dienstlich tätig«, erklärte er, »heute habe ich das Privileg, als Ruheständler die Insel genießen zu können. Aber ich habe von Ihnen gehört, Ihre Erfolge haben die Runde gemacht.«

Maartens blickte sie forschend an.

»Was hat eine so erfolgreiche Ermittlerin hier auf die Insel verschlagen?«

Verlegen winkte Kathrin Hansen ab.

»Das mit den Erfolgen hält sich in Grenzen, ansonsten sind es die Wurzeln, die mich hierher getrieben haben.«

Sie zeigte auf den Tatort.

»Was hier passiert ist, das ist ja wohl irre. Ein eingebuddelter Toter, der vorher noch gefoltert wurde, das kann man sich ja gar nicht vorstellen. Das muss Ihnen einen ganz schönen Schreck eingejagt haben. Ich darf gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn ein Feriengast oder ein Kind den Ermordeten entdeckt hätte.«

Kathrin Hansen blickte auf die Uhr und sah dann Maartens an.

»Die Pathologin schätzt, dass der Tod vor etwa fünf Stunden eingetreten ist, also so um vier Uhr heute morgen. Wobei noch unklar ist, wie der Mann gestorben ist, hier müssen wir die Obduktion abwarten. Fest steht, dass es kein Raubmord war. In der Brieftasche sind über zweihundert Euro und seine teure Schweizer Uhr hat der Tote auch noch an.«

Maartens nickte beipflichtend.

»Das spricht dafür, dass man aus ihm etwas heraus pressen wollte. Deshalb die Folter.«

Schaudernd zog Kathrin Hansen die Schultern hoch.

»Ihm wurden ein Ohr und die Ober- und Unterlippen abgeschnitten, das muss man sich mal vorstellen, das ist doch krank.

Aber wir wissen wenigstens, wer der Mann ist.«

Maartens und Voss blickten sie fragend an.

»Lars Tiefental. Auf seiner Geschäftskarte steht, dass er Kunsthändler in Hamburg ist.«

Überrascht sah Maartens sie an.

»Tiefental aus Hamburg, das gibt es doch nicht.«

»Sie kennen ihn?«

»Persönlich nicht, aber ich kann mich an den Fall erinnern, wo der Kunsthändler vor Jahren in eine schmutzige Geschichte verwickelt war. Er hatte ein wertvolles Bild, das bei einem Einbruch gestohlen wurde, versteigern lassen. Ein Enkel der Besitzerin des Gemäldes bekam davon Wind und machte Besitzansprüche geltend. Das wirbelte damals viel Staub auf und Tiefental war stark angeschlagen«.

Nachdenklich blickte Maartens zu dem Toten hin.

»Im Kunsthandel wird derzeit mit so verrückt hohen Summen jongliert, da könnte ich mir schon vorstellen, dass dieser Fall hier mit der Szene zusammen hängen könnte. Und die Art und Weise, wie der Mann gefoltert wurde, deutet auf organisiertes Verbrechen hin. Mafia, oder etwas in dieser Richtung.«

»Na toll.«

Zerknirscht blickte Kathrin Hansen auf den Tatort.

»Sie können einem ja richtig Mut machen.«

Willem Voss zeigte auf die Leute, die auf der Höhenpromenade standen und dem Treiben der Kriminaltechnik zusahen.

»Bei den Feriengästen wird das für ganz schöne Aufregung sorgen. Hoffentlich macht es sich nicht negativ bei den Buchungen bemerkbar.«

Zustimmend nickte Kathrin Hansen.

»Schon deshalb müssen wir den Fall schnellsten aufklären. Es kann nicht sein, dass die Feriengäste Schiss haben, morgens oder abends an den Strand zu gehen. Das wäre fatal.« Sie bemerkte den verkniffenen Ausdruck im Gesicht von Maartens und sah ihn fragend an.

»Sie haben Bedenken?«

»Bedenken nicht, aber ich gehe davon aus, dass der Kunsthändler nicht als Feriengast auf Langeoog war. Heißt, das Geschäftliches im Spiel sein könnte und dass noch was im Gange ist. Was immer das sein mag.«

Unruhig blickte Kathrin Hansen in Richtung Hafen.

»Wir müssen uns die Aufzeichnungen der Überwachungs-Kameras am Hafen und am Bahnhof ansehen. Vielleicht haben ja verdächtige Personen heute morgen mit der ersten Fähre die Insel verlassen.«

Beipflichtend nickte Maartens.

»Das ist eine gute Idee.«

»Okay, dann mal los.«

Kathrin Hansen winkte Oberkommissar Friedrichs zu sich und gab ihm entsprechende Instruktionen.

»Und Olli, nimm Maike mit, vier Augen sehen bekanntlich mehr«, rief sie ihrem Stellvertreter noch nach, bevor sie sich nochmals an Maartens und Voss wandte und sie bat, sie zu informieren, sollte ihnen in nächster Zeit etwas auffallen, das für den Fall relevant sein könnte.

»Übrigens«, sie blickte Maartens schelmisch an.

»Wir könnten ja mal ein Bierchen zusammen trinken, dabei würde ich Ihnen etwas über die Wurzeln erzählen, die mich hierher gezogen haben. Und Ihre Abenteuer im Sumpf von Hamburg dürften ja auch recht spannend sein. Kann sein, dass ich Ihre Erfahrung schamlos ausbeuten werde.«

Maartens war über die Aufgeschlossenheit der Hauptkommissarin überrascht. Das war selten, die meisten jüngeren Leute wollten von der Erfahrung der Alten nichts hören, es langweilte sie.

»Gerne«, stimmte er zu.

»Ich freue mich.«

»Okay, dann ist ja alles klar.«

Kathrin Hansen wandte sich dem Tatort zu, nahm ihr Handy und informierte Kriminalrat Dr. Heidkamp, ihren Vorgesetzten in Wittmund, über die bisherigen Ergebnisse.

»Folterung, Mord, verbuddelt«, stöhnte Heidkamp, »das auf Langeoog, ich fasse es nicht. Wir müssen sehen, dass keine Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Lassen Sie weiträumig alles absperren, damit die Feriengäste fern gehalten werden.«

»Schon geschehen. Nach außen hin ist hier ein Unfall passiert, der gerade überprüft wird. Das klingt glaubhaft«, antwortete Kathrin Hansen.

»Ich denke, gegen Mittag können wir den Strandabschnitt wieder freigeben. Haben Sie schon Näheres über Lars Tiefental erfahren können?«, fragte sie und hoffte, dass der Tote kein ständiger Bewohner auf Langeoog gewesen war, denn dann wäre nicht zu vermeiden, dass sein Ableben hohe Wellen schlagen würde.

»Nein, wir sind noch dabei. Ich habe veranlasst, dass sein Büro und seine Wohnung in Hamburg überprüft werden. Von einem Wohnsitz auf Langeoog ist uns jedenfalls nichts bekannt. Vielleicht gibt es aber eine Familie, die benachrichtigt werden muss.«

Familie benachrichtigen, Kathrin Hansen war heilfroh, dass diese Aufgabe an ihr vorbeigehen würde.

»Okay«, sagte sie, »dann melde ich mich, sobald die Untersuchungen hier abgeschlossen sind. Die Pathologin hat versprochen, sich den Toten heute noch im Institut vorzunehmen. Das Ergebnis mailt sie uns dann zu.«

3. KAPITEL

Es war bereits spät am Abend, als Kathrin Hansen total geschafft die Haustür aufschloss, die Schuhe abstreifte und den verlockenden Duft aus der Küche registrierte. Seit dem Morgen hatte sie nichts mehr gegessen und ihr Magen rebellierte seit Stunden. Hindrik musste geahnt haben, dass hier Soforthilfe angesagt war, für so was hatte er einen sechsten Sinn.

Ganz bei der Sache stand er am Herd und war mit der Pfanne beschäftigt. Dem Geruch nach musste es Fisch mit Dill und Knobi geben, sie tippte auf Seelachs. Leise schlich sie sich heran und umarmte ihn von hinten.

»O Gott, jetzt hätte ich bald die Pfanne fallen lassen«, sagte er überrascht.

Er stellte die Ofenhitze kleiner, nahm sie in die Arme und blickte ihr forschend in die Augen.

»So schlimm?«

»Schlimmer.«

Besorgt nickte Hindrik.

»Ich habe gehört, was passiert ist, die Sache macht bereits die Runde. Es heißt, es sei ein Unfall gewesen.

Was war es wirklich?«

Kathrin Hansen winkte ab.

»Nachher, ich brauche jetzt erst einmal eine Dusche. Wie lange dauert es noch mit dem Essen?«

»Du hast zehn Minuten.«

»Wunderbar, das passt.«

Sie gab ihm einen schnellen Kuss und steuerte das Bad an.

Frisch geduscht, angezogen mit T-Shirt und Schlabberhose, fühlte sich Kathrin Hansen um einiges wohler. Hindrik hatte auf der Terrasse den Tisch gedeckt und der Mai Abend zeigte sich von seiner schönsten Seite. Kaum Wolken am Himmel, klammerte sich das Meer an den letzten Strahlen der am Horizont versinkenden Sonne, und der Mond machte sich bereit für die Nachtwache. Mit zwei Gläser Weißwein kam Hindrik aus der Küche und setzte sich an den Tisch.

»So, jetzt wird erst einmal abgeschaltet«, bestimmte er, reichte seiner Lebensgefährtin ein Glas und stieß mit ihr an. Schweigend genossen sie das Rauschen des Meeres, hörten, wie der Wind sanft durch die Dünen strich und Kathrin Hansen wurde wieder einmal bewusst, wie sie diese Stimmung liebte. Wie richtig es gewesen war, dass sie den Job auf der Insel angenommen hatte, wenn er auch unter ihrer beruflichen Qualifikation lag. Sie dachte daran, was für ein Glück sie hatte, dass nach dem Ehe Crash Hindrik in ihr Leben getreten war. Ein Mann, mit dem sie viel Gemeinsames hatte, auf den sie sich verlassen konnte. Tief atmete sie die salzhaltige Luft ein und blickte über die Weite des Meeres. Sie dachte an ihre Oma, die ihr dieses wunderschöne Haus vererbt hatte und die jetzt wohl sagen würde, dass sie mit Hindrik einen guten Fang gemacht hätte. Kathrin Hansen schmunzelte und bemerkte, das Hindrik sein Glas auf den Tisch stellte und meinte, er würde das Essen holen, er hätte einen Bärenhunger.

Bei lecker gebratenem Seelachs, Bratkartoffeln und Bohnensalat vermied Kathrin Hansen es über den Mordfall zu reden. Hindrik berichtete über seinen Tag in dem Sonderpädagogischen Erholungsheim, das er leitete. Ein eigentlich normal abgelaufener Tag berichtete er und doch bemerkte Kathrin Hansen den Schatten, der sich über sein Gesicht legte.

»Eigentlich normal abgelaufen, aber da ist doch noch was?«, bemerkte sie und sah ihn fragend an.

Hindrik druckste herum, spürte aber, dass er damit nicht durchkam.

»Ja, stimmt«, begann er schließlich, »wir haben heute ein Anfrage aus Berlin bekommen, ob wir Flüchtlinge aus den syrischen Kriegsgebieten aufnehmen können. Traumatisierte Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern und Familie Furchtbares durchgemacht haben. Man hat mir Bilder gemailt, die kriege ich nicht mehr aus dem Kopf.«

Sichtlich bewegt stand er auf und meinte, er würde noch etwas Wein holen. Kathrin Hansen war nicht entgangen, wie seine Stimme weggebrochen war.

»Aber wie wollt ihr das denn personell schaffen?«, fragte sie, nachdem Hindrik sich wieder an den Tisch gesetzt und Wein nachgeschenkt hatte.

»Das ist das Problem. Es fängt mit zusätzlichem Betreuungs-Personal an und hört mit Dolmetschern auf. Es wird von dreißig bis vierzig Kindern und Jugendlichen geredet, also eine ganze Menge. Wir sollen zwar Leute bekommen, aber ich habe da so meine Bedenken. Am Anfang wird immer viel versprochen und am Ende steht man mit der Verantwortung alleine da. Die zusätzlichen Menschen müssten in unser bestehendes System integriert werden, auch etwas, das man nicht einfach mal so eben macht.«

»Und, wie hast du dich entschieden?«

Prüfend sah Kathrin Hansen ihn an, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Hindrik war nicht der Mann, der Hilfe, die er geben konnte, verweigerte. Und in diesem Fall, wo es um junge Menschen ging, die das Schrecklichste durchgemacht hatten, das man sich vorstellen konnte, würde er niemals nein sagen.

»Ich habe eine Woche Zeit zu prüfen, ob unsere Einrichtung die Flüchtlinge betreuen kann. Wenn nicht, würde man mir Mittel zur Verfügung stellen, um das was fehlt, beschaffen zu können. Also ist im Grunde die Entscheidung schon gefallen. Und da wir vom Bund Fördermittel bekommen, wird der Träger unserer Einrichtung nicht nein sagen können.«

Hindrik nahm einen Schluck Wein, stellte das Glas auf den Tisch, rückte näher an seine Lebensgefährtin heran, legte den Arm um ihre Schulter und drückte sie an sich.

»Mach dir keine Sorgen, das kriege ich schon hin. Ich habe ein gut eingespieltes Team und wir haben einige Räume noch nicht belegt. Was die zusätzliche Unterstützung betrifft, da werde ich mit meinen Forderungen nicht geizen. Wenn wir diese Menschen aufnehmen, dann sollen sie auch optimale Bedingungen vorfinden, sie sollen hier ein Zuhause haben.

So weit es machbar ist.

Aber lassen wir dieses Thema, erzähl mal, wie es bei dir aussieht. Ich habe gehört, es gab einen Toten, den man gefoltert und eingebuddelt hat?«

Kathrin Hansen wunderte sich, dass das mit der Folterung bekannt war. Den eingebuddelten Toten hatte von den Dünen aus jeder mit einem Fernglas sehen können, aber dass er gefoltert wurde, war Insiderwissen. Da hatte einer von den Ermittlern nicht dicht gehalten. Von ihrer Dienststelle war es jedenfalls keiner, ihre Kollegen wussten, wie fuchsteufelswild sie auf Indiskretion reagierte.

»Das ist wirklich eine furchtbare Sache«, antwortete sie. »Viel wissen wir noch nicht, nur dass der Ermordete aus Hamburg kommt. Ein Kunsthändler, der möglicherweise hier geschäftlich zu tun hatte. Laut einem Zeugen war er früher mal in einer undurchsichtigen Geschichte verwickelt. Gestohlenes Bild verhökert und so. Übrigens ist dieser Zeuge der ehemalige Chef der Mordkommission Hamburg. Maartens, so heißt er, lebt jetzt im Ruhestand auf der Insel. Ein sympathischer Typ.

Aber nochmal zu dem Toten.

Es ist noch schleierhaft, wie er zu Tode gekommen ist, das wird erst die Obduktion ans Licht bringen. Aber es stimmt, er wurde grausam gefoltert und ich glaube, dass es sich nicht um einen Einzeltäter handelt. Heißt, wir müssen davon ausgehen, dass sich auf der Insel durchgeknallte Typen herumtreiben. Stell dir vor, Feriengäste kämen solchen Leuten in die Quere.

Ich darf gar nicht darüber nachdenken.«

»Genau, das werden wir heute Abend auch nicht mehr machen«, meinte Hindrik. Verschmitzt blickte er sie an und meinte, jetzt wäre Entspannung angesagt.

Und er hätte da so einige Ideen.

Kathrin Hansen hatte dem nichts entgegenzusetzen.

4. KAPITEL

Nach einer erholsamen Nacht trat am frühen Morgen Kathrin Hansen auf die Terrasse ihres Hauses und blickte auf das Meer. Es war auflaufendes Wasser und in einer Stunde würden die Wellen den Strand erreicht haben. Möwen pickten hier und da nach Undefinierbarem und ihre hellen Schreie schwirrten durch die Luft. Sie dachte daran, dass einige Urlauber immer noch ihre Abfälle auf dem Strand liegen ließen, selbst Kunststoffteile, die für die Vögel gefährlich werden konnten.

Auf die Uhr blickend freute sie sich, dass sie noch Zeit hatte um in Ruhe frühstücken zu können. Für acht Uhr hatte ihr Chef eine Telefonkonferenz angesetzt und vorher würde sie beim Kaffee die weiteren Schritte der Ermittlungen überlegen. Sie ging in die Küche und bemerkte, das Hindrik, der früh das Haus verlassen hatte, wenigstens gefrühstückt hatte. Sein heutiges Tagesprogramm war nicht gerade beneidenswert und sie beschloss, nicht zu spät Feierabend zu machen, damit sie das Essen zubereiten konnte.

Der Kaffee war noch nicht ganz durchgelaufen, als ihr Handy sich meldete. In einer kurzen Mitteilung teilte Heidkamp mit, dass die Telefonkonferenz sich um eine Stunde nach hinten verschieben würde. Dann läge der Obduktionsbericht mit relevanten Fakten vor, meinte er. Auch gut, überlegte Kathrin Hansen, dann kann ich vorher noch für den Abend etwas einkaufen.

Eigentlich hasste Kathrin Hansen Telefonkonferenzen. Sie saß lieber mit den Gesprächsteilnehmern am Tisch, sah ihnen in die Augen und konnte ihre Reaktionen abschätzen. Aber es ging nicht anders, ihr Chef, Kriminalrat Heidkamp, konnte nicht wegen jeder Besprechung nach Langeoog kommen. Obwohl er eigentlich recht gerne kam, er hatte es mit ihr. Vor ihrem Job auf der Insel hatte er ihr die Möglichkeit angeboten, in den USA Lehrgänge als Profiler zu belegen. Etwas, wofür sie sich sehr begeistert hatte. Doch dann begannen die Schwierigkeiten in ihrer Ehe und sie wollte durch einen längeren Aufenthalt im Ausland die Beziehung nicht noch mehr belasten. Hatte schließlich aber auch nicht geholfen.

Letztendlich sorgte Heidkamp dafür, dass sie auf ihre Bitte hin die Dienststelle auf Langeoog übernehmen konnte. Wenn auch mit blutendem Herzen, wie er oft genug betonte.

»Es geht gleich los«, informierte Olli Friedrichs und regulierte den Lautsprecher der Freisprechanlage. Außer ihm waren noch Maike Jansen und Ava Sari anwesend.

Mein riesiges Dezernat, griemelte Kathrin Hansen im Stillen. Dann meldete sich aber auch schon das Festnetz und Heidkamp wünschte erst einmal einen schönen guten Morgen.

»Obwohl, so schön wird er nicht werden«, fiel er direkt mit der Tür ins Haus.

»Aber bevor ich anfange, gibt es bei euch was Neues?«

Kathrin Hansen informierte ihn, dass die Aufzeichnungen der Überwachungskameras am Bahnhof und Hafen keine verwendbaren Ergebnisse erbracht hatten.

»Es war viel los, jede Menge Leute sind mit der Fähre rüber nach Bensersiel. Nun gehen wir noch die Aufzeichnungen von den Hinfahrten nach Langeoog durch. Wenn der Ermordete mit der Fähre auf die Insel gekommen ist, könnten wir Glück haben. Vielleicht war er auch in Begleitung. Allerdings werden die Aufzeichnungen auf den Festplatten automatisch nach achtundvierzig Stunden gelöscht.«

»Okay.«

Heidkamp übernahm.

»Wir haben das Obduktionsergebnis.«

Sie hörten, wie ihr Chef seinen Kaffee, oder was auch immer es war, genüsslich schlürfte.

»Der macht es ja echt spannend«, entfuhr es Maike Jansen und handelte sich einen mahnenden Blick von Kathrin Hansen ein.

»Außer den Misshandlungen, die schon bei seiner Entdeckung erkennbar waren, weist der Tote Hämatome am Oberkörper auf«, berichtete Heidkamp weiter. »Er wurde so brutal geschlagen, dass mehrere Rippen gebrochen sind. Aber gestorben ist er durch Ersticken. Ihm wurden KO.-Tropfen eingetrichtert und anschließend wurde er verbuddelt.«

Für einen Moment blieb es mucksmäuschenstill im Besprechungsraum. Jeder stellte sich den schrecklichen Tod vor, den der Mann erlitten hatte. Stellte sich vor, wie man lebend im Sand eingegraben wurde um dann qualvoll zu ersticken.

Als erste räusperte sich Kathrin Hansen und zog das Mikro näher zu sich heran.

»Hatte Lars Tiefental Familie?«, fragte sie.

»Er ist verheiratet, keine Kinder. Seit zwei Jahren lebt das Ehepaar getrennt. Seine Frau Laura lebt in Bremen, in einer feudalen Eigentumswohnung. Sie hat einen Liebhaber, der ebenfalls in Bremen wohnt. Die Kollegen haben die beiden überprüft, ihre Alibis sind offen. Beide sagen, dass sie an dem Tag, an dem Tiefental getötet wurde, bis zehn Uhr morgens in der Wohnung von ihr im Bett waren. Heißt also nichts. Beide stehen auf der Liste der Verdächtigen.«

»Wie heißt der Mann?«, wollte Kathrin Hansen wissen.

»Einen Moment.«

Sie hörten Papier rascheln, ein Schlürfen und dann musste Heidkamp sich auch noch verschluckt haben. Er keuchte ins Mikro, als wenn er am Ersticken wäre. Maike Jansen verdrehte die Augen, hielt sich aber krampfhaft zurück und verdrängte einen Kommentar.

»Borislav Kazkowski.

Freier Fotograf.

Laut seiner Einkommensteuererklärung bringt er sich mit Hochzeits- und Veranstaltungsfotos über die Runden. Seine Einnahmen dürften aber kaum die Miete decken, die für seine teure Wohnung im Bremer Nobelviertel Seedeich aufzubringen ist.

Aber dafür hat er Laura Tiefental.

Von zu Hause aus sehr gut begütert, deckt sie wohl den finanziellen Aufwand der beiden. Und die leben auf recht großem Fuß. Beide fahren dicke Autos, Urlaubsreisen, Golfclub, bekannt in der Schickimicki Szene.

Aber da gibt es was Interessantes.«

Wieder war das Rascheln von Papier zu hören und Maike Jansen betete, dass sie von dem nervigen Drumherum verschont blieben. Kathrin Hansen trommelte unruhig mit den Fingern auf die Tischplatte, sie ahnte, dass es mit der Ruhe auf der Insel vorbei sein würde.

»Wegen Hehlerei stand dieser Borislav Kazkowski vor zwei Jahren vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, ein als gestohlen verzeichnetes Bild einem privaten Sammler angeboten zu haben. Nur hatte er das Pech, an einen ehrlichen Menschen geraten zu sein. Dieser recherchierte im Art Loss Register und fand das Bild auf der Liste. Gestohlen vor vier Jahren bei einem Einbruch in Frankfurt. Kazkowski blieb steif und fest dabei, das Bild auf einem Flohmarkt gekauft zu haben. Das Gericht nahm ihm das nicht ab und er bekam eine Geldstrafe von dreitausend Euro. Dem ursprünglichen Besitzer wurde das Bild zurückgegeben.«

»Hm«, Kathrin Hansen malte zwei Kreise auf ihrem Schreibblock, schrieb die Namen Tiefental und Kazkowski hinein und malte noch einen Kreis mit einem großen Fragezeichen.

»Also gibt es Parallelen«, äußerte sie sich.

»Parallelen zwischen dem Kunsthändler Tiefental, der auch schon mal im Verdacht der Hehlerei stand und Kazkowski, derzeitiger Geliebter seiner Frau.«

»Eigentlich schon zu offensichtlich, um verdächtigt zu sein«, ließ sich Heidkamp vernehmen.

»So einfach kann es nicht sein.«