Leben nach dem Tod - Sören Swoboda - E-Book

Leben nach dem Tod E-Book

Sören Swoboda

0,0

Beschreibung

Über das Leben nach dem Tod bei dem jüdischen Historiker Flavius Josephus (1. Jh. n.Chr.) existiert ein breites Spektrum an Literatur. Eine Studie, in der die entsprechenden Textpassagen umfassend mit jenen anderer jüdischer, vor allem aber griechisch-römischer Geschichtswerke (5. Jh. v. – 2. Jh. n.Chr.) verglichen werden, steht aber noch aus. Sören Swoboda füllt diese Forschungslücke auf Basis vollständiger Textstellensammlungen und zieht aus einer solchen Gegenüberstellung Schlüsse hinsichtlich der Intentionen der beiden Historiographien des Josephus. Dabei nimmt er auch ausführlich Stellung zur Adressatenfrage.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 279

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



STUTTGARTERBIBELSTUDIEN 245

Begründet von Herbert Haag, Norbert Lohfink und Wilhelm Pesch Fortgeführt von Rudolf Kilian, Hans-Josef Klauck, Helmut Merklein und Erich Zenger

Herausgegeben von Christoph Dohmen und Michael Theobald

Sören Swoboda

Leben nach dem Tod

Josephus im Kontextantiker Geschichtsschreibung

© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2019

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller

Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg

Druck und Bindung: Sowa Sp. z o.o., ul. Raszynska 13,

05-500 Piaseczno, Polska

Printed in Poland

www.bibelwerk.de

eISBN 978-3-460-51076-0

ISBN 978-3-460-03454-9

Meiner Familie gewidmet

Vorwort

Vier Jahre sind vergangen, seit meine 2012 an der Theologischen Fakultät der FSU Jena eingereichte Dissertation bei Mohr-Siebeck unter dem Titel „Tod und Sterben im Krieg bei Josephus. Die Intentionen von Bellum und Antiquitates im Kontext griechisch-römischer Historiographie“ publiziert wurde.1 Mit den Herausgebern der renommierten Reihe „Texts and Studies in Ancient Judaism“ war ich übereingekommen, das letzte Kapitel der Studie in der überarbeiteten Druckfassung auszusparen. Der Text, der unter textpragmatischer Perspektive „Das Leben nach dem Tode“ in den Kriegsdarstellungen des jüdischen Historikers Flavius Josephus thematisierte, hätte nicht nur zur Überschreitung der 700-Seiten-Marke geführt, sondern nahm von Anbeginn an eine Sonderstellung ein.2 Beides legte eine eigenständige monographische Publikation auf Basis dieses letzten Dissertationskapitels nahe, die nunmehr in der Zeit zwischen dem Ende meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Jena und meinem Eintritt in den Schuldienst realisiert werden konnte. Nicht minder getragen wurde das Vorhaben von der positiven internationalen Resonanz auf meine Analysen und Thesen der Dissertation,3die ich im Nachgang durch mehrere Veröffentlichungen und Vorträge im In- wie Ausland stützen, ausbauen und vertiefen konnte.4

Was vorliegt, ist daher im Kern ein mit Ausnahme der sechs gebundenen Dissertationsexemplare von 2012 bislang unpubliziertes Manuskript, das sich zunächst durch das Voranstellen einer Einleitung und die für eine Monographie notwendigen Formalia (z. B. ein angepasstes Literaturverzeichnis) von jener früheren Version unterscheidet. Vollständiger Überarbeitung bedurften die Binnenverweise auf andere Abschnitte der vormaligen Studie, die sich jetzt auf die TSAJ-Monographie (2014) beziehen oder durch das Eintragen zusammenfassender Textpassagen obsolet wurden. Mit Blick auf die textpragmatischen Schlussfolgerungen, auf die auch vorliegendes Buch zusteuert, galt es zudem, sie in die Hauptthesen jener Ausgangsarbeit zu kontextualisieren. Neben den entsprechenden Handreichungen in Kapitel 1 dienen hierfür insbesondere die Überlegungen in Kap. 5/2.1. Dieser wie Kapitel 7 ebenfalls hinzugetretene Text besteht in den Unterpunkten 2.1.1–4 aus leicht bearbeiteten Zitaten der Zusammenfassungen zu „Ausgewählte[n] Intentionen von Bellum und Antiquitates“, die für das Thema des vorliegenden Buches relevant sind.5

Addiert man den genannten Änderungen die sprachliche, teils inhaltliche Fortschreibung des gesamten bereits vorhandenen Ursprungstextes hinzu, ergibt sich als Endprodukt eine Kurzmonographie, die den Seitenumfang des Ausgangstextes nahezu verdoppelt hat. Es bleibt der Wunsch, mit ihr nicht nur die Thesen meiner Forschungen zu Josephus zu befördern, sondern auch weitere Impulse für die wissenschaftliche Begegnung mit jenem faszinierenden und facettenreichen antiken jüdischen Autor, insbesondere mit den Zielrichtungen seiner Hauptwerke, gesetzt zu haben. Die vollständige Auflistung aller Textbelege zum Thema „Eschatologie“ in der griechischen wie lateinischen Historiographie (6. Jh. v. Chr. – ca. 3. Jh. n. Chr.), die der Gesamtlektüre jener Werke entspringt, mag darüber hinaus auch Bibelwissenschaften, Philosophie und Altertumswissenschaften nützliches Instrumentarium für anschließende Forschungen aller Couleur sein.

Mein Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Karl-Wilhelm Niebuhr, für die hervorragende fachliche wie menschliche Begleitung während der gesamten Promotionsphase und das Mittragen des aktuellen Projekts, meinem Jenaer Kollegen und Freund Dr. Volker Rabens sowie dem Katholischen Bibelwerk für das Aufnehmen der Monographie in sein Programm, ganz besonders Prof. Dr. Michael Theobald, dem Herausgeber der „Stuttgarter Bibelstudien“. Herzlich danken möchte ich schließlich meiner fünfköpfigen Familie für jedwede Form der Unterstützung, vor allem für das Gewähren der für das wissenschaftliche Arbeiten nötigen Freiräume. Ihr soll dieses Buch gewidmet sein.

1SWOBODA, Intentionen; DERS., Tod und Sterben im Krieg (= eingereichte Fassung der Dissertation).

2S. die näheren Erklärungen in Kapitel 1 vorliegenden Buches.

3S. exempl. die Rezensionen von EISELE, Theologische Revue; JONGKIND, JSNT; VAN HENTEN, Theologische Literaturzeitung, vor allem aber die lange Rezension von BÖTTRICH, Gnomon.

4S. Kap. 1, Anm. 19. Drei der dort benannten Artikel basieren auf Vorträgen, die ich auf dem Annual Meeting der „Society of Biblical Literature“ 2014 in San Diego sowie 2015 in Atlanta präsentieren durfte.

5Entnommen aus SWOBODA, Intentionen, 397–402.434–439; DERS., Tod und Sterben, 36–40.94–100.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Einführung

Kapitel 2: Die griechisch-römische Historiographie

1.Die griechische Historiographie

1.1Herodot

1.2Thukydides

1.3Xenophon

1.4Polybios

1.5Diodor

1.6Dionysios von Halikarnassos

1.7Arrian

1.8Appian

1.9Cassius Dio

2.Die lateinische Historiographie

2.1Caesar

2.2Sallust

2.3Livius

2.4Velleius Paterculus

2.5Curtius Rufus

2.6Tacitus

Kapitel 3: Die jüdische Historiographie vor Josephus

1.Das erste Makkabäerbuch

2.Das zweite Makkabäerbuch

Kapitel 4: Josephus

1.Überblick

2.Textstellen innerhalb von Kriegsdarstellungen

2.1Bell II 151.153

2.2Bell I 650–653

2.3Bell III 361–382

2.4Bell VI 33–53

2.5Bell VII 341–356

2.6Ap II 217 f

3.Exkurs: Zur Eschatologie des Josephus

3.1Positionen der Forschung

3.2Ergebnis

Kapitel 5: Textpragmatischer Vergleich

1.Erste Beobachtungen

2.Textintentionen bei Josephus

2.1Vorbemerkung: Ausgewählte Intentionen von Bellum und Antiquitates

2.1.1Nichtjuden als Hauptadressaten: Argumente

2.1.2Juden als edles, bewundernswertes Volk (Bellum)

2.1.3Die jüdische Verfassung als die bestmögliche (Antiquitates)

2.1.4Tugend als jüdisches Charakteristikum (Antiquitates)

2.2Die Eschatologie der Juden als Ausdruck ihres bewundernswerten Glaubens

2.3Jenseitsglaube als Motivation für Todesbereitschaft: Eine jüdische Tugend

3.Abschließende Überlegungen

Kapitel 6: Ergebnis

Kapitel 7: Ausblick auf das Neue Testament

Literaturverzeichnis

Kapitel 1Einführung

Zur Eschatologie bei Josephus existiert inzwischen eine Fülle an Literatur.6 Der in diesen Arbeiten vielfältig zutage tretende Wechsel der Blickrichtung – weg von der Frage nach den Jenseitsvorstellungen im Judentum um die Zeitenwende, hin zu Josephus’ eigener Eschatologie – steht dabei im engen Zusammenhang mit der allgemeinen Hinwendung zu ihm als Autor, das heißt zu seiner Biographie, seinen Überzeugungen sowie der Gestalt seiner Werke im Kontext antiker Geschichtsschreibung. Spätestens seit den Arbeiten Masons7 steht dabei die Kommunikationssituation, mit speziellem Augenmerk auf die Intentionen des jüdischen Historikers, im Fokus der Forschung.8

In diesem Fahrwasser verortet sich auch meine Monographie „Tod und Sterben im Krieg bei Josephus“ von 2014, die entsprechend ihres Untertitels die „Intentionen von Bellum und Antiquitates im Kontext griechisch-römischer Historiographie“ herausarbeitet9 und eine überarbeitete Version meiner Dissertation10 darstellt. Dass die Intentionen dieser Geschichtswerke des Josephus eng mit ihrem Platz in der antiken Geschichtsschreibung verknüpft sind, ist sowohl methodischer Ausgangspunkt als auch ein zentrales Ergebnis jener publizierten Studie, die in Kapitel 6 eine umfassende Stellungnahme zu beiden Themenbereichen bietet. Wegen der herausgehobenen Relevanz dieser Ergebnisse für vorliegendes Buch sei hier eine Zusammenfassung aus dieser Studie zitiert:11

„Trotz ihrer vielfältigen formalen Nähe sowohl zur griechischen als auch lateinischen Geschichtsschreibung unterscheiden sich Bellum und Antiquitates nicht nur im Blick auf die Kommunikationssituation und ihren religiösen Charakter von dem, was zu ihrer Abfassungszeit hinsichtlich nichtbiographischer Geschichtswerke üblich war, sondern auch nicht unwesentlich, teils sogar grundlegend, im Blick auf die Thematisierung und Darstellung von Tod und Sterben im Krieg, die Josephus ungewöhnlich stark instrumentalisiert, um seine im Kontext antiker nichtjüdischer Geschichtsschreibung noch ungewöhnlicheren Intentionen zu verfolgen.

Konkret lässt sich zeigen, dass beide, Bellum und Antiquitates, zwar auf je unterschiedliche, aber vergleichsweise ausgeprägte Weise Elemente einer rhetorischen Historiographie aufweisen, teils verbunden mit Merkmalen einer moralisierenden und psychologisierenden Geschichtsschreibung nach den Regeln von Lob und Tadel, die insbesondere in den Antiquitates sowie der Herodesdarstellung des Bellum Züge antiker Biographien zeigt. Obwohl sich beide Werke darüber hinaus – erneut auf je unterschiedliche Weise – stark an einer pragmatischen Geschichtsschreibung orientieren, durchbrechen sie hauptsächlich hinsichtlich ihrer religiösen Inhalte, das Bellum zudem hinsichtlich seiner dramatisierendemotionalisierenden Darstellungsweise diese in der Tradition des Polybios stehende Form historiographischer Berichterstattung:

Die auffallend emotionalisierenden und dramatisierenden, insbesondere äußerst grausamen Todesdarstellungen des Bellum, die das über die Juden gekommene Leid möglichst plastisch abzubilden suchen, rücken das Werk, das sich eigentlich in vielerlei Hinsicht an Polybios’ Historien anlehnt, in die Nähe einer Form antiker Geschichtsschreibung, die gerade dieser Historiker am heftigsten kritisiert und man sich bemüht, als ‚tragisch‘, ‚peripatetisch‘ oder ‚pathetisch‘ zu bezeichnen. Auch wenn die jüngere Forschung in Bezug auf diese mit Recht ablehnt, von einer festen Textgattung zu sprechen, ihre Ursprünge umstritten sind und man vielen Historikern, z. B. Tacitus und Livius, ja selbst Polybios, derlei emotionalisierende, dramatisierende usw. Merkmale zuspricht, gilt: Die erwähnten Elemente sind bei Josephus anzutreffen und erfuhren aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest in der bei ihm auszumachenden Ausprägung in Bezug auf ein nichtbiographisches Geschichtswerk im 1. Jh. n. Chr. in der Regel Ablehnung. Die Antiquitates hingegen sind diesbezüglich deutlich nüchterner konzipiert, bauen allerdings den schon im Bellum vielfältig präsenten und im Kontext griechisch-römischer Historiographie gänzlich ungewöhnlichen religiösen, theologischen, teils auch philosophischen Inhalt als Hauptgegenstand bzw. Grundkonzeption des Werkes weiter aus, was Josephus’ opus magnum jedoch allenfalls am Rande in die Nähe einer ‚tragischen‘ Geschichtsschreibung rückt bzw. über diese hinaus in die Nähe einer mythischen Historiographie, die mit Beginn der griechischen Klassik, soviel wir wissen, eigentlich allein Charakteristikum orientalischer historiographischer Werke war. Der Einfluss dieser orientalischen, konkret: israelitisch-jüdischen Tradition auf die Antiquitates ist schon im Blick auf ihre Quellen und deren Verarbeitung kaum zu leugnen, doch allein die Intentionen und die Kommunikationssituation des Werkes fordern, es nicht nur vom ersten und zweiten Makkabäerbuch abzugrenzen, sondern ihm allgemein eine Sonderstellung einzuräumen. Obzwar noch weitere Parallelen zu den Geschichtswerken des Berossos und Manetho sowie in deren Folge zu bestimmten jüdischen Historikern zu rekonstruieren sind, reichen die erhaltenen Fragmente dieser Autoren für einen aussagekräftigen Vergleich nicht aus. Vor allem aber ist eine diesbezügliche Zuordnung zu einseitig, obgleich Sterlings Begriff ‚apologetic historiography‘12 einige zentrale Elemente der Antiquitates durchaus treffend umschreibt, diese auch bei besagten Autoren konstitutiv sein mögen und Sterling nicht von ‚Textgattung‘, sondern ‚genre‘ spricht.

Nimmt man hinzu, dass die Antiquitates zweifelsfrei in vielerlei Hinsicht nach dem Vorbild der Römischen Geschichte des Dionysios von Halikarnassos gestaltet wurden, das Bellum neben einer wie auch immer näher zu beschreibenden biblisch-prophetischen Historiographie seine Vorläufer im τύχη-Konzept13 sowie den apologetischen Bestandteilen der Historien des Polybios erkennt, und dass in beiden Werken unter anderem der Einfluss von Thukydides unübersehbar ist, wird klar, dass eine Zuordnung zu bestimmten, mehr oder weniger festen Formen antiker Historiographie im Blick auf das Bellum und die Antiquitates noch stärker zum Scheitern verurteilt ist, als es für griechisch-römische Geschichtswerke ab spätestens dem 1. Jh. v. Chr. ohnehin der Fall ist. Eine solche Zuordnung gelingt allenfalls hinsichtlich konkreter Elemente. Beide Werke erweisen sich als von verschiedenen Autoren, Werken und Formen antiker bzw. orientalischer Geschichtsschreibung beeinflusst.“14

„Hinsichtlich der Werk intentionen weisen die Ergebnisse […] auf Folgendes hin: Das Bellum erweist sich als vergleichsweise komplexes Gebilde: als eine aus der Not und verschiedensten, teils im Dunkeln bleibenden Gründen entstandene Schilderung des Jüdischen Krieges, die der Autor auch, sogar in erster Linie nutzt, um Nichtjuden das ganze Ausmaß des über die Juden gekommenen Leides vor Augen zu führen – ein Leid, das sich durch die Katastrophe des Jüdischen Krieges über ein an sich edles, bewundernswertes (vor allem tapferes und todesmutiges), von punktuellen Widersachern gereiztes, letztlich von einer Minderheit zum Aufstand gedrängtes und derentwegen von ihrem Gott gestraftes Volk ergossen hat. Vieles deutet darauf hin, dass dies mit dem Ziel geschieht, im Leser Mitleid zu wecken – kein Mitleid gegenüber Schwachen, sondern im Sinne der Erkenntnis, das unrechtmäßig in der Kritik stehende Volk der Juden habe nunmehr genug gelitten […] Brillant gelingt es also dem Autor, zwei zentrale Aussagen des Werkes in diese Hauptintention zu integrieren, die nur in der skizzierten Zuordnung zu dieser Hauptintention adäquat verständlich zu machen sind: 1. Nur eine Minderheit der Juden sowie punktuelle Anfeindungen von römischer und griechischer Seite sind für den Ausbruch des Krieges verantwortlich zu machen. 2. Die Niederlage ist als göttliche Strafe für die Sünden jener jüdischen Minderheit zu interpretieren. Ausschließlich im Blick auf diese beiden zentralen, aber doch untergeordneten Intentionen trägt das Bellum apologetischen Charakter. Darüber hinaus nutzt das Werk angesichts der für den Autor unsicheren Lebensumstände in Rom die Gelegenheit, einerseits die Flavier (insbesondere Titus) positiv zu skizzieren, andererseits sein eigenes, in der Kritik stehendes Überlaufen zu verteidigen. Das Bellum verbindet somit geschickt dramatisierende und emotionalisierende Elemente mit apologetischen, die in erster Linie das Volk der Juden als Ganzes, aber auch Josephus selbst betreffen.

Die Antiquitates hingegen wenden sich – womöglich aufgrund der Distanz zum Kriegsgeschehen und negativer Erfahrungen im Blick auf die Reaktionen zum Erstlingswerk – vom Pathos des Bellum ab, sind aber andererseits Ausdruck eines sogar noch gewachsenen Selbstbewusstseins, Nichtjuden mit religiösen Belangen als Hauptgegenständen eines Geschichtswerkes zu konfrontieren: Anlässlich nicht abreißender antijüdischer Anfeindungen im weitesten Sinne verfasst Josephus mit der nötigen Ruhe einer verbesserten Lebenssituation und einer reflektierteren Geschichtstheologie eine umfassendere Darstellung der jüdischen Geschichte, die er als Ganze einem einzigen Anliegen widmet und unterordnet: Er will Nichtjuden die ἀρετή seines Volkes15 sowie die Erhabenheit von dessen Religion und Gesetz nahe bringen, unter anderem indem er den jüdischen Gott als richtenden Lenker des Welt- und Menschengeschicks vorstellt. Obwohl das Werk ebenfalls apologetische Züge trägt, die allerdings nicht spezifisch fokussiert sind auf die Frage nach den Verantwortlichen für den Kriegsausbruch, ist es vor allem aufgrund seiner Ausrichtung, in Tradition zur legendarischen Septuagintaentstehung dem Leser nützlich sein zu wollen (indem es ihn zur Tugend führt), keinesfalls im Blick auf seinen Grundcharakter als apologetisch oder gar als Apologie zu klassifizieren. Obzwar es mit hoher Wahrscheinlichkeit das Judentum zu verteidigen sucht, tritt es nur untergeordnet als ein solches Werk auf. Insofern hängt eine Klassifizierung der Antiquitates als ‚apologetisch‘ entscheidend davon ab, ob man ein Werk – unpräzise formuliert – aufgrund seines Anliegens und Zieles oder aber seines Erscheinungsbildes als ‚apologetisch‘ definiert.

Während das emotional geladene Bellum also ein Szenario entwirft, das nicht unwesentlich an die Emotionen der Leser anzuknüpfen sucht, liegt uns in den Antiquitates ein zwar inhaltlich ebenso ungewöhnliches, doch deutlich nüchterneres Werk des 1. Jh. n. Chr. vor, das die ‚Sache der Juden‘ grundlegender bedenkt und im Blick auf den Leser weniger emotionalisiert als argumentiert bzw. geschichtliche Ereignisse darbietet, die diese Argumentationen stützen. Beiden Werken geht es letztlich im weitesten Sinne um die Verteidigung des Judentums bzw. die Verbesserung der Lebensumstände der Juden, doch nur bei den Antiquitates ist dies strukturiertes Programm, wobei entsprechend des […] Gesagten präzisiert werden muss: Ihrem Grundcharakter nach treten die Antiquitates nicht als apologetisches Werk auf, aber sie verfolgen apologetische Ziele. Die Fragen, wen genau beide Werke im Blick haben und was genau sie sich durch ihre Darstellungen erhoffen, erweisen sich […] als allenfalls zweitrangig. Entscheidend ist allein, dass sich beide in erster Linie an Nichtjuden wenden. Anzuraten ist aber, zwischen intendierten, erwarteten und tatsächlichen Lesern zu unterscheiden und auch begrifflich der Tatsache Rechnung zu tragen, dass keine dieser Gruppen als homogene Einheit gedacht werden darf. Im Blick auf die textpragmatische Ausrichtung von Bellum und Antiquitates bietet es sich an, nicht von ‚Adressaten‘ oder ‚Lesern‘ zu sprechen, sondern ‚intendierten Hauptadressaten‘.

Neben Josephus’ Rechtfertigungen seiner ungewöhnlich emotionalisierend-dramatisierenden Berichterstattung in Bell V 20 und VI 199 f, vor allem aber I 9.11 f […] erweist sich insbesondere Ant VIII 127–129 als Schlüsseltext für das Verständnis der Intentionen von Bellum und Antiquitates – ein Text, dessen Gewicht die Josephus-Forschung bislang übersehen hat und auf den mit Nachdruck hinzuweisen ist“.16

Der diesen Ergebnissen zugrunde liegenden Annahme von Nichtjuden als intendierte Hauptadressaten wird in Kap. 5/2.1.1 nachgegangen.17 Eine detaillierte Beweisführung, die gegen Juden als eigentliche Zielgruppe von Bellum und Antiquitates spricht, ist aus meiner Sicht notwendig – und sei es nur, um dem allgemeinen Konsens durch ein Zusammentragen von Indizien Standfestigkeit zu verleihen. Von der Adressatenfrage jedenfalls hängt ab, wie die konkrete Gestalt der Berichterstattung im Bellum und in den Antiquitates zu interpretieren ist.

Im Kern bestätigt vorliegendes Buch Teile der oben zitierten Ergebnisse jener Monographie. Einen engeren Fokus legend, lenkt sie den Blick auf diejenigen Textbelege in Josephus’ Bellum und Antiquitates, in denen in Bezug auf im Krieg Sterbende bzw. allgemein in Bezug auf Tod und Sterben im Rahmen kriegerischen Geschehens das Leben nach dem Tod thematisiert wird. Besonders, aber nicht ausschließlich, sei dabei die Frage bedacht, ob damit verknüpfte Vorstellungen einen Einfluss auf Menschen im Blick auf ihren Tod bzw. ihr Sterben ausüben – und wenn ja, welchen. Wie sich zeigen wird, sind die Texte bei Josephus, in denen Jenseitiges angesprochen wird, im Kontext griechisch-römischer Historiographie außergewöhnlich und Träger spezifischer Werkintentionen. Sie sind so bemerkenswert, dass sie eine eigene monographische Untersuchung rechtfertigen. Die Analyse dieser Textpassagen untermauert konkret, dass es Josephus nicht nebensächlich daran gelegen ist, nichtjüdischen Lesern das Volk der Juden als edel und bewundernswert vorzustellen. Vor allem skizziert er deren Eschatologie als Ausdruck ihres bewundernswerten Glaubens und deren damit verbundene Motivation für Todesbereitschaft als jüdische Tugend.18 Das betrifft im Wesentlichen auch diejenigen Textstellen, die zwar eschatologische Themen verarbeiten, nicht aber im aufgezeigten Fokus mit „Tod und Sterben im Krieg“ verbunden sind. Wo es der Zielrichtung der Arbeit besonders dienlich ist, werden auch sie zur Sprache kommen. Im Blick auf das Bellum – hier finden sich alle relevanten Textbelege innerhalb von Kriegsdarstellungen – wiederum dienen diese Teilziele entsprechend des oben in Petit gefassten Zitats im Zusammenspiel mit anderen Intentionen nicht unwesentlich dazu, bei nichtjüdischen Lesern Mitleid zu wecken. Gemeint ist ein Mitleid im Sinne der intendierten Erkenntnis, dass ein edles, bewundernswertes und mehrheitlich unverschuldet ins Verderben geratenes Volk nunmehr genug gelitten habe.19

Die methodischen Grundüberzeugungen, welche die vorliegende Studie lenken, sind die folgenden:20

1. Das Thema „Tod und Sterben im Krieg“ als zentraler Gegenstand der griechisch-römischen Historiographie, allem voran des Bellum, eignet sich besonders, um sich Josephus’ Intentionen zu nähern, weil er es im besonderen Maße für seine Ziele instrumentalisiert. Auch mit Blick auf eschatologische Fragestellungen ist für Josephus der Verwendungszweck des Themenfeldes entscheidender Anlass, sich innerhalb seiner Werke dazu zu äußern – weniger der Wunsch, möglichst sachgemäß im Sinne heutiger ‚Regeln‘ der Geschichtsschreibung über jüdischen Jenseitsglauben oder eigene diesbezügliche Positionen zu informieren.

2. Die großflächige, breit angelegte Analyse einer Vielzahl kleinerer Bemerkungen zu diesem Thema vermag seine Intentionen besser zu erhellen, als das Zentrum der Betrachtung auf zentrale Aussagen z. B. der Proömien zu legen. Vielmehr sollte man dem Gesamteindruck nachspüren, den der Leser durch die Lektüre des ganzen Berichts gewinnt. Eine vollständige Auflistung und zusammenführende Interpretation aller Textstellen birgt große Chancen.

3. Anhand des Vergleiches der mit Tod und Sterben im Krieg verbundenen Themen bei Josephus mit deren Behandlung in griechisch-römischen Geschichtswerken werden die Konturen seiner Intentionen besonders sichtbar: In nahezu allen Bereichen und auf fast allen Ebenen hebt er sich von seinen nichtjüdischen ‚Kollegen‘ ab. Die Befunde zusammengeführt, lässt sich zudem plausibel begründen, weshalb er sich an welchen Stellen von jenen unterscheidet.

4. Nicht nur der Vergleich mit zeitgenössischen Werken und Historiographien vor Josephus (ab 5. Jh. v. Chr.), sondern auch mit jenen der Jahrhunderte danach (untersucht: bis 1. Hälfte 3. Jh. n. Chr.) birgt Potential für das Verständnis von Bellum und Antiquitates, da ‚Konventionen‘ nachwirken. So oder so sind des Umfangs antiker Geschichtswerke wegen umfassende Vergleiche mit Josephus ebenso selten21 wie nötig. Im vollständigen Erfassen des Materials zum Thema „Das Leben nach dem Tode“ in jenen Werken erkennt vorliegendes Buch daher ein für aufbauende Studien verschiedenster Disziplinen hilfreiches Nebenziel. Ausblickartig werden in Kapitel 7 deshalb nach der Ergebnisformulierung konkret auch mögliche Impulse der Studie für die neutestamentliche Forschung, insbesondere das lukanische Doppelwerk, angerissen. Hauptziel sind aber textpragmatische Schlussfolgerungen, die sich aus dem Vergleich entsprechender Stellen in der griechisch-römischen Historiographie mit jenen bei Josephus ergeben und die Thesen meiner früheren Publikationen bestätigen.

Die oben drittgenannte methodische Richtschnur resultierte nicht wenig aus der Feststellung, dass ein solcher Vergleich auf Basis einer vollständigen Auflistung von Textbelegen zu eschatologischen Themen besonders markante Unterschiede zutage förderte. In der griechisch-römischen Historiographie sind Nachttodvorstellungen so selten greifbar, dass in Kapitel 2 mit Ausnahme der zahlreicheren Stellen bei Diodor alle Belege – vollständig also auch jene, die außerhalb von Kriegsdarstellungen lokalisiert sind – zumindest kurz Erwähnung finden können. Dieser Weitwinkel ermöglicht es, die für die Fragestellung vorliegenden Buches wesentlichen Texte besser im Blick auf sein Hauptziel interpretieren und einordnen zu können. Konkret untersucht auch diese Studie auf Grundlage einer vollständigen Lektüre alle griechischen wie lateinischen Geschichtswerke vom 5. Jh. v. Chr. – 2./3. Jh. n. Chr., die nichtbiographischen Charakter tragen und nicht allein fragmentarisch überliefert sind. Eine nähere Begründung dieser Quellenauswahl, die neun griechisch und sechs lateinisch schreibende Autoren umfasst, wäre ebenso redundant wie eine erneute Einführung in jene Autoren und ihre Werke.22 Was Josephus anbelangt, so finden in Kapitel 4 sämtliche auch außerhalb von Kriegsdarstellungen lokalisierte Textstellen wenigstens in Form bündelnder Aussagen oder vollständiger Textstellenlisten in den Fußnoten Erwähnung. Das dient der adäquaten Einordnung derjenigen Passagen, die Tod und Sterben im Krieg betreffen. Ob und wie darüber hinaus näher auf sie eingegangen wird, hängt insofern mit ihrer Relevanz für die Kernfragen vorliegenden Buches zusammen. Ein Gesamtblick auf das Thema „Eschatologie bei Josephus“ jedenfalls ist methodisch wie inhaltlich gefordert.

Nachdem Kapitel 2 in chronologischer Reihung griechische (2.1), dann lateinische Geschichtswerke (2.2) thematisiert, wendet sich Kapitel 3 vor der ausführlicheren Erhebung, Analyse und Interpretation der Textstellen bei Josephus (Kapitel 4) der vorangehenden jüdischen Historiographie zu.23 Ein textpragmatischer Vergleich des Befundes hinsichtlich der nichtjüdischen Geschichtswerke mit dem von Bellum und Antiquitates (Kapitel 5) bündelt die Einzelergebnisse zunächst mit Blick auf Grundlinien, ‚Konventionen‘ und Besonderheiten spezifischer Autoren sowie mittels der Kontextualisierung in die (Thematisierung von) Eschatologie bei Römern wie Griechen (v. a. Kap. 5/1). Als Hauptziel werden Schlussfolgerungen hin zu den durch die Thematik transportierten Intentionen des Josephus gezogen (v. a. Kap. 5/2–3). Eine Zusammenfassung der Ergebnisse in Kapitel 6 beschließt das Buch noch nicht. Wie bereits erwähnt, fügt Kapitel 7 in Form eines Ausblicks Anregungen an, die für die weitere Erforschung eschatologischer Fragestellungen am Neuen Testament relevant sein könnten.

6Als wichtigste Beiträge s. SIEVERS, Unsterblichkeit; ELLEDGE, Life after Death, aber auch CAVALLIN, Life after Death, 69.141–146; GRELOT, L’eschatologie des Esséniens; MASON, Pharisees; SCHLATTER, Gott; DERS., Theologie, 252–263; FISCHER, Eschatologie, 144–183, und GRABBE, Eschatology, 163–185. Aufschlussreich sind auch NIKOLAINEN, Auferstehungsglaube, zum Teil auch NICKELSBURG, Eternal Life, und STEMBERGER, Leib der Auferstehung. Nur am Rande wird Josephus behandelt bei SETZER, Resurrection, 23–26.35. Obwohl auch religionsgeschichtlich orientiert, verweist SELLIN, Auferstehung, nur in zwei Anmerkungen auf eine (einzige) Josephusstelle (81.87). Neben BILDE, Josephus, 187–189; DERS., Apocalypticism, setzen sich viele weitere Studien (meist untergeordnet) mit Josephus als Apokalyptiker (unter anderem in Diskussion seiner Interpretation der Träume Daniels) auseinander (exempl. bei BRUCE, Josephus and Daniel; MASON, Daniel; MICHEL, Apokalyptische Heilsansagen). Zur Eschatologie des Josephus s. in diesem Buch Kap. 4/3.

7Exempl. MASON, Josephus; DERS., Aim and Audience; DERS., Audience and Meaning; DERS., Essay in Character; DERS., Understanding Josephus.

8Exempl. neben den Werken Masons (s. Anm. 7) s. RAJAK, Josephus; LINDNER, Geschichtsauffassung; COHEN, Josephus; BILDE, Josephus; KRIEGER, Geschichtsschreibung, sowie die Sammelbände EDMONDSON, Flavian Rome; SIEVERS/LEMBI, Josephus; RODGERS, Making History, vor allem aber jüngst CHAPMAN/RODGERS, Companion to Josephus. Einen hilfreichen Forschungsüberblick bietet MASON, Commentary, Bd. 3, XIII–XXXVI.

9SWOBODA, Intentionen.

10DERS., Tod und Sterben.

11DERS., Intentionen, 3–6. Die drei Fußnoten innerhalb der Zitate wurden entfernt.

12STERLING, Historiography, u. a. 3. S. näher SWOBODA, Intentionen, 477 f.

13Viel spricht dafür, dass Josephus’ Gebrauch des Begriffs τύχη auf Polybios aufbaut, der damit ebenfalls die Niederlage seines Volkes und glorifizierend den Sieg der Römer zu begründen sucht. Dabei umschreibt der Begriff bei Polybios alles das, was sich der rationalen Analyse entzieht (dem man also im Sinne seiner pragmatischen Geschichtsschreibung nicht auf den Grund gehen kann). Josephus freilich nutzt den τύχη-Gedanken im Wesentlichen im Kontext der Sieghaftigkeit Roms, während er die Niederlage seines Volkes unmittelbar mit dem jüdischen Gott in Verbindung bringt – das heißt, er setzt textpragmatisch begründete eigene Akzente.

14SWOBODA, Intentionen, 3–5.

15Das Voraugentragen der innerhalb des intendierten Adressatenkreises in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzenden ἀρετή (Tugend) als Charakteristikum der Juden ist eines der zentralen Anliegen sowohl der Antiquitates als auch des Bellum. In Kap. 5/2.1.2; 2.1.4 wird das ausführlich erläutert.

16SWOBODA, Intentionen, 5 f.

17DERS., Tod und Sterben im Krieg, 36–40.94–100.

18S. v. a. Kap. 5/2.2–3.

19Die Plausibilität eines solchen Ziels sowohl auf der Textebene wie hinsichtlich der Kommunikationssituation im flavischen Rom des 1. Jh. n. Chr. habe ich in mehreren kleineren Veröffentlichungen, unter anderem mit Verweis auf das Motiv des Mitleid-Weckens vor Gericht und in nicht-historiographischen Texten, nachzuweisen versucht (v. a. SWOBODA, Mitleid wecken, aber auch DERS., Tragic Elements; DERS., Inszenierung jüdischen Leides, teils auch in DERS., Josephus’ Political Vision; ein für die These maßgeblicher Beitrag, der auf dem SBL-paper „The Visualization of Suffering in the Ancient Courtroom and in Josephus“, Atlanta [USA], 21. November 2015, beruht, ist in Vorbereitung für Early Christianity).

20Im Einzelnen vgl. DERS., Intentionen, 7 ff.

21Neben STERLING, Historiography, u. a. COHEN, Josephus, Jeremiah, and Polybius; EISMAN, Dio and Josephus; BALCH, Dionysius on Rome and Josephus on the Jews; Shutt, Josephus, 92–106. Literatur zur Einordnung des Josephus in die antike Geschichtsschreibung (exempl. COLLOMP, Der Platz des Josephus), vor allem die auch für die Hauptthese meiner Dissertation, Josephus gehe es im Bellum um das Wecken von Mitleid, relevanten Auseinandersetzungen mit der sogenannten ‚tragischen‘ bzw. ‚pathetischen‘ Historiographie (u. a. in Ansätzen bei FELDMAN, Greek Tragedians; Chapman, Josephus and Greek Poetry; ULLMAN, History and Tragedy; DIES./PRICE, Drama and History, v. a. aber PARENTE, Titus, vgl. CHAPMAN, Spectacle and Theater; DIES., Spectacle in Josephus’ Jewish War; HOSE, „Exzentrische“ Formen der Historiographie) habe ich ausführlich besprochen in SWOBODA, Intentionen, 464–499.

22Zur näheren Begründung der Quellenauswahl und Einführung in die Autoren und Werke s. SWOBODA, Intentionen, 16–25.

23Belege fanden sich nur im ersten und zweiten Makkabäerbuch, nicht hingegen in den Fragmenten jüdischer Historiker (editiert vor allem in HOLLADAY, Fragments; WALTER, Fragmente).

Kapitel 2Die griechischrömische Historiographie

1.Die griechische Historiographie

1.1Herodot

Herodot (ca. 485–425 v. Chr.) thematisiert an fünf Stellen seiner Historien Jenseitsvorstellungen von Menschen bzw. von Völkern, lässt den Leser jedoch deutlich spüren, dass er wenig von ihnen hält. Er bedient sich des Themas lediglich, um seine Abhandlung, die durch eine Vielzahl ethnographischer Exkurse gekennzeichnet ist, mittels kleiner Einschübe lesenswerter und kurzweiliger zu gestalten sowie beiläufig Vertrautheit mit Nebenthemen zu demonstrieren.

1. Über die Geten, ein Reitervolk, das unter anderem mit den Thrakern in Verbindung gebracht wird, schreibt er, dass sie „die Unsterblichkeit vertreten.“ Nach dem Tode gelange man zum Dämon Salmoxis. Nach kurzer Darstellung von Ursprung und Inhalt dieser Lehre, die ein nach der Auffassung Herodots natürlich barbarisches Tötungsritual impliziert, um besagtem Salmoxis Nachrichten zu überbringen, resümiert er: „Was mich betrifft, so mißtraue ich dem über ihn und seine unterirdische Wohnung Erzählten nicht grade, traue ihm aber auch nicht allzu sehr“. Nach dieser Lehre stirbt ein Mensch, um im Jenseits für Diesseitige etwas zu erledigen (IV 93–96, v. a. 93,1; 96,1).

2. Nach ausgeführtem Tötungsbefehl äußert sich ein Täter gegenüber seinem Auftraggeber ähnlich skeptisch bis polemisch über die Auferstehung: „Wenn nun die Toten auferstehen, dann mach dich darauf gefaßt, daß auch Astyages der Meder sich wider dich erhebt. Wenn’s aber so ist wie zuvor, wird dir von jenem jedenfalls nie eine Unruhe entstehen (III 62,3 f).“

3. Nur einmal, im längsten Abschnitt der fünf Textstellen, verweist Herodot darauf, dass auch Griechen Nachtodvorstellungen kennen. Er berichtet von der ägyptischen Überlieferung der Fahrt des Rhampsinitos in die Unterwelt, den „Ort, von dem die Hellenen glauben, er sei Hades“. Anschließend verliert er wenige Worte über Seelenunsterblichkeit und Seelenwanderung. Der erste Bericht wird erneut sarkastisch kommentiert, diesmal unter dem Deckmantel der Einhaltung historiographischer ‚Regeln‘ : „Wem so etwas glaubwürdig ist, der mag sich an diese ägyptische Erzählung halten; für meine ganze Darstellung aber ist Grundsatz, daß ich, was die Leute jeweils berichten, wie ich’s hörte, aufzeichne.“ Die Seelenlehre hingegen hätten „gewisse Hellenen […] vorgetragen, als wäre es ihre eigene.“ Mit deutlich kritischem Ton fügt Herodot an: „Deren Namen weiß ich, zeichne sie aber nicht auf (II 122 f, v. a. 122,1; 123,1–3).“ Dann wechselt er abrupt das Thema.

An keiner Stelle spricht Herodot davon, dass Nachtodvorstellungen irgendeine Relevanz für Sterbende selbst besitzen.

Interessanterweise fungiert der Zweifel an der Unsterblichkeit aber einmal als Motivation, sich nicht auf Schlachten einzulassen, wenn man chancenlos ist (4.): Ein Mann äußert im Blick auf den kriegerischen Übermut eines Königs: „Glaubst du, unsterblich zu sein […] Hast du aber eingesehen, daß auch du nur ein Mensch bist“ (I 207,1 f).

5. Nach kurzem Verweis auf den Unsterblichkeitsglauben der Geten findet sich freilich der Gedanke, dass Angehörige bei den Trausern daraus die Konsequenz ziehen, den Tod eines Verstorbenen als weniger schlimm zu erachten (V 4,1 f): „den Abgeschiedenen aber bringen sie mit Scherzen und Freuden zu Grabe und sagen dabei, nun sei er von allem Unglück erlöst und in lauter Seligkeit (ἐν πάσῃ εὐδαιμονίῃ).“ Herodot unterlässt es zudem, dieser Schlussfolgerung eine negative Wertung beizufügen. Sie mag ihm vielleicht sogar schlüssig erscheinen – insofern er an Jenseitiges bzw. ein Leben nach dem Tode glauben würde, was offenbar nicht der Fall ist.

1.2Thukydides

In Thukydides’ (ca. 460–396/9 v. Chr.) Peloponnesischem Krieg findet sich kein einziger eindeutiger Beleg, in dem eine Nachtodvorstellung angesprochen wird. Gerade in der zutiefst emotionalen Totenrede des Perikles an den Gräbern der im Kampf Gefallenen (II 35,1–46,2), die unter anderem anspornt, für Land, Volk und Freiheit Kriegsgefahren auf sich zu nehmen, ja selbst die eigenen Kinder nicht vor dem Gefecht zu verschonen, wird als größter Lohn im Falle des Todes nur eines angeboten: Ruhm (ἔπαινος bzw. δόξα). Auch die Äußerung, die Gefallenen erhielten ein „weithin leuchtendes Grab“, will, wie gleich im Anschluss der Aussage erklärt wird, lediglich metaphorisch verstanden werden – es geht um besagten Ruhm. Dass den Angehörigen diese Worte in einer Lage zugemutet werden, in der man für gewöhnlich Vieles als Trost zu glauben bereit ist, ist bezeichnend genug. Das beschriebene Wesen des Ruhms, eine Art Weiterleben nach dem Tode zu gewährleisten, unterstreicht jedoch auch hier, wie bedeutsam das Jenseits als Motivation für Todesbereitschaft (die explizit gar nicht erwähnt wird) für den Redner wie die Angesprochenen wäre, wenn man denn an solches glaubte.24

1.3Xenophon

Xenophons (ca. 426 bis nach 355 v. Chr.) historiographische Werke Zug der Zehntausend und Geschichte Griechenlands erwähnen lediglich an wenigen Stellen die Seele, jedoch in Kontexten, die in Bezug auf Jenseitiges, das heißt ein Leben nach dem Tode, gänzlich irrelevant sind. Selbst weiterführende Überlegungen zu anthropologischen Implikationen dieser Textpassagen würden diese überstrapazieren.25

1.4Polybios

Polybios (ca. 200–120 v. Chr.) verliert nur ein einziges Mal ein Wort über das Jenseits:26 Über einen im Kampf für die Bundesgenossen Gefallenen stellt er in seinen Historien folgende Überlegung an: „Wenn daher auch die Dahingeschiedenen noch ein Bewußtsein haben, dann wird er (= der Verstorbene) sicher erfreut sein über die Dankbarkeit der Achaeer und stolz der Mühen und Gefahren gedenken, die er zu seinen Lebzeiten im Dienste des Bundes bestanden hat (VIII 14,8).“ Hier wird beiläufig die Verbindung zum Ruhm hergestellt, den der Verstorbene, falls er noch ein Bewusstsein haben sollte, spüren werde.27

1.5Diodor

Bei dem mit Blick auf seine Biographie nahezu unbekannten Autor der Weltgeschichte, Diodor (1. Jh. v. Chr.), finden sich sowohl die meisten als auch die aussagekräftigsten Textstellen, die ein Leben nach dem Tode ansprechen. Sie reichen vom häufigen Thematisieren ägyptischer Lehren (hier vor allem Unterwelt28 und Seelenwanderung29) und griechischer Hades-Geschichten30 über Erwähnungen ewiger Strafen (IV 69,5), der Erscheinung der Geister Verstorbener (XIII 86,1–3), göttlicher Entrückung bzw. der Verwandlung in eine Taube (Assyrer: II 20,1 f), der Seelenwanderungslehre der Gallier (V 28,5 f) und des Pythagoras (inkl. Seelenwanderung: V 28,5 f; XVIII 1,1 ff) bis hin zu unzählbaren Textstellen, in denen es um die Vergottung von Vorzeithelden sowie prinzipielle Gedanken zu Existenz und Wesen eines Lebens nach dem Tod geht (u. a. XIV 1,3). Sie dienen Diodor nicht allein als interessante Einschübe, sondern gehören zum Gegenstand einer ‚Weltgeschichte‘ und sind vor allem wesentlicher Bestandteil der Charakteristika fremder Völker, die der Autor vermitteln möchte.

Diodor lehnt ein Leben nach dem Tod nicht prinzipiell ab, vielmehr scheint das Werk an vielen Stellen mit dieser Problematik zu ‚ringen‘ : Es scheint, als halte Diodor auf der einen Seite einige Lehren für gänzlich erdacht, obwohl er darauf besteht, sie als Historiker dennoch aufzuführen (unter anderem aus Respekt den ehrwürdigen Helden gegenüber, u. a. IV 8,1 ff; XIII 86,1–3 [Aberglaube des einfachen Volkes]). Er steht ihnen deshalb skeptisch gegenüber, weil sie von anderen Völkern, vor allem den Ägyptern, übernommen seien (I 96,4 ff; 98,2), oder aber, weil sie in bloßen Mythen überliefert seien, welche nicht den Anspruch historiographischer Genauigkeit erfüllen könnten.31 Es scheint jedoch auch, als könne Diodor auf der anderen Seite die Nachtodexistenz weder sicher definieren (I 93,3) noch gänzlich ausschließen (XIV 1,3; XVIII 1,1 ff). Höchst interessant ist, dass neben Dion. Hal. ant. VIII 62,132 nur bei Diodor die Frage ‚diskutiert‘ wird, ob so etwas wie postmortaler Ruhm, Lob oder Tadel ohne