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Wie weit bist du bereit zu gehen, um deine große Liebe zu retten? Ein intensiver, hoch spannender Romantic Thriller mit paranormalen Elementen. Das perfekte Lesefutter für alle Verity- und Too-Late-Fans – eine unfassbar intensive Achterbahnfahrt der Gefühle. Auf der Hochzeit von Laylas Schwester lernen sie sich kennen und lieben: Leeds, der seinen Lebensunterhalt als Musiker verdient, und Layla. Es ist eine Amour fou – bis zu dem Tag, an dem Leeds' eifersüchtige Exfreundin versucht, Layla zu erschießen. Danach ist Layla nicht mehr sie selbst. Um die Beziehung zu retten und Layla zu stabilisieren, mietet Leeds das Haus, in dem sie sich kennengelernt haben. Doch dort scheint nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen ... Eine unfassbar intensive, schier verstörende Amour fou von Bestsellerautorin Colleen Hoover – Gänsehaut und Emotionen pur garantiert! »Überraschend und voller intensiver Gefühle wird diese Romance alle in den Bann ziehen.« Publishers Weekly
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Seitenzahl: 463
Colleen Hoover
Layla
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Katarina Ganslandt
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Für Beckham
Stell dich schon mal darauf ein,
dass du der Erste sein wirst,
dem ich als Geist erscheine, wenn ich tot bin.
Dich erschrecke ich nämlich am allerliebsten.
»Das Übernatürliche ist das Natürliche,
das wir noch nicht verstehen.«
Elbert Hubbard
Bevor ich runtergegangen bin, habe ich Layla mit zwei Schichten Gaffa-Tape den Mund verklebt; trotzdem sind ihre gedämpften Schreie immer noch zu hören, als ich mich mit dem Mann an den Küchentisch setze.
Er hat einen dieser Kassettenrekorder mitgebracht, wie man sie in Filmen aus den Achtzigern öfter sieht. Ein ziemlich klobiger Kasten. Er drückt gleichzeitig die Play- und die mit einem roten Kreis markierte Aufnahmetaste und schiebt den Rekorder in die Mitte des Tischs. Die Rädchen der Kassette beginnen sich zu drehen.
»Ihr Name?«
Ich räuspere mich. »Leeds Gabriel.«
Der Deckel des Batteriefachs seitlich an dem Gerät wird von einem zerfledderten Klebestreifen zusammengehalten. Irgendwie absurd. Was soll es bringen, jedes Wort, das ich sage, mit diesem uralten klapprigen Teil aufzunehmen?
Mittlerweile glaube ich eigentlich nicht mehr daran, dass es eine Lösung gibt. Am Ende dieses Tunnels ist kein Licht zu erkennen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt ein Ende hat.
Die ganze Geschichte ist so dermaßen außer Kontrolle geraten, dass ich nicht weiß, woher ich die Hoffnung nehmen soll, dass das alles irgendwie noch gut ausgehen könnte. Während ich hier mit diesem Detektiv spreche, den ich im Internet gefunden habe, dreht meine Freundin im Obergeschoss langsam, aber sicher durch.
Laylas Schreie werden lauter, als würde sie spüren, dass ich gerade an sie denke. Das hölzerne Kopfstück des Betts knallt mehrmals gegen die Wand. Das Wummern erfüllt das riesige leere Gebäude mit einem unheimlichen Echo.
»Also.« Der Mann sieht mich an. »Wo möchten Sie anfangen?« Er scheint sich nicht irritieren zu lassen, aber ich habe Zweifel, ob ich es schaffe, das zu ignorieren, was von oben zu uns herabdringt. Schließlich bin ich derjenige, der Layla das alles antut. Bei jedem Geräusch zucke ich zusammen.
»Wie wär’s, wenn Sie mir erst mal schildern, wie Sie beide sich kennengelernt haben?«, schlägt der Mann vor.
Ich zögere. Was hat es für einen Sinn, Fragen zu beantworten, die uns in der Sache konkret nicht weiterbringen werden? Aber dann fange ich doch an zu erzählen, weil es immer noch besser ist, meine eigene Stimme zu hören, als Laylas erstickte Schreie.
»Wir haben uns letzten Sommer hier in diesem Haus kennengelernt. Damals war es noch ein Bed and Breakfast, in dem Familienfeiern ausgerichtet wurden. Ich war Bassist in der Band, die auf der Hochzeitsfeier ihrer Schwester gespielt hat.«
Der Mann lehnt sich zurück und mustert mich schweigend. Keine Ahnung, was ich noch erzählen soll. Will er Einzelheiten wissen? »Hören Sie, inwiefern hat unser Kennenlernen etwas mit dem zu tun, was hier passiert?«
Er schüttelt den Kopf, dann beugt er sich vor und verschränkt die Arme auf der Tischplatte. »Möglicherweise gar nichts. Aber genau deswegen bin ich hier, Leeds. Ich suche nach Hinweisen. Bitte erinnern Sie sich an Ihre allererste Begegnung mit Layla zurück. Was hatte sie an? Was haben Sie in dem Moment gerade gemacht? Was waren die ersten Worte, die sie an Sie gerichtet hat? Ist einem von Ihnen beiden irgendetwas Ungewöhnliches an diesem Haus aufgefallen? Je mehr Informationen Sie mir geben können, desto besser. Kein Detail ist zu winzig oder zu unwichtig.«
Ich stütze die Ellbogen auf den Tisch und presse mir beide Hände auf die Ohren. Layla so verzweifelt zu hören, ist unerträglich. Ich liebe sie und weiß nicht, wie ich erklären könnte, warum ich sie liebe und gleichzeitig diesem Martyrium aussetze.
Besser nicht daran denken, wie perfekt alles angefangen hat. Daran zu denken, verstärkt nur mein schlechtes Gewissen, weil es meine Schuld ist, dass alles jetzt so endet.
Ich schließe die Augen und rufe mir unseren ersten Abend in Erinnerung. Als alles noch einfacher war. Als wir noch in seliger Ahnungslosigkeit lebten.
»Sie hat grauenhaft getanzt«, sage ich zu dem Mann. »Das war das Erste, was mir an ihr aufgefallen ist …«
Sie tanzt grauenhaft.
Das ist das Erste, was mir von der Bühne aus auffällt, als ich auf unser immer weiter zusammenschrumpfendes Publikum schaue.
Das Mädchen wedelt unkoordiniert mit ihren langen Armen und zerstampft mit ihren nackten Füßen brutal das Gras, was gar nicht zu der ruhigen Melodie passt. Sie wirft den Kopf hin und her und schleudert ihre zerzausten dunklen Locken, als würde sie zu einem Heavy-Metal-Song headbangen.
Lustigerweise spielt die Band aber gar keinen Metal, sondern Modern Country. Lahmen Modern Country. Ein Set voller richtig beschissener Songs, die ich mir niemals freiwillig anhören und am liebsten auch nicht spielen würde.
Es ist Garretts Band.
Garretts Band. So heißt sie tatsächlich. Ein originellerer Name ist Garrett nicht eingefallen. Ich bin seit knapp zwei Jahren als inoffizielles viertes Mitglied dabei und spiele Bass. Nicht den coolen Standbass, der als ernsthaftes Musikinstrument anerkannt ist, sondern E-Bass – weithin unterschätzt und so unauffällig, dass er von den meisten Leuten gar nicht wahrgenommen wird. Als Bassist ist man quasi unsichtbar, was mir aber nur recht ist.
Nach meinem Studium an der Belmont School of Music hatte ich eigentlich vor, es als Singer-Songwriter zu versuchen. Dass ich selbst Songs schreibe, heißt aber nicht, dass ich irgendwas mit denen von Garrett zu tun habe. Abgesehen davon, dass er sich gar nicht von mir helfen lassen würde, haben wir einen komplett unterschiedlichen Musikgeschmack. Ich hebe mir meine Songs für den Tag auf, an dem ich genug Mumm habe, um ein Soloalbum aufzunehmen.
Garretts Band hat es in letzter Zeit zu einiger Bekanntheit gebracht, aber obwohl wir häufiger auftreten und dadurch natürlich auch mehr einnehmen, ist meine Gage die gleiche geblieben. Ich hab schon oft überlegt, ob ich die anderen darauf ansprechen soll, es bisher aber immer rausgeschoben. Sie brauchen die Kohle nötiger als ich. Außerdem würden sie mir dann womöglich anbieten, offiziell in die Band einzusteigen, und ehrlich gesagt finde ich die Musik so grottig, dass es mir peinlich ist, überhaupt mit ihnen hier zu stehen.
Jeder Auftritt frisst ein Stück von meiner Seele auf. Hier ein Happen, da ein Happen … Wenn ich so weitermache, bleibt am Ende nichts als Körper von mir übrig.
Schwer zu sagen, was mich überhaupt bei der Band hält. Als ich damals als Bassist eingesprungen bin, war das nie als dauerhafter Job geplant, aber aus irgendeinem Grund schaffe ich es nicht, den Arsch hochzukriegen und mein eigenes Ding zu machen.
Geld war für mich nie ein Thema. Mein Vater ist gestorben, als ich achtzehn war. Er hatte eine hohe Lebensversicherung zugunsten meiner Mutter und mir abgeschlossen und hat uns außerdem seine kleine Firma hinterlassen, die auf die Installation und Wartung von Internetanschlüssen spezialisiert ist. Der Betrieb ist ein Selbstläufer, und unseren Angestellten ist es lieber, wenn ich mich gar nicht erst einmische und womöglich etwas an der Routine ändere, die seit Jahren erfolgreich funktioniert. Also halten meine Mutter und ich uns aus dem Business raus und beschränken uns darauf, von den Einkünften zu leben.
Natürlich bin ich dankbar, finanziell abgesichert zu sein, aber stolz bin ich darauf nicht. Irgendwie denke ich, die Leute würden den Respekt vor mir verlieren, wenn sie wüssten, dass ich nicht arbeiten muss. Vielleicht erklärt das ja, warum ich nach wie vor bei der Band bin. Ich verbringe den größten Teil meines Lebens im Tourbus, habe selten richtig frei und komme spät ins Bett. Gut möglich, dass ich das unterbewusst als eine Art gerechten Ausgleich betrachte – so als würde ich mir das Vermögen auf meinem Bankkonto durch diese masochistische Quälerei eben doch irgendwie verdienen.
Keine Ahnung, was mit dem Mädchen los ist. Ist sie vielleicht betrunken oder auf Drogen? Könnte es sein, dass sie sich mit ihrer gruseligen Tanzeinlage über die gruselige Musik lustig macht? Aber auch ohne zu wissen, warum sie rumzappelt wie ein Fisch auf dem Trockenen, bin ich ihr total dankbar für das Unterhaltungsprogramm. Ich merke sogar, dass ich beim Spielen vor mich hingrinse, was ich seit Urzeiten nicht mehr getan habe. Und das, obwohl es mir vor diesem Job heute Abend total gegraut hat.
Vielleicht ist es die Stimmung auf dieser in den letzten Zügen liegenden Hochzeitsfeier in diesem abgeschiedenen Bed and Breakfast irgendwo im Nirgendwo. Neunzig Prozent der Gäste sind bereits abgereist oder haben sich ins Bett verabschiedet und der klägliche Rest interessiert sich nicht für uns. Vielleicht sind es die Grashalme in den Locken des Mädchens und die grünen Flecken auf ihrem Kleid, die sie sich geholt hat, weil sie allein während des letzten Songs dreimal das Gleichgewicht verloren und sich längs hingelegt hat. Es könnte auch damit zu tun haben, dass ich mir nach der Trennung von meiner letzten Freundin vor sechs Monaten von Frauen erst mal ganz bewusst eine Auszeit genommen habe.
Vielleicht ist es ja auch eine Kombination aus allem – Fakt ist, dass ich die Augen nicht von ihr lassen kann. Okay, so wahnsinnig überraschend ist das jetzt auch wieder nicht, weil sie trotz der verlaufenen Wimperntusche und den verschwitzt in der Stirn klebenden Haaren definitiv das hübscheste Mädchen auf der Party ist. Überraschend ist eher, dass ich der Einzige zu sein scheine, der sich für sie interessiert. Die wenigen übrig gebliebenen Gäste stehen mit dem frisch verheirateten Paar am Pool, während wir den letzten Song des Abends runterschrammeln.
Als er zu Ende ist und wir zusammenpacken, macht meine grauenhafte Tänzerin keine Anstalten zu gehen. Ich höre, wie sie »Zu-ga-be!« ruft, lege meinen Bass in das Case und klappe es schnell zu. Falls ich Glück habe, ist sie nachher noch da, wenn wir unser Zeug im Bus verstaut haben.
Wir haben uns hier zu viert zwei Zimmer für heute Nacht genommen. Es sind elf Stunden Fahrt zurück nach Nashville, und keiner von uns hatte Bock, sich nach Mitternacht noch hinters Steuer zu klemmen.
Als Garrett die Bustür zuschiebt, kommt der Bräutigam auf ihn zu und lädt uns noch auf einen Drink ein. Normalerweise würde ich mich jetzt ausklinken, aber das lustige Mädchen geht mir nicht aus dem Kopf. Vielleicht ist sie ja auch noch irgendwo. Sie hat was echt Besonderes an sich. Und ich fand es sehr beruhigend, dass sie bei keinem einzigen Song mitgesungen hat. Ich glaube nicht, dass ich eine Frau ernst nehmen könnte, die auf Garretts Musik steht.
Schließlich entdecke ich sie im Pool, wo sie sich – immer noch in ihrem cremeweißen Brautjungfernkleid mit den Grasflecken – auf dem Rücken treiben lässt.
Ich hole mir ein Bier, schlendere zum tiefen Ende, ziehe meine Schuhe aus und lasse die Beine ins Becken baumeln, ohne die Jeans hochzukrempeln.
Die kleinen Wellen, die an meiner Seite des Pools entstehen, erreichen sie irgendwann, aber sie reagiert nicht. Entweder merkt sie nichts oder es interessiert sie einfach nicht, wer sich zu ihr gesetzt hat. Sie starrt unverwandt zum Nachthimmel hoch, reglos und still wie ein Stück Treibholz. Das absolute Gegenprogramm zu der Nummer, die sie eben vor der Bühne abgezogen hat.
Ich beobachte sie ein paar Minuten lang, dann schließt sich das Wasser über ihr und sie sinkt in die Tiefe. Als sie ihre Arme ein paar Sekunden später nach oben reckt und ihr Kopf wieder durch die Oberfläche bricht, schaut sie direkt zu mir rüber, als hätte sie die ganze Zeit gewusst, dass ich da bin.
Sie hält sich mit trägen Hand- und Fußbewegungen über Wasser und treibt in meine Richtung, bis sie direkt vor meinen Beinen ist und zu mir hochschaut. Der Mond in meinem Rücken spiegelt sich in ihren Augen wie zwei kleine Glühbirnen.
Von der Bühne aus dachte ich, sie wäre hübsch. Aber jetzt aus etwa einem Meter Entfernung erkenne ich, dass sie das schönste Wesen ist, das ich je gesehen habe. Volle, rote Lippen, ein zart geschwungener Kiefer, der in mir sofort den Wunsch weckt, ihn mit dem Zeigefinger nachzuzeichnen. Augen so grün wie der Rasen rings um den Pool. Am liebsten würde ich zu ihr ins Wasser gleiten, aber ich habe mein Handy in der Jeanstasche und eine halbvolle Dose Bier in der Hand.
»Schaust du dir manchmal auf YouTube diese Videos von Leuten an, die innerlich sterben?«, fragt sie.
Ich habe keine Ahnung, wovon sie redet, aber das spielt keine Rolle, weil ich alles umwerfend finden würde, was aus ihrem Mund kommt. Ihre Stimme ist zart und hell, als würden die Worte aus ihrer Kehle schweben.
»Nein«, antworte ich.
Sie ist ein bisschen außer Atem von der Anstrengung, sich über Wasser zu halten. »Ich meine diese Zusammenschnitte von Leuten, denen irgendwelche superpeinlichen Sachen passieren. Wenn die Kamera im allerschlimmsten Moment auf ihr Gesicht zoomt, sehen sie immer aus, als würden sie gerade innerlich sterben.«
Sie wischt sich mit beiden Händen das Wasser aus den Augen. »So hast du vorhin auf der Bühne ausgesehen. Als würdest du innerlich sterben.«
Mir ist gar nicht aufgefallen, dass sie so oft Richtung Bühne geschaut und mich angesehen hat, dass sie jetzt so treffsicher in Worte fassen kann, wie ich mich – jedes verdammte Mal – fühle, wenn ich diese unsäglichen Songs spielen muss.
»Ich bin innerlich längst tot«, sage ich. »Ich bin schon beim ersten Gig gestorben, den ich mit dieser Band gespielt habe.«
»Das hab ich mir gedacht. Wie hat dir meine Performance gefallen? Ich hab versucht, dich ein bisschen aufzumuntern.«
Ich nicke und trinke einen Schluck Bier. »Hat geklappt.«
Sie lächelt und lässt sich wieder unter Wasser sinken. Als sie hochkommt, streicht sie sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht und sagt: »Hast du eine Freundin?«
»Nein.«
»Einen Freund?«
»Nein.«
»Eine Frau?«
Ich schüttle den Kopf.
»Hast du wenigstens Freunde?«
»Nicht wirklich«, gebe ich zu.
»Geschwister?«
»Einzelkind.«
»Scheiße. Du bist allein.«
Noch so eine Einschätzung, mit der sie ins Schwarze trifft. Wobei das Alleinsein in meinem Fall ein selbstgewählter Zustand ist.
»Wer ist der wichtigste Mensch in deinem Leben?«, fragt sie. »Elternteile gelten nicht.«
»Aktuell?«
Sie nickt. »Ja. Jetzt in diesem Moment. Wer ist dir am wichtigsten?«
Ich denke über die Frage nach, und mir wird klar, dass es da außer meiner Mutter niemanden gibt. Mit den Jungs aus der Band habe ich kaum Gemeinsamkeiten, sie sind bloß Arbeitskollegen. Wenn Elternteile nicht gelten, fällt mir nur ein Mensch ein, der mir im Augenblick wichtig ist.
»Ich schätze, das bist du«, sage ich.
Das Mädchen legt den Kopf schräg und verengt die Augen. »Das ist irgendwie traurig.« Sie zieht die Füße an, stößt sich zwischen meinen Beinen von der Wand ab und schwimmt ein Stück von mir weg. »Dann sollte ich vielleicht dafür sorgen, dass du heute einen schönen Abend hast.« Ihr Lächeln ist verführerisch … einladend.
Ich akzeptiere die Einladung und lege mein Handy neben die leere Bierdose auf die Betonumrandung. Die Jeans behalte ich an, ziehe aber das Shirt aus und bemerke, dass sie mich betrachtet, als ich mich in den Pool gleiten lasse.
Jetzt sind wir auf Augenhöhe und, verdammt, irgendwie ist sie gerade noch mal schöner geworden.
Wir umkreisen uns langsam, ohne uns zu berühren, obwohl klar ist, dass wir es beide wollen.
»Und wer bist du?«, fragt sie.
»Der Bassist.«
Ihr Lachen ist das Gegenteil von ihrer zarten Stimme. Es ist spontan und kräftig und gefällt mir vielleicht sogar noch besser.
»Okay, wie heißt du?«, formuliert sie ihre Frage um.
»Leeds Gabriel.« Wir umschwimmen uns immer noch in einem engen Radius. Sie legt den Kopf schräg, als würde sie nachdenken.
»Leeds Gabriel klingt mehr nach Frontmann. Warum spielt du bei jemand anderem in der Band?« Aber sie wartet nicht auf meine Antwort, sondern fragt: »Bist du nach der Stadt in England benannt?«
»Ja. Und wie heißt du?«
»Layla.« Sie flüstert, als würde sie mir ein Geheimnis verraten. Der Name ist perfekt. Ich wüsste nicht, welcher Name besser zu ihr passen könnte.
»Layla?«, höre ich in dem Moment eine Frauenstimme. »Mund auf.« Ich werfe einen Blick über die Schulter und sehe hinter mir am Beckenrand die Braut stehen. Sie beugt sich vor und hält Layla etwas hin.
Layla schwimmt zu ihr, öffnet den Mund, und die Braut legt ihr eine weiße Pille auf die Zunge, die Layla runterschluckt. Keine Ahnung, was das war, aber es sah verdammt sexy aus.
Layla entgeht anscheinend nicht, dass ich wie hypnotisiert auf ihren Mund starre. »Leeds will auch eine«, sagt sie und streckt die Hand nach einer weiteren Pille aus. Die Braut gibt sie ihr und geht wortlos wieder. Ich frage nicht, was das für ein Zeug ist. Es ist mir egal. Auch wenn wir uns gerade erst kennengelernt haben, finde ich sie schon jetzt so unwiderstehlich, dass ich mehr als bereit bin, ihren Romeo zu spielen und ungefragt jedes Gift zu nehmen, das sie mir anbietet.
Ich öffne den Mund. Ihre Finger sind nass, und als sie die Pille auf meine Zunge legt, hat sie sich schon etwas aufgelöst. Sie ist bitter und hart. Schwierig zu schlucken, so ohne Zuckerglasur oder ein Glas Wasser, aber ich kaue ein bisschen und kriege sie runter.
»Und gestern, wer war da der wichtigste Mensch in deinem Leben?«, fragt Layla. »Bevor du mich getroffen hast?«
»Ich.«
»Dann hab ich dich also von Platz eins verdrängt?«
»Sieht so aus.«
Layla dreht sich so elegant und mühelos auf den Rücken, als würde sie mehr Zeit im Wasser verbringen als an Land. Die Arme seitlich ausgestreckt sieht sie wieder in den Himmel. Ihre Brust hebt sich, als sie einen tiefen Atemzug macht.
Ich schwimme an den Beckenrand und halte mich rücklings an der Kante fest. Mein Herz schlägt schneller. Mein Blut fühlt sich flüssiger an.
Keine Ahnung, was für eine Droge das war, wahrscheinlich Ecstasy oder irgendwas anderes Aufputschendes, jedenfalls haut sie voll rein. Ich nehme mit plötzlich gesteigerter Deutlichkeit alles wahr, was in meinem Inneren vor sich geht. Mein Herz fühlt sich angeschwollen an, als wäre in meinem Brustkorb nicht mehr genug Platz dafür.
Layla lässt sich weiter auf dem Rücken treiben, ist mir jetzt aber ganz nah. Ihr Gesicht befindet sich auf Höhe meiner Brust. Würde ich mich ein Stück vorbeugen, würde sie nicht mehr den Himmel sehen, sondern mich.
Scheiße, das Zeug ist krass.
Ich fühle mich gut.
Ich bin voller Selbstvertrauen.
Das Wasser um uns herum ist glasklar und so ruhig, dass esaussieht, als würde Layla in der Luft schweben. Sie hat die Augen geschlossen, aber als sie mit dem Kopf an meine Brust stößt, schlägt sie sie auf und schaut zu mir hoch, als würde sie irgendetwas von mir erwarten.
Also tue ich was.
Ich beuge mich gerade weit genug vor, um meinen Mund sanft auf ihren zu legen. Wir küssen uns verkehrt herum, ihre Unterlippe zwischen meine Lippen. Die Berührung wirkt wie eine weiche Explosion, entzündet in jedem Quadratmillimeter meiner Haut versteckte Minenfelder. Unser Kuss fühlt sich faszinierend fremdartig an, weil Layla immer noch auf dem Rücken treibt. Ich lasse meine Zunge in ihren Mund gleiten, fühle mich aber aus irgendeinem Grund zu unwürdig, sie zu berühren, und nehme meine Arme deshalb nicht vom Beckenrand.
Layla hält ihre weiter ausgestreckt; das Einzige, was sie bewegt, sind ihre Lippen. Es gefällt mir, dass wir uns das erste Mal so verkehrt herum küssen, weil das meine Vorfreude darauf, wie es sich anfühlt, wenn wir uns richtig herum küssen werden, enorm steigert. Ohne diese Droge – was auch immer das für eine Pille war, die die Braut uns gegeben hat – will ich nie mehr küssen. Mein Herz zieht sich mit jedem Schlag auf die Größe eines Pennys zusammen, um sich danach wieder zu einer Basstrommel aufzupumpen.
Es schlägt nicht im gewohnten Rhythmus. Das ist kein gleichmäßiges Bu-Bum Bu-Bum Bu-Bum Bu-Bum mehr. Es ist mehr ein Pling und ein BOOOOM.
Pling BOOOOM, Pling BOOOOM, Pling BOOOOM.
Ich kann Layla nicht weiter so küssen. Dass sich unsere Lippen nicht perfekt ineinanderfügen, macht mich wahnsinnig. Mein Mund sehnt sich nach exakter Passung. Ich umfasse ihre Taille, drehe sie zu mir und ziehe sie an mich. Sie schlingt die Beine um meine Hüften, nimmt die Hände aus dem Wasser und packt mich am Hinterkopf, was bedeutet, dass nur noch ich sie über Wasser halte. Weil ich aber damit beschäftigt bin, meine Hände über ihren Rücken gleiten zu lassen, sinken wir beide in die Tiefe, und keiner von uns tut etwas dagegen. Unsere Münder verschmelzen miteinander, bevor wir untergehen. Zwischen unsere Lippen passt nicht einmal der kleinste Wassertropfen.
So ineinander verschlungen sinken wir bis an den Grund des Pools. Als wir unten sind, öffnen wir die Augen gleichzeitig und lösen uns voneinander, um uns anzusehen. Laylas Haare treiben um ihr Gesicht und sie sieht aus wie ein versunkener Engel.
Ich würde gern ein Foto von ihr machen.
Luftblasen füllen den Raum zwischen uns und wir stoßen uns beide wieder nach oben.
Ich breche als Erster durch die Wasseroberfläche. Dann sie. Wir sehen uns an, strecken die Hände nacheinander aus, hungern danach, uns weiterzuküssen. Unsere Münder suchen Kontakt, aber sobald ich das Chlor an ihren Lippen schmecke, ertönen Beifallrufe und Pfiffe.
Ich höre Garretts Stimme aus denen der anderen heraus, die unseren Kuss johlend von ihren Plätzen am Pool aus kommentieren. Layla sieht hinter sich und zeigt ihnen den Mittelfinger.
Sie löst sich von mir und schwimmt zur Seite. »Lass uns abhauen«, sagt sie und stemmt sich aus dem Wasser. Diesmal haben ihre Bewegungen nichts Elegantes. Sie zieht sich schwerfällig hoch und muss sich seitlich auf den Beton wälzen, um aus dem Becken zu kommen. Unbeholfen und perfekt.
Ich mache es ihr nach, und im nächsten Moment rennen wir lachend über den Rasen ums Haus herum, wo es dunkel ist und wir für uns sind. Das Gras unter meinen nackten Füßen fühlt sich weich und kalt an. Irgendwie hat es was von Eis, aber von … geschmolzenem Eis. Was es theoretisch dann wohl zu Wasser macht, aber so fühlt es sich nun mal nicht an, sondern wie geschmolzenes Eis.
Es ist schwierig, Empfindungen unter Drogeneinfluss zu erklären.
Layla greift nach meiner Hand, lässt sich auf den geschmolzenen Eisrasen fallen und zieht mich mit sich hinunter. Ich stütze mich rechts und links von ihr auf die Ellbogen, um sie nicht mit meinem Gewicht zu erdrücken, und schaue einen Moment lang einfach nur stumm auf sie herab. Sie hat Sommersprossen. Nicht viele, aber sie sprenkeln ihre Nase. Ein paar entdecke ich auch auf ihren Wangen. Ich streiche ihr übers Gesicht. »Warum bist du so hübsch?«
Sie lacht. Zu Recht. Das klang echt schmalzig.
Sie wälzt sich mit mir herum, bis ich auf dem Rücken liege, und zieht ihr Kleid höher, damit sie sich auf mich setzen kann. Ihre Schenkel saugen sich an meinen Rippen fest, weil wir beide tropfnass sind. Ich lege die Hände um ihre Hüften, schließe die Augen und nehme die Intensität dieses Rauschs tief in mich auf.
»Weißt du, warum sie das Haus hier Corazón del País genannt haben?«, fragt sie.
Weil ich es nicht weiß, schüttle ich den Kopf und hoffe auf eine lange Erklärung, damit ich sie noch länger reden höre. Ich könnte ihr stundenlang zuhören. Vorhin habe ich gesehen, dass es drinnen einen Salon gibt, an dessen Wänden Regale mit Hunderten von Büchern stehen. Sie könnte mir die ganze Nacht daraus vorlesen.
»Das heißt übersetzt das Herz des Landes«, sagt Layla und ihre Augen strahlen, genau wie ihre Stimme. »Das hier – also das Grundstück – ist buchstäblich die geografische Mitte der kontinentalen Vereinigten Staaten.«
Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, was vielleicht daran liegt, dass ich mir gerade meines eigenen Herzschlags so bewusst bin. »Aber das Herz liegt nicht wirklich in der Mitte vom Körper. Das wäre doch eher der Bauch, oder?«
Sie lacht wieder ihr umwerfendes Lachen. »Stimmt. Aber Estomago del País klingt nicht so poetisch.«
Wow. »Du kannst Französisch?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Spanisch war.«
»Egal, es klang jedenfalls verdammt sexy.«
»Ich hatte in der Highschool Spanisch«, sagt sie. »Aber nur ein Jahr lang. Andere versteckte Talente habe ich nicht. Sorry, du kriegst bloß das, was du hier vor dir siehst.«
»Sei nicht so bescheiden.« Ich drehe mich mit ihr, bis sie wieder unter mir liegt, umfasse ihre Handgelenke und drücke sie ins Gras. »Du bist eine sehr talentierte Tänzerin.«
Sie lacht. Ich küsse sie.
Mehrere Minuten lang.
Wir tun mehr als küssen. Wir berühren uns. Wir bewegen uns. Wir stöhnen.
Das alles ist so überwältigend, dass es sich beinahe wie eine Überdosis anfühlt … als wäre ich kurz davor zu sterben. Gut möglich, dass mein Herz gleich explodiert. War vielleicht doch keine so gute Idee, Sex mit einer so unglaublichen Frau und Drogen zu kombinieren. Wenn Layla sich auch nur noch eine Sekunde länger so an mich schmiegt, die Beine um meine Hüften geschlungen, verliere ich das Bewusstsein, weil ich einfach zu viel spüre. Es ist, als wären meinen Nervenenden zusätzlich noch mal lauter unendlich verästelte Nervenenden gewachsen. Ich nehme alles mit doppelter Intensität wahr.
»Ich brauche eine Pause«, flüstere ich und schiebe sie sanft von mir. »Verdammt, was war das für ein Zeug, das wir da genommen haben? Mir wird schwindelig.« Ich drehe mich auf den Rücken und ringe nach Luft.
»Du meinst das Zeug, das meine Schwester dir gegeben hat?«
»Die Braut ist deine Schwester?«
»Ja. Aspen. Sie ist drei Jahre älter als ich.« Layla stützt sich auf die Ellbogen. »Warum? Findest du es gut?«
Ich nicke. »Ja, der Hammer.«
»Ganz schön intensiv, was?«
Ich verdrehe die Augen. »Fuck, ja.«
»Das gibt Aspen mir immer, wenn ich zu viel getrunken habe.« Sie beugt sich zu mir runter und bringt ihren Mund dicht an mein Ohr. »Es heißt Aspirin.« Als sie sich zurücklehnt und die Verwirrung auf meinem Gesicht sieht, grinst sie. »Hast du etwa gedacht, du wärst high?«
Warum sollte ich mich sonst so fühlen, wie ich mich fühle?
Ich setze mich auf. »Das war kein Aspirin.«
Layla lässt sich lachend auf den Rücken fallen und zeichnet ein Kreuz auf ihre Brust. »Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, du hast dir Aspirin eingeworfen.« Sie lacht so heftig, dass sie nach Atem ringen muss. Als sie wieder Luft bekommt, seufzt sie tief auf und ist einfach so zauberhaft, dass … Hab ich eben ernsthaft zauberhaft gesagt?
Layla schüttelt den Kopf und sieht lächelnd zu mir auf. »Das ist keine Droge, die dich das fühlen lässt, Leeds.« Sie rappelt sich aus dem Gras hoch, geht Richtung Haus, und ich gehe ihr hinterher, weil … Verdammt, falls das wirklich nur Aspirin war, hat es mich echt erwischt.
Aber so was von.
Ich wusste nicht, dass ein anderer Mensch solche Gefühle in mir erzeugen kann, ohne dass irgendwelche berauschenden Substanzen durch meine Adern gepumpt werden.
Layla geht nicht die Treppe hoch zu den Zimmern, sondern in den Salon, in dem die Bücher stehen und der Flügel. Als ich hinter ihr in den Raum gekommen bin, dreht sie sich um und schließt ab.
Wir stehen uns gegenüber, und sie schaut auf die Wasserlache, die sich um meine nackten Füße sammelt. Aus meiner Jeans und ihrem Kleid tropft es aufs Parkett.
»Die Böden sind richtig alt«, sagt sie. »Die müssen wir mit Respekt behandeln.« Sie zieht sich ihr klitschnasses Kleid über den Kopf und steht in dem dämmerig beleuchteten Raum in nichts als BH und Slip vor mir. Der BH ist weiß, das Höschen grün-schwarz kariert. Ich finde es total cool, dass sie beim Anziehen nicht darüber nachgedacht hat, ob die Sachen zusammenpassen.
Ich bewundere ihre Rundungen, vor allem aber, dass sie sich mir so unverkrampft halb nackt zeigt, ohne den Versuch zu machen, irgendetwas von sich zu verstecken.
Meine Ex hatte einen Body, mit dem sie Supermodels Konkurrenz hätte machen können, hat sich in ihrem Körper aber nicht wohlgefühlt. Das hat sich irgendwie auf mich übertragen und mich nach einiger Zeit echt gestört. Egal, wie schön sie war – wenn ich sie anschaute, habe ich vor allem ihre Unzufriedenheit mit sich selbst gesehen.
Layla strahlt ein natürliches Selbstvertrauen aus, das sie ganz unabhängig von ihrem Aussehen immer wunderschön wirken lassen würde.
Um das Parkett nicht zu ruinieren, ziehe ich auch meine Jeans aus und lasse nur meine Boxershorts an. Layla legt unsere nassen Klamotten auf einen Perserteppich, der wahrscheinlich noch kostbarer ist als der Boden, aber … okay.
An der Wand neben dem Flügel steht eine abgewetzte Ledercouch, auf die ich mich am liebsten mit Layla legen würde, um mich in ihr zu verlieren, aber sie hat andere Pläne. Sie zieht die Klavierbank hervor und setzt sich. »Kannst du auch singen?«, fragt sie und schlägt ein paar Tasten an.
»Ja.«
»Warum singst du dann nicht in der Band?«
»Es ist Garretts Band. Er hat mich nie gefragt.«
»Garrett? Ist das der Sänger?«
»Ganz genau.«
»Ist er so schrecklich wie seine Songtexte?«
Ich muss lachen. Ich schüttle den Kopf und setze mich zu ihr auf die Bank. »Er ist ziemlich schrecklich, aber nicht so schlimm wie seine Texte.«
Layla schlägt das eingestrichene c an. »Ist er neidisch auf dich?«, fragt sie.
»Warum sollte er? Ich bin nur der Bassist.«
»Er hat nicht das Zeug zum Leadsänger. Du schon.«
»Das ist eine ziemlich gewagte Behauptung. Du hast mich noch nie singen gehört.«
»Das macht nichts. Du könntest furchtbar singen und trotzdem würde neben dir jeder andere auf der Bühne verblassen.«
»So wie alle anderen neben dir verblassen, wenn du tanzt?«
»Ich war die Einzige, die getanzt hat.«
»Siehst du. Das ist mir nicht mal aufgefallen.«
Sie beugt sich so weit zu mir rüber, dass ich denke, sie will mich küssen, hält aber im letzten Moment dicht vor meinem Mund inne und sagt: »Spiel was für mich.« Dann steht sie auf, geht zur Couch und legt sich darauf. »Spiel einen Song, der dieses Flügels würdig ist.«
Layla überkreuzt die Füße, lässt einen Arm über die Kante der Ledercouch baumeln und streicht mit den Fingerspitzen über das Parkett, während sie darauf wartet, dass ich anfange – aber ich kann mich einfach nicht an ihr sattsehen. Ich bezweifle, dass es auf diesem Planeten noch eine Frau gibt, die ich so lange ohne zu blinzeln anschauen wollen würde. So lange, bis meine Augäpfel austrocknen. Ihr Blick ist erwartungsvoll.
»Und wenn dir meine Musik nicht gefällt?«, frage ich. »Darf ich dich dann nachher trotzdem noch mal küssen?«
Sie lächelt. »Bedeutet dir der Song etwas?«
»Ich habe ihn mit Splittern meiner Seele geschrieben.«
»Dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagt sie ruhig.
Ich drehe mich auf der Bank herum und lege die Finger auf die Tasten, zögere aber noch einen Moment, bevor ich den ersten Ton anschlage. Ich habe diesen Song noch nie jemandem vorgespielt. Der einzige Mensch, für den ich ihn je hätte singen wollen, ist mein Vater, und der lebt nicht mehr. Sein Tod war der Grund, warum ich ihn überhaupt geschrieben habe.
Wenn ich mit Garrett auf der Bühne stehe und seine Songs begleite, habe ich nie Lampenfieber, aber das hier ist was anderes. Das hier ist persönlich … und obwohl mein Publikum nur aus einer einzigen Person besteht, fühlt es sich an, als wäre es der wichtigste Auftritt meines Lebens.
Ich atme tief ein und lasse die Luft langsam ausströmen, bevor ich zu spielen beginne.
That night I stopped believing in heaven
I can’t believe in a god that cruel
Can you?
That night I stopped praying on my knees
But I don’t pray standing either
Do you?
That night I closed the door and closed the window I’ve been sitting in the dark
Are you?
That night I learned happiness is a fairy tale
A thousand pages read aloud
By you
That night I stopped believing in God
You were ours, he didn’t care, he
Took you
So that night I stopped …
I stopped …
I just
Stopped.
That night I stopped.
I stopped.
I just stopped.
That night I stopped.
I …
Als ich den letzten Ton gespielt habe, falte ich die Hände im Schoß. Ich zögere, mich umzudrehen und Layla anzusehen. Es ist still im Raum, nachdem die letzte Note verklungen ist. So still, als wäre jegliches Geräusch aus dem Haus gesaugt worden. Ich höre Layla nicht mal atmen.
Ich klappe den Deckel des Flügels zu und drehe mich dann langsam auf der Bank um. Layla wischt sich über die Wangen und sieht zur Decke.
»Wow«, flüstert sie. »Das hatte ich nicht erwartet. Es fühlt sich an, als hättest du mir gerade die Brust zugeschnürt.«
So fühle ich mich, seit ich sie heute Abend das erste Mal gesehen habe.
»Der Schluss ist toll.« Sie setzt sich auf der Couch auf und zieht die Beine unter sich. »Dass du einfach mitten im Satz aufhörst, meine ich. Das ist perfekt. Das hat eine Wahnsinnswirkung.«
Ich wusste nicht, ob sie merken würde, dass das tatsächlich so beabsichtigt war, aber dass sie es gemerkt hat, macht mich gleich noch verliebter in sie.
»Wo kann ich den Song finden? Gibt’s den auf Spotify?«
Ich schüttle den Kopf. »Bis jetzt habe ich von meinen eigenen Sachen noch nichts veröffentlicht.«
Layla sieht mich entsetzt an und schlägt mit gespielter Empörung auf die Armlehne der Couch. »Wie bitte? Warum nicht?«
»Ich weiß nicht«, sage ich achselzuckend. Ich weiß es wirklich nicht. »Vielleicht, weil sich in Nashville jeder einbildet, jemand zu sein. Ich will nicht zu denen gehören.«
Sie steht auf, kommt zu mir und drückt meine Schultern zurück, bis ich mit dem Rücken am Flügel lehne, dann setzt sie sich mir zugewandt auf meinen Schoß. Ich sehe zu ihr auf. Layla nimmt mein Gesicht in beide Hände und sieht mich eindringlich an. »Deine Songs für dich zu behalten, ist egoistisch. Besser ein selbstloser Jemand sein als ein selbstsüchtiger Niemand.«
Ich glaube beinahe, dass ich froh sein kann, diesem Mädchen begegnet zu sein.
Wirklich froh.
Ich umfasse ihren Hinterkopf und ziehe sie zu mir, bis ihr Gesicht an meinem ist. Keine Ahnung, was hier gerade passiert. Es ist verdammt lange her, dass mir ein Mädchen so sehr gefallen hat, dass ich mich gefragt habe, wo sie am nächsten Tag wohl sein wird.
Aber bei Layla … Wo wird sie morgen sein? Wo war sie gestern?
Wo fühlt sie sich zu Hause?
Wo ist sie aufgewachsen?
Welcher Mensch ist ihr am wichtigsten?
Ich will das alles wissen. Alles.
Layla unterbricht unseren Kuss. »Aspen hat mich heute Abend gewarnt, als sie gesehen hat, wie du mich angeschaut hast. Sie hat gesagt: ›Versprich mir, dass du dich von den Typen aus der Band fernhältst. Die haben wahrscheinlich alle Chlamydien.‹«
Ich lache. »Und? Hast du ihr versprochen, dich von mir fernzuhalten?«
»Nein. Ich hab gesagt: ›Es macht nichts, wenn er Chlamydien hat. Wahrscheinlich hat er auch Kondome.‹«
»Ich habe keine Chlamydien. Aber Kondome habe ich auch nicht.«
»Das ist okay.« Layla löst sich von mir und steht auf. »Ich hab welche im Zimmer.« Sie dreht sich um und geht zur Tür.
Ich bücke mich nach unseren nassen Sachen und folge ihr aus dem Salon die Treppe hoch. Sie hat mich zwar nicht ausdrücklich dazu aufgefordert, mitzukommen, aber ich gehe davon aus, dass sie es erwartet, weil sie die ganze Zeit weiterredet.
»Es ist eine Weile her, seit ich so was das letzte Mal gemacht habe«, sagt sie über die Schulter. »Die Kondome hab ich nur, weil die bei Aspens Junggesellinnenabschied verteilt worden sind.« Sie bleibt stehen und dreht sich zu mir um. »Ich hätte mir nie vorgestellt, dass das mit dem Sex schwieriger wird, je älter man wird. Als ich noch auf dem College war, hat es sich immer irgendwie von selbst ergeben, aber danach …« Sie dreht mir wieder den Rücken zu und steigt weiter die Treppe rauf. Als wir bei ihrem Zimmer sind, schließt sie auf und ich gehe mit ihr rein. »Das Problem ist, dass ich es total furchtbar finde, mich mit irgendwelchen Typen zu ›offiziellen‹ Dates zu verabreden. Ich meine, wozu? Schlimmstenfalls muss man einen ganzen Abend mit einem Kerl rumbringen, von dem man schon nach den ersten fünf Minuten weiß, dass man mit ihm nur seine Zeit verschwendet.«
Meine Meinung, absolut. Keine Experimente. Ich hab immer davon geträumt, irgendwann einer Frau zu begegnen, bei der es Klick macht und ich mich sofort bereit fühle, mich kopfüber ins große Unbekannte zu stürzen.
Ich weiß noch nicht, ob Layla diese Frau sein könnte, aber vorhin am Grund des Pools hat es sich verdammt so angefühlt. Das war der intensivste Kuss, den ich je erlebt habe.
Layla nimmt mir unsere nassen Klamotten ab, geht damit ins Bad und wirft sie in die Duschkabine. Als sie wieder ins Zimmer kommt, sagt sie: »Du solltest aus der Band aussteigen.«
Ich habe noch nie jemanden wie sie kennengelernt. Mit allem, was sie sagt, haut sie mich um. »Warum?«
»Weil du nicht glücklich bist.«
Damit hat sie recht. Wir gehen zum Bett. »Was machst du denn so beruflich?«, frage ich.
»Ich hab gerade keinen Job. Bin letzte Woche gefeuert worden.«
Sie setzt sich aufs Bett, den Rücken ans Kopfteil gelehnt. Ich gehe zur anderen Seite, strecke mich neben ihr aus und sehe zu ihr auf. Mein Gesicht ist auf Höhe ihrer Hüfte, was eine ungewohnte und sehr erregende Perspektive ist. Ich presse meine Lippen auf ihre Haut. »Warum haben sie dich gefeuert?«
»Sie wollten mir für Aspens Hochzeit nicht frei geben, also bin ich einfach nicht mehr hingegangen.« Sie rutscht ein Stück runter und dreht sich mir zu. »Deine Shorts sind total nass. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn wir uns gleich ganz ausziehen.«
Layla ist sehr direkt, aber das gefällt mir.
Ich fasse sie um die Taille und hebe sie auf mich, wobei ich sie anscheinend so perfekt positioniere, dass sie aufkeucht. Weil ich größer bin als sie, ist mein Gesicht zu weit weg, um sie zu küssen. Sie hat offenbar denselben Gedanken, denn sie krabbelt zu mir hoch, bis sich unsere Lippen treffen.
Viel Stoff trennt uns nicht mehr voneinander, weshalb es nur Sekunden dauert, bis wir nackt sind und dann beinahe den letzten Moment verpassen, in dem man noch an Kondome denkt. Aber wir kennen uns nun mal nicht, weshalb ich warte, während sie im dunklen Zimmer nach ihrer Handtasche sucht. Schließlich hält sie es mir hin und ich streife es über.
»Ich glaube, du hast recht«, sage ich.
»Womit?«
Wir umarmen uns, und sie öffnet die Beine, damit ich dazwischenpasse. »Ich sollte aussteigen.«
Sie nickt zustimmend. »Es würde dich viel glücklicher machen, deine eigene Musik zu spielen, selbst wenn du damit erst mal kein Geld verdienen würdest.«
Sie küsst mich, lehnt sich dann aber noch mal zurück. »Such dir irgendeinen Job, den du halbwegs okay findest. Bring deine Musik nebenbei raus. Besser ein armer erfüllter Mensch sein als ein … armer und leerer Mensch. Eigentlich wollte ich reich und leer sagen, aber reich bist du wahrscheinlich eher nicht, sonst würdest du wohl kaum in dieser Band spielen.«
Ich würde ihr ja sagen, dass ich nicht arm bin, aber zuzugeben, dass ich freiwillig in der Band spiele und nicht aus finanziellem Zwang, ist mir irgendwie peinlich, deshalb lasse ich es.
»Wenn es dir vorherbestimmt ist, arm zu bleiben, ist es auf jeden Fall besser, glücklich arm zu sein«, sagt sie.
Sie hat recht. Ich küsse ihren Hals, ihre Brust und dann wieder ihren Mund. »Ich glaube, ich bin froh, dich kennengelernt zu haben.«
Sie drückt den Kopf tiefer ins Kissen und lächelt zu mir auf. »Glaubst du es oder bist du es?«
»Ich bin es. Ich bin sehr froh, dich kennengelernt zu haben.«
Layla streicht mit den Fingerkuppen über meine Lippen. »Und ich bin sehr froh, dich kennengelernt zu haben.«
Wir verlieren uns wieder in einem Kuss, weil wir wissen, dass wir noch die ganze Nacht vor uns haben. Aber ich habe schon das Kondom übergestreift, und sie bewegt ihr Becken so, dass ich in sie hineingleite. Trotzdem lasse ich mir Zeit. Viel Zeit.
Die Minuten fühlen sich dadurch, dass ich sie mit ihr verbringe, so viel kostbarer an.
Layla liegt auf dem Bauch, und ich zeichne andächtig die sanfte Kurve ihres Rückgrats bis zum Nacken nach und lasse meine Finger durch ihre Locken gleiten.
»Oh Mann, jetzt ein Taco! Das wäre so genial«, sagt sie.
Ich hatte noch nie so sehr das Bedürfnis, in den Kopf eines Mädchens zu kriechen, wie bei Layla. Sie funktioniert anders als alle anderen Menschen, die ich kenne. Bei ihr sitzt kein Filter zwischen Gehirn und Sprechapparat, sie scheint keine Instanz in sich zu haben, die über das urteilt, was sie von sich geben will. Layla spricht einfach aus, was sie denkt. Auch wenn es wehtut.
Bis heute wusste ich nicht, dass brutale Ehrlichkeit so sexy sein kann.
Vor ein paar Minuten habe ich ihr gesagt, dass ich mit ihr gerade den schönsten Sex meines Lebens erlebt habe. Ich habe erwartet, dass sie das Kompliment zurückgibt und auch irgendwas in die Richtung sagt, aber sie hat nur gelächelt und meinte: »Ja, das denkt man immer. Aber bis zum nächsten Mal mit jemand anderem haben wir wieder vergessen, wie schön wir es das letzte Mal fanden, und der Kreislauf beginnt von vorn.«
Ich habe gelacht, weil ich es für einen Witz gehalten habe. Aber es war keiner. Und dann habe ich darüber nachgedacht und festgestellt, dass sie recht hat. Ich hatte mein erstes Mal mit fünfzehn. Damals dachte ich, es wäre das Schönste, was ich je erleben würde. Aber als ich siebzehn war, kam Victoria Jared, mit der ich den besten Sex meines Lebens hatte. Und danach Sarah Kisner und dann das Mädchen, das ich in meinem ersten Collegejahr ins Wohnheim eingeschleust habe, danach gab es noch ein paar andere und zuletzt Sable. Jedes Mal habe ich gedacht, es könnte nicht besser werden.
Keine von ihnen kann es mit Layla aufnehmen, da bin ich mir sicher. So sicher, wie ich mir bei all den Malen vor Layla war.
»Bist du religiös?«, fragt sie.
Ihre Gedanken sind so sprunghaft und intensiv wie das, was sie tut. Ich glaube, genau das fasziniert mich so an ihr. Im einen Moment liegt sie unter mir und schreit meinen Namen, während sie mir ihre Nägel in den Rücken gräbt, im nächsten liegt sie auf dem Bauch und erzählt mir, wie gern sie jetzt Tacos essen würde. Dann vergisst sie die Tacos wieder und will wissen, ob ich religiös bin. Ich finde das großartig. Die meisten Leute sind unglaublich vorhersehbar. Aber bei Layla ist jedes Wort und alles, was sie macht, so, als würde man eine in wunderschönes Geschenkpapier eingepackte Überraschung bekommen.
»Nein. Du?«
»Ich glaube an ein Leben nach dem Tod, aber ich weiß nicht, ob das heißt, dass ich religiös bin«, sagt sie achselzuckend.
»Ich glaube, dass unser Leben auf purem Zufall basiert. Wir sind eine Weile hier und dann weg.«
»Das ist deprimierend«, sagt sie.
»Finde ich gar nicht. Ich will nicht in den Himmel. Allein die Vorstellung …« Ich schüttle mich. »Der Gedanke, bis in alle Ewigkeit an einem Ort leben zu müssen, wo man sich ständig inspirierende Sinnsprüche anhören muss, ist doch viel deprimierender als der, dass mit dem Tod alles vorbei ist.«
»Das ist auch nicht das, was ich meine«, sagt Layla. »Ich stelle mir das Leben nach dem Tod eher wie eine Reihe von … keine Ahnung … verschiedenen Sphären vor. Vielleicht gehört der Himmel auch dazu, vielleicht aber auch nicht.«
»Was für Sphären?«
Sie dreht sich auf die Seite, und als mein Blick auf ihre Brüste fällt und erst mal dort bleibt, scheint sie nichts dagegen zu haben. Im Gegenteil, sie zieht meinen Kopf an ihren Oberkörper und rollt sich auf den Rücken. Ich schließe eine Hand um ihre linke Brust, während sie mir gedankenverloren durch die Haare streicht und weiterredet.
»Na ja, zum Beispiel die neun Monate im Bauch unserer Mutter«, sagt sie. »Das ist eine eigene Sphäre. Als Ungeborene haben wir keine Erinnerungen an eine Zeit davor und wissen nicht, dass es eine Zeit danach geben wird. Unsere Welt besteht nur aus der Fruchtblase, in der wir liegen. Dann werden wir geboren und kommen in die Sphäre, in der wir uns aktuell befinden. Aber jetzt können wir uns nicht mehr daran erinnern, wie es im Bauch unserer Mutter war, und haben keine Vorstellung von dem, was nach diesem Leben kommen wird. Es könnte doch gut sein, dass wir nach unserem Tod wieder in eine andere Sphäre kommen, in der wir uns dann vielleicht nicht mehr an diese hier erinnern, so wie wir jetzt nichts mehr aus der Zeit vor unserer Geburt wissen. Das sind einfach unterschiedliche Bereiche. Von einigen können wir mit Sicherheit sagen, dass es sie gibt, andere sind Glaubenssache. Es könnte noch viel mehr Sphären geben, die wir uns mit unserer begrenzten Fantasie gar nicht vorstellen können. Unendlich viele vielleicht. Ich glaube nicht, dass wir jemals wirklich nicht mehr existieren.«
Irgendwie hat die Idee mit den Sphären was, aber möglicherweise bin ich nur deswegen bereit, mich darauf einzulassen, weil ich gerade Laylas Brustwarze zwischen den Lippen habe. Ich strecke den Arm zum Nachttisch und taste nach einem weiteren Kondom, während ich über ihre Theorie nachdenke. Jedenfalls erscheint mir das Bild mit den unterschiedlichen Sphären definitiv plausibler als das von der Himmelspforte in den Wolken oder der Hölle mit Feuer und Schwefel.
Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass unser Leben mit dem Tod endet und danach nichts mehr kommt.
»Falls du recht hast, finde ich diese Sphäre jetzt gerade eindeutig am schönsten«, sage ich.
Layla öffnet sich für mich und lächelt an meinen Lippen. »Nur weil du gerade mitten drin bist.«
Ich schüttle den Kopf, während ich in sie hineingleite. »Nein, weil ich gerade in dir bin.«
Ich betrachte sie jetzt schon seit ein paar Minuten und wünsche mir, dass sie nicht so bald aufwacht. Ihr ausgestreckter Arm liegt schwer über meiner Brust. Ich möchte, dass dieser Moment noch ein bisschen länger dauert, weil ich weiß, wie One-Night-Stands laufen. Dazu hatte ich oft genug welche. Ich habe mich schon aus einer Menge Betten geschlichen, aber in diesem Bett würde ich gern länger liegen bleiben.
Hoffentlich will Layla auch nicht, dass ich mich davonschleiche.
Bald wird sie die Augen aufmachen, und ich weiß, wie sie sich dann fühlen wird. Wahrscheinlich wird sie ihr Gesicht gegen die Sonne abschirmen und sich zur Seite drehen, während sie sich zu erinnern versucht, wie wir hier gelandet sind. Wer ich bin. Wie sie mich loswerden kann.
Ihre Finger sind das Erste, was sich bewegt. Sie gleiten von meiner Schulter in meinen Nacken, und dann zieht sie mich mit geschlossenen Augen zu sich, um sich an mich zu schmiegen.
Ich bin erleichtert, dass ich ihr nicht fremd bin – dass sie aufwacht und anscheinend genau weiß, wo sie ist und mit wem. Dass sie sich nicht von mir zurückzieht.
»Wie viel Uhr ist es?«, murmelt sie. So früh am Morgen hat ihre Stimme nichts Zartes, sie ist ein heiseres Flüstern und dadurch irgendwie noch sexier.
»Elf.«
Sie schaut zu mir auf, ihre Augen sind leicht geschwollen, die Wimperntusche verschmiert. »Wusstest du, dass elf Uhr die tödlichste Zeit des Tages ist?«
Ich muss lachen. »Echt?«
Sie nickt. »Das hab ich am College gelernt. Rund um elf Uhr vormittags sterben mehr Leute als zu jeder anderen Tageszeit.«
Sie ist der totale Nerd. Und das finde ich toll. »Du bist so merkwürdig.«
»Willst du mit mir duschen?«
Ich grinse. »Unbedingt.«
Eigentlich hatte ich angenommen, dass wir unter der Dusche nicht wirklich duschen würden, aber anscheinend hat Layla es genau so gemeint, wie sie es gesagt hat.
Während ich Shampoo in ihre Haare massiere, stelle ich ihr Fragen, die ich nach einem One-Night-Stand normalerweise nicht stelle. Aber es gibt einfach so vieles, was ich über sie wissen möchte.
»Hast du außer Aspen noch andere Geschwister?«
»Nein, nur sie.«
»Magst du sie?«
»Ob ich sie mag? Ich liebe sie«, sagt Layla. »Okay, in Sachen heiratsfähige Männer haben wir ziemlich unterschiedliche Vorstellungen, aber das ist schon okay. Hauptsache sie ist glücklich.« Sie schaut über die Schulter zu mir. »Weißt du, wie er heißt?«
»Nein? Wie denn?«
»Chad Kyle.«
»Ach komm«, sage ich ungläubig. Der Name klingt wie ausgedacht. »Ernsthaft jetzt?«
»Absolut.«
»Passt der Name zu ihm oder hat er einfach Pech gehabt?«
»Er hat das Pech, dass er leider perfekt zu ihm passt«, sagt Layla. »Er ist ein typischer Chad. Am College war er einer dieser dauerbetrunkenen Angeber-Frat-Boys, jetzt ist er Mitglied im Country Club, fährt einen fetten SUV und hat einen Hund namens Bo.«
»Das erklärt, warum er Garretts Band für seine Hochzeit gebucht hat.« Ich greife nach der Brause und spüle ihr den Schaum aus den Haaren. Nass gehen sie bis zur Mitte ihres Rückens. Ich habe noch nie einem Mädchen die Haare gewaschen und stelle fest, dass ich es gern tue. Das Ganze ist eine ziemlich sinnliche Erfahrung. Ich finde es schön, dass Laylas Kopf perfekt in meine Hand passt. »Dein Hinterkopf ist echt sexy.«
»Wie kann ein Hinterkopf sexy sein?«
Ich lege meine andere Hand über ihre Augen, damit ihr kein Wasser reinläuft. »Keine Ahnung, deiner ist es jedenfalls. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass du du bist.« Als ich fertig bin, stecke ich die Brause in die Halterung zurück. Sie dreht sich mir zu, und ich ziehe sie an mich, während warmes Wasser auf uns niederprasselt. »Das war eine echt schöne Nacht.«
Sie lächelt. »Fand ich auch.«
»Die Band muss in einer halben Stunde auschecken.«
»Ich auch.«
»Wo wohnst du eigentlich?«
»In Chicago«, sagt sie. »Bei meinen Eltern. Nach dem College bin ich wieder nach Hause zurückgezogen. Ich weiß noch nicht, wo ich endgültig landen werde. Definitiv nicht in Chicago.«
»Was magst du nicht an Chicago?«
»Ich mag Chicago. Ich will nur nicht in der Stadt bleiben, in der ich aufgewachsen bin. Am liebsten würde ich die ganze Bandbreite durchprobieren. Großstadt, Land, Haus, Apartment, eine Hütte im Wald …« Sie greift nach ihren Haaren und dreht sie zu einem Strang, um das Wasser herauszupressen. »Wo wohnst du? In Nashville?«
»In der Nähe. Nashville ist superteuer, und ich habe keine Lust, mir die Wohnung mit jemandem zu teilen, deswegen habe ich mir ein Apartment in Franklin gesucht. Warum hat deine Schwester mitten in Kansas geheiratet, wenn ihr aus Chicago kommt?«
»Chad Kyle ist aus Wichita.« Layla schlingt die Arme um meine Hüften, sieht zu mir auf und seufzt. »Ist dir klar, was für ein Glück du hast, ein Mann zu sein? Du siehst nach dem Duschen immer noch genauso aus wie vorher, höchstens sogar noch ein bisschen sexier. Frauen schmelzen in der Dusche in sich zusammen. Platt angeklatschte Haare, verschmierte Wimperntusche und verlaufenes Make-up.«
Sie tut so, als würden die Layla, die ich gestern Abend auf der Party kennengelernt habe, und die, die jetzt vor mir steht, vollkommen unterschiedlich aussehen. Aber wenn es überhaupt einen Unterschied gibt, dann gefällt mir diese Version sogar noch besser. Nackt, die Arme um mich geschlungen, beide Hände an meinem Arsch. Ja, diese Version gefällt mir wirklich verflucht gut. Ich beuge mich zu ihr, küsse ihren Hals und umfasse ihren Po.
Layla legt den Kopf zur Seite, um mir einen besseren Zugang zu ihrem Hals zu bieten. »Ich glaube, ich könnte ein gutes Country Girl abgeben«, sagt sie. »Ernsthaft. Ich würde total gern hier leben. Das Haus und die Umgebung sind paradiesisch. Wäre doch toll, ein Bed and Breakfast zu haben.«
Ich bin kurz verwirrt, weil ich schon gar nicht mehr genau weiß, worüber wir gesprochen haben, aber zum Glück kann sich Layla auf diverse Dinge gleichzeitig konzentrieren, und eines davon bin ich. Sie lehnt sich gegen die Wand, und meine Hände erkunden ihren Körper, meine Lippen streifen über ihre Haut …
»Ich finde es hier wirklich wunderschön«, sagt sie träumerisch. »Diese Zurückgezogenheit. Die Ruhe. Keine Nachbarn. Nur Gäste, mit denen man kurz Bekanntschaft macht, die dann aber auch wieder wegfahren.«
Ich lasse meine Zunge über ihren Hals und dann zu einem kurzen, tiefen Kuss in ihren Mund gleiten, bevor ich mich zurücklehne. »Klar. Hier ist das Herz des Landes«, sage ich. »Es gibt auf der ganzen Welt keinen besseren Ort.«
In dem Moment, in dem ich es ausspreche, wird mir klar, dass ich das tatsächlich so meine. Jetzt gerade gibt es jedenfalls wirklich keinen besseren Ort. Layla zieht mich wieder an sich, und wir lassen uns nicht stören, als es an der Schlafzimmertür klopft. Wir sind zu sehr miteinander beschäftigt.
»Layla!«
»Aspen«, stöhnt Layla an meinem Mund und ignoriert das Klopfen, das immer lauter wird.
»Layla, mach auf!«
Layla seufzt, wir unterbrechen unseren Kuss, und sie steigt aus der Dusche. In ein Badetuch gewickelt, geht sie rüber ins Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Ich bleibe mit einem schmerzhaft hohlen Gefühl im Bauch zurück.
Das kann jetzt nicht unser Abschied sein. Ich brauche noch einen Tag mit ihr. Noch ein Gespräch. Noch einmal duschen. Schon jetzt spüre ich den ersten Anflug der Sehnsucht, die mich auf der Rückfahrt nach Tennessee erfassen wird.
Ich drehe das Wasser ab und greife nach einem Handtuch, als Layla ihre Schwester ins Zimmer lässt. Ich kann jedes Wort verstehen.
»Hast du mit dem Bassisten geschlafen?« Aspens Stimme dringt laut und klar bis ins Bad.
»Wer will das wissen?«, fragt Layla.
»Ich. Ich frage dich.«
»Okay, dann ja. Zweimal. Dreimal, wenn du uns eben nicht unterbrochen hättest.«
Ich unterdrücke ein Lachen.
»Seine Bandkollegen suchen ihn. Sie wollen fahren.«
»Wir sind in ein paar Minuten unten«, sagt Layla.
Ich höre, wie die Tür wieder aufgemacht wird, dann sagt Aspen: »Mom weiß es. Sie hat mitgekriegt, wie einer aus der Band beim Frühstück gesagt hat: ›Er hat die Schwester von der Braut gevögelt‹.«
Ich erstarre. Warum habe ich daran nicht gedacht? Das ist hier eine Hochzeitsgesellschaft, natürlich ist Laylas gesamte Familie hier. Scheiße. Waren wir gestern Nacht sehr laut?
»Ich bin zweiundzwanzig«, sagt Layla. »Es ist mir egal, ob Mom es weiß.«
»Ich wollte dich nur darauf vorbereiten«, sagt ihre Schwester. »Wir fliegen jetzt nach Hawaii. Ich schick dir eine Nachricht, wenn wir gelandet sind.«
»Viel Spaß, Mrs Kyle.«
Sobald Aspen weg ist, reiße ich die Badezimmertür auf. Layla wirbelt so schnell herum, dass ihr das Badetuch runterrutscht. Sie wickelt sich wieder darin ein, während ich ihren Körper mit Blicken verschlinge. Sie ist auf eine so natürliche Art sexy.
Ich klopfe mit der Faust gegen den Türrahmen. »Lass uns bleiben«, sage ich, als wäre das keine große Sache, dabei ist es das. Sogar enorm groß. Ich meine diese drei Wörter ernster als alles, was mir jemals über die Lippen gekommen ist.
»Bleiben? Wo? Hier?«
»Ja. Wir fragen, ob wir das Zimmer noch eine Nacht haben können.«
Der Ausdruck auf ihrem Gesicht gefällt mir – sie denkt darüber nach. »Aber deine Band? Du hast gesagt, ihr habt morgen einen Auftritt.«
»Wir haben doch gestern beschlossen, dass ich aussteige.«
»Echt? Ich dachte, das wäre ein Vorschlag gewesen, kein Beschluss.«
Ich gehe quer durchs Zimmer zu ihr und zupfe an dem Badetuch. Es fällt zu Boden. Sie lächelt, als ich meinen Mund auf ihren lege.
An ihrer Umarmung spüre ich, dass sie mit jeder Faser bei mir bleiben möchte. Und als sie meinen Kuss erwidert, verfliegt die Angst vor der Sehnsucht, die sich vorhin schon in mir geregt hat.
»Okay«, flüstert sie.
Ich habe eine halbe Stunde lang nonstop geredet, während der Mann kein einziges Wort gesagt hat. Ich würde weitermachen, aber Layla gibt oben keine Ruhe. Ich muss nachschauen, ob sie okay ist.
Na ja, zumindest so okay, wie sie es sein kann, solange sie hier von ihrem eigenen Freund gegen ihren Willen festgehalten wird. »Entschuldigen Sie«, sage ich, rutsche mit meinem Stuhl ein Stück zurück und stehe auf. »Ich bin in ein paar Minuten wieder da.«
Er nickt und drückt die Stopptaste.
Ich gehe – wieder – die Treppe hinauf, um Layla noch einmal anzuflehen, mir nur noch ein bisschen länger zu vertrauen, bis wir hoffentlich Antworten gefunden haben. Als ich die Tür öffne, kniet sie auf dem Bett und versucht ihre Handgelenke aus dem Strick zu winden, mit dem ich sie an den Bettpfosten gefesselt habe.