Lebenskunst - Michael Stoll - E-Book

Lebenskunst E-Book

Michael Stoll

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Beschreibung

In diesem Sammelband sind Beiträge verschiedener Autoren zusammengefasst, die unter den Rubriken Lebenskunst, Dialog, Kunst und Mystik einen Einblick in die inhaltliche Arbeit des SusoHaus in Überlingen am Bodensee gewähren. Der Dichter und Mystiker Heinrich Seuse (lat. Suso - 1295-1366) lebte und wirkte im Bodenseeraum und gilt als Verfasser der ersten spirituellen Autobiographie in deutscher Sprache. In dieser Vita werden die kleinsten Handlungen des täglichen Lebens mit gleicher Selbstverständlichkeit und liebender Hingabe auf die höchste Wirklichkeit hingeordnet, wie die wesentlichen Fragen unseres Daseins. Die Frage nach dem gelungenen Leben - nach Einheit im Sein und Handeln, zwischen Individualität und Gemeinschaft - hat an Aktualität nicht verloren und wird in diesem Buch erneut gestellt und auf unterschiedlichsten Wegen behandelt.

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Seitenzahl: 128

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Impressum

© 2020 SusoHaus – Neue Mystik im Dialog e.V.

Herausgeber: SusoHaus – Neue Mystik im Dialog e.V.

Autoren: Heinrich Seuse, Michael Stoll, Falk Liese,

Birgit Stoll, Dorothee Joas, Michael Schnell,

Achim Böhe, Fryderyk Heinzel

Layout, Umschlaggestaltung, Illustration: Therese Olivier

Lektorat, Layout, Korrektorat: Birgit Stoll

Fotos: Eremitage - Michael Stoll, SusoHaus - Dr. Thomas Braus,

Landschaftsräume-Blicksgestalten - Fryderyk Heinzel,

Suso-Denkmal - Dr. Christfried Preußler

Verlag & Druck: tredition GmbH

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN: paperback 978-3-7497-9189-7

ISBN: hardcover 978-3-7497-9190-3

ISBN: e-book 978-3-7497-9191-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d- nb.de abrufbar.

Wenn ich mich finde als das Eine,

das ich sein soll, und als das All, das ich sein soll

welche Lust kann größer sein?

Heinrich Seuse (lat. Suso) 1295-1366

Inhalt

Vorwort

Das SusoHaus in Überlingen am Bodensee

Heinrich Seuse

Was ist rechte Gelassenheit?

 

Aus dem Buch der Wahrheit

Dorothee Joas

Dankbarkeit

Michael Stoll

Mystik

Michael Schnell

Anfang

Michael Stoll

Aus dem innersten Herzen…!

 

Christliche Mystik und Spiritualität

 

Heinrich Seuses im SusoHaus

Dorothee Joas

Wegwärts

Fryderyk Heinzel

Mein Weg in der Landschaft –

 

zur Entstehungsgeschichte

 

meiner Kunst

Birgit Stoll

Die Kunst des Sehens –

 

Kommentar zu den Werken

 

von Fryderyk Heinzel

Michael Stoll

Entschieden dem Einen

Falk Liese

Einführung in die Lebenskunst

Michael Stoll

Im-Heilen-Sein

Birgit Stoll

Die Beginen und ihr spiritueller Impuls

Dorothee Joas

Sag nicht das will ich nicht

Michael Stoll

Wie Du lebst

Birgit Stoll

Spurensuche – der innere Weg

 

und die Lehre Heinrich Seuses

Dorothee Joas

Seiltanz

Dorothee Joas

Der Abgrund

Michael Stoll

Einklang

Achim Böhe

Die Brücke zum Anderen

Michael Stoll

Dialogisches Kreisen

Achim Böhe

Paradies und Freiheit

Michael Stoll

Frei-Sein

Michael Schnell

Ehjeh asher ehjeh I

 

(Ich bin der ich bin)

Achim Böhe

Ich muss der werden, der ich war,

 

bevor ich geworden bin

Michael Schnell

Ehjeh asher ehjeh II

 

(Ich bin der ich bin)

Achim Böhe

Gewohnheiten

Dorothee Joas

Kühl

Michael Stoll

Lebensbeschreibung

 

Heinrich Seuse

Die Autoren dieses Buches

Vorwort

Das vorliegende Buch Lebenskunst entstand aus der Bildungsarbeit des SusoHaus Überlingen. Es bildet den Zwischenstand einer Arbeit, die seit zwölf Jahren besteht und einen Ausblick für das Zukünftige schafft. Diese verbindet sich mit dem Anliegen, mit Blick auf die geistigen Impulse der mystischen Spiritualität Heinrich Seuses (lat.Suso) Antworten für die drängenden Fragen unserer Zeit zu finden. Eine solche Arbeit ist ihrem Wesen nach schöpferisch, fordert erneutes Denken und letztendlich auch und vor allem ein entsprechendes Handeln.

Weshalb der Titel Lebenskunst?

Er beschreibt das alltägliche Bemühen des Menschen, das ambivalente Verhältnis zwischen augenscheinlich stabiler Wirklichkeit und fließend bewegtem Sein in Ausgleich zu bringen. Und so die Spiritualität einer Mystik, die mit Hilfe eines fühlenden Erkennens bei einer zeitlich bedingten Form nie stehen bleiben will.

Sie ringt um eine zeitgemäße Antwort, die unser Leben im Sinne einer Ganzheit heilt und umfasst. Lebenskunst in diesem Sinne verlässt das Fest-Gestellte unseres Alltags, um dem Unsagbaren sagbar neuen Raum zu schaffen. Auf dem Weg der Annäherung an die Quelle des uns tragenden Seins wird Entwicklung und schöpferische Freiheit, somit das unverwechselbar Eigene des Menschen möglich.

Vorstand des Vereins SusoHaus – Neue Mystik im Dialog e.V.

Das SusoHaus in Überlingen am Bodensee

Das SusoHaus in Überlingen ist eines der ältesten Häuser in Süddeutschland und wurde in den letzten Jahren aufwändig renoviert.

Im Zentrum der Renovation steht der Quellturm – Wasser aus der Sickerquelle im Keller wird in den Dachraum getragen und fällt tropfenweise in einem Lichtstrahl durch das Haus in den Molassegrund zurück.

Jeder Mensch sucht in seinem Leben auf seiner ihm eigenen Weise Sinn und Erfüllung. Heinrich Seuse (lat. Suso) lebte vor 700 Jahren am Bodensee und hat die erste Autobiographie in deutscher Sprache seiner Nachwelt hinterlassen. Darin beschreibt er sein Leben als ein sinnvolles Ganzes und dessen Vollendung im Gewahrsein höchster Gelassenheit.

Die Erinnerung an einen Menschen, der vor 700 Jahren hier am Bodensee gelebt hat und das Leben im umfassenden Sinne ernst nahm und angenommen hat, weist auf den Kern, die Quelle menschlichen Seins, die unabhängig vom Wandel der Zeit als eine ewige Dimension tiefsten Sinn offenbart.

Das SusoHaus bietet mit seiner Kulturarbeit dem einzelnen Besucher auf seinem eigenen Lebensweg Erfahrungsräume an, um sich neu zu orientieren, oder bewusster die eigenen Lebens - Schritte weiter vollziehen zu können.

www.susohaus.de

Was ist rechte Gelassenheit?

aus dem „Buch der Wahrheit“ von Heinrich Seuse

…begehrest du in die geheimnisvolle Verborgenheit zu kommen, steig kühnlich aufwärts, lass deine inneren und äußeren Sinne, das Eigenwerk deiner Vernunft, alles, was sichtbar ist oder nicht, und was ein Sein oder Nichtsein ist, hinter dir.

Prolog

Allen Menschen, die wieder in das Eine geführt werden sollen, ist es nützlich, den Ursprung von sich und allen Dingen zu wissen, denn dort ist auch ihr letztes Ziel. Deswegen muss man wissen, dass alle, die jemals über die Wahrheit sprachen, darin übereinstimmen, dass es etwas gibt, das über allem das Erste und Einfachste ist und vor dem nichts ist.

Es ist nun aber bekannt, dass die Natur des genannten einfachen Seins endlos, unermesslich und unbegreiflich für alles kreatürliche Denken ist. Darum ist allen gelehrten Theologen bekannt, dass eben dieses Wesen, das keine Weise hat, auch ohne Namen ist. Und darum sagt Dionysius in dem Buch »Von den göttlichen Namen«, Gott sei ein »Nichtsein« oder ein »Nichts«, und das ist in Bezug auf alles Sein und jedes bestimmte Etwas zu verstehen, das wir ihm nach kreatürlicher Weise zulegen können. Denn »was man ihm in dieser Weise zuschreibt, das ist alles in gewissem Sinn falsch, und seine Verneinung ist wahr«. Und daher könnte man ihn ein »ewiges Nichts« nennen. Andererseits, will man von etwas sprechen, wie erhaben und über alles Verstehen es ist, so muss man ihm irgendeinen Namen geben. Das Wesen dieser stillen Einfachheit ist ihr Leben - und ihr Leben ist ihr Wesen. Es ist ein lebendes, seiendes, existierendes Denken, das sich selber denkt und ist und lebt in sich selber und ist dasselbe.

Weiter kann ich es nicht ausdrücken, und dieses Wesen nenne ich: »Ewige ungeschaffene Wahrheit«.

Denn alle Dinge sind in ihr in ihrer Neuheit und in ihrem Ersten und in ihrem ewigen Ursprung. Und darin beginnt ein gelassener Mensch und kommt an sein Ziel in rechtem Eins-Sein, wie hiernach gezeigt wird.

Der Fragende: Was ist rechte Gelassenheit?

Die Wahrheit antwortet: Achte auf folgende zwei Worte und erkenne ihre Bedeutung; sie lauten: »Sich lassen«. Und wenn du diese zwei Worte genau abwägen und bis in ihren Grund auf ihren letzten Sinn prüfen und in rechter Unterscheidung betrachten kannst, so kannst du rasch ihren wahren Sinn erkennen. Nimm zunächst das erste Wort, nämlich »Sich« oder »mich«, und schau, was das bedeutet. Hier muss man wissen, dass jeder Mensch ein fünffaches Sich hat: Das eine hat er mit dem Stein gemeinsam, und das ist Sein; das zweite mit der Pflanze, und das ist Wachsen; das dritte mit den Tieren, und das ist Empfinden; das vierte, das alle Menschen verbindet, ist die allgemeine menschliche Natur; das fünfte, das nur ihm eigen ist, ist sein persönliches Ich sowohl hinsichtlich seines Adels wie seinem Eigen-Sein.

Der Fragende: Was führt nun den Menschen

in die Irre und beraubt ihn seiner Seligkeit?

Die Wahrheit: Das ist ausschließlich dieses letzte Sich, in dem der Mensch sich von Gott ab- und auf sich selbst hinwendet, während er doch zurückkehren sollte.

Wenn er sich selbst also in seiner Eigen-Sucht ein eigenes Sich stiftet - das heißt in seiner Blindheit sich selber zuschreibt, was Gottes ist - und danach strebt und mit der Zeit in Unzulänglichkeit zerfließt.

Wer dieses Sich in rechter Weise lassen will, soll drei Betrachtungen anstellen: Zuerst soll er, nach innen schauend, auf die Nichtigkeit seines eigenen Sichs blicken und wahrnehmen, dass sein Sich wie das aller Dinge ein Nichts ist, entfernt und ausgeschlossen von dem Etwas, das die allein wirkende Kraft ist.

Die zweite Betrachtung besteht darin, nicht zu übersehen, dass, was immer er tut, sein eigenes Sich immer in seiner eigenen Kreatürlichkeit bleibt, in die es ausgeflossen ist, und nicht ganz und gar vernichtet wird. Die dritte Betrachtung besteht in einem Sich-abhandenkommen und freiwilligen Aufgeben seiner Selbst hinsichtlich alles dessen, wie er sich bisher verhalten hat: in seiner geschaffenen Eigenheit, in unfreier Mannigfaltigkeit gegenüber der göttlichen Wahrheit, in Lieb oder in Leid, im Tun oder im Lassen. Dann wird er mit gewaltiger Kraft sich ohne irgendeine äußerliche Weise entäußern und unwiderruflich sich selbst verlieren und mit Christus in Einheit eins werden, so dass er aus Christus in dieser Rückorientierung immer wirkt, alles empfängt und in dieser Einfachheit alles betrachtet. Dieses gelassene Sich wird ein christusförmiges Ich, von welchem Paulus sagt: »Ich lebe, aber nicht mehr als Ich, sondern Christus lebt in mir«. Das nenne ich ein vollkommenes Sich.

Betrachten wir nun das zweite Wort, das er spricht, nämlich »lassen«. Das meinte er im Sinn von »aufgeben« oder »nicht beachten«, nicht etwa, dass man das Sich so lassen kann, dass es gänzlich vernichtet wird; vielmehr wird es nicht beachtet, und dann ist es richtig.

Denn wie ein kleines Wassertröpflein, in viel Wein gegossen, sich selbst auflöst, wenn es dessen Geschmack und Farbe an- und aufnimmt, so geschieht es jenen, die im vollkommenen Besitz der Seligkeit sind, dass ihnen in unsagbarer Weise alles menschliche Verlangen vergeht und sie aus sich selber herausfließen und vollständig in den göttlichen Willen eintauchen. Das Schriftwort, dass Gott alles in allem werden soll, wäre nicht wahr, wenn in dem Menschen etwas bliebe, was nicht aus ihm geschüttet wurde. Es bleibt zwar sein Wesen, aber in einer anderen Form, in einer anderen Herrlichkeit, in einem anderen Vermögen.

Was ist nun diese andere fremde Form, wenn nicht die göttliche Natur und das göttliche Wesen, in das sie sich ergießen und das sich in sie ergießt, so dass sie dasselbe sind? Was ist eine andere Herrlichkeit, wenn nicht, im unzugänglichen Licht verklärt und verherrlicht zu werden? Was ist ein anderes Vermögen, als dass dem Menschen von diesem Wesen selbst und von dieser Einheit eine göttliche Kraft und ein göttliches Vermögen zuteil wird, all das zu tun und zu lassen, worin dessen Seligkeit besteht?

Und in dieser Weise kommt der Mensch sich abhanden, wie gesagt wurde. Man kann dieses ein- und wiederausfließen eine »gebärende Weise« nennen, wie es im Johannes Evangelium heißt, dass er »allen, die nur aus Gott geboren sind, die Macht gegeben hat, Kinder Gottes zu werden«. Und das geschieht so, wie man im Allgemeinen von »gebären« spricht.

Was ein anderes in dieser Weise gebiert, das bildet es sich nach und in sich und verleiht ihm dasselbe Wesen und Wirken.

Darum werden einem gelassenen Menschen, in dem Gott allein der Vater ist und in dem nichts ZeitlichEigenes geboren wird, die Augen geöffnet, dass er sich selbst erkennt und darin sein seliges Sein und Leben erhält und eins mit ihm ist, denn alle Dinge sind hierin Eines in dem Einen. Und ich sage dir noch mehr: Wenn der Mensch nicht zwei contraria, d.h. zwei sich wiedersprechende Dinge als eines denken kann, so kann man zweifellos nicht richtig mit ihm über solche Dinge sprechen. Wenn er dies aber begreift, so hat er erst die Hälfte des Weges zu dem Leben, das ich meine, zurückgelegt. Die zwei contraria sind: Das Ewige Nichts – und was dieses in der Zeit geworden ist. Überwinde dein Denken, wenn du dahin gelangen willst, denn mit Nichterkennen wird die Wahrheit erkannt.

Der Fragende: Wohin führt die Erkenntnis eines

gelassenen Menschen?

Die Wahrheit: Der Mensch kann in dieser Zeit dahin gelangen, dass er sich in der Einheit mit dem erkennt, demgegenüber alles, was man mit Gedanken oder Worten erfassen kann, ein Nichts ist. Und dieses Nichts nennt man nach allgemeiner Übereinstimmung »Gott«, und es ist in sich selbst das allereigentlichste Sein.

Hierin erkennt sich der Mensch als eins mit diesem Nichts; dieses Nichts jedoch erkennt sich selber ohne irgendeine Erkenntnistätigkeit. Aber darin ist noch etwas Tieferes verborgen.

Der Fragende: Was ist das verborgene Tiefere des vorgenannten Nichts, das in seiner Bedeutung alles kreatürlich Seiende ausschließt? Es ist doch reine Einfachheit. Wie kann das Allereinfachste ein »Tieferes« oder »Äußeres« haben?

Die Wahrheit: Solange der Mensch unter »Einung« oder ähnlichem etwas begreift, worüber man mit dem Verstand denken kann, so muss er noch tiefer eindringen.

Im Nichts gibt es kein tiefer- hineindringen, wohl aber gibt es das für unsere Erkenntnisweise, d. h., wenn wir ohne alle Formen und Bilder, die es geben mag, erkennen werden, was die Erkenntnis in Formen und Bildern nicht erlangen kann. Und davon kann man nicht sprechen, denn sonst, sage ich, würde man von einem Ding sprechen, das man mit dem Verstand denken kann. Aber mit solchem Denken kann der Verstand in keiner Weise erfassen, was das Nichts ist, auch wenn es noch so viele Lehrer und Bücher gäbe. Dass aber dieses Nichts die Vernunft, das Sein oder das Genießen selber ist, das ist wohl wahr in der Weise, wie wir darüber denken können. Es ist aber von seiner eigenen Wahrheit weit entfernt, und zwar weiter, als wenn man eine wunderschöne Perle als »Hackklotz« bezeichnet.

Die alten Philosophen erforschten die natürlichen Dinge nur im Zusammenhang mit ihren natürlichen Ursachen. Wenn man die Kreatur lediglich in sich selbst erkennt, so nennt man das eine »Abenderkenntnis«, denn dann erkennt man die Kreatur in den Bildern ihrer jeweiligen Unterscheidung. Wenn man aber die Kreatur in Gott erkennt, nennt man das eine »Morgenerkenntnis«, und darin erkennt man die Kreatur ohne eine Unterschiedenheit, von allen Bildern entbildet und aller Ähnlichkeit entkleidet in dem Einen, das Gott selbst in sich selber ist.

Auch die heiligen Lehrer der Christenheit und überhaupt alle Lehrer und Heiligen begreifen die Dinge, wie sie aus Gott geflossen sind und den Menschen nach seinem Tode wieder zurückführen – sofern er hier nach dessen Willen lebt.

Aber diese Eins gewordenen Menschen, indem sie über alle Maße in der Einheit sind, begreifen sich und alle Dinge als immer und ewig. Wer das in rechter Weise versteht, begreift sich als Kreatur, nicht in mangelhafter, sondern eben in vereinter Weise. Als er nicht war, war er dasselbe, aber unvereint.

Was bedeutet das: Als er nicht war, war er dasselbe, aber unvereint?

Es ist so, wie es der heilige Johannes in seinem Evangelium sagt: »Was geworden oder geschaffen ist, das war in ihm das Leben«.

Der Fragende: Wie kann das wahr sein, klingt es doch so, als ob die Seele ein zweifaches Sein sei, ein Geschaffenes und ein Ungeschaffenes.

Wie kann das sein? Wie kann der Mensch Kreatur und Nicht-Kreatur sein?

Die Wahrheit: Der Mensch kann nach unserem Verständnis nicht Kreatur und Gott sein. Vielmehr: Gott ist dreifach und einfach. Und so kann der Mensch, wenn er sich in Gott entäußert hat, in gewisser Weise im Sich- Verlieren eins sein und nach außen schauend und genießend sein und desgleichen.

Das zeige ich dir in einem Vergleich: Das Auge verliert sich, indem es sieht, denn es wird in der Sehtätigkeit eins mit seinem Gegenstand, und doch bleiben beide, was sie sind.