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Geschichten erfinden macht Spaß – sie lassen Bilder im Kopf entstehen, wecken Gefühle und nehmen uns mit auf eine Reise. Das schafft Gemeinschaft, Verbundenheit und Nähe. Mit diesen einfachen Techniken und Tools können alle große Erzähler werden. Und Sie werden überrascht sein, wie viel ungeahntes Erzähltalent in uns schlummert – aber vor allem in den Kleinen.
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Seitenzahl: 140
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Petra Bartoli y Eckert | Michael Fenske
Lasst uns
eine
Geschichte
erfinden
Storytelling mit der ganzen Familie
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Designbüro Gestaltungssaal
Umschlagmotiv: Elina Li/shutterstock.com, bosotochka/shutterstock.com,
Illustrationen: Designed by Freepik; Elina Li/shutterstock.com;
bosotochka/shutterstock.com; Geber86/istock
E-Book-Konvertiertung: Carsten Klein, München
ISBN (E-Book) 978-3-451-81208-8
ISBN (Print) 978-3-451-66061-0
Impressum
Vorwort
Jede Geschichte ist toll!
Erzählen ist »pur« – und Kinder lieben es
Erzählen schafft unkompliziert und schnell Exklusivmomente
Schaffen Sie einen guten Rahmen für fesselnde Erzählungen
Wie einmal alles beinahe ein gutes Ende fand
Kinder brauchen fantastische Geschichten, damit ihre Seele wachsen kann
Erzählen Sie von Zauberern, Gespenstern oder Riesen
Mit fantastischen Geschichten die kindliche Entwicklung fördern
So erzählen Sie kindgerechte Fantasiegeschichten
Ich bin zu gross zum Gruseln!
Sich etwas von der Seele reden
Keine Scheu vor Angstgeschichten
Erzählen Sie, um Kinder zu ermutigen
Was ich schon immer sagen wollte …
Das »Früher« erlebbar machen und Generationen verbinden
Keine Angst, sich zu blamieren
Laden Sie Kinder zu einer Zeitreise ein
Erzählen heißt, künstlerische Freiheiten ausschöpfen
So holen Sie sich Inspirationen für Ihre Geschichten
Ich weiss es noch, als wäre es gestern passiert
Noch mal, noch mal!
Wiederholungen lassen immer neue Aspekte entdecken
Formeln als Wiederholungen im Text aufgreifen
Wiederholungen verschaffen auch Zuhörern eine kleine Auszeit
Wiederholtes prägt sich besonders gut ein
Immer der gleiche Käse!
Mit Geschichten das »Wir« stärken
Soziale Grundbedürfnisse durch Gemeinschaftserlebnisse erfüllen
Lassen Sie sich von den Kindern ein Stichwort geben
Trauen Sie sich, beim Erzählen vom Monolog zum Dialog zu wechseln
Erinnerungen von Kindern haben einen anderen Schwerpunkt
Aus Puzzleteilen ein »Ganzes« machen
Du, ich und die anderen
Familientraditionen als Geschichte
Gut zu wissen, wo man dazugehört
Erzählen Sie über Dinge, die in Ihrer Familie Tradition haben
So entstehen Geschichten über Familientraditionen im Handumdrehen
Darum ist unser Weihnachtsbaum blau
Über Gott und die Welt philosophieren
Seien Sie offen für die Sichtweisen der Kinder
So gelingt Ihnen das gemeinsame Philosophieren
Als ich die Macht hatte, die Welt zu ändern
»Erst erzähl ich, dann du«
Machen Sie Gemeinschaftsgeschichten zum festen Bestandteil des Erzählens in Ihrer Familie
Jeder ein Stück – und schon nimmt die Geschichte einen unvorhergesehenen Lauf
So wird aus einzelnen Beiträgen eine tolle Geschichte
Kettenreaktion in der 3a
Richtig gute Geschichten erzählen
Halten Sie sich am besten an die klassische Geschichtenstruktur
Die »Heldenreise« als weiteres Erzählmodell
Auf der Suche nach einer neuen, guten Geschichte
Grosse Helden machen stark!
Große Helden können Kindern den Weg zeigen
Ein Held mit Humor zieht Kinder in seinen Bann
Lassen Sie Ihre Helden Mut, Klugheit und Stärke kreativ verkörpern
Schaffen Sie kreativ Helden für unterschiedliche Anlässe
Max macht das!
Ende gut, alles gut
Warum ein gutes Ende so wichtig ist
Finden Sie heraus, welches Ende sich die Kinder wünschen
Wie Sie ein kindgerechtes gutes Ende für Ihre Geschichten finden
Eine Schlussformel am Ende hat für Kinder Wiedererkennungswert
»Das war aber knapp!«
Literatur zum Weiterlesen
»Lesen stärkt die Seele« (Voltaire) –
Geschichten erzählen auch!
Vor langer Zeit gehörte es in allen Familien einfach dazu, dass man sich gegenseitig Geschichten erzählte. Nur sehr wenige Menschen konnten lesen und schreiben. Da war das Erzählen von Geschichten eine willkommene Abwechslung genauso wie die wichtige Weitergabe von Wissen und Weisheiten. Doch auch in jüngerer Vergangenheit – bevor es in jedem Haushalt einen Fernseher und andere elektronische Unterhaltungsmedien gab – war das Geschichtenerzählen noch ein geschätztes Ritual in Familien. Auch wir Autoren erinnern uns beide noch gerne daran, dass sich unsere Mütter, wenn wir krank waren, ans Bett gesetzt und eine Geschichte erzählt haben. Da war der Umstand, krank zu sein, gar nicht mehr so schlimm.
Auch heute noch ist es sinnvoll, dass Eltern, Großeltern, Erzieher und Erzieherinnen Kindern Geschichten erzählen. Wenn Sie eine erfundene oder erlebte Geschichte erzählen, nehmen Sie die Kinder mit auf eine Reise. Das schafft Gemeinschaft, Verbundenheit und Nähe. Erlebnisse erwachen durch das Erzählen darüber zu neuem Leben, Geschichten lassen Bilder im Kopf entstehen und wecken positive Gefühle.
Aber auch Kinder haben etwas zu sagen, haben eine eigene Sicht auf die Welt. Und die ist oft überraschend, unkonventionell, kritisch oder kreativ. Diese Botschaften in Worte zu fassen ermöglicht es Kindern, sich schöpferisch mit sich selbst und ihrer Lebenswirklichkeit auseinanderzusetzen. Für die Selbstäußerungen der Kinder und das Teilen von Erlebnissen oder Einfällen bietet das Geschichtenerzählen in Familien und Kindergruppen eine gute Plattform.
In diesem Buch finden Sie vielfältige Anregungen und Aspekte rund um das Geschichtenerzählen für und mit Kindern. In jedem Kapitel wird durch einen fachlichen, aber leicht verständlichen Leitfaden erklärt, wie Sie am besten erzählen und welchen Nutzen das für Kinder hat. So werden Sie ermutigt, die Tradition des Geschichtenerzählens mit Kindern wieder aufleben zu lassen.
Im zweiten Teil jedes Kapitels finden Sie eine passende Geschichte. Sie können diese als Inspiration für Ihre nächste Geschichte nutzen, die Sie erzählen möchten. Oder Sie lesen die Geschichte den Kindern vor. Oder lesen sie zuerst und erzählen sie dann nach.
Am Ende jedes Kapitels finden Sie kleine Arbeitsaufträge, Kreativübungen und Impulse. Hier können Sie etwas üben, sich anregen lassen oder Stoff sammeln für Ihre Geschichten. In diesen Kreativteilen erlauben wir uns, Sie etwas persönlicher anzusprechen. Zum einen, weil diese sich auch an die Kinder wenden, und zum anderen, weil »Ihr« einfach besser als »Sie« zur familiären und kreativen Stimmung beim Geschichtenerzählen passt.
Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen dieses Buches und vor allem beim Erfinden vielfältiger, lustiger, spannender und unterhaltsamer Geschichten für Kinder und mit Kindern.
Herzlich, die Autoren
Petra Bartoli y Eckert und Michael Fenske
Trauen Sie sich zu erzählen –
ohne Angst vor Bewertungen oder Beurteilungen
Der erste Schritt hin zum Geschichtenerzählen für Kinder ist: einfach loslegen! Ein paar Tipps helfen Ihnen dabei, beim ersten Mal die richtigen Worte zu finden und die passende Umgebung und Atmosphäre zu schaffen.
»Ich soll einfach so erzählen? Das kann ich nicht!« – Vielleicht beschäftigt Sie jetzt, da Sie mit der Lektüre dieses Buches begonnen haben, genau dieser Gedanke. Natürlich gibt es Personen, die von Natur aus so packend erzählen können, dass ihnen alle Zuhörer an den Lippen hängen und nicht genug von ihren Geschichten bekommen. Andere glauben, dass ihnen das nie gelingen wird, Zuhörer in ihren Bann zu ziehen. Aber warum? Haben Sie schon einmal ausprobiert, Kindern selbst etwas zu erzählen, statt ihnen vorzulesen oder Hörspiele anzubieten? Versuchen Sie es! Denn der Gedanke, Ihre Geschichte sei vielleicht nicht gut oder gut genug, ist Ihre eigene Bewertung. Kinder sind in der Regel sehr aufmerksame Zuhörer.
Anders als beim Vorlesen wird beim Erzählen eine Beziehung zum Zuhörer aufgebaut, ohne dass ein weiteres Medium, zum Beispiel ein Buch, dazwischensteht. Beim Erzählen gibt es nur Sie, die Kinder und die Geschichte. Vertrauen Sie darauf: Kinder wollen hören, wie eine Geschichte weitergeht und wie sie endet. Sie wollen mitfiebern, vielleicht Passagen mitsprechen und am Ende mitreden. Wenn Sie Kindern erzählen, sitzen Sie nicht in einer Prüfung, die zuhörenden Kinder vergeben keine Noten für Ihre Geschichte. Sie genießen es stattdessen, dass eine erwachsene Bezugsperson sich ganz individuell Zeit nimmt, um sich mit ihnen intensiv zu beschäftigen. Zudem sind erzählte Geschichten sowieso kaum zu vergleichen – denn jede Geschichte ist so individuell wie der Erzähler, der sie gerade erfindet. Selbst wenn eine Geschichte nacherzählt wird, fließt die Persönlichkeit des Erzählers ein. Das macht erzählte Geschichten so besonders und so einzigartig.
Das Beste am freien Erzählen ist: Sie können überall loslegen, denn alles, was Sie dazu brauchen, haben Sie immer dabei. Sie benötigen nichts weiter als Ihre Stimme und etwas Fantasie. Bei Letzterer können Ihnen die Kinder meist gut assistieren. Denn wenn Sie nicht mehr weiterwissen, greift ein einfacher Trick: Fragen Sie Ihre Zuhörer, was nun passieren könnte. Schon bekommen Sie ein neues Stichwort, an dem Sie anknüpfen können.
So wird das Erzählen für Kinder und mit Kindern schnell zu einem schönen Ritual, zu einer wunderbaren Gemeinschaftsaktion und einem unkomplizierten Zeitvertreib. Denn Sie können durch Erzählen nicht nur gemütliche Momente der Begegnung auf dem Sofa schaffen. Auch auf einer langen Autofahrt, im Wartezimmer beim Arzt, beim Picknick, auf dem Weg zum Spielplatz oder als Rahmen für gemeinsame Aktionen – beim Erzählen tauchen Zuhörer und Erzähler schnell in eine andere Welt ein und machen eine gemeinsame »Kopfkino-Reise«.
Damit Sie mit Ihrer Geschichte Kinder erreichen, fesseln und begeistern, sollten Sie einige kleine Tipps beachten:
Bevor Sie zum ersten Mal eine Geschichte frei erzählen, können Sie sich vorab kleine Notizen zu Ihren Einfällen machen. Schreiben Sie sich zum Beispiel auf, wie die Hauptperson Ihrer Geschichte heißen soll, was sie erlebt und wie die Geschichte ausgeht. Diesen »Spickzettel« können Sie während des Erzählens bereithalten, um einen kurzen Blick darauf zu werfen, falls Sie ins Stocken geraten. Abschauen, besser gesagt »Abhören«, ist beim Geschichtenerzählen durchaus erlaubt. Eine gute Übung fürs Erzählen ist es, anderen genau zuzuhören, wenn sie erzählen. Was hat Ihnen an einer gehörten Geschichte besonders gut gefallen? Wo und wann haben Sie gerne zugehört? Das können Sie dann selbst beim Erzählen aufgreifen. Legen Sie Wert auf eine gute Atmosphäre beim Erzählen. Wenn Sie zu Hause erzählen, machen Sie es sich mit den Kindern gemütlich. Sie können Ihr Erzählritual beispielsweise durch ein Schild »Bitte nicht stören! Hier wird gerade erzählt« an der Tür ergänzen. Wenn sich die Kinder zudem beim Zuhören ankuscheln können, tauchen sie leichter in die Geschichte ein, weil sie sich sicher und geborgen fühlen.Wenn Sie nicht gerade beim Autofahren erzählen, sollten Sie unbedingt immer wieder Blickkontakt zu den Kindern herstellen. So fühlen sich Kinder besonders angesprochen. Außerdem erkennen Sie als Erzähler dadurch auch schnell, ob die Kinder beim Erzählen mitgehen, wo und wann sie staunen, mitlachen oder vor Spannung große Augen bekommen.Untermalen Sie Ihre Geschichte, indem Sie Ihre Mimik und den Klang Ihrer Stimme miterzählen lassen. Machen Sie große Augen und flüstern Sie, wenn es spannend wird. Ziehen Sie Grimassen, wenn Sie von einer komischen Person erzählen. So bekommt Ihre Geschichte noch mehr Intensität.Beziehen Sie beim Erzählen alle Sinne mit ein. Dadurch wird Ihre Geschichte farbig und facettenreich. Schildern Sie einen Gegenstand zum Beispiel so, dass der Zuhörer genau weiß, wie er sich anfühlt, wie er riecht, wie er auf andere wirkt. Erzählen Sie von dicken Socken, die wie alter Käse riechen, vom Wind, der die Blätter in den Bäumen zum Rascheln bringt und sich wie ein leises Flüstern in den Ästen anhört, oder vom leckersten Zitronenkuchen der Welt, der duftet, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Dieses genaue und sinnliche Beschreiben können Sie einfach zwischendurch an Alltagsgegenständen üben: Wie sieht der Stift aus, den Sie in Händen halten? Wie klingt es, wenn Sie in einer Zeitung blättern? Wie riecht es, wenn Sie über eine Wiese laufen?Lassen Sie sich beim Erzählen Zeit. Es geht nicht darum, dass das Erzählen sozusagen als Pflichtprogramm möglichst schnell abgehakt wird. Lieber erzählen Sie eine kürzere Geschichte und machen immer wieder Pausen und halten inne. So können Kinder der Geschichte leichter folgen und sich während des Erzählens durch Fragen oder Kommentare einbringen.Fragen Sie bei den Kindern ruhig nach, von was die Geschichte handeln soll und was sie hören wollen. Dürfen die Kinder mitbestimmen, haben Sie die kleinen Zuhörer sofort auf Ihrer Seite.Lassen Sie sich von der folgenden Beispielgeschichte inspirieren. Und dann legen Sie los und führen Sie das Erzählen als Ritual ein.
»Los, erzähl mir eine Geschichte!« Peter setzte sich auf den Boden und drapierte ein paar Kuscheltiere um sich herum. Er hatte das große Wohnzimmerlicht ausgeschaltet und die Stehlampe am Lesesessel angeknipst, die den Raum in ein sanftes und warmes Licht tauchte. Auf einem Beistelltisch hatte er einen Teller mit Keksen platziert, und nun guckte er voller Erwartung nach oben. Er fuhr fort: »Aber eine gute! Eine spannende! Und eine lustige! Ich will eine Geschichte mit Pferden, mit einem Rennfahrer und mit einer großen Schüssel Vanillepudding! Wie sie ausgeht, ist mir egal – Hauptsache, am Ende sind alle glücklich.«
Julia lachte, stemmte die Hände in die Hüften und sah amüsiert auf ihn herab. »Aber Papa!«, rief sie, »du bist doch hier derjenige, der mir Geschichten erzählt!«
Peter sah verwundert drein. »Sagt wer?«, fragte er. »Vielleicht sind in meinem Kopf gar keine Geschichten mehr drin, weil ich dir schon so viele erzählt habe?« Er streckte seiner Tochter ein Ohr entgegen und forderte sie auf: »Schau mal gaaaaanz tief da rein und sag mir, ob überhaupt noch eine Geschichte drin ist!«
Julia zupfte Peter am Ohrläppchen, kniff ein Auge zu und lugte mit dem anderen in das Ohr ihres Vaters. »Und?«, fragte dieser.
»Tatsächlich! Ich kann was sehen!«, freute sich Julia.
»Das ist aber toll. Und was?«
»Eine ganz, ganz, ganz tolle Geschichte!«
»Boah! Und von was handelt sie? Wer spielt mit? Kannst du was sehen? Sie muss sich ganz tief drin versteckt haben …«
Julia hielt ihr Auge noch dichter an Peters Ohr, bis sie vor lauter Dunkelheit eigentlich gar nichts mehr sehen konnte. Aber sie wusste: Ein Blick ins Dunkel war oft die beste Möglichkeit, der Fantasie ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Wenn das Auge nichts sehen konnte, malte das Gehirn im Kopf die zauberhaftesten Bilder. »Geistiges Auge« nannte das ihr Vater, aber Julia konnte sich unter dem Begriff nichts vorstellen. Das war aber auch egal, solange die Bilder, die sie sah (oder auch nicht sah, sondern sich nur ausdachte) lustig oder spannend waren. Oder beides. Wie auch diesmal, als sie den Gehörgang ihres Vaters inspizierte. »Da! Da! Ich sehe was!«, jubilierte sie. »Da ist eine Prinzessin, die einen Schal strickt, ein Hund, der reden kann und ein Einhorn.«
»Gratuliere!«, sagte ihr Vater. »Da hast du tatsächlich noch etwas in meinem leeren Kopf finden können. Aber das ist schon ziemlich verrücktes Zeug, ich muss das Oberstübchen mal wieder so richtig entrümpeln!« Julia hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte, als ihr Vater fortfuhr: »Das genügt aber noch nicht für eine gute Geschichte. Wir brauchen unbedingt noch einen Anfang!« Also machte sich Julia wieder daran, Peters Ohr – oder sein Oberstübchen – genau zu erkunden. Aber eigentlich war ihr schon vor einem erneuten Blick ins finstere Ohr ein guter Anfang eingefallen: »Ich weiß was!«, verkündete sie, setzte sich gegenüber auf den Boden, und als ihr Papa sie mit großen und erwartungsvollen Augen ansah, begann sie: »Also. Es war einmal …«
»Laaaangweilig! So fangen doch alle Geschichten an!«, protestierte Peter.
»Psssst!«, zischte Julia und sah ihn grimmig an, weil er sie unterbrochen hatte. »Noch mal: Es war einmal eine Geschichte, die hatte gar kein gutes Ende. Also ging sie auf eine lange Reise. Sie wanderte von Mund zu Mund und von Ohr zu Ohr, von Erzählern zu Zuhörern. Aber keiner wusste ein gutes Ende für sie.«
»Das ist gut! Da machen wir weiter!«, freute sich Peter. »Also, was haben wir?«
Julia zählte auf: »Pferde, einen Rennfahrer, eine Schüssel Vanillepudding, eine strickende Prinzessin, einen sprechenden Hund, ein Einhorn.«
»Gut, das genügt für eine irre Geschichte. Oder eine irre gute Geschichte, wir werden sehen. Sitzt du gemütlich?«
Julia ließ sich neben Peter auf den Boden plumpsen und nickte freudig. Sie wusste: Wenn ihr Vater erst einmal in Erzähllaune war, würde bestimmt eine richtig tolle Geschichte dabei herauskommen. Und die Schlafenszeit wurde dabei meist nach später verlegt.
»Nun, den Anfang hast du ja schon erzählt. Der Rennfahrer Max reiste also eines Tages in ein fernes Königreich, weil der König ein großes Rennen veranstaltete. Seine Pferde, so behauptete er, seien schneller als jedes Auto, und er lud die wagemutigsten Fahrer ein, um sich mit ihm zu messen.«
Julia wedelte mit den Armen. »Ja, was ist denn?«
»So ein Quatsch! Als es noch Könige gab, gab’s doch noch keine Rennautos. Und was sollen das für Pferde sein?«
»Das ist ja auch ein Königreich von heute. Wie du vielleicht weißt, gibt’s ein Fürstentum, das ein Autorennen veranstaltet. Und die Königin von England hat auch Rennstrecken. Außerdem sind das fliegende Pferde, aber das hat der König natürlich niemandem verraten.«
»Fliegende Pferde gibt’s doch gar nicht!«
»Aber sprechende Hunde, oder wie? Außerdem ist das eine fantastische Geschichte, da passieren eben auch mal Sachen, die’s eigentlich nicht gibt. Aber wenn du keine Geschichte hören willst, kannst du auch gleich ins Bett …«
»Nein, nein«, warf Julia ein. »Aber fang noch mal von vorne an. Diesmal anders!«