Leben ist Werden - Hermann Hesse - E-Book

Leben ist Werden E-Book

Hermann Hesse

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Beschreibung

Unter den Autoren seiner Generation, schrieb Hesses Verleger Peter Suhrkamp, gebe es »kaum einen, der so oft seinen eigenen Leichnam hinter sich begrub und jedes Mal auf einer anderen Stufe wieder anfing. Und jedes Mal geschah es aus einer wirklichen Not heraus, und wenn man die ganze Existenz überblickt, ist’s doch eine Einheit geblieben.« Diese regenerativen Schübe sind es, die die Kraft der Schriften Hermann Hesses ausmachen und ihnen das Vertrauen immer neuer Leserschichten in aller Welt sichern.

Die in diesem Band versammelten Gedanken über Jugend und Alter, Schule, Bildung und Erziehung sowie die Bedeutung des der Konformität trotzenden Einzelnen sind heute aktueller denn je.

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Seitenzahl: 89

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HERMANN HESSE

Leben ist Werden

Gedanken aus seinen Werken und Briefen

Zusammengestellt vonVolker Michels

Insel Verlag

Jugend und Alter

Wo ein Werk geschaffen, wo ein Traum weitergeträumt, ein Baum gepflanzt, ein Kind geboren wird, da ist das Leben am Werk und eine Bresche ins Dunkel der Zeit geschlagen.

Aus einem Brief vom Sommer 1910 an Stefan Zweig

*

Kinder sind weitherzig und vermögen durch den Zauber der Phantasie Dinge in ihrer Seele nebeneinander zu beherbergen, deren Widerstreit in älteren Köpfen zum heftigsten Krieg und Entweder-Oder wird.

Aus »Hinterlassene Schriften und Gedichte

von Hermann Lauscher«, 1900

*

Jedes Kind lernt zu allererst die schöne Kunst, im Nächsten die Welt zu sehen und sich um das, was es eben im Händlein hat, mehr bekümmern als um die ganze ungesehene und ferne Welt. Die meisten verlernen schon vom ersten Schuljahr an diese Kunst mehr und mehr. Wenige behalten sie unverloren im Gemüt, manche lernen die verlorene mühsam wieder, wenn sie alt werden und ihre Liebe zum Leben sie unbewußt in das sichere Land der Kinderzeit zurückführt.

Aus »Julius Abdereggs erste und zweite Kindheit«, 1901/02

*

Es ist kein Dichter und Maler je so phantastisch, daß ein Kind ihn nicht im Erfinden überbieten könnte, und es ist auch kein Buch und kein Ding der Welt so nüchtern und tot, daß nicht Kinder noch etwas für sich daraus zu machen und zu holen wüßten. Für das Kind ist es vielleicht nahezu einerlei, woher es seine Nahrung und Anregung bekommt, da es das Beste dazu doch selber gibt.

Aus der Rezension »Die Bilderbücher von Ernst Kreidolf«,

Dezember 1908

*

Alle Kinder sind Dichter.

Aus »Julius Abdereggs erste und zweite Kindheit«, 1901/02

*

Ich weiß von solchen …

In manchen Seelen wohnt so tief die Kindheit,

Daß sie den Zauber niemals ganz durchbrechen;

Sie leben hin in traumgefüllter Blindheit

Und lernen nie des Tages Sprache sprechen.

Weh ihnen, wenn ein Unheil sie erschreckt

Und plötzlich hell zur Wirklichkeit erweckt!

Aus Traum gescheucht und kindlichem Vertrauen

Starren sie hilflos in des Lebens Grauen.

Ich weiß von solchen, die der Krieg erst weckte,

Da sie des Lebens Mitte überschritten,

Und die seither am Leben wie erschreckte

Traumwandler zitternd und geängstet litten.

Es scheint: in diesen Hoffnungslosen sucht

Die Menschheit ihrer blutgetränkten Erden,

Sucht ihrer Grausamkeit und Seelenflucht

Erschauernd und beschämt bewußt zu werden.

1928

*

Mit aller Klugheit und selbst mit aller Liebe können erwachsene Menschen sich doch niemals eine Vorstellung davon machen, was in der Seele eines Kindes vorgeht und wie die Welt in ihr sich spiegelt. Erwachsene sind immer von einer Menge von Gewohnheiten umgeben, deren Dasein ihnen notwendig und keiner Erklärung bedürftig scheint.

Aus »Julius Abdereggs erste und zweite Kindheit«, 1901/02

*

So stark ist im Menschen die Macht der Gewöhnung und der Gemeinschaftlichkeit, daß selbst ein Kind jede Störung hergebrachter Ordnung sofort mit feinen Sinnen erfühlt, noch ehe es die Ursache erfahren oder mit Augen gesehen hat.

Aus »Berthold«, um 1907

*

Oft habe ich auch über meine Eltern nachdenken müssen. Die meinen, ich sei ihr Kind und ich sei wie sie. Aber wenn ich sie auch lieben muß, bin ich doch ihnen ein fremder Mensch, den sie nicht verstehen können. Und das, was die Hauptsache an mir und vielleicht gerade meine Seele ist, das finden sie nebensächlich und schreiben es meiner Jugend oder Laune zu. Dabei haben sie mich gern und täten mir gern alles Liebe. Ein Vater kann seinem Kind die Nase und die Augen und sogar den Verstand zum Erbe mitgeben, aber nicht die Seele. Die ist in jedem Menschen neu.

Aus »Knulp«, 1907/14

*

Wieviel ernster, reiner und ehrfürchtiger würde das Leben vieler Menschen werden, wenn sie etwas von diesem Suchen und Nach-Namen-Fragen auch über die Jugend hinaus in sich bewahrten! Was ist der Regenbogen? Warum winselt der Wind? Woher kommt das Verwelken der Wiesen, woher das Wiederblühen, woher Regen und Schnee? Warum sind wir reich und der Nachbar Spengler arm? Wohin geht am Abend die Sonne?

Aus »Hinterlassene Schriften und Gedichte

von Hermann Lauscher«, 1900

*

Kleiner Knabe

Hat man mich gestraft,

Halt ich meinen Mund,

Weine mich in Schlaf,

Wache auf gesund.

Hat man mich gestraft,

Heißt man mich den Kleinen,

Will ich nicht mehr weinen,

Lache mich in Schlaf.

Große Leute sterben,

Onkel, Großpapa,

Aber ich, ich bleibe

Immer, immer da.

1960

*

Wie alle Knaben, liebte und beneidete ich manche Berufe: den Jäger, den Flößer, den Fuhrmann, den Seiltänzer, den Nordpolfahrer. Weitaus am liebsten aber wäre ich ein Zauberer geworden. Dies war die tiefste, innigst gefühlte Richtung meiner Triebe, eine gewisse Unzufriedenheit mit dem, was man die »Wirklichkeit« nannte und was mir zuzeiten lediglich wie eine alberne Vereinbarung der Erwachsenen erschien; eine gewisse bald ängstliche, bald spöttische Ablehnung dieser Wirklichkeit war mir früh geläufig, und der brennende Wunsch, sie zu verzaubern, zu verwandeln, zu steigern.

Aus »Kindheit des Zauberers«, 1921/23

*

Der Erwachsene, der gelernt hat, einen Teil seiner Gefühle in Gedanken zu verwandeln, vermißt diese Gedanken beim Kinde und meint nun, auch Erkenntnisse seien nicht da.

Aus »Demian«, 1917

*

Auch rechnet man ja so vieles zu den Unarten, nur weil es die Eltern stört, während das Kind mit bestem Gewissen tut, was ihm natürlich ist und unverfänglich scheint.

Aus einem Brief vom 16. 11. 1910

an seinen Vater Johannes Hesse

*

Wie lang war es in der Kinderzeit von einem Geburtstag bis zum anderen! Im Älterwerden geht das immer schneller.

Aus einem Brief vom Dezember 1960 an seinen Sohn Bruno

*

Der Mensch erlebt das, was ihm zukommt, nur in der Jugend in seiner ganzen Schärfe und Frische so bis zum dreizehnten, vierzehnten Jahr, und davon zehrt er sein Leben lang.

Aus »Roßhalde«, 1912/13

*

Zu den einfachen Bedürfnissen, auf die man sich sonst nie besinnt, weil sie nie zum Hunger werden, gehört auch die Heimat. Damit meine ich nicht das Vaterland – das gehört schon zu den höheren, geistigeren Gaben und Bedürfnissen. Ich meine die Bilder, die jeder von uns als sein bestes Erinnerungsgut aus der Kindheit bewahrt hat. Sie sind nicht darum so schön, weil die Heimat unbedingt schöner wäre als die andere Welt; sie sind bloß darum so schön, weil wir sie zuerst, mit der ersten Dankbarkeit und Frische unserer jungen Kinderaugen gesehen haben…. Das ist keine Sentimentalität. Das Sicherste, was wir haben, wenn wir nicht die höchsten Stufen im Geistigen erreicht haben, das ist die Heimat. Man kann Verschiedenes darunter verstehen. Die Heimat kann eine Landschaft sein oder ein Garten, oder eine Werkstatt, oder auch ein Glockenklang, oder ein Geruch. Das, worum es sich handelt, ist die Erinnerung an die Zeit des Heranwachsens, an die ersten, stärksten, heiligsten Eindrücke unseres Lebens. Dazu gehört die Mundart der Heimat. Mir, der ich in der Fremde lebe, ist bei jedem Heimkommen der erste schwäbische Bahnschaffner ein wahrer Paradiesvogel! … Es ist ans Innerste gerührt, an den kleinen sicheren Schatz, den wir aus den Jahren der frühesten Jugend haben. Da liegen Bilder und Eindrücke durcheinander, man schätzt sie oft wenig, aber alles zusammen ist eine satte Lösung, an die man nicht rühren kann, ohne daß es Kristalle gibt.

Aus »Brief ins Feld«, Dezember 1915

*

Heimat ist für mich nie ein politischer Begriff gewesen, sondern ein rein menschlicher. Wo wir Kinder gewesen sind und die ersten Bilder von Welt und Leben empfangen haben, da ist unsere Heimat, und ich habe die meine stets mit Dankbarkeit geliebt.

Aus einem Brief vom 6. 7. 1947 an Oskar Blessing,

Bürgermeister der Stadt Calw

*

Alle Kinder, solange sie noch im Geheimnis stehen, sind ohne Unterlaß in der Seele mit dem einzig Wichtigen beschäftigt, mit sich selbst und mit dem rätselhaften Zusammenhang ihrer eignen Person mit der Welt ringsumher. Sucher und Weise kehren mit den Jahren der Reife zu dieser Beschäftigung zurück, die meisten Menschen aber vergessen und verlassen diese innere Welt des wahrhaft Wichtigen schon früh für immer und irren lebenslang in den bunten Irrsalen von Sorgen, Wünschen und Zielen umher, deren keines in ihrem Innersten wohnt, deren keines sie wieder zu ihrem Innersten und nach Hause führt.

Aus »Iris«, 1916

*

Es ist sonderbar, wie wir so sehr das Gegenteil von dem tun müssen, was unsre Eltern für richtig hielten. Auch ich verlorener Sohn mache es so, und auch mir scheint es, als hätten meine Eltern in einer Welt aus Stein und Holz gelebt, ich aber nur in einer aus Luft, Papier und Idee und es habe sich seither alle Wirklichkeit verflüchtigt.

Aus einem undatierten Brief an Emmy Ball-Hennings

*

Man hatte sich, als wir Kinder waren, viel Mühe damit gegeben, uns den »Willen zu brechen«, wie die fromme Pädagogik das damals nannte, und man hatte in der Tat allerlei in uns gebrochen und zerstört, aber gerade nicht den Willen, gerade nicht das Einmalige und mit uns Geborene, nicht jenen Funken, der uns zu Outsiders und Sonderlingen machte.

Aus dem Gedenkblatt »Erinnerung an Hans«, 1936

*

Jugend hat es schwer, sie ist voll von Kräften und stößt aller Enden an Regeln und Konventionen. Der Sohn haßt nichts so sehr als die Regeln und Konventionen, in denen er seinen Vater befangen sieht.

Aus »Zu ›Expressionismus in der Dichtung‹«, 1918

*

Wenn ein begabtes Kind Jahre und Jahre, eine ganze Jugend lang, vergewaltigt, geschlagen, verschüchtert, verschachert, verängstigt worden ist, wenn dann ein edler Retter kommt und dieses Kind plötzlich befreit, so darf er von dem Kinde nicht erwarten, es werde nun vor allem den heißen Wunsch äußern, Amtsrichter zu werden oder sich sonst nützlich zu machen. Vielleicht zündet es auch zuerst ein Haus an oder macht andere Streiche.

Aus der Rezension »Von kommenden Dingen«,

September 1917

*

Es ist ein Schwindel mit der Jugend, ein richtiger Zeitungs- und Lesebuchschwindel! Die schönste Zeit des Lebens! Hat sich was, alte Leute machen mir immer einen viel zufriedeneren Eindruck. Die Jugend ist die schwerste Zeit im Leben. Zum Beispiel Selbstmorde kommen in höheren Jahren fast gar nie vor.

Aus »Gertrud«, 1907/08

*

Wenn ein Baum entgipfelt wird, treibt er gern in Wurzelnähe neue Sprossen hervor, und so kehrt oft auch eine Seele, die in der Blüte krank wurde und verdarb, in die frühlinghafte Zeit der Anfänge und ahnungsvollen Kindheit zurück, als könnte sie dort neue Hoffnungen entdecken und den abgebrochenen Lebensfaden aufs neue anknüpfen. Die Wurzelsprossen geilen saftig und eilig auf, aber es ist ein Scheinleben, und es wird nie wieder ein rechter Baum daraus.

Aus »Unterm Rad«, 1903

*

Die Welt sieht, rational betrachtet, nicht hoffnungsvoll und schön aus, aber zum Glück ist das nicht die einzig mögliche Betrachtungsweise und zum Glück wächst überall eine neue, unschuldige Jugend heran.

Aus einem Brief vom Februar 1950 an Barthold Hesse

*

Jeder muß einmal den Schritt tun, der ihn von seinem Vater, von seinen Lehrern trennt, jeder muß etwas von der Härte der Einsamkeit spüren, wenn auch die meisten Menschen wenig davon ertragen können und bald wieder unterkriechen.

Aus »Demian«, 1917

*

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