Leben und Beruf - Anselm Grün - E-Book

Leben und Beruf E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Viele Menschen stehen im dauernden Zwiespalt zwischen Beruf und Privatleben. Das Hin- und Hergerissen sein zwischen Arbeit und Familie führt zu Krankheiten, Erschöpfung bis hin zum Burn out. Anselm Grün sieht für diese Situation einen Lösungsansatz in einer gelebten Spiritualität: ehrliche Selbstwahrnehmung, Meditation und Gebet und vor allem eine positive Einstellung und loyales Verhalten können im Berufsalltag für jeden zur Hilfe werden.

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2017

Neuausgabe des 2005 im Kreuz-Verlag erschienen gleichnamigen Titels

ISBN 978-3-7365-9002-1

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0590-2

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Covergestaltung: Stefan Weigand, wunderlichundweigand

Potraitfoto Pater Anselm Grün: © Hsin-Ju Wu

www.vier-tuerme-verlag.de

Anselm Grün

Leben und Beruf

Eine spirituelle Herausforderung

Vier-Türme-Verlag

Inhalt
Einleitung
Empfinden und wahrnehmen – Mensch sein im Berufsalltag
Druck
Ängste
Sorgen
Frust
Zeitnot
Fremdsteuerung
Selbstverlust
Schuld und Schuldgefühle
Materielle Schulden
Persönliche Schuld
Vergebung
Erschöpfung und innere Leere
Verantworten und entscheiden – Schwierige Situationen bestehen
Verantwortung und Rechenschaft
Entscheidungen treffen
Erfolg und Misserfolg
Gewissenskonflikte
Gemeinschaft, Kollegialität und Loyalität
Umgang mit Konflikten
Konflikte zwischen Mitarbeitern
Eigene Konflikte
Umgang mit Widerständen
Konkurrenzkampf
Mobbing
Umgang mit kranken Mitarbeitern
Mitarbeiter entlassen
Christliche Spiritualität im Beruf leben
Vertrauen
Achtsamkeit
Gleichgewicht von Beruf und Privatleben
Sprache
Werte
Berufliches Handeln als spirituelle Herausforderung
Zitierte und weiterführende Literatur

Einleitung

Leben und Beruf werden heute immer mehr zu Gegensätzen. Oft frisst der Beruf unsere Zeit, die uns zur Verfügung steht. Dadurch bleibt immer weniger Zeit für das private Leben. Und auch die Zeit, die uns dann zu Hause bleibt, wird immer mehr von den Sorgen aus dem Berufsleben bestimmt. Der Beruf zehrt an unserer gesundheitlichen Substanz und raubt uns Lebensqualität. Unsere Beziehungen zum Ehepartner oder Lebensgefährten, zu den Kindern, zu Freunden leiden. Es bleibt einfach nicht genügend Zeit und Energie, diese Beziehungen zu pflegen.

Jeder, der im Beruf steht, kennt die Spannung zwischen Beruf und Leben. Vor allem aber Verantwortliche und Führungskräfte leiden darunter, dass der Beruf sie immer mehr bestimmt. Sie haben nicht den Eindruck, dass sie ein gutes Leben führen, können aber auch nicht aus dem Teufelskreis der Überforderung aussteigen. Tatsache ist: Neben dem Beruf braucht es den Bereich, in dem wir einfach nur leben und uns lebendig fühlen. Dieses Leben kann und sollte dann auch auf den Beruf ausstrahlen. Wenn wir uns allerdings nur noch am Feierabend lebendig fühlen und nicht in der Arbeit, dann läuft ebenso etwas verkehrt.

In vielen meiner Gespräche mit Führungskräften ging es nun darum, wie man den Beruf und das persönliche Leben miteinander verbinden kann, wie man im Beruf als Mensch überleben und seinen Beruf mit mehr Leben füllen kann. Dabei stand nicht nur die Frage im Vordergrund, wie es möglich ist, trotz des Berufs gut zu leben, sondern vielmehr, wie das berufliche Engagement einen Menschen in seiner persönlichen Entwicklung weiterbringen und so sein persönliches Leben bereichern kann.

Auf der anderen Seite habe ich aber auch immer wieder Menschen getroffen, für die Leben und Beruf keineswegs getrennt waren. Sie fühlten sich im Beruf lebendig. Für sie war ihr Beruf ein wesentlicher Teil ihres Lebens. Und trotzdem sind sie nicht einfach im Beruf aufgegangen, sondern konnten durchaus ihr Leben genießen. Diese Menschen litten nicht an der Spannung zwischen Beruf und Leben, sondern nutzten die Spannung, damit sie sich in beiden Bereichen wohl fühlen konnten. Es stellt sich nun die Frage, wie man zu einer solchen »ausgeglichenen Spannung« kommen kann.

Mein erstes Buch zu diesem Thema, »Menschen führen – Leben wecken«, das ich vor vielen Jahren geschrieben habe, hat sehr großen Anklang gefunden. Inzwischen sind zahlreiche Menschen in Führungspositionen auf mich zugekommen. Unsere Gespräche kreisten immer wieder um das Thema Leben und Beruf. Hierbei tauchten oft konkrete Probleme aus der Berufs- und Arbeitswelt auf, die das persönliche Leben der Einzelnen belasten. Mit diesem Buch möchte ich nun versuchen, Antworten auf die vielen Fragen zu geben, die mir in diesen Gesprächen immer wieder gestellt wurden. Insgesamt berühren meine Antworten immer auch die spirituelle Dimension unseres Lebens. Für mich ist die Spiritualität ein guter Weg, mit den alltäglichen Problemen umzugehen. Immer mehr Menschen – und vor allem diejenigen, die im Beruf Verantwortung tragen – entdecken heute, dass die Spiritualität ihnen helfen kann, ihre Arbeit zu bewältigen und sich den Herausforderungen zu stellen, ohne davon überfordert zu werden. Zugleich führt die Spiritualität im Berufsleben nach wie vor eher ein Schattendasein. Man spricht nicht darüber. Schließlich möchte man nicht als fromm erscheinen. Viele haben Angst, von dem zu sprechen, was sie wirklich bewegt, und dadurch verwundbar zu werden. Lieber tun sie so, als ob alles kein Problem ist.

Vor allem Verantwortliche stöhnen unter der Last, die ihnen die Führungsaufgabe bereitet. Wie kann da die Spiritualität weiterhelfen? Wird ihnen damit nicht nur eine weitere Last aufgebürdet? So wie ich Spiritualität verstehe, bedeutet sie keine zusätzliche Mühe neben meiner Berufsarbeit, sondern vielmehr eine Quelle, aus der heraus ich leichter und besser meine Arbeit erfüllen kann. Sie ist eine Quelle, die mir Energie schenkt für mein tägliches Tun. Gerade wenn ich mich überfordert fühle, wenn ich abgehetzt und bedrückt bin, hilft mir der spirituelle Weg, an die erfrischende Quelle des göttlichen Geistes zu kommen, die in mir sprudelt, und dort Stärkung, Belebung und Klärung zu erfahren. Schließlich sollte der Beruf nicht allein das Leben bestimmen oder uns gar am Leben hindern.

Eine große Zahl beruflich engagierter Menschen nimmt sich heute eine regelmäßige Auszeit in Klöstern und sucht dort Rat, wie sie mit ihrem Leben und ihrem Beruf besser zurechtkommen kann. Diese Tatsache zeigt, dass Spiritualität im Berufsleben immer wichtiger wird, gerade in der jetzigen Zeit voller Umbrüche. Viele fragen sich auch: Was ist wesentlich? Was bleibt? Worauf kann ich mich immer beziehen? Was hat sich im Umgang miteinander bewährt? Auf welche Werte kann ich setzen? Wie kann ich meine Verantwortung wahrnehmen, ohne mich zu verbiegen, ohne mir meine Lebensqualität nehmen zu lassen? Aus welcher Quelle schöpfe ich, um den Anforderungen des Alltags zu genügen?

Ich kann natürlich auf diese Fragen keine Patentlösungen geben. Ich möchte nur aus meiner Erfahrung als Seelsorger und aus meiner über 30-jährigen Tätigkeit als Cellerar, das heißt als wirtschaftlicher Leiter der Abtei Münsterschwarzach mit über 300 Angestellten heraus Antworten geben, die mir selbst helfen, Beruf und Leben zu verbinden. Dieses Buch ist gedacht für Männer und Frauen, die in beruflicher Verantwortung stehen und die spüren, dass eine reine Erfolgsorientierung nicht weiterhilft. Sie suchen nach einer spirituellen Orientierung, wissen aber oft nicht so recht, wie ihnen die Spiritualität helfen könnte, die Herausforderungen ihres beruflichen Alltags und ihrer Führungsaufgabe zu bewältigen. Gerne möchten diese Menschen die Spiritualität in ihr Leben integrieren, haben aber noch keinen angemessenen Weg gefunden, dies zu tun. Ihnen soll dieses Buch helfen, Spiritualität und Beruf miteinander zu verbinden. Dabei geht es um eine Spiritualität, die keine Flucht ist vor den Herausforderungen des Berufs, sondern eine Quelle, um im Beruf seinen Mann oder seine Frau zu stehen, ohne die eigene Authentizität zu verlieren.

In diesem Sinne möchte ich suchenden Frauen und Männern in beruflicher Verantwortung beistehen, damit sie für sich einen gangbaren Weg finden, ihren Aufgaben aus christlicher Gesinnung heraus gerecht zu werden. Und ich möchte die Leser und Leserinnen ermutigen, auf ihrem persönlichen und spirituellen Weg weiterzugehen, den Beruf zu bewältigen und das Leben sowohl im Beruf als auch im persönlichen Bereich zu finden und dabei neue Lust am Leben zu erfahren. Ich wünsche allen Lesern eine fruchtbringende Lektüre, neue Einsichten über sich selbst und ihr (Berufs-)Leben und Gottes Segen für ihre Arbeit und ihren persönlichen Weg.

Empfindenund wahrnehmen –Mensch seinim Berufsalltag

Druck

Ein junger Abteilungsleiter wird von seinem Chef unter Druck gesetzt, weil er angeblich mit seiner Abteilung die für die ganze Firma geltenden Leistungsziffern nicht erfüllt. Der Chef macht ihm klar, dass er zusehen müsse, dass im nächsten Jahr die erwartete Leistung vollbracht werde. Außerdem müsse er fünf Prozent der Kosten einsparen. Wie er das macht, sei seine Sache.

Ein Bauunternehmer leidet unter der schlechten Baukonjunktur. Die Preise fallen in den Keller. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, steht er unter dem Druck, seine Arbeiter zu höherer Leistung antreiben zu müssen. Er braucht die Aufträge, denn er möchte seine Arbeiter schließlich bezahlen können. Oft kann er nicht mehr schlafen, weil er keine Lösung weiß, wie er die Firma durch die schwierige Situation führen und retten könnte.

Wie sollen die beiden Führungskräfte mit dem Druck umgehen, dem sie sich von außen ausgesetzt sehen? Viele Menschen fühlen sich von so einem Druck überfordert. Nachts schrecken sie hoch oder der Druck verfolgt sie im Traum. Und hellwach grübeln sie, was sie tun sollten. Doch es fällt ihnen nichts ein. Der Druck ist einfach zu groß. Der Abteilungsleiter in unserem Beispiel will den Druck, den sein Chef auf ihn ausübt, nicht in gleicher Schärfe weitergeben, denn er weiß, dass er seine Mitarbeiter nicht endlos motivieren kann. Und er weiß, dass er sich nur unbeliebt macht, wenn er den Druck immer mehr erhöht. Irgendwann wird er dann entsprechenden Gegendruck von der Belegschaft her erfahren. So sieht er sich zwischen zwei Pole eingezwängt. Die Erwartungen sind nicht zu erfüllen.

Dem Bauunternehmer im zweiten Beispiel widerstrebt es, schlampige Arbeit abzuliefern oder mit Tricks zu seinem Geld zu kommen, indem er hohe Nachforderungen für nicht vorhersehbare Arbeiten stellt. Was er auch tut, er findet keinen Ausweg, dem Druck zu entfliehen.

Diese oder ähnliche Situationen belasten viele Führungskräfte. Doch es gibt durchaus Möglichkeiten, mit dem Druck umzugehen: Zunächst hat es keinen Sinn, den Druck zu leugnen. Er ist einfach da. Es bringt nichts, die Augen davor zu verschließen. Man muss sich ihm stellen. Aber zugleich gilt es, den inneren Abstand zu den Anforderungen zu bewahren, die an einen gestellt werden und die man an andere weitergeben soll. Man muss für sich selbst entscheiden, inwieweit man die Erwartungen von oben her erfüllen soll und wo man sie besser relativiert. Und dann darf man den Druck nicht einfach eins zu eins weitergeben. Besser ist es zu überlegen, wie eine Leistungssteigerung auf andere Weise erreicht werden kann. Das muss nicht immer über noch mehr Druck gehen. Oft braucht es vielmehr Phantasie und Kreativität, damit man mehr Erfolg hat. Das wirkt sich entsprechend auch auf die Kollegen und Mitarbeiter aus, denn wenn die Leistungsziffern erreicht werden, ohne dass jemand entlassen werden muss und ohne dass Überstunden verlangt werden, macht allen der Erfolg Spaß. Das Gefühl, unterdrückt oder ausgenutzt zu werden, verschwindet.

Wie jemand auf den Druck von außen reagiert, hängt auch davon ab, ob er sich auch sonst leichter unter Druck setzt beziehungsweise setzen lässt. Es gibt Menschen, die setzen sich bei jeder Arbeit unter Druck. Sie möchten die Arbeit perfekt abliefern. Sie möchten unbedingt die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Sie arbeiten nicht aus sich heraus, sondern sind bei allem, was sie tun, auf die anderen und ihre Erwartungen oder auf die eigenen hohen Ansprüche, die sie an sich selbst stellen, fixiert. Letztlich ist dieser Druck, den man sich selbst macht, Ausdruck von innerer Unsicherheit und Selbstablehnung: Ich bin nicht gut, so wie ich bin, sondern nur dann, wenn ich das erreiche, was ich mir vorgenommen habe.

Viele machen ihr Selbstwertgefühl von der Erfüllung der eigenen Erwartungen abhängig. Mit diesem Druck, dem man sich selbst aussetzt, schadet man sich jedoch, indem man sich überfordert – und presst aus seinem Leib und seiner Seele etwas heraus, was gar nicht drin ist. Die richtige Antwort wäre, dass jeder sein eigenes Maß entdeckt, sich fragt, warum er sich eigentlich so unter Druck setzt, und ein Gespräch mit dem Druck beginnt: Dann wird er einen auf vieles andere in der eigenen Seele hinweisen, auf mangelndes Selbstvertrauen, auf die Angst, nicht gut genug zu sein, auf die Erwartungen der Eltern. Indem man den Druck versteht, kann man ihn relativieren. Der Druck ist zwar nicht weg, aber er lastet nicht mehr so drückend auf einem.

Druck kann aber durchaus auch zu Kreativität anspornen. Dann wirkt er wie eine positive Herausforderung. Wenn der Druck dagegen wie ein Damoklesschwert über einer Führungskraft und deren ganzer Abteilung hängt, dann lähmt er und erzeugt Angst. Oft werden dann Mitarbeiter krank und können erst recht weniger leisten. Wer auf den Druck fixiert ist und die Erwartungen absolut setzt, fühlt sich ausgenutzt und überfordert. Die Motivation sinkt. Und häufig tritt hier das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht hinzu – ein Zustand, der zur Bitterkeit führt und den inneren Schwung raubt. So kann der Druck kontraproduktiv werden. Er wird nicht zu mehr Leistung motivieren, sondern auf Dauer zu weniger.

Neue Lösungen können entstehen, indem man dem Druck quasi sportlich antwortet. Aber hier braucht es zugleich ein gutes Maß an Mut, den entstandenen Druck zu relativieren und sich einzugestehen, dass beispielsweise die Leistungsziffern in meiner Abteilung so wie vorgegeben einfach nicht erreicht werden können – zumindest zum aktuellen Zeitpunkt nicht. In diesem Moment ist es notwendig, den Vorgaben von oben zu widersprechen und sich nicht einfach dem Druck zu beugen. An diesem Punkt haben jedoch viele Angst, sich zu widersetzen, denn das könnte sie ja ihren Job kosten.

In der Geschichte von der Ehebrecherin, die die Pharisäer zu Jesus bringen, zeigt Jesus, wie er mit solchem Druck umgeht. Ganz gleich, wie er auf die Alternative der Pharisäer antwortete, er würde immer verlieren. So fühlen sich auch viele Führungskräfte: Ganz gleich, was sie machen, sie werden entweder nach oben oder nach unten hin verlieren. Sie werden entweder den Job verlieren oder sich bei ihren Untergebenen unbeliebt machen. Was soll man da tun? Jesus taucht hier einfach ab. Er beugt sich auf den Boden und schreibt in den Sand. Man könnte sagen: er macht Brainstorming. Und da er abtaucht, taucht in ihm auf einmal eine kreative Lösung auf. Er richtet sich auf und schleudert den Pharisäern einen Satz entgegen, dem keiner widerstehen kann:

Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.

Johannes 8,7

Wie Jesus müssen wir uns in einer solchen Situation dem Druck entziehen und auf eine tiefere Ebene gehen. Dort kommen wir in Berührung mit der kreativen Quelle in uns. Und von da tauchen manchmal Lösungen auf, mit denen wir – dem Druck von oben und unten ausgesetzt – nicht gerechnet haben.

Ein anderes Problem ist, dass sich viele vom Druck auch im privaten Bereich verfolgen lassen. Eine Hilfe, die beruflichen Probleme daheim abzuschütteln, könnte sein, gute Rituale zu entwickeln. Rituale schließen eine Tür und öffnen eine andere Tür. Das bedeutet, ich muss die Tür der Arbeit mit ihren Problemen immer erst schließen, bevor sich die Tür des Daheims öffnet. Rituale helfen dabei gleichsam als eine heilsame Unterbrechung. Sie schaffen einen Freiraum, der mir gehört, eine heilige Zeit, die ich von den beruflichen Problemen nicht bestimmen lasse. Wenn ich mir am Morgen beispielsweise bewusst Zeit nehme, um zu meditieren oder zu joggen, dann wird mich am Morgen nicht der Druck bestimmen, der mich in der Arbeit erwartet, sondern ich konzentriere mich auf mich selbst. Nach der Arbeit könnte eine kurze Meditation helfen, im Ausatmen den Druck der Arbeit loszulassen. Dann werde ich nicht niedergedrückt, sondern aufrecht nach Hause kommen. Das Ritual bringt mich in Berührung mit mir selbst. Ich bin bei mir, mit mir im Einklang. Je mehr ich bei mir bin und mich spüre, desto weniger werde ich vom Druck bestimmt. Wenn ich in den täglichen Ritualen immer wieder den inneren Freiraum spüre, kann ich mich dem Druck wieder stellen, der mich in der Arbeit erwartet – aber nun auf sportliche Art. Der Druck hat mich nicht im Griff, sondern ich antworte ihm auf meine persönliche Weise.

Ängste

Bei einem Vortrag vor Führungskräften sagte ein Mann, der lange ein Unternehmen geleitet hatte und nun pensioniert war: »Angst ist doch unser aller Thema. Aber solange ich Chef war, habe ich mich nicht getraut, über Angst zu reden, und meine Kollegen auch nicht. Aber heute reden wir alle darüber, dass uns die Angst ständig begleitet hat.«

Die Ängste, die Führungskräfte beschleichen, können vielfältig sein. Da ist die Angst, das Unternehmen nicht durch die Krise zu bringen. Oder es ist die Angst, den Anforderungen der Arbeit nicht mehr gewachsen zu sein, krank zu werden, nicht mehr zu können. Oder es ist die Angst, den Erwartungen der Vorgesetzten nicht zu entsprechen und die Arbeit zu verlieren. Viele, die in beruflicher Verantwortung stehen, haben Angst vor der Beurteilung durch andere, nicht nur vor der Einschätzung durch den Chef, sondern auch durch die Mitarbeiter, die sie zu führen haben. So versuchen sie, es allen recht zu machen, damit sie nur ja bei allen in einem guten Licht erscheinen. Andere haben Angst, dass sie die Entwicklung auf dem Markt nicht mitbekommen und nicht schnell genug auf die Veränderungen reagieren können. All diese Ängste könnte man als Versagensängste bezeichnen.

Am häufigsten begegne ich aber dem Phänomen der Existenzangst. Die Zeitschrift »Psychologie heute« hat im Jahr 2004 einen eigenen Artikel über das Thema der Existenzängste veröffentlicht und weist darauf hin, dass diese Art der Ängste noch viel zu wenig im Blickfeld der Forschung steht:

Wer Existenzängste hat, nimmt seine gesamte Lebensgrundlage als bedroht wahr. Die Bedrohung kann körperlich, psychisch, finanziell oder auch sozial sein.

Psychologie heute, 2004, S. 11, 21

Selbst Führungskräfte, die anscheinend einen sicheren Posten innehaben, können heute keine Garantie für ihren Job erwarten. Die Firma könnte Konkurs anmelden. Oder sie wird von einer größeren Firma übernommen. Obwohl die Führungskräfte gut gearbeitet und die Firma auf Erfolgskurs gebracht haben, können auch sie über Nacht die Arbeit verlieren, weil ein neuer Besitzer alles umstrukturiert und die Hälfte der Mitarbeiter entlässt. Das bedeutet, nicht einmal durch eine konstant gute Leistung kann man sich heute seinen Job sichern. Man ist so vielen unwägbaren Einflüssen ausgesetzt und weiß nicht, was in fünf Jahren mit der Firma und mit einem selbst geschehen wird. Selbst ein Firmenchef hat Angst, dass er Insolvenz anmelden muss und damit alles gefährdet, was er ein Leben lang aufgebaut hat.

Viele reagieren auf die Bedrohung ihrer Existenzgrundlage mit einer passiven Strategie. Sie verdrängen ihre Existenzängste, sagen sich, dass es schon irgendwie wieder besser wird:

Bei ihnen türmen sich die ungeöffneten Briefe mit Rechnungen und Mahnungen.

Psychologie heute, 2004, S. 22

Doch Verdrängung befreit nicht von Existenzangst. Die Angst quält weiter. Diese Menschen werden von der schwierigen Situation bestimmt, fühlen sich getrieben und gejagt. Besser ist hier eine aktive Strategie: die Angst bewusst anzuschauen und darauf zu reagieren. Das bedeutet, einen Schritt zurückzutreten, sich von der Angst zu distanzieren, die schwierige Situation zu analysieren und nach Lösungen für die Zukunft zu suchen.

Einer weiteren Angst begegne ich im Gespräch mit Managern und Managerinnen ebenfalls immer wieder: Es ist die Angst vor dem Kontrollverlust. Führungskräfte haben an sich den Anspruch, dass sie sich immer kontrolliert verhalten müssen. Sie wollen ihre Emotionen unter Kontrolle halten. Es wäre ihnen geradezu peinlich, wenn sie in einer Diskussion die Beherrschung verlieren würden. Nach außen hin wollen sie immer selbstsicher und cool erscheinen. Keiner sollte ihre Schwächen wahrnehmen. Die Angst vor dem Kontrollverlust kann sich aber auch auf die Firma oder auf die Abteilung, die sie leiten, beziehen. Sie möchten immer alles wissen, was in der Abteilung gerade läuft. Wenn sich dann Konflikte häufen oder manche Mitarbeiter Unzufriedenheit äußern, haben sie den Eindruck, sie hätten ihre Gruppe nicht mehr im Griff. Alles könnte ihnen aus der Hand gleiten. Es werden sofort Ängste wach, alles könne sich ihrer Kontrolle entziehen und zusammenbrechen.

Wie gehe ich mit der Angst um? Man kann sie nicht verdrängen, ihr darf aber auch nicht zu viel Macht zugestanden werden. Sonst hat sie einen völlig im Griff. Der erste Schritt ist, sich seine Angst einzugestehen und sie als Teil von sich anzunehmen. Ich erlebe viele Manager, die meinen, sie seien krank, weil sie von Ängsten geplagt werden. Sie haben den Eindruck, als Führungskraft dürften sie keine Angst haben. Wer aber Angst hat, kann nicht mehr richtig führen. Doch solche Gedanken entpuppen sich als unmenschlich. Angst gehört zum Menschen. Wenn der Mensch keine Angst hätte, besäße er auch kein Maß. Er würde zügellos weiter investieren und unbeherrscht mit seiner Zeit und Kraft umgehen. Angst hat immer einen Sinn. Ich muss freundlich mit ihr umgehen. Und vor allem muss ich damit aufhören, mich selbst zu pathologisieren und mich als krank anzusehen, nur weil Angst in mir auftaucht. Sie darf sein. Und es ist gut, dass sie da ist.

Wer sich die Angst verbietet, der gerät oft in Panik, wenn die Angst trotzdem auftaucht. Und dann gibt es einen Teufelskreis. Man hat Angst vor der Angst, und dadurch wird sie immer stärker. Das Gespräch mit der Angst dagegen lässt die Angst oft von alleine kleiner werden. Dabei kann jeder mit der Angst wie mit einer Person sprechen. Die Angst bekommt dann ein Gesicht und verliert ihre alles durchdringende Macht. Darin besteht der zweite Schritt. Man könnte die Angst zum Beispiel fragen:

Wem giltst du?

Vor wem oder vor was lässt du mich zurückschrecken?

Was könnte geschehen?

In welchen Situationen tauchst du auf?

Gibt es bestimmte Menschen, die mir Angst machen?

Wirst du stärker, wenn ich überfordert bin, wenn ich zu viel gearbeitet habe?

Kenne ich deine Anzeichen? Kann ich dagegen angehen?

Habe ich Angst vor der Angst?

Ein dritter Schritt