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Im vorliegenden Lehrbuch vermittelt der weltbekannte Ayurvedische Arzt Dr. Vasant Lad in dynamischer und inspirierender Weise die grundlegenden Prinzipien des Ayurveda. Wenn Vasant Lad die Mysterien der alten indischen Heilkunst enthüllt, stellt er dieses jahrhundertealte Wissen so dar, dass es für den modernen Studenten leicht zugänglich wird und trotzdem seinen Wurzeln treu bleibt. Vasant Lad beschreibt das Weltbild des Ayurveda und wie es alle Ebenen des menschlichen Seins durchdringt. In einmaliger Prägnanz und Tiefe erläutert er die grundlegenden Strukturen und Funktionen von Körper, Geist und Seele, deren Aufbau und Zusammenwirken. So zeigt er die Bedeutung der drei Temperamente (Doshas), des Verdauungsfeuers (Agni), der sieben Körpergewebe (Dhatus), der drei Abfallprodukte (Malas), der feinstofflichen Energien (Ojas, Tejas und Prana) und wie deren Ungleichgewicht Krankheiten verursachen kann. Das Buch ist reich an Illustrationen,Tabellen und praktischen Beispielen und verhilft dem Leser zu einem tiefen Verständnis des Ayurveda. Dr. Lads Ausführungen sind von ungewöhnlicher Klarheit und Schönheit und zeigen den Weg zu wahrer Gesundheit, Ausgeglichenheit und Freude. Das Werk ist eines der bedeutendsten Lehrbücher des Ayurveda und wird bereits weltweit von vielen Schulen als Grundlagenwerk empfohlen. Es könnte dem Ayurveda im deutschsprachigen Raum zum Durchbruch verhelfen. „Dr. Vasant Lads Veröffentlichungen sind, beginnend mit diesem ersten Band über die Grundprinzipien, wahrscheinlich die umfassendsten Ayurveda-Lehrbücher, die bisher im Westen erschienen sind. Diese Buchreihe wird mit Sicherheit das Studium und die Praxis des Ayurveda weltweit revolutionieren. Alle Ayurveda-Studenten sollten sich ernsthaft damit auseinandersetzen.“ Dr. David Frawley Pandit Vamadeva Shastri “Dr. Vasant Lad ist ein wahrer Vaidya – ein Kenner der Realität. Sein neuestes Werk "Das Handbuch des Ayurveda" bestätigt seine unangefochtene Stellung als der führende Experte dieser uralten Heilkunst." Dr. Deepak Chopra und Dr. David Simon "Ein ausgereiftes Lehr-Werk für den westlichen Leser, geschrieben aus großer Klarsicht, einem weiten Herzen und mit Demuth vor dem Leben. .. Dieses wunderbare Grundlagenbuch, in das Generationen von Studenten mit Genuss eintauchen werden, muss man einfach lesen." Annette Köhler Dr. Vasant Lad hat das Ayurveda aus erster Hand in Indien gelernt, er lebt und lehrt jedoch bereits seit vielen Jahren in den USA. Vielleicht auch deshalb vermag er wie kein anderer die Brücke zwischen alter indischer Weise und westlichem Denken zu schlagen. "Wer immer sich ernsthaft und tief auf das Thema Ayurveda einlassen möchte, wird in diesem Lehrbuch den besten denkbaren Einstieg finden. Ein systematisch aufgebautes, tiefgründiges, vielschichtiges, und dabei in einer einfachen und verständlichen Sprache verfasstes Lehrbuch der besonderen Art. Mich würde es nicht wundern, wenn es binnen kurzer Zeit DAS Standardwerk über Ayurveda wird. Für mich fühlt sich dieses Buch - je länger ich darin lese - mehr und mehr wie eine Heilige Schrift an. Ich lese immer nur kurze Passagen - und es verschlägt mir regelmäßig fast die Sprache. Wie kann ein Mensch mit so wenig Worten so viel Tiefe vermitteln?" Birgit Kratz
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Seitenzahl: 680
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Vasant D. Lad
Lehrbuch des Āyurveda
Die Grundprinzipien
Band I
Vasant D. Lad, M.A.Sc.
Lehrbuch des Ayurveda
Die Grundprinzipien
Band I
Titel der englischen Original-Ausgabe: Textbook of Ayurveda Fundamental Principles, Voulme One © Dr. Vasant Lad, The Ayurvedic Institute 2002
Übersetzt aus dem englischen von Samira Goth, Geckolingua
1. deutsche Auflage 2012
2. deutsche Auflage 2014
3. deutsche Auflage 2017
ISBN 978-3-95582-145-6
Cover design und Abbildungen: Kevin Curry.
Bilder von Shawn O’Connor. Bilder in den Kapiteln 4 und 8 von Carlos Luna.
Alle Abbildungen in diesem Buch basieren auf den Zeichnungen von Vasant Lad.
Ganesha Abbildung von Vasant Lad.
Layout von Laura Humphreys.
Herausgeber:
Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, 79400 Kandern
Tel.: +49 7626 9749700 E-Mail: [email protected]
www.narayana-verlag.de
© 2012, Narayana Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags darf kein Teil dieses Buches in irgendeiner Form - mechanisch, elektronisch, fotografisch - reproduziert, vervielfältigt, übersetzt oder gespeichert werden, mit Ausnahme kurzer Passagen für Buchbesprechungen.
Die Empfehlungen dieses Buches wurden von Autor und Verlag nach bestem Wissen erarbeitet und überprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Weder der Autor noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.
Obwohl die, in diesem Buch enthaltenen, Informationen auf ayurvedischen Prinzipien basieren, die seit Tausenden von Jahren praktiziert werden, sollte dies nicht als Standard medizinischer Diagnose oder Behandlung angesehen oder interpretiert werden. Suchen Sie im Fall einer Krankheit stets einen qualifizierten Arzt auf.
Dieses Buch ist von ganzem Herzen meiner liebenden Frau Usha gewidmet, die mich in allen Bereichen meines Lebens inspiriert und unterstützt hat.
Vorwort
Zum Geleit
Über den Autor
Die Verwendung von Sanskrit
1 ShadDarshan, diesechs Philosophien des Lebens
Einführung
Sānkhya
Purusha und Prakruti
Mahad (Kreative Intelligenz)
Ahamkāra
Sattva, Rajas, Tamas
Nyāya und Vaisheshika
Die vier Pramāna – Quellen gültigen Wissens
Die Elemente
Seele (Ātman)
Verstand (Manas)
Zeit (Kālā)
Richtung (Dig)
Mīmāmsa
Yoga
Vedānta
Buddhismus
2 UniverselleEigenschaften und Dosha-Theorie
Die fünf Elemente und ihre Eigenschaften
Die fünf Elemente und Tanmātrās
Die Grundeigenschaften von Tridosha – Vāta, Pitta, Kapha
Die Eigenschaften (Gunas) und ihre Wirkungen auf die Doshas
Prakruti: Ihr einmaliger Körpertyp
Vikruti
Eigenschaften des Vāta-Menschen
Eigenschaften des Pitta-Menschen
Eigenschaften des Kapha-Menschen
3 DieDoshas und ihre Subtypen
Vāta und seine Subtypen
Prāna Vāyu
Udāna Vāyu
Samāna Vāyu
Apāna Vāyu
Vyāna Vāyu
Pitta und seine Subtypen
Pāchaka Pitta
Rañjaka Pitta
Sādhaka Pitta
Ālochaka Pitta
Bhrājaka Pitta
Kapha und seine Subtypen
Kledaka Kapha
Avalambaka Kapha
Bodhaka Kapha
Tarpaka Kapha
Shleshaka Kapha
Zusammenfassung
4 Agni, dasVerdauungsfeuer
Agni, das Verdauungsfeuer
Agni und die fünf Elemente
Die Rolle von Agni bei der Verdauung
Normale Funktionen von Agni
Die Doshas und Agni
Die vier Varianten von Agni
Die 40 Hauptarten von Agni
Die Subtypen von Agni
Die Aminosäuren und 20 Gunas
Zusammenfassung
5 Dhātus, die sieben Körpergewebe
Einführung
Ernährung und Aufbau der Dhātus
Dhātu-Nebenprodukte
Störungen der Dhātus
Rasa Dhātu: das Plasmagewebe
Nebenprodukte von Rasa Dhātu
Störungen von Rasa Dhātu
Fieber
Erhöhtes und verringertes Rasa Dhātu
Rakta Dhātu: das Blutgewebe
Rote Blutkörperchen
Nebenprodukte von Rakta Dhātu
Störungen von Rakta Dhātu
Die Gesundheit der Blutgefäße
Māmsa Dhātu: das Muskelgewebe
Muskelarten und ihre Funktionen
Nebenprodukte von Māmsa Dhātu
Störungen von Māmsa Dhātu
Die Rolle von Māmsa Dhātu für das emotionale Wohlbefinden
Meditation und Māmsa Dhātu
Meda Dhātu: das Fettgewebe
Nebenprodukte von Meda Dhātu
Störungen von Meda Dhātu
Bewusstsein und Meda
Asthi Dhātu: das Knochengewebe
Nebenprodukte von Asthi Dhātu
Störungen von Asthi Dhātu
Majjā Dhātu: das Nervengewebe und das Knochenmark
Majjā und das vorgeburtliche Entwicklungsstadium
Die Funktionen von Majjā Dhātu
Bewusstsein und Majja Dhātu
Nebenprodukte von Majjā Dhātu
Träume
Störungen von Majjā Dhātu
Shukra und Ārtava Dhātu: das Reproduktionsgewebe von Mann und Frau
Nebenprodukte des Shukra und Ārtava Dhātu
Shukra Dhātu
Ārtava Dhātu
Störungen von Shukra/Ārtava Dhātu
Schlussbetrachtung
6 Srotāmsi, dieKörperkanäle und -systeme
Einführung
Sroto Dushti
Die Empfangskanäle: Nahrung, Prāna, Wasser
Anna Vaha Srotas: der Nahrungskanal
Prāna Vaha Srotas: der Atmungskanal
Ambu Vaha Srotas: der Kanal für Wasser
Die Kanäle zur Ernährung und Versorgung des Körpers: Die Dhātu Srotāmsi
Rasa Vaha Srotas: Der Kanal für das Plasma
Rakta Vaha Srotas: Der Kanal für das Blut
Māmsa Vaha Srotas: Der Kanal für die Muskeln
Meda Vaha Srotas: Der Kanal für das Fett
Asthi Vaha Srotas: Der Kanal für die Knochen
Majjā Vaha Srotas: Der Kanal für die Nerven und das Knochenmark
Shukra/Ārtava Vaha Srotas: Der Kanal für das Reproduktionsgewebe
Rajah Vaha Srotas: Der Kanal für die Menstruation
Stanya Vaha Srotas: Der Kanal für die Laktation
Ausscheidungskanäle: Stuhl, Urin, Schweiß
Purisha Vaha Srotas: Der Kanal für den Stuhl
Mūtra Vaha Srotas: Der Kanal für den Urin
Sveda Vaha Srotas: Der Kanal für den Schweiß
Mano Vaha Srotas: Der Kanal des Verstandes
Geisteszustände
Manifestationen des Verstandes
Chakras, Koshas und der Verstand
Wahrnehmung, Bewusstsein und der Verstand
Individueller Verstand und universeller Geist
Verstand in den unteren drei Chakras
Herz-Chakra: Brücke zu höherem Bewusstsein
Der Verstand und die höheren drei Chakras
Bewusstseinszustände
Die Allgemeingültigkeit des Geistes
Störungen von Mano Vaha Srotas
Bewusstsein beobachten
Schlussbetrachtung
7 Ojas,Tejas,Prāna
Ojas
Niedrigeres und höheres Ojas
Störungen von Ojas
Ursachen der Ojas-Störungen
Tejas
Qualitäten von Tejas
Manifestationen von Tejas
Tejas und Karma
Tejas und Kundalinī
Prāna
Die funktionelle Verbundenheit von Prāna, Tejas und Ojas
Soma
Bewusstsein
8 Verdauung undErnährung
Rasa (Geschmack)
Wie der Geschmack mit den Elementen verbunden ist
Die Beziehung von Rasa mit Zunge und Organen
Pharmakologische und psychologische Aktivitäten der sechs Geschmäcker
Süß
Sauer
Salzig
Scharf
Bitter
Astringent
Heißhunger
Vīrya (Potenz oder Energie)
Vipāka (postdigestive Wirkung)
Prabhāva (einmalige, spezifische Wirkung)
Aktivitäten von Rasa, Vīrya, Vipāka und Prabhāva
Verdauung
Die Verdauungsphasen
Verdauungsphasen und die Doshas
Der Schlüssel zu einer ausgewogenen Ernährung
Ernährungsstörungen
Kombination von Lebensmitteln
Die drei Ernährungsprinzipien
Ernährung beginnt bei der Empfängnis
Zellstoffwechsel (Pīlu Pāka)
Pīlu Pāka und Pithara Pāka
Verlangen
Gedanken, Gefühle und Emotionen
Schlussbetrachtung
9 Schlussbetrachtung
Die āyurvedische Definition von Gesundheit
Die Doshas
Das Zusammenwirken der Doshas
Faktoren, die unsere Gesundheit beeinflussen
Die Wahl eines ausgewogenen Lebensstils
Beziehungen, Emotionen und Meditation
Verhaltensmedizin
Anhang
Die zehn großen Gefäße
Dazugehöriges Sutra
Glossar
Danksagung
Bibliographie und ausgewählte Publikationen
Referenzen
Lektüreliste
Über den Buchumschlag
Stichwortverzeichnis
Liste der Tabellen
Indien ist ein Land großartiger Vielseitigkeit, wo archaische Strukturen, Konzepte und Traditionen neben allermodernsten Entwicklungen bestehen und wo Mannigfaltigkeit und Extreme Hand in Hand gehen. Nur ein Land mit so reichhaltigem Gefüge konnte vor Tausenden von Jahren Āyurveda hervorbringen und kein anderes Land hätte aus den Wurzeln des Āyurveda diese manchmal verwirrende Vielfalt an Prinzipien und Praktiken entstehen lassen können.
Āyurveda wird unweigerlich neues Wachstum hervorbringen, ebenso wie seine verwandten Wissenschaften Yoga, Jyotisha und Vastu, die alle ein Ausdruck der „lebenden Weisheit“ sind, die eine Vidya ist. Diese Vidyas sind Lebewesen, göttliche Manifestationen der Gesamtheit eines Aspekts der natürlichen Welt. Āyurveda macht z.B. in menschlichen Begriffen Ayur Vidya begreiflich, die „Kunde des Lebens“, die Macht der Natur, die Krankheit heilt und Gesundheit fördert. Die Ärzte selbst können die Krankheiten nicht heilen, sie können nur das Ihre dazu beitragen, um die Heilbemühungen der Natur zu unterstützen. Alle erstklassigen Ärzte dienen als Medium für die Ayur Vidya, doch allzu oft verrichten sie diesen Dienst, ohne sich über die Natur der Ayur Vidya selbst bewusst zu sein. Eine gute āyurvedische Ausbildung nährt eine tiefgehende persönliche Beziehung zwischen dem Schüler und der Ayur Vidya, um das bewusste Eingehen dieser Vidya in den Schüler zu ermöglichen.
Die Vidyas selbst sind ewig, doch ihre Manifestationen in unserer unbeständigen Welt verändern sich dauernd. Die letztendliche, zeitlose Version einer Vidya ist allzeit verfügbar und zwar für jeden, der sie ausmacht und aus ihr zu schöpfen vermag. Wer immer den Kontakt zur Muse namens Ayur Vidya herstellen kann, wird erkennen, wie sie ihn leitet und sein Weiterkommen inspiriert. Wem es nicht gelingt, die Vidya selbst zu erreichen, kann die begrenzteren Adaptionen verwenden, die menschliche Ärzte für uns festgeschrieben und ausgearbeitet haben. Zusammengenommen stellen die vielen ausführlichen Darstellungen der Ayur Vidya die gesammelte Weisheit dessen dar, wie man einen Aspekt des Heilungspotentials der Natur beim Menschen wirksam anwendet.
Mit jeder erfolgreichen Übertragung von einem kompetenten menschlichen Medium zum anderen, wobei sie in der Ausübung ihr eigenes Leben entwickelt, gewinnt die lebendige Weisheit an Reichhaltigkeit und Kompetenz. Seit vielen Jahrhunderten bot die Āyur Vidya den Segen des Ayurveda Generationen von Ärzten in Indien und aus anderen Ländern dar (Tibet, China, Persien, Griechenland, Arabien), die zu den indischen Tempeln der Heilkunst gepilgert waren. Schließlich findet die gute Botschaft des Āyurveda ihren Weg auch in den Westen.
Bis vor Kurzem unterstützte das materialistische, mechanistische philosophische Klima hier im Westen die Āyur Vidya nicht, doch im Laufe der letzten 50 Jahre haben sich alternative Sichtweisen der Welt weit genug verbreitet, damit Āyurveda hier heimisch werden konnte. Die ersten Āyur-Pflänzchen waren schwach und zaghaft und viele konnten sich nicht entfalten, doch manche schlugen Wurzeln und gediehen. Einer der ersten Gärten āyurvedischer Ausbildung in den USA liegt in Albuquerque, New Mexico, im Āyurvedic Institute. Seit seiner Gründung war das Institut bemüht, in jedem möglichen Feld durch Vorträge, Bücher und Kassetten die Samen des Āyurveda auszusäen. Die frühen Publikationen konzentrierten sich auf die wesentlichen Grundsätze von Āyurveda, im Laufe der Zeit erhielten die Unterrichtsmaterialien ein höheres Niveau, da den Studenten die Begriffe des Āyurveda vertrauter wurden.
Die Veröffentlichung von Lehrbuch des Āyurveda läutet für die āyurvedische Ausbildung eine neue Ära ein. Dies ist das erste Lehrbuch der āyurvedischen Medizin, das tatsächlich für eine westliche Leserschaft verfasst wurde. Es soll dabei helfen, die ersten echten āyurvedischen Hochschulen im Okzident zu schaffen, Institutionen, die unter ihren großzügigen Fittichen Generationen von Lehrlingen der Āyur Vidya beherbergen werden. Dieses Buch stellt damit eine neue, aufregende Phase bei der Anpassung der Āyur Vidya an einen einst fremden Boden dar.
All diese Entwicklungen finden durch ein Medium statt und dieses Medium ist Dr. Vasant D. Lad. Ich lernte Dr. Lad im Januar 1974 im indischen Pune (Poona) kennen, wo er bereits ein beliebter Dozent am Tilak Āyurveda College war. Großenteils dank seiner Hilfe und Unterstützung überlebte ich dort sechs Jahre und machte schließlich meinen Abschluss in Āyurveda.
Als Dr. Lad 1979 die Gelegenheit erhielt, zu einer Āyurveda-Vortragsreihe in die USA zu reisen, zögerte er zunächst, ins Ausland zu reisen und damit sein Zuhause, seine Familie und sein geliebtes Indien zurückzulassen. Doch nachdem er die möglichen Vorteile abgewogen hatte, die daraus erwachsen könnten, Āyurveda einem breiteren Publikum vorzustellen, willigte er widerstrebend ein. In Indien denkt man weniger daran, welche Privilegien ein Einzelner verdient, sondern eher, wie viele Verpflichtungen derjenige zu erfüllen hat. Eine dieser Verpflichtungen ist die Vidya Rna, die Pflicht, die eigene Vidya zu stärken und zu vermehren und ihr Wissen an jene weiterzugeben, die geeignet sind, es zu empfangen. Als Dr. Lad an die vielfältigen Segnungen dachte, die er bis dahin von der Āyur Vidya erhalten hatte – seinen Lebensunterhalt, die Fähigkeit, zu behandeln und zu heilen, eine anerkannte Position in der Gemeinde, die Erfüllung der Wünsche seines Gurus für ihn – wurde ihm bewusst, dass es seine Pflicht war, im Gegenzug seine eigenen Energien zur Verfügung zu stellen.
Und so machte er sich auf den Weg. Bald folgte ihm seine Familie und das Institut nahm langsam Gestalt an. Allen Wechselfällen des Lebens trotzend, konzentrierte er sich weiter auf sein Ziel und seine Entschlossenheit zahlte sich schließlich aus, denn das Ayurvedic Institute ist heute zur führenden amerikanischen Institution für āyurvedische Ausbildung geworden.
Dieses Buch ist in zweierlei Hinsicht eine Krönung: für sein lebenslanges persönliches Studium und die klinische Praxis von Āyurveda sowie für den über 2 Jahrzehnte dauernden Einsatz seiner Lebenskraft, um das große Ziel zu erreichen, die Ayur Vidya in für sie neue und spannende Bereiche vordringen zu lassen. Es ist eine weitere wertvolle Opfergabe, die Dr. Lad am Altar der Āyur Vidya darbringt und ich würdige dies und ihn für die fruchtbare Partnerschaft, die sie so lange gepflegt haben. Mögen diese Seiten allen fühlenden Wesen Nutzen bringen!
Robert E. Svoboda,ĀyurvedāchāryaAlbuquerque, Dezember 2000
In den letzten 20 Jahren bin ich viel gereist und habe dabei die unterschiedlichen Aspekte des Āyurveda unterrichtet. Die drei großen āyurvedischen Texte – die Charaka, Sushruta und Vāgbhata Samhitās – sind sehr authentisch und bieten dem ernsthaft Interessierten mehrere Bedeutungsebenen. Doch für den Anfänger ist es recht mühsam, ihnen zu folgen und sie zu verstehen. Ich verwendete Auszüge aus diesen drei großartigen Texten und schuf einen praktischen āyurvedischen Studiengang, den ich am Ayurvedic Institute in Albuquerque, New Mexico, unterrichte.
Ich liebe meine Studenten. Sie sind aufrichtig, arbeiten hart und erlernen Āyurveda im āyurvedischen Studiengang und im fortgeschritteneren Gurukula-Programm. Im Laufe der Jahre fragten die Studenten immer wieder nach einem Lehrbuch für unsere Klassen. Der gesamte Lehrplan wird über einen Zeitraum von acht Monaten gelehrt und das ganze dazugehörige Material lässt sich nicht in einem einzigen Band zusammenfassen. Daher habe ich beschlossen, drei Bände eines allgemeinen Lehrbuchs des Āyurveda zu schreiben, in denen die Grundprinzipien und Philosophien des Āyurveda, die klinische Beurteilung von Gesundheit und Krankheit und die Behandlung von Krankheiten dargestellt werden.
Ich freue mich sehr, dieses Geleitwort für Band I des Lehrbuchs des Āyurveda zu schreiben. Dieses Buch enthält die verbürgten Lehren der Grundprinzipien und Philosophien des Āyurveda. Ich bin mir recht sicher, dass es für alle Studenten des Āyurveda eine praktische Anleitung bietet.
Liebe und Licht,
Dr. Vasant LadAlbuquerque, New Mexico März 2001
Āyurveda ist in den Herzen besonderer Wesen zuhause, deren Dharma darin besteht, die Traditionen der Weisheit zu bewahren und zu erhalten, um sich selbst und die Welt zu heilen. Es schlägt eine Brücke zwischen den veränderlichen Philosophien, Wissenschaften und Religionen der Zeitalter und wird in den verschiedenen Kulturen durch diese engagierten Individuen weitergegeben. Dr. Lad trägt diese lebendige Flamme in seinem Herzen und sein Leben und seine Lehre sind ein Ausdruck für die wahre Bestimmung von Āyurveda auf der Welt.
Dr. Lad brachte bei seiner Ankunft in den USA reichhaltige Erfahrungen aus Lehre und Praxis mit. Er machte 1968 seinen Bachelor der āyurvedischen Medizin & Chirurgie (B.M.A.S.) an der University of Pune, in Pune, Indien und 1980 den Master der āyurvedischen Wissenschaft (M.A.Sc.) an der Tilak Ayurved Mahavidyalaya in Pune. Drei Jahre lang war er medizinischer Direktor des Āyurveda Hospital in Pune. Er hatte darüber hinaus sieben Jahre lang die Position des Professors für klinische Medizin am Pune University College of Ayurvedic Medicine inne, wo er viele Jahre lang als Dozent tätig war. Dr. Lads akademische und praktische Ausbildung umfasst das Studium der allopathischen Medizin (westlichen Medizin) und Chirurgie ebenso wie traditionelles Āyurveda. 1979 begann er, durch die Vereinigten Staaten zu reisen und sein Wissen über Āyurveda weiterzugeben. 1981 kehrte er nach New Mexico zurück, um Āyurveda zu unterrichten. 1984 gründete er das Ayurvedic Institute und begann seine Arbeit als Direktor des Instituts.
Dr. Lad ist Autor zahlreicher Artikel und mehrerer Bücher, z.B. Āyurveda, The Science of Self Healing und ist Co-Autor von The Yoga of Herbs und Ayurvedic Cooking for Self-Healing. Sein Buch Secrets of the Pulse, The Ancient Art of Ayurvedic Pulse Diagnosis, stellt zum ersten Mal dieses faszinierende Thema dar. Sein bei Harmony Books erschienenes Werk, The Complete Book of Ayurvedic Home Remedies, ist eine Sammlung klassischer āyurvedischer Behandlungen für häufige und chronische Leiden. Dieses Lehrbuch ist der erste von vier Bänden. Der zweite Band wurde 2006 und der dritte Ende 2010 veröffentlicht. Dr. Lad ist außerdem Co-Autor eines Buchs zur Marma-Therapie, Marma Points ofĀyurveda.
Dr. Lad ist derzeit Direktor des Ayurvedic Institute in Albuquerque, New Mexico, wo er jedes Jahr die beiden Stufen des āyurvedischen Studienlehrgangs unterrichtet, in Indien lehrt er zudem das fortgeschrittenere Gurukula-Programm. Dr. Lad bereist die ganze Welt, gibt private Konsultationen und Seminare zu Āyurveda, dessen Geschichte, Theorie, Prinzipien und praktischen Anwendungen.
Das Wissen über Āyurveda entstammt der Sprache Sanskrit. Sanskrit ist eine präzise phonetische Sprache und verwendet eine Reihe geschriebener Symbole, mit denen die meisten westlichen Menschen nicht vertraut sind. Die phonetische Darstellung der Sanskrit-Wörter mithilfe des englischen Alphabets nennt man Transliteration. Wir können Sanskrit in lateinische Buchstaben transliterieren, doch nicht jeder Laut lässt sich direkt übertragen. Es gibt eine größere Anzahl von Lauten, die in der deutschen Sprache nicht existieren, daher benötigen sie besondere Zeichen, um sie exakt darzustellen.
Ein Beispiel ist das mit Vāta übersetzt wird. Das erste ,a‘ in Vāta ist ein ,langes a‘ wie bei „Vater“; es wird zwei Schläge gehalten. Das zweite ,a‘ ist ein ,kurzes a‘ wie in „was“. Ein weitres Beispiel ist der Laut, der irgendwo zwischen einem ,i‘, einem ,u‘ und einem ,r‘ angesiedelt ist, das in dem Wort zu finden ist. Dieses Wort wird als Prakṛti transliteriert. Das ,ṛ‘ wird in der englischen Schreibweise des Wortes Krishna als ,ri‘ geschrieben. Und um es noch etwas komplizierter zu machen, die Sanskrit-Sprecher in Nordindien sprechen das ,ṛ‘ als ,i‘ wie in „ist“ aus, während man in Südindien ,u‘ wie in „gut“ sagt. Aufgrund der regionalen Variationen bei der Aussprache werden in diesem Buch ru und ri verwendet statt des technisch korrekten ,ṛ‘.
Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass das ,a‘ am Ende von Sanskrit-Wörtern manchmal durch den Einfluss des Hindi weggelassen wird. Es wurde bei vielen Wörtern in diesem Buch angefügt. Das End-,a‘ unterliegt auch grammatikalischen Veränderungen. Dies hängt davon ab, welche Buchstaben ihm folgen, und der Einfachheit halber ignorieren wir diese Regeln. Beispielsweise kann das Wort Meda (Fett) als medo, medas und meda transliteriert werden, je nach dem welches Wort ihm folgt. Normalerweise verwenden wir die gebräuchlichste Form, Meda, damit Sie als Leser nur ein Wort lernen müssen. Sicher wäre es herrlich, wenn all unsere Leser beginnen würden, Sanskrit zu lernen und sich von dem Wissen inspirieren ließen, das man von den alten Texten erhält, doch wir haben es uns hier nicht zur Aufgabe gemacht, diese Sprache zu lehren.
Im Lehrbuch für Āyurveda haben wir uns dafür entschieden, Transliterationszeichen nur für lange Vokale zu verwenden, dargestellt durch den Längsstrich und für den ,Nja‘-Laut, dargestellt durch das ,ñ‘. Die Aussprache der Laute ist wie folgt:
a wie in was; ā wie in Vater
i wie in immer; ī wie in Tier
u wie in Bus; ū wie in gut
e wie in See; ai wie in Mai
o wie in Horn; au wie in laut
In all unseren Texten haben wir āyurvedische Begriffe kursiv geschrieben, wenn sie im Text1 zum ersten Mal genannt werden, da sie im gesamten Buch immer wieder vorkommen.
Die Herausgeberin möchte Glen Crowther für seine große Sorgfalt, seine Intelligenz und Geduld und seinen unermüdlichen Einsatz beim Lektorat dieses Buches danken. Ich möchte außerdem Barbara Cook für ihre ausgezeichnete Arbeit am Glossar sowie für ihre aufschlussreichen Anregungen zum Buchtext danken. Dieses Buch verdankt ihren wissenschaftlichen Kenntnissen und ihrer Hingabe zu Āyurveda sehr viel. Margaret Smith Peet brachte in diesem Buch ihre langjährige redaktionelle Erfahrung und Liebe zu Āyurveda mit ein; ihre Gaben trugen sehr viel zu dessen Flüssigkeit und Schönheit bei. Natürlich sind wir alle Dr. Lad für seine tief greifende Kenntnis des Āyurveda und seine Großzügigkeit dankbar, diese mit seinen Studenten zu teilen.
Laura HumphreysHerausgeberin
1. The Chicago Manual of Style, 15th ed. (Chicago: University of Chicago Press, 2003), 292.
Āyurveda ist ein Heilsystem, das seine Wurzeln im alten Indien hat. Viele Wissenschaftler sind der Ansicht, dass es das älteste Heilsystem ist, das auf unserem Planeten noch existiert. Āyuh bedeutet Leben und veda heißt Wissen. Das im Āyurveda enthaltene Wissen befasst sich mit Art, Umfang und Zweck des Lebens und beinhaltet dessen metaphysischen und körperlichen Aspekte – Gesundheit und Krankheit, Glück und Leid, Schmerz und Vergnügen. Āyurveda definiert das Leben als Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele, das im kosmischen Bewusstsein zu finden ist und die gesamte Schöpfung umfasst. Āyurveda erklärt, dass der Zweck des Lebens darin besteht, den Schöpfer zu kennen oder zu realisieren, im Inneren und Äußeren und dieser Göttlichkeit im Alltag Ausdruck zu verleihen. Laut dem Āyurveda ist das Leben jedes Einzelnen ein Mikrokosmos des Kosmos.
Āyurveda ist eine medizinische Wissenschaft und ihr Zweck besteht darin zu heilen und die Qualität und eine lange Dauer des Lebens zu bewahren. Es ist eine Kunst des täglichen Lebens, die sich aus praktischer, philosophischer und spiritueller Erleuchtung entwickelt hat und im Verständnis der Schöpfung gründet. Es bietet eine tiefgehende Einsicht in den einmaligen Körper, Geist und das Bewusstsein jedes einzelnen Menschen und bildet damit die Basis für Gesundheit und Glück.
Die Prinzipien vieler Naturheilsysteme, die jetzt im Westen gängig sind, wie z.B. Kräutermedizin oder Polaritätstherapie, haben ihre Wurzeln im Āyurveda. Aufgrund seines breiten Wirkungsbereichs enthält Āyurveda alle Disziplinen der Gesundheitspflege und bezieht sie im integrierten Behandlungsplan jedes Einzelnen mit ein. Benötigt jemand eine Operation, stehen chirurgische Verfahren zur Verfügung. Bedarf ein Mensch einer psychologischen oder spirituellen Beratung oder der Verjüngung von Körper, Geist und Seele, gibt es auch dafür geeignete Behandlungsmethoden. Āyurveda umfasst all diese Behandlungen und koordiniert sie entsprechend. Man nennt es eine „lebende“ Wissenschaft, da es moderne Entwicklungen und Techniken mit uralten Weisheiten verbindet. Es ist auf einzigartige Weise imstande, einen Therapieplan zu empfehlen, der individuell auf den Einzelnen zugeschnitten ist. Die meisten anderen medizinischen Disziplinen sind zu spezialisiert, um einen Plan zu erstellen, der die Beseitigung der Ursache(n), eine Behandlung der Krankheit, die Erneuerung des Körpers und die anhaltende Förderung eines Verjüngungsprogramms beinhaltet. Im Āyurveda sind all diese Elemente im Behandlungsprozess von überragender Bedeutung.
Āyurveda ist ziemlich alt, seine Wurzeln reichen weit ins indische Altertum zurück. Es wird in Indien seit Tausenden von Jahren kontinuierlich praktiziert. In jüngerer Zeit führten die Briten die westliche Medizin in Indien ein, da sie diese als bessere Art der medizinischen Behandlung ansahen. Āyurveda wurde unterdrückt und seine Ausübung durch Richtlinien der Regierung zu verhindern versucht. Viele Inder folgten dieser Hinwendung zur westlichen Medizin und erlagen der Verlockung der schnellen Lösungen, Spritzen, Pillen und Medikamente und vermieden damit, wie ihre westlichen Zeitgenossen, persönlich Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Heute kehren einige Inder zum überlieferten, einheimischen Āyurveda zurück, da ihnen klar geworden ist, dass die westliche Medizin dazu neigt, die Symptome einfach zu unterdrücken und nichts dagegen unternimmt, damit die Probleme in Zukunft ausbleiben. Obgleich die westliche Medizin äußerst hilfreich bei akuten Zuständen und Traumen ist, neigt sie dazu, die Bedeutung der individuellen Reaktionen auf die Stresssituationen und Lebensumstände zu übersehen. Im Āyurveda gibt es kein Konzept der Spezialisierung, wie dies in der westlichen Medizin der Fall ist. Āyurveda behandelt den gesamten Menschen, nicht nur das betroffene Organ oder System.
Jedem Heilsystem liegt eine philosophische Basis zugrunde. Die ayurvedische Philosophie basiert auf den Shad Darshan, den sechs Philosophien des Lebens, die sich von den uralten Weisen und Schriften Indiens herleiten. Viele dieser Schriften sind als Veden oder Wissenssammlungen bekannt. Die Veden sind zeitlos, manche sagen, sie seien über 10.000 Jahre alt. Die vier Hauptveden – Rigveda, Yajurveda, Atharvaveda und Sāmaveda – gehören zu den ältesten Beständen an aufgezeichnetem/niedergeschriebenem Wissen der menschlichen Kultur. Es gibt auch vier Nebenveden, die man Upaveden oder untergeordnete Veden nennt und die sich aus den jeweiligen Hauptveden entwickelt haben. „Āyurveda“, übersetzt als „Wissenschaft des Lebens“, ist ein Upaveda. Obwohl es einige Diskussionen darüber gibt, sind viele Wissenschaftler der Ansicht, dass Āyurveda ein Upaveda des Atharvaveda ist. Andere hingegen meinen, es habe seinen Ursprung im Rigveda.
Die gesamte vedische Tradition besteht aus höchster spiritueller Weisheit und reinem Wissen, das über die Intuition erleuchteter Rishis (Seher) offenbart wurde. Es ist keine Schöpfung, die in den Köpfen von normalen Menschen entstanden ist, sondern vielmehr eine Offenbarung aus den Herzen meditativer weiser Menschen. Diese uralte Weisheit entstammt den Höhlen und Bergen Indiens, wo die Rishis Ashrams und Schüler hatten. Diese Schüler kamen, um bei ihnen zu lernen und die Rishis gaben die Erkenntnisse so weiter, wie sie ihnen selbst zuteil wurden, in einem Zustand tiefer Meditation. Diese frühen Lehren waren eine mündliche Tradition und da es keine Bücher gab, bewahrten die Schüler dieses Wissen in ihrem Geist auf, und damit wurde es ein Teil von ihnen. Geschriebene Musik besitzt keine Melodie, ebenso verfügt das geschriebene Mantra nur über wenig Energie. Aus diesem Grund glaubten die Rishis, dass Mantras nicht aufgeschrieben werden sollten. Sie versuchten daher, dieses Wissen durch mündliche Überlieferung von einer Seele zur anderen weiterzugeben.
Die Erkenntnisse des Āyurveda wurden uns in Sūtren oder kleinen Lehrsätzen überliefert und die in diesen Sūtren enthaltene Weisheit ist dazu da, um vom neugierigen Geist erschlossen zu werden. Ein großer Teil der Informationen in diesem Buch basiert auf den Wahrheiten, die diese Sūtren beinhalten. Sie wurden in alter Zeit vor über 5.000 Jahren in Versform verfasst. Die Worte eines Sūtras bringen verborgenes Wissen ins Bewusstsein. Doch um dieses Wissen und dessen verborgene Bedeutung zu verstehen, bedarf es der Anleitung durch einen Lehrer.
Das Sanskrit-Wort Sūtra bedeutet, mit einem Faden zunähen. Der kleine Lehrsatz des Sūtras ist analog zu einem Faden, der durch ein Nadelöhr gleitet. Das Nadelöhr ist klein, doch der Weg des Fadens führt zu großer verborgener Weisheit, die auf ihre Deutung wartet. Ein Samen ist ein Baum in Miniaturform. Ein Sūtra ist analog zum Samen. Der Samen kann viele Bedeutungen haben und unterschiedlichste Formen beschreiben: einen kleinen Setzling, einen groß gewachsenen Baum, Blumen, Früchte, Eicheln oder Nüsse. Es wird deutlich, dass der Samen die Gesamtheit umfasst. Er ist der Mikrokosmos im Makrokosmos. Das Gleiche gilt auch für ein Sūtra.
Die Charaka Samhita, die ungefähr 400 n. Chr. erstellt wurde, ist der älteste, noch existierende Sanskrit-Text über Āyurveda und beschreibt die fünf Subdoshas von Vāta. Der Text der Sushruta Samhita wurde vom Weisen Nagarjuna zusammengetragen und beschreibt erstmalig Chirurgie, Blut und die fünf Pitta-Subdoshas. Vagbhata war ein berühmter ayurvedischer Arzt aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., der die Ashtanga Hridayam und die Ashtanga Sangraha verfasste. Ältere Weise in der mündlichen Überlieferungslinie des Āyurveda waren der Gott Brahma, der Prajapati unterrichtete, welcher es wiederum an die Ashvin-Zwillinge weitergab. Sie unterwiesen Indra, der es Atreya (6. Jahrhundert v. Chr.) vermittelte und dieser unterrichtete Agnivesa, der im 5. Jahrhundert v. Chr. die erste wichtige ayurvedische Abhandlung schrieb, die jedoch verloren ging.
Das Āyurveda enthält Shad Darshan, die sechs Systeme der indischen Philosophie – Sānkhya, Nyāya, Vaisheshika, Mīmāmsa, Yoga und Vedānta. Shad bedeutet sechs. Die Sanskrit-Wurzel des Wortes Darshan ist drish, was „zu sehen“ bedeutet. In diesem Sinne ist Darshan die innere Vision ebenso wie die äußere Vision. Die sechs Systeme stellen sechs Sichtweisen des Lebens dar. Sie sind Wege, um sich an der Realität zu orientieren.
Tabelle 1: Shad Darshan: Die sechs Philosophien des Lebens
Philosophie
Gründer
Sānkhya
Kāpila
Nyāya
Gautama
Vaisheshika
Kanāda
Mīmāmsa
Jaimini
Yoga
Patañjali
Vedānta
Bādarāyana
Darshan wird übersetzt mit direkter Wahrnehmung oder Philosophie, die Wahrheitsliebe ist. Während Darshan keine Philosophie ist, kommt Philosophie von Darshan. Daher übersetzt man Shad Darshan als die sechs Philosophien, die Āyurveda zur Heilung der Menschheit akzeptiert.
Warum studieren wir die Shad Darshan? Drei dieser Systeme – Sānkhya, Nyāya und Vaisheshika – beschäftigen sich überwiegend mit der materiellen Welt. Diese Philosophien versuchen, die täglichen Erlebnisse auf der physischen Ebene zu verstehen und zu erklären. Das Wissen über die physische Erschaffung war für sie am wichtigsten. Logisches Denken, das Verständnis von Ursache und Wirkung oder Erfahrungen, die man auf Ursache und Wirkung reduzieren kann, stehen im Zentrum von Nyāya. Dieses System beschäftigt sich auch mit den Hilfsmitteln, um Erkenntnis und rechtes Wissen zu erlangen.
Vaisheshika konzentriert sich auch auf die Ebene der physischen Welt, ohne sich darum zu kümmern, was sie erschaffen hat oder woher sie kommt. Es ist wirklich eher ein Physikmodell der Wechselbeziehungen von Teilchen als eine Philosophie spekulativen Denkens. Im Gegensatz dazu erklärt Sānkhya, dass wir uns über den Ursprung der Welt Gedanken machen sollten. Außerdem ist es wichtig zu sehen, wie das Thema von Mikrokosmos und Makrokosmos (wie oben, so unten) umgesetzt wird. Bei Sānkhya wird die Physiologie als Modell eines sich entwickelnden Bewusstseins ausgedrückt. Bewusstsein ist von Natur aus ideell und drückt sich in einem evolutionären Schema aus, als gesamte Vielfalt der materiellen Schöpfung. Diese drei Paradigmen – Sānkhya, Vaisheshika und Nyāya – bilden einen natürlichen Verbund zum Verständnis des physischen Universums.
Die anderen drei – Yoga, Mīmāmsa und Vedānta – betrachten die innere Realität als Versuch, um die äußere Realität zu verstehen. Sie befassen sich eher mit reiner Philosophie und kümmern sich weniger um das physische Zusammenwirken der Dinge. Ihr Schwerpunkt liegt darauf, wie wir uns weiterentwickeln können.
Alle sechs Systeme führen zu evolutionärer Erfüllung und Selbstverwirklichung. Diese Philosophien versuchen grundsätzlich, Schmerz und Leiden zu lindern, ein Punkt, der ihnen allen gemeinsam ist. Sie alle wollen erreichen, dass Schmerz und Leiden für uns enden, was man auch vom Buddhismus herleiten kann. Der Buddhismus und seine Vier Edlen Wahrheiten befassen sich speziell mit diesem Thema (siehe Seite 21). Beim Studium der Shad Darshan versuchen wir zu verstehen, „was ist“ und wie man sich darauf bezieht, um Selbstverwirklichung zu erreichen.
Der wichtigste Vertreter der Sānkhya2-Philosophie war Kāpila, einer der großen erleuchteten Rishis (Seher). Das Wort Sānkhya kommt von san und khya. San bedeutet Wahrheit. Khya bedeutet etwas erkennen, wissen, verstehen. Sānkhya ist eine Philosophie, um die Wahrheit des Lebens zu entdecken und zu verstehen. Kāpila unterschied 24 Prinzipien in der Manifestation des Universums. Wir sehen uns jedes dieser Prinzipien genauer an.
Das erste, von uns betrachtete, Konzept der Sānkhya-Philosophie ist Purusha. Pur bedeutet Stadt. Sheta bedeutet wohnen, leben, existieren. Purusha ist das reine Bewusstsein, das in der Stadt der Sinne existiert, lebt, wohnt. Der Körper ist eine Stadt der Sinne. Viele nebeneinander bestehende Häuser bilden eine Stadt. In der gleichen Art besitzen wir viele Sinne – Hör-, Tast-, Seh-, Geschmacks-, Geruchssinn – mit neun Toren oder Öffnungen: sieben im Kopf sowie in Anus und Harnröhrenöffnung. Frauen haben drei extra Tore: die Brustwarzen und die Vagina. Reines Bewusstsein wohnt dieser Stadt der Sinne inne. Purusha ist die ultimative Wahrheit, die ultimative Heilkraft, die ultimative Erleuchtung, der transzendente Seinszustand. Purusha ist Energie und diese Energie ist vorbehaltloses, passives Bewusstsein. Es ist ohne Form, Farbe oder Eigenschaften und spielt bei der Schöpfung keine aktive Rolle. Purusha kann als reines Bewusstsein bezeichnet werden.
Prakruti ist der Urwille, die Urmaterie, das kreative Potenzial. Prakruti besitzt im Bereich des Handelns Form, Farbe und Eigenschaften. Es ist Bewusstsein mit Wahlmöglichkeit, der göttliche Wille, das Eine, das zu vielen werden möchte. Das Universum ist das Kind, das dem Schoß von Prakruti entstammt, der göttlichen Mutter. Prakruti bildet alle Formen im Universum, während Purusha Zeuge dieser Schöpfung ist. Es gibt keine Materie ohne Energie, aber es kann Energie ohne Materie geben. Prakruti kann nicht ohne Purusha existieren. Doch Purusha kann es ohne Prakruti geben. Sānkhya sagt, Prakruti ist Kreativität, die weibliche Energie. In Prakrutis Schoß wurde das gesamte Universum geboren. Daher ist Prakruti die göttliche Mutter.
24 Prinzipien derSchöpfung nachSānkhya
1: Prakruti
2: Mahad (universelle Intelligenz) Buddhi (individueller Intellekt)
3: Ahamkāra
Gebildet durch das Zusammenwirken von Sattva und Rajas
4: Manas
Wahrnehmende Sinne (Jñānendriya):
5: Gehör
6: Berührung
7: Sehen
8: Geschmack
9: Geruch
Handelnde Sinne (Karmendriya):
10: Sprechen
11: Greifen
12: Gehen
13: Fortpflanzung
14: Ausscheidung
Gebildet durch das Zusammenwirken vonTamas und Rajas
Objekte der Sinneswahrnehmung (Tanmātrās):
15: Ton (Shabda)
16: Berührung (Sparsha)
17: Form (Rūpa)
18: Geschmack (Rasa)
19: Geruch (Gandha)
Fünf Elemente (Maha Bhūtas):
20: Äther (Ākāsha)
21: Luft (Vāyu)
22: Feuer (Agni)
23: Wasser (Āpas)
24: Erde (Pruthivī)
Der unmanifestierte Zustand von Purusha und Prakruti wird Brahman genannt, ein Zustand reinen Bewusstseins, pures Bewusstsein. Ehe Prakruti sich zu manifestieren beginnt, am Punkt der Verschmelzung von Purusha und Prakruti, ist es Avyakta, was unmanifestiert bedeutet. Sobald Prakruti offenbar wird, ist es Vyakta, was Manifestation bedeutet. Die Hauptursache für das gesamte Universum ist Prakruti, nicht Purusha.
In der potenziellen Energie von Purusha und dem kreativen Willen von Prakruti erkennen wir, wie sich die ideelle Energie (Purusha/Prakruti, Avyakta) in eine materielle Ausdrucksform (Vyakta) verwandelt. Jeder weitere Schritt dient als Mittel oder Grund für die Manifestation. Das Schema aus Ursache und Wirkung ist der Schlüssel für das Funktionieren der Schöpfung über das Sānkhya-Modell. Dies ist die Reise des Bewusstseins zur Materie.
Purusha und Prakruti kommen zum Zweck der Schöpfung zusammen. Wenn Prakruti im Beisein von Purusha des Bewusstseins gewahr wird, erschafft Prakruti die erste Ausdrucksform der Schöpfung, Mahad. Mahad besitzt Selbstbewusstsein. Die Bedeutung von Mahad ist höchste Intelligenz, das, was allem seinen rechten Platz zuweist. Selbst in einer einzigen Zelle ist Intelligenz vorhanden und jede Zelle besitzt eine einmalige Funktion. Die Knochenzellen wählen und nutzen Kalzium, Magnesium, Zink und andere Mineralien. Die Muskelzellen wählen Protein. In den Zellen besteht Intelligenz und rechte Ordnung und diese Ordnung ist Zellintelligenz. Das ist Mahad. Zwischen den Zellen besteht Kommunikation, ein Fließen der Intelligenz namens Prāna, der Lebenskraft. Mahad ist diese kollektive Intelligenz.
Mahad ist reine Intelligenz und aus Mahad entsteht Ahamkāra. Ahamkāra steht für das Ichbewusstsein, das Ego. Das „Ich“ ist das Zentrum und wo es ein Zentrum gibt, gibt es einen Radius. Wo es ein Zentrum und einen Radius gibt, besteht ein Umfang. Dieser Umfang bildet eine Grenze, die Grenze des Bewusstseins. Wir alle leben im eng umschlossenen Bereich des Bewusstseins, das auf Ahamkāra, den „Ich-Bilder“ konzentriert ist. Die Frage ist, wie ein Zentrum gebildet wird. Erlaubt man seinen Augen zu fokussieren, liegt in genau diesem Sehen die Wahrnehmung. Und sobald man sich mit einem Objekt identifiziert, wird das „Ich“ geboren, die Geburt von Ahamkāra. Bei Mahad besteht keine Differenzierung. Allerdings konzentriert sich Ahamkāra auf eine Sache und macht sie zum Zentrum des Sehens. Dieses Zentrum ist das „Ich“. Ahamkāra ist ein Prozess der Identifizierung, der auf früher gesammelter Erfahrung beruht. Doch sobald das „Ich“ gebildet wird, das ein im Bewusstsein geschaffenes Zentrum ist, wird diese kreative Intelligenz (Mahad) zu Buddhi, Fähigkeit zu logischem Denken, Intellekt, individuelles Bewusstsein. Mahad ist das allgemein gültige Prinzip. Buddhi ist das individuelle Prinzip.
Durch das Pulsieren des kosmischen Prānas teilt sich das Bewusstsein in die drei universellen Qualitäten (Gunas), welche die gesamte Schöpfung durchdringen – Sattva, Rajas,Tamas. Dank der Bildung eines Ego-Bezugspunktes können Sattva, Rajas und Tamas als individuell, separat und begrenzt wahrgenommen werden. Sattva ist die reine Essenz von Licht, rechtem Handeln und spiritueller Absicht. Rajas ist das Prinzip von Bewegung, Wechsel, Erregbarkeit. Tamas ist Trägheit, Dunkelheit, Verwirrung. Diese drei allgemein gültigen Qualitäten beeinflussen unseren Verstand und unseren Körper. Auf universeller Ebene ist Sattva weiter, klarer Raum, Rajas ist Atmosphäre und Tamas ist feste Substanz. Auf individueller Ebene ist Sattva Wahrnehmung, der Wissende, Rajas ist die Bewegung der Wahrnehmung, die zum Prozess der Aufmerksamkeit wird und Tamas ist der Niederschlag der Wahrnehmung, welche Erfahrung, das Bekannte ist. Sattva ist das Licht des Bewusstseins, potenzielle Energie. Rajas ist kinetische Energie. Tamas steht für Trägheit. Ohne Tamas gibt es keine Erfahrung. Sattva ist der Beobachter. Rajas ist die Beobachtung. Tamas ist das zu beobachtende Objekt. Sattva ist kreativ, Rajas erhält, Tamas ist zerstörerisch.
Obwohl Sattva, Rajas und Tamas zu einem gewissen Grad in jedem Objekt der Schöpfung vorhanden sind, entstehen manche Objekte in erster Linie aus Sattva und manche hauptsächlich aus Tamas. Rajas ist die Energie, die den Impuls der Schöpfung darstellt. Aufmerksamkeit ist eine Kombination aus Sattva und dem Fließen von Rajas. Durch Rajas wird Bewusstsein zu Materie.
Sattva wird außerdem durch das Sanskrit-Wort Jñanashakti beschrieben, das für die Energie der Wahrnehmung steht, dem Motiv für Erkenntnis. Jñana bedeutet Erkenntnis, Wissen, Wahrnehmung, Intelligenz. Rajas wird als Kriyāshakti beschrieben, die Energie der Beobachtung. Kriyā bedeutet Aktion, Kreativität. Tamas wird als Dravyashakti beschrieben, materielle Materie, das, was beobachtet wird. Man wacht morgens wegen Sattva (Jñanashakti) auf. Aufgrund von Rajas (Kriyāshakti) plant man für den ganzen Tag. Abends nach einem schweren Abendessen spürt man Tamas (Dravyashakti), ist schwer, matt, schläfrig. Tamas bringt Schlaf, Untätigkeit und Dunkelheit. Die Untätigkeit von Tamas und die Untätigkeit von Purusha unterscheiden sich. Die Untätigkeit von Purusha ist reines Bewusstsein, die Untätigkeit von Tamas ist Unbewusstheit, eine blinde Kraft ohne Bewusstsein, die zu Verwirrung führt, wenn sie unbewusstes Handeln verursacht.
Rajas ist die aktive Lebenskraft, die sich zu Sattva bewegt, um das organische Universum zu erschaffen, die Welt der Sinneswahrnehmung. Rajas geht zu Tamas, um das anorganische Universum hervorzubringen. Daher sind Sattva und Tamas inaktive Energien, welche die aktive, kinetische Kraft von Rajas benötigen. Durch den Einfluss der drei universellen Qualitäten werden die fünf Jñanendriya (sensorischen Leitungsbahnen), die fünf Karmendriya (motorischen Leitungsbahnen) und der Verstand als Teil des organischen Universums differenziert. Die fünf Tanmātrās oder Objekte der Sinneswahrnehmung und die fünf Elemente (Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde) werden als Teil des anorganischen Universums unterschieden. Die Tanmātrās sind die Gunas (Qualitäten) der Elemente: Shabda (Ton), Sparsha (Berührung), Rūpa (Form), Rasa (Geschmack) und Gandha (Duft oder Geruch).
Die fünf Elemente werden im Schoß von Tamas geboren, enthalten jedoch alle drei Gunas. Selbst die Tanmātrās beinhalten alle drei Gunas. Obgleich sie Tamas entstammen, gibt es einige rajasische und sattvische Qualitäten in den Tanmātrās und daher in den Elementen. Erde ist Tamas. Wasser ist Tamas und Sattva. Es sucht sich seine eigene Ebene, die tamasisch, aber transparent, also Sattva ist. Feuer ist intensives Rajas und Sattva, Luft ist Rajas, aber auch Sattva, während Äther reines Sattva ist. Die Elemente entwickeln sich nacheinander und enthalten das ihnen verbundene Tanmātrā sowie jedes der vorangegangenen Tanmātrās. Äther ist beispielsweise nur Shabda Tanmātrā, Luft besteht aus Shabda und Sparsha, während Erde Shabda, Sparsha, Rūpa, Rasa und Gandha beinhaltet. Jedes Element manifestiert sich durch Hinzufügen seines primären Tanmātrās zu den Tanmātrās des/der vorherigen Element(e).
Wir können unser Wissen von der Philosophie Sānkhyas in unserem Leben und unseren Beziehungen kontinuierlich anwenden. Sobald wir unseren Körper im Spiegel betrachten, beginnen wir, ihn zu beurteilen. Vielen von uns gefallen Gesicht, Haar, Nase oder Hautfarbe nicht. Doch wir sind nicht die Nase, das Gesicht oder der Körper, wir sind die Bewohner dieses Körpers. Wir sind etwas, das höher und edler ist. Wir sind Purusha. Wir sind Shakti. Auf diese Weise können wir die Philosophie von Sānkhya zur Selbstheilung in unserem Alltag anwenden. Wir alle müssen uns selbst heilen.
Das gleiche gilt, wenn Ihre Frau Sie anschreit oder Ihr Mann Sie kritisiert und Sie regen sich auf und werden ärgerlich. Sie sind nicht der Ärger, sie sind Beobachter des Ärgers. Sie sind nicht die Furcht, Sie sind der Zeuge der Furcht. Sie sind nicht gelangweilt oder müde, Sie sind der reine Beobachter der Müdigkeit.
Die Sānkhya-Philosophie hat mein Leben verändert und ich bin mir sicher, sie wird auch Ihr Leben verändern. Selbstannahme und Selbstliebe sind die ersten Schritte zur Glückseligkeit.
Die Philosophien von Nyāya und Vaisheshika sind in den Schriften von Gautama bzw. Kanāda dargestellt. Nyāya bedeutet Logik und Vaisheshika steht für die Beschreibung der wichtigen Aspekte der greifbaren Wirklichkeit. Die Vertreter von Nyāya und Vaisheshika vertraten die Auffassung, dass Wissen durch Beobachtung und kritische Logik erworben werden könne. Sie waren wie moderne Wissenschaftler. Sie erkannten, dass bestimmte Prinzipien, die über die Sinneswahrnehmung erlebt werden können, real sind – Pratyaksha, was gesehen und erlebt werden kann. Prahana bedeutet Beweis. Die Vertreter von Nyāya und Vaisheshika entdeckten Wege, auf denen man Wahrheit erkunden kann und behaupteten, dass man Wahrheit beweisen könne.
Nyāya und Vaisheshika gehören zusammen. Während Vaisheshika von neun ursächlichen Substanzen des Universums ausgeht, die man Nava Karna Dravya nennt, befasst sich Nyāya damit, wie man über sie nachdenkt – die Schlussfolgerung. Nava bedeutet neun, Karna steht für ursächlich, Dravya bedeutet Substanzen. Diese neun ursächlichen Substanzen sind Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde, die Seele (Ātman), die der Geist oder das Selbst ist, Verstand (Manas), Zeit (Kālā) und Richtung (Dig).3
Vaisheshika vertritt die Atomtheorie des Daseins, die behauptet, das gesamte Universum bestehe aus Atomen. Vaisheshika glaubt, die Vereinigung und Trennung von Atomen werde durch den Willen des Höchsten Wesens geleitet oder gelenkt. Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde sind ewige Atome. Die Vereinigung von Atomen zu Zweier-, Dreiergruppen etc. schuf zum Zeitpunkt der Schöpfung allgemein gültige Elemente und diese Atome teilen sich zum Zeitpunkt von Prayala, der Auflösung oder Vernichtung.
Laut Nyāya gibt es drei Quellen nicht gültigen Wissens, nämlich Samshaya (Zweifel), Bhrama (falsche Erkenntnis), Tarka (hypothetisches Argument) sowie vier Quellen gültigen Wissens:4
Pratyaksha (Wahrnehmung)
Anumāna (Schlussfolgerung)
Upamāna (Vergleich)
Shabda (Mitteilung)
Nyāya erklärt, dass jede Wirklichkeit durch diese vier Methoden von Verständnis, Auffassungsgabe und Wahrnehmung begriffen werden kann.
Pratyaksha. Nyāya unterteilt die Wahrnehmung in laukika (gewöhnlich) und alaukika (außergewöhnlich). Pratyaksha (Wahrnehmung) ist Wissen, das durch den Kontakt der Sinne mit Objekten der Welt entsteht. Dieser Kontakt muss klar sein. Wenn man im Zwielicht ein Seil mit einer Schlange verwechselt, ist dies eine falsche und ungültige Wahrnehmung.
Es gibt fünf gewöhnliche äußere Wahrnehmungen – hören, berühren, sehen, schmecken und riechen. Außergewöhnliche Wahrnehmung beruht auf Zuordnung und Intuition, dies beinhaltet die Beobachtung der Qualitäten von Seele, Denken, Verlangen, Abneigung, Genuss, Schmerz und Wahrnehmung.
Im Āyurveda werden gewöhnliche und außergewöhnliche Wahrnehmung als Mittel zur Diagnose eingesetzt. Wenn ein Patient Fieber hat, wird es mit einem Thermometer gemessen. Die Haut sieht rot aus und fühlt sich heiß an. Gewöhnliches Pratyaksha wird durch direkte Wahrnehmung über die Sinne erlebt. Außergewöhnliche Wahrnehmung über Zuordnung und Intuition wird durch beständige yogische und ayurvedische Praxis entwickelt, die täglich durchgeführt wird.
Anumāna. Der zweite Beweis ist Anumāna. Anumāna beinhaltet Schlussfolgerung und Erkenntnis, die auf früherem Wissen oder bestehender Erfahrung beruhen. Wo Rauch ist, gibt es Feuer. 15 Kilometer entfernt gibt es hinter den Bergen eine große Rauchwolke. Wir haben das Feuer nicht gesehen, doch frühere Erfahrung sagt uns, dass Rauch und Feuer zusammengehören. Wir haben erlebt, dass Menschen gestorben sind. Daraus ziehen wir die Schlussfolgerung, dass der Mensch sterblich ist. Das Āyurveda kann die Schlussfolgerung nutzen, um herauszufinden, welches Dosha verstärkt ist. Man kann z.B. sagen, wo immer eine Entzündung besteht, gibt es Pitta.
Upamāna. Der dritte Beweis ist Upamāna. Upamāna lebt vom Vergleich. Es gibt eine Art von Wissen, die entsteht, wenn man die Ähnlichkeit zwischen der Beschreibung eines unvertrauten Objekts und etwas Bekanntem erkennt. Ärzte vergleichen Krankheitsverläufe und pathologische Zustände, um etwas zu verstehen. Āyurveda verwendet den Vergleich, um die verschiedenen Krankheiten in Bezug auf ihre Doshas zu verstehen. Eine Erkältung vom Pitta-Typ äußert sich durch dünnen, gelben Schleim, einen rauen Hals und Fieber, eine Erkältung des Kapha-Typs hingegen zeigt reichlich dicken und weißen Schleim, Brust- und Bronchialkongestion und Schüttelfrost.
Shabda. Der vierte Pramāna ist Shabda, was verbale Mitteilung bedeutet, etwas Authentisches und Wahrheitsgemäßes. Die Bibel, der Koran und die Veden sind heilige Texte. Sie stellen Autorität dar, was ihnen Authentizität und Gültigkeit verleiht. Diese heiligen Texte erhalten ihren Autoritätsstatus von Menschen, die sie als Autorität ansehen. Diese Autoritäten nennt man Āpta, es sind jene, deren Gedanken, Gefühle und Worte/Taten konsistent sind. Diese Menschen haben uns erklärt, dass die Veden wahr sind. Röntgenaufnahmen, Elektrokardiogramme und Kernspintomografien stellen auch objektive Beobachtungen, Shabda, dar. Wenn ein Ultraschall zeigt, dass Gallensteine vorhanden sind, müssen wir das glauben. Der Patient kennt die Wahrheit, denn er hat Bauchschmerzen, also müssen wir dem Patienten glauben und ihm mit großem Respekt zuhören.
Wir befassen uns nun mit den fünf Elementen oder Panchamaha Bhūtas. Als Elemente bezeichnen wir in diesem Abschnitt Moleküle, die aus den Atomen oder Grundsubstanzen zusammengesetzt sind, welche die ersten fünf der neun kausativen Substanzen5 darstellen, die von Vaisheshika beschrieben wurden.
Eigenschaften von Äther
Gunas (Qualitäten): klar, leicht, feinstofflich, weich, nicht messbar
Karmas (Aktivitäten): Vibration, Expansion, Widerstandslosigkeit, Freiheit, Liebe. Übergang von Intelligenz ins Herz der Materie.
Tanmātrā: Klang
Art derEnergie: Keimenergie
Äther. Äther wird auf Sanskrit Ākāsha genannt. Das ist ein mystisches Wort. Ākāsha bedeutet alles umfassend, alles durchdringend, allmächtig, allwissend, allgegenwärtig. Der alles durchdringende Äther dient als gemeinsamer Faktor oder „Zuhause“ für alle Objekte im Universum.6 Äther, der die erste Ausdrucksform des Bewusstseins darstellt, ist das Grundbedürfnis der Körperzellen. In der Entwicklung der Materie steht Äther an erster Stelle. Äther dehnt sich aus, ist leer und hat keinen Widerstand. Äther verleiht Bewegungsfreiheit. Ohne Äther gibt es keine Liebe oder Freiheit. Āyurveda behauptet, dass Äther eine reine Präsenz spiritueller Energie enthält, die sich als Keimenergie manifestiert.
Luft. Das gleiche Bewusstsein, wenn es sich in eine bestimmte Richtung bewegt, wird zu Luft. Luft nennt man Vāyu. Wir übersetzen Vāyu als Luft, doch mit Worten allein lässt sich die tiefere Bedeutung nicht darstellen. Luft ist ein Bewegungsprinzip, das notwendig ist, um den Körper in ständiger Bewegung zu halten. Sie manifestiert sich als elektrische Energie.
Eigenschaften von Luft
Gunas (Qualitäten): beweglich, trocken, leicht, kalt, rau, feinstofflich
Karmas (Aktivitäten): Bewegung in eine bestimmte Richtung
Tanmātrās: Klang und Berührung
Art derEnergie: Elektrische Energie
Prāna ist das Grundprinzip des Luftelements. Es ist der Fluss des Bewusstseins von einer Zelle zur anderen, in Form von Intelligenz. Prāna ist die vitale Lebenskraft, die für alle fein- und grobstofflichen Bewegungen innerhalb der Zelle, im System und im physischen Körper benötigt wird. Mit anderen Worten, Sinnesreize und motorische Reaktionen sind die feinstofflichen Bewegungen von Prāna. Selbst die Bewegungen von Herz, Atmung, Peristaltik und andere unwillkürliche Bewegungen werden von diesem Luftprinzip, Prāna, gelenkt.
Feuer. Wo es Bewegung gibt, entsteht Reibung und wo es Reibung gibt, entsteht Feuer. Somit ist die nächste Manifestation von Bewusstsein Feuer. Feuer wird Agni genannt. Alle Umwandlungsprozesse werden vom Feuerelement geleitet. Es steuert die Stoffwechselprozesse, welche die Umwandlung von Nahrung in Energie regulieren und ist für die Körpertemperatur und die Abläufe bei Verdauung, Absorption und Verwertung von Lebensmitteln verantwortlich. In jeder Pforte der Wahrnehmung – Ohren, Haut, Augen, Zunge, Nase – gibt es einen feinstofflichen Feuerbestandteil, der für die Sinneswahrnehmung und für die Verarbeitung dieser Wahrnehmung zu Wissen notwendig ist.
Eigenschaften von Feuer
Gunas (Qualitäten): Heiß, scharf, leicht, trocken, feinstofflich
Karmas (Aktivitäten): Glanz, Leuchtkraft, Durchdringung, die strahlende Flamme der Intelligenz
Tanmātrās: Klang, Berührung, Form
Art derEnergie: Strahlungsenergie
Feuer wird im Blut und Plasma als Wärme durch den ganzen Körper bewegt. Wenn die Blutzufuhr abgeschnitten ist, wird dieser Teil des Körpers kalt. Schlechte Durchblutung führt zu kalten Händen und Füßen. Feuer regelt Verständnis, Auffassungsgabe und Unterscheidungsfähigkeit. Das Feuerelement ist Strahlungsenergie und im Körper als Flamme der Aufmerksamkeit vorhanden.
Wasser. Das nächste Element ist Wasser, Āpas, das mit chemischer Energie verbunden ist. Wasser ist das universelle chemische Lösungsmittel und alle biochemischen Funktionen werden davon gesteuert. Wasser ist im menschlichen Körper für die Verwertung und die Aufrechterhaltung der Elektrolytbalance nötig. Das Plasma in unserem Blut setzt sich aus ungefähr 90 Prozent Wasser zusammen und dieses Wasser transportiert Nährstoffe von einem Teil des Körpers zum anderen. Sauerstoff, Nahrungspartikel und die feinstofflichen Moleküle von Mineralien werden durch diesen kontinuierlichen Flüssigkeitsstrom, das Plasma, von einer Zelle zur anderen, von einem System zum nächsten transportiert. Das Lymphsystem des Körpers wird auch vom Wasser element gelenkt. Innerhalb des Mediums Wasser erhalten alle Elemente ihre Funktion aufrecht. Das ist das Wasser des Lebens.
Eigenschaften vonWasser
Gunas (Qualitäten): kühl, flüssig, matt, weich, ölig, schleimig
Karmas (Aktivitäten): Abwärtsbewegung, Reinigung, Festigkeit, Bindekraft, Durchfluss
Tanmātrās: Klang, Berührung, Form, Geschmack
Art derEnergie: Chemische Energie
Erde. Das solide, dichte und harte Element ist Erde, Pruthivī, der feste Grund des irdischen Lebens. Pruthivī wiegt und hält alle Lebewesen auf dem Planeten, gibt ihnen Nahrung und Obdach. Alle soliden Strukturen, harte, feste und kompakte Gewebe entstammen dem Erdelement, z.B. Knochen, Knorpel, Nägel, Haare, Zähne und Haut. Zur Erde gehört mechanische Energie.
Tabelle 2: Die Elemente und ihre dazugehörigen Energiearten
Ākāsha
Äther
Keimenergie
Vāyu
Luft
elektrische Energie
Agni
Feuer
Strahlungsenergie
Āpas
Wasser
chemische Energie
Pruthivī
Erde
mechanische Energie
Die fünf Elemente unterstützen normalerweise das Leben und erhalten die Harmonie auf der Welt, doch wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten, können sie Beschwerden bereiten und das Leben bedrohen. Das Vorherrschen eines jeden Elements ändert sich allmählich und verwandelt die Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Jahreszeiten. Die Menschen müssen sich um eine Anpassung an diese Veränderungen bemühen, um zu überleben. Da sie über Intelligenz verfügen, nutzen die Menschen ihr Wissen über die Elemente, um optimale Umweltbedingungen zu schaffen. Sie bauen z.B. Häuser aus Ziegelsteinen (Vorherrschen des Erdelements), um sich vor Veränderungen in Luft, Wärme und Wasser zu schützen.
Eigenschaften von Erde
Gunas (Qualitäten): schwer, träge, statisch, dicht, hart, grobstofflich
Karmas (Aktivitäten): Schwerkraft, Abwärtsanziehung
Tanmātrās: Klang, Berührung, Form, Geschmack, Geruch
Art derEnergie: Physische, mechanische Energie
Alle Elemente sind in jedem Einzelnen vorhanden, doch die Mengenverhältnisse und Kombinationen variieren von Mensch zu Mensch. Die Bewahrung der eigenen qualitativen und quantitativen Balance dieser fünf Grundelemente ist für die Gesundheit insgesamt notwendig. Wenn Ihre eigene einmalige Kombination der Elemente ausgewogen ist, verfügen Sie über eine gute Gesundheit. Doch wenn die Kombination durcheinander ist, kann dies zu Krankheit führen. Ein erhöhter Erdbestandteil kann z.B. Fettleibigkeit nach sich ziehen, vermehrtes Wasser kann zu einem Ödem führen, erhöhtes Feuer kann Fieber, Geschwüre und brennende Empfindungen wie Sodbrennen, Konjunktivitis oder brennendes Wasserlassen hervorrufen. Es kann auch zu feinstofflichen Veränderungen in der geistigen Verfassung kommen, wenn das Gleichgewicht gestört ist. Zum Beispiel kann eine Verstärkung des Luftelements Furcht und Angst auslösen, ein gesteigertes Feuerelement kann zu Wut und Hass führen und vermehrte Erde mag Depression und Trägheit mit sich bringen. Alle fünf Elemente spielen eine wichtige Rolle bei der Bildung der Gewebestrukturen und bei der Aufrechterhaltung ihrer Funktionen. Stellt man eine Beziehung zu Ursache und Wirkung her, ist die Funktion die Ursache und die Struktur die Wirkung.
Die fünf Elemente bilden die Grundlage des Āyurveda, aus denen sich die drei Doshas ergeben – Vāta, Pitta, Kapha. Äther und Luft ergeben zusammen Vāta, Feuer und Wasser bilden Pitta und Wasser und Erde sind Kapha.
Wir haben die fünf Elemente besprochen. Nun wenden wir uns der Seele zu, der laut Vaisheshika sechsten von neun kausativen Substanzen. Nach Vaisheshika ist die Seele ewig, universell, von zweierlei Art, individuell und göttlich (Jīvātman und Paramātman), abgeleitet und unteilbar. Sie ist eine Basis oder ein Phänomen des Bewusstseins. Das Bewusstsein entwickelt sich, weil die Seele oder der Geist existieren. Individuelle Seelen nehmen andere Seelen nicht wahr, doch sie schließen auf ihre Existenz.
Sānkhya spricht von Purusha, dem reinen Bewusstsein und höchsten Prinzip. Die moderne Wissenschaft nimmt nur ernst, was man sehen, messen oder auf den Untersuchungstisch legen kann. Die alte vedische Philosophie spricht sehr viel von der Seele als echte Identität und wahres Selbst eines Menschen. Das Selbst kann ohne Körper und ohne Verstand existieren. Im Tiefschlaf vergisst man den Körper und den Verstand, doch im Traumzustand funktioniert das Selbst noch über den Verstand. Das Selbst ist noch da und genießt die reine Präsenz, die reine Existenz. Ohne dieses Selbst ist kein Bewusstsein möglich. Ātman kann man nicht sehen, aber erleben. Sie lässt sich nicht messen, doch man kann eins mit ihr werden. Vaisheshika definiert Ātman als materiellen, kausativen Faktor der Schöpfung.
Die siebte kausative Substanz ist der Verstand, Manas. Der Verstand ist universell, winzig klein oder unteilbar und nicht direkt wahrnehmbar. Der Verstand lenkt die Erfahrung. Er ist Bewusstsein, das über die Sinne funktioniert. Der Verstand lenkt das Bewusstsein auf ein Objekt oder Ziel und nimmt dann das äußere Objekt wahr.
Der Inhalt des Verstands kann entweder bewusst oder unterbewusst sein. Beispielsweise ist der Zellverstand (Kernverstand) unterbewusst. Das Unterbewusstsein, das über das autonome Nervensystem arbeitet, steuert die meisten unserer Körperfunktionen. Das Schlagen des Herzens, das Atmen der Lungen und die Bewegung der Leberzellen, der Zellen von Darmwand, Eierstöcken und Eileitern unterliegen alle autonomer Kontrolle, was das Unterbewusstsein ausmacht.
Eigentlich gibt es keine Grenzlinie zwischen dem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein. Der Verstand ist ein und derselbe, aber er operiert auf Ebenen, die wir bewusst und unterbewusst nennen. Wir haben diese Unterteilung zum besseren Verständnis eingeführt. Der Verstand ist ein wunderbares Medium. Die Meditation ergründet das Unterbewusste. In der Meditation steigen Gedanken der Vergangenheit auf und Gefühle und Emotionen kommen an die Oberfläche. Wenn wir meditieren, nehmen unsere Zellen Gedanken und Stress wahr, die freigesetzt werden und werden sich ihrer bewusst. Wir können beginnen, mit jeder Zelle zu sprechen, uns mitzuteilen und zu kommunizieren.
Die nächste kausative Substanz ist Zeit, Kālā, was Bewegung und Veränderung ist. Die Zeit ist eine Kraft, die Wechsel hervorbringen kann und wir verwenden sie als Maßeinheit für Veränderung. Wenn wir die Zeit messen, messen wir Veränderung.
Die Funktion der Doshas ist auch von der Tageszeit abhängig. Zum Beispiel ist 5 Uhr morgens oder nachmittags mit Vāta und 9 Uhr morgens oder abends mit Kapha verbunden. Die Tageszeit erzeugt eine unterschiedliche Art von Funktion. Die Zeit ist die Ursache für Veränderung, Erschaffung, Bewahrung und Zerstörung.
Die Erde dreht sich um ihre Achse und bewegt sich auch um die Sonne. Wenn die Erde eine Umdrehung vollendet hat, entspricht das einem Tag. Wenn die Erde sich einmal um die Sonne gedreht hat, ist das ein Jahr. Die chronologische Zeit basiert auf der Bewegung der Erde.
Die Zeit kann auch mit Prāna gemessen werden. Ein Prāna ist ein Atemzug. Ein Atemzug ist ein Einatmen und ein Ausatmen. 15 Prāna soll einer Minute entsprechen, 900 Prāna einer Stunde und 21.600 Prāna einem Tag. Je schneller die Atemfrequenz, desto kürzer ist die Lebensspanne. Je langsamer die Atemfrequenz, desto länger ist die Lebensspanne.
Es gibt chronologische Zeit und es gibt psychologische Zeit. Das Denken findet in psychologischer Zeit statt. Da sich Denken auf Erinnerung stützt und das Gedächtnis aus angehäufter vergangener Erfahrung besteht, ist Zeit die Bewegung der Vergangenheit zur Gegenwart und in die Zukunft. Daher ist Denken die lineare Bewegung der Zeit, wegen des fortlaufenden Wechsels der Ereignisse. Die psychologische Zeit ist die Bewegung der Gedanken. Wenn man den inneren Raum jenseits des Denkens betritt, geht man über die psychologische Zeit hinaus.
Der letzte der neun kausativen Faktoren ist die Richtung, Dig. Die Richtung ist ein wichtiges Konzept im Āyurveda. Bewegungen nach oben, unten und zur Seite beschreiben die Dosha-Funktion und werden genannt. Innere und äußere Bewegungen geben auch einen Sinn von Richtung.
Ost, West, Nord und Süd sind die vier Richtungen, die auch im Āyurveda verwendet werden. Der Osten ist heiß, scharf, hell. Er hat mehr Sonnenenergie. Der Westen ist kühl und besitzt mehr feminine, lunare Energie. Je weiter man in der nördlichen Hemisphäre nach Norden geht, desto kälter ist es. Je weiter man nach Süden geht, desto heißer wird es. Āyurveda hat die Richtung zu Heilzwecken eingesetzt – es wählt zum Beispiel die richtige Ausrichtung, in der ein Mensch schlafen sollte.
Südosten ist die Richtung des Feuers, Südwesten die Richtung der Erde, Nordwesten die Richtung der Luft und Nordosten die Richtung des Wassers. Äther ist in der Mitte. Dies ist die natürliche Ordnung der Richtung und der Elemente. Daher sollte sich die Küche im Südosten des Hauses befinden, um das Feuerelement auszunutzen. Die Erde bringt guten Schlaf im südwestlichen Teil. Frische Luft sollte aus Nordwesten kommen. Das Wasserelement befindet sich im Nordosten und liefert einen guten Platz für Meditation und einen Altar. Der mittlere Bereich, Äther, sollte leer bleiben.
Wenn wir ein Haus in dieser Weise ausrichten, erhalten wir den Segen aller fünf Elemente und sind von unserer Umgebung gesegnet. Dieses vedische Verständnis über die Anordnung nennt man Vastu Shilpa Shāstra.
Die vierte Philosophie ist Mīmāmsa, was bedeutet zu analysieren und die Wahrheit gründlich zu verstehen. Bei dieser Philosophie geht es darum, durch die Erfüllung von Pflicht oder Dharma (Tat im Lichte des Bewusstseins) Freiheit zu erlangen. Der Vertreter von Mīmāmsa was Jaimini, einer der großen Philosophen. Es ist eine positive Art der Logik und Mīmāmsa beweist, dass es einen Gott gibt. Mīmāmsa sagt, dass es einen unbeweglichen Beweger geben muss, der jedes Objekt bewegt und dieser unbewegliche Beweger ist Gott.
Die Mīmāmsa betont die Lehre der Veden aus Perspektive der Rituale. Pūrva Mīmāmsa basiert auf den ursprünglichen Lehren der Veden, während Uttara Mīmāmsa die späteren, höheren Lehren des Vedānta verwendet, die Upanischaden.
Die Mīmāmsa vertritt die Auffassung, dass der höchste Schöpfer des Universums Gott ist und dass Gott ewige, zeitlose, reine Existenz ist. Es besagt, dass Gott persönlich ist und sich dann in menschlicher Form inkarniert, um Frieden, Liebe und Ordnung zu bringen und unpersönlich als Brāhma manifestiert. Die Mīmāmsa glaubt an viele Gottheiten und sagt, dass jede Gottheit der Menschheit eine bedeutende Segnung zu bieten hat.
In der Mīmāmsa existiert Gott hier und jetzt als universelles Wesen und als Gesamtheit. Gott spiegelt sich in jedem menschlichen Wesen, so wie der Himmel sich im Wasser spiegelt. Im Meer gibt es einen weiten Himmel. Im Fluss findet man einen schmalen Himmel. In einem kleinen Wasserbehälter ist die Reflektion noch kleiner. Die Mīmāmsa sagt, dass die Reflektion die Inkarnation ist. Bei manchen Menschen beträgt die Reflektion Gottes 90 Prozent. In anderen Menschen ist sie vielleicht nur 10 Prozent. Die Mīmāmsa erklärt, dass in Wirklichkeit jedes Einzelwesen Gott reflektiert. Jedes Individuum ist ein vollkommenes Phänomen, aber die Vollkommenheit dieser individuellen Reflektion lässt sich nur schwierig realisieren. Wenn wir unsere Individualität verstehen, uns wirklich selbst kennen, dann erkennen wir Gott. Laut der Mīmāmsa gibt es ein niedrigeres Selbst, Jīvātman und ein höheres Selbst, Paramātman. Durch Meditation verschmilzt das niedrigere Selbst mit dem höheren Selbst.
Das Wissen der Mīmāmsa ist enorm und lässt sich nicht in ein paar Absätzen darstellen. Diese Lehren beinhalten viele Methoden und Mittel, um Gott durch Rituale, Zeremonien und Fasten zu erreichen. Sie enthalten auch Anweisungen für unterschiedliche Arten von Puja und Opfer. Diese Philosophie ist recht komplex. Das Āyurveda hat die Mīmāmsa zu Heilzwecken aufgenommen und schließt Rituale wie Kerzen anzünden, Blumen opfern, heiliges Wasser versprengen und Räucherwerk anzünden mit ein, die alle Heilkraft besitzen.
Die fünfte Philosophie ist Yoga. Yoga bedeutet Vereinigung – die Vereinigung des niedrigeren Selbst mit dem höheren Selbst, die Vereinigung eines Menschen mit Gott. Es ist eine praktische Disziplin, um das Selbst zu erkennen. Yoga kommt von yuj, was zu vereinen bedeutet.
Wenn man seine Gedankenwellen kontrolliert, kann man über das Denken hinausgelangen. Das Denken ist eine Barriere, ein Hindernis und eine Blockade. Yoga ist eine Möglichkeit, um darüber hinaus zu gelangen. Patañjali war der Pionier, der die yogische Disziplin durch seine Yoga-Sūtren als Wissenschaft organisierte und das Āyurveda hat diese Philosophie zum Zweck der Heilung aufgenommen.
Das Yoga-System liefert eine Methodik, um das eigene individuelle Bewusstsein ins universelle Bewusstsein auszudehnen. Es gibt verschiedene Yoga-Schulen – Bhakti-Yoga (Pfad der Hingabe), Jñana-Yoga (Pfad des Wissens), Karma-Yoga (Pfad des Handelns) etc. Patañjalis Yoga-Sūtren bieten acht Methoden, um Erleuchtung zu erlangen:
1. Yama (fünf Einschränkungen)
2. Niyama (fünf Pflichten)
3. Āsana (Stellungen)
4. Prānāyāma (Beherrschung der Lebenskraft)
5. Pratyāhāra (Disziplin der Sinne)
6. Dhārana (Konzentration auf ein Objekt oder Mantra, auf einen Punkt gerichtetes Bewusstsein7)
7. Dhyāna (Meditation, ein kontinuierlicher Fluss der Aufmerksamkeit ohne Worte oder Gedanken, Bewusstsein ohne Beurteilung, von Moment zu Moment)
8. Samādhi8 (Balance von Körper, Geist und Bewusstsein, ein sich ausdehnender Zustand des vorbehaltlosen, passiven Bewusstseins; spirituelle Glückseligkeit)
Patañjalis System besitzt großen therapeutischen Wert und Disziplin. Die Yogāsana ist ein Weg, um in einer bestimmten Position Bewusstsein zu aktivieren. Die Kontrolle des Geistes lässt sich durch Beruhigen und Stillwerden des Geistes erzielen, so dass das Objekt der Wahrnehmung zum Selbst wird. Im weitesten Sinne bringt Yoga die Aufmerksamkeit zum Selbst zurück und schafft so den Wert eines Rückbezugs auf sich selbst.
Wenn man in der Lotus-Position sitzt, wird man wie ein Lotus. Sitzt man in der Kobra-Position, wird man wie eine Kobra. Und in der Baum-Position wird man wie ein Baum. Es gibt eine Vereinigung zwischen Körper, Geist und Bewusstsein. Steht man 10 Minuten, 15 Minuten, ja sogar eine Stunde auf einem Bein, erlangt man Siddhi, den Nutzen dieser Āsana. Jede Āsana hat ein Siddhi, einen Nutzen, der biochemische Veränderungen im Körper bewirkt. Patañjali hat aus Yoga eine Wissenschaft gemacht und das letztendliche Ziel von Yoga ist Samādhi, die Verschmelzung des niedrigeren Selbst mit dem höheren Selbst, wo Körper, Geist und Seele eins werden und das ist der Zustand der Befreiung.
Das Āyurveda teilt die Yoga-Āsanas nach Vāta, Pitta und Kapha ein und nutzt die Yoga-Wissenschaft zu Heilzwecken.
Die sechste Philosophie ist Vedānta, das von Bādarāyana etabliert wurde. Veda bedeutet Wissen und anta bedeutet endend, also Vedānta bedeutet das Ende des Wissens. Wissen ist notwendig, um zu lernen, zu erkunden und nachzuforschen. Aber um das Leben voll zu realisieren und das niedrigere Selbst mit dem höheren Selbst zu vereinen, wird das Wissen zur Barriere. Wenn man über enormes Wissen verfügt, blendet dieses Wissen. Dieser Mensch hat Vorurteile und verliert sich im Wissen. Man kann Gott oder das eigene Selbst nicht durch das Lesen von Büchern finden. Wir alle müssen unser eigenes Buch lesen, nämlich unser täglich arbeitendes Bewusstsein. Wir müssen uns selbst, in jedem Aspekt des Lebens unsere Gedanken, Emotionen, Reaktionen und Gefühle lesen und uns selbst fragen, was wir sind.
Das Vedānta ist eine tiefgründige Philosophie, die vom Āyurveda aufgenommen wurde. Diese Philosophie wird auch als upanischad bezeichnet. Upa bedeutet nah, nishad