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Leonardo da Vincis Fälle – Drei Abenteuer
Da Vincis Fälle 1 bis 3
von Alfred Bekker
INHALT
Leonardo und das Geheimnis der Villa Medici
Leonardo und die Verschwörer von Florenz
Leonardo und das Rätsel des Alchimisten
Der Inhalt entspricht 360 Taschenbuchseiten
In dem kleinen Dorf Vinci bei Florenz, 1462: Im Gasthof hat sich ein sonderbarer Mann einquartiert. Klar, dass der zehnjährige Leonardo und sein bester Freund Carlo ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Was sind das für merkwürdige Zeichnungen, die er da heimlich anfertigt? Leonardo und Carlo sind sich sicher: Der Mann ist ein Spion! Und der muss unbedingt entlarvt werden!
Die Serie um den jungen Leonardo da Vinci erschien auf Deutsch zunächst im Arena-Verlag und wurde ins Dänische, Türkische, Bulgarische und Indonesische übersetzt und von der Kritik hoch gelobt.
Über den Autor
Alfred Bekker, geboren 1964, begann bereits als Kind zu schreiben. Seinen ersten Roman verfasste er im Alter von 14 Jahren. Neben über 300 Romanen in unterschiedlichen Genres, hat er Kurzgeschichten und Erzählungen geschrieben. Er lebt mit seiner Familie in Nordrhein-Westfalen.
Cover: Steve Mayer
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Leonardo da Vincis Fälle: Drei Abenteuer, Band 1-3
Alfred Bekker
Published by BEKKERpublishing, 2015.
Da Vincis Fälle 1 bis 3
von Alfred Bekker
INHALT
Leonardo und das Geheimnis der Villa Medici
Leonardo und die Verschwörer von Florenz
Leonardo und das Rätsel des Alchimisten
Alle Teile sind auch einzeln als eBook lieferbar.
Die deutschsprachigen Printausgaben erschienen 2008/2009 im Arena Taschenbuchverlag;
Übersetzungen liegen auf Türkisch, Indonesisch, Dänisch und Bulgarisch vor.
Neu durchgesehene Fassung
© 2008, 2009 by Alfred Bekker
© 2010, 2012, 2015 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Ein CassiopeiaPress E-Book
www.AlfredBekker.de
Der Umfang dieses Ebook entspricht 345 Taschenbuchseiten.
Title Page
Copyright-Seite
Band 1
1.Kapitel
2.Kapitel
3.Kapitel
4.Kapitel
5.Kapitel
6.Kapitel
7.Kapitel
8.Kapitel
9.Kapitel
10.Kapitel
11.Kapitel
12. Kapitel
Band 2
1.Kapitel
2.Kapitel
3.Kapitel
4. Kapitel
5.Kapitel
6.Kapitel
7.Kapitel
8.Kapitel
9.Kapitel
10.Kapitel
Band 3
1.Kapitel
2.Kapitel
3. Kapitel
4.Kapitel
5.Kapitel
6.Kapitel
7.Kapitel
8.Kapitel
9.Kapitel
10.Kapitel
11. Kapitel
Leonardo und das Geheimnis der Villa Medici
Inhalt
1.Kapitel: Der geheimnisvolle Fremde
2.Kapitel: Der Hexer vom Dorfgasthof
3.Kapitel: Feuer!
4.Kapitel: Spieglein, Spieglein...
5.Kapitel: Gerüchte und Neuigkeiten
6.Kapitel: Das Geheimnis des Portugiesen
7.Kapitel: Kriegsrat
8.Kapitel: Reiter in der Nacht
9.Kapitel: In Florenz
10.Kapitel: Im Palast der Familie Medici
11.Kapitel: Der Plan
12.Kapitel: Der Agent des Königs
Der geheimnisvolle Fremde
Blitze zuckten aus den grauen Wolken. Es regnete in Strömen und die ungepflasterte Straße, an dem der kleine Ort Vinci lag, verwandelte sich innerhalb kurzer Zeit in einen Sumpf. Wind kam auf und schüttelte Sträucher und Bäume.
„Warum machst nicht die Fensterläden zu, Leonardo?“
„Weil ich zuschauen will.“
„Aber es regnet gleich herein, wenn es schlimmer wird!“
„Komm doch auch ans Fenster, Carlo.“
„Ich weiß nicht...“
„Wenn wir Glück haben, sehen wir, wie ein Baum gespalten wird. So wie letzten Sommer, weißt du noch?“
Der zehnjährige Carlo erinnerte sich gut.
Sein gleichaltriger Freund Leonardo saß am offenen Fenster und blickte fasziniert ins Freie.
Eigentlich war er damit beschäftigt gewesen, einen toten Vogel zu zerlegen, den er gestern im Wald gefunden hat. Aber das Gewitter war interessanter als die Frage, wie ein Vogel von innen aussah. Von dem Zimmer aus, das Leonardo im Haus seines Großvaters bewohnte, hatte man eine gute Aussicht auf die Umgebung. Es lag im Obergeschoss und wenn man am Fenster saß, konnte man das Dorf bis zu den nahen Anhöhen überblicken. Im letzten Jahr hatte es ein noch sehr viel schlimmeres Gewitter gegeben. Auch damals war Carlo zu Besuch gewesen, als es plötzlich heftig zu regnen und zu stürmen anfing. Sie hatten am Fenster gesessen und mit angesehen, wie der Blitz in einen uralten Baum auf einer der Anhöhen vor dem Dorf gefahren war. Seitdem war der Baum gespalten und Leonardo war von einer Faszination für Blitze und Gewitter erfasst worden, die ihn jedes Mal aufs Neue packte, wenn es am Himmel zu grummeln begann.
Carlo erinnerte sich noch gut daran, wie Leonardo am Tag nach dem Gewitter unbedingt den Baum hatte untersuchen wollen. Sie hatten Brandspuren entdeckt, aber das war auch schon alles, was sie herausgefunden hatten.
Carlo hatte Leonardos Worte von damals noch im Ohr. „Der Blitz muss eine viel größere Kraft als ein Mann mit einer Axt haben, denn was glaubst du wohl, wie lange ein Mann mit einer Axt brauchen würde, um einen Baum zu spalten! Das müsste ein Riese sein, denn sonst könnte er den Baum niemals so spalten: von oben nach unten! Und deshalb denke ich, dass im Blitz die Kraft eines Riesen steckt!“
Carlo seufzte und kam zu Leonardo ans Fenster. Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass sein Freund voll von verrückten Ideen war und immer alles ganz genau wissen wollte. Auch Dinge, von denen Carlo dachte, dass man sie nicht unbedingt wissen musste. Wozu war es zum Beispiel gut, darüber Bescheid zu wissen, wie es im Inneren eines toten Vogels aussah?
Die frische Luft, die jetzt hereinwehte, ließ Carlo leichter atmen. In Leonardos Zimmer roch es nämlich immer ziemlich streng, da er gerne tote Tiere zerlegte, um zu sehen, wie sie von innen aufgebaut waren.
Meisten vergaß er dabei allerdings, die Reste zu beseitigen, sodass immer ein gewisser fauliger Verwesungsgeruch in der Luft hing.
„Was könnte man alles erreichen, wenn man die Kraft eines Blitzes zur Verfügung hätte“, sagte Leonardo. „Stell dir vor, man könnte diese Kraft irgendwie einfangen oder eine Maschine erfinden, die selbst Blitze hervorbringt! Wozu eine Kolonne von Holzfällern einen ganzen Monat braucht, das könnte man damit an einem Tag erledigen! Und im Krieg bräuchte man befestigte Städte nicht mehr monatelang belagern, sondern könnte mit dieser Kraft die Festungsanlagen zerschlagen!“
Immer wieder dachte Leonardo sich die seltsamsten Erfindungen aus und erzählte mit einer so großen Anschaulichkeit von irgendwelchen fantastischen Maschinen, dass man tatsächlich glauben konnte, es wäre möglich, so etwas herzustellen.
„Aber wie sollte man einen Blitz einfangen?“, fragte Carlo, der sich immer wieder fragte, woher Leonardo nur all diese Ideen hatte.
„Genau das ist das Problem! Wenn mir da eine Methode eingefallen wäre, hätte ich schon längst mal versucht, so etwas zu bauen.“
„Leonardo! Du kannst Blitze nicht einfangen. Wie soll das gehen? Du könntest genauso gut das Sonnenlicht einzufangen versuchen!“
„Das Sonnenlicht kann man einfangen“, sagte Leonardo.
„So, wie denn?“
„Mit Spiegeln. Du kannst es selbst von einem Spiegel zum anderen weiterleiten.“
„Aber Sonnenlicht hat auch den Vorteil, dass es dich nicht erschlagen kann!“, wandte Carlo ein. Vor drei Jahren war im Nachbarort ein Bauer vom Blitz getroffen worden, der bei Gewitter zu lange auf seinem Feld geblieben war. Er war sofort tot gewesen. Leonardo antwortete nicht.
Dann weiß er auf meine Argumente also ausnahmsweise mal keine Antwort mehr!, dachte Carlo, aber er war sich nicht ganz sicher, ob sein Freund vielleicht auch nur gerade sehr intensiv an etwas anderes dachte. Das kam nämlich auch häufiger mal vor. Er saß dann einfach da und wirkte ganz abwesend, weil er über irgendetwas nachdachte oder gerade einen seiner seltsamen Einfälle hatte. Dann bekam er nicht einmal mit, wenn man ihn ansprach. Auf jeden Fall war es mit Leonardo nie langweilig und deswegen verbrachte Carlo gerne seine Zeit mit ihm – auch wenn sein Freund der mit Abstand merkwürdigste Junge war, den es in Vinci gab. In das Tosen des Unwetters, die immer dichter aufeinander folgenden Donnerschläge und das Prasseln des Regens mischte sich jetzt ein anderes Geräusch, das Carlo aufhorchen ließ. Hufschlag!
Wenig später tauchte ein Reiter auf, der die morastig gewordene Straße zwischen Pisa und Florenz entlang preschte, an der das Dorf Vinci lag. Der Reiter trug einen Umhang, der ihn einigermaßen vor dem Regen schützte. Der Kopf wurde von einer tellerförmigen Lederkappe bedeckt, an der das Wasser nur so heruntertropfte. Vom Gesicht des Mannes konnte man nur die Augen sehen, denn er hatte seinen Kragen hochgestellt.
„Wer ist das denn da vorne?“, fragte Carlo. Er stieß Leonardo an. „Der Kerl dort! Ich habe den noch nie her gesehen!“
Der Reiter zügelte sein Pferd und hielt an. Er ließ den Blick über die Häuser von Vinci schweifen.
„Er war schon mal hier“, sagte Leonardo. „Das ist etwa vier Wochen her. Aber da war es Nacht. Vollmond, daran erinnere ich mich genau, den ich habe versucht, die dunklen Flecken, die man auf dem Mond sieht, nachzuzeichnen. Ist leider nicht so besonders gut geworden...“
„Ein seltsamer Mann...“
„Jedenfalls ist er bewaffnet. Unter seinem Umhang schaut eine Schwertspitze hervor!“
Leonardo zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ein Söldner, der sich in Florenz bei der Stadtwache anwerben lassen will!“
„Dann wäre er jetzt nicht hier!“, meinte Carlo.
„Er könnte abgewiesen worden sein, weil keine Stelle frei war“, gab Leonardo zu bedenken. „Und jetzt will er es noch mal versuchen. Aber vielleicht ist er auch der Gesandte eines fernen Hofes, der eine wichtige Botschaft nach Florenz zu bringen hat! Aber, dass er ein hoher Herr sein muss sieht man doch gleich an seiner Kleidung, seiner Ausrüstung, dem Sattelzeug...“ Leonardo sprach nicht weiter. Irgendein Gedanke schien ihn plötzlich abzulenken.
„Hast du gesehen, wo er in jener Nacht hin geritten ist, als du ihn beobachtet hast?“, fragte Carlo.
„Nein. Ich hörte, wie Großvater die Treppe heraufkam und bin schnell ins Bett gegangen. Ich sollte nämlich eigentlich schlafen. Offenbar hatte ich zu viel Krach gemacht, sodass er mich hören konnte.“
Der Reiter lenkte nun sein Pferd zur Seite und verschwand dann hinter der Kirche.
„Ich wette, er ist jetzt zu unserem einzigen Gasthof geritten und will dort übernachten“, vermutete Leonardo. „Wenn er heute noch nach Florenz will, würde er dort erst ankommen, wenn die Stadttore schon geschlossen sind.“
Leonardo blickte zu Himmel. Die Blitze wurden seltener. Der Donner war nur noch ein fernes Grummeln. Nur der Regen wurde noch heftiger.
„Schade“, sagte Leonardo. „Das Gewitter zieht ab. Ich glaube nicht, dass heute noch ein Baum gespalten wird.“ Er wandte sich vom Fenster ab. „Hilfst du mir, den toten Vogel auseinander zu schneiden?“
„Das ist doch ekelhaft!“, stieß Carlo angewidert hervor.
„Ich habe auch noch eine Eidechse. Wenn du willst, können wir auch mit der anfangen.“
„Ich muss gleich brechen“, sagte Carlo. „Allein, wenn ich schon daran denke... Stell dir mal vor, du würdest aufgeschnitten, wenn du tot bist!“
„Wenn ich tot wäre, spüre ich das ja nicht mehr“, erwiderte Leonardo. „Also würde es mir auch nichts ausmachen. Im Gegenteil! Wenn es ein richtiger Arzt macht, erkennt der vielleicht besser wie der Körper funktioniert, sodass man wirksame Heilmethoden entwickeln könnte! Dann würde ich sogar nach meinen Tod noch etwas Sinnvolles bewirken!“
Carlo runzelte die Stirn. „Vielleicht hat mein Vater doch recht“, meinte er.
„Womit?“
„Damit, dass bei dir im Kopf irgendetwas nicht ganz richtig ist.“
„Carlo, das sind tote Tiere – sonst nichts! Habt ihr bei euch noch nie geschlachtet?“
Carlo seufzte und blickte noch einmal aus dem Fenster. Er hatte jetzt die Wahl: Entweder er ging durch den Regen nach Hause oder er musste sich mit ansehen, wie Leonardo zwei tote Tiere auseinander schnitt.
Es klopfte an der Tür des einzigen Gasthofes in Vinci. Der Wirt sah seine Frau fragend an. Es klopfte ein zweites Mal. Gianna, die zehnjährige Tochter des Wirtes, saß in einer Ecke und spielte mit ihrer kleinen Schwester. Sie benutzten Holzpuppen, die ihr Vater für sie geschnitzt hatte. Es klopft ein drittes Mal und nun blickte auch Gianna auf und strich sich das lang herabfallende Haar zurück.
Zögernd ging der Wirt zur Tür und öffnete die Tür. Eine düstere Gestalt stand dort im Regen – eingehüllt in einem Umhang und das Gesicht durch den hochgestellten Kragen fast ganz verdeckt. Das Wasser tropfte von der Lederkappe herab. Der Blick des Wirtes glitt zu den guten Lederstiefeln und der Schwertspitze.
„Tretet ein, Herr!“, sagte der Wirt sehr unterwürfig. Der Fremde machte zwei Schritte nach vorn. Das Wasser tropfte von seinem Umhang. Der Blick seiner blauen Augen glitt durch den Raum, so als suchte er etwas. Über der linken Augenbraue war eine Narbe.
„Wo ist er?“, drang seine Stimme dumpf unter dem Kragen hervor.
Der Wirt wandte sich an seine Tochter. „Gianna! Sag dem Portugiesen Bescheid! Sag ihm, dass sein Besuch da ist...“
Gianna schluckte. Der Portugiese – das war ein sehr seltsamer Mann, der sich seit einigen Wochen im Gasthaus ihres Vaters einquartiert hatte. Er verließ fast nie sein Zimmer, trug einen dunklen Bart, der ihm bis unter die Augen wuchs und buschige Augenbrauen, die sehr schräg standen und ihm dadurch ein Aussehen gaben, dass Gianna an Beschreibungen des Teufels erinnerte. Es fehlten eigentlich nur die Hörner und der Pferdefuß.
Niemand wusste, wie er wirklich hieß. Er wurde nur ‚der Portugiese’ genannt, weil er angeblich aus einem Land namens Portugal stammte. Gianna hatte allerdings gehört, wie sich ihre Eltern darüber unterhielten. Ihre Mutter bezweifelte dabei, dass es dieses ferne Portugal überhaupt gäbe. Sie glaubte vielmehr, dass der Gast nur so tat, als käme er von weit her, weil er irgendein Verbrechen begangen hätte und man ihn nun suchen würde.
„Aber er bezahlt pünktlich – und doppelt so viel, wie andere Gäste!“, hatte die Antwort ihres Mannes gelautet, womit die Diskussion dann beendet gewesen war. Die Wirtsleute brauchten das Geld dringend.
„Na los, Gianna! Worauf wartest du?“, herrschte der Wirt seine Tochter an.
Gianna ging scheu an dem unheimlichen Fremden vorbei und lief die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Ganz am Ende des Flurs befand sich das Zimmer des Portugiesen. Gianna klopfte an.
„Ich habe zu Essen!“, rief der Portugiese durch die Tür. „Alles genug!“ Man konnte ihn schwer verstehen, aber inzwischen hatte sich Gianna einigermaßen an seine Art zu sprechen gewöhnt, sodass sie ihn in der Regel auch verstand.
„Der Mann, der Euch immer besucht, ist da!“, sagte Gianna. Ein paar Geräusche waren von hinter der Tür zu hören. Wahrscheinlich räumte er seine Sachen zur Seite. Gianna kannte das schon. Immer bevor er die Tür öffnete, wenn sie ihm eine Mahlzeit brachte, dann räumte er erst einige Augenblicke lang herum. Einmal hatte sie gesehen, dass ein paar aufgeschlagene Bücher und Pergamentrollen auf dem Tisch lagen. Eigenartige Zeichen waren darauf zu sehen gewesen, die keine Ähnlichkeit mit den Buchstaben und Zahlen hatten, die sie in der Schule hatte auswendig lernen müssen.
Daher befürchtete sie, dass der Fremde vielleicht ein Zauberer war, der sich mit Schwarzer Magie beschäftigte und mit Hilfe irgendwelcher Zeichen Hexenrituale durchführte. Ihr Herzschlag hämmerte wie wild, als der Portugiese schließlich die Tür öffnete. Der Blick seiner dunklen Augen war durchdringend und ließ Gianna bis ins Mark erschaudern.
Er wirkte müde, was kein Wunder war, denn oft brannte das Licht in seinem Fenster bis spät in die Nacht.
„Was hast du gesagt?“, fragte er und Gianna wiederholte, dass unten im Schankraum jemand auf ihn warte.
Der Portugiese verengte die Augen. Seine buschigen Augenbrauen wirkten jetzt besonders unheimlich. „Sag ihm, dass er zu mir heraufkommen soll!“
Gianna schluckte.
„Ja, Herr.“
Der Hexer vom Dorfgasthof
Carlos Eltern betrieben einen kleinen Verkaufsladen am Ende des Dorfes. Er nahm die ganze untere Etage des kleinen Hauses ein, in dem die Familie lebte. Einmal die Woche fuhr Vater Cesare Maldini mit dem Pferdewagen nach Florenz, von wo er dann am darauf folgenden Tag mit Waren und Neuigkeiten zurückkehrte. Als Carlo am nächsten Tag von der Schule kam, saß sein Vater an dem Tisch, der mitten im Laden stand. Überall standen Waren herum, die Cesare Maldini aus Florenz mitgebracht hatte. Stoffballen ebenso wie Weinkrüge und Werkzeuge.
Cesare Maldini brütete über einer Liste und Carlo wäre am liebsten postwendend wieder aus dem Raum gegangen, als er das sah, denn er wusste genau, was jetzt folgen würde. Aber es war zu spät. Sein Vater hatte ihn gesehen.
„Ah, das ist gut, dass du da bist!“, sagte er. „Komm her, rechne mir diese Beträge doch bitte zusammen!“
Carlo seufzte. Eigentlich wollte er nach der Schule, in die er für ganze zwei Stunden gegangen war, sofort zu Leonardo. Leonardo war nur zwei Jahre in die Schule gegangen. Er hatte zusammen mit Carlo und Gianna, der Tochter des Wirtes, dort angefangen. Aber erstens hatten den Lehrer die dauernde Fragerei und die sonderbaren Ideen, die Leonardo hatte, immer wieder zur Weißglut getrieben, weil er ein ständiger Unruheherd gewesen war und zweitens hatte wohl auch niemand mehr das Schulgeld für Leonardo zahlen können. In Momenten wie diesen wünschte sich Carlo, an Leonardos Stelle zu sein, denn dann hätte sein Vater nicht von ihm verlangen können, diese schweren Rechnungen durchzuführen. Wahrscheinlich war damit der halbe Nachmittag hin!
„Mach schon Carlo, wozu schicke ich dich denn sonst zur Schule?“, meinte sein Vater. „Wozu bezahle all das viele Geld? Natürlich damit du eines Tages meine Geschäfte weiterführen kannst und dazu muss man nun mal rechnen können. Wie willst du sonst wissen, ob dich jemand betrügt? Oder ob sich ein Geschäft überhaupt lohnt?“
„Ja, ja“, murmelte Carlo.
Was jetzt kam, kannte er auswendig. Es war immer dieselbe Litanei. Cesare Maldini versuchte seinem Sohn klarzumachen, wie gut er es doch hätte, dass er zur Schule gehen dürfte. Er selbst hätte die Schule früh abbrechen müssen, weil sein Vater starb und anschließend nicht mehr genug Geld da war, um den Unterricht zu bezahlen. „Und deine Mutter – sie ist ein Bauernmädchen gewesen. Wunderschön – aber sie hat eine Schule nie von innen gesehen!“, fuhr er fort und fuchtelte dabei mit den Armen in der Luft herum. „Deine Mutter und ich haben es oft sehr bedauert, dass wir nicht besser schreiben und rechnen konnten. Vor allem auf das Rechnen kommt es an! Und da du genauso von unserem Geschäft lebst wie wir, ist es nicht zuviel verlangt, wenn du dir jetzt etwas Mühe gibst und diese Beträge zusammenziehst. Das kann dir ja wohl nicht zu schwer fallen.“
Carlo sah ein, dass es wohl keinen Ausweg gab.
„Also gut“, seufzte er.
Er setzte sich an den Tisch und blickte auf die Beträge. Im Kopf fing er schon an zu rechnen, aber da war noch etwas, was sein Vater mit ihm besprechen wollte.
„Gestern Abend bist du sehr spät nach Hause gekommen, Carlo.“
„Ich war bei Leonardo, das habe ich Mutter gesagt.“
„Ich weiß. Und das ist der Punkt, auf den ich hinaus will. Für meinen Geschmack bist du viel zu oft mit diesem seltsamen Kerl zusammen. Seine Mutter macht sich auch schon Sorgen um ihn. Sie war heute Morgen bei mir um eine Hacke zu kaufen.“
Carlo wusste, dass Leonardos Mutter eine Magd gewesen war, die später einen Bauern aus der Umgebung geheiratet hatte. Leonardos Vater war Ser Piero d’Antonio, ein Notar aus Vinci. Schon früh waren Leonardos Eltern zu der Überzeugung gelangt, dass es das Beste war, wenn sich sein Großvater um ihn kümmerte, der im Übrigen auch bereit dazu gewesen war. Jetzt fragten sich manche, ob der alte Mann seinem Enkel nicht vielleicht etwas zu viele Freiheiten ließ.
„Der arme alte Mann“, sagte Carlos Vater nun. „Ich habe gehört, dass Leonardo mehrere seiner Hühner vergiftet hat, als er ihnen Körner gab, die er in irgendeine selbst zusammen gemixten Tinktur getränkt hatte und die angeblich bewirken sollte, dass die Tiere mehr Eier legen.“
„Das war ein Missverständnis“, meinte Carlo. „Leonardo hat das nicht gewollt.“
„Ein Missverständnis, sagst du? Aber die Hühner waren trotzdem tot und sein Großvater hat sie alle auf einmal schlachten müssen!
Dieser Junge ist doch verrückt!“
„Nein, er ist nicht verrückt“, widersprach Carlo. „Er hat nur sehr viele Ideen und immer fällt ihm was Neues ein, was man erforschen könnte.“
„Genau das ist das Problem“, erwiderte Cesare. „Diese wirren Ideen. Maschinen, an denen sich höchstens jemand verletzen kann, die aber niemandem helfen, Heiltinkturen, an denen Hühner sterben, Experimente, die nur Schaden anrichten... Ich mache mir Sorgen, dass du vielleicht eines Tages auch diese Hirngespinste entwickeln könntest, verstehst du?“
„Aber eines Tages wird es die Maschinen vielleicht geben, die Leonardo sich immer ausdenkt“, meinte Carlo.
„Siehst du, das meine ich! Die Maschinen, von denen du mir erzählt hast, wird es nie geben – aber du wirst von solchem Teufelszeug träumen und das wird dich davon ablenken, dich in der Schule anzustrengen und dein Leben auf die Reihe zu bekommen! Eines Tages hast du dann vielleicht sogar selbst so verrückte Ideen.“
Aber Carlo schüttelte den Kopf. „In diesem Punkt kannst du ganz beruhigt sein, Vater“, erklärte er.
„Ach, ja?“
„Solche Einfälle wie Leonardo werde ich wohl nie haben!“, war er sich vollkommen sicher.
Für Carlos Geschmack dauerte es viel zu lange, bis er endlich mit den Berechnungen fertig war und aus dem Haus durfte. Sein Vater hatte zwar einige Bedenken wegen des schlechten Einflusses, den der Tagträumer Leonardo auf seinen Sohn haben könnte, gab schließlich aber doch nach.
Und so ging Carlo zur anderen Seite des Ortes, wo das Haus von Leonardos Großvater lag.
Die Straße war immer noch sehr morastig durch den gestrigen Regenguss. Wahrscheinlich würde das auch noch ein paar Tage so bleiben. Carlo versuchte, sich möglichst am Rand zu halten. Zwar ging er diesmal barfuss, sodass es keine Schuhe gab, die er hätte beschmutzen können, aber er wollte auch nicht so tief einsinken, dass seine Hosenbeine in Mitleidenschaft gezogen wurden. Als er das Haus von Leonardos Großvater erreichte, klopfte er an der Tür.
„Herein!“, sagte eine raue, heisere Stimme.
Carlo trat ein. Ein hoch gewachsener grauhaariger Mann musterte ihn. Seit seine Frau gestorben war, galt auch er in Vinci als etwas wunderlich. Manche zweifelten daran, dass er in der Lage war, zurzeit einen Jungen wie Leonardo zu erziehen und es wurde hinter vorgehaltener Hand viel geredet.
„Geh ruhig hinauf, Carlo!“, sagte der Großvater. „Du weißt ja, wo du Leonardo findest.“
„Ja.“
Carlo ging zur Treppe und hatte schon die ersten drei Stufen zum Obergeschoss hinter sich gebracht, da hielt ihn die Stimme des Großvaters noch einmal zurück. „Hör zu Carlo – achte ein bisschen darauf, dass kein Unfug geschieht, ja?“
Carlo schluckte. „Ich werde tun, was ich kann“, versprach er und der Großvater musste unwillkürlich lächeln.
„Ich weiß, dass er sich nur schwer von etwas abhalten lässt, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hat, aber wenn er auf jemanden hört, dann auf dich!“ Er seufzte schwer. „So etwas wie mit den Hühnern möchte ich wirklich so schnell nicht wieder erleben! Also überlegt was ihr tut!“
Carlo ging die Treppe hinauf und betrat wenig später Leonardos Zimmer. Schon vorher hörte er Stimmen von dort. Im ersten Moment dachte er schon, dass Leonardo angefangen hat mit sich selbst zu reden. Vielleicht hat mein Vater dann ja Recht und er ist wirklich auf dem Weg, verrückt zu werden, überlegte er.
Aber als er dann durch die Tür trat, sah er, dass sein Freund nicht allein war. Gianna war bei ihm, die Tochter des Wirtes. Carlo begrüßte sie knapp und blickte anschließend fragend zu Leonardo hinüber.
„Ich brauche deine Hilfe, Leonardo“, sagte sie. „Gestern war wieder dieser fremde Reiter in Vinci...“
„Ich habe ihn gesehen“, unterbrach Carlo sie. „Und Leonardo auch.“
„Es war wie beim letzten Mal. Der Fremde wollte zum Portugiesen. Mein Vater wies mich an, ihm Bescheid zu sagen. Die Mahlzeiten habe ich ihm auch schon oft genug hinaufgebracht. Er macht die Tür zu seinem Zimmer stets nur einen kleinen Spalt breit auf, sodass man nicht richtig hineinsehen kann.“
„Aber ein bisschen hast du doch sicherlich trotzdem gesehen“, vermutete Leonardo.
„Ja. Der Portugiese besitzt ganz seltsame, dicke Bücher und große Pergamentrollen mit eigenartigen Zeichen darauf. Er wollte offensichtlich nicht, dass ich oder irgendjemand sonst sie sieht.“
Leonardo schien nicht so ganz bei der Sache zu sein. Er hatte mehrere Krüge auf den Tisch gestellt, der sich in der Mitte des Raumes befand. In jedem dieser Krüge war irgendeine Substanz, von der Leonardo fand, dass man sie aufbewahren sollte. Manchmal auch einzelne Organe von Tieren, die er zerlegt hatte und die er noch für Experimente brauchte.
„Und wobei soll ich dir jetzt helfen?“, fragte Leonardo.
„Ich muss unbedingt herausfinden, was der Portugiese in seinem Zimmer treibt! Es muss irgendetwas sein, was nicht in Ordnung ist, sonst hätte er doch nichts dagegen, dass man es weiß!“
„Vielleicht möchte dieser Gast einfach nur für sich sein“, meinte Leonardo, der wenig Lust zu haben schien, sich um die Sache zu kümmern. Er kannte Gianna zwar von klein auf und früher hatte das Mädchen die beiden Jungen manchmal begleitet, wenn Leonardo sie in die umliegenden Wälder führte, um irgendein großes Geheimnis zu lüften, das dort verborgen war. Aber nachdem alle bei dem Versuch, ein Hornissennest zu erforschen übel gestochen worden waren, hatte sie an diesen Ausflügen nicht mehr teilgenommen.
„Ich fürchte, dass der Portugiese in Wahrheit ein Hexenmeister ist“, brachte Gianna nun heraus. „Aber wenn das zuträfe, dann könnten meine Eltern angeklagt werden, weil sie einem Hexer Unterschlupf gewährt haben. Wahrscheinlich hat man dem Portugiesen sogar anderswo schon den Prozess gemacht und er konnte hierher flüchten.“
„Hast du mal mit deinen Eltern über diesen Verdacht geredet?“, fragte Carlo.
„Natürlich, immer wieder!“, entfuhr es Gianna. „Aber insbesondere mein Vater sieht nur das Geld, das der Fremde ihm regelmäßig zahlt. Dass man ihn vielleicht schon in Kürze abholen wird, um ihn über den Portugiesen zu verhören, will er nicht wahrhaben!“
„Also ehrlich gesagt, würde ich heute gerne die Eidechse sezieren“, sagte Leonardo. „Gestern habe ich nur noch den Vogel geschafft, weil es Carlo zu ekelig war, mir dabei zu helfen. Es ist nämlich gar nicht so einfach, die einzelnen...“
„Äh, das will ich gar nicht hören!“, fuhr Gianna dazwischen. „Behalt das bitte für dich, ich träume schlecht davon!“
Leonardo zuckte mit den Schultern. „Es gibt eben nur eine Möglichkeit, mehr über den Aufbau eines Körpers zu erfahren. Man muss hineinsehen. Leider kann man die Organe ja nicht mehr in Funktion sehen, wenn das Tier schon tot ist!“
„Als ich bin zwar dein Freund, aber ich werde mich auch in Zukunft weigern, so was mitzumachen“, erklärte Carlo mit fast feierlichem Ernst. „Also plane mich in Zukunft bei solchen Sachen besser gar nicht erst ein.“
„Bist du nicht auch neugierig, zu erfahren, wie ein Körper von innen aufgebaut ist?“
„Ja – aber nicht so neugierig, Leonardo.“
Leonardo seufzte. „Freunde! Wenn man sie am meisten braucht, lassen sie einen im Stich!“
„Und was ist mit dir? Ich brauche Hilfe und alles, woran du denkst, sind die Innereien dieser blöden Eidechse!“, fuhr Gianna enttäuscht auf. „Ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen! Was soll denn mit mir und meiner kleinen Schwester geschehen, wenn meine Eltern verhaftet werden sollten?“
Leonardo stellte eines der Gefäße, in das er gerade sehr interessiert hineingesehen hatte und von dem ein ungewöhnlich übler Geruch ausging, wieder weg und widmete sich nun tatsächlich zum ersten Mal voll und ganz Gianna.
„Also nun mal langsam: Nur weil dieser Portugiese etwas seltsam ist, muss er doch kein Hexer sein. Wenn doch, so wird wahrscheinlich niemand davon erfahren, weil er doch sehr zurückgezogen lebt.“
„Du weißt genau, wie schnell sich Gerüchte verbreiten. Carlos Vater fährt einmal die Woche nach Florenz und macht unterwegs in jedem kleinen Dorf halt. Jeder weiß doch wie redselig er ist und ich nehme an, dass sich die Gerüchte um den Portugiesen auf diese Weise schon in der ganzen Gegend verbreitet haben!“
„Jetzt fehlt es noch, dass du mir die Schuld gibst, wenn deine Eltern festgenommen werden, weil ihnen das Geld wichtiger war alles andere und sie bereit waren, dafür sogar einen Diener Satans zu beherbergen!“, verteidigte sich Carlo empört.
„Es ist halt nicht jeder so wohlhabend wie dein Vater, der sicher nicht auf das Geld angewiesen wäre!“, versetzte Gianna. Während zwischen Carlo und Gianna ein kurzer Streit entbrannte, wirkte Leonardo abwesend. Er schien über etwas nachzudenken.
„Ich helfe dir, Gianna“, sagt er schließlich und beendete damit abrupt das Wortgefecht der beiden anderen. Gianna sah Leonardo entgeistert an. Hatte sie sich verhört? Wieso hatte der Junge so schnell und gründlich seine Meinung geändert?
„Du willst doch wissen, ob dieser Portugiese in seinem Zimmer irgendwelche Hexenrituale durchführt!“
„Genau! Manchmal frage ich mich schon, ob er vielleicht schon meine Eltern verhext hat, sodass sie überhaupt nicht merken, in welcher Gefahr sie sind.“
„Ich habe gesagt, dass ich dir helfe, Gianna, aber dann musst du mir auch helfen“, kam Leonardo nun auf den Kern der Sache.
„Und wobei?“, fragte sie. Dabei verzog sie bereits das Gesicht, noch bevor ihr Leonardo irgendwelche unappetitlichen Einzelheiten genannt hatte. Carlo musste ein Schmunzeln unterdrücken.
„Erstens musst du mir gleich dabei helfen, die Eidechse zu zerlegen. Sie liegt jetzt schon den zweiten Tag bei mir im Zimmer in der Holzkiste und wer weiß, wie lange sie schon da draußen im Wald gelegen hat, bevor ich sie gefunden habe!“
Gianna schluckte. „Muss das sein?“
„Hilfe gegen Hilfe, Gianna. Eine Hand wäscht die andere!“
„So doll waschen kann man sich hinterher gar nicht, dass der Gestank vergeht“, wandte sie ein.
„Ich will das Skelett unbeschädigt haben. Also müssen wir sehr vorsichtig sein. Und das ist auch noch nicht alles.“
Auf Giannas Stirn erschien eine tiefe Furche. „Noch eine Bedingung?“, stieß sie hervor.
„Ihr schlachtet doch ab und zu, oder?“
„Das tun fast alle Leute in Vinci!“, erwiderte das Mädchen.
„Wenn ihr das nächste Mal schlachtet, dann besorg mir doch bitte etwas von dem Blut. Einen Krug voll, das wäre schön. Ich brauche das unbedingt. Ob es jetzt Schweine-oder Rinderblut ist, ist nicht so wichtig. Notfalls tut es auch das Blut von Hühnern.“
Gianna atmete tief durch. Die Sache mit dem Besucher musste sie ziemlich belasten. Anders war es nicht erklärlich, dass sie sich auf Leonardos Bedingungen einließ. „Meinetwegen“, sagte sie also.
„Aber um alles in der Welt: Was willst mit dem Blut anfangen?“
„Ich möchte seine Essenz gewinnen!“, sagte Leonardo. „Die festen Bestandteile des Blutes. Man sagt immer, dass im Blut die Lebenskraft liegt – aber diese Kraft kann nicht der Flüssigkeit sein, denn dabei handelt vermutlich um einfaches Wasser. Sie muss in den Stoffen liegen, die im Blut gelöst sind! Vielleicht kann man daraus ein Heilmittel machen – wer weiß?“ Und dann berichtete Leonardo voller Begeisterung, wie er dabei vorgehen wollte. „Das Blut wird erhitzt. Dabei verdampft das Wasser und es bleiben die festen Bestandteile zurück! Es funktioniert genauso wie beim Brennen von Alkohol, wo man durch das Verdampfen des Wassers einen immer höheren Alkohol-Anteil bekommt. Destillation nennt man das.“
„Warum fragst du wegen des Blutes nicht deinen Großvater?“, fragte Gianna. „Der schlachtet doch genauso häufig wie wir!“
Leonardo druckste etwas herum, dann sagte er schließlich: „Das habe ich schon. Aber nachdem ich damit seine Apparatur zum Schnapsbrennen kaputtgemacht habe, will er mir nicht noch einmal etwas geben!“
Gianna grinste. „Das kannst du aber nun wirklich nicht übel nehmen!“
Leonardo sah sie fragend an. „Was ist, nimmst du die Bedingungen an?“
Sie zögerte und nickte. „Mein Vater hat vor kurzem geschlachtet und ich kann dir das Blut sofort holen, wenn du willst.“
„Da wäre toll!“, rief Leonardo und man konnte ihm ansehen, wie sehr er sich darauf freute, endlich mit seiner Forschungsarbeit beginnen zu können.
„Du bist schon ein seltsamer Kerl“, sagte Gianna. „Seltsam – aber auch sehr klug. Was du alles weißt! Es ist eine Schande, dass du nicht länger auf der Schule geblieben bist.“
Leonardo zuckte mit den Schultern „Wenn ich etwas zu berechnen habe, kann ich es ja von meinem guten Freund Carlo überprüfen lassen, der alle Rechentricks kennt!“, lachte er.
Feuer!
Gianna ging nach Hause und kehrte gut eine Stunde später mit einem Krug voll Blut zurück. Eigentlich wurde Suppe daraus gemacht. Ein ganzer Bottich stand zurzeit in der Vorratskammer und Gianna hatte nur einen günstigen Moment abwarten müssen, um sich etwas zu nehmen.
„Ist die Vorratskammer bei euch nicht abgeschlossen?“, fragte Carlo.
„Doch“, nickte Gianna. „Aber so oft wie meine Mutter mich losschickt, um dort etwas zu holen, weiß ich genau, wo der Schlüssel versteckt ist.“
Leonardo hatte inzwischen von draußen einen flachen Stein herbeigeschafft, den er schon bei anderer Gelegenheit als Feuerstelle benutzt hatte. Auf dem Stein lag eine noch glühende Kohle, die er aus dem Herd in der Küche mit Hilfe der Kaminschippe geholt hatte. Sein Großvater war nicht im Haus. Man hörte ihn draußen am Hühnerstall herumhämmern, der dringend repariert werden musste. Als Gianna mit dem Krug voller Blut auftauchte, war schon alles bereit. Leonardo füllte einen Teil des Blutes in einen Topf um. Von der Decke hing ein Seil herab. Daran befestigte Leonardo den Henkel des Topfes, der nun über den Flammen baumelte.
„Ich weiß nicht, ob das wirklich eine so gute Idee ist, hier im Zimmer Feuer zu machen!“, meinte Gianna.
Carlo ergänzte: „Wir hätten doch den Herd deines Großvaters nehmen können!“
„Als ich das letzte Mal an dem Herd war, hat es einen riesigen Ärger gegeben und den wollte ich vermeiden“, erwiderte Leonardo. Die Flammen loderten empor. Das Holz, das er verwendete, war durch den Gewitterregen am vorangegangenen Tag etwas feucht geworden. Rauch bildete sich und drang zum Fenster hinaus. Die Flammen züngelten höher und höher empor und erreichten schließlich das staubtrockene Hanfseil, das gleich Feuer fing.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Gianna.
Leonardo wusste offenbar in dem Augenblick ausnahmsweise auch mal auch keinen Rat.
Schritte waren nun zu hören. Jemand kam so schnell die Treppe hoch, dass man eigentlich kaum glauben konnte, dass es sich um Leonardos Großvater handelte.
Doch im nächsten Moment stand er in der Tür. Vermutlich hatte der Rauch, der aus dem Fenster gedrungen war, ihn alarmiert. Kurz entschlossen machte einen Schritt auf Leonardos Bett zu, riss die Decke herunter und erstickte damit die Flammen, bevor sie weiter das Hanfseil empor kriechen konnten. Dann atmete er tief durch.
„Jetzt ist Schluss!“, sagte der Großvater, der eigentlich für seine Ruhe und Geduld bekannt war und den viele für viel zu gutmütig hielten, um mit einem so anstrengenden Kind wie Leonardo fertig zu werden. „Deine alchimistischen Studien oder was immer es auch sein mag, sind fürs Erste beendet!“, erklärte er. „Willst du uns das Haus über dem Kopf anzünden? Was glaubst du, was passiert, wenn das Dachgebälk Feuer fängt!“ Er rang nach Luft und wischte sich kopfschüttelnd über das Gesicht. Dann wandte er sich an Gianna und Carlo. „Es tut mir leid, aber ich denke, es ist besser, ihr beide geht nach Hause. Ich muss mit Leonardo ein paar ernste Worte sprechen.“
Er schnüffelte etwas und verzog das Gesicht. „Das stinkt hier ganz erbärmlich! Ich bin ja nun wirklich kein empfindlicher Stadtbewohner, aber...“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Das bekomme ich noch heraus, Leonardo!“
Carlo sah Leonardo erst am nächsten Tag wieder. Er schlenderte die inzwischen wieder einigermaßen trockene Straße entlang, als Carlo gerade vom Unterricht kam.
Gianna tauchte wenig später hinter den Sträuchern auf, die den Friedhof umgaben.
„Hast du gestern noch großen Ärger bekommen?“, fragte Carlo gerade, als die Wirtstochter sie erreichte.
Leonardo seufzte schwer und nickte. „Mein Großvater hat mir für die nächste Zeit sämtliche Versuche im und um das Haus verboten. Gleichgültig, worum es geht, er sagt nein dazu. Außerdem hat er mir meine Sammlung von Präparaten weggenommen, weil er meinte, sie würde zu sehr stinken. Auch die Eidechse, die ich gerade sezieren wollte!“
„Oh, dann kommen wir jetzt fürs erste gar nicht mehr dazu, dass ich den zweiten Teil unserer Vereinbarung erfüllen kann?“, mischte sich Gianna ein. Sie konnte ein breites Grinsen kaum unterdrücken.
„Das ist aber schade“, sagte sie.
„Heuchlerin! Das findest du gar nicht schade! Für das Innere eines Tierkörpers interessierst du dich genauso wenig wie für alle anderen wichtigen Fragen. Hauptsache, dieser blöder Portugiese macht nicht ein Hexenkunststück oder ruft laut und deutlich den Satan an, sodass dein Vater deswegen Ärger bekommt oder zumindest auf die sichere Miete dieses seltsamen Kerls verzichten muss!“
Wütend trat er gegen einen Stein. Da er ausnahmsweise Schuhe trug, konnte er das auch gefahrlos tun. Allerdings flog nicht der Stein weg, sondern sein rechter Schuh. Im hohen Bogen segelte er durch die Luft und landete auf der anderen Straßenseite.
„Es war nicht so gemeint“, sagte Gianna beschwichtigend. Aber Leonardo ließ sie stehen, ging über die Straße und holte den Schuh zurück.
Gianna wandte sich unterdessen an Carlo.
„Wie hältst du das bloß mit ihm aus?“, fragte sie.
„Das ist gar nicht so schwer“, antwortete Carlo. „Jedenfalls bin ich gespannt, was er für eine Idee er hat, um das Geheimnis dieses Portugiesen zu lüften.“
Leonardo kehrte inzwischen zurück.
„Ein Gutes hat der Ärger mit deinem Großvater doch“, sagte Gianna an Leonardo gerichtet. „Du kannst dich jetzt ganz darauf konzentrieren, mir zu helfen.“
Leonardo nickte. „Ich habe auch schon darüber nachgedacht...“
„Fein. Und was machen wir?“
„Weiß ich nicht. Ich habe noch keine Idee“, erwiderte er trocken.
„Am besten gehen wir mal zu eurem Gasthaus und sehen uns um.“
Sie gingen also an der Kirche vorbei und näherten sich dem Gasthaus. Es trug keinen Namen. Das wäre angesichts der Tatsache, dass es das einzige Gasthaus in Vinci war, auch überflüssig gewesen. Zu verwechseln war es ohnehin nicht.
„Wenn ich jetzt das Haus betrete, muss ich bestimmt irgendetwas helfen“, meinte Gianna. „Außerdem müsste ich schon eine gute Ausrede finden, um zu erklären, weshalb ihr euch dort umseht.“
Aber Leonardo ließ sich nicht entmutigen.
„In welchem Zimmer wohnt der Portugiese?“, fragte er.
„Das Fenster zeigt zum anderen Giebel“, gab Gianna Auskunft.
„Ich möchte mir das mal ansehen“, verlangte Leonardo. Sie gingen zur anderen Seite des Hauses. Das Fenster, das Gianna meinte, stand offen. Die Fensterläden waren nach außen geklappt. Aber es war vollkommen unmöglich von unten hineinzusehen.
„Und was machen wir jetzt?“, flüsterte Gianna, so als befürchtete sie, dass der Portugiese sie möglicherweise hören könnte. Leonardo blickte sich um. Carlo beobachtete ihn dabei genau. Er wusste, wenn sein Freund diesen besonderen Blick hatte, dann dachte er gerade intensiv nach. Zumeist hatte er dann wenig später auch irgendeine Idee, die so ungewöhnlich war, dass Carlo sich jedes Mal fragte, woher sein Freund diese Einfälle wohl haben mochte. Carlo wartete gespannt. Aber der Einfall, den Leonardo diesmal äußerte, war vergleichsweise einfach.
Er streckte den Arm aus und deutete zu einer Gruppe knorriger Bäume. „Vielleicht kann man in das Zimmer hineinsehen, wenn man auf einen der Bäume klettert“, schlug er vor.
Gianna verdrehte die Augen.
„Darauf wäre ich selbst noch gekommen!“, meinte sie, biss sich aber sofort auf die Lippen. Schließlich hatte sie einiges einsetzen müssen, um Leonardo dazu zu bewegen, dass er ihr überhaupt half. Da wollte sie ihn jetzt nicht gleich verärgern.
Aber Leonardo war mit den Gedanken wohl ohnehin bereits einen Schritt weiter. Er achtete gar nicht weiter auf das, was Gianna gesagt hatte.
Stattdessen ging er geradewegs auf die Baumgruppe zu. Carlo und Gianna wechselten einen Blick. Schulterzuckend folgten sie Leonardo.
„Ich hoffe nur, dass er wirklich weiß, was er tut“, konnte sich Gianna dann eine Bemerkung doch nicht verkneifen.
„Also wenn jemand herausbekommen kann, was mit dem Portugiesen los ist, dann ist er es!“, verteidigte Carlo seinen Freund.
„Du wirst staunen, was ihm noch alles einfällt!“
„Na ja, ich glaube zumindest seine Idee, in seinem Zimmer Feuer zu machen, war alles andere als gut.“
Wenig später standen sie alle drei bei der Baumgruppe. Insgesamt sieben verwachsene Bäume waren es. Früher waren es mal acht gewesen, aber einer der der Stämme war abgestorben und irgendwann umgestürzt. Leonardo hatte tagelang an dem morschen, auseinanderfallenden und von Maden, Käfern und Spechten ausgehöhlten Stamm verbracht, um die Tiere zu untersuchen, die diesen Stamm als ihren Lebensraum benutzten.
Jetzt machte er sich gleich daran, den erstbesten Baum emporzusteigen. Leonardo war ein geschickter Kletterer. Schon wenig später hatte er ein ganzes Stück an Höhe gewonnen. Er blickte zum Gasthof.
„Und?“, fragte Gianna. „Kannst du was erkennen?“
„Ich sehe den Kopf und die Schultern des Portugiesen“, sagte Leonardo. „Meine Güte, dass der unter seinen Bart und den langen Haaren nicht erbärmlich schwitzt!“
„Kannst du sehen, was er tut?“
„Nein. Der Tisch wird verdeckt. Ich muss noch etwas höher hinauf.“
„Aber sei vorsichtig“, meinte Carlo. „Dieser Baum sieht auch schon ziemlich morsch aus. Es würde mich nicht wundern, wenn der als nächster einfach umkippt.“
Aber Leonardo ließ sich davon nicht abschrecken. Er kletterte weiter. Der Ast, der nun sein Gewicht tragen musste, ächzte bereits. Leonardo warf einen erneuten Blick in Richtung des Fensters. Seine Augen wurden schmal. „Ich kann nicht sehen, was er mit seinen Händen macht!“, meinte er. „Ich könnte mir denken, dass er schreibt oder malt!“
„Zauberformeln!“, war Gianna überzeugt. „Er bereitet Hexenrituale vor, die den Satan herbeirufen. Und meine Eltern kommen in den Kerker, werden hingerichtet und landen anschließend auch noch in der Hölle!“
„Immer mit der Ruhe!“, erwiderte Carlo.
„Immer mit der Ruhe? Du hast gut reden! Dich wird man ja auch nicht anklagen, weil du einem Hexer Unterschlupf gewährt hast. Gestern Abend war der Pfarrer bei uns und der hat sich so seltsam umgeschaut. Ich glaube, der ahnt bereits was.“
Giannas Redeschwall wurde ein lautes Krachen unterbrochen. Leonardo hatte sich auf seinem Ast zu weit vorgewagt. Jetzt brach das morsch gewordene Holz. Leonardo schrie.
Im nächsten Moment landete er auf dem Boden.
Die anderen liefen zu ihm hin.
„Ist dir was passiert?“, fragte Carlo.
Gianna räumte das Geäst zur Seite. Leonardo betastete sein Gesicht. Er hatte dort und an den Oberarmen ein paar Striemen durch kleine Äste abbekommen. Außerdem schmerzte ihn die Schulter. Er verzog das Gesicht. „Es geht so“, murmelte er.
Carlo war plötzlich gar nicht mehr bei der Sache. Er blickte zum Gasthaus und wirkte für einen Moment wie gebannt. „Schaut mal!“, flüsterte er.
Der Portugiese stand jetzt am Fenster und blickte hinaus. Er war offenbar durch den Krach auf die Kinder aufmerksam geworden. Mit einem missmutig wirkenden Gesicht ließ er den Blick schweifen und musterte die Drei stirnrunzelnd.
Dann drehte er sich um und machte sich wieder an seine Arbeit –
worin auch immer sie nun eigentlich bestehen mochte.
„Das ist ja wunderbar unauffällig gewesen“, meinte Gianna, die das Fenster des Portugiesen im Auge behielt und jetzt sehr angespannt wirkte. Sie flüsterte, so als könnte er sie hören.
„Wahrscheinlich hat er längst begriffen, dass wir es auf ihn abgesehen haben!“
„Das glaube ich nicht“, sage Leonardo.
„Ach, nein? Und woher nimmst du deine Gewissheit?“
Leonardo zuckte mit den Schultern. „Das ist keine Gewissheit. Ich vermute es nur. Leider konnte ich nicht sehen, was er gemacht hat – aber dass er sehr konzentriert an etwas arbeitet, steht für mich fest. Und wenn das bei mir so ist, dann merke ich gar nicht mehr, was so um mich herum geschieht...“
Leonardo blickte auf den Boden zu den abgebrochenen Ästen. Einen davon, der die Form eines Bogens hatte, nahm er vom Boden auf.
„Was willst du damit?“, fragte Carlo. Aber Leonardo beachtete ihn gar nicht. Er wandte sich an Gianna.
„Was ist im Zimmer neben dem des Portugiesen?“, fragte er. Dabei erwiderte ihr Lächeln nicht, sondern blieb einfach nur kühl.
„Das Zimmer daneben ist frei“, erklärte Gianna. „Übrigens gehörte das zu den Bedingungen, unter denen sich der Portugiese bei uns einquartierte.“
Carlo mischte sich stirnrunzelnd ein. „Er wollte nicht, dass das Zimmer neben ihm belegt wird? Aber wieso?“
„Weil er offenbar seine Ruhe braucht“, erwiderte Gianna gereizt.
„Er zahlt meinem Vater die doppelte Miete, damit das Zimmer frei bleibt.“
„Das ist doch wunderbar!“, meinte Leonardo.
„Wieso wunderbar?“
„Weil von dort aus herauszufinden wäre, was der Kerl in seinem Zimmer tut!“
„Und wie bitte schön?“
Leonardo hob den Ast. „Hiermit. Ich erkläre euch das später. Oder noch besser. Ihr sehr euch an, was ich damit vorhabe, wenn alles soweit ist. Und das kann ein oder zwei Tage dauern.“
Gianna stemmte die Arme in die Hüften. „Und bis dahin tun wir nichts und lassen diesen Satansdiener weiter seine finsteren Machenschaften betreiben?“
„Vorsicht!“, gab Carlo zu bedenken. „Wir wissen nicht sicher, dass er wirklich ein Hexer ist und Schwarze Magie betreibt. Wir vermuten es nur.“
„Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass er die Magie beherrscht“, gestand Leonardo. „Wenn es so wäre, dann hätte er uns längst erkannt. Außerdem erscheint einem immer nur das als Magie, was man nicht versteht und wofür man keine Erklärung besitzt-aber was diesen seltsame Kauz oben im Gasthaus angeht, werden wir das schon hinbekommen.“
Sie verließen die Baumgruppe, als plötzlich der Portugiese ein zweites Mal am Fenster erschien und die Kinder voller Misstrauen beobachtete.
Leonardo hatte die Kleinzweige an dem Ast, den er sich genommen hatte, etwas entfernt und das gute Stück über den Rücken gelegt. Carlo blickte noch einmal zurück. Er fragte sich ängstlich, wie viel der Portugiese vielleicht doch von der Unterhaltung zwischen den Kindern mitbekommen hatte.
„Wir müssen uns eine Strategie überlegen“, verkündete Leonardo schließlich. „Das Wichtigste ist dabei, dass wir den Mann unter Beobachtung stellen. Und zwar rund um die Uhr. Falls er sich davonmacht, sollten wir darüber Bescheid wissen.“ Leonardo wandte sich an Gianna. „Er trifft sich also regelmäßig mit diesem geheimnisvollen Reiter, den auch Carlo und ich gesehen haben“, murmelte er vor sich hin.
„Da ist noch ein zweiter Reiter, der ihn besucht!“, stellte Gianna fest. „Allerdings ausschließlich mitten in der Nacht. Ich habe ihn einmal gesehen und ein anderes Mal nur die Unruhe bemerkt, die sein Besuch immer so mit sich bringt.“
Leonardo runzelte die Stirn. Ein zweiter Reiter? Bisher war er davon ausgegangen, dass der Portugiese nur von einer Person Besuch bekam. „Was weißt du über den zweiten Mann?“
„Zumindest eben das“, sagte Gianna. „Dass er ein Mann ist. Ich habe nur einmal nachts mitbekommen, wie er an die Tür klopfte.“
„Was wollte er?“, hakte Leonardo sofort nach.
„Ich bin aufgestanden und habe durch einen Türspalt gesehen, wie der Portugiese in den Schankraum trat. Der Fremde gab ihm etwas. Aber ich konnte nicht sehen, was es war. Der Rücken des Portugiesen hat es verdeckt.“
„Hast du gesehen, wohin er geritten ist?“
„Nein. Aber ich weiß, woher er kam, weil ich ihn durch das Fenster gesehen habe. Es war Vollmond und ich konnte schlecht schlafen... Er kam aus Richtung Florenz.“
Leonardo kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Eigenartig“, sagte er. „Jemand bringt etwas aus Florenz zum Portugiesen und später holt ein anderer Reiter etwas von ihm ab und bringt es...“
„...nach Pisa!“, unterbrach ihn Carlo und zuckte mit den Schultern. „Ich meine, jeder der die Straße nach Westen nimmt, will doch zum Hafen nach Pisa, wo die Schiffe in die ganze Welt gehen.“
„Sehr merkwürdig das Ganze“, murmelte Leonardo. „Auf jeden Fall werden wir den Portugiesen beobachten müssen. Ich weiß, dass das vielleicht langweilig ist, aber wenn wir ihn nicht mehr oder weniger rund um die Uhr im Auge behalten, bekommen wir nie mit, wann eine Übergabe stattfindet.“
Carlo runzelte die Stirn. „Übergabe?“, fragte er nach.
„Ja! Irgendetwas wechselt da doch den Besitz und der Portugiese ist so eine Art Zwischenhändler oder so. Um das genau sagen zu können, wissen wir noch nicht genug. Vielleicht wird etwas aus Florenz fortgeschmuggelt, womit der Handel strengstens verboten ist. Geheime Dokumente, gefälschte Reliquien...“