Lesereise Florenz - Barbara de Mars - E-Book

Lesereise Florenz E-Book

Barbara de Mars

4,9

Beschreibung

Florenz überrascht gerade dann, wenn man es geschafft hat, Michelangelos David oder die Uffizien und den Ponte Vecchio hinter sich zu lassen, ohne dem Stendhal-Syndrom anheimzufallen. Jetzt beginnt die Suche nach dem Eigentlichen, nach der Essenz, dem Geheimnis von Florenz.Auf den Spuren der "renaioli" vom Arno, bei Biobauern und Modeschöpfern, beim Fußballspiel des Calcio Storico Fiorentino oder bei den Handwerkern einer Ledermanufaktur, in Trattorien und beim Pasta-Kochkurs geht Barbara de Mars dem besonderen Zauber nach, der von der "blühenden" ehemaligen Römersiedlung Florentia ausging und immer noch anhält. Dabei begegnet sie dem einzigartigen Charakter der Florentiner: stolz und streitlustig, ironisch und scharfzüngig, genial und großzügig. Kein Zweifel, Florenz macht süchtig.

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Barbara de Mars

Lesereise Florenz

Copyright © 2017 Picus Verlag Ges.m.b.H., WienAlle Rechte vorbehaltenGrafische Gestaltung: Dorothea Löcker, WienUmschlagabbildung:© mauritius images/imageBROKER/Otto StadlerISBN 978-3-7117-1077-2eISBN 978-3-7117-5346-5

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags undVeranstaltungen unterwww.picus.at

Barbara de Mars studierte in München Germanistik, Internationales Recht, Theaterwissenschaften und Medienmarketing, arbeitete dann bei Zeitungen, Zeitschriften und fürs Fernsehen. Seit fast zwanzig Jahren lebt sie im »goldenen Dreieck« der Toskana und schreibt für deutschsprachige und italienische Medien, veranstaltet Seminare, leitet Tourismusbüros bei Florenz und veröffentlicht den Blog www.valdarno365.de.

Barbara de Mars

Lesereise Florenz

Rendezvous mit einer eigenwilligen Schönen

Picus Verlag Wien

Inhalt

Leder macht Schule

Von Waisenkindern, der großen Überschwemmung und wahrer Exklusivität

Das Florentiner Genie

Was Keramikfliesen, ein Baumhaus und Kichererbsen-Ravioli gemeinsam haben

Bankraub und Pomarola

Ein Serienräuber, der Krimis mag, und das Attentat auf die Medici

Sklaven, Findelkinder und Dichter

Vom Englischen Friedhof, der eigentlich ein Schweizer ist

Geld, Macht, Kunst

Schwarze Männchen, ein diamantbesetzter Totenkopf und eine heilige Spinne

Überall Geheimnisse

Von Sirenen, der Suche nach dem Glück und jeder Menge Skrupel

Harte Jungs und weiche Knie

Eine Partie Calcio Storico Fiorentino an einem Freitag, dem Siebzehnten

Bauer aus Versehen

Warum toskanisches Brot ungesalzen ist und eine Fliege die Olivenernte bedroht

Ein Adler vor der Tür

Was für einen Modezaren Luxus bedeutet

Eine neue Perspektive

Sandgräber, Drachenschiffe und ein deutscher Konsul

Mit Conan durch Florenz

Eine Fiakertour durchs Paradies und ein folgenreicher Abriss

Eine Nacht mit Galileo

Der Geist Arcetris, ein Nilpferd und das Lachen der Physiker

I’coco Filippo

Die italienische Sprache, ein blutiges Steak und ein Mops in Nöten

Und wo sind die Frauen?

Eingemauerte Nonnen, die erste Malerin und wie Florenz zu seinem Glück kam

Die Gärten von Florenz

Röhrende Bienen, eine vertauschte Lilie und der Goldfischteich von Boboli

Leder macht Schule

Von Waisenkindern, der großen Überschwemmung und wahrer Exklusivität

Es ist fünf nach zehn Uhr morgens, als ich die hohe Glastür öffne und das geschwungene Backsteingewölbe der Scuola del Cuoio betrete. In dem großzügigen Arbeitsraum sind lange, einfache Holztische zu Blöcken zusammengeschoben. An ihnen stehen die Arbeiter in weißen Kitteln und fertigen Taschen und Geldbörsen, alles in Handarbeit. Einer, jung, die engen Hosen enden modisch eine Spur über dem Knöchel, sieht aus, als wäre er gerade der Vogue entstiegen. Ein anderer kommt aus Japan und hat die glatten schwarzen Haare hinten zu einem Knoten gebunden wie ein Samurai. Neonlampen über den Tischen leuchten die Arbeitsplätze hell aus. Hier geht es schließlich um Präzisionsarbeit. Der Japaner lächelt mich freundlich an, sagt »ciao« und macht mit dem Kopf eine schnelle Bewegung nach hinten in den Raum. Mein Blick folgt seiner Geste.

Da steht Carlo, eine waldgrüne Schürze über dem farblich abgestimmten, bis zu den Ellbogen hochgekrempelten karierten Hemd. Grauweiße, schüttere Haare umrahmen ein schmales Gesicht mit einer tiefen waagrechten Stirnfalte. Buschige Augenbrauen verleihen ihm Autorität, als er murmelt: »Ti stavo aspettando.« Er hat mich schon erwartet und klingt ein bisschen vorwurfsvoll, als hätte ich zu lange beim cappuccino in der Bar getrödelt. Es ist ein Märchen, dass Italiener unpünktlich sind, zumindest in der Toskana. Irgendwo zwischen Florenz und Rom soll ja die imaginäre Trennlinie zwischen Norditalien und dem Mezzogiorno verlaufen. Mit der Hitze des Südens wird die individuelle Wahrnehmung der Zeit immer elastischer. In Florenz dagegen bemüht man sich um Pünktlichkeit – meistens zumindest. Bei den Zügen wird es in den letzten Jahren immer besser, besonders seit die staatliche Trenitalia Konkurrenz von der privaten Bahngesellschaft Italo bekommen hat. Nur bei Theatern und Konzerten nimmt man es mit den Anfangszeiten nicht so genau, und wehe dem, der zu einer Abendeinladung im Haus von Freunden zum vereinbarten Zeitpunkt erscheint. Dann riskiert man, in das schockierte, ungeschminkte Gesicht der noch gänzlich unvorbereiteten Hausherrin zu blicken. Als einzige Entschuldigung kann man nur stammeln: »Sono tedesca.« Dass man Deutsche ist, erklärt den Fauxpas. Eine halbe Stunde später, als die Einladung besagt, ist das Minimum.

Was man selbst im Schweiße seines Angesichts gefertigt hat, steigt exponenziell im Wert, zumindest in den eigenen Augen. Deshalb bin ich heute hier, um mit eigenen Händen die Lederhülle eines Reisetagebuchs zu fertigen. Das Tagebuchheft aus gelblichem Naturpapier gibt’s nach der Mühe gratis dazu. Es hört sich leicht an. Ich frage mich insgeheim, was an der Arbeit bitte drei Stunden dauern soll. Carlo reicht mir ebenfalls eine grüne Schürze – es soll ja zur Sache gehen – und setzt sich die Nahsichtbrille auf. Tiefe Ringe unter seinen Augen zeigen an, dass das Leben für ihn nicht immer eine passeggiata, ein Spaziergang, war. Die »Maria Magdalena« von Donatello im Museo dell’Opera del Duomo hat auch diesen Blick.

Carlo ist eigentlich schon seit vielen Jahren in Rente und kommt doch fast täglich in die Firma, um unbedarften Interessierten zur ersten Eigenkreation zu verhelfen. Er spricht langsam, wie zu einem Kind, damit ich auch alles verstehe. Ich bedeute ihm, dass er in normaler Geschwindigkeit reden kann, mein Akzent würde mich nicht am Begreifen hindern. Daraufhin sieht er mich etwas ungläubig an. Fremde Sprachen zu lernen ist für den maestro wie für viele Italiener eine unvorstellbare Strapaze. Seit etlichen Jahren lernen nun italienische Kinder bereits ab dem Kindergarten Englisch, um dieses Manko auszugleichen.

Das Unternehmen Scuola di Cuoio stellt seit 1950 exklusive, handgefertigte Lederwaren her und heißt wörtlich »Lederschule«. Das klingt nicht gerade nach einem tollen Marketingeinfall für Produkte, die sich auf dem Weltmarkt behaupten sollen. Dass sich hier im Laufe vieler Jahrzehnte die unterschiedlichsten Persönlichkeiten von Ted Kennedy bis Ozzy Osbourne die Klinke in die Hand gaben, hat jedoch seinen guten Grund. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Florentiner Lederfabrikanten Marcello Gori und Silvano Casini den Patres der Franziskanerkirche Santa Croce vorgeschlagen, doch gemeinsam Kriegswaisen im Lederhandwerk auszubilden und ihnen so ein Auskommen zu garantieren. Im Novizentrakt von Santa Croce wurde unter einem Fresko aus der Schule Ghirlandaios der Schlafraum eingerichtet. Carlo war einer der jungen Leute, die 1950 in die Lederschule eintraten.

Zuerst zieht er unter dem Tisch eine Unmenge Lederrollen hervor und erklärt die Charakteristiken: unkompliziertes Rindsleder, feines Ziegenleder, weiches Nappaleder, genopptes Straußenleder. »Such dir eines aus«, sagt Carlo. Seit der Renaissance wird im Viertel um Santa Croce Leder gegerbt und gefärbt. Straßennamen wie Corso dei Tintori, Via delle Conce oder Via dei Conciatori künden noch heute davon. »Ich erinnere mich genau, wie es in meiner Jugend in diesen Straßen stank«, so Carlo. Lederbearbeitung ist geruchsintensiv. Heute ist der kleine Ort Santa Croce sull’Arno bei Florenz das Mekka für qualitativ hochwertige Lederverarbeitung.

Ich streiche mit der Hand über Dutzende Proben, seidig glatt oder rau wie Landschaften, in unendlich vielen Farben, Schwarz, Rot, Beige. Schließlich deute ich auf ein festes Leder in metallischem Rosa für den Einband und auf eine bordeauxrote Rolle für die Verzierung. Die Farbkombination stürzt Carlo ein bisschen in Verwirrung. Ob ich nicht doch lieber eine klassische Kombination will, beige und schwarz? Florentiner haben einen konservativen, eleganten Modegeschmack, zwar verspielt, aber er darf nicht zu sehr ins Auge stechen. In der Renaissance wachte eine Modepolizei darüber, dass die Florentiner Damen nicht zu luxuriöse oder unpassend extravagante Accessoires und Stoffe trugen. Ich bleibe bei meiner Farbwahl und Carlo zieht skeptisch eine Augenbraue nach oben. Ausländerin eben, kein Wunder, dass der italienische Geschmack unerreicht bleibt, wird er sich denken. Der Japaner am Nebentisch wirft mir einen amüsierten, aufmunternden Blick zu.

Immer wieder tauschen die Arbeiter untereinander battute aus, ziehen sich mit witzigen Bemerkungen auf, fragen einander um Rat und bereden auch Privates: in welchem Lokal man kürzlich versumpft war, ob trippa und lampredotto, Kutteln und Labmagen, unter der loggia des Porcellino oder doch in der Via de’ Macci neben dem Markt von Sant’Ambrogio am besten sind. Ein Wort gibt das andere. Der Florentiner Wortwitz ist legendär und hier hat man den ganzen Tag eine palestra, eine Turnhalle, zum Üben. Nebenbei geben die Erfahrenen ihr Wissen an die Jungen weiter.

Das Leder wird maschinell geplättet und dann nimmt Carlo an Pappvorlagen Maß. Die fünf Millimeter dicken Verzierungsstreifen misst er mit bloßem Auge ab, markiert die Schnittlinie mit einem Kugelschreiber und schneidet das Leder millimetergenau zu. Dann bin ich an der Reihe. Die Vorder- und Rückseite sowie die Seiten müssen verleimt werden. Er deutet auf eine große Leimdose, die einen intensiven Geruch verströmt. »Il mastice, der Leim«, sage ich. Carlo ist erstaunt, dass ich ein so ausgefallenes italienisches Wort kenne und fasst langsam Zutrauen.

Danach werden, wieder durch eine Pappschablone, die Punkte markiert, wo die Löcher für die Verzierung gestanzt werden sollen. Carlo hat immer ein Auge auf mich, »pass auf, dass es keine Schlangenlinien werden«, während er mir nebenbei Details aus der Geschichte der Scuola erzählt. Zum Beispiel die, als am 4. November 1966 bei der großen Überschwemmung von Florenz der ölige Schlamm zwei Meter hoch in diesem Raum stand: »Alles Leder ging verloren, wir standen vor dem Nichts.« In der Franziskanerkirche Santa Croce nebenan wurde das Kreuz von Cimabue zu siebzig Prozent beschädigt. Das Kreuz ist heute noch ein Symbol für die Katastrophe, die Florenz damals unvorbereitet traf, nach offiziellen Angaben fünfunddreißig Menschenleben kostete und unzählige Kunstwerke in den Depots der Uffizien und Bücher der Nationalbibliothek beschädigte oder zerstörte.

Ich fange an, das Locheisen auf die bezeichneten Punkte zu setzen, dann ein Schlag mit dem Hammer, schon ist das Loch gestanzt. Bereits nach fünf Minuten tut der Arm weh von der ungewohnten Betätigung. Carlo prüft, lobt, gibt Tipps. Nur wer das Handwerk perfekt beherrscht, wird ein großer Künstler. An der Pazzi-Kapelle von Santa Croce hat Brunelleschi das Kuppelbauen geprobt, das er am Dom Santa Maria del Fiore perfektionierte.

Die gegen den azurblauen Himmel gleißend hervorstechende neugotische Marmorfassade der Kirche Santa Croce macht viel her und ist nicht ohne Grund eines der Wahrzeichen von Florenz. Aber die eindrucksvolle Struktur des Bauwerks aus Pietraforte mit seinen spitzen gotischen Fenstern begreift man erst, wenn man das mehr als hundertfünfzehn Meter lange Gebäude umrundet und die B-Seite der Kirche betrachtet, wo sich in einem sonnendurchfluteten Innenhof die Scuola del Cuoio befindet. Der Heilige Franz von Assisi hatte im 13. Jahrhundert persönlich den Platz für die Ordenskirche ausgewählt, der damals noch auf einer Insel vor den Stadtmauern lag. Die heute dreischiffige Basilika lässt die Besucher klein wie Ameisen erscheinen, die ehrfurchtsvoll leise wispernd gegen den Uhrzeigersinn ihre Runde drehen, um den Pantheon der Künstler zu bestaunen. Was in Florenz Rang und Namen hatte, liegt entweder hier begraben oder hat zumindest eine Gedenktafel. Dabei ergeben sich interessante Konstellationen, so sieht Michelangelo Buonarroti direkt Galileo Galilei in die Augen. Gläubige liegen neben Ungläubigen, in ist, wer drin ist, wie Niccolò Machiavelli und Leon Battista Alberti, Gioachino Rossini und Ugo Foscolo, genauso aber auch Guglielmo Marconi und Enrico Fermi. Auch den »Erfinder« der italienischen Sprache, Dante Alighieri, hätte man gerne hier begraben, nachdem die Florentiner ihn vorher ins Exil getrieben hatten, aber die Stadt Ravenna weigerte sich, die sterblichen Überreste des sommo poeta herauszurücken. Ein Scheingrab hat man ihm trotzdem errichtet.

Das Verhältnis zwischen Dante und Florenz ist in der Tat schwer zu kitten. Wahrscheinlich schaut die Dante-Statue neben der Fassade von Santa Croce deshalb so verdrossen drein. Der Florentiner Mundart-Liedermacher Riccardo Marasco legte dem Dichter der »Göttlichen Komödie« im Lied »L’Alluvione« mit typisch lokalem Sarkasmus in Anspielung auf die verheerende Überschwemmung die Worte in den Mund: »O fiorentini m’avete esiliato … prendete la merda che Dio v’ha mandato. Florentiner, ihr habt mich verbannt, dafür hat Gott euch die Scheiße gesandt.«

Jetzt noch die Lederstreifen durch die Löcher fädeln und dabei immer schön fest ziehen. Die Zeit vergeht wie im Flug und es ist schon Mittag. Ab und zu kommt eine adrette Verkäuferin aus den Verkaufsräumen, die sich ein Stockwerk über uns befinden, und erkundigt sich bei den Arbeitern nach den Fortschritten. Carlo ist mittlerweile so begeistert von meiner konzentrierten Gründlichkeit, dass er mich nur noch »amore« nennt. Auch die Farbkombination gefällt ihm jetzt, er winkt die Verkäuferin herbei und macht sie darauf aufmerksam: »Non c’avrei mai pensato. Das hätte ich nie gedacht«, meint er, »dass das gut aussehen könnte. Das müssen wir uns merken.«

Mit stolzgeschwellter Brust gehe ich schließlich leichtfüßig neben Carlo her eine Treppe höher, das Tagebuch samt Einband unterm Arm, vorbei an den Touristenflocken, manchmal Italiener, oft Amerikaner oder Asiaten, die im Ausstellungsraum die Handtaschen, Gürtel und Brieftaschen in den Vitrinen begutachten. Ich beachte sie gar nicht, denn ich fühle mich schon fast der Arte dei pelliciai e galigai, der Zunft der Lederverarbeitenden, zugehörig. In dem langen Korridor im ehemaligen Novizentrakt stehen wie an einer Perlenschnur aufgereiht dunkle hölzerne Tresen, hinter denen Handwerker schnelle Reparaturen ausführen und die Produkte mit einer Zweiundzwanzig-Karat-Goldprägung nach den Wünschen des jeweiligen Kunden entweder mit einem Namen oder einem Wappen schmücken.

Die Gründerfamilie des Unternehmens ist in dritter Generation immer noch präsent und kümmert sich persönlich um Design, Verkauf und Marketing. In Italien brachte die Globalisierung seit den neunziger Jahren einschneidende Veränderungen mit sich und fegte eine große Anzahl der kleinen, familienbetriebenen Handwerksunternehmen vom Platz. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, galt es, so viel wie möglich maschinell zu fertigen, die Produktion ins Ausland zu verlegen und neue Märkte zu erschließen. Die Scuola del Cuoio machte all dies nicht mit, sondern stellt nach wie vor rigoros alles in Florenz und von Hand her und bildet zudem immer noch Jahr für Jahr junge Leute aus. Ein wichtiger Faktor in einem Land mit einer Jugendarbeitslosigkeit von rund vierzig Prozent. Manche Produkte sind seit sechzig Jahren im Sortiment – und verkaufen sich immer noch. Das Prädikat »exklusiv« heißt hier noch das, was das Wort meint: ein qualitativ hochwertiges Produkt, das einigen wenigen vorbehalten ist. Der Gründer Marcello Gori sagte einmal: »Mag sein, dass wir nicht Gucci geworden sind, aber Gucci gehört der Familie Gucci schon seit langer Zeit nicht mehr.«

Mit einem charmanten Lächeln fragt mich der durchtrainierte junge artigiano, einer der Handwerker hinter den dunklen Holztheken, was ich denn in Gold in den Einband geprägt haben möchte. Eine Florentiner Lilie, das Wappen der Stadt, bitte. Der artigiano erhitzt das Siegel über einer kleinen Flamme, schneidet das hauchdünne Goldpapier zur passenden Größe, kühlt das Eisen dann kurz in einem Wasserkelch ab und presst es konzentriert und kräftig auf das Goldpapier auf dem rosa Einband. An der Wand hinter ihm zeigt ein Schwarz-Weiß-Foto Handwerker in den fünfziger oder sechziger Jahren bei derselben Tätigkeit. Es hat sich wenig verändert. Über dem artigiano hängt schräg ein Spiegel, damit der Besucher vor der Theke jeden Handgriff mitverfolgen kann: Das Ergebnis ist perfekt, exklusiv, ja einzigartig.

Das Florentiner Genie

Was Keramikfliesen, ein Baumhaus und Kichererbsen-Ravioli gemeinsam haben

Die feingliedrige, attraktive Mittvierzigerin im figurbetonten Hosenanzug eilt durch den Verkaufsraum und begrüßt den Eigentümer überschwänglich: »Riccardo Barthel! Erkennen Sie mich?« Der weißhaarige Inhaber des gleichnamigen Einrichtungshauses in der Via dei Serragli gleich an der Porta Romana, wo die verkehrsbeschänkte Zone beginnt, stutzt einen Augenblick. Man sieht, wie in seinem Kopf die Frage rotiert: »Sollte ich die Dame kennen?« Dann klärt sie auf: »Vor dreißig Jahren haben Sie die Küche meiner Eltern eingerichtet. Es ist, als wäre es gestern gewesen.« Eine Spur erleichtert atmet Riccardo Barthel auf und antwortet mit jungenhaft schelmischem Lächeln: »Certamente, mi ricordo