Langeoog Flut - Kim Lorenz - E-Book

Langeoog Flut E-Book

Kim Lorenz

0,0

Beschreibung

Bei einer Strandaufspülung am Oststrand von Langeoog kommt es zu einem grausigen Fund. Zusammengepappt mit Sand, Muscheln, Meeresschlick, spukt die Rohrleitung eines Saugbaggers die Knochenreste eines Menschen aus. Eine Frau, die vermisst, aber nie gefunden wurde. Für Kathrin Hansen ein verworrener Fall, da die Spuren in die Vergangenheit führen. Kurz darauf gibt es am Weststrand ein weiteres Mordopfer in einem Strandkorb und die Hauptkommissarin sieht die Sicherheit der Feriengäste gefährdet. Als sie feststellt, dass ein Auftragsmörder sich auf der Insel vergnügt, sind ihr selbst die Erkenntnisse, die ihre Kriminalassistentin auf dubiosen Wegen beschafft, recht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 210

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Buch

Bei einer Strandaufspülung am Oststrand von Langeoog wird ein makabrer Fund entdeckt. Zusammengepappt mit Sand, Muscheln, Meeresschlick, spukt die Rohrleitung eines Saugbaggers die Knochenreste eines Menschen aus. Eine Frau, die vermisst, aber nie gefunden wurde. Für Kathrin Hansen ein verworrener Fall, da die Spuren in die Vergangenheit führen. Kurz darauf gibt es am Weststrand ein weiteres Mordopfer in einem Strandkorb und besorgt sieht die Hauptkommissarin die Sicherheit der Feriengäste gefährdet. Als sie feststellt, dass ein Auftragsmörder sich auf der Insel vergnügt, sind ihr selbst die Beweise, die ihre Kriminalassistentin auf dunklen Pfaden aus dem Hut zaubert, recht.

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

KAPITEL

1. KAPITEL

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Kathrin Hansen kritisch den Himmel. Bis zum Horizont brauten sich schwere dunkle Wolken zusammen und es sah mächtig nach Sturm und Regen aus. Nicht schon wieder, fuhr es ihr durch den Kopf, für dieses Jahr haben wir es schon dicke genug bekommen. Sie dachte an die dramatischen Dünenabbrüche am Oststrand, die während der letzten Sturmflut entstanden waren. Noch immer war die Strandaufspülung im vollen Gange und würde bis weit in die Saison hineingehen. Etwas, das die Verantwortlichen für den Ferienbetrieb nachts nicht schlafen ließ, doch Küstenschutz hatte oberste Priorität. Kurz erwog Kathrin Hansen, ob sie noch schnell etwas zum Mittagessen besorgen sollte bevor der Regen los prasselte. Sie verließ die Terrasse, ging in die Küche, öffnete mit wenig Hoffnung den Kühlschrank. Stirnrunzelnd betrachtete sie den Inhalt. »Mager«, knurrte sie und starrte auf ein paar Eier und ein halbes Glas Gewürzgurken. Nichts, was sie vom Hocker riss. Kurz entschlossen griff sie nach der Schultertasche, prüfte, ob die Geldbörse im Seitenfach steckte und verließ das Haus.

Gerade lenkte sie ihr Bike in die Barkhausenstraße, als der Wind stärker wurde und die ersten Regentropfen ihr Gesicht streiften. Okay, also erst zum Gemüsemann und dann zum Fischhuus entschied sie. Dreißig Minuten später stand sie bereits wieder in der Küche und legte das Eingekaufte auf die Arbeitsplatte. Ihr Plan war eine Pfanne Bratkartoffeln mit gerösteten Zwiebeln, gebratenem Seelachs und dazu frischer, knackiger Eisbergsalat. Und sie konnte sich Zeit lassen, Hindrik kam erst gegen zwölf, also in etwa einer Stunde, und sie selbst hatte an diesem Dienstag dienstfrei.

Glücksgefühle stiegen in ihr hoch, sie freute sich auf einen wunderbaren entspannten Tag.

Mit »A Love Like That«, unterbrach die Handymelodie ihr Hoch und der Blick auf das Display ließ die Laune auf den Nullpunkt sinken. Ava Sari, die gute Seele der Dienststelle, würde sie nicht an ihrem freien Tag anrufen, wenn es nicht etwas Wichtiges wäre, wenn ihre Präsenz nicht zwingend gefragt würde.

»Ava, was ist los?«, fragte sie und hoffte, es würde sich doch nur um eine Bagatelle handeln.

»Wir haben einen Toten, das heißt, das, was von ihm übrig geblieben ist«, meldete Ava Sari.

»Sag jetzt nicht, dass ein Gewaltverbrechen vorliegt«, erwiderte Kathrin Hansen und verspürte schlagartig ein flaues Gefühl in der Magengegend.

Einen Moment blieb es still, dann berichtete Ava Sari, dass bei der Strandaufspülung in Höhe des Pirolatal ein Transportrohr etwas ganz Makabres ausgespuckt hätte.

Irritiert versuchte Kathrin Hansen das Gehörte einzuordnen, stellte sich den Vorgang der Strandaufspülung vor.

»Transportrohr, sagst du? Die Leitung, die das aufgesaugte Material aus dem Meer zum Strand transportiert?«

»Genau.

Doch dazu wird dir Jan Felder, der technische Leiter des Unternehmens, näheres sagen. Er hat die Arbeiten sofort gestoppt, ist aber äußerst nervös. Jede Ausfallstunde des Baggerschiffes kostet ihn eine Stange Geld, so seine Aussage.«

Frustriert stöhnte Kathrin Hansen auf, den Rest des freien Tages konnte sie sich abschminken.

»Okay, sag Felder, dass ich in einer halben Stunde dort sein werde. Was ist mit Olli und Maike, kann einer von ihnen dazukommen?«

»Olli ist rüber nach Wittmund zur Polizeiinspektion, aber Maike ist hier in der Dienststelle, ich sage ihr Bescheid.«

»Gut, ich melde mich dann von der Fundstelle. Könnte sein, dass wir die Pathologin hinzuziehen müssen, obwohl ich das unter diesen Umständen kaum glaube.«

2. KAPITEL

So richtig auf das gespannt, was sie erwarten würde, stellte Kathrin Hansen das Bike an einen Haltepfosten und stapfte den Übergang Gerk sin Spoor hoch. Auf der Höhe der Düne blieb sie stehen und verschaffte sich einen Überblick. Wie eine dösende Schlange in der Mittagssonne lag die braune eiserne Rohrleitung im Sand, um nach einigen hundert Metern im Meer zu verschwinden. Kathrin Hansen wusste, unter dem Meeresspiegel würde die Transportleitung in ein flexibles Kunststoffrohr übergehen, das von einem Baggerschiff aufgenommen wurde. Ihr Blick wanderte weiter zu der Gruppe Männer, die um das Ende der Spülleitung standen und auf einen Hügel starrten, der durch mit Hochdruck ausgeworfenen Sand entstanden war. An seiner hohen, kräftigen Gestalt erkannte sie Jan Felder und wollte gerade zum Strand hinuntergehen, als sie hinter sich die Stimme von Maike Jansen hörte.

»Moin, Kathrin, warte, ich komme mit«, meldete sich diese mit fröhlicher Stimme. Wie immer war die agile, sportliche Kriminalassistentin flott unterwegs und stand auch schon neben ihrer Chefin.

»Ist doch echt krass, was das Meer da ausgespuckt hat«, äußerte sie sich. »Da bin ich nun wirklich gespannt, was uns hier geboten wird.«

»Könnte ich gut darauf verzichten«, murrte Kathrin Hansen. »Ich war gerade dabei ein leckeres Mittagessen zu bereiten, was ich jetzt ja wohl vergessen kann.«

»Ach, das hier wird bestimmt nichts Bedeutendes sein und nachher kannst du es dir mit Hindrik so richtig gutgehen lassen«, antwortete Maike Jansen aufmunternd.

»Hoffentlich.«

Kathrin Hansen war sich da nicht so sicher.

»Aber komm, wir wollen uns die Geschichte mal ansehen.«

Von der Bruchkante der Schutzdüne führte ein schmaler ausgetretener Spalt nach unten und kurz darauf begrüßten sie die Männer.

Jan Felder, ein Riese von einem Mann, kannte Kathrin Hansen. Bei Beginn des Projektes hatte er sich bei ihr auf der Dienststelle vorgestellt und die Chemie zwischen ihnen hatte sofort gestimmt. Felder war etwa Mitte fünfzig und durch und durch Ostfriese. Für ihn war der riesige Aufwand zur Sicherung der Schutzdünen keine Arbeit sondern eine Herzensangelegenheit. Bei ihm liefen alle Fäden der Dünensanierung zusammen, er war beliebt, und selbst die Dänen auf den Baggerschiffen hielten große Stücke auf ihn. Unter seinen buschigen blonden Brauen blickten seine klaren Augen Kathrin Hansen besorgt an.

»Moin, Kathrin, wir haben ein Problem.«

Er wich zur Seite und gab den Blick frei auf eine rundum mit Muscheln markierte Stelle auf einem Sandhügel.

»Als ich gesehen habe, was das Rohr da ausgeworfen hat, habe ich sofort die Pumpen stoppen lassen und die Fundstelle markiert. Wir haben nichts angefasst, sondern direkt deine Dienststelle angerufen.«

»Wow, Jan, das nenne ich eine lupenreine Sicherung. Danke. Dass ihr in dem Mischmasch überhaupt erkannt habt, was hier vorliegt, alle Achtung.«

Zustimmend nickte Felder und zeigte auf einen klein gebauten, stämmigen Mann neben sich.

»Das können wir Klaas verdanken, er kontrolliert, was das Rohr auswirft und hat sofort erkannt, um was es sich handelt.«

Anerkennend nickte die Hauptkommissarin dem Mann zu und ging dann behutsam an die markierte Stelle heran. Neben sich hörte sie, wie Maike Jansen etwas vor sich hin brummelte. Ein in sich verstricktes Knäuel aus Schlick, Schlinggewächs und Reste eines menschlichen Skelettes stach wie ein abstraktes Kunstwerk aus dem Sand heraus. Als Kathrin Hansen sich über den Fund beugte und erkannte, dass es sich bei dem Schlinggewächs um ein dickes Tau handelte, wurde ihr schlagartig klar, dass dieser Mensch vermutlich keines natürlichen Todes gestorben war.

In der Hinterlassenschaft von Tod und Moder erkannte sie einen mit Schlick bedeckten Schädel und eine bis auf die Knochen fleischlose Hand. In dem Gemenge glaubte sie weitere Knochen erkennen zu können, wusste sie aber nicht einzuordnen. Ihr Blick wanderte zurück zu der Hand und sie bemerkte eine Verdickung an einem der Finger, so, als ob eine Alge sich darum gewickelt hätte. Beim genauen Hinsehen ahnte sie was es war und ließ ein überraschtes »Wow« hören. Das könnte ein Ring sein, dachte sie, das wärs ja. Vielleicht kann der uns etwas über seinen Besitzer sagen.

Sie trat einige Schritte zurück, musterte kritisch das aufgespülte Material, blickte auf die See hinaus in Richtung Westküste, wo dass Baggerschiff ankerte. Die Überlegung, die Fundstelle absperren zu lassen, verwarf sie augenblicklich. Hier mussten sie anders vorgehen. Sie wandte sich an Felder und zeigte auf das Schiff.

»Jan, dieser Sandauswurf hier, ist definitiv da draußen aufgenommen worden?«

»Klar, seit Tagen wird an der gleichen Stelle gebaggert und ich schätze, dass wir noch einige tausend Kubikmeter aufnehmen werden, bevor der Standort verlagert wird.«

»Heißt«, warf Maike Jansen ein, »dass genau dort unten auf dem Meeresboden die Leiche gelegen haben muss.«

»Was aber nicht bedeutet, dass dies immer so gewesen ist«, gab Felder zu bedenken. »Durch die Kräfte von Wasser und Wind verändert sich ständig der Meeresboden. Dann die Gezeitenströmungen, es wird viel bewegt.«

»Wie viel Sand wird so an einem Tag herausgeholt?«, wollte Kathrin Hansen wissen.

»Etwa 10.000 Kubikmeter.«

»Und die gehen alle auf ein Schiff?«, hakte Maike Jansen nach.

Lächelnd blickte Felder sie an.

»Das wäre schön, dann könnten wir Arbeitsstunden und eine Menge Geld sparen.« Er schüttelte den Kopf.

»Nein, es ist so, dass die drei draußen liegenden Schiffe im Wechsel den Sand aufnehmen und vor der Küste, so wie hier, durch die Transportleitung auf den Strand spülen.« Besorgt blickte er auf die hohen Meereswellen.

»Wir müssen zum Ende kommen, die Flut wird stärker. Kathrin, wie geht es jetzt weiter?«

Nachdenklich blickte Kathrin Hansen zu ihrer Kollegin hin, die bereits ihr Handy in der Hand hielt und wohl den gleichen Gedanken hatte.

»Maike, ruf Olaf Klemens, den Chef der Feuerwehr an. Er möchte sofort einen Elektrokarren mit einer großen Transportkiste schicken. Dort hinein legen wir den Fund. Von dem Sand und Schlick drum herum nehmen wir so viel wie möglich mit. Vorher mache ich noch die Fotos.« Mit Blick auf die Uhr nickte sie zufrieden.

»Mit der Nachmittagsfähre überführen wir die Überreste nach Wittmund in die Pathologie. Eine Ankündigung und die Fotos schicke ich Sonja Klaes schon mal vorab. Es wird nicht einfach sein, brauchbare Hinweise über die Identität des Toten zu finden.«

3. KAPITEL

Mehr als gewöhnlich wuselte sie beim Kochen hin und her. Sie wollte die Gedanken an den grausigen Fund unterdrücken, was ihr jedoch nicht gelang. Dieser blank polierte menschliche Schädel, der vielleicht einmal mit einem schönen Antlitz überzogen war, ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie hatte keinerlei Vorstellung, ob es sich um die Überreste einer Frau oder eines Mannes handelte. Zumindest musste es der Größe nach eine ausgewachsene Person gewesen sein. Und dann dieser Ring an der Knochenhand. Sie hatte die Pathologin gebeten, diesen zuerst zu analysieren und das Ergebnis ihr sofort zu mailen. Dabei war Kathrin Hansen bewusst, dass die Insel, und damit auch sie, mit der ganzen Sache nicht unbedingt etwas zu tun haben mussten. Wie Felder schon sagte, im Meer ist ständig alles in Bewegung, was heute hier ist, war gestern an ganz anderer Stelle. Und dass es ein Tau war, in dem die Skelettteile verstrickt waren, musste nicht unbedingt bedeuten, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelte. Bei einem Unfall konnte die Person sich darin verwickelt haben und war über Bord gegangen, oder das Tau hat erst im Meer den Körper erfasst. Und doch ließ Kathrin Hansen das Gefühl nicht los, dass der Tod des Opfers durch Gewalt verursacht wurde und mit Langeoog verknüpft war.

Gerade wendete sie den Seelachs in der Pfanne, als sie hörte, wie Hindrik in die Küche kam, sie von hinten an sich drückte und einen Kuss auf ihren Nacken drückte.

»Wow, du musst gewusst haben, was ich brauche, um einige dunkle Gedanken loszuwerden«, sagte sie lachend, drehte sich um und blickte in sein müdes Gesicht.

»Dunkle Gedanken?«, antwortete Hindrik, »damit ist jetzt Schluss.«

Er spinkste nach der Bratpfanne auf dem Herd.

»Hm, sieht lecker aus und es passt, dass wir erst jetzt essen. Von heute Morgen bis gerade eben hing ich in einer Videokonferenz fest. Zu Mittag hätte ich gar nicht kommen können.«

»Und, hat es sich wenigstens gelohnt?«, fragte Kathrin Hansen interessiert.

»Und wie. Zwanzig Prozent Budgeterhöhung für das laufende Jahr wurden mir vom Stiftungsvorstand genehmigt. Eine Summe, mit der ich nicht gerechnet hatte.«

Tief atmete Hindrik durch.

»Nun kann ich endlich in moderne Kommunikationsmittel investieren, iPads sind schon lange fällig. Eines Tages werden meine Jugendlichen das Heim verlassen und dann müssen sie mit den modernen Medien umgehen können.«

»Ja, super.«

Kathrin Hansen freute sich mit ihm. Sie wusste, wie besorgt ihr Lebensgefährte war, wenn es um die Zukunft seiner Schützlinge ging.

Kurz verschwand Hindrik im Bad und deckte anschließend den Esstisch. Kathrin Hansen stellte die schwere Eisenpfanne, aus der ein verlockender Duft aufstieg, auf den Tisch und bat Hindrik den Salat mitzubringen.

Schweigend aßen sie eine Weile, bis Hindrik fragend zu ihr hinblickte.

»Was hat dich eigentlich dazu veranlasst an deinem freien Tag zur Dienststelle zu fahren, ist etwas passiert?«

Leicht nickte Kathrin Hansen.

»Ja, es ist etwas passiert.

Dienststelle, nein.«

Sie berichtete von dem Vorfall am Oststrand und bemerkte wie Hindrik sie ungläubig anstarrte.

»Hört sich an wie in einem Gruselroman«, kommentierte er trocken.

»Stimmt.

Stell dir vor, die Knochenreste eines Menschen zusammengepappt mit Sand, Muscheln, Meeresschlick, ausgespuckt von einer Rohrleitung, das ist doch makaber. So etwas hat man nicht alle Tage.«

Nachdenklich blickte sie auf ihre Armbanduhr, überflog, wie lange die menschlichen Überreste bereits in der Pathologie waren, überlegte, ob Sonja Klaes die ersten Untersuchungen schon durchgeführt haben könnte.

»Und wie geht es jetzt weiter?«, wollte Hindrik wissen.

Sie zuckte mit den Schultern.

»Hängt davon ab, ob die Identität des Toten festgestellt werden kann. Ob es eine Verbindung zu Langeoog gibt.«

Kathrin Hansen seufzte auf.

»Wenn das so sein sollte, steht uns eine Puzzlearbeit mit unbekanntem Motiv bevor. Nicht gerade die Arbeit, um die ich mich reiße.« Dabei dachte sie an den Ring, der allen Widerständen zum Trotz an der knochigen Hand hängengeblieben war.

»Ist es nicht so, dass der Tote, sollte er von der Insel sein, als vermisst gemeldet sein müsste?«, meinte Hindrik nachdenklich.

»Tja«, Kathrin Hansen überlegte, ob es vor längerer Zeit diesbezüglich eine Meldung gegeben hatte, war sich aber sofort sicher, dass dies nicht der Fall war. So etwas hätte sie nicht vergessen.

»Also bekannt ist mir nichts, doch das heißt nichts. Klar, wäre es ein Insulaner, wüssten wir das, doch sonst? Denk an die Leute, die hier Ferienimmobilien besitzen, an die Urlauber, Mitarbeiter von Firmen, die zeitweilig hier arbeiten, Pendler vom Festland, da bietet sich einiges an.«

Sie blickte raus auf das Meer, das gewaltig tobte und verspürte plötzlich den Drang, sich ordentlich durchpusten zu lassen.

»Was hältst du davon, wenn wir eine Runde am Strand laufen und es uns danach so richtig schön gemütlich machen?«, meinte sie und blickte Hindrik erwartungsvoll an.

»Genau die Idee hatte ich auch gerade, ich bin dabei«, stimmte Hindrik zu.

4. KAPITEL

Gut aufgelegt ging Kathrin Hansen in die Dienststelle. Mit Hindrik hatte sie einen schönen Abend verbracht und es tatsächlich geschafft, die Gedanken an den grausigen Fund zu vergessen. Wie jeden Morgen duftete es bereits nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Ava Sari wusste, dass ihre Chefin ohne einen gewissen Koffeinkonsum nicht in die Pötte kam und stellte morgens als erstes die Kaffeemaschine an. Ab Mittag war dann Tee angesagt, und der möglichst auf ostfriesische Art.

Sich umblickend bemerkte Kathrin Hansen, dass Maike Jansen und Olli Friedrichs noch nicht eingetrudelt waren. Ungewöhnlich, beide waren Frühaufsteher und in der Regel vor ihr in der Dienststelle.

»Die beiden lassen sich für eine Stunde entschuldigen«, meldete aber auch schon Ava Sari. »Gleich heute früh hat sich wohl der Maler angesagt, den Olli beauftragt hat.«

»Olli hat wen beauftragt?«, fragte Kathrin Hansen irritiert.

»Du weißt doch, die beiden ziehen zusammen. Heißt: Maike zieht zu Olli ins Haus«, half Ava Sari ihr auf die Sprünge.

»Ach, und das wird jetzt renoviert?«

»Genau. Maike hat ja ein Faible für klare Linien, für helle Farben und so. Olli hat ihr da freie Hand gelassen.«

»Okay, dann werde ich jetzt mal nachhören, ob Sonja Klaes uns schon etwas zu bieten hat.« Kaum hatte Kathrin Hansen es ausgesprochen, als das Festnetz sich meldete.

»Moin, Sonja Klaes hier«, meldete sich die Pathologin mit rauchiger Stimme.

»Sonja, das ist Gedankenübertragung«, antwortete Kathrin Hansen. »Ich wollte dich gerade anrufen.«

»Na, das passt ja. Doch erst mal einen Schluck Kaffee.«

Schmunzelnd erinnerte sich Kathrin Hansen daran, dass die Pathologin ebenfalls eine Kaffeetante war.

»So, jetzt zur Sache«, meldete sich Sonja Klaes wieder. »Auf deinen Wunsch hin habe ich dem Ring, der an dem Fingerknochen steckte, Priorität gesetzt. Doch etwas Grundsätzliches vorab um einen ersten Eindruck zu bekommen. Also, es handelt sich um die Überreste einer Frau, geschätztes Alter Mitte bis Ende fünfzig. Mein Schwager in der Forensik wird sich damit noch genauer beschäftigen.

Aber jetzt kommt es: In der hinteren rechten Schädeldecke befindet sich ein wunderschönes kreisrundes Loch.

Heißt: Die Frau wurde erschossen.

Aber auch hierzu später mehr.«

Es blieb einen Moment still.

Sonja Klaes schien sich einen weiteren Schluck Kaffee zu gönnen, Kathrin Hansen ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl plumpsen.

Erschossen!

Mord!

Sie hatte es geahnt.

Jetzt fehlte nur noch, dass es eine Verbindung zu Langeoog gab, dann hatte sie ihr Puzzle mit unbekanntem Motiv.

»Nun zurück zu dem Ring«, ließ sich Sonja Klaes wieder vernehmen. »Es handelt sich wahrscheinlich um einen Ehering. 585er Gold, schlichte Ausführung, gemäßigte Abnutzung.

Inschrift: Benno und Ilse 1998.

Kathrin, sagen dir die Namen etwas?«

Im Schnelldurchlauf checkte Kathrin Hansen ihr Gedächtnis, doch da war nichts. Nichts, was sie irgendwie mit den Namen in Verbindung bringen könnte. Sie wiederholte laut die Namen und blickte zu Ava Sari hin, aber auch sie schüttelte den Kopf.

»Puh, Sonja, erschossen, das ist ja ein Ding, doch die Namen sagen uns nichts. Was damit zu tun haben kann, dass die Tote erst später vor unserer Küste angespült wurde.«

»Stimmt, so kann es sein. Doch das werden wir herausfinden. Unser Labor beschäftigt sich bereits mit der Analyse der Bodenrückstände, die an dem Skelett hafteten. Grob geschätzt liegt die Tote seit etwa zwei Jahren in der Nordsee.

Genaues folgt.

So, ich muss jetzt Schluss machen, melde mich aber sofort, sobald es Neuigkeiten gibt. Und natürlich abschließend dann der schriftliche Bericht. Macht euch auf eurer Trauminsel einen schönen Tag«, meinte sie noch lachend und beendete das Gespräch.

Mit mulmigem Gefühl lehnte sich Kathrin Hansen zurück und dachte an die Namen: Benno und Ilse. Jahreszahl 1998. Garantiert das Hochzeitsdatum. Durch das Eintreffen von Friedrichs und Maike Jansen wurde sie in ihren Überlegungen unterbrochen. Beide strahlten über das ganze Gesicht und Kathrin Hansen war wieder einmal zufrieden, dass die beiden sich gefunden hatten. Ihr Stellvertreter, ein typischer Vertreter seiner ostfriesischen Heimat und Maike Jansen, das quirlige Geschöpf aus Hamburg, gaben ein ideales Paar ab.

Sofort bemerkte Maike Jansen, dass Spannung in der Luft lag. Mit gerunzelter Stirn blickte sie ihre Chefin an.

»Kathrin, haben wir etwas verpasst?«

»Es gibt Neuigkeiten im Hinblick Fundort Oststrand. Gerade hat Sonja Klaes angerufen und uns darüber informiert, dass es sich um die Knochenreste einer Frau etwa Mitte fünfzig handelt. Und«, auf der Stirn der Hauptkommissarin bildete sich eine tiefe Kerbe, »die Frau wurde erschossen.«

»Nein.«

Entsetzt starrte Maike Jansen sie an.

»Erschossen, und wird dann vor unserer Küste ausgebaggert, das ist doch irre.«

Kathrin Hansen informierte ihre Kollegen über die bisher bekannten Ergebnisse. Bei Nennung der Namen wurde ihr Stellvertreter nachdenklich. Als Kind der Insel kannte Friedrichs alle Insulaner bis hin zum letzten Wattwurm.

»Benno und Ilse«, murmelte er schließlich, schüttelte den Kopf und meinte, dass ihm die Namen nichts sagen würden. Maike Jansen hatte bereits ihr MacBook aufgeklappt und googelte Namen und Jahreszahl.

»Nichts«, verkündete sie, »keine Einträge die uns weiterbringen.«

»Standesamt«, warf Friedrichs ein, »Kirchenregister. Vielleicht finden wir dort etwas.«

Nicht ganz sicher, ob sie überhaupt schon etwas unternehmen sollten, schenkte sich Kathrin Hansen Kaffee nach. Noch haben wir nichts, das besagt, dass der Fall an uns hängen bleibt, fuhr es ihr durch den Kopf. Sollte es jedoch dazu kommen, könnte es bedeuten, dass ein Mörder auf der Insel herumschlich.

Eine potentielle Gefahr für die Feriengäste, für die Bewohner. Eine Horrorvorstellung.

Sie stellte die Tasse ab und nickte ihrem Stellvertreter zu.

»Olli, so können wir es angehen. Du und Maike nehmt euch die Register vor und werft auch einen Blick ins Einwohnermeldeamt. Rechnet damit, dass ihr es mit verstaubten Akten zu tun bekommt, mit Digitalisierung war damals noch nichts. Also nicht hier auf der Insel.«

»Was ist mit dem Archiv der Zeitung?«, warf Maike Jansen ein.

»Gute Idee«, stimmte Kathrin Hansen zu.

»So weit ich weiß, gab es damals schon den Insel Report. Kürzlich wurde im Verlag doch groß gefeiert. 25 Jahre Zeitungsgeschichte, wenn ich mich nicht irre. Von daher könnte es tatsächlich sein, das etwas über eine Hochzeit von einem Paar mit Vornamen Benno und Ilse geschrieben steht.«

»Nur können wir das von hier aus nicht prüfen«, gab Maike Jansen zu bedenken und blickte auf den Monitor.

»Ausgaben des Insel Report sind erst ab 2010 digitalisiert. Also müssen wir im Verlagsarchiv stöbern.«

»Stimmt. Nur«, Kathrin Hansen schüttelte den Kopf, »wird keiner von uns deshalb jetzt nach Wittmund rüberfahren. Ich habe so das Gefühl, dass wir bald erfahren werden, wer die Tote ist.

5. KAPITEL

Unangekündigt tauchte am frühen Nachmittag Kriminalrat Dr. Heidkamp in der Dienststelle auf. Er musste mit der Mittagsfähre gekommen sein. Überrascht begrüßte Kathrin Hansen ihren Chef und meinte, mit ihm hätte sie heute nicht gerechnet, ob etwas Gravierendes geschehen sei. Beruhigend winkte Heidkamp ab und setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl.

»Alles gut.

Es ist mehr eine private Angelegenheit, warum ich heute auf der Insel bin. Doch etwas Dienstliches habe ich auch im Gepäck.«

Erwartungsvoll blickte Kathrin Hansen ihn an.

»Ich wollte Ihnen den Besuch in die Pathologie ersparen und habe kurz vor der Abfahrt dort vorbeigeschaut. Quasi als Ihre Vertretung«, meinte er schmunzelnd.

Kathrin Hansen kannte ihn zur Genüge, um zu wissen, dass er nicht mit Pauken und Trompeten bei ihr einfallen wollte. Schlechte Nachrichten verteilte er in der Regel schonend. Ein mulmiges Gefühl machte sich bei ihr bemerkbar, sie ahnte, dass es dicke kommen würde.

»Und?«

»Es ist unser Fall.

Unser Mordfall.«

Ehe sie nachhaken konnte, kam Ava Sari ins Büro und stellte Heidkamp eine Tasse Kaffee hin.

»Herr Kriminalrat, Kaffee schwarz ohne Zucker, ist das so recht?«

Dankbar nickte ihr Heidkamp zu und meinte, den könnte er gut gebrauchen.

»Unser Fall, heißt das, die Tote aus dem Meer hat mit Langeoog zu tun? Sie ist von hier?«, hakte Kathrin Hansen nach.

Heidkamp zog die Stirn kraus und wiegte bedenklich den Kopf.

»Fest steht, so die ersten Ergebnisse der Forensik, dass die Skelettreste ausschließlich mit dem Meeresboden behaftet sind, die der Fundort, sprich da, wo gebaggert wurde, aufweist. Bodensegmente haben sich in die Knochen hineingefressen, was die Liegezeit von zwei Jahren fundiert. Ob die Tote von der Insel stammt, hier gelebt hat, ist noch festzustellen. Aufgrund des Fundortes jedoch naheliegend. Also gehen wir davon aus und werden uns darum kümmern. Morgen liegt die Zusammenfassung des Berichtes vor und wird uns mehr sagen.«

Heidkamp nahm einen Schluck Kaffee und ließ ein genussvolles Schlürfen hören. Eine Angewohnheit die Kathrin Hansen mittlerweile überhörte.

»Prüfen Sie mit ihren Leuten, ob es aufgrund der Inschrift in dem Ring der Toten Hinweise oder besser noch, Eintragungen gibt. Ich werde an die überbehördlichen Stellen entsprechende Anfragen stellen. Kann ja sein, dass die Frau bundesweit als vermisst gemeldet wurde.« Seufzend auf die Uhr blickend meinte Heidkamp, er müsste nun aber schon wieder los, die Handwerker in seinem Haus würden auf ihn warten. Interessiert blickte Kathrin Hansen ihn an. Für das kinderlose Ehepaar war sie so etwas wie eine Ersatztochter, wenn auch nie darüber gesprochen wurde. Elseke Heidkamp war eine Frau mit einem großen Herzen und wenn Kathrin Hansen in Wittmund war, versuchte sie, wenn ihre Zeit es erlaubte, Elseke zu besuchen. Manchmal auch nur für ein paar Minuten. Sehr zum Bedauern von Elseke, die nichts lieber tat, als sie zu betütteln und mit ihr über Gott und die Welt zu reden.

»Für wann ist der Umzug geplant und kann ich Elseke helfen?«, sagte sie und blickte Heidkamp lächelnd an.

Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte.

»Das ist das Problem. Immer treten irgendwelche Altschäden zutage, die repariert werden müssen. Kürzlich erst ein defektes Wasserrohr, Fliesen wurden abgeklopft und anschließend bekam ich keinen Fliesenleger für die Neuverlegung. So ergeben sich Verzögerungen, wobei wir jedoch froh sind, dass die Mängel jetzt erkannt werden, und nicht erst, wenn wir schon im Haus wohnen. Doch ich denke in der kommenden Woche werden wir einziehen.« Ein glückliches Lächeln legte sich auf sein Gesicht und Kathrin Hansen freute sich mit ihm.

»Das ist doch schön, und wie gesagt, ich stehe zur Verfügung.«

»Danke für das Angebot, Elseke wird sich freuen, doch nun muss ich los.« Heidkamp erhob sich steif vom Stuhl und versprach sich sofort zu melden sobald er neue Informationen hätte.