Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST - E-Book

Leben unter fremder Flagge E-Book

Thomas GAST

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Beschreibung

Thomas Gast vermittelt Einblicke in das unverfälschte Legionsleben. Es gibt keine Erfahrung aus zweiter Hand, und so erhaschen wir interessierte Leser (mit oder ohne entsprechende militärische Vorbildung) bestenfalls prägnante Annäherungen an einen Typus von Soldat, welcher in der heutigen krisengebeutelten Welt seinesgleichen sucht. Ohne selbst diesen Dienst geleistet zu haben wird naturgemäß eine ehrfürchtige Distanz zwischen Leser und Autor bleiben. Endlose Ausbildungszyklen formen einen hoch spezialisierten Profi dessen Überlebenschancen trotz zahlreicher Einsätze in den heißesten Brennpunkten der Erde höher scheinen als die, anderer Armeen. Eindringlich und mit minutiösem Detailwissen ausgestattet schildert Thomas Gast seine 17-jährige Dienstzeit in der Fremdenlegion. Er berichtet nüchtern, abgeklärt, ohne die meist üblichen Glorifizierungen und Mythenbildungen, aber stets voller Stolz auf das Erreichte und mit gebührender Dankbarkeit an die grande famille de la Légion, ohne sich je mit fremden Federn zu schmücken. Es sind die knappen, leisen und beinahe versteckten Randnotizen, die unter die Haut gehen. In Guyana wurde der junge Legionär "sehniger" (unaussprechliche Strapazen kann man nicht in Worte fassen). Fast beiläufig verzeichnet er einen Hauch von Verweichlichung und Rückgang in der traditionellen Härte, als mehr und mehr Freiwillige aus Osteuropa in die Legion drängen und die über Jahrzehnte gewachsene Atmosphäre von Abenteuerlust und (man verzeihe mir den Begriff) Landsknechtsromantik ignorieren, ja den echten Geist der Legion nicht mehr so recht atmen, obgleich im Fazit die Schlagkraft und Einsatzbereitschaft dieser Eliteeinheit keinen Schaden nehmen. Generationenwechsel finden nun einmal überall statt und die Legion ist beileibe keine Ausnahme.

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Thomas GAST

Leben unter fremder Flagge

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Hinweis

Haben gesagt...!

Widmung

Vorwort des Autors – Die Legion einst und heute

Prolog

Alte Geister, die ich rief

FEBRUAR 1985

Erste Schritte

Adieu, altes Europa, que le diable t’emporte!

Ausbildung für Teufelskerle

JULI 1985

In der Hölle Guyanas

Vieux Bourg

Ein Hauch von Papillon

Ein privilegiertes Leben

Camopi

Ruhe vor dem Sturm

SEPTEMBER und NOVEMBER 1987

Unter Männern

Das afrikanische Abenteuer

NOVEMBER 1988

Am Horn von Afrika – Dschibuti 1988

RÜCKBLICK

Unteroffizier

Popote

Saint Michel

Tschad

DEZEMBER und JANUAR 1992/ 93

Der Balkan-Krieg 1991 – 1995

Mission Crossing

Maybe Airlines

Wenn die Menschlichkeit eine Schlacht gewinnt

Airport, eine gigantische Falle?

Mariusz und Ratislav

Counter Sniping

Klar zum Gefecht – Angriff auf Butmir

Achse Rose

Raus aus dem Hexenkessel!

SEPTEMBER 1994

Wieder Zentralafrikanische Republik

MÄRZ 1996

French Beauty

Opération Pélican

Vaterfreuden

OKTOBER 2000

Die Welt – ein schöner Ort, zu leben

Ich bereue nichts

Epilog

Nachruf

Geschichte

Ehrenkodex

Besonderheiten

Bekannte Fremdenlegionäre

Dienstgrade

Regimenter

Quellen

Buchtipp 2016

Impressum neobooks

Hinweis

Unter dem Titel Die Legion – Mit dem 2. Rep in den Krisenherden dieser Erde erschien dieses Buch am 26. Februar 2010. Es war ein Erfolg, fuhr hervorragende Kundenrezensionen im Kielwasser mit sich. In seiner Ausgabe 20/12 wies das FOCUS-Magazin das Buch als das Standardwerk schlechthin aus. Im Jahr 2016 wechselte es den Verlag. Mit neuem Titel, einem anspruchsvolleren Text, einer übersichtlicheren Kapitelgestaltung, mit mehr Bildern und zusätzlichen erlebten Geschichten meldet sich das Werk nun zurück. Diese rundum erneuerte Publikation bietet dem Leser einen detaillierten Einblick in das Armeekorps, von dem viele behaupten, es sei das beste, das es je gab.

Haben gesagt...!

„Ich bin ein freier Mensch. Ich will unter keinen Umständen ein Allerweltsmensch sein. Ich habe ein Recht darauf, aus dem Rahmen zu fallen. Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheiten. Ich will kein ausgehaltener Bürger sein, gedemütigt und abgestumpft, weil der Staat für mich sorgt. Ich mag dem Risiko begegnen, mich nach etwas sehnen und es verwirklichen, Schiffbruch erleiden und Erfolg haben. Ich lehne es ab, mir den eigenen Antrieb mit einem Trinkgeld abkaufen zu lassen. Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten, als ein gesichertes Dasein zu führen; lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolges statt die dumpfe Ruhe Utopiens. Ich will weder meine Freiheit gegen Wohltaten hergeben noch meine Menschenwürde gegen milde Gaben. Ich habe gelernt, selbst für mich zu handeln, der Welt gerade ins Gesicht zu sehen und zu bekennen: Dies ist mein Werk.“ Albert SCHWEITZER, deutsch-französischer Arzt, Philosoph, Schriftsteller, Theologe, Musiker und Humanist.

„Ich liebe den Legionär, denn er kann und will nur eines sein: Soldat! Ein Legionär ist Soldat, wie ein Flaubert Schriftsteller, ausschließlich das. Es gibt nichts Lobenswerteres als einen Mann, der nur eine Sache verkörpern möchte. Und ich liebe die Legion, denn sie ist Vorreiter und Verkünder der zukünftigen Armee: der Armee eines verbündeten Europas, bestehend aus Soldaten, die den Krieg zu ihrem Metier berufen. Es wird der Tag kommen, an dem diese Berufssoldaten gegen andere Rassen kämpfen müssen, gegen Rassen, die sich gegen das vereinte Europa erheben.“ Pierre MILLE, französischer Schriftsteller und Journalist

„Gern denke ich an jene Zeit kurz vor dem Kriege zurück, in der ich eines Tages meine Schulbücher über die nächste Mauer warf, um nach Afrika zu ziehen. Der Dreißigjährige kann sich nicht entschließen, die Unverfrorenheit des Sechzehnjährigen zu missbilligen, die auf die Tätigkeit von zwei Dutzend Schulmeistern verzichtete und sich über Nacht eine eindringlichere Schule verschrieb. Es entzückt ihn vielmehr ein früher, instinktiver Protest gegen die Mechanik der Zeit; und er erinnert sich eines einsamen Paktes, der durch eine geleerte Burgunderflasche besiegelt wurde, die er an einem Felsblock des Hafens von Marseille zerschmetterte.“Ernst JÜNGER, deutscher Schriftsteller, Offizier und Ex-Fremdenlegionär in „Das abenteuerliche Herz“.

Es gibt für einen Mann nichts Angenehmeres als ein kühles Bier an einem heißen Sommerabend. Es gibt nichts Verführerischeres als einen Traum. Es gibt nichts, was es mehr wert ist, zu leben, als, wenn das Bierglas leer ist, bis ans Ende seiner Träume zu gehen, auch wenn die Nacht dazwischenliegt und der Weg steinig ist. Der Autor

Widmung

… für Thomas Linder, für Mariusz und für Ratislav.

Verloren

Im Balkankrieg 1991 – 1995 verlor Thomas seinen Glauben und fand den Tod. Mariusz verlor sein Bein und damit seine Illusionen, Ratislav verlor sein Leben.

Vorwort des Autors – Die Legion einst und heute

Von ihrer Geburtsstunde unmittelbar vor Beginn des Zweiten Kaiserreichs, dem Seconde Empire, hin zur Eroberung Algeriens, bis zum Tode des Sergent-chef Vormezeele, „Killed in action“, in einem mit hochmodernen Mitteln und großartig angewandter Taktik in Mali geführten Guerillakrieg, hat die Legion nie aufgehört, Männer aller Rassen, aller Religionen und aller Nationalitäten aufzunehmen. Dazwischen liegen nahezu zwei Jahrhunderte. Zu jeder Zeit befanden sich Künstler, Ärzte, Architekten unter den Freiwilligen, aber auch Prinzen, Proletarier, Schriftsteller und Bettler. Oder Intellektuelle. So zum Beispiel riefen ausländische Gelehrte am 29. Juli 1914, einen Tag nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien und kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, zu einer Mobilisierung auf. Sie forderten alle schaffenden Künstler – woanders geboren, aber in Frankreich beheimatet – auf, die Waffen zu ergreifen. Zahlreiche Studenten, Arbeiter und Intellektuelle fühlten sich angesprochen. Eine Woche darauf meldeten sich an den Rekrutierungsstellen der Légion étrangère knapp 8000 Männer. Sie waren entschlossen, für ihre Wahlheimat Frankreich zu kämpfen. Der französischsprachige Schweizer Schriftsteller und Abenteurer Blaise Cendrars (Die fabelhafte Geschichte des Generals Johann August Suter) war einer von ihnen. Auch der US-amerikanische Poet und Dichter Alan Seeger (Poems – I Have a Rendezvous with Death) folgte dem Aufruf. Seeger fand den Heldentod, Cendrars ließ seinen Arm, schaffte es mit Mühe und Not, dem Stahlgewitter zu entkommen. Noch heute spricht die Legion faszinierende und interessante Männer an. Auch solche, die nicht wissen, dass sie es sind. Die Tatsache, sich freiwillig in der Legion zu melden, drängt einen Mann gegen seinen Willen in diese Gattung. Drängt ihn in die Ecke derer, die das Außergewöhnliche suchen und das Herkömmliche schlichtweg ablehnen. Über die letzten 185 Jahre hinweg, zurückblickend auf zwei Weltkriege, den Indochinakrieg und über alle dazwischenliegenden kolonialen Kriege (wollen wir Afghanistan nicht vergessen), war die Légion étrangère eine Referenz für die zweite und oftmals letzte Chance im Leben eines Mannes. Dieser Logik der zweiten Chance konnte und wollte auch ich mich nicht entziehen.

Scharfer Einsatz! Legionäre der ersten Kompanie des 2. REP während der Operation Licorne, Dezember 2002 in der Elfenbeinküste. Im Bild der leichte Mörser LLR.

Was ich erlebte, war erstaunlich. Seit meinem Austritt aus der Legion beobachte ich hautnah die Entwicklung dieses Eliteverbandes, und was ich sehe, erfüllt mich mit Zuversicht. Europa durchlebt besondere „geschichtliche Momente“, und wie ein Pierre Mille bin ich bereit, zu glauben, dass bald die Zeit kommen wird, in der Europas Soldaten europäische Werte innerhalb Europas und an unseren Außengrenzen verteidigen müssen, denn: Obwohl sich noch kein Lüftchen regt, stehen die Zeiten auf Sturm! Besäße jede Nation ihre Légion étrangère, so wäre das, wenn schon kein Garant für immerwährenden Frieden, so aber eine immense, sprich unüberwindbare Herausforderung für alle fremden Regierungen, die einen Frieden nicht wollen. Es ist Fakt, dass die 7800 Mann starke Fremdenlegion zum heutigen Standpunkt (anno 2016) den besten Kampfverband auf die Beine stellt, den es weltweit gibt. In der Tat ist die Legion eine lebende Legende mit Drang nicht nur zur Front, sondern auch hin zur Moderne, zur Innovation und zu originellen Kampftechniken. Wenn man Papier Glauben schenken darf, dürfte sich die Legion in nichts vom Régime général des französischen Heeres unterscheiden. Doch schaut man auf ihre Erfolge, wird im Handumdrehen klar: Die Légion étrangère ist kein gewöhnliches Korps! Der Status der Legion ist unantastbar, ihre Existenz drückt mehr denn je den französischen Willen aus, über eine Truppe zu verfügen, die Vertrauen einflößt und die für Frankreich (wie auch für Europa) sogar die glühendsten Kohlen aus dem Feuer holt, ohne dass eine französische Mutter um ihren Sohn weinen müsste. Jährlich melden sich etwa 8000 Kandidaten, nur jeder Achte wird genommen. Die Legion wählt illustre, für den Einsatz hochbegabte Soldaten aus. Was diese Rekruten und späteren Legionäre, unter Vertrag und unter fremder Flagge kämpfend, auszeichnet? Es ist an erster Stelle die körperliche Robustheit. Des Weiteren sind sie über die Maßen hinaus mental belastbar, weil sie den Schritt in die Legion von sich aus gewählt haben. Freiwillig sein, diese zwei Wörter sind von Relevanz: Vom Willen beseelt! In der Tat schöpfen die Legionäre aus dieser mentalen Stärke ihre Motivation. Korpsgeist und Disziplin werden ihnen im Alltag und im Einsatz eingehaucht, dafür sorgt der Rahmen schon, dafür sorgt die Legion. Dieser Prozess, die Disziplin vorneweg, kommt niemals schleichend. Er ist brutal, weil oft im Feuer der Realität erworben. Und die Légionnaires sind gerüstet mit grenzenloser Dankbarkeit. Dankgefühl ist eine Waffe, die man nicht unterschätzen darf, denn in ihrem Schatten lauert die schrankenlose Loyalität. Im Rahmen der Recherchen für mein Buch „Die Legion 2. B.E.P: Die Fallschirmjäger im Indochina-Krieg“ unternahm ich im November 2010 eine Gewalttour. Ich verbrachte zahlreiche Stunden damit, mich durch Militärarchive zu wühlen. Ich verabredete mich mit Veteranen, mit Zeitzeugen der Indochina-Epoche. Ihre Geschichten glichen einer atemlosen Berg-und-Tal-Fahrt. Heute, mit etwas Abstand, mich an meine eigene Zeit in der Legion (1985 – 2002) erinnernd, fällt es mir leichter, Vergleiche zwischen einst und jetzt zu ziehen. Ich verstand mit einem Mal, was in den Köpfen der Anciens (Ehemaligen) heute vorgeht. Und mir gelang es, nachzuvollziehen, was sie angetrieben hatte, weitab der Heimat einen menschenverachtenden, blutigen und an Dramatik nicht zu überbietenden Krieg zu führen. Der Legionär 2016 ist dem Krieger der Reisfelder Indochinas von 1954 ähnlich. Mehr noch: Beide sind vom Ansatz her identisch. Identisch, weil dieselben Werte, Traditionen, Abläufe und der Esprit Légion von einer Generation an die nächste übermittelt wurden. Ein Unterschied besteht. Einmal die Erfahrungen der Anciens analysiert, erfolgt eine Auswahl à la „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“. Für „nicht gut“ Befundenes wird herausgefiltert und fällt durch das Raster. Das Positive wird übernommen und weitergegeben. Nicht zuletzt führt dieser stetige Prozess dazu, dass der Legionär von heute nicht nur von der Erfahrung einer ganzen Kriegergeneration profitieren kann, sondern die in der Vergangenheit begangenen Fehler vermeidet. Auch zieht er kritischer in seine Einsätze, würde, wenn überhaupt, dann nur im absoluten Ausnahmefall Befehle ausführen, die Straftaten beinhalten, gegen Menschenrechte verstoßen oder in der Tat abscheulich sind. Von ihrer Anzahl her fallen die heutigen Einsätze nicht knapper aus, nur hat sich ihr Charakter verändert. Sie gleichen Nadelstichen reaktionsschneller Einheiten, werden mobil, kompakt, blitzschnell geführt. Des Weiteren geht man in diesen Einsätzen ans absolute Limit, überschreitet es, wann immer es von Vorteil ist, wann immer es der Sache dient. Als Beispiel nenne ich gerne den Einsatzsprung über Timbuktu im Jahr 2013. Die am Sprung beteiligten Fallschirmjäger der Legion führten Lastensäcke mit sich, die, den Vorschriften nach, viel zu schwer waren. Sich aber über die Vorschriften hinwegzusetzen, hieß: mehr Munition, mehr Effizienz, mehr Aussicht auf Erfolg! Kaum zur Sprungtür hinaus, zogen die Legionäre nebst Haupt- auch sofort den Reserveschirm. Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme, weil eben das Gepäck zu schwer wog. Diese Prozedur war nicht nur verboten, sondern auch im höchsten Maße riskant. Die Risiken? Das Duo Mann/Schirm gerät ins Trudeln und der Reserveschirm wickelt sich, Pech hinzukommend, um den Hauptschirm. Der Krieger schmiert ab und findet seinen Platz in Walhalla. Aber mit Blick auf das Resultat war es das einzig richtige Verhalten. Das situationsgerechte Anwenden solcher Feinheiten, wenn auch unkonventionell, setzte sich über den gesamten Einsatz bis zum Endkampf gegen al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM), im Adrargebirge hin fort. Beispiele, in denen Kompaniechefs (oder Zugführer) der Legion ihren Blick ausschließlich auf den Erfolg richteten und aus jahrelanger Erfahrung heraus „nicht regelkonforme“ Befehle erteilten, gab es immer. Auch zu meiner Zeit. Insofern heiligte der Zweck hie und da die Mittel, wobei Recht und Moral nie wirklich infrage gestellt wurden. Im Gegensatz zu anderen Armeen vergisst die Legion vor, während und nach den Einsätzen nie, dass der Mann im Soldaten, der Mensch hinter der Kampfuniform zählt. Sie stählt daher dessen Körper, schärft seinen Geist, seinen Willen und seinen Sinn für Solidarität.

Solidarität unter Waffenbrüdern. Fallschirmjäger der Legion bei der Ausbildung in Französisch Guyana / Südamerika

Die Offiziere setzen heute Akzente. Der Legionär soll gerne Soldat, muss von seinem Handeln überzeugt sein. Diese willige, moderne Legion ist dieser Tage ständig in Opérations extérieures (OPEX – Auslandseinsätze) verstrickt. Der Rhythmus der Kampfregimenter ist infernalisch. In diesem Zusammenhang ist es von hoher Bedeutung, dass etwa 85 Prozent aller Legionäre sowie auch viele Kader nicht verheiratet sind. Die Einsatzbereitschaft ist daher außergewöhnlich. Zwei, drei oder vier Mal hintereinander, und ohne eine nennenswerte Pause einzulegen, von einem Einsatz zum nächsten überzugehen, wie mir oft widerfahren, ist Normalität. So zum Beispiel verbrachte ich im Jahr 1995 neun Monate mit nur einer unwesentlichen Unterbrechung von knapp zwei Wochen in der Ausbildung und im Einsatz zunächst in der Zentralafrikanischen Republik und im Anschluss in Gabun. Das stellte keinen Einzelfall dar, sondern eher schon die Regel. Unternehmen wir einen Spaziergang durch die verschiedenen Waffengattungen der Fremdenlegion, so stellen wir fest, dass dieses Korps in jeder Hinsicht komplett ist. Die Rekruten haben die Wahl zwischen Fallschirmjäger, Panzersoldat, Sturm-, Gebirgs- und Brückenpionier oder Infanterist. Sonderausbildungen folgen in der Regel in den Stammeinheiten, in denen sich jeder Einzelne, seinen persönlichen Neigungen oder den Anforderungen des Korps nach, spezialisieren kann. Koch, Scharfschütze, Sekretär, Schreiner, Kampfschwimmer, Krankenpfleger, Saboteur, Musiker, Kommando-Soldat, Fahrer, Gebirgsjäger etc. Die Liste lässt sich unendlich fortführen. Eines sind sie alle, egal ob Pionier oder Fallschirmjäger, ob Koch oder Kampfschimmer: Hervorragende Kämpfer! Blutrünstige, hirnlose Killer? Mit absoluter Sicherheit nicht! Der positive Zukunftstrend der Legion lässt sich nicht aufhalten. Um sich ein Bild über dieses Korps zu machen und um die folgenden Erzählungen über mein Leben und meine Einsätze mit der Legion zu verstehen, sollte man, wenn auch nur in groben Zügen, die Tradition und die Vergangenheit der Légion étrangère kennen. Ein kurzer Überblick findet sich diesbezüglich im Anhang.

Prolog

La Légion étrangère – Die Fremdenlegion!

Dreizehn Lettern, die sich dicht aneinanderreihen. Dreizehn Buchstaben, von denen jeder einzelne einem Hauch von Abenteuer gleichkommt. Buchstaben, die klingen wie Romantik, Effizienz, Verwegenheit und Heldentum.

… auch wie Nostalgie?

Es ist seltsam still geworden um die Legion. Hat sie ihren Mythos eingebüßt? Hat die Fremdenlegion ihre Romantik in die längst erkalteten Grüfte Indochinas gelegt, sie darin begraben? Wo ist der Hauch von Abenteuer geblieben? In den Wadis, den Ergs oder auf den Djebels Marokkos oder Algeriens, für immer verloren?

Nein. Ganz entschieden: Nein!

Haben die Zeiten sich auch geändert, so ist die Fremdenlegion sich treu geblieben. Der Legionär von heute ist identisch mit dem, der im September 1918 mit aufgepflanztem Bajonett Schulter an Schulter mit seinen Kameraden die Hindenburglinie stürmte und siegte. Und oh ja, es wird eine Zeit kommen, in der man den Abenteuern der gegenwärtigen Legion genauso viel Aufmerksamkeit widmet, wie man heutzutage mit größter Bewunderung die Taten der Fremdenlegion des vergangenen Jahrhunderts beklatscht. Es ist eine eingefahrene Sache, dass die meisten Menschen denken: Früher war alles besser! Einst waren Männer noch Männer! Zu unserer Zeit zählte ein Wort etwas! Ich widerspreche dem nicht, weise ungeachtet dessen mit Vehemenz darauf hin, dass es Sprüche ins Leere sind. Jede Generation generiert ein „Plus“, birgt ihre Vorteile. Keine erlebte Epoche ist von minderer Güte, im günstigsten Fall ist die jeweilig aktuelle Generation einfach nur anders. Von dem Jetzt, dem Heute will ich berichten, nicht vom Anno Dazumal. Doch zwei Dinge vorweg. Zuallererst muss betont werden, dass dieses Werk nicht den Anspruch erhebt, eine schriftstellerische Glanzleistung zu sein. Das ist nicht mein Ansinnen. Ich möchte über Ereignisse erzählen, nicht sie schönreden bzw. schönschreiben. Ich will auch nicht irgendetwas beweisen, höchstens hoffen, dass der Unterhaltungswert sowie die Informationen über die Fremdenlegion den Mangel an schriftstellerischer Eleganz aufwiegen. Um die Wahrheit geht es mir. Wer dieses Buch mit der Idee aufschlägt, jede Seite sei mit Blut besudelt und auf jeder zweiten wird sich ein muskelbepackter Fremdenlegionär, furchtlos und ohne eine Schramme abzubekommen, erfolgreich gegen eine gesamte Armee behaupten, dem gebe ich einen Rat: Träumen Sie weiter oder lesen Sie einen Schmöker von Stephen King, denn keines von diesen Klischees oder Hirngespinsten werde ich nähren.

Legionär bei der Ausbildung in Französisch Guyana – keine Supermänner, sondern vom Willen beseelte Abenteurer, die ihre „zweite Chance“ wahrnehmen

Um die Legion ranken sich Mythen, das Thema füllt zahlreiche Bücher und Kolumnen. Mit Verlaub, es wurde und wird auch viel Unsinn über sie geschrieben. Unsinn, der auf Mangel an Information und Intuition basierte. Es wurde zu ungenau recherchiert, leider auch dort, wo Un- oder Halbwahrheiten grassierten. Himmelschreiend bedeutend ist die Zahl derer, die selbst nie in der Legion gedient haben, die aber darüber berichten, als ob sie dort die beste Zeit ihres Lebens verbracht hätten. Natürlich ist das legitim, man muss schließlich Waterloo nicht erlebt haben, um über Napoleon zu schreiben, doch Waterloo ist nicht Camerone und Napoleon nicht Danjou. Die meisten dieser Autoren waren mit dem Thema Legion überfordert, denn wer nicht gedient hat, kann kaum den Esprit Légion einfangen. Wer es trotzdem versuchte, schob ein Manuskript vor sich her, dessen Geruch des „nicht Authentischen“ einem Ex-Legionär schon von weitem entgegenschlug, ihn damit ohrfeigte. Den unbedarften Leser damit zu düpieren ist denkbar, der gediente Insider hingegen wird höchstens die Augen verdrehen. Einigen Autoren gelang es. Paul Bonnecarrère zum Beispiel. Er selbst hat nie in der Legion gedient. Sein Buch „Frankreichs fremde Söhne“ (Originaltitel „Par le sang versé“) ist aber an Authentizität kaum zu überbieten. Warum? Weil er unter Legionären gelebt, mit ihnen Seite an Seite im Dreck, in der Kälte und im Regen gestanden, mit ihnen Kaffee und Wein aus einem Blechnapf getrunken hat. Aber auch unter der Handvoll ehemaliger Legionäre gibt es Verfasser, die nur kurze Zeit in der Legion verweilten. Das Gesamtbild „Legion“ konnten sie dementsprechend nur unvollkommen, aus ihrer Nische heraus, beurteilen. Simon Murray ist eine Ausnahme. Dem Briten gelang mit „Tagebuch eines Fremdenlegionärs“ ein hervorragendes Werk. Der Gentleman von Scheitel bis Sohle und spätere Milliardär war nur fünf Jahre in der Legion (Einsatz in Algerien), schrieb aber Wahres mit behutsamem Weitblick und mit der notwendigen Seriosität. Als junger Mann und angehender Legionär hatte er begriffen, dass die Legion eine brutale Schule ist. Dementsprechend verhielt er sich. Er gab sich vollends hin, warf seine ganze Stärke, seinen Glauben, seinen Mut und seine Begeisterungsfähigkeit in die Sache. Das ermöglichte es ihm, die Legion so vorzufinden und in seinem Buch so zu präsentieren, wie sie wirklich ist. Jemand, der sich nur halbherzig und mutlos in die Schlacht wirft, dem wird dieser Blick verwehrt bleiben. Und zu guter Letzt existieren wie eh und je Deserteure oder solche, die schlechter Leistungen wegen „gegangen“ wurden. Auch dem Personenkreis schreibe ich die Objektivität ab, die es braucht, Wahres zu berichten. Man nennt sie Hafensänger und derer gibt es leider viele. Der Blick, den Außenstehende von der Legion bekommen, wird nicht selten von denen verzerrt und ins falsche Licht gerückt, die noch eine Rechnung mit ihr offen haben. Meine Worte sollen die Verdienste des angesprochenen Personenkreises in keiner Weise schmälern, wichtig ist mir, dass der Leser nicht dazu verführt wird, durch sie das Essenzielle aus den Augen zu verlieren. Das Essenzielle ist in diesem Fall, dass die Legion lange vor unserer Geburt schon existierte und dass sie auch dann noch existieren wird, wenn wir zu Grabe getragen werden. Die Legion – ob als herausragende Institution oder als schlagkräftiger, moderner Kampfverband – ist einzigartig. Egal, unter welchem Aspekt und aus welchem Blickwinkel heraus man sie betrachtet.

Unsinn zu schreiben, davor bin auch ich nicht gefeit. Nur habe ich einen enormen Vorteil. Ich war dabei, bin bis zum Schluss geblieben, siebzehn Jahre lang. Ich verließ die Legion durch die Vordertür, Stolz und Wehmut im Herzen. Meine Recherchen heißen Erinnerungen. Erinnerungen daran, wie ich die Legion während der Zeit von Anfang 1985 bis Anfang 2002 erlebte, doch Vorsicht: Mit Nachdruck distanziere ich mich davon, die Fremdenlegion verherrlichen zu wollen. Kritik übe ich in diesem Buch, wenn sie denn angebracht ist, genauso verfahre ich mit Lob und Anerkennung. Wenn letztere überwiegen, dann ist der „wahre“ Blick wiederhergestellt, dann war es halt so! Sehr oft wirft man mir vor, ich würde die Legion schönfärben, würde sie belobhudeln und glorifizieren. Diese Kritik kommt erstaunlicherweise nicht selten von Ex-Legionären. Es bedarf meinerseits keiner Rechtfertigung. Dennoch: Ich verspüre eine große Solidarität mit denen, die kämpften, auch an meiner Seite. Und ich fühle mich denen verbunden, die in ihrem Fleisch und in ihrer Seele verletzt wurden. Mit denen, die ihr Leben ließen. Ich fühle mich verpflichtet, gebrachte Opfer zu würdigen, sie nicht zu vergessen. Und ich schreibe, wie ich die Legion erlebt habe, Punkt! Meinen Vorgesetzten sah ich immer gerade und offen ins Gesicht. War ich unzufrieden, suchte ich den Dialog. Dem ging meist eine kleine Revolte voraus, ein Aufbäumen meinerseits im Angesicht einer sich anbahnenden oder geschehenen Ungerechtigkeit. Teilweise kam das Gespräch erst zustande, nachdem ich auf die harte Tour daran erinnert wurde, dass ich Legionär war, nach körperlichen Strapazen also, aber es fand statt. Solche „Umwege“ ging ich oft und auch gerne, wenn das Resultat stimmte. Immer das Beste von mir gebend ... Aufrichtigkeit, körperlichen Einsatz bis zum Umfallen, grenzenlose Dankbarkeit ... habe ich stets einige Rosinen vom Kuchen zurückbekommen. In Form von Vertrauen. Ich erhielt ein „Commandement“ (Zugführer und später auch „Spieß“ bei den Paras Légion), einen „Titel“ (Adjudant) und eine bescheidene Rente. Und das erzeugt Neid. Natürlich gab es Legionäre, und vielleicht kommen wir hier der Sache ja näher, die nie gaben, sondern die sich nur bedienten. Die sich „verwalten“ ließen. Es gab jene, die heuchlerisch dienten, die sich ständig besoffen, die alles schlechtredeten, die anderen nie ihre Hilfe anboten und die körperlich nie an ihre Grenzen oder gar darüber hinausgingen, außer unter Zwang, unter Drohungen. Auch sie erhielten zu Dienstzeiten, was sie „gegebenenfalls“ verdienten. Schläge, Knast, kaum Verantwortung und Rauswurf nach fünf Jahren (oder schon vorher)! Dass dieser Personenkreis nicht verstehen kann, dass es jemanden gibt, der die Legion in Ehren hält, ist nachvollziehbar. Ich verüble es ihnen aber nicht. Undankbarkeit dem gegenüber, der einen einst fütterte, aufnahm und eine zweite Chance bot, ist womöglich ein menschlicher Zug. Jeder lebt, wie er es versteht. Jeder erntet, was er sät. In jüngster Vergangenheit wurde mir oft die Frage gestellt: Wie ist sie denn, die Legion? Es fiel mir immer nur eine Antwort dazu ein. Die ist etwas länger:

Am Anfang: Ein zusammengewürfelter Haufen, auf der Suche nach ein und demselben Ideal.

Währenddessen: Effizienz, Schlagkraft … Ohne Zweifel die „bestgeölte“ Kampfmaschine der Welt, die überall, wo sie auftaucht, Spuren hinterlässt. Spuren von Großzügigkeit, von Gerechtigkeit und von Toleranz. Spuren von absoluter Professionalität, von Kameraderie und von etwas, das man jenseits des Rheins „l’amour du travail bien fait“ nennt, die Neigung, sprich die Liebe zu einer gut vollbrachten Arbeit oder auch sich mit Passion und Hingabe seiner Arbeit widmen!

Danach: Gibt es nicht, denn „Einmal Legionär immer Legionär!“.

Um es mit einem einzigen Wort auf den Nenner zu bringen, bravo! Um die Légion étrangère so darzustellen, wie ich sie erlebt habe, müsste ich ein Manuskript von etwa dreitausend Seiten verfassen. Ich empfand sie im Hass und in der Bewunderung, in der Angst wie auch in Momenten der Verneinung der Angst, im scharfen Einsatz ebenso wie im routinemäßigen Alltag. Siebzehn Jahre Legion in ein Buch von etwa dreihundert Seiten zu pressen, das ist unmöglich. Aus diesen wie auch aus anderen, oft makabren, menschlichen Gründen musste gekürzt werden. Etwas Nachsicht wird erbeten. Der Leser muss verstehen, dass die eine oder andere Erfahrung und das eine oder andere Erlebnis von mir bewusst unter den Tisch gefegt wurden. Das geschah ebenso aus Respekt Kameraden gegenüber wie auch aus der Angst heraus, gefühlsmäßig erneut involviert zu werden. Von vielerlei Dingen braucht man Abstand, manch Ding muss ruhen. Sicherlich werde ich unbewusst (oder ganz gezielt?) versuchen, mit den Vorurteilen, die man dieser Truppe, vor allem in Deutschland, immer noch entgegenbringt, aufzuräumen, aber ich glaube, die vorliegende Geschichte spricht für sich selbst. Alle Personen, die im Buch vorkommen, sind real. Die Begebenheiten haben sich so zugetragen, wie sie niedergeschrieben sind. Da Irren menschlich ist, kann es vorkommen, dass von der chronologischen Reihenfolge her einiges durcheinandergerät. Das bitte ich zu entschuldigen. Ich bin kein Militärhistoriker, somit ist das vorliegende Buch auch keine Studie, kein Geschichtsbuch über die Légion étrangère. Vielmehr handelt es sich um eine Art in die Tiefe gehendes Tagebuch über mich und über meine Jahre in der Fremdenlegion. Es kommen Passagen vor, in denen ich Anekdoten schreibe, die nicht mich persönlich betreffen und von denen ich nur die Hand am Ohr erfahren habe. Falls sich hier jemand wiedererkennt und mit der Faust droht: Je m’excuse! Ich hoffe, der Schaden hält sich in Grenzen. Die Seiten zum Thema Weltgeschichte am Anfang einiger Kapitel habe ich hinzugefügt, damit sich der Leser zeitlich findet. Ebenfalls auf diesen Seiten zu lesen sind einige Fakten aus der Geschichte der Fremdenlegion. Wer selbst in dieser einzigartigen Truppe gedient hat, findet sich in meinen Berichten sofort wieder und wird sicherlich, hin und wieder, einen entzückten oder auch zornigen Ausruf des Erkennens von sich geben. Denn natürlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit, die alten Zeiten vor Augen geführt zu bekommen und dabei unsensibel zu bleiben. Es gibt Namen, Orte, Geschehnisse, Abläufe, Gerüche und Farben, die sind wie Gesichter aus alten Zeiten oder wie Geschichten aus der Kindheit: Man hat sie vergessen! Sie sind tot, und es gibt nichts, was sie zu neuem Leben erwecken könnte. Eindrücke von der Legion jedoch vergisst man nie, und liegen sie noch so weit in der Vergangenheit. Die Fremdenlegion besitzt ihr eigenes Flair, ihre wundersamen Farben und Gerüche, ihren unbeirrbaren, unbestechlichen Charakter!

Beiseiteschieben? Ja!

Vergessen? Niemals!

Es reicht ein Fingerschnippen, ein von einem wildfremden Menschen geflüstertes Wort in der Straßenbahn, der flüchtige Anblick eines Soldaten in Uniform, selbst aus der Ferne, und alles ist wieder da. Alles! Man ist wieder mittendrin. Ich wäre der glücklichste Mensch der Welt, wenn mir das gelingen könnte: Erlebtes erneut an den Tag zu bringen, um ein Lachen oder ein Nachdenken oder gar Tränen in die Gesichter einiger Leser zu zaubern. Möglicherweise sind es Tränen der Wut und der Trauer, weil ich längst Begrabenes an die Oberfläche bringe, sei es! Wenn ich einige Zeilen vorher von Personen und deren Anerkennung schrieb, dann hat das seine Gründe. Nirgendwo anders als in der Fremdenlegion war es mir vergönnt, Charaktere kennenzulernen, die mich derart positiv beeindruckt haben. Ob es nun der eine oder andere Offizier war, der mich durch seine natürliche Autorität, durch Kompetenz, Herzensgüte und auch durch seine gnadenlose Härte sofort an sich fesselte. Ob der Unteroffizier, dem „Angst“ ein Fremdwort war. Ob der Gefreite, der mit mir nachts durch die stillen, engen Gassen der Elendsviertel in N’Djamena, durch die heiteren Straßen Calvis oder durch die gefährlichen Quartiers Bacongo und Kouanga schlich, auf der Suche nach einer Bar, um dort für alles Geld der Welt einen letzten Drink mit mir zu nehmen, bevor die Stürme der Realität, der Einsätze oder der Ausbildung des kommenden Tages erneut über uns hinwegfegten: Chapeau, Hut ab! Das Potenzial wertvoller Menschen in der Fremdenlegion ist unerschöpflich. Zu dieser Erkenntnis kam ich sehr schnell. Das der Mitläufer und der unbedeutenden Personen ist wohl auch unerschöpflich, mahnt der Kritiker in mir. Doch auch diese entwickelten sich meist mit jedem Tag, den sie in der Legion verbrachten, zu interessanten Menschen. Das war und ist eine Frage der Zeit und des Umfeldes, wobei hier die Menschen, Ausbilder, Vorgesetzte, vor allem die schon älteren Unteroffiziere, eine enorme Rolle spielten. Es ist schon ein langer Prozess, in der Legion sich selbst und seinen Platz zu finden, doch das Umfeld ist günstig. Es wird kein Rassismus betrieben. Niemand wird aufgrund seines Aussehens, seiner Rasse, seiner Religion oder seiner Herkunft benachteiligt.

Was treibt einen Menschen, zur Legion zu gehen?

Die Gründe für einen solchen Wahnsinn variieren von Person zu Person. Meist ist der wahre Grund so tief in den dunklen Seelen der Einzelnen vergraben, dass es ein Leben bräuchte, eine passende Antwort darauf zu finden. Auf solche Fragen folgen meist Diskussionen, die niemals enden wollen und aus denen ich mich heraushalte, bei denen ich mich selbst im Stillen frage: Warum bin ich denn zur Legion? Im Februar 1985 hätte ich keine Antwort darauf gewusst. Ich hätte mich wortlos umgedreht und mir darüber nicht weiter den Kopf zerbrochen. Heute, mit etwas Abstand, habe ich mir selbst eine Antwort zusammengebastelt, mit der ich halbwegs zufrieden bin. Ich betone: Halbwegs! Was den Rest von diesem Halbwegs betrifft, so wage ich zu bezweifeln, dass ich je eine Antwort finden werde. Siebzehn Jahre in der Fremdenlegion! Kein Krieg dauert so lange, weder Hass noch Unvernunft, auch keine Besonnenheit und schon gar kein Zwang. Was war es dann? Sollte ich zunächst die Frage anders stellen: Warum bin ich nicht zur Fremdenlegion? Hier wird es übersichtlicher. Ich bin nicht zur Fremdenlegion, weil:

… ich ein Verbrecher war. Dazu bin ich zu freiheitsliebend, zu ehrlich auch.

… ich ein überzeugter Soldat war. Was sicherlich den Leser überrascht, der erfährt, dass ich insgesamt 21 Jahre meines Lebens dem Soldatentum widmete und auch jetzt einen ähnlichen Beruf ausübe. Dafür war und bin ich allgemein zu friedfertig, auch zu rebellisch!

… ich den Hang hatte, jemanden umzubringen. Ganz und gar nicht! Die Notwendigkeit, einen Gegner zu neutralisieren (irrtümlich von einigen Unwissenden als Hang bezeichnet), kam immer aus der tiefen Überzeugung und auch mit dem begründeten Wissen, dass nur durch das Außer-Gefecht-Setzen des Gegenübers das eigene Leben, das der Kameraden oder das Leben der anvertrauten Schützlinge gerettet werden konnte. Schien das eigene Leben belanglos, das der Kameraden war es nicht. Priorität hatten immer der Auftrag und das Leben des Schutzbefohlenen. Den anderen, „das Gegenüber“, zu neutralisieren war kein Hang oder ein Trieb, nein! Es handelte sich um eine humane und lebensnotwendige Handlung. Es war die Pflicht, ihm zuvorzukommen! Jeder Soldat weiß ein Lied davon zu singen, ein Zivilist wird es nicht begreifen.

… ich in finanziellen Nöten war. Obwohl die Fremdenlegion ein Arbeitgeber ist, der für seine Soldaten sorgt, überdurchschnittlich, ja exzellent bezahlt, war das für mich kein Grund. Geld hatte ich immer genug, vor, während und nach meiner Legionszeit. Geld war weder Gradmesser meines Befindens noch Triebkraft, das „Weite“ zu suchen.

… ich mich für irgendetwas bestrafen wollte. Ein Narr war ich nie!

Nun, warum bin ich zur Fremdenlegion?

Wahnsinn, Romantik gar? Obwohl das Wort Romantik in den Hochburgen der Fremdenlegion verpönt ist, kommen wir der Sache langsam auf die Spur.

„Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten, als ein gesichertes Dasein zu führen; lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolges statt die dumpfe Ruhe Utopiens.“

Diesen Satz von Albert Schweitzer finde ich wahnsinnig interessant. Warum? Weil ich mich total damit identifizieren kann. Ein Leben in steter Sicherheit zu führen, war für meine Begriffe nicht nur langweilig, sondern auch wertlos. Und noch ein berühmter Satz hatte es mir angetan. Er stammt von keinem Minderen als Philip Rosenthal, dem Porzellan-König und späteren SPD-Bundestagsabgeordneten aus Selb. Seine Eltern waren reich, er selbst studierte in Oxford und machte seinen Master of Arts in Philosophie, Politik und Wirtschaftswissenschaften. Jeder sagte ihm eine brillante Zukunft voraus, und was macht er? Richtig! Er geht in die Fremdenlegion! Rosenthal sagte: Wenn man mich fragt, wo ich in meinem Leben am meisten gelernt habe, antworte ich – nicht nur im Spaß: in Oxford und in der Fremdenlegion. Aber ich bin nicht sicher, ob ich nicht in der Legion mehr gelernt habe als in Oxford! Seinen eigenen Worten nach hatte der spätere Industrielle im letzten Jahr an der University of Oxford nur einen Wunsch. Er wollte heraus aus dem Glashaus, das ihm vor den rauen Winden des Lebens fast vollkommenen Schutz bot! Und er betonte eindringlich, dass er kein Dauerbewohner in einem Narrenparadies mehr sein wollte, der nie einen Blick von dem ergatterte, wie das Leben ohne die Behaglichkeit und ohne die gesellschaftliche Stellung aussieht, Dinge also, die man immer als selbstverständlich hingenommen hat (Philip Rosenthal – Einmal Legionär). Die Worte sprechen Bände, sie verraten eine tiefere Sinnsuche. Philip Rosenthal trat der Legion im Jahr 1939 bei, ich knapp fünfzig Jahre später. So grundverschieden das persönliche Umfeld Rosenthal/Gast und der weltgeschichtliche Kontext damals/heute auch sind, umso ähnlicher die Motive für diesen Schritt. Nun wird es Menschen geben, die empört schreien: Aber dieser Rosenthal war doch ein Deserteur, Gast aber blieb der Legion treu! Das ist zutreffend. Aber Rosenthal war einer von uns. Er war Legionär. In seiner Seele ist er das bis zu seinem Tode auch geblieben, nur das zählt. Deserteure gab es immer. Im Jahr 2009 zum Beispiel hatte die Legion etwa 250 Soldaten, die sich unerlaubt von der Truppe entfernten. Nach genau sechs Tagen Abwesenheit werden sie zum Deserteur erklärt, alle Bankkonten sofort gesperrt, die Polizei informiert. Zu meiner Zeit war es üblich, dass fast jeder Legionär einmal „verschwand“. Die meisten kamen jedoch wieder, gingen für dreißig Tage in den Bau und die Sache war Schnee von gestern: Keiner sprach mehr darüber! Das war überhaupt das Gute, diese direkte Art, Probleme ruck, zuck – und ohne nachtragend zu sein – zu „händeln“. So erinnere ich mich an einen Hauptmann (Capitaine Martin) in Französisch Guyana, der den Legionären lieber eine saftige Ohrfeige verpasste, als sie ins Legionsgefängnis zu stecken. Der Vorteil? Keinen Eintrag ins Carnet de Chanson (Strafregister). Letzteres blieb weiß. Auch heute desertiert etwa jeder dritte Legionär einmal während seiner Karriere und meistens hat die „befehlswidrige Entfernung von der Truppe“ mit der Legion am allerwenigsten zu tun. Oft steckt der verdammte „Cafard“ dahinter, ein „Blues“, eine Frau, eine Flasche zu viel, ein Chagrin d’amour (Liebeskummer). Für mich war die Fremdenlegion sprichwörtlich die Brücke dazu, in die Fremde zu kommen. Andere Kulturen kennenzulernen, Abenteuer zu erleben, etwas zu tun, das niemand, den ich kannte, auch nur in Erwägung gezogen hätte. Darum ging es mir. Das Unbekannte reizte mich, die Gefahren. Ich hatte dieses rätselhafte Verlangen, an meine Grenzen zu gehen. Auch zu erleben, was es heißt, Leid zu ertragen, zu hungern, zu dursten, zu frieren und mir die Haut von den Füßen zu marschieren. Eins vorweg: Die Legion hat mich in meinen Erwartungen nicht enttäuscht! Und dann war da noch etwas, man mag es mir glauben oder nicht. Das Wort Fremdenlegion selbst. Es zog mich magisch an. Auch heute noch läuft es mir eiskalt und brühend heiß den Rücken hinunter, wenn ich „Légion étrangère“ höre, denke, lese oder mich nur daran erinnere. Heute, mit fünfzig, ist die Versuchung, noch einmal diese Abenteuer zu erleben, wieder die Stimme meiner Chefs zu hören, wenn sie laut und fordernd sagen „… en avant la Légion“, genauso verlockend wie damals. Im September 2002 zum Beispiel, ich war seit acht Monaten Zivilist, erfuhr ich aus inoffiziellen Quellen vom Krieg in der Elfenbeinküste. Es war wie ein Schock: Ich bekam eine Gänsehaut. Meine Kompanie – ich kannte noch jeden einzelnen Mann – war in vorderster Front im Einsatz, und ich kämpfte mit den alltäglichen, mitunter banalen und absurden Problemen eines bodenständigen Familienvaters. An diesem Tag sah ich immer wieder zum Telefon, gleichwohl wusste ich, dass meine Jungs auch ohne mich gut klarkamen. Natürlich würde niemand mich anrufen, aber es war eine bizarre, unwirkliche Situation.

Was hat mir das Leben in der Legion gebracht?

Im Gegensatz zu dem Warum gibt es hier keine Gräber dunkler Seelen. Die Antwort liegt auf der Hand. Ich hab mich selbst gefunden. Heute weiß ich die alltäglichen Kleinigkeiten besser zu schätzen. Der vorzüglich gedeckte Frühstückstisch zum Beispiel. Für viele Menschen in Europa oder anderswo ist er Normalität. Für mich jedoch stellt er ein kleines Wunder, einen Tresor dar. Ein Schluck kühles Wasser, wenn der Durst schreit, banal? Ich denke, nein; ich weiß, dass er kostbarer ist als ein Lottogewinn! Menschen nach der „Optik“, nach ihrem Aussehen zu beurteilen, ist das Schlimmste, was man tun kann. Auch das brachte die Legion mir bei. Es kommt nicht darauf an, wie jemand aussieht, wo er herkommt, welche Kleider er trägt oder wie er sozial aufgestellt ist, sondern was alleine zählt, ist, wer er wirklich ist. Der Mensch zählt. Es zu halten, wie Antoine de Saint-Exupéry es brillant auf den Punkt bringt: »On ne voit bien qu'avec le cœur. L'essentiel est invisible pour les yeux.«Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist unsichtbar für die Augen – das ist für mich ein Leitsatz geworden. Leider, so stelle ich in unserer Zeit jeden Tag erstaunt und entmutigt fest, handeln viele Menschen in Europa nicht danach. Das Flüchtlingsdrama 2015 trug nicht dazu bei, dass die Verständigung der Länder untereinander besser wurde. Viele sehen nur „die Anderen“, kaum aber „die Menschen!“ und so geht die Menschlichkeit dahin. Die Worte „geht nicht“, „unmöglich“ haben für mich ihren Sinn verloren, weil die Fremdenlegion mich täglich gelehrt hat, dass es immer ein Voran gibt, dass „alles“ zu schaffen ist. Auf den Willen kommt es an, denn er versetzt Berge. Ich habe gelernt, über den Tellerrand zu schauen, und es mir verboten, zu essen, wenn neben mir jemand hungert. Durch meine Reisen mit der Legion in fern liegende, fremde Länder ist mir bewusst geworden, dass, besonders in Europa, viele Menschen im Überfluss leben. Täglich gebärden sie sich so, als stünde ihnen dieser Überfluss zu. Oft sind es dieselben Menschen, die nicht begreifen wollen, dass nicht weit weg von uns – und oft gar mitten unter uns – Trauer, Leid und Armut herrschen. Es sind diejenigen, die ihre Augen und Türen (und ihre Herzen) verschließen vor all dem Elend, das uns umgibt. Ich habe gelernt zu teilen, mit wenig auszukommen, habe die tiefe Bedeutung des Wortes Toleranz erfahren. Im Schweiß des Angesichtes, im Schmerz, im Hunger und im Durst und auch im Feindfeuer erfuhr ich, dass die Interessen des Einzelnen immer erst hinter den Bedürfnissen der Gemeinschaft kommen. Mir das in der Praxis einzuverleiben war ein enormer Schritt in Richtung Menschwerdung. Keine Universität der Welt hätte mir ein umfassenderes Wissen (Wissen um die Menschen, Wissen um das „Humane“ an sich) und bessere Werte vermitteln können als die Schule Fremdenlegion. Ich habe auch erfahren, dass das Leben sehr schnell zu Ende sein kann, weiß nunmehr, dass ich jeden Tag erleben will, als sei er mein letzter. Und genau das taten wir damals schon. Wir, die Legionäre. Oft frage ich mich, wo ich jetzt wäre, wenn ich, anstatt der Legion beizutreten, in Deutschland geblieben wäre. Ich denke, ich wäre in der grauen Masse der Allerweltsmenschen untergegangen, die niemals erfahren würden, dass sie Essenzielles verpasst haben. Heute laufe ich mit hoch erhobenem Kopf einher. Meinen Preis dafür habe ich doch zahlen müssen. Der Legion den Rücken zugewandt, stellte ich nämlich mit Schrecken fest, dass in meiner Seele ein rastloses Monster schläft. Ein harmloses zwar, aber immerhin. Auf der Brust dieses Ungeheuers stand in grün-roten Buchstaben: „Einmal Legionär, immer Legionär!“ Nur ein klischeebehafteter Spruch? Von wegen! Man kann nicht 17 Jahre in der Legion gedient haben, nach Deutschland oder anderswohin zurückkehren, und das war’s dann. Meine Familie hat mitunter viel damit zu tun, dieses Monster – ist es einmal erwacht – zu besänftigen. Mal gelingt es ihr, mal nicht. Schafft sie es nicht, kommt es vor, dass ich meinen Rucksack packe und, sei es im tiefsten Winter und für zwei, drei Tage, nur mit meinem Hund in die anliegenden Wälder verschwinde. Auf meiner Schulter sitzt dann ein kleiner Teufel, der mich berät. Im Wald wird das Zelt aufgeschlagen, ein Feuer gemacht und eine Flasche Rotwein geköpft, trocken, s’il vous plaît. Das Ziel ist immer, mit einem Lächeln drei Tage später wieder daheim zu erscheinen. Hungrig, unrasiert und nachdenklich, aber glücklich und mit dem Wissen, dem „Teufel Legion“ wieder mal keins ausgewischt zu haben, bis zum nächsten, wohl auch vergeblichen Versuch. Doch das wird seltener, obwohl es sicher nie aufhört. Und immer diese impertinenten Fragen.

Alles Säufer, Verbrecher, Söldner, Homosexuelle?

Bitte vergessen Sie das!

Säufer? Ivrognes?

Viele, die mit solch unsinnigen Kritiken um sich werfen, vergessen – oder wissen nicht –, dass Legionäre oft tage-, wochen-, ja monatelang im Einsatz oder im Gelände bei der Ausbildung sind. Im Einsatz wird nicht getrunken und bei der Ausbildung nur dann, wenn es grünes Licht von oben gibt. Wenn ein Legionär, der lange Wochen im Einsatz war, harte Entbehrungen hinter sich gebracht hat und mitunter sein Leben riskierte, mal einen über den Durst trinkt: ein Säufer? Mit Sicherheit nicht, aber lassen wir’s dabei.

Verbrecher oder, wie Capitaine Borelli sagen würde: »Ramassis d’étrangers sans honneurs et sans foi!?«Ein Haufen Fremder ohne Ehre und ohne Glauben? Schon möglich, aber was ist denn ein Verbrecher? Wenn ein Mann sein Land verließ, weil ihm dort alles zu viel wurde mit Frau und Kind (und Hund)? Weil Schulden ihn plagten, Langeweile ihn tötete und andere mit dem Finger auf ihn zeigten, weil er nicht in die Form passte, in die man ihn zwängen wollte? Gut, dann besteht die Legion unter Umständen nur aus Verbrechern! Wenn man unter „Verbrecher“ jedoch jemanden versteht, der ein Kapitalverbrechen begangen hat, sprich Mord, Totschlag etc., so hat dieser nicht die geringste Chance, in der Legion anzuheuern, kurz: Solche Verbrecher nimmt die Legion nicht mehr.

Die Legion ist keine Zufluchtsstätte für Verbrecher!

Die Fremdenlegion von heute ist modern und hoch flexibel. Sie sucht den Soldaten, der, intelligent und selbstbewusst, mit der steigenden Flut und den damit verbundenen Anforderungen, die höchst technische Waffen, Instrumente, Fahrzeuge und andere Materialien stellen, problemlos klarkommt. Sie hält vor allem nach Männern Ausschau, die eines nie aus dem Auge verlieren: Es ist der Mensch, der zählt! Jeder einzelne Legionär zählt, ist wichtig, hat seine Stärken und Schwächen; und noch wichtiger: Er hat seinen Platz!

Söldner? Mercenaires?

Mit Vehemenz nein! Wer die Legion nicht kennt, begegnet ihr zunächst mit Misstrauen. Das habe ich selbst oft so erlebt. Man verbindet den Namen Fremdenlegion mit Schrecken, teils mit roher Gewalt, mit einem gewissen Söldnerwesen und mit Männern, die im Zivilleben versagt haben. Und man meint, die Legion würde im Verborgenen stets ihr eigenes Süppchen garen. Nun, all das ist falsch, zumindest zum größten Teil. Der Legionär ist und war als Soldat immer Teil der regulären Armee Frankreichs. Den Ruf, ein Söldner zu sein, verdankt er den Menschen, die das eben gerne so sehen möchten. Und das verdankt er auch der Tatsache, dass er hauptsächlich fernab des europäischen Festlandes eingesetzt wurde. Dort also, wo niemand ihm über die Schulter blicken, man nur spekulieren konnte, was er denn so trieb. Sein Wirken und Handeln sah man de facto nie, also war es per se schlecht. Je weiter weg von den Medien und vom „Vieille Europe“, vom alten Europa, umso besser war es für ihn. Söldner (namentliche Beispiele könnte ich ein Dutzend aufzählen) haben alle eines gemeinsam. Sie sind unmenschlich und brutal. Diese scheußlichen Attribute sind nicht die von professionellen Kämpfern. Ihnen fehlt jegliche Disziplin, die letztendlich einen guten Soldaten ausmacht. Verherrlicht und bewundert werden solche Männer von uns Legionären jedenfalls nicht. Im Gegenteil! Es gab und gibt zu viele angebliche Söldner, die in der Legion nie auch nur fähig gewesen wären, einen Trupp zum Reinigen der Toiletten zu führen, weil ihnen selbst dazu die natürliche Autorität fehlte. Gewalt ist keine Autorität, sondern Schwäche! Generell darf man einen Söldner nicht mit einem Fremdenlegionär vergleichen. Ein Soldat (so auch der Legionär) ist ein professioneller Fachmann, dessen Metier technische, intellektuelle und körperliche Kompetenz erfordert. Und das auf vielschichtigen Ebenen. Es genügt nicht, sich einen Titel zu verpassen, aus dem Hinterhalt Menschen zu erschießen, sich jeden Abend zu betrinken und dann, mit der Waffe in der Hand, die Welt neu zu erfinden. Viele Söldner, streng genommen die Mehrheit von ihnen, können eindeutig in den Topf „extrem rechts“ oder „Rassist“ geworfen werden. Von beiden Faktoren, Inkompetenz und Rassismus, nehmen wir, die echten Fremdenlegionäre, mit Verlaub, ganz großen Abstand. Wir sind Profis und kein schießwütiger Haufen oder gar eine Horde wilder Outlaws. Eine eiserne Disziplin, Honneur und Fidélité, das alles gibt es bei den Söldnern nicht wirklich. Genau auf diesen drei Werten aber basiert die Stärke der Fremdenlegion. Ich fühlte mich nie als Söldner. Die Fremdenlegion ist Teil der französischen Streitkräfte, basta. Ob jemand das wahrhaben will oder nicht. Die feine Nuance ist: „Wir aber sind Legionäre … auch basta!“

Anm. d. Verf.: Wie immer, so gibt es auch hier Ausnahmen. Persönlich kannte ich durchaus Söldner, die exzellente Soldaten, gute Kameraden und, was man nie vermuten würde, auch humane Krieger waren (sofern humane Krieger existieren). Das trifft fast zu hundert Prozent auf all diejenigen zu, die vorher in der Legion eine harte Schule nach dem Ehrenkodex, dem Code d'honneur du légionnaire, durchlaufen haben.

Was die Homosexualität anbelangt, so ist sie mir in all den Jahren nie begegnet. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass es, wenn überhaupt, nur Einzelfälle gab und dass die Legion vermutlich weniger mit diesem Phänomen kämpfen musste als andere Einheiten. Tatsächlich, und jetzt kommen diese Nuancen, von denen ich sprach, unterscheidet sich die Legion sehr von anderen Truppenteilen. Traditionen spielen hier eine enorme Rolle. Die Lieder, les Chants Légion, mal tief, schwer und süß wie die Sünde, mal sarkastisch, dann wieder herzerfrischend, meist immer mit einer zweiten oder auch dritten Stimme. Der bedächtige Gleichschritt, achtundachtzig Pas (Schritt) pro Minute. Le Code d’honneur du légionnaire, der Ehrenkodex (siehe Anhang). La Ceinture bleue (blauer Gürtel der Parade- und Wachuniform). „La Cravate verte“ (grüne Krawatte) und das Képi Blanc (das weiße Käppi). „La Grenade à sept flammes“ (Granate mit sieben Flammen, übernommen vom Vorgängerregiment, dem Regiment Hohenlohe), „Camerone“ (siehe Anhang) sowie unzählige andere Besonderheiten machen die Legion aus. Die Art und Weise, zu rekrutieren, ist einzigartig auf dieser Welt. Beeindruckend ist der unerschütterliche Zusammenhalt der Truppe, diese „Cohésion“, die den Unterschied ausmacht, wenn es hart auf hart kommt. Die Legion kommt nicht und setzt sich ins gemachte Nest, sie verändert. Sie verändert zum Besseren! Ich habe es nie anders gesehen oder anders getan, und wenn es nur das Weiß-Anmalen einiger Steine mitten in der Wüste war, das auch seinen Sinn und Zweck erfüllte. Das Gefühl, angekommen zu sein, Mitglied einer Familie sein zu dürfen. … Legio Patria Nostra … (aus dem Lateinischen: Die Legion ist unser Vaterland). Das waren und sind nicht nur Worte. Und schrieb man nicht schon allzu oft, … wenn ein Legionär stirbt, wen kümmert das schon? Es ist schon mehr als nur ein bisschen Wahrheit an all dem. L’amour du travail bien fait? Das beste Beispiel, das mir spontan in den Sinn kommt, ist Folgendes. Im Mai 1997 in Kongo Brazzaville sagte unser Regimentskommandeur vor allen Offizieren und Unteroffizieren des Regiments einen Satz, der mich wieder einmal beeindruckte und auch bestätigte – und das, obwohl er fast obszön klingt.

„Wenn Paris entscheidet, dass wir (das 2. REP) in den Krieg ziehen, sind wir die verdammt besten Soldaten der Welt. Und wenn sie (die in Paris) entscheiden, dass wir sämtliche Scheißhäuser von Paris putzen sollen … sind wir die verdammt besten Scheißhausputzer der Welt, und danach gibt es keine Stadt auf diesem Planeten mehr, deren Scheißhäuser sauberer sind.“

Was er damit zur Sprache bringen wollte, das dürfte klar sein. Es ist unwesentlich, mit welchen Aufgaben man Einheiten der Fremdenlegion konfrontiert (zwischen wichtig oder unwichtig sollen Andere entscheiden). Die Legion derweil wird immer an ihre Grenzen gehen, um diese Aufgaben par excellence zu erfüllen. Jedem der an sie herangetragenen Aufträge schenkt sie höchste Aufmerksamkeit, und sicherlich trägt das dazu bei, sie von anderen Einheiten grundsätzlich zu unterscheiden. Es gibt weder niedere Aufgaben noch unwichtige Aufträge!

Warum schrieb ich dieses Buch?

Ausschlaggebend für mich war die unbestechliche Logik meiner Frau. Wir unterhielten uns über die Fremdenlegion – was Seltenheitswert hatte – und ihr fiel auf, wie extrem ich alles Erlebte banalisierte. Und dann kam ihr Satz: „Was dir banal erscheint, ist für andere ohne Zweifel außergewöhnlich spannend!“ Diese Aussage beschäftigte mich und bewirkte, was ich rundweg ausgeschlossen, ja für unmöglich gehalten hatte. Der Wunsch, meine Erfahrungen und Erlebnisse niederzuschreiben, wuchs von Minute zu Minute. Das Resultat liegt vor Ihnen. Zum Abschluss dieses Vorwortes noch eine Angelegenheit, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Im Jahr 2006 stieß ich im Internet zufälligerweise auf einen Artikel, der von einem UN-Beobachter verfasst wurde. Darin empörte sich dieser Unwissende über sogenannte Killereinheiten wie, ich zitiere: die 82. Airborne-Division und die französische Fremdenlegion. Es ging in dem Artikel um Missbrauch, Korruption, Vergewaltigungen oder Misshandlungen der Schutzbefohlenen und sogar um deren willkürliche Tötung im Rahmen humanitärer Einsätze. Ich zitiere weiter:

Wenn ein Einsatz nicht der Kriegführung, sondern der humanitären Hilfe dienen soll, dann darf man keine „Killereinheiten“ entsenden. Die französische Fremdenlegion oder die 82. Luftlandedivision der USA sind harte bis brutale Kampftruppen, die in humanitärem Kontext völlig fehl am Platz sind.

Wie von selbst versteht es sich, dass ich diesen Mann sofort per Mail kontaktierte. Ich schrieb Folgendes: Guten Tag, Herr Unbekannt (wobei mir sein Name natürlich geläufig war). Ich bin durch Zufall auf folgende Zeilen gestoßen (Text s.o.), die, soviel ich weiß, von Ihrer Hand stammen. Wer so etwas Absurdes schreibt, brilliert nicht durch Wissen um das Thema. Oder er ist sehr schlecht informiert. Wahrscheinlich beides. Humanitäre Einsätze hatten wir, die Sie uns unwissend Killereinheiten nennen, oft, ein Auflisten halte ich an dieser Stelle für überflüssig. Jeder dieser Einsätze wurde brillant gemeistert. Bei all diesen Interventionen hat die Fremdenlegion zahlreiche Leben gerettet. Sie half Menschen, die in Nöten waren. Sie bot ihnen Obdach, Nahrung, Medikamente und Schutz, stellte sich bravourös, vorbildlich und uneigennützig in den Dienst aller Leidtragenden. Keine andere Eliteeinheit – und ich kenne sie alle – hätte diesen humanitären Aufgaben besser und gleichzeitig effizienter gerecht werden können. Nie werden Sie eine Einheit finden, die disziplinierter und mit einer größeren Portion Altruismus ihren jeweiligen Auftrag wahrnimmt als die Fremdenlegion. Egal ob der Einsatz der Kriegsführung dient oder ob es ein humanitärer Einsatz ist, für uns war es immer selbstverständlich, dass wir unser Leben aufs Spiel setzten. So oder so! Ich habe andere Einheiten gesehen, die Geld annahmen, von Menschen in Not. Ich sah Einheiten, die für horrende Preise Armeerationen an hungernde Menschen verkauften, um sich zu bereichern. Ich sah Einheiten, die ganz gerne vernunftwidrige Kollateralschäden von großem Ausmaß hinnahmen, nur um selbst mit heiler Haut davonzukommen. All dies gab es bei der Fremdenlegion und in meiner Zeit nie und wird es auch zukünftig nie geben! Ja, ich denke, Sie sollten sich besser informieren! Mit freundlichen Grüßen: Fremdenlegionär Thomas Gast. Dass eine Antwort auf mein Schreiben seinerseits ausblieb, muss hier nicht ausdrücklich erwähnt werden. Auch wenn es einigen Herrschaften nicht passt: In den Kellern der Fremdenlegion lohnt sich ein Stöbern nicht, es liegen dort keine verscharrten Skelette. Danke, Legion.

Alte Geister, die ich rief

King Khalid International Airport, Riyadh, Kingdom of Saudi Arabia, Mai 2005.

Der Flug AF-512 aus Paris hatte eine Stunde Verspätung. Noch vor einem Jahr hätte ich mir spätestens jetzt eine Zigarette angesteckt und genüsslich daran gezogen, doch das Rauchen hatte ich mir abgewöhnt. Möglicherweise erklärte das meine Nervosität. Das Thermometer in der Eingangshalle zeigte fünfundvierzig Grad Celsius, die Luft war zum Schneiden dick und ich wurde von einer regen Menschenmasse schier erdrückt. Filipinos, Pakistani und Inder saßen um ihre verschnürten Bündel herum am Boden, fieberten heftig miteinander diskutierend ihrer Heimat entgegen. Ich wartete auf zwei Männer. Oliver war einer davon. Wir hatten ihn damals, vor fast zwanzig Jahren, die „Wildgans“ genannt. Meine Unrast schwand, als ich ihn und Dorjek über weißem Marmor auf mich zukommen sah. Das breite Grinsen in Olivers Gesicht konnte die Gewissheit nicht beiseitefegen, dass die Wildgans wohl nie wieder so elegant abheben würde, wie sie das früher getan hatte. Oliver hatte gut und gerne vierzig Pfund zugenommen, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe. Und er hinkte leicht. Sein Hund, schoss es mir durch den Kopf! Ich hatte von der Geschichte gehört.

»Oliver!«

Ich musste an mich halten, ihn nicht an meine Brust zu drücken. Oliver kam aus Schleswig-Holstein, war also ein echter Wikinger, und genauso sah er auch aus. Baumlang, blondes, ins Rot übergehendes, kurz geschorenes Haar und blaue, intelligente Augen, die unablässig nach möglichen Gefahren Ausschau hielten. Kurz stellte er mich Dorjek vor, einem, wie sich herausstellte, sympathischen Deutsch-Polen, der später auch für kurze Zeit unser stellvertretender Teamleiter sein sollte. Als wir ein paar Minuten darauf mit einem gepanzerten Toyota Geländewagen Richtung Riad Stadtmitte fuhren, gab ich beiden einen kurzen Abriss, was sie bei unserer Aufgabe erwarten würde.

»Wir bewachen den Botschafter der Delegation der Europäischen Kommission. Savage ist Ire. Die Botschaft liegt mitten in der Stadt, seine Residenz etwas außerhalb. Er hat eine Frau und zwei Kids. Nadja ist Marokkanerin, die Kinder, ein Mädchen und ein Junge, besuchen Privatschulen.« Ich überreichte jedem von ihnen eine Akte. »Ihr habt die Nacht, euch alles einzuverleiben. Wir fangen morgen in aller Frühe an.«

»Rentnerjob«, meinte Oliver sarkastisch. Es war eine Anspielung darauf, dass wir aufgrund unserer Zeit bei der Fremdenlegion bereits eine monatliche Pension bezogen. So gesehen stimmte seine Aussage, doch ich fühlte mich ganz und gar nicht als Oldie. Körperlich und geistig war ich noch genauso fit wie vor zehn Jahren. Natürlich entbehrte der neue Job jeglicher Dynamik und jeglicher Aktion. Der Nervenkitzel fehlte! Oliver und ich hatten jahrelang in der Armee gedient, die, allen anderen Formationen voraus, den Anspruch erhob, Dynamik, Effizienz und die Aktion der Sturmtruppen ohne Wenn und Aber zu vereinen. Um es salopp auszudrücken: Ran an den Feind, drauf und drüber! Kein Dumpfbacken- und Möchtegerngehabe, sondern an den Feind herangetragene Fähigkeiten, erworben im Einsatz und während einer langen, technisch und taktisch hervorragend geführten Ausbildung. Alles, was nach unserem Ausscheiden aus der Fremdenlegion beruflich folgte, war von daher gesehen etwas eintönig und trocken. Dieser Job konnte also nur Zwischenstation für weitere Horizonte sein. Auch Dorjek machte ein langes Gesicht. Wenn er auch kein Legionär gewesen war, so doch ein Mann der Tat. Auf den Spitzen seiner Stiefel in seinem Gepäck befand sich immer noch Staub aus Bagdad, und vielleicht auch ein paar Tropfen Blut. Alle drei wussten wir, dass Riad im Augenblick immer noch ein heißes Pflaster war, doch nicht mehr ganz so gefährlich wie noch vor zwei Jahren. Damals, zwischen den Jahren 2002 und 2004, jagte eine Attentatswelle die nächste. Nur einen Katzensprung von unserer Unterkunft entfernt wurde am 22. Mai 2003 der deutsche Küchenchef Hermann Dengl ermordet, hinterhältig niedergestreckt mit sechs Schüssen in den Rücken. Angeblich nur aus dem Grund, weil er ein Ungläubiger aus dem Westen war. Nur ein paar Monate später wurde der Körper des US-Bürgers Paul Johnson (Hubschrauber-Ingenieur des Lockheed Martin Corps / Wartung von Apache Helikoptern) gefunden. Mudschaheddin der AQAP (al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel) hatten ihn entführt und vor laufender Kamera enthauptet. Seinen Kopf hatten sie im nördlichen Riad in den Kühlschrank einer Villa gelegt. Ich weise auch auf das Attentat auf das US-Konsulat in Dschidda hin. Erst im Dezember hatte al-Qaida in seinem Krieg „gegen die Kreuzritter und die Juden“ in der Hafenstadt versucht, das Konsulat zu stürmen. Dabei kamen neun Menschen ums Leben, darunter vier Kameraden aus der Sicherheitsbranche. Die Liste dieser Verbrechen gestaltete sich unendlich lang. Das vornehmliche Ziel der Banditen? Westliche Ausländer und Einrichtungen oder den USA wohlgesonnene Häupter! Wir waren gewarnt, hatten später auch alle Hände voll zu tun, als im September 2005 „dieser Däne“ doch ernsthaft meinte, mit einer Mohammed-Karikatur einen großen Coup in der westlichen Welt zu landen. Angerichtet hat er damit nur weltweite Unruhen und Unheil. Alleine für all die Toten, unter Christen, Juden und Muslimen, Opfer der Unbedachtheit eines Einzelnen, müsste man ihn schon zur Rechenschaft ziehen.

Dennoch sollte die Langeweile unser ärgster Feind sein. Da ich schon etwas länger im Land weilte, hatte ich mich darauf eingestellt. Um diesem unscheinbaren, jedoch heimtückischen Feind „Langeweile“ auszuweichen, hatte ich mich Hals über Kopf in diverse Zeitvertreibe gestürzt. In meiner Freizeit trieb ich Sport bis an die Grenze des Vertretbaren und war – vor allem nachts – viel unterwegs bei sogenannten „Recces“, den Erkundungsfahrten. Martin, unser britischer Teamchef (er starb im Jahr 2016 in Afghanistan), erwartete von uns, dass wir die Stadt in- und auswendig kannten. Das war kein leichtes Unterfangen, denn Riad hatte knappe drei Millionen Einwohner. Die Innenstadt war ein Labyrinth hunderter namenloser Gassen. Die Verkehrs- und Namensschilder der kleineren Straßen, der Spaliere und Gässchen, waren meist nur mit arabischer Schrift gekennzeichnet. Um etwas Überblick zu bekommen, hatte ich mir einen Arabischlehrer genommen. Ahmed, einst Lehrer an der amerikanischen Botschaft in Riad, war ein alternder Ägypter: Eine Informationsquelle mehr für mich, denn er verkörperte den Finger am Puls des Mannes auf der Straße! Es kam vor, dass ich mir einen Bart wachsen ließ, meine ältesten Klamotten anzog und mich in Al-Batha, dem alten Riad, unter Inder und Pakistani mischte. Nicht weit entfernt von Al-Batha, in Al-Dirah (gesprochen Ad-dirah), war auch der Platz zu finden, an dem die allwöchentlichen Hinrichtungen stattfanden. Den Verurteilten wurde vor neugierigem Publikum und in aller Öffentlichkeit mit einem langen Schwert der Kopf abgeschlagen. Ich überlegte lange Zeit, ob ich mir das anschauen sollte, entschied jedoch, dass diese Menschen auch ohne einen Zuschauer mehr dem Tod ins Auge schauen konnten. Von Freunden, die es mit ansahen, ließ ich mir hinterher sagen, dass dies ein schneller und gnädiger Tod sei. Nicht zu vergleichen zumindest mit dem abscheulichen Tod, hervorgerufen durch diese gräulichen Todesspritzen oder durch den elektrischen Stuhl in den USA. Einige Wochen nach Olivers Ankunft in Riad rief Martin mich in sein Büro.

»Fahr bitte zum Flughafen, wir bekommen Verstärkung!«

Er reichte mir den Personalbogen über den Tisch. »Vielleicht kennst du ihn ja. Angeblich war er in der Legion. Sein Name ist Fratelli. Ange Fratelli (Name geändert)!«

Ange. Donnerwetter! Und ob ich ihn kannte! Ange war im Milieu bekannt wie ein bunter Hund. Wir hatten zusammen in Französisch Guyana gedient. Nach seinem Ausscheiden aus der Fremdenlegion hatte er sich dazu entschlossen, einen Schritt weiter zu gehen. Er tat sich mit den ganz Großen des „internationalen Sicherheitsgewerbes“ zusammen und machte sich in diesem Milieu sehr schnell einen Namen. Mir war es ein Rätsel, was Ange hier zu suchen hatte. Jede Sicherheitsfirma im Irak hätte das Doppelte bezahlt, um ihn zu bekommen; als Teamleiter, versteht sich. Er war vom Fach. Ein absoluter Profi. Jemand „sans peur et sans reproche“! Einer also, dem Angst ein Fremdwort war und der fehlerfrei, methodisch und präzise arbeitete. Ich stand erneut in der Eingangshalle am Flughafen, doch diesmal mit einer dumpfen Vorahnung. Ange war ein Korse, wie er im Buche stand. Hochgewachsen, dunkles Haar, dunkle Augen und mit tiefen Falten auf der Stirn, kam er mir lachend entgegen.

»Schön, dich zu sehen, Thomas!«

Ohne zu zögern, ergriff ich seine Hand und schüttelte sie kräftig.

»Ange. Welcher Wind treibt dich hierher? Hat man dir etwa nicht gesagt, dass sogar Grobiane wie du hier Anzug und Krawatte tragen müssen?«

Ein schnippisches Grinsen erschien im erdbraunen Gesicht.

»Ich habe dich beobachtet!«, sagte er betont langsam. Eine Note in seiner Stimme gefiel mir gar nicht.

Etwas verwirrt sah ich auf die Uhr. »Wenn wir nicht gleich losfahren, geraten wir in die Rushhour. Dann ist auf Riads Straßen die Hölle los. Du solltest etwas schlafen, denn deine Arbeit beginnt mit der Frühschicht, das heißt genau in vier Stunden.«

Ohne auf meinen Kommentar einzugehen, sagte er: »Es war das erste Mal, dass wir auf verschiedenen Seiten kämpften, Tom! Wir lagen alle da oben, haben gewartet, bis sie euch endlich abzogen.«

Ich konnte mich nicht mehr verstellen und so tun, als ahnte ich nicht, wovon er sprach. Die Neugier brachte mich schier um.

»Du warst in Brazzaville?«

»Und ob ich dort war. Wären nicht die Legionäre vom 2. REP gewesen, und du mittendrin, wer weiß. Vielleicht hätte ›le Vieux‹ uns früher losgelassen.«

Anm. d. Verf.: Wen er damit meinte, war in unseren Kreisen kein Geheimnis. Le Vieux nannten wir den ins Alter gekommenen Söldnerführer Gilbert Bourgeaud alias Bob Denard. Ja, er war noch aktiv, hörte erst auf, es zu sein, als er im Oktober 2007 verstarb.

Er brauchte mir auch kein Bild davon zu malen, was geschehen wäre, wenn es zu einer frühzeitigen Konfrontation gekommen wäre. Sie waren gekommen, um einen „Kandidaten“ in eine bessere Position zu bringen. Eine Horde Profis! Alles, was Rang und Namen hatte, lag damals in den Wäldern westlich von Brazzaville, und wir hatten nichts davon geahnt.

Brazzaville!