Langeoog Tod - Kim Lorenz - E-Book

Langeoog Tod E-Book

Kim Lorenz

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Beschreibung

Eine Tote in der Disko, ein weiteres Mordopfer am Oststrand. Kathrin Hansen und ihr Team kommen so richtig in Fahrt. Als sie glauben, kurz vor der Aufklärung der Mordfälle zu stehen, gibt es noch eine Hinrichtung dazu. Gratis, stilvoll, mit allem drum und dran. Doch der Schlussakt hat es dann so richtig in sich.

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Zum Buch

Eine Tote in der Disko am Weststrand. Auf einem Video sieht Kathrin Hansen am Abend zuvor die junge Frau sprühend vor Lebensfreude in die Disko kommen. In Begleitung. Eine Frau, die das Leben liebte. Ihr Tod trifft Kathrin Hansen ins Herz. Schnell baut sich für die Hauptkommissarin ein Beziehungsmotiv auf, doch es kommt dicker. Erschossen, sauber verpackt und ordentlich deponiert, gibt es bei der Strandaufschüttung ein weiteres Mordopfer. Schlagartig wird Kathrin Hansen klar, dass sie es mit professionellen Killern zu tun hat und ihre ganze Sorge gilt der Sicherheit der Inselbewohner. Als die Hauptkommissarin und ihr Team glauben, kurz vor der Aufklärung der Mordfälle zu stehen, gibt es noch ein Sahnehäubchen oben drauf. So eine richtig schöne Hinrichtung. Stilvoll, mit allem drum und dran. Doch der Schlussakt hat es dann so richtig in sich.

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL

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1. KAPITEL

Sie freuten sich auf einen so richtig schönen Tag. Es war Anfang Juni, die Temperatur war um die zwanzig Grad und dazu wehte eine leichte Brise aus Südwest. Kathrin Hansen hatte seit Mittag für das Wochenende dienstfrei und war mit Hindrik unterwegs zur Meierei. Seit Tagen träumte sie von dem dort selbst gebackenen Käsekuchen und sie wusste, dass es auf der Kaffeetafel auch noch die eine oder andere Leckerei gab, der sie nicht widerstehen könnte. Hindrik dagegen schwärmte mehr für den selbst gebrannten Sanddorn Likör, was dann meist in eine lustige Rückfahrt ausuferte.

Vor ihnen erstreckte sich die Dünenlandschaft des Pirolatals und wie immer, wenn Kathrin Hansen auf ihrem Bike durch diese Traumlandschaft fuhr, war sie hin und weg. Sie genoss die Freiheit und Schönheit der Natur, beobachtete belustigt einen Fasan, der in den Dünen thronte wie der Deichgraf persönlich. Mit protzigem Gehabe und kecken Rufen demonstrierte er selbstbewusst seinen Besitzanspruch.

Hindrik, der neben ihr daher radelte, zeigte auf die hohen Uferdünen und meinte, dass die Aufforstung der Dünengräser vom vergangenen Jahr nun deutlich zu erkennen wäre. Neuaufforstung, ein Projekt, das viel Geld gekostet hatte, doch zum Schutz gegen Sturmfluten und Dünenabbruch erforderlich war.

Am Schloppsee wollte Kathrin Hansen gerade Hindrik vorschlagen, sich die Fortschritte der Dünenbefestigung näher anzusehen, als ihr Handy sich meldete. Im Display leuchtete die Nummer der Dienststelle. Dieses Wochenende hatte Ava Sari Dienst und sie würde nicht anrufen, wenn es sich nicht um was wirklich Wichtiges handeln würde. Bitte nicht, wünschte sich Kathrin Hansen, dieses Wochenende gehört Hindrik und mir. Mit einem flauen Gefühl im Bauch drückte sie auf die Empfangstaste.

Mit Wochenende war dann nichts mehr.

Kein Käsekuchen und Hindrik konnte sich seinen Sanddorn Likör in den Sand malen.

»Kathrin, es tut mir Leid, aber es brennt«, meldete sich Ava Sari. Ihrer gedrückten Stimme nach erkannte Kathrin Hansen, dass etwas Ernstes vorgefallen sein musste.

»Kein Problem, Ava.

Wo brennt es?«

»Eine Tote.

Eine junge Frau in der Disko vom Seeblick. Siggi King, der DJ, hat sie gefunden, als er die Disko für den Abend herrichten wollte.«

Eine Tote in der Disko!

Schlagartig wusste Kathrin Hansen, dass sie es mit besonders Abscheulichem zu tun haben würde.

»Hat dieser King sich geäußert, wie die Frau gestorben sein könnte?«, fragte sie.

»Seiner Meinung nach hat sie irgendein Zeug geschluckt. Drogen oder so. Sie hockt auf einer Kloschüssel.«

»Na, toll«, stöhnte Kathrin Hansen. »Hast du dem DJ gesagt, dass die Disko geschlossen bleibt?«

»Klar, war auch kein Problem. Sein Chef, Karsten Lenz, hatte das schon angeordnet. Der will dich übrigens sofort sprechen. Er hat Sorge um seinen Ruf und so. Du kennst das ja.«

»Erst mal sehen, was da wirklich abgegangen ist«, knurrte Kathrin Hansen. »Ava, rufe Friedrichs an und sage ihm, dass wir uns in einer halben Stunde in der Disko treffen.«

»Okay. Was ist mit dem Kriminalrat, soll ich den schon informieren?«

»Nein, ich will erst genau wissen, mit was wir es zu tun haben.« Kathrin Hansen blickte bedauernd zu Hindrik hin, der bereits sein Rad umgedreht hatte. Wie immer hatte er Verständnis für die Situation und meinte, er würde dann in Ruhe einige Dinge erledigen. Für die organisatorische Betreuung der syrischen Flüchtlinge müsste in seinem Erholungsheim noch einiges vorbereitet werden.

»Okay, vielleicht können wir am Abend ja eine Runde am Strand joggen«, meinte Kathrin Hansen und schwang sich auf ihr Bike.

»Mein Gott noch, wie einsam und erbärmlich muss diese junge Frau gestorben sein«, äußerte sich Kathrin Hansen erschüttert. Sie bemerkte, dass Friedrichs kalkweiß im Gesicht wurde und sich um Haltung bemühte. Tote waren nicht gerade sein Ding. Eingehend betrachtete sie das hübsche Gesicht der höchstens fünfundzwanzig Jahre alten Frau. Ihr langes, blondes Haar war zu einem seitlichen Zopf geflochten, die klaren Linien ihres Gesichtes traten durch den Tod deutlich hervor. Designer Jeans und ein sportliches Poloshirt von Bogner sprachen für ein gehobenes finanzielles Niveau. Mit Blick auf die gebräunten nackten Arme, die keine Einstichstellen aufwiesen, war sich Kathrin Hansen sicher, dass sie keinen Junkie vor sich hatte. Und auch sonst konnte sie keine Verletzungen feststellen.

»Entweder hat sie in Unkenntnis eine tödliche Droge geschluckt, sie wurde vergiftet, oder aber sie war krank«, resümierte Kathrin Hansen.

»Als es ihr dann schlecht ging, hat sie sich aufs Klo verdrückt und es nicht mehr geschafft, sich bemerkbar zu machen. Was bedeuten würde, dass es bereits sehr spät gewesen sein muss, sonst hätte ja irgend jemand was bemerken müssen, das Klo hier ist nicht gerade eine einsame Insel.«

Nachdenklich blickte sie zu Friedrichs hin.

»Das wäre die eine Variante.

Möglich ist aber auch, dass die Frau woanders gestorben ist und dann erst auf die Toilette deponiert wurde. Um genau den Eindruck zu erwecken, den ich gerade geschildert habe. Wie auch immer, was genau gelaufen ist, werden wir wissen, wenn das Obduktionsergebnis vorliegt. Auch dass sie keine Tasche oder etwas in der Art bei sich hat, spricht dafür, dass es kein normaler Gang zur Toilette war. Bei der Gelegenheit wird sich doch gerne mal eben frisch gemacht. Klar, die kann sie in der Disko liegen gelassen haben und jemand hat sie mitgenommen.« Mit ihrem Handy schoss Kathrin Hansen einige Fotos, prägte sich nochmals die Szene ein, verschloss die Toilettentür und wandte sich an Friedrichs.

»Olli, wir wissen nicht, ob ein Verbrechen vorliegt, hier muss sich die Kriminaltechnik umsehen, ich informiere Kriminalrat Heidkamp. Er muss die Jungs und die Pathologin per Heli rüber schicken und bis die eintrudeln, versuchen wir heraus zu bekommen, was gestern Abend hier gelaufen ist.«

»Moin, Karsten«, begrüßte Kathrin Hansen den Besitzer vom Seeblick, der vor der Disko unruhig hin und her tigerte. Sein DJ Siggi King stand mit verschlossener Miene im Hintergrund und Kathrin Hansen sah ihm an, dass er sich am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Den Mann kannte sie nicht, der musste neu in der Disko sein.

»Kathrin«, mit finsterer Miene baute sich Karsten Lenz vor ihr auf. »Wir müssen das hier bedeckt halten, das darf keiner mitkriegen. Du weißt doch, wie die Leute sonst reden werden.«

»Karsten, komm runter, wir wissen doch noch gar nicht, woran die Frau gestorben ist. Weiß eigentlich einer von euch, wer sie ist?« Sie bemerkte, wie der DJ in eine andere Richtung blickte, während Karsten Lenz entschieden den Kopf schüttelte.

»Also, ich kenne die Frau nicht, bin allerdings auch ganz selten unten in der Disko. Gerade am Wochenende ist abends im Restaurant die Hölle los, da muss ich sehen, dass dort alles rund läuft. Aber vielleicht kann dir Siggi mehr sagen.«

Nachdenklich blickte Kathrin Hansen zu dem DJ hin.

»Karsten, den kenne ich nicht, arbeitet der schon lange bei dir?«

»Seit drei Wochen, aushilfsweise samstags und sonntags. Torsten, der sonst die Disko macht, ist derzeit krank.«

»Okay, dann wollen wir hoffen, dass er die Frau kennt, sonst müssen wir an die Öffentlichkeit, mit Foto und so. Papiere hat sie nämlich keine bei sich und eine Tasche haben wir auch nicht gefunden.« Kathrin Hansen hörte, wie Lenz frustriert etwas vor sich hin brummte und ging zu dem DJ.

King machte seinem Namen alle Ehre. Er war an die zwei Meter groß, breit wie ein Schrank und Kathrin Hansen hätte ihn sich gut als Türsteher vorstellen können. Mit Piercings an Ohren und Nase, tätowierten Armen und einer langen fettigen Mähne, machte der Mann einen platten Eindruck. Es fehlte eindeutig die Persönlichkeit. Wieso Lenz eine solche Ausführung seinen Gästen zumutete, konnte sie nicht nachvollziehen, möglicherweise gab es Probleme, gutes Personal zu finden.

»Sie sind Siggi King?«, begrüßte sie den Mann.

»Richtig. King.

Sieht man doch.«

Am liebsten hätte Kathrin Hansen dem Typ kräftig auf die Füße getreten, wollte jedoch keine Aggressivität aufkommen lassen. Sie zwang sich zur Ruhe.

»Als Sie die Tote gefunden haben, waren Sie da alleine?«, fragte sie.

»Ganz alleine, und wenn ich nicht hätte pissen müssen, hätte von der Tussi noch keiner was mitgekriegt.«

Super, fuhr es Kathrin Hansen durch den Kopf, der Mann ist ja ein richtiger Kotzbrocken.

»Wann war die Frau gestern Abend in der Disko? Sie müssen sie doch bemerkt haben, so groß ist die Location ja nicht.«

»Habe ich nicht. Ich bin Künstler, wenn ich choreographiere, bin ich in voller Konzentration.«

Ach, du Scheiße, dachte Kathrin Hansen, auch das noch. Große Masse, kleines Hirn.

Sie trat so nahe an King heran, dass sie seinen Schweiß riechen konnte.

»Nochmal. Sie sind sich ganz sicher, dass Sie die Tote gestern Abend in der Disko nicht gesehen haben?«

»Sie haben es gerafft.«

Nervös fuchtelte King mit seinen Pranken durch die Luft.

»Kann ich jetzt gehen, ich habe noch einiges zu tun und hier ist ja heute tote Hose.«

Mit Blick auf den Chef vom Seeblick, der resigniert die Schultern hob, wandte Kathrin Hansen sich an ihren Stellvertreter Friedrichs und meinte, dass King gehen könnte, sich aber zur weiteren Verfügung halten müsste.

»Ihre persönlichen Daten geben Sie meinem Kollegen«, sagte sie noch zu King und gab dann Karsten Lenz ein Zeichen, sich mit ihr zurückzuziehen.

2. KAPITEL

Es war Kriminalrat Dr. Heidkamp deutlich anzusehen, dass er stinksauer war. Kathrin Hansen wusste, dass er an einem Golfturnier auf der Insel teilnehmen wollte und nun hatten sie eine unbekannte Tote. Nun musste er sich mit einem anderen Handicap herumschlagen.

»Also, was haben wir?«, knurrte Heidkamp und blickte verkniffen in die Runde.

»Hansen, schießen Sie los.«

Kathrin Hansen gab sich einen Ruck und schob die Videokassette, die vor ihr lag, in die Mitte des Tisches.

»Hier sind die Aufnahmen der Kameras aus der Disko vom gestrigen Abend. Unsere nächsten Stunden gehören der Unterhaltungsbranche. Die Kameras in der Disko sind so installiert, dass sie jeden Winkel im Fokus haben, also müsste unsere Tote aufgezeichnet worden sein.«

»Hoffentlich auch, wer ihr den tödlichen Stoff verabreicht hat«, warf Maike Jansen ein.

»Wenn es denn tödlicher Stoff war«, sinnierte Heidkamp. Nervös blickte er auf die Uhrzeit auf seinem Handy, als der Name der Pathologin im Display erschien.

»Sonja Klaes, die kommt gerade richtig«, meinte er erleichtert und drückte die Taste vom Lautsprecher.

»Ihr habt einen Mordfall«, hörten sie die rauchige Stimme der Pathologin.

»Die Frau starb an einer tödlichen Droge, die Laboruntersuchungen werden uns hierzu mehr sagen. Auf jeden Fall war es kein üblicher Dreck. Ich gehe sogar soweit und behaupte, dass es hochkarätige Chemie war. Chemie, die eigens zum Töten hergestellt wird.«

Kathrin Hansen spürte, wie es ihr eiskalt über den Rücken lief. Tödliche Chemie, sie wusste, was Sonja Klaes damit sagen wollte.

»Sonja, du meinst Killer Droge?«

»Genau.

Eine mit Zeitfaktor.«

»Zeitfaktor bedeutet was genau?«, hakte Heidkamp nach.

»Das bedeutet, dass innerhalb einer engen Toleranz feststeht, in welcher Zeit das Opfer stirbt, nachdem es die Droge geschluckt hat. Eine kleine Abweichung ist je nach körperlicher Verfassung natürlich drin.

Doch die ist marginal.«

»Das heißt«, überlegte Kathrin Hansen laut, »dass man sicher gehen will, dass das Opfer nicht noch groß etwas unternehmen kann.«

»Genau so ist es.«

»Klaes, was setzen Sie ab der Einnahme der Droge bis zum Eintreten des Todes für ein Zeitfenster?«, wollte Heidkamp wissen.

»Wie gesagt, ich muss erst das genaue Analysenergebnis vorliegen haben, aber gehen Sie von bis zu etwa dreißig Minuten aus. In dieser Zeit bemerkt das Opfer, wie es ihm schlecht wird, wie die Konzentration nachlässt und das Sprechen immer schwerer fällt. Es folgen Schwindelanfälle und der Denkprozess baut nach und nach ab. Im Allgemeinen entsteht der Wunsch, sich irgendwohin zu flüchten, bis das Down Gefühl vorbei ist.«

»Zum Beispiel auf die Toilette«, entfuhr es Friedrichs, und er hatte plötzlich das Bedürfnis in die nächste Ecke zu kotzen.

»In diesem Fall war es garantiert so«, stellte Sonja Klaes sachlich fest.

»Na, wunderbar, wenn das auf der Insel mit den Morden so weiter geht, können wir hier den nächsten Tatort drehen«, meinte Heidkamp trocken. »Potential scheint ja ausreichend da zu sein.«

Als tiefgreifende Bestätigung seines Statements schlürfte er anschließend seinen Tee mit einer Intensität, dass Maike Jansen die Augen verdrehte und an ihre stilvolle Erziehung dachte. Ihre distinguierte Mutter hätte bei diesem Geschlürfe vor Entsetzen aufgeschrien.

Seit zwei Stunden sahen sich Maike Jansen und ihr Kollege Friedrichs das Video aus der Disko an. Laut der digital eingeblendeten Zeit war es in der Disko kurz vor Mitternacht und so langsam verließen die Besucher nach und nach das Lokal. Von dem angespannten Hinsehen hatte Maike Jansen bereits Kopfschmerzen, während Friedrichs sich belustigt ansah, wie eine schrille Ausgabe seiner Gattung sich an eine Blondine heranmachte.

»Maike, guck mal, wie viele Ringe der Typ an seinen Fingern hat und die Haare sind garantiert gefärbt. Dann die bunten Klamotten, der sieht doch einfach nur doof aus.«

»Tja, Olli, es gibt Frauen, denen gefällt das«, grinste Maike Jansen. »Aber sieh mal, jetzt wird es interessant.« Friedrichs ließ das Video langsamer ablaufen und sie sahen, wie drei Männer und eine lachende Frau in die Disko kamen.

»Da kommt unsere Tote«, sagte Maike Jansen aufgeregt und als sie daran dachte, dass diese junge Frau kurz darauf sterben würde, bekam sie feuchte Augen.

»Olli, sie ist doch so gut drauf und freut sich ihres Lebens«, stöhnte sie. Sie sahen, wie der älteste der Männer seinen Arm um ihre Schulter legte und sich mit ihr in Richtung Bar schob. Seine beiden Begleiter wichen nicht von seiner Seite und Maike Jansen wurde schlagartig klar, dass sie den Mann abschirmten.

»Scheiße, Olli, die beiden dort sind Bodyguards«, meinte sie. »Jetzt haben wir es mit richtig fetten Typen zu tun.«

Sie sahen, wie die vier Personen sich an der Kopfseite der Bar breitmachten, wobei sie zwei Jugendliche von ihren Hockern scheuchten. Erst sah es so aus, als wollten die beiden protestieren, bekamen dann etwas zugesteckt und verschwanden wortlos in der Versenkung.

»Maike, merke dir die beiden Jungs«, meinte Friedrichs, »wir müssen wissen, was man ihnen gegeben hat. Vielleicht war es Kohle, könnte aber auch was anderes gewesen sein.« Von dem Barmann ließ sich der Begleiter der Frau einige Flaschen zeigen und entschied sich für Champagner.

»Geld scheint bei dem Mann keine Rolle zu spielen«, meinte Friedrichs und staunte, wie das Trio das edle Getränk wie Wasser in sich hinein kippte. Zunehmend wurde die Stimmung gelöster und es war deutlich zu sehen, wie der Boss der Männer sich an die Frau heran machte. Auf eine charmante Art umgarnte er sie und rückte ihr mehr und mehr auf die Pelle. Konzentriert beobachtete Maike Jansen das Verhalten der jungen Frau und sie musste sich schwer täuschen, wenn dieser die Anmache nicht langsam auf die Nerven ging. Auf Abwehr ausgerichtet, bog sie den Rücken kerzengerade durch, um Abstand zu dem Mann zu halten. Als er seine Hand auf ihr Knie legte und sie weiter hoch gleiten ließ, drehte sie sich abrupt zur Seite und nahm einen Schluck aus ihrem Glas. Auf der Hochschule war Maike Jansen in Verhaltenspsychologie eine der Besten gewesen und konnte aus der Körpersprache des Mannes lesen wie in einem Buch.

»Olli, der Typ ist über die Zurückweisung stinksauer. Er ist es nicht gewohnt, dass man ihn abblitzen lässt und tut sich schwer, ruhig zu bleiben. Alles an ihm signalisiert Wut und Gewaltbereitschaft, er ist gefährlich.«

Mit ärgerlicher Geste winkte der Mann den Barmann zu sich und bestellte eine weitere Flasche Champagner.

»Mein Gott noch, die saufen ja ganz schön was weg«, meinte Friedrichs. »Der Typ muss mächtig Kohle haben.«

»Vor allen Dingen ist er ein ganz großes Schwein«, kommentierte Maike Jansen. »Es ist doch offensichtlich, dass er die Frau betrunken machen will.« Sie bemerkten, wie die anfänglich so strahlend gut gelaunte Frau sich immer mehr zurück zog und weitere Getränke energisch ablehnte. »Das kann nicht gut gehen«, urteilte Maike Jansen. »Spätestens jetzt hätte sie sich verdünnisieren müssen.«

»Hier«, Friedrichs stoppte das Video, ließ es ein Stück zurück laufen und zeigte auf einen der Bodyguards. »Achte mal darauf, wie sein Boss ihm was zuflüstert, und zwar so, dass die Frau es nicht mitbekommen kann.« Jetzt nahm auch Maike Jansen die Szene richtig wahr und sie beschlich ein beängstigendes Gefühl. Das, was da ablief, war alles andere als harmlos.

»Olli, kannst du noch näher heran zoomen«, meinte sie, »ich will die Gesichter der Typen erkennen können.«

»Nein, geht nicht, die Qualität der Aufzeichnung ist granatenschlecht. Zu kleine Auflösung. Schade, aber guck dir das an, jetzt geht es so richtig zur Sache.«

Offensichtlich widerwillig ließ sich die Frau von ihrem Begleiter auf die Tanzfläche ziehen und auf einen Wink des Mannes legte der DJ eine so richtig flache Schmuseschnulze auf.

»Olli, ich wette um ein Krabbenbrötchen, dass der Typ kein Deutscher ist. Ich tippe auf einen stinkreichen Osteuropäer. Einer, der es versteht, charmant zu sein, zumindest bis zu dem Punkt, wo er umschaltet. Umschaltet, wo nur noch das gemacht werden muss, was er will.«

Auf der Tanzfläche zogen sich die wenigen Paare nach und nach zurück. Anscheinend hatten sie bemerkt, dass Unstimmigkeit in der Luft lag und wollten nicht mit hineingezogen werden. Rücksichtslos presste der Mann seine Tanzpartnerin wie eine Puppe an sich und mit hölzernen Beinen tappten sie eng umschlungen zur Musik hin und her. Dann ließ er sie plötzlich los, lächelte sie an und verbeugte sich vor ihr. Galant bot er ihr seinen Arm, in dem sie sich nach kurzem Zögern einhängte.

»Ich glaube, ich bin im verkehrten Film«, meinte Friedrichs. »Was geht denn hier vor sich?« Bedrückt ahnte Maike Jansen, wie es weiter gehen würde. Die Unbekannte hatte die Chance, sich absetzen zu können, endgültig verpasst.

»Olli, die Frau hat die Gefahr nicht erkannt. »Die ist jetzt schon so gut wie tot.«

An der Bar verhielt sich der Begleiter der Frau ihr gegenüber betont aufmerksam, blickte nach einer Weile auf seine Uhr, zeigte auf den Ausgang und gab dem Barmann ein Zeichen, dass er nochmals nachschenken sollte.

»Er gibt ihr zu verstehen, dass er noch eine Abschlussrunde gibt und dann gehen möchte«, kommentierte Friedrichs die Szene.

»Finte, Olli, das ist eine Finte, um seine Begleiterin in Sicherheit zu wiegen, da kommt noch was.«

Sie sahen, wie der Barmann die Gläser nachfüllte und der Boss der Truppe lachend mit allen anstieß. Eine Weile war noch eine schleppende Unterhaltung im Gange, bis die junge Frau in ihrem Verhalten zunehmend fahriger wurde. Sie schien offensichtlich Probleme zu haben, sich konzentrieren zu können. Immer öfter fuhr sie mit der Hand über die Augen, als ob sie dann klarer sehen würde und steuerte schließlich unsicher die Toilette an.

»Mein Gott noch, Olli, sie durchlebt die letzten Minuten ihres Lebens. Und sieh mal, die drei Typen sehen ihr ungerührt nach, obwohl sie wissen, dass die Frau in den Tod geht.

Olli, das sind Killer. Ungeheuer.«

In der nächsten Viertelstunde blickten die Männer mehrmals demonstrativ auf die Uhr, wibbelten unruhig hin und her, blickten zum Toilettenbereich, bis schließlich der Boss einige Worte mit dem Barmann wechselte und kurz darauf die Rechnung bekam.

»Denen ist bewusst, dass es Kameras gibt«, sagte Maike Jansen. »Die ziehen eine Show ab. Eine Nummer, die bezeugen soll, dass die Frau sich verdrückt und ihre Begleitung sitzen gelassen hat.«

Maike Jansen hatte kaum ausgesprochen, als das Trio sich auch schon von dem Mann hinter der Bar verabschiedete und augenscheinlich verärgert die Disko verließ.

3. KAPITEL

Als Oberkommissar Friedrichs die relevanten Details des Videos vorgeführt hatte, blieb es eine Weile ruhig in der Runde. Er und Maike Jansen bemerkten, wie es in den Köpfen ihrer Kollegen arbeitete. Sie mussten verinnerlichen, dass auf ihrer Insel eine junge lebenslustige Frau skrupellos getötet wurde. Eine junge Frau, die nichts Schlimmeres gemacht hatte, als sich einem arroganten, eingebildeten Arschloch zu widersetzen. Die sein Ego getroffen hatte. Ava Sari sah man an, dass sie nahe daran war loszuheulen und Kathrin Hansen hatte mit versteinerter Miene den Ausführungen ihres Stellvertreters zugehört. Maike Jansen ahnte, was in ihr vorging und dass die Hauptkommissarin nicht eher ruhen würde, bis die Täter gefasst waren.

»So einfach ist das nicht«, äußerte sich schließlich Kriminalrat Heidkamp und Maike Jansen fragte sich, was er damit genau meinte. Ernst blickte Heidkamp in die Gesichter seiner Leute.

»Das, was wir auf dem Video gesehen haben, lässt zwar darauf schließen, dass die drei Männer für den Tod der Frau verantwortlich sind, doch beweisen können wir nichts. In den Szenen des Videos sieht es so aus, als ob der Boss des Trios sich an die Frau heran macht, sie massiv bedrängt, aber mehr auch nicht. In keiner Sequenz ist zu sehen, dass einer der Männer ihr etwas ins Glas kippt oder dass sie gezwungen wurde was zu schlucken. Auch eine versteckt gesetzte Injektion ist nicht drin, denn so etwas geht nicht gefühllos ab und die Frau hätte darauf reagiert.«

»Vielleicht hat der Mann hinter der Bar ja was bemerkt«, meinte Kathrin Hansen. »Ihn und den DJ treffe ich gleich im Seeblick.«

»Gut.«

Mit Blick auf die Uhr schlürfte Heidkamp seinen Tee.

»Wie sieht es mit der Identität der Toten aus?«

»Wir sind dran«, antwortete Kathrin Hansen. »Da wir davon ausgehen, dass die Frau ein Feriengast war und von wer weiß woher gekommen ist, haben wir ihr Foto an das Bundeskriminalamt geschickt. Wenn nötig, wird Europol involviert und vielleicht haben wir ja trotz des Wochenendes Glück und bekommen ein Ergebnis.«

»Okay.«

Geräuschvoll stellte Heidkamp seine Tasse ab und blickte unruhig wieder auf die Uhr. »Bis wir den Bericht der Pathologin und Kriminaltechnik haben, wird es etwas dauern. Aber bis dahin können wir die Hotels und Restaurants abklappern, ob die Frau und die Männer bekannt sind. Zeigt die Fotos, aber ohne zu sagen, was wirklich vorgefallen ist.« Heidkamp blickte zu Friedrichs hin.

»Bekommen Sie das hin, von den Personen auf dem Video einigermaßen passable Fotos auszudrucken?«

»Ich mache, was ich kann, und schicke auch eine Kopie des Videos nach Osnabrück zu unserer IT Technik. Die Jungs dort können mit Sicherheit mehr herausholen.«

Fragend blickte Heidkamp Kathrin Hansen an und als sie mit dem Kopf schüttelte, stand er abrupt auf, nahm sein Handy und meinte, er müsste sich beeilen, in einer Stunde wäre an Tee 1 sein Abschlag.

»Wenn es brennen sollte, bin ich jederzeit erreichbar«, meinte er noch beim Hinausgehen.

»Na, toll«, maulte Maike Jansen, »der geht Golfen und wir können uns die Hacken ablaufen.«

»Soweit sind wir noch nicht«, bestimmte Kathrin Hansen. »Bevor wir die Hoteliers und Kneipenwirte neugierig machen, will ich erst mit dem Barkeeper und dem DJ reden. Möglicherweise kriegen wir einen Tipp, wo wir bei der Suche nach den Männern und der Frau einhaken können. Olli und Ava, ihr könnt in der Zeit versuchen, verwendbare Fotoausdrucke von dem Video zu zaubern. Maike, du kommst mit mir.«

Kathrin Hansen blickte auf die Uhr und sah, dass sie sich beeilen musste, sie käme sonst zu spät zum Seeblick. Und den beiden Jungs einen Grund liefern, sich verdünnisieren zu können, war das Letzte, was sie wollte.

»Also, bis in etwa einer Stunde«, sagte sie und verließ mit Maike Jansen die Dienststelle.

Hatte Kathrin Hansen den DJ Siggi King als Kotzbrocken eingestuft, so machte der Mann, der in der Disko abends hinter der Bar stand, einen passablen Eindruck. Wie ihr bereits im Video aufgefallen war ging er auf die Leute zu, war umgänglich und sah dazu noch gut aus. Wenn er auch nicht wie an dem Diskoabend schwarz gekleidet war, machten seine Jeans und sein Polo einen gepflegten, ordentlichen Eindruck. Sein Blick war klar und geradeaus, Kathrin Hansen schätzte ihn als solide und zuverlässig ein.

Jan Harms begrüßte sie freundlich, während King mühsam ein »Moin« herausquetschte. Nun, aufgrund des Videos konnte er nicht mehr so tun, als hätte er die junge Frau und das Trio in der Disko nicht bemerkt. Konnte keinen mehr auf doof machen, doch erst einmal wollte sie ihn links liegen lassen, er sollte schmoren.

»Schön, dass Sie beide kommen konnten«, stieg Kathrin Hansen in das Gespräch ein. Forschend blickte sie Jan Harms an.

»Sie wissen, was geschehen ist?«

Bedrückt nickte Harms.

»Ich kann es noch gar nicht fassen. Die Frau war doch so gut drauf und machte überhaupt nicht den Eindruck, dass sie krank war.«

Das mit dem krank ließ Kathrin Hansen erst einmal so stehen. Glaubte allerdings, bei King ein verstohlenes Grinsen zu bemerken.

»Sie glauben, die Frau war krank?

Können Sie sich wirklich vorstellen, dass eine so gesund wirkende, quicklebendige Frau, die vorher noch getanzt hat, auf die Toilette geht um dort auf Grund einer Krankheit zu sterben?«, fragte sie.

»Hätte sie nicht eher nach einem Arzt gerufen?«

Nachdenklich blickte Harms sie an.

»Sie haben recht, das Verhalten von ihr war schon ungewöhnlich.«

»Okay, dann erzählen Sie doch einfach mal, wie die Frau sich so verhalten hat.«

Ziemlich genau wiederholte Harms, was bereits vom Video her bekannt war. Er kannte die Frau nicht und meinte, dass sie das erste Mal in der Disko gewesen sei.

»Dagegen habe ich die drei Männer früher schon mal gesehen. Muss an einem Samstagabend gewesen sein. Sie waren in Begleitung mehrerer Damen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass sie einen ordentlichen Umsatz gemacht haben.«

»Und Sie haben keine Ahnung, wer die Männer sind? Haben nichts aufgeschnappt, was uns helfen könnte, sie zu finden?«, bohrte Kathrin Hansen sein Gedächtnis an.

»Sie zu finden?«

Ihm schien zu dämmern, dass etwas nicht stimmte.

»Glauben Sie, dass die Männer mit dem Tod der Frau etwas zu tun haben könnten?«

»Ich glaube gar nichts, aber da die Unbekannte, bevor sie gestorben ist, mit ihnen zusammen war, müssen wir wissen, wer diese Leute sind. Die müssten uns mehr über die Frau erzählen können. Aber nochmal: Ihnen ist nichts an den Männern aufgefallen, nicht der kleinste Hinweis, von wo sie kamen? Wo sie hier auf der Insel wohnen? Die müssen sich doch über etwas unterhalten haben. Und dann sind da noch die zwei Jungs, die an der Bar saßen und etwas eingesackt haben, damit sie ihre Plätze räumten. Mein Gott noch Harms, Sie sind doch nicht taub, Sie müssen doch was mitgekriegt haben.«

Mit gerunzelter Stirn blickte Harms sie an und nickte schließlich.

»Okay, aber es ist bei uns nun mal nicht üblich, dass wir unsere Gäste zitieren. Aber gut, die beiden Jungs waren in den letzten zwei Wochen öfters in der Disko. Kai und Torsten, schwule Urlauber, die auf Bekanntschaften aus waren. Soweit ich es mitbekommen habe, ist allerdings nichts gelaufen, also nicht in der Disko. Und nein, mehr weiß ich nicht über sie.«

»Und was die von den Männern zugesteckt bekommen haben, damit sie die Plätze an der Bar räumten, haben Sie auch nicht zufällig mitbekommen?«

»Nein, es war viel los an dem Abend und ich hatte alle Hände voll zu tun. Aber halt«, er schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Klar, da fällt mir doch was ein. Der Gast, der alles bezahlt hat, war nicht gut auf die Inselverwaltung zu sprechen. Er hat sich mit seiner Begleiterin darüber unterhalten, dass er sauer sei, weil er keine Genehmigung bekäme, an seinem Ferienhaus einen Pool anzulegen. Aber er würde das schon hinkriegen, meinte er, das nächste Mal, wenn sie mit auf die Insel käme, würde er ihr zu Ehren eine Poolparty geben.«

»Und, wie war die Reaktion der Frau?«

»Also nicht so unbedingt begeistert. Ich hatte den Eindruck, dass ihr das aufdringliche Verhalten des Mannes auf die Nerven ging. Meiner Meinung nach war sie keine Frau, die sich schnell an einen Typen dranhängt.«

»Ist Ihnen an der Sprache der Personen was aufgefallen?«, warf Maike Jansen ein. »Ich hatte auf dem Video den Eindruck, dass die Männer Osteuropäer sein könnten.«