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Band 7 aus der Serie "Da Vincis Fälle - die Abenteuer des jungen Leonardo". Der Umfang dieses Buchs entspricht 148 Taschenbuchseiten. Der junge Leonardo da Vinci soll in Florenz das Malerhandwerk erlernen. Kaum angekommen, verhindert er ein Attentat auf Piero de Medici, den Stadtherrn von Florenz. Er erhält Einblick in kostbare, alte Dokumente und stößt auf Konstruktionszeichnungen von Flugdrachen, die er sofort begeistert nachbaut. Doch plötzlich tauchen die Attentäter erneut in der Stadt auf und suchen nach Leonardo. Wird er eine Möglichkeit finden, ihnen zu entkommen?
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Seitenzahl: 179
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Leonardo und der Flugdrachen: Da Vincis Fälle
Da Vincis Fälle, Volume 7
Alfred Bekker
Published by BEKKERpublishing, 2021.
Title Page
Leonardos Drachen
Copyright
Der Hinterhalt
Pulverdampf und Büchsenfeuer
Wer steckt dahinter?
Zurück in Florenz
Der Unheimliche
Der Ernst des Lebens
Lehrling Leonardo
Das unheimliche V
Eingelöste Versprechen
Fliegende Drachen
Der Mann im Schatten
Verfolgt!
Im Palast
Sturzflug
Auf zur Krötenschlucht!
Rückkehr
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von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 148 Taschenbuchseiten.
Der junge Leonardo da Vinci soll in Florenz das Malerhandwerk erlernen. Kaum angekommen, verhindert er ein Attentat auf Piero de Medici, den Stadtherrn von Florenz. Er erhält Einblick in kostbare, alte Dokumente und stößt auf Konstruktionszeichnungen von Flugdrachen, die er sofort begeistert nachbaut. Doch plötzlich tauchen die Attentäter erneut in der Stadt auf und suchen nach Leonardo. Wird er eine Möglichkeit finden, ihnen zu entkommen?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
Die Originalausgabe dieses Buches erschien unter dem Titel “Leonardos Drachen” im Verlag Herder/Kerle.
© by Author / Cover: Steve Mayer
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Im Jahr 1465 ...
Vom Kamm der Anhöhe aus konnte man über das ganze Land sehen. In der Ferne erhoben sich die sternförmig angelegten Befestigungsmauern von Florenz. Aus einem der Stadttore war gerade eine Kolonne von bewaffneten Reitern hervorgekommen. Banner flatterten im Wind.
„Unser Stadtherr Piero de‘ Medici und sein Gefolge“, stellte Leonardo fest. „Sieh an, ein Ausritt ins Umland ...“
„Sag bloß, das kannst du alles von hier aus erkennen“, meinte Clarissa spöttisch und strich sich eine Haarsträhne aus der schweißbedeckten Stirn. Der Aufstieg war ziemlich anstrengend gewesen.
„Nein, ich weiß es von meinem Vater, der ja schließlich für den Stadtherrn arbeitet“, gab Leonardo zu. Dann stutzte er plötzlich. In der Nähe einer Baumgruppe bewegte sich etwas. Mehrere Männer, die mit Armbrüsten und Hakenbüchsen bewaffnet waren, gingen dort in Stellung. Genau dort führte auch der Weg der Reiterkolonne vorbei ...
Vorbereitungen für einen Überfall!, durchfuhr es Leonardo.
„Komm schon!“, rief Leonardo. „Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es, die Reiter abzufangen. Die Straße macht einen weiten Bogen und sie müssen auf jeden Fall die Brücke über den Fluss nehmen, bevor sie an den Wegelagerern vorbei kommen.“
„Warte, Leonardo!“, rief Clarissa.
Sie waren beide dreizehn Jahre alt. Clarissa hatte dunkelbraunes, langes Haar, das sie zu einem lockeren Zopf geflochten hatte, der ihr bis zur Hüfte hing. Sie trug ein Kleid, das fast bis zu den Knien reichte und eigentlich für das Klettern überhaupt nicht geeignet war. „Ich hätte mich von Anfang an gar nicht darauf einlassen sollen, mit dir hier her zu kommen“, meinte sie. „Leonardo, so warte doch!“
„Nein, es muss schnell gehen!“
Er trug dunkle Hosen, eine Weste aus Leder und ein weißes Hemd. Seit sein Vater in Florenz zu einer hoch angesehenen und recht vermögenden Persönlichkeit geworden war, bestand er darauf, dass Leonardo andauernd Schuhe trug. Früher, als er noch in dem einen Tagesritt entfernten Dorf Vinci unter Bauern gelebt hatte, war Leonardo fast immer barfuß gelaufen. Und so waren ihm die Schuhe noch immer sehr ungewohnt. Sie machten einen nur langsamer, so empfand er das.
Er stolperte und rutschte mehr den Hang hinunter, als dass er lief. Als er unten angekommen war, riss er sich die Schuhe förmlich von den Füßen und warf sie zur Seite. Wenn der Stadtherr von Florenz rechtzeitig vor einem Überfall gewarnt werden konnte, dann war das auf jeden Fall wichtiger als ein Paar Schuhe!
Clarissa war hinter ihm zurückgeblieben. Sie wird mich schon finden, dachte er.
Eigentlich waren sie hierhergekommen, um Tiere zu beobachten. Vor allem der Flug von Vögeln interessierte Leonardo. Die Anhöhe war ein guter Platz, um sie sich anzuschauen. Schwalben, Krähen, Tauben, hin und wieder ein Adler oder ein Bussard, der auf die Jagd ging. Die Art und Weise, wie sie ihre Flügel einsetzten, faszinierte ihn jedesmal aufs Neue. Leonardo hatte festgestellt, dass sie sich dabei stark unterschieden. Manche hielten die Flügel ganz ruhig und ließen sich einfach nur von den Winden tragen. Andere flatterten wie wild. Eines Tages, so hatte sich Leonardo vorgenommen, würde auch er fliegen. Und da der Mensch sich nun einmal leider nicht einfach Flügel wachsen lassen konnte, musste man dafür eine Maschine bauen!
Leonardo hatte schon, als er noch bei seinem Großvater in Vinci gelebt hatte, Dutzende Zeichnungen solcher Flugmaschinen angefertigt. Allerdings war es sehr viel schwieriger, eine solche Maschine auch wirklich zu bauen, als sie sich nur auszudenken. Das hatte Leonardo schnell gemerkt. Und doch war er nicht gewillt aufzugeben. Irgendwann, das hatte er sich vorgenommen, würde er es schaffen. Dazu musste er nur die Vögel genau genug beobachten, denn sie konnten ja schließlich fliegen und hatten dieses Geheimnis irgendwie zu entdecken vermocht.
Clarissa war mit ihm gekommen, weil sie Langeweile hatte und weil Leonardo ihr außerdem davon vorgeschwärmt hatte, was es da draußen alles zu entdecken gab. Es gab noch etwas anders, was Leonardo auf der Anhöhe gesucht hatte. Dort, wo der Felsen aus dem Gras und dem Moos am Boden herauskam und kleine Spalten und Höhlen zu finden waren, gab es auch viele Eidechsen und Salamander. Sie huschten über den Boden oder verharrten mit einer für den Jungen beeindruckenden Ruhe, um sich dann umso plötzlicher zu bewegen. Die lebenden Eidechsen waren oft viel zu schnell, als dass man sie hätte fangen können. Zumindest war Leonardo dies kaum je gelungen. Aber hin und wieder fand man ein totes Tier. Und das ließ sich dann auseinander schneiden und genau untersuchen.
Aber das alles war im Augenblick nicht weiter wichtig.
Leonardo rannte durch ein Waldstück auf jene Stelle zu, an der eine schmale Holzbrücke über den Fluss führte. Die Straße ging dann an dem anderen Ufer weiter und führte schließlich an der Stelle vorbei, wo Leonardo die Räuberbande hatte lauern sehen. Nur gut, dass sich keiner von denen umgedreht hatte. Aber eigentlich war das nicht verwunderlich, denn ihre Blicke waren ja auf die Straße konzentriert und wahrscheinlich sahen sie jetzt angestrengt in Richtung Florenz, weil sie es kaum noch erwarten konnten, dass ihr Opfer endlich in die Reichweite ihrer Hakenbüchsen und Armbrüste gelangte.
Leonardo rannte weiter. Er kämpfte sich durch das Unterholz eines kleinen Waldstücks und hatte dann die Flussbrücke erreicht, über die der Weg von Piero de‘ Medici und seinem Gefolge führen musste. Von dort aus verlief die Straße dann am Ufer entlang, wand sich mehrmals und erreichte schließlich die Stelle, an der man den Hinterhalt gelegt hatte.
Leonardo war gerade noch rechtzeitig gekommen. Die Reitergruppe hatte es nicht besonders eilig gehabt. Kurz vor der Brücke stoppten sie noch einmal. Piero de‘ Medici – sofort zu erkennen an seinem brokatbesetzten, sehr kostbaren Wams und der tellerförmigen, samtfarbenen Mütze, an der eine Fasanenfeder steckte – ließ sich von einem der Begleiter eine Karte zeigen. Beide Männer deuteten mit ausgestreckten Armen in der Gegend herum und machten manchmal weit ausholende Bewegungen. Wahrscheinlich ging es darum, wem welches Stück Land in der Umgebung gehörte. Auch die Familie Medici hatte hier viel Grundbesitz. Vielleicht sollte etwas davon verkauft werden oder man suchte einen guten Standort für eine Villa auf dem Land, in der man den heißen Sommer verbringen konnte. In den engen Straßen von Florenz roch es dann nämlich oft etwas faulig, wenn der Wind ungünstig stand. Bei Trockenheit führte der mitten durch Florenz fließende Fluss Arno nur wenig Wasser und wenn dann zu viele Abwässer aus den Handwerkswerkstätten und den Toiletten in den Fluss gelangten, hing ein unangenehmer Geruch über der Stadt. Außerdem kam es immer wieder vor, dass in der Stadt Seuchen ausbrachen – und auch dann zogen sich die Reichen gerne in ihre Landhäuser außerhalb der Schutzmauern zurück.
Leonardo stellte sich mitten auf die Brücke.
Einer der bewaffneten Begleiter des Stadtherrn preschte ihm entgegen. Die Hufe klapperten auf den Holzbohlen. Der Mann trug ein Schwert an der Seite. Der Harnisch glänzte in der Sonne. Es war einer der Söldner der Familie Medici, das erkannte man an den Streifen, die auf die Ärmel seines Livree genannten Hemdes genäht waren. Nur sehr reiche Familien konnten es sich leisten, ihre Söldner, Hausdiener oder anderes Personal in eine solche Uniform zu kleiden. Und die Familie Medici war die mit Abstand reichste Familie in Florenz. Nicht umsonst galt ihr Oberhaupt auch als Herr der Stadt. Nichts geschah hier ohne den Willen von Piero de‘ Medici.
Der Söldner zügelte sein Pferd, das laut wieherte und sich einen Moment sogar auf die Hinterbeine stellte.
„Bist du verrückt geworden, Junge? Geh zur Seite!“, rief der Söldner.
„Nicht weiter!“, rief Leonardo zurück. „Wenn Ihr der Straße am Fluss folgt, lauert dort Räubergesindel auf Euch!“
Der Söldner hatte inzwischen sein Pferd wieder unter Kontrolle gebracht. „Was redest du da?“, fragte er unwirsch.
„Man wartet auf Euch, um den Stadtherrn zu überfallen – keine Meile von hier entfernt. Ihr dürft nicht weiterreiten! Dort lauern mindestens zwei Dutzend Mann mit Hakenbüchsen und Armbrüsten – und Ihr seid nicht einmal halb so viele.“
„Was ist da los?“, rief jetzt Piero de‘ Medici.
Der Herr von Florenz drückte seinem Pferd die Knie in die Seiten und ließ es bis zur Brücke vorpreschen.
Leonardo ging an dem etwas verdutzten Söldner vorbei, geradewegs auf den hohen Herren zu. Dann deutete er eine Verbeugung an.
„Seid gegrüßt, ehrenwerter Herr Piero de‘ Medici“, sagte Leonardo.
Piero runzelte die Stirn, blickte dann auf Leonardos blanke Füße, die durch das Barfußlaufen durch das Waldstück mit seinem dunklen, feuchten Boden inzwischen ziemlich schmutzig waren, und runzelte die Stirn noch stärker.
„Ich kenne dich irgendwoher“, meinte er. „Irgendwo habe ich dich schon einmal gesehen, auch wenn ich mich nicht an so dreckige Füße erinnern kann.“
„Gewiss sind wir uns schon begegnet“, erklärte Leonardo. „Und zwar in Eurem Palast in Florenz.“
„Ich glaube kaum, dass jemand mit ungewaschenen Füßen dort eingelassen würde.“
„Oh, da habe ich Schuhe getragen! Ich bin Leonardo di Ser Piero, der Sohn Eures Notars und Schreibers Ser Piero, der denselben Namen trägt wie Ihr. Allerdings pflege ich mich Leonardo da Vinci zu nennen.“
„Vinci? Ist das nicht ein winziges Dorf in der Nähe von Empoli, ungefähr eine Tagesreise von hier entfernt?“
„So ist es, hoher Herr. Doch nun beschwöre ich Euch, reitet auf gar keinen Fall weiter! Die Lunten sind wahrscheinlich schon gezündet und die Armbrüste gespannt. Man wartet nur darauf, dass Ihr an diesem Hinterhalt vorbeireitet und in die Falle geht.“
In diesem Moment tauchte endlich auch Clarissa an der Brücke auf. Sie hatte Leonardos Schuhe aufgehoben und mitgebracht.
„Wie ich sehe, bist du nicht allein“, stellte der Stadtherr fest. Er war erst vor kurzem Oberhaupt der Familie Medici und Herr von Florenz geworden, nachdem sein Vorgänger Cosimo de‘ Medici im Alter von über achtzig Jahren gestorben war. Cosimo den Alten hatte man ihn genannt, und auch für ihn hatte Leonardos Vater schon gearbeitet. Einmal hatte Cosimo den Jungen sogar in die Gewölbe einer unfassbar großen Bibliothek gelassen. Daran erinnerte sich Leonardo mit besonderer Freude, denn er war sehr wissbegierig.
Damals hatten sie noch in Vinci gelebt und waren nur zu einem Besuch in der großen Stadt gewesen. Das hatte sich nun geändert, denn auch der Großvater, bei dem Leonardo bis vor kurzem noch gewohnt hatte, war inzwischen verstorben. Und so lebte er nun bei seinem Vater und dessen zweiter Frau in Florenz.
Leonardo drehte sich kurz zu Clarissa um. „Das ist Clarissa di Stefano, eine Verwandte meiner Stiefmutter. Clarissa lebt zurzeit in unserem Haus.“
„Mein Vater diente Eurer Familie als Leiter der Medici-Bank in Pisa“, sagte sie. „Seit meine Eltern an einer Seuche gestorben sind, lebe ich in Florenz.“
„Dann kommst du ja auch aus guter Familie“, sagte Piero de‘ Medici. „Umso mehr wundert es mich, dass du hier in dieser Wildnis herumläufst, ohne dass jemand auf dich achtet.“
Clarissa ging über die Brücke, drängte sich an dem Pferd des Söldners vorbei und gab Leonardo die Schuhe. „Hier, willst du die nicht besser wieder anziehen?“
Piero de‘ Medici gab nun ein paar Anweisungen an seine Söldner. „Reitet einen Bogen und nähert euch der Stelle, die der Junge beschrieben hat von den Anhöhen aus. Vielleicht gelingt es euch ja, wenigstens einen von den Kerlen zu fangen, sodass wir herausfinden können, wer hinter diesem Plan steckt.“
„Ich führe Euch gerne an eine Stelle, wo man sie gut beobachten kann“, meinte Leonardo. Er wandte sich an den Söldner auf der Brücke. „Ist Euer Name nicht Niccolo?“, fragte er. „Ich habe Euch schon im Palast gesehen.“
„Ich erinnere mich auch an dich“, meinte Niccolo. „Da lebte Cosimo der Alte noch und du bist seitdem auch ein ganzes Stück gewachsen.“
„Lasst Eure Pferde hier und dann führe ich Euch zu Fuß an die Stelle, die ich meine.“
Niccolo wandte sich an seinen Herrn. „Was meint Ihr, Herr?“, fragte er. „Das ist vielleicht gar kein schlechter Vorschlag.“
„Also gut“, nickte Piero de‘ Medici. „Aber seht zu, dass dem Jungen dabei nichts geschieht!“
Leonardo war schon klar, dass die Besorgnis des Stadtherrn nicht ihm persönlich galt. Auch die Tatsache, dass Leonardos Vater als Notar und Schreiber inzwischen viele wichtige Dokumente und Verträge für das Haus Medici aufsetzte, spielte dabei keine große Rolle. Wichtiger war, dass seine Stiefmutter aus einer der angesehensten Florentiner Familien stammte, die immer treu auf der Seite der Medici gestanden hatte. Da wollte man sich Ärger möglichst ersparen.
Mehrere der Söldner stiegen nun von ihren Pferden. Einige hatten Armbrüste bei sich, einer sogar eine Hakenbüchse. Offenbar hatte Piero de‘ Medici selbst schon mit der Möglichkeit gerechnet, dass man ihn vielleicht überfallen könnte. Immer wieder gab es nämlich Machtkämpfe zwischen den bedeutendsten Familien der Stadt. Schon nachdem Cosimo der Alte gestorben war, hatte sich manch einer gedacht, dass jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt gekommen war, um der Familie Medici endlich die Macht über die Republik Florenz zu entreißen.
Leonardo wandte sich an Clarissa. „Pass noch etwas auf meine Schuhe auf“, meinte er.
Dann wandte er sich an Niccolo. „Kommt! Aber macht keinen Lärm, sonst werden die Männer im Hinterhalt noch auf uns aufmerksam.“
Leonardo führte die Männer durch den kleinen Wald und dann die Anhöhen hinauf. Sechs Mann begleiteten ihn – der Rest des Trupps blieb bei Piero de‘ Medici. Bestimmt wunderten sich die Männer im Hinterhalt schon, weshalb der Stadtherr und sein Gefolge nicht schon längst bei ihnen aufgetaucht waren.
Eine ganz andere Frage war, woher sie wohl wussten, dass ausgerechnet heute der Stadtherr diesen Weg nehmen würde. Offenbar sind sie gut informiert, überlegte Leonardo. Vielleicht gibt es irgendjemanden im Palast, der sie regelmäßig mit Informationen versorgt. Einen Spion, der entweder für eine der mit den Medici verfeindeten Familien arbeitete oder vielleicht sogar von einem anderen benachbarten Herrscher geschickt worden war, dem die Herrschaft der Medici in Florenz ein Dorn im Auge war.
Sie kletterten die Anhöhen empor. Aber Leonardo führte die Söldner auf einem etwas anderen Weg als denjenigen, den er selbst vor wenigen Augenblicken genommen hatte. Es war ein Weg, der näher an die Stelle heranführte, wo der Hinterhalt gelegt worden war. Dafür musste man mehr darauf achten, keinen Lärm zu machen, und die meiste Zeit über hielten sie sich geduckt. Hinter den zahlreichen Sträuchern, die hier wuchsen, konnte man sehr gut Deckung finden.
Schließlich kamen die Unbekannten, die sich in den Hinterhalt gelegt hatten, in den Blick. Leonardo sah jetzt zum ersten Mal, dass die Fremden Fackeln entzündet hatten. Allerdings nicht etwa deshalb, weil es an diesem sonnigen Tag zu dunkel gewesen wäre! Sie brauchten die Fackeln, um daran die Lunten ihrer Hakenbüchsen zu entzünden, sobald es ernst wurde.
Zwei Minuten brannte eine solche Lunte. Wenn man in dieser Zeit keinen Schuss abgab, musste man eine neue Lunte nehmen und an dem Haken befestigen, mit dem das brennende Ende dann ins Pulver getaucht wurde, sodass der Schuss losging. Leonardo sah außerdem Reste eines Lagerfeuers.
„Das sind keine Strauchdiebe“, murmelte Niccolo. „Das sind Söldner wie wir! Gut ausgerüstete Waffenknechte.“
„Ich frage mich, wer die angeheuert hat“, meinte einer der anderen Söldner, der nun einen Bolzen in seine Armbrust legte und die Waffe spannte.
„Was glaubt Ihr, wer diese Waffenknechte dazu beauftragt hat, sich dort auf die Lauer zu legen?“, wollte Leonardo wissen.
„Still jetzt und frag nicht so viel!“, gab Niccolo ziemlich barsch zurück.
Seine flüsternde Stimme klang wie das Zischen einer der Schlangen, die man in dieser Gegend finden konnte.
Niccolo machte ein paar Handzeichen in Richtung seiner Begleiter. Diese nickten ihm zu, wohl zum Zeichen, dass sie ihn verstanden hatten. Die Söldner verteilten sich. Ein paar dieser Zeichen galten Leonardo. Im ersten Moment begriff er nicht, aber dann verstand er doch, was Niccolo von ihm wollte. Er sollte sich klein machen und hinter den Büschen verbergen. Dann fiel Niccolos Blick auf eine Stelle auf den Boden, nur eine halbe Armlänge von dem Jungen entfernt. Leonardo sah, dass sich das Gesicht des Söldners auf seltsame Weise verändert hatte. Es drückte jetzt tiefsten Ekel und größtes Entsetzen aus und im ersten Moment konnte sich der Junge nicht erklären, was das nun zu bedeuten hatte.
Dann fiel sein Blick tiefer und traf den Boden.
Nun bemerkte es auch Leonardo. Eine tote Eidechse, die er oben auf den Anhöhen gefunden hatte, war ihm aus dem Bündel gerutscht, das er sich seitlich an den Gürtel geschnürt hatte. Es bestand einfach aus einem Stück grober Jute, das er aus einem Mehlsack herausgeschnitten hatte und normalerweise dafür benutzte, um das Wasser von Flüssen und Bächen nach Kleintieren und anderen darin herumschwimmenden Bestandteilen zu filtern. Kaulquappen hatte er sonst zum Beispiel damit gefangen. Und da er es schon ein paar Jahre in Gebrauch hatte, war es voller Flecken. Das Blut toter Vögel und Mäuse hatte dort ebenso seine Spuren hinterlassen wie eine Reihe anderer Substanzen, die allesamt gemein hatten, dass sie stark und schlecht rochen.
Im Haus seines Großvaters hatte Leonardo ein eigenes Zimmer gehabt, in dem er eifrig den verschiedensten Experimenten nachgegangen war. Tote Tiere aufschneiden, ihre Organe untersuche und herausfinden, wie sie von innen aufgebaut waren, war eine seiner Lieblingstätigkeiten gewesen. Zum Glück hatte sein Großvater einen so feinen Geruchssinn nicht mehr gehabt.
Leonardo griff nach der Eidechse, wickelte sie wieder in das Stück Jute ein und schnürte sich das Bündel fester, als er es bisher getan hatte.
„Das ist ekelhaft“, flüsterte Niccolo und schüttelte verständnislos den Kopf.
In diesem Moment ertönte ein Schrei. Von weiter oben auf den Anhöhen tauchte ein Mann auf. Offenbar gehörte er zu den Waffenknechten, die den Überfall geplant hatten. Ihr Anführer hatte ihn wahrscheinlich dort hinauf geschickt, um herauszufinden, wo denn der Stadtherr von Florenz und sein Gefolge blieben. Nun konnte er natürlich auch Leonardo und Niccolo sowie die Männer, die mit ihnen gekommen waren, sehen.
Sein Schrei war so laut und durchdringend, dass die Waffenknechte im Hinterhalt sich sofort umdrehten. Einer von ihnen feuerte seine Hakenbüchse ab. Pulverdampf stieg auf.
Der Schuss ging über Leonardo und Niccolo hinweg. Die Kugel schlug in einen knorrigen, halb vertrockneten Baum ein, den irgendwann einmal der Blitz gespaltet hatte. Jetzt klaffte an seinem Hauptstamm ein faustgroßes Loch.
Ein zweiter Schuss wurde abgegeben. Niccolos Männer wehrten sich nun und kamen dafür aus ihrer Deckung. Der Armbrustschütze ließ den Bolzen durch die Luft schnellen, den er gerade eingelegt hatte. Die Schüsse und das Kampfgeschrei waren bestimmt auch bis zur Brücke zu hören, wo Piero de‘ Medici mit dem Rest seiner Männer geblieben war.
„Bleib in Deckung, Junge!“, rief Niccolo, während er das Schwert zog und vorwärts stürmte.
Natürlich hielt es Leonardo nicht in seinem Versteck. Er war einfach zu neugierig auf das, was sich da abspielte.
Die Waffenknechte, die im Hinterhalt gelauert hatten, rannten jetzt zu ihren Pferden, die sie in einiger Entfernung bei einer Gruppe von Bäumen angebunden hatten. Einer von ihnen wartete dort und begann damit, sie loszubinden. Noch einmal knallte eine Hakenbüchse. Dann ritten die ersten Mitglieder der Bande bereits davon. Auch die anderen sahen zu, dass sie so schnell wie möglich in den Sattel kamen. Die Pferde wieherten. Der Armbrustschütze hatte inzwischen seine Waffe nachgeladen, was immer etwas umständlich war. Bis er den Bolzen eingelegt hatte, waren die Banditen längst auf und davon. Auch der Mann auf der Anhöhe war nicht mehr zu sehen. In der Ferne hörte Leonardo den Galopp ihrer Pferde.
„So ein Mist! Von denen werden wir keinen mehr einholen“, meinte der Armbrustschütze – und Niccolo konnte ihm da nur zustimmen.
„Seien wir froh, dass unser Herr nicht in den Hinterhalt geraten ist“, sagte er. „Ich wüsste nur zu gern, wer diese Männer geschickt hat.“
„Vielleicht kann man das noch herausfinden“, mischte sich Leonardo ein.
Niccolo steckte sein Schwert ein und stemmte die Arme in die Hüften. „So, du scheinst ja ein Neunmalkluger zu sein! Wie willst du das anstellen?“
„Vielleicht haben dies Männer Spuren hinterlassen, aus denen man schließen kann, wer ihr Auftraggeber ist. Lasst uns nachsehen!“
Leonardo wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern lief einfach los.
Niccolo wandte sich unterdessen noch einmal an den Armbrustschützen. „Cristian, geh mit ihm! Die anderen holen die Pferde.“
Leonardo bemerkte zunächst kaum, dass Cristian, der Armbrustschütze, ihm gefolgt war. Darum zuckte er ziemlich zusammen, als er ihn bemerkte.
„So freundlich, uns ein verräterisches Dokument zu hinterlassen, waren diese Kerle leider nicht“, spottete Cristian. „Ein paar Pferdeäpfel liegen dort, wo sie ihre Gäule angebunden hatten – aber sonst haben sie nichts Wichtiges hinterlassen.“