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Eignet sich Sprudel zum Zuprosten? Ist man wirklich ein Gentleman, wenn man an der Garderobe erst mal der Dame in den Mantel hilft? Casual Friday - bedeutet das automatisch Freizeitlook? Was tun, wenn man beim Restaurantbesuch eine sperrige Gräte im Mund spürt? Und was genau ist eigentlich unter Pünktlichkeit zu verstehen? Diese und andere Fragen erörtert Nandine Meyden in ihrem Lexikon der Benimmirrtümer. Fundiert und unterhaltsam klärt sie auf über vermeintliche und tatsächliche Regeln des guten Benehmens und gibt detaillierte Tipps, wie man sich manche Peinlichkeit erspart.
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Das Buch
»Betriebsfeier? Keine Lust!« – das war’s dann mit der sicher geglaubten Beförderung zum Abteilungsleiter. Auch wer am Casual Friday in alten Jeans oder bauchnabelfreiem Top ins Büro kommt, tut seinen Karriereplänen keinen Gefallen. Benehmen bei Tische will gelernt sein, denn es gibt mehr oder weniger stilvolle Wege, eine Fischgräte aus dem Mund zu entfernen – manche Liebe ist daran schon erloschen. Und wer auf einer Abendveranstaltung in braunen Nadelstreifen auftaucht und glaubt, damit der Bitte nach »Dunklem Anzug« Genüge zu leisten, wird sicher einen Eindruck hinterlassen – wenn auch keinen guten. Viele von uns treten regelmäßig ins Fettnäpfchen, und zwar ohne es zu merken. Denn wir gehen grundsätzlich davon aus, uns korrekt zu verhalten, sei es im Job, im Privatleben, in gehobener Gesellschaft oder bei klassischen Feierlichkeiten. Dies ist ein Irrtum. Nur weil niemand naserümpfend den Finger hebt, heißt das noch lange nicht, dass ein Fauxpas nicht bemerkt und missbilligt wird. Das kann gerade in beruflicher und geschäftlicher Hinsicht, aber auch im Privatleben fatale Folgen haben. In unterhaltsamer, leicht verständlicher Manier klärt Etikette- Trainerin Nandine Meyden den Leser auf über die peinlichsten Verstöße gegen die Benimmregeln und zeigt, wie man sie vermeidet.
Die Autorin
Nandine Meyden arbeitet seit mehreren Jahren als Etikette-Trainerin. Zu den Kunden ihrer Seminare gehören Mitarbeiter und Führungskräfte namhafter Unternehmen und Verbände sowie Politiker und Prominente. Seit 2005 tritt sie zudem im Fernsehen als Benimm-Expertin in der MDR-Sendung »hier ab vier« auf. Sie wohnt in Berlin.
Nandine Meyden
LEXIKON DER
BENIMMIRRTÜMER
Populäre Fettnäpfchen
und wie man sie umgeht
Ullstein
Inhalt
Vorwort der Redaktion »hier ab vier«
Einleitung: Der größte aller Benimmirrtümer
I. Alltag
»Gesundheit!«
Taschentuch gleich Taschentuch?
Wie sage ich es meinem Opfer?
»Guten Morgen, Herr Baron!«
Esel zuerst?
»Meine Gattin«
»Gestatten – darf ich vorstellen?«
»Herr Professor Dr. Dr. Müller«
»c/o« und »z.Hd.«
»Hallo!«
Hinein und heraus
Ein schöner Rücken
Vorne ist immer gut: Ehrenplatz im Auto
Ohne Schuhe darf man das
Rechts wie links
O wie peinlich!
Kondolenzbriefe mit Trauerrand?
»Kein Problem!«
To go
Bis die Ohren glühen
»Ich bin der Herr Meier!«
E-Mails
Handschlag
Aschenbecher
E-Mail versus Brief
Bloß nicht streiten!
Wie du mir, so ich dir
Die nette Geste
Lässig, lässig
»Grüß Gott, Frau Doktor!«
Wohin mit der Hand?
»Angenehm!«
Körperkontakt
Selber Doktor
Hut ab!
»Werter Herr!«
II. Äußeres: Vom Scheitel bis zur Sohle
Casual Friday – der Freizeit-Freitag?
Das »kleine Schwarze«
Der »dunkle Anzug«
Ich lass mir doch nix vorschreiben!
Jeans
Alles dabei
Der ist ja schlampig angezogen!
Forever Button-down
Der Gürtel
Mach doch mal die Jacke richtig zu!
Kurzärmeliges Hemd
Krawattenklammer und -nadel
Passt prima!
Einfach cool
Bei Hitze unten ohne
Schwarz ist am edelsten
Slipper und Schnürer
Einer für alle
Come as you are
Feinstrümpfe
Rock wie Hose
No brown after six
Ich bin doch eine Frau!
No brown in town
III. Arbeit und Beruf
Klopf, klopf
Ladies first!
Die Visitenkarte
Das steht dem Älteren zu!
So viel Respekt muss sein
Arm dran
Ist doch normal!
Die lieben Kollegen
Einladung zur Betriebsfeier
Das Leben nach der Weihnachtsfeier
»Du«
Effektivität zählt: »MfG«
»Um Rückantwort wird gebeten«
Treppauf, treppab
Betrifft: Betreff
Der frühe Gast
Mal so ganz privat
»Sie sprechen mit Frau Meier«
»Nein, danke!«
Der Kunde kommt immer zuerst
Wer ist hier der König?
Damen dürfen sitzen bleiben
IV. Tatort Restaurant
Des Deutschen Leibspeise: die Kartoffel
Grausige Gräten
Der Himbeertraum – ein Alptraum?
Meine Suppe trink ich nicht
So eine Hitze!
Bis zum letzten Tropfen
Schaumschläger
Rebensaft und Gänsewein
Mythos Bestecksprache
Sind wir Kannibalen?
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Zahnstocher
Rote Lippen soll man
Ist doch nur Papier!
Anstandsrest
Nur nichts übrig lassen!
Das Krümelmonster
Dekantieren
Kaffee gefällig?
Alles, was fliegt
Die Farbe muss stimmen
»Guten Appetit!«
»Mahlzeit!«
Wieder aufheben
Wer betritt das Restaurant zuerst?
Anderen zu helfen ist immer eine Tugend
Eier darf man nicht köpfen
Links wie rechts?
Fisch und Fischbesteck
Immer schön ordentlich!
Nieder mit den Zinken!
Hoch mit den Zinken!
Käse schließt den Magen
Jeder nach seiner Façon?
Schmackhafte Dekoration
Bröckchen und Flöckchen
Wein testen
Der erste Schluck
»Machen Sie glatt Hundert!«
V. Feiern, Feste, Gastlichkeit
Das wird aber teuer!
Bitte dieses Mal ohne
Gerühmte deutsche Tugend: Wie pünktlich ist pünktlich?
Akademisches Viertel und andere Rätsel der Zeitrechnung
So vornehm sind wir heute: »r.s.v.p.«
Flying Buffet und Running Dinner
Mit leeren Händen kommt man nicht!
Aber doch nicht für Männer!
Wir sitzen natürlich nebeneinander
Gefragt wird nicht!
Das ist doch so praktisch
Frauen zahlen in Herrenbegleitung nicht
Tischkarten: Titel oder nicht Titel, das ist hier die Frage
Ist doch schade darum: der Aperitif
Herren dürfen nicht sitzen bleiben?
Einmal danken reicht schon – oder?
Widmung
Persönliches Geschenk ohne Karte
Geschenke auspacken
Time to say goodbye
Zu Tisch bitte!
Ein Witz lockert so schön auf
Blumen immer nur in ungerader Zahl?
Kling, kling
»Sie gestatten?«
Buch in der Folie
Wein als Mitbringsel
Links von der Gastgeberin – rechts von der Gastgeberin
Bloß keinen Zwang antun!
Quittung bei Spende statt Geschenk
Von eins bis hundert
»Ich freue mich über Ihr zahlreiches und vollständiges Erscheinen.«
Zum Schluss: Der echte Knigge
Richtig oder falsch? Die Lösungen
Danke schön!
Literatur
Register
Vorwort der Redaktion »hier ab vier«
Das erste Mal, als ich auf Nandine Meyden traf, brachte ich unsere Benimm-Expertin an den Rand der Verzweiflung. Das war bei meiner »hier ab vier«-Premiere mit Katrin Huß, und es ging um Wein, Sekt, Gläser und Tischmanieren. Zunächst sorgte Katrin für Erheiterung, als sie fröhlich erzählte, dass Weingläser beim Anstoßen viel besser klängen als Sektgläser. Natürlich wollte sie ihre Theorie beweisen – und so stießen wir mit Weingläsern an. Wir hörten ein wohliges »Klong«. Dann griff Katrin zu den Sektgläsern. Wir stießen erneut an, und es ertönte ein herrlich nachhallendes »Kling«, welches sich viel besser anhörte. Die Enttäuschung stand Katrin ins Gesicht geschrieben. Frau Meyden lächelte, und ich hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Daraufhin klärte sie uns auf, dass der Klang beim Anstoßen einzig und allein an der Materialbeschaffenheit der Gläser läge. Ihr Lächeln schwand, als ich erzählte, dass ich gerne schon mal dasselbe Glas für Rot- und Weißwein nutze. Jetzt erwähnte sie zum ersten Mal, dass sie sich über unsere Zusammenarbeit freue – damit ich noch etwas lernen könne. Das dachte sie wohl auch, als ich ein Cocktailglas für einen Kir Royal verwenden wollte, denn dieses Getränk gehört natürlich in ein Champagner-Glas … Den Fauxpas wollte ich wettmachen und beim nächsten Thema punkten: Wohin gehört die Serviette nach dem Essen? Siegessicher holte ich aus – und trat ins nächste Fettnäpfchen! Ich dachte nämlich, dass man die Servietten auf den Teller lege. Falsch gedacht! Benutzte Servietten gehören lose gefaltet auf die linke Seite. »Wir üben das alles mal!«, war Nandine Meydens Kommentar. Das dürfte als Motto auch gut zu diesem Buch passen.
Mario D. Richardt
Dann mach Dich mal ran! Ich werde ein Auge auf Dich haben. Schließlich bin auch ich für gute Manieren bei »hier ab vier«.
Und allen andern: Viel Vergnügen beim Lesen!
Katrin Huß
Man kann nur ein so guter Gentleman sein, wie es die Frau zulässt. Das hat uns Nandine Meyden neulich wieder bei »hier ab vier« bestätigt. Jedes männliche Bemühen um die Frau ist umsonst, wenn diese eben doch lieber, ganz emanzipiert, den Mantel selbst anzieht oder durch die Tür schreitet, bevor der galante Mann ihr dieselbige aufhalten kann.
Gentleman und Selbst-ist-die-Frau-Frau sollten sich also irgendwo kompromissbereit treffen, am besten in der Mitte. Bei uns läuft das so:
Peter ist gern und im Prinzip auch ständig ein Gentleman. Es gibt kaum eine Klinke, die er nicht zuerst nach unten drückt, um dann mir als Dame den Vortritt zu lassen. Auch schwere Taschen muss ich nicht mehr lange selbst tragen, wenn Peter mich erst mal erspäht hat. An diese Art von zuvorkommender Freundlichkeit kann ich mich ganz gut gewöhnen und sie ab und an sogar auch genießen.
Wobei ich sagen muss, dass Stephanie anfangs schon etwas merkwürdig geguckt hat und sich erst an mein Gehabe gewöhnen musste. Und wenn wir so durch den Sender gehen und zu einer Tür kommen, macht sie auch gerne mal aus Spaß einen Sprung zur Klinke und hält mir die Tür auf. So will sie mir zeigen, dass sie ein großes Mädchen ist, das Türen gut alleine aufmachen kann. In solchen Momenten fühle ich mich immer ein bisschen spießig.
Wahrscheinlich ist es so, dass sich Menschen, denen gutes Benehmen wichtig ist, auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen können – und natürlich auf Nandine Meyden.
Ein Beispiel: Wir gehen zu zweit in ein Restaurant. Klar, der Mann hilft der Frau aus der Jacke. Aber wann? Wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, ist es eigentlich ganz einfach. Der Frau sollte es auf keinen Fall länger als nötig zugemutet werden, mit ihrer dicken Jacke im warmen Restaurant zu stehen. Der Rest ist dann ja klar. Und wenn nicht, ist er bestimmt in diesem Buch zu finden. Viel Spaß beim Lesen.
Stephanie Müller-Spirra
und Peter Imhof
Einleitung:
Der größte aller Benimmirrtümer
»Der hat wohl seinen Knigge nicht gelesen« – das hört man oft, wenn sich vermeintlich korrekt benehmende Zeitgenossen mit erhobenen Augenbrauen über Mitmenschen reden, die sich ihrer Ansicht nach nicht an bestimmte Regeln halten. Fraglich ist hierbei oft, ob denn der Sprecher selbst »seinen Knigge« gelesen und ob sich Freiherr von Knigge tatsächlich jemals irgendetwas zu einer so oder ähnlich gearteten Situation geäußert hat. Abgesehen davon zeugt es nicht von gutem Stil, sich über mangelnde Umgangsformen Dritter zu unterhalten. Ein jeder kehre vor seiner eigenen Türe, könnte man sagen. Zudem tritt dabei der meiner Ansicht nach am weitesten verbreitete Irrtum in Deutschland zum Thema Umgangsformen zutage: nämlich der, dass Freiherr von Knigge konkrete Verhaltensregeln zu Tisch und Kleidung aufgestellt habe. »Knigge« ist heute in Deutschland fast ein Synonym für Umgangsformen, Benehmen oder Etikette. Richtig ist jedoch, dass er kaum etwas zu den Situationen gesagt hat, in denen sein Name heute gerne bemüht wird.
In Knigges berühmtestem Werk Über den Umgang mit Menschen findet sich weder die Regel, wie ein Tisch gedeckt werden soll oder wie das Messer zu halten ist, noch, welche Kleidungsregeln in welchen Situationen gelten. Es ist vielmehr ein Buch, das zu mehr Takt, Einfühlungsvermögen und Höflichkeit gegenüber anderen Menschen anregt. So gibt es Hinweise, wie mit jähzornigen, kranken oder neidischen Leuten umzugehen sei und wie man sich gegenüber Schuldnern, Nachbarn und Gästen zu verhalten habe.
Gleichwohl: Nicht nur die Bemerkung »Er hat seinen Knigge nicht gelesen«, sondern auch die oft laut geäußerte Frage, wie wohl eine Situation »nach Knigge« zu lösen sei, die vielen »Knigge«-Seminare sowie die unzähligen Bücher, die mit dem Begriff »Knigge« im Titel um Aufmerksamkeit buhlen, zeigen, dass das Thema »Gutes Benehmen« hochaktuell ist.
So zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts emnid, dass rund 95 Prozent aller Deutschen gute Umgangsformen für wichtig bzw. sehr wichtig halten. 77,3 Prozent aller Befragten stuften in einer Studie von monster.de im Jahr 2006 gute Manieren als sehr wichtig für den Karriereerfolg ein. Doch nicht nur Erwachsene oder gar nur die ältere Generation glauben an die Bedeutung von Höflichkeit und Manieren.
»Danke«, »Bitte« und »Entschuldigung« zu sagen finden laut einer Untersuchung des Sailer-Verlages aus dem Jahr 2004 sogar 95 Prozent der Schüler zwischen sechs und dreizehn Jahren wichtig.
Auch im 21. Jahrhundert also sind schlechte Manieren für Menschen jeglichen Alters störend; kaum jemand bezweifelt, wie wichtig gute Umgangsformen sind. Und dennoch – betrachtet man, wie die Menschen miteinander umgehen, ob nun am Arbeitsplatz, privat, unterwegs auf der Straße oder beim Einkaufen, sieht man rasch: So viele Menschen mit guten Manieren, wie man aufgrund der Umfrageergebnisse eigentlich erwarten könnte, trifft man gar nicht. Die meisten meinen es allerdings vielleicht sogar gut und glauben, sie täten das Richtige. Es ist für mich bei Vorträgen und in Seminaren immer wieder interessant festzustellen, welche Mythen und Missverständnisse es bezüglich der Umgangsformen gibt. Um all denen ein Stück weiterzuhelfen, die es richtig machen wollen, sich aber nicht immer hundertprozentig sicher sind, ist dieses Buch entstanden. Es möchte aufräumen mit Irrtümern, Unsicherheiten und falschen Regelauslegungen.
Denn Tatsache ist: Menschen mit schlechtem Benehmen werden ausgegrenzt, da sie selbst auch andere ausgrenzen. Niemand, der sich wirklich bemüht, aber irrtümlich die Regeln verletzt, hat dies verdient. Gutes und richtiges Benehmen zeigt den Kunden, Kollegen, Vorgesetzten, Freunden, Nachbarn, Verkäufern, Bekannten, der Familie und dem Partner: Du bist mir wichtig, ich respektiere dich als Mitmenschen, und ich will, dass wir uns zusammen wohlfühlen. Manieren sind also nichts Altmodisches oder gar Steifes und Unnatürliches; Manieren dienen dazu, menschliches Miteinander zu regeln – in der Arbeit, im Privatleben, hier und überall auf der Welt.
Insofern ist es auch ein – leider weitverbreiteter – Irrtum, zu glauben, gutes Benehmen sei der eigenen Authentizität abträglich. Schließlich rasen wir auch nicht mit dem Auto über rote Ampeln, nur weil uns gerade danach ist. Ebenso wenig wünschen wir uns eine patzige Antwort oder von einer Verkäuferin ignoriert zu werden, nur weil sie gerade Liebeskummer hat.
Regeln sind wichtig, sie zu kennen und zu achten trägt entscheidend zu beruflichem und privatem Erfolg bei. Und nur wer Regeln kennt und in ihrer Anwendung sicher ist, kann sie auch gekonnt brechen – wenn es denn notwendig und für alle Beteiligten besser erscheint. Das ist dann kein Irrtum, sondern eine bewusste Entscheidung. Genau das zeichnet Menschen mit guten Umgangsformen aus: Sie wissen um die Regeln, befolgen sie aber nicht blind, nur weil es sie gibt, sondern spüren genau, wann es erforderlich ist, sie präzise einzuhalten, und wann sie freier ausgelegt oder sogar gebrochen werden müssen. Nur die Kenntnis der Regeln, ihrer Hintergründe und ihres Sinns geben ein umfassendes Verständnis dafür, welche Konsequenzen ein Bruch mit ihnen haben kann, und nur dann ist es möglich, zu verstehen, was andere Menschen als unhöflich, respektlos oder unpassend empfinden können.
Gutes Benehmen hat also auch nichts mit »konservativ« zu tun, »lockere Sitten« nichts mit »modern«. In allen Gesellschaften gab und gibt es Ordnungssysteme, die Orientierung für das Verhalten bieten. Auch eine Firma oder eine Familie ist immer eine kleine Welt für sich, mit eigenen Spielregeln und eigener Philosophie, die – wenn auch verdeckt – das geltende Ordnungssystem bestimmen.
Die Beherrschung der gültigen Umgangsformen machte und macht die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsschicht erkennbar. Wie sehr gute Manieren mit Erfolg zusammenhängen, haben nicht nur Eliteforscher wie Michael Hartmann untersucht. Der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth antwortet auf die Frage, »Was entscheidet, wer oben ist und wer unten?«, die ihm von Spiegel-Redakteuren im Januar 2009 gestellt wurde, Folgendes: »Besitz und Macht, dann vielleicht Bildung, mehr noch Herkunft. Das hat etwas mit gelerntem Verhalten zu tun, das durch das Elternhaus vermittelt wird. Warum sind denn so viele Vorstände von Dax-Unternehmen ihrerseits Kinder aus der Oberschicht? Es ist die Fähigkeit, sich so zu bewegen, dass man in einem gehobenen Milieu nicht auffällt.«
Heutzutage sind die gesellschaftlichen Erkennungsmerkmale meist subtiler als in den vergangenen Jahrhunderten, was dazu führt, dass ihre Existenz und Bedeutung fälschlicherweise negiert wird. Die Regeln der Umgangsformen wurden immer differenzierter, um einerseits in der enger zusammenwachsenden Gesellschaft der letzten Jahrhunderte dafür zu sorgen, dass Mitmenschen nicht belästigt wurden, andererseits aber auch, um wie eine Art Geheimcode die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten kenntlich zu machen.
Umgangsformen passen sich den gesellschaftlichen Bedürfnissen und den Veränderungen an. Zum Beispiel haben sich, was die Stellung der berufstätigen Frauen angeht, viele Umgangsformen verändert, vor allem in den letzten dreißig Jahren. Manche andere früher gültige Regel hat heute keinen Sinn mehr. Zum Beispiel das Schneiden von Kartoffeln: Früher liefen Messer beim Kontakt mit der stärkehaltigen Kartoffel an, heute haben wir längst pflegeleichteres Besteck, und das Tabu, Kartoffeln zu schneiden, gilt nicht mehr. Es ist dennoch ein weitverbreiteter Irrtum, zu glauben, »es ändert sich ja dauernd etwas«. Das ist nicht der Fall. Die meisten Regeln sind nicht nur historisch zu belegen, sondern haben auch im 21. Jahrhundert einen handfesten und pragmatischen Grund. Insofern ist es nicht nur peinlich, sondern auch anmaßend, wenn von sogenannten Experten behauptet wird, sie hätten einige Etikette-Regeln geändert. Kennt man die Gründe für die wichtigsten Regeln der Umgangsformen, so ist es auch ein Leichtes, bei gesellschaftlichen Veränderungen selbst darüber zu entscheiden, wie man sich am besten verhält.
Lange Zeit war es in Deutschland unüblich, sich über Etikette-Regeln oder über das Thema »Gute Manieren« zu unterhalten. Es galt als altmodisch, geradezu spießig und irgendwie verdächtig reaktionär, sich darüber Gedanken zu machen. In den letzten Jahren hat sich die Einstellung jedoch geändert. Viele Menschen haben erkannt, dass es ganz ohne Regeln nicht geht, und versuchen nun wieder, ein wenig Struktur in ihre Kenntnisse der Umgangsformen zu bringen – sie lesen entsprechende Ratgeber, besuchen ein Seminar und tauschen sich aus.
Das Lexikon der Benimmirrtümer ist eine Sammlung von Fehlinterpretationen der Umgangsformen, die ich im Laufe der letzten Jahre gesammelt habe. Sie werden hier nur Hinweise zu Umgangsformen in Deutschland finden. Viele davon gelten freilich für den gesamten deutschsprachigen Raum. Dennoch gibt es in Österreich und der Schweiz Unterschiede in manchen Details. Nur in einigen Fällen streife ich Regeln im Ausland. Für einen umfassenden Überblick über Benimmirrtümer im Ausland bräuchte man eine ganze Enzyklopädie …
Sie können das Buch von vorne bis hinten lesen oder sich einen einzelnen Irrtum heraussuchen. Ich habe das Buch so aufgebaut, dass jeder Fall für sich erklärt wird und es nicht nötig ist, zu seinem Verständnis die vorherigen Abschnitte gelesen zu haben. Jedem Kapitel vorangestellt ist ein kleiner Test. So können Sie selbst prüfen, wie gut Ihr Wissen ist. Die Auflösung finden Sie am Ende des Buches.
I
Alltag
Testen Sie Ihr Wissen: Richtig oder falsch?
Wenn jemanden etwas an mir strt, dann wird er es mir schon sagen– so knnte man den wohl entscheidendsten Irrtum in den alltglichen Umgangsformen beschreiben. Viele Menschen gehen flschlicherweise davon aus, sie verhielten sich stets korrekt, denn sonst wrden sie ja auf ihr schlechtes Benehmen hingewiesen. Natrlich, enge Freunde und Partner teilen einander mit, was sie am anderen strt. Selten betrifft das jedoch die Umgangsformen. Zu sehr haben wir das Gefhl, dieses Thema gehe nun doch zu weit, sei zu intim– fast so, als msste man jemandem sagen, er rieche nicht gut. In engen persnlichen Kontakten schlucken zudem viele Menschen ihren rger ber schlechte Manieren der Freunde herunter, weil sie finden, dies drfe einfach keine so groe Rolle spielen, da man ja schlielich befreundet sei.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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