Eva-Maria & WolframZurhorst
Liebe dich selbst
und freu dich auf die nächste Krise
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© 2007 Wilhelm Goldmann Verlag, München
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München.
Lektorat: Julia Eisele
Covergestaltung: UNO Werbeagentur GmbH
ISBN 978-3-641-01525-1
V004
www.goldmann-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
Widmung
Lob
Vorwort
… noch etwas vorweg:
I. TEIL – Auf die innere Stimme hören
1. Kapitel – Meine Ehekrise war mein größtes Geschenk
2. Kapitel – Willkommen im Club!
3. Kapitel – Die Suche nach der Unschuld
4. Kapitel – Es geht nicht darum zusammenzubleiben, es geht darum, sich selbst ...
5. Kapitel – Trennung in der Beziehung – ein echtes Wunderheilmittel
6. Kapitel – Unsere Beziehung heilt von selbst, wenn wir unser Herz und unser ...
7. Kapitel – Vier Prozent contra 96 Prozent oder die Illusion, wir könnten über ...
8. Kapitel – Stille – von uns allen gefürchtet, aber trotzdem das Allheilmittel schlechthin
9. Kapitel – Alleinsein – der einzige Weg zu echter Nähe und Verbindung
II. TEIL – Die Krise im Alltag nutzen
1. Kapitel – Das Geheimnis Ihrer Krise: In ihr verbirgt sich die Antwort auf ...
2. Kapitel – Ihre Krise ist Ihr Spiegel, ob Sie wollen oder nicht
3. Kapitel – Praktisches Krisenmanagement I Verwandeln Sie Ihren Kämpfer in ...
4. Kapitel – Praktisches Krisenmanagement II Machen Sie den Feind zu Ihrem Kind
5. Kapitel – Praktisches Krisenmanagement III Schmerzen verbrennen
6. Kapitel – Die Erfüllung unserer Wünsche – nichts fürchten und verurteilen ...
7. Kapitel – Widerstände – Lassen Sie sich nicht beirren!
8. Kapitel – Emotionen sind keine Gefühle, Emotionen sind Beziehungskiller
9. Kapitel – Eine ganz normale Kindheit... für eine Kinderseele fast immer eine Folter
10. Kapitel – Das Eva Prinzip Oder: ein Loblied auf die Weiblichkeit
11. Kapitel – Auch Singles haben eine Beziehung Auch Getrennte fühlen sich von ...
12. Kapitel – Vergebung heilt alles, vor allem Sie selbst
13. Kapitel – Ein Geständnis zum Schluss: Mein Mann ist doch der Prinz
III. TEIL – Die Krise mit dem Partner nutzen
Einführung – Mein Weg als Mann: voller Widerstand und Überraschungen
Vorwort – Nur ein Kindertraum …?
Von Mann zu Mann – Roland Arndt stellt Fragen
Von Frau zu Mann – Ruth Baunach stellt Fragen
Nachwort
Danksagung
Literaturnachweis und Empfehlungen
Für meine Mutter
Bedenke, dass die beste Beziehung die ist, in der jeder Partner den anderen mehr liebt als braucht.
Dalai Lama
Also ging ich diese Straße lang
und diese Straße führte zu mir
Dieser Weg wird kein leichter sein
Dieser Weg wird steinig und schwer
Nicht mit vielen wirst du dir einig sein
Doch dieses Leben bietet so viel mehr
Xavier Naidoo
Vorwort
Nur Sie können es tun
Ich weiß, viele Menschen erhoffen sich von diesem Buch eine praktische Fortsetzung von Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest und eine konkrete Hilfe für ihre Beziehung. Mehr denn je bin ich zwar davon überzeugt, dass die meisten Scheidungen überflüssig sind. Dass Trennung meist nur eine Vertagung der Heilung ist. Dass Ihre Beziehung – egal wie unüberwindbar Ihnen die Krise gerade erscheint – der großartigste Ort der Heilung ist. Aber mehr denn je möchte ich Ihnen sagen: Ich kann Ihnen nicht wirklich helfen. Und heilen kann ich Sie schon gar nicht. Nicht mal gute Ratschläge von mir taugen etwas für Ihr Leben, weil Ihr Leben nicht mein Patentrezept, sondern Ihre Liebe und Zuwendung braucht.
Warum dann trotzdem noch ein Buch? Weil ich Ihnen so gerne sagen möchte: In Ihrem Inneren finden Sie alles, was Sie brauchen. Und dieses Buch weist Ihnen den Weg dorthin.
Nachdem ich so oft gelesen und gehört habe: »Im Buch stand … Eva-Maria Zurhorst hat aber gesagt … Die Autorin meint …« kann ich Ihnen nur versichern: Ich habe nichts, was Sie nicht auch hätten. Ich selbst war nie anfällig für Gurus. Für mich funktioniert das nicht, weil ich finde, dass sie einen nur zu leicht von der eigenen Kraft und Liebe ablenken. Daher bin ich auch völlig ungeeignet, selbst ein Guru zu sein.
Ich bin nicht besser oder weiter als Sie. Sie ahnen gar nicht, wie oft ich mir selbst meine eigenen, theoretischen Erkenntnisse hinter die praktischen Ohren schreiben muss. Wie oft ich mich einsam und verloren fühle und wieder nach meinem Weg suche. Und manchmal, wenn das Schreiben tief aus meinem Inneren fließt, dann lausche ich fasziniert und denke: Was du da gerade für die Leser schreibst, das schreibst du auch an dich selbst.
Das Spannende an dieser Arbeit ist, dass man immer Schüler und Lehrer zugleich ist. So verwirrt Sie sich im Moment vielleicht fühlen, ein Teil von Ihnen kennt innerlich längst all das, was ich schreibe. Sonst würden Sie jetzt gerade nicht meinen Worten folgen. Und ein Teil von mir wiederum irrt noch durch die Gegend und sucht nach Antworten. Sonst würde ich nicht immer so lange grübeln, ausprobieren und aufschreiben.
Ich kann nur meine Erfahrung mit Ihnen teilen. Der Rest liegt bei Ihnen: Hören Sie auf Ihre eigene innere Stimme. Lauschen Sie genau, ob es da etwas in Ihnen gibt, das in Resonanz geht, wenn ein anderer etwas sagt oder schreibt.
Ich selbst habe mein Leben lang da draußen nach Hilfe gesucht. Habe schon einige Male in meinem Leben bewegt die letzte Seite eines Buches zugeklappt und geglaubt, endlich den einen Ansatz, die eine richtige Methode entdeckt zu haben, die wirklich funktioniert. Eine Zeit lang war ich Seminartourist, immer in der Hoffnung, dort irgendeinen Durchbruch und die entscheidende Lösung zu finden. Heute bin ich dankbar für all diese Erfahrungen. Aber ich weiß, es gibt nicht den einen Ansatz, die eine Methode, die eine Lösung.
Es ist gut, wenn man an Scheidewegen des Lebens Unterstützung von außen bekommt. Es kann etwas lösen, wenn ein erfahrener Mensch einem hilft, einen neuen Blick auf die Dinge zu finden. Es ist gut, wenn man in einem therapeutischen Raum alten, verborgenen Schmerz wieder ins Bewusstsein zurückbringen kann. Aber am Ende kann man da draußen nur Hebammen finden.
Wenn ich zurückschaue, brachte mir mein Suchen nach Hilfe etwas viel Kostbareres als das, wonach ich eigentlich gesucht hatte: Ich machte Erfahrungen und erlebte Begegnungen, die mich im Herzen berührt und fast unmerklich erweitert haben. Manchmal reichte ein Satz, ein Blick, eine Berührung, ein Moment, da klickte etwas ein in mir und erreichte mich auf einer tieferen Ebene. Und danach war mein Leben nicht mehr ganz so, wie es war. Etwas in mir hatte sich geöffnet, von dem ich vorher nicht einmal wusste, dass es da war. Einfach so! Kein Ansatz, keine Methode, keine Lösung, nur ein Weg.
Deshalb kann ich auch dieses Buch erneut nur aus vollem Herzen schreiben und mir wünschen, dass ich Sie in Ihrem Herzen berühre. Ich kann Ihnen nur ehrlich sagen, dass mein Leben auch immer wieder durcheinandergewirbelt wird und gerade seit Erscheinen meines letzten Buches alles andere als ein sanfter, friedvoller und gleichförmiger Fluss war. Tatsächlich ist seitdem vielmehr ein Orkan durch unser Leben gefegt, der mir jede Menge neue Entdeckungen beschert und mindestens genauso viele alte Ängste nach oben gespült hat. Der meinen Mann und mich auf unserem Weg wieder ein Stück weiter getragen und uns noch klarer gezeigt hat, dass sich in einer Beziehung immer neue Herausforderungen und damit immer neue Öffnungen ereignen können.
So bin ich mehr denn je überzeugt, dass die Ehe wirklich ein Abenteuer sein kann, das einen mit einigen der tiefsten Geheimnisse des Lebens konfrontiert. Und dass all das, was mir zugeflossen ist, auch in Ihrem Leben möglich ist. Ich kann Ihnen mit aller Leidenschaft und Erfahrung sagen, dass alles noch viel weiter gehen kann, als Sie vielleicht gerade glauben. Dass so unendlich viel mehr Liebe, Nähe, Spaß und Zärtlichkeit zwischen Ihnen und Ihrem Partner möglich ist, als Sie sich im Moment vorzustellen wagen.
Aber eins kann ich nicht: Ich kann den nächsten Schritt nicht für Sie gehen. Das kann niemand. Wenn Sie wirklich Ihr Leben verändern wollen, dann gibt es nur ein Wundermittel: Sie müssen es tun!
Werden Sie wach, übernehmen Sie die Verantwortung, und seien Sie bereit, die Prioritäten für Ihre Beziehung und Ihre innere Erfüllung neu zu setzen. Das braucht Beharrlichkeit, Konsequenz und Mut und ist nichts für Halbherzige.
Je mehr ich mich mit Menschen und ihren Beziehungen beschäftige, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass es nicht die großen Dramen und die von anderen gebauten unüberwindbaren Mauern sind, die uns daran hindern, unser Glück in Beziehungen zu finden. Es sind nicht heimtückische Dämonen, furchterregende Monster und unbesiegbare Drachen, die uns in Abhängigkeit, Einsamkeit, Ohnmacht und Trennung bringen. Der größte Übeltäter, dem ich tagtäglich in meiner Arbeit begegne, ist eine bedeutend kleinere Monster-Spezies. Es ist der innere Schweinehund. Seine schärfsten Waffen sind Gewohnheit, Ablenkung, Verdrängung und Ersatzbefriedigung.
Liebe dich selbst und freu dich auf die nächste Krise lautet der Titel dieses Buches. Ich will damit sagen, dass die aufregendsten und faszinierendsten Chancen auf Erfüllung direkt vor unserer Nase liegen – auch wenn wir sie vielleicht nicht immer gleich als solche erkennen. In unserem täglichen Leben, in unserer gewohnten Beziehung wartet das größte Abenteuer überhaupt auf uns – spannender als jede leidenschaftliche Affäre, jede Reise ans andere Ende der Welt, jede noch so große berufliche Herausforderung, jeder alles überragende Erfolg. Aber selbst wenn Sie jetzt begeistert nicken: Einverständnis mit diesem Ansatz allein verändert nicht ihr Leben.
Einverständnis ist nur die Eintrittskarte in eine neue Welt. Danach braucht es Geduld, Mut, Risikobereitschaft und vor allem die Bereitschaft, all das Neue wieder und wieder auszuprobieren und zu üben. So werden sicher einige von Ihnen ungeduldig mit den Hufen scharren, während ich manche Zusammenhänge immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchte, um damit einen inneren transformativen Prozess zu aktivieren und unterschiedliche Ebenen Ihres Bewusstseins mit neuen Informationen zu erreichen. Ihr Geist wird manchmal unruhig werden oder sich von den Wiederholungen vielleicht gelangweilt fühlen. Aber ich habe einfach zu oft schon Menschen gesehen, die den Sprung aus einer großartigen neuen Erkenntnis nicht in ein großartiges neues Leben geschafft haben. Banale Dinge wie mangelnde Übung und Wiederholung waren der häufigste Grund dafür. Im Laufe meiner Arbeit hat sich daher aus den vielen Gesprächen ein Satz entwickelt, den ich Menschen oft so oder so ähnlich mit auf den Heimweg gebe:
Wenn du willst, dass sich dein Leben ändert, dann ändere dein Leben.
Ich weiß immer noch, dass es geht. Ich weiß allerdings auch: Es braucht Ihre ganze Hingabe.
Wuppertal, im März 2006
Eva-Maria Zurhorst
… noch etwas vorweg:
Nicht mehr ICH, sondern WIR!
Im Vorwort kam ich diesmal einige Male ins Stocken. An einigen Stellen steht da jetzt noch ein »Ich«, an denen ich spontan schon ein »Wir« hätte schreiben wollen.
Also, um Sie auf den neuesten Stand meiner Ehe zu bringen: Der, für den das alles, worüber ich hier schreibe, einst nur Psychokram war. Der, der jahrelang gezwungenermaßen Zaungast am Rande dieses Weges war. Dieser Mann hat nicht nur, wie Sie in groben Zügen vielleicht schon wissen, den Weg zurück in unsere Beziehung gefunden. Dieser Mann verbringt heute auch mehr Zeit mit Menschen in – mittlerweile – unserer Praxis als ich. Das hätte nicht einmal ich damals beim Schreiben für möglich gehalten. Mein Mann hat nicht nur zu mir zurückgefunden. Er hat auch auf ganz neue Art seinen Platz in unserer Familie eingenommen und sich entschieden, seine Erfahrungen ebenfalls auf diesem Weg weiterzugeben. Auch wenn Sie ihn nicht kennen, können Sie sich wahrscheinlich gut vorstellen, dass das eine ziemliche Herausforderung für uns zwei war. Ehrlich gesagt grenzt es für mich rückblickend manchmal an ein Wunder. Oder besser an eine Verkettung von Wundern und überraschenden Entwicklungen, die wir Ihnen im Weiteren schildern möchten.
Mein Mann hat an diesem Buch (dem dritten Teil am Ende) mitgeschrieben. So oft haben Frauen zu mir gesagt: »Klar. Was Sie da sagen, leuchtet ein. Aber wie in aller Welt haben Sie Ihren Mann überzeugen können, diesen Weg mitzugehen?« Und wenn bei Männern nach anfänglicher Skepsis irgendwann das Stirnrunzeln nachgelassen hatte, lautete oft ihre Frage: »Na gut, könnte was dran sein … Aber wie mache ich das nun im richtigen Leben mit dem Liebedichselbst …?«
Mein Mann kann am besten selbst erzählen, wie er auf diesen Weg gefunden hat und wie er das heute im richtigen Leben so macht. Ich kann hier nur noch sagen, dass ich unendlich glücklich und dankbar bin, dass wir beide hier nun gemeinsam stehen. Dass unser beider Kräfte in dieses Buch fließen wird hoffentlich nur noch authentischer erfahrbar machen, dass in Beziehungen nicht zwei Geschlechter oder gar zwei Fronten am Werke sind. Sondern dass wir uns – egal ob Mann oder Frau – nach dem Gleichen sehnen: Nach Angenommenwerden, so wie wir sind, und nach bedingungsloser Liebe.
I. TEIL
Auf die innere Stimme hören
1. Kapitel
Meine Ehekrise war mein größtes Geschenk
Hängen Sie gerade fest? Haben gerade das Gefühl, dass das Leben Ihnen einfach den Boden unter den Füßen wegzieht? Dass alles, woran Sie geglaubt haben, zusammenbricht? Oder geht Ihnen die Puste aus? Jagt immer öfter durch Ihren Kopf: Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Immer der gleiche Mist. Warum hört das ganze Elend denn nicht endlich auf? Warum finden wir einfach nicht zueinander? Warum ist da diese Distanz? Warum ist da immer wieder dieser Schmerz? Warum immer wieder Krieg, Sprachlosigkeit und leere Rollen? Kommen Sie sich vor wie jemand, der die Ausfahrt aus dem Kreisverkehr einfach nicht findet? Hoffnungsloser Dauersingle? Aussichtslose Dauerbeziehungskrise? Perspektivlose Daueraffäre? Deprimierende Dauereinsamkeit?
Was auch immer es ist – Sie haben genau die Krise, die Sie jetzt gerade in Ihrem Leben brauchen. Im Ernst: Ich bin von Tag zu Tag immer mehr davon überzeugt, dass unsere Krisen wahre Geschenke sein können. Heute weiß ich: Auch ich hatte genau die Krise, die ich brauchte. Meine schmerzliche, immer wieder aufs Neue absolut ausweglos erscheinende, Jahre währende Ehekrise war aus heutiger Sicht ein Geschenk des Himmels. Wo sonst hätte ich so viel lernen können über mich, über Beziehungen und das Innere der Menschen? Wie sonst hätte ich solche Kräfte entwickeln können, über meine scheinbaren Beschränkungen hinauszuwachsen? Wie sonst hätten mein Mann und ich entdecken können, dass unsere Verbindung so viel tiefer geht, als wir es je geahnt hätten? Woher sonst hätte ich heute so viele authentische Erfahrungen in Sachen Ehekrise, um sie an andere Menschen weiterzugeben? Wie sonst hätte ich Mitgefühl entwickeln können für andere, die auch nicht mehr weiter wissen? Wie sonst sollte ich Hoffnung geben können, wenn ich nicht selbst Schmerz und dessen Heilung erfahren hätte?
Im Chinesischen wird der Ausdruck für Krise mit zwei Schriftzeichen geschrieben. Das erste Zeichen steht für »Gefahr«, das zweite für »Chance«. Ja, unsere Krisen bergen Gefahren in sich. Sie bedrohen unsere Gewohnheiten und Sicherheiten. Sie zwingen uns in die Bewegung. Sie bringen erschütternde Kräfte in unser Leben. Das alles sorgt für eins: Wir verlieren die Kontrolle. Gott sei Dank! Denn endlich bekommt unsere Rolle Risse. Endlich kommen unsere Gefühle in Bewegung und alter Schmerz an die Oberfläche. Alles wird lebendig und unmittelbar. Wir werden gezwungen, den sicheren, statischen Raum der reinen Erkenntnis in unserem Kopf zu verlassen. Und das ist die große Chance, die in der drohenden Gefahr verborgen liegt.
Mittlerweile ist das Wissen über das, was uns guttäte, in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Über das, was unser Körper, unsere Seele, unser Herz und unsere Beziehung braucht. Aber gibt es auch genug Menschen, die dieses Wissen leben? Die Krise zerrt die Erkenntnis aus unserem Kopf in unser Herz und in unseren Körper. Sie bringt uns dazu, für unseren Glauben einzustehen, Risiko zu wagen, Grenzen zu ziehen oder sie zu überwinden und so unser Leben zu verändern. Sie sorgt für all das, wonach wir uns gesehnt, was wir uns aber nie getraut haben. Und damit halte ich sie für ein geradezu überlebenswichtiges Hilfsmittel.
Wenn wir leise werden und aufhören, uns gegen die Krise zu wehren, dann ist sie ein heilsames Geschenk von unglaublicher Präzision. Wir müssen sie nur mit aller Hingabe studieren und ihre Botschaft wahrzunehmen lernen, dann hilft sie uns, zu wachsen und weiterzugehen. Und lehrt uns Fähigkeiten, von denen wir nicht einmal ahnten, dass sie in uns schlummerten. Geschweige denn, dass diese so kraftvoll sind, dass sie unser Leben und das anderer befreien können. Nicht nur aufgrund meines eigenen Lebensweges bin ich der Meinung, dass durchgestandene Krisen uns zu unserer wahren Lebensaufgabe führen.
Denken Sie an Nelson Mandela, der gefoltert und inhaftiert wurde. Der einen Großteil seines Lebens im Gefängnis verbringen musste. Der seine Familie und seine Freunde verlor. Er ist an alldem nicht verbittert und zerbrochen. Es hat ihn und seinen Glauben an Gerechtigkeit und Freiheit noch gestärkt. So sehr, dass er ein ganzes Volk in die Freiheit führen konnte.
Oder Hermann Gmeiner. Er verlor seine Mutter, als er gerade mal fünf Jahre alt war. Später gründete er die SOS-Kinderdörfer. Sicher fallen Ihnen auch noch ein paar andere Menschen – vielleicht sogar weniger berühmte, des Heldentums unverdächtige – ein, die an Begrenzungen und Schicksalsschlägen gewachsen sind. Auch sie könnten Ihnen einen neuen Blick auf die Sackgasse in Ihrem Leben bescheren. Nämlich: okay, ich stecke fest. Aber genau das ist meine große Chance!
Es gibt eine Internetseite mit dem Namen »Die Hausfrauenrevolution«, initiiert von der Schauspielerin Marie Theres Kroetz-Relin. Tausende von Hausfrauen tauschen sich dort aus und machen sich Mut. Ich halte zwar nichts von der Polarisierung zwischen Hausfrauen und irgendwelchen anderen Frauen. Und ich halte mich auch nicht für so kämpferisch wie Frau Kroetz-Relin. Aber die grundsätzliche Idee hat mich fasziniert. Die Beziehungsrevolution! Die würde ich gerne anzetteln. So ließen sich direkt aus unseren Wohn- und Schlafzimmern erst die Kinderzimmer und damit die ganze Welt revolutionieren. In unseren unmittelbaren Beziehungen können wir dem Leben so nahekommen wie nirgendwo sonst. Da könnten echte Veränderungen ihren Anfang nehmen, die alle anderen Lebensbereiche wie eine gewaltige, aber sanfte Woge mit sich nähmen. Wir alle mit unseren Beziehungskrisen wären eine verdammt große Bewegung, Vorreiter und Revolutionäre in Sachen Verbindung.
Aber mal ehrlich, was machen immer noch die meisten von uns stattdessen? Wir rennen weg, lenken uns ab oder verkümmern resigniert. Wir lassen uns scheiden. Sind mit unseren Jobs verheiratet. Bleiben sichere Dauersingles. Flüchten in Affären. Drücken unsere letzten unkontrollierten Gefühle mit allen möglichen gesellschaftsfähigen Alltagssüchten weg.
Ich bin kein Moralist. Und ich mag mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie es um uns stünde, wenn Trennungen, Affären, Alltagsdrogen, Internetsex, Pornos und alle berieselnden Fernsehapparate verboten würden. Wahrscheinlich würde die Gewalt überall in unserer unmittelbaren Umgebung schlagartig explodieren.
Gerade habe ich mich zum Schreiben in ein stilles Hotel in der ägyptischen Wüste zurückgezogen. Da sitzt seit einer Woche Abend für Abend ein vielleicht vierzigjähriger Mann nicht weit von mir beim Essen. Wenn er sich an den Tisch setzt, wippt sein Knie in schnellem Tempo so stark auf und ab, dass immer das ganze Tischtuch mitzittert. Dann gibt er seine Bestellung auf: eine Flasche Rotwein. In dem Maße, wie er den Wein leert, meist zügig, lässt die Spannung in seinem Körper nach, und das Knie hört langsam auf zu wippen.
Eine Flasche Wein. Nichts Tragisches. Vielleicht sogar ein Geschenk für ihn und seine Umwelt, wenn man sich vorstellt, was aus dieser gewaltigen Körperspannung entstünde, würde sie auf diesem Wege nicht regelmäßig gelöst. Genauso erzählen mir Frauen manchmal, wie sie lieber stillschweigend dulden, dass ihr Mann fast täglich auf irgendwelchen Sexseiten im Internet rumsurft: »Sonst wäre er ja kaum auszuhalten, würde mich ständig belagern oder verlassen.«
Vieles in unseren Beziehungen dient auf einer tieferen Ebene dazu, uns aus einem inneren Spannungsfeld zu befreien. Wenn man zum Beispiel all die Affären und Dreiecksgeschichten ohne erhobenen Zeigefinger betrachtet, kann man sehen, dass sie oft Ventilfunktion haben. Vor allem bei den Männern steigt der Druck im Job oft ins Unerträgliche. Wenn dann zu Hause auch noch eine Familie mit wachsenden Ansprüchen wartet und eine enttäuschte Partnerin immer mehr um Aufmerksamkeit ringt, je weniger sie bekommt, dann sehen viele als einzigen Ausweg nur noch, dem Druck auszuweichen.
Mitten in dieser Zerreißprobe trifft Mann auf unabhängige, lebenshungrige Frau jenseits all der Ansprüche, Routine und Verpflichtungen. Endlich kann er sich fallen lassen. Und die ausgehungerten Ehefrauen zu Hause wundern sich, wie der sonst privat und beruflich so zwanghafte Mann auf einmal alles locker nimmt, pinkfarbene Pullover trägt oder sich ein Zweisitzercabrio kauft. Die betroffenen Männer beschreiben mir, dass sie sich seit Jahren nicht mehr so frei, gelöst und kritiklos akzeptiert gefühlt hätten wie mit der Geliebten. Und wenn es dann mit der Zeit immer wieder neue Geliebte gibt, ist von »kleinen Nischen ohne Anforderung« oder von »Inseln der Freiheit« zu hören, die Mann sich einfach nicht nehmen lassen will.
Bevor Sie mir jetzt vorwerfen, ich schriebe hier gerade Klischees auf. Mir begegnet dieses Muster einfach immer wieder bei meiner Arbeit. Oft sind es gerade die Menschen, die an sich selbst hohe Anforderungen stellen und in einem engen Gefüge aus Regeln und Pflichten leben, die ihren einzigen Freiraum nur noch auf geheimen Inseln der Leidenschaft, in verborgenen Lebensnischen oder bei Geliebten jenseits aller Ansprüche finden.
Natürlich ist die Affäre nicht nur für Männer der Fluchtweg aus dem Alltag. Frauen erzählen mir zwar selten von immer wieder neuen Affären. Aber sie brennen genauso wie die Männer, wenn Sie von der Freiheit, der Leidenschaft, Gelöstheit und dem selbstverständlich entspannten Gleichklang mit ihren Geliebten erzählen.
Auch das nahtlose Wechseln von einer Beziehung in die nächste hat oft als Hintergrund, dass wir um jeden Preis eine Konfrontation mit äußeren Ansprüchen und inneren Ängsten vermeiden wollen. Erst diese Woche war ein Bekannter da, der sich gerade nach Jahren getrennt hatte. Auf die Frage, was er denn jetzt vorhabe, meinte er: »Ich suche mir zuerst mal was ohne jeden Anspruch, einfach nur fürs Körperliche …« Am gleichen Tag saß in meiner Praxis ein Mann und weinte bittere Tränen, weil seine Frau ihn nach fast dreißig Jahren überraschend verlassen hatte. Dann setzte er sich auf einmal gerade auf und sagte bestimmt: »Wenn sie bis Weihnachten nicht wiederkommen sollte, dann habe ich allen Grund, mir eine Neue zu suchen. So alleine kann ich einfach nicht leben.«
So groß der Schmerz des Verlustes sein mag, so schwer der Schritt in die Trennung auch fällt – kaum ist dadurch eine Lücke in unserem Leben entstanden, wird diese nur allzu oft nicht etwa als Raum für Trauer, Korrektur und Neuausrichtung verstanden. Vielmehr heißt es fast sofort: »Wo könnte jemand sein, der meine Lücke wieder füllen könnte?« Kaum jemand geht an dieser Stelle ehrlich mit sich um und gesteht sich ein: Hier geht es vor allem um meine Lücke. Mit Liebe in ihrem freien und gebenden Sinne hat das wenig zu tun. Da ist diese unerträgliche Leere und dieses Gefühl des Alleinseins. Das muss weg. Und dazu braucht es einen anderen.
Es ist gut, einmal ehrlich auf dieses ganze Dilemma zu schauen. Daher lautet die Frage, um die es mir diesmal geht und die ich spannender finde als die Beschäftigung mit Beziehungs-Shopping, Seitensprüngen und Flucht in Konsum, Ablenkung oder Betäubung: Wie kann ich die Lebendigkeit zurück in mein Leben bringen, da wo ich gerade bin? Mein Vorschlag: Eignen Sie sich eine völlig neue Sicht auf Krisen an. Ganz egal ob in Beziehungen, im Beruf, in unserem Körper oder unserer Seele – Krisen sind kostbare Geschenke des Lebens an uns. Krisen fordern uns auf, aufzuwachen, aufzustehen und unserem Inneren zuzuhören.
Mit diesem Buch möchte ich Sie auf den Geschmack für diese auf den ersten Blick schwerverdauliche Kost bringen: dass unser Alltag mit seinen Krisen und Stillständen einfach nur ein Teil des Menschseins ist, von dem niemand verschont bleibt. Aber gerade mit diesen Krisen, Engpässen und Sackgassen kann der Alltag ein echtes Abenteuer sein – spannender als jede Affäre. Allerdings ist es dazu höchste Zeit für eine veränderte Sicht auf die Dinge.
Wir suchen alle nach Abenteuern, nach Befriedigung und Zuwendung, täglichen kleinen Kicks, manchmal nach großer Ekstase, nach neuen Events, tollen Feiern und möglichst viel Anregung, Ablenkung und Abwechslung. »Irgendwie kann das doch nicht alles gewesen sein?!« So oft habe ich diesen Satz schon gehört. »Meine Beziehung ist eingeschlafen … eintönig … die Luft ist raus … der Kick fehlt …«
Jedes Jahr lassen sich hierzulande rund 200 000 Paare scheiden. Wenn man genauer hinschaut, findet man noch weitere wenig Mut machende Zahlen. Während rund 40 Prozent aller Erst-Ehen in die Brüche gehen, sind es bei den Zweit-Ehen schon 60 Prozent. Noch um ein vielfaches höher ist die Scheidungswahrscheinlichkeit, wenn Partner sich wegen einer Dreiecksbeziehung von ihrem Partner getrennt und den ehemaligen Geliebten anschließend geheiratet haben. In einer Statistik habe ich in diesem Zusammenhang gelesen, dass tatsächlich nur fünf Prozent dieser Nachfolge-Ehen überstehen. Mich wundert dieses drastische Ergebnis nicht, weil ich immer wieder erlebe, dass die Dreiecksbeziehung oft von einer starken Polarisierung lebt. Fällt mit dem einen Partner der Gegenpol weg, steht der neue Partner alleine auf Dauer ziemlich auf der Kippe.
Der letzte traurige Rekord in Sachen Scheidung, den ich hier nicht unerwähnt lassen möchte: Nie haben sich so viele Paare im Alter getrennt wie heute. Nach zwanzig oder dreißig Jahren sagen meist die Frauen: »Jetzt ist Schluss! Ich will endlich frei sein und noch mal was erleben.«
Ich weiß, wie viel Courage es für einen solchen Schritt braucht. Und ich weiß, nichts braucht diese Welt mehr als mutige Menschen, die sich aus dem angepassten Funktionieren befreien. Aber egal, wie alt die Menschen sind, mit denen ich rede, und egal, wie lange ihre Beziehung gedauert hat, es scheint, dass die meisten mit ihrer Trennung eher resigniert die Flucht antreten, als dass sie wirklich einen bewussten Aufbruch wagen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Es geht mir hier nicht darum, mit erhobenem Zeigefinger düstere Szenarien zu entwickeln. Ich bin einfach nur unzählige Male gefragt worden: »Wieso hat es denn bei Ihnen geklappt und bei mir nicht?« Oder ich habe gehört: »Na ja, du bist einfach ein Glückskind … Ach, bei euch hat es eben doch gepasst. Da ist es einfach gut gegangen …« Ich kann hier nur sagen: Meine Ehe hatte nichts, aber auch rein gar nichts Privilegiertes oder besonders Romantisches. Und auch sonst hatte ich das Glück keineswegs abonniert. Mein Leben hat jede Menge Herausforderungen für mich bereitgehalten. Und eine der größten war sicher die Ehe mit meinem Mann. Bei uns ist es nicht einfach nur gut gegangen. Bei uns hat es weiß Gott auch nicht einfach nur gepasst. Es gab auch kein besonderes Geheimnis zwischen meinem Mann und mir, wie manche gerne vermuten. Vielmehr gab es immer wieder Scheidewege, an denen auch mir meine sämtlichen inneren Monster aufgelauert und zugerufen haben: »Vergiss es, und such dir endlich einen anderen.« Hoffnungslose Phasen, in denen ein Teil von mir völlig überzeugt davon war, dass wir keine Chance mehr hatten.
Aber genau hier liegt der springende Punkt. Wenn die Beziehung sich in einen solchen Engpass hineinbewegt, dann ist das nicht das Ende, sondern eher so etwas wie eine Wehe vor der Geburt. Da muss man ganz und gar hinein in die schmerzhafte Enge, damit sie sich endlich verwandelt in eine Öffnung, durch die etwas Neues geboren werden kann. Wenn die Krise zunehmend unerträglich wird, dann gibt es immer einen Punkt, an dem man sich bewusst entscheiden muss: Entweder kann man sich jetzt ablenken, um den Schmerz nicht zu merken, oder man geht mitten hinein und erlebt das ganze Drama, all die Ängste und Urteile – in sich SELBST.
Leider ist es für die meisten von uns immer noch selbstverständlich, sich an der Stelle, wo der Schmerz sitzt, für Ablenkung oder Flucht zu entscheiden: noch ein Bierchen, noch mal Fernsehen, noch mal ein Stündchen mit der Freundin telefonieren, nur nicht die Leere wahrnehmen und sich ihr stellen. Da erscheint es auf dem Höhepunkt der Krise wichtiger, den Job, den Freundeskreis, die gesellschaftliche Anerkennung oder die Unabhängigkeit zu behalten, als das Leben einer Revolution für die Liebe zu unterziehen. Während es eigentlich höchste Zeit gewesen wäre, volles Risiko einzugehen, mutige Gespräche zu führen, über sich hinauszuwachsen und sich trotz seiner Angst einzulassen, entscheiden sich viele dann doch lieber dafür, den Verlockungen im Außen nachzugeben. Doch wieder den heimlichen Geliebten treffen, um nur noch einmal mit ihm die ganze Leidenschaft zu spüren. Doch lieber die Einladung annehmen und entspannt, aber belanglos plaudern. Lieber feiern und den Stress runterspülen bis zum Kater am nächsten Morgen …
Dies ist die offensichtliche Variante der Ablenkung vom Problem. Genauso häufig, aber nicht immer genauso offensichtlich gibt es noch eine andere Möglichkeit, sich selbst aus dem Weg zu gehen: Wir erstarren in Routine und funktionieren einfach. Auf dem Höhepunkt ihrer Beziehungskrise machen viele einfach weiter wie immer. Nur noch dieses eine wichtige Projekt in der Firma abschließen, dann kümmere ich mich mehr um die Familie … Diesen Sommerurlaub noch ungestört wie immer, danach rede ich mit ihm … Schließlich ist Weihnachten, da soll doch alles friedlich sein … Mich mit der Krise auseinandersetzen? Das lässt meine Arbeit nicht zu … Ach, ich kann sowieso nichts machen … Das ist nun mal so … So bin ich nun mal …
Oft sind es die Kinder, die in dem Ganzen als Erste alle viere von sich gestreckt, das Bett genässt, in der Schule versagt, sich mit anderen geprügelt oder das Essen verweigert haben. Während die zerstrittenen Eltern weiter ihren Verurteilungen und Kleinkriegen freien Lauf lassen. Oder resigniert weiter ihren Einladungen, ihren Zwölf-Stunden-Jobs oder ihren eingefahrenen und perfektionistischen Vorstellungen vom Leben nachkommen.
Ich muss diesen Punkt gleich hier am Anfang loswerden, sonst wird Ihnen dieses Buch nichts nützen: Ihre Beziehung ist nicht deshalb so leer, weil der Himmel Ihnen einfach nur den falschen Partner untergeschoben hat wie ein Kuckucksei. Auch nicht, weil alles in Ihrer Kindheit schiefgelaufen ist. Ihre Beziehung kann nichts dafür, dass sie in der Krise steckt. Während die Ärmste angeblich unser aller Problem sein soll, ist sie in Wahrheit nichts weiter als ein leeres Gefäß. Der Inhalt sind Sie (und Ihr Partner, Ihr Geliebter, Ihr Verflossener, die Ersehnte). Ihre Beziehung ist nur ein Messinstrument. Ihr Zustand zeigt Ihnen an, wie sehr Sie mit sich selbst in Kontakt sind. Wie viel Sie tatsächlich von Ihrem Potential und Ihren Gaben leben und wie mutig Sie Ihrem Herzen folgen. Meist ist die Beziehung so tot, weil Sie einfach nicht mehr in ihr leben. Weil Sie alles Mögliche wichtiger nehmen als sich selbst. Weil Sie sich mit allen möglichen Dingen da draußen ablenken von dem, was da drinnen scheinbar Unüberwindbares auf Sie wartet.
Es gibt Phasen im Leben, da muss man einfach das Neinsagen lernen. Nein zum nächsten Kaffeekränzchen, nein zum nächsten Meeting, nein zum Chef, zum nächsten Urlaub, zur nächsten Party, zum nächsten Ehrenamt, zum nächsten Marathonlauf, zur nächsten Familienfeier, zu den Eltern, den Kindern, den Freunden. Und schon landet man dort, wo es so wehtut: Mitten in der Beziehung. Und da heißt es dann dableiben und sich dem ganzen Elend stellen. Es geht nicht darum, sofort für alles eine Lösung parat zu haben. Es geht zuerst einfach nur darum, aus der Abwehr und der Ablenkung auszusteigen, mitten im Schlamassel anwesend zu sein und die eigene Hilflosigkeit endlich wahrzunehmen. Die ganze Traurigkeit, die ganze Wut, die ganze Ohnmacht nicht mehr länger zu verdrängen, sondern wirklich zu spüren und anzunehmen. Sie glauben gar nicht, wie lebendig Ihr Leben sofort wird. Von einem Moment zum anderen verwandelt es sich in ein echtes Abenteuer, wenn Sie endlich den Mut finden, sich dort umzuschauen. Sie werden feststellen, dass an diesem Ort einer schon lange gebraucht wird – nämlich Sie.
Nur allzu gut weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es nicht im Geringsten reicht, wenn man einmal ein klärendes Gespräch führt, ein paar Wochen kürzertritt oder mal eine Paartherapie macht. Ehrlich gesagt handelt es sich um nicht weniger als eine Lebensaufgabe. Immer wieder aufs Neue ist man gefordert, aufzustehen und darauf zuzugehen, wenn alles verhärtet und auf Trennung aus ist. Ich habe einmal zu einem Freund in einer sehr verhärteten Beziehungskrise gesagt: Glaubst du, der Zustand dieser Welt verändert sich, wenn George Bush einmal auf Saddam Hussein zugeht? Um dem Frieden in dieser Welt auch nur einen Schritt näher zu rücken, müssten beide wohl ihr ganzes Leben der Friedensvermittlung widmen. Sie müssten bereit sein, unzählige Rückschläge in Kauf zu nehmen und mit immer neuer Abwehr, mit Hass, Lügen, Unverständnis, Rechthaberei und Urteilen beim anderen und Ohnmacht, Wut, Allmachtsfantasien und Aggressionen bei sich selbst konfrontiert zu sein. Sie müssten sich hunderte, vielleicht tausende Male überwinden und wieder und wieder aufeinander zugehen, damit sich auf dieser Welt etwas verändert.
Wenn Sie jetzt also einfach nur dieses Buch lesen, von nichts Gewohntem loslassen, sich weiter im Alltag oder in Attacken verlieren und nicht auf das, was da in Ihrer Beziehung ansteht, mit Achtsamkeit zugehen – dann werden Sie im Zweifel wissender, aber unzufriedener sein. Sie kennen dann die Alternativen, aber Sie wissen, dass Sie vor den Konsequenzen wegrennen. Noch einmal: Es gibt kein Geheimnis – dafür aber ein alltägliches Übel, das unsere Beziehungen so sehr schwächt: Die Ablenkung. Ihr nicht weiter verfallen zu wollen ist so sehr die Grundvoraussetzung für die Heilung von Partnerschaft wie die Anschaffung eines Fahrrades, wenn Sie Fahrradfahren lernen wollen. Für beides ist es nie zu spät.
2. Kapitel
Willkommen im Club!
Bis hierher habe ich versucht, mit aller Leidenschaft deutlich zu machen, dass die Heilung Ihrer Beziehung nicht einfach eine Einsicht braucht. Sie braucht SIE mit Haut und Haaren. All Ihre Hingabe und Ihr Engagement. Und trotzdem heißt das nicht, dass Sie kämpfen müssten und sich disziplinieren. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, dass Sie sich endlich wirklich einlassen und gleichzeitig von vielem Vertrautem loslassen. Ich weiß, dass das für unseren Kopf ein Paradoxon ist. Dass dieser Ansatz bei vielen Lesern von Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest, meinem letzten Buch, zwar das Herz berührt hat. Aber bei der Frage der Umsetzung wurde es für viele verwirrend. Hunderte von Malen ist mir die Frage gestellt worden: »Ja, ich will diesen neuen Weg durch meine alte Beziehung nehmen. Mir ist jetzt klar, dass Weglaufen und Trennung nicht die Lösung sind. Dass es tatsächlich einen Ausweg aus unserer Sackgasse gibt. Dass Annahme und Vergebung nichts mit Selbstaufgabe zu tun haben, sondern ziemlich kraftvolle Werkzeuge sein können. Hab ich alles verstanden. Aber wie nur kann ich es tun? Wie geht dieser Weg im Alltag?«
Oder geht es Ihnen eher so wie der zweiten großen Gruppe? »Ja, nach dem Lesen hatte ich auf einmal eine ganz neue Sicht auf die Dinge. Ich war wieder bereit, mich einzulassen und mich noch einmal für unsere Partnerschaft zu engagieren. Nur leider macht mein Partner nicht mit. Er öffnet sich einfach nicht für einen neuen Ansatz. Im Gegenteil, er macht nur noch mehr zu. Er bewegt sich einfach nicht, weigert sich strikt, meinen neuen Einsichten wenigstens mal zuzuhören, geschweige denn so ein Buch zu lesen und mit mir endlich offen über alles zu reden.«
Oder erkennen Sie Ihr Thema eher im dritten zentralen Feedback wieder, das mich so oft erreicht hat: »Während des Lesens wurde ich zwar erst schlagartig zuversichtlicher. Ich fand sogar endlich wieder Mut, noch mal einen neuen Anlauf in meiner Beziehung zu wagen. Aber dann, nach den ersten Schritten, schien es, als ob alles nur noch schlimmer würde. Ich verlor meinen Halt und war auf einmal in vielem nicht mehr so klar und sicher wie früher. Auf einmal kamen Gefühle hoch, die mich regelrecht aus der Bahn warfen und nur schwer auszuhalten waren. An jeder Ecke tauchten neue Ängste auf … Das kann doch nicht der richtige Weg sein, oder …?«
Alle drei Erfahrungen haben bei vielen Lesern dafür gesorgt, dass nach den ersten Hochgefühlen doch wieder Resignation, Widerstand oder Hilflosigkeit die beherrschenden Kräfte in ihrem Leben wurden: »Ich will ja. Aber so sehr ich mir auch gewünscht hätte, dass wir es schaffen – ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich weiß nicht, wie ich all diese festgefahrenen, leidigen Muster hier in meiner Partnerschaft tatsächlich annehmen soll und trotzdem wirklich aktiv etwas verändern kann.«
Annehmen, was ist, und gleichzeitig aktiv etwas verändern. Wie soll das gehen? Vor allem, wie könnte das im Alltag ganz praktisch, ganz handfest gehen? Die Beantwortung dieser Frage war der Auftrag an mich für das neue Buch. Einen ersten Ausblick auf mögliche Antworten habe ich bereits am Ende meines letzten Buches gegeben: Die Liebe – Arbeit, Ausdauer, Disziplin und Ernte, mit diesem Kapitel habe ich damals geendet. Und heute bin ich nur noch mehr davon überzeugt, dass es eins ist, die Prinzipien der Vergebung und damit der Liebe zu verstehen. Dieses Verständnis öffnet einem schlagartig das Tor in eine neue Welt und gibt einem endlich wieder ein Gefühl von Hoffnung. Aber dann braucht es jede Menge Hingabe, Geduld, aktive Vergebung und am tiefsten Punkt den Mut loszulassen, die Bereitschaft, alles aufs Spiel zu setzen und an Wunder zu glauben. Daran, dass es Antworten und Lösungen gibt, auch wenn ich sie noch nicht kenne und nicht mal die leiseste Hoffnung habe, dass sie mir zuteil werden könnten. Daran, dass ich nicht allein bin, wenn ich gerade meiner ausufernden Angst oder der Verschlossenheit und Abwehr meines Partners in die Augen schaue. Klingt wenig greifbar und konkret. Eher wie Gehen in einem zähen Sumpf. Ehrlich gesagt: Oft ist es das auch.
Klar, Sie wollen raus aus der Beziehungssackgasse und ihre dumpfe, abgestorbene Gefühlswelt wieder zum Leben erwecken. Ihnen hat das, was ich im ersten Buch geschrieben habe, offensichtlich genauso eingeleuchtet, wie es mir damals eingeleuchtet hat, als ich zum ersten Mal auf einem Seminar mit diesen Einsichten in Berührung kam. Ich war auf dem Tiefpunkt meiner Ehekrise – verzweifelt, ohnmächtig und leer. Ich hatte nicht mehr die geringste Ahnung, was ich noch tun könnte, um meine Ehe zu retten. Ich fühlte mich so festgefahren in einer Sackgasse mit der Aufschrift »Endstation«, dass ich endlich ausreichend weichgekocht war, um mir zu sagen: Okay, was hast du noch zu verlieren? Geh mal zum Seminar dieses amerikanischen Beziehungsspezialisten.
Also, für alle die, die diese Weichen stellende Geschichte aus meinem Leben noch nicht kennen … Da kam ich durch die Tür zu diesem Seminar, von dem ich lediglich in einer kleinen Broschüre irgendwo in einem Café gelesen, aber nicht die geringste Ahnung hatte. Erst dachte ich, ich bin im völlig falschen Film: Fast zweihundert Menschen drängelten sich auf Sitzreihen, die sich in einen imposanten Saal wie Tribünen nach hinten erhöhten. Trotz der Menge hatte alles eher etwas von einer großen Familie und war mir viel zu gefühlsduselig und vertrauensselig. Ich hatte vielleicht mit zwei Dutzend gefassten Leidensgenossen in kleinem, verschwiegenem Kreis gerechnet, aber nicht mit einer Massenveranstaltung mit Sektencharakter. »Nein, hier bleibst du keine Sekunde«, bäumte sich alles in mir auf.
Aber während meine Augen immer wieder den Fluchtweg nach draußen fixierten, war in meinem Inneren noch ein anderer Teil aktiv. Ein waghalsiger und neugieriger Abenteurer in mir ließ mich nach einem Platz im Gewusel suchen. Kaum hatte ich mich hingesetzt, sah ich, dass überall vor den Füßen der Teilnehmer Kleenex-Schachteln auf dem Boden standen. Wieder wollte ich flüchten. Aber da kam dann auch schon unten einer auf die Bühne, der mit seinem Hawaiihemd und seinen warmen Hundeaugen aussah wie ein amerikanischer Erweckungsprediger. Jetzt war ich überzeugt: »Das hier ist bestimmt so was wie eine Sekte. Okay! Du kannst jetzt zwar nicht mehr aufstehen. Aber in der Pause wirst du hier sofort die Flucht antreten und den ganzen Spuk einfach vergessen.«
Der mit den sanftmütigen Hundeaugen war Dr. Chuck Spezzano. Ohne große Vorwarnung fing er an, auf eine Art und Weise über Beziehungen zu reden, die ich noch nie vorher gehört hatte. Kaum ein Eindruck in meinem Leben ist in mir so haften geblieben wie die ersten Momente seines Vortrags. Nur bitte fragen Sie mich nicht, was er gesagt hat. Es war einfach so, dass mich seine Worte direkt im Innersten erreichten. Und auch gegen die Sanftmut in seinem Blick konnte ich mich nicht mehr lange mit abschätzigen Bewertungen stemmen. All meine Abwehrmechanismen schmolzen während dieses Seminarwochenendes langsam, aber stetig dahin. Es war, als ob etwas in mir aufging – so eine alte, schwere, rostig quietschende Türe vor meinem Herzen.
Zu meinem Entsetzen gehörte ich zu den Ersten und zu den Letzten, die in die Kleenex-Box griffen. Ich weinte all meine ungeweinten Tränen der letzten Jahre – aber diesmal aus Berührung, Befreiung und aus einem Gefühl von Verstandensein. Ich hatte jemandem zugehört, der mir tief aus dem Herzen gesprochen hatte. Und dessen Geschichten mich manchmal erschreckten, weil er da vorne gerade ganz offensichtlich mein ausgelaugtes Liebesleben in jedem Detail schilderte. Es war, als ob er als unsichtbarer Dritter die letzten Jahre dabei gewesen wäre. Er kannte scheinbar wirklich jede Facette meines Beziehungselends höchstpersönlich. Vor allem aber hatte er am Tiefpunkt seiner Ehegeschichte tatsächlich Auswege gefunden. »Ja! Es könnte gehen. Auch wir könnten es vielleicht schaffen«, sagte ich mir, und noch ganz benommen vom vielen Weinen, aber untendrunter mit einem neuen, ermutigenden Gefühl voller Hoffnung ging ich nach Hause. Zum ersten Mal erfüllte mich wieder eine kleine Zuversicht, dass ich doch etwas an meinem Beziehungsdilemma verändern könnte.
Warum ich Ihnen diese Geschichte so ausführlich erzähle? Aus mehreren Gründen. Zuerst möchte ich Ihnen damit sagen: Ich war einst selbst auch nur die Frau mit der Ehekrise, ohne Wissen um Hilfe und ohne Hoffnung. Mir ging es damals mit dem Seminar genau wie vielen heute mit meinem letzten Buch. Aus all den Briefen weiß ich: Viele Menschen hatten ein fast identisches Erlebnis beim Lesen von Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest wie ich damals bei der ersten Begegnung mit den Thesen von Dr. Chuck Spezzano. Immer wieder beschrieben mir Leser den gleichen, mir selbst wohlvertrauten Ablauf: »Erst wollte ich das Buch gar nicht lesen und dachte nur: Schon wieder so ein Beziehungsratgeber … Und diesmal auch noch einer mit einem ziemlich seltsamen Titel. Aber dann hat mich das Buch verfolgt, ist mir förmlich auf die Füße gefallen. Und schließlich hat es mich beim Lesen regelrecht erwischt, konnte ich gar nicht mehr aufhören.« Viele haben beim Lesen geweint. Manche sind durch einen tiefen, inneren Prozess gegangen. Und oft gab es am Ende eben dieses Gefühl von Hoffnung: »Ja, es könnte gehen. Es gibt doch noch eine Alternative zur Trennung!«
Aber so hoffnungsfroh und ermutigt viele das Buch auch zugeklappt haben, so jäh war der Absturz zurück in den Alltag. Da wartete immer noch ein Geliebter auf den Partner oder eine drohende Trennung auf einen selbst. Da saß der Partner wie immer vor dem Fernseher oder den Sexseiten im Internet. Oder befand die vielen neuen Einsichten immer noch nur als Unruhe stiftendes »Psychozeug«. Manchmal gab es nach dem Lesen zwar tatsächlich einen Ruck durch die Beziehung, ein Aufflammen verbindender Gefühle. Aber dann kehrte doch wieder der alte Trott ein – der nun mit all den neuen Einsichten allerdings noch schwerer zu ertragen war als vorher.
Viele Paare haben tatsächlich auf Anhieb einen anhaltenden Durchbruch erlebt und ihre Liebe noch einmal ganz neu entdeckt. Vielleicht ist ja auch bei Ihnen und Ihrem Partner bis heute die neue Verbundenheit, das Gefühl von Hoffnung und der Wunsch nach Weiterentwicklung nicht wirklich abgeebbt. Und trotzdem zweifeln Sie an sich, weil Sie zwischendurch immer wieder in die einengenden Beziehungsgewohnheiten zurückfallen und das Gefühl haben, sich noch nicht wirklich aus den alten Fesseln befreit zu haben.
Darum habe ich Ihnen meine erste Begegnung mit dem Weg der Selbstliebe und der Vergebung damals auf dem Seminar noch einmal erzählt. Um Sie zu ernüchtern, aber hoffentlich auch zu entlasten. Auch ich bin nicht nach Hause gekommen, und sofort war der Knoten geplatzt und bei Zurhorsts fortan der Himmel voller Geigen. Ich hatte damals nicht einmal eine Ahnung, wie ich meinem Mann mein bewegendes Seminarerlebnis überhaupt nur verständlich machen, geschweige denn ihn für eine neue Sicht und eine Veränderung im Inneren begeistern könnte. Für ihn war das alles nach wie vor nur »Psychokram«. Mein Mann war nicht einfach nur ein dickfelliger Skeptiker. Er war überzeugter Gegner von Seelenklempnerei und Beziehungszeug.
Ich könnte Ihnen jetzt seitenlang Geschichten über all unsere Kämpfe, Rückfälle und Einbrüche seit dem Tag nach meinem Seminar erzählen. (Ein paar davon erzählt später sicher noch mein Mann …) Auf jeden Fall gab es x-mal den Punkt, an dem ich glaubte, jetzt geht es wirklich nicht mehr. Jetzt habe ich wirklich alles versucht, aber er bewegt sich einfach nicht. Wenn er nicht gerade mit anderen Dingen – vor allem mit seiner Arbeit – beschäftigt war, dann waren es seine unzähligen Vorurteile gegen diese so schwer greifbare innere Welt, die uns auf Distanz hielten.
Derweil hing ich meinen Erinnerungen an das Seminar nach und genoss all die Gefühle, die dort aus meinem verkrusteten Inneren endlich an die Oberfläche gespült worden waren. Aber so lebendig sich das auch anfühlte, es machte mir den Grad an Sprachlosigkeit und Abgestorbenheit bei uns zu Hause nur noch deutlicher. Je mehr ich las und las und mir immer neue Bücher zum Thema suchte, umso entfernter schien mir mein Mann mit seiner Sicht der Welt. Je klarer mir wurde, dass es einen anderen Weg gab, desto mehr schien bei mir zu Hause jeder Schritt in einer Sackgasse zu enden. Je mehr ich mir eingestand, dass ich nicht mehr einfach zur Tagesordnung übergehen könnte und auch nicht mehr wollte, desto stumpfer und erdrückender fühlte sich unser Alltagsleben an. Und glauben Sie mir, unzählige Male wäre ich am liebsten abgehauen; hätte mich gerne in die ideale Welt meiner neuen Erkenntnisse verkrümelt.
Also freuen Sie sich, wenn meine Worte Sie im letzten Buch erreicht, berührt und innerlich in Bewegung gesetzt haben. Aber kehren Sie Ihrer Beziehung, Ihrem Partner, Ihrem Herzen nicht resigniert den Rücken, wenn Sie irgendwo feststecken oder gar Rückschritte erleben. Im Gegenteil: Sollten Sie nach der ersten Begeisterung für Liebe dich selbst einen heftigen Absturz hinter sich haben; sollten Sie sich vorkommen wie jemand, der mutig seine Wahrheit ausgesprochen und damit statt neuer Frühlingsgefühle nur Attacken und jede Menge kriegerischer Abwehr auf den Plan gerufen hat; sollten Sie das Gefühl haben, dass jede neue Einsicht nur an Ihrem Partner abprallt oder Sie sich mit all Ihren hinzugewonnenen Erkenntnissen im Kreise drehen. Dann kann ich nur sagen: Willkommen im Club! Kommt mir alles vertraut vor. Ist auch mir damals passiert. Aber das war nur der Anfang.
Im Grunde dreht sich alles in Sachen Liebe dich selbst immer wieder in neuen Zyklen um Loslassen und Vertrauen. Vielleicht nicken Sie jetzt heftig und sagen: »Ja genau, das ist es, was ich will. Endlich loslassen! Endlich raus aus dieser Enge. Ich kann meine festgefahrene Beziehung, mein ödes Singledasein, die Verbitterung und diese oberflächliche Leere nicht mehr ertragen. Dieses Leben voller Routine und Druck. All die Starre meines Partners und meine alten Muster – ich will sie endlich hinter mir lassen. Ich will wieder lebendig sein, ich will wieder Nähe und meinen Alltag wieder zu einem kleinen Abenteuer machen … Ich will nur noch wissen, wie!?«
Wollen Sie wirklich? Über die Ebene der Erkenntnis hinausgehen, wo Loslassen mit Konsequenzen verbunden ist? Sind Sie wirklich bereit, Konsequenzen zu ziehen, etwas zu wagen und auszusteigen? Auszuziehen? Die Familie zu verlassen? Den Partner vor die Tür zu setzen? Trauen Sie sich wirklich, Ihrem Partner zu sagen, wie es um Sie steht?
Sie sind ausgelaugt, überarbeitet und am Ende. Sind Sie bereit, wirklich dauerhaft kürzerzutreten und zur Not auch zu kündigen und finanzielle Einbußen hinzunehmen? Sie haben einen Traum. Sind Sie willens, sich auslachen zu lassen und Ihre sichere Existenz aufs Spiel zu setzen, um ihn zu realisieren? Es gibt Sucht, Gewalt und Lügen in Ihrer Beziehung. Sind Sie wirklich bereit, Grenzen zu setzen, vielleicht sogar aus Liebe erst mal die Tür zuzumachen?
Loslassen heißt, etwas Vertrautes gehen zu lassen. Sich von Gewohntem zu trennen. Das macht Angst. Ehrlich gesagt gibt es längst genug Menschen, die das Wissen und das Zeug dazu hätten, wirklich ihr Leben zu transformieren. Aber immer wenn sie vor der Entscheidung stehen, etwas wirklich loszulassen, wenn sie wirklich erwischt werden von der eigenen Angst, dann rennen sie schnell wieder zurück auf die ausgetretenen, aber vertrauten alten Trampelpfade.
Ich glaube, wir alle heute verstehen eines nicht: Schmerz gehört dazu. Schmerz ist Energie. Schmerz sorgt für Bewegung. Wenn der Schmerz kommt, dann meinen wir sofort, jetzt sind wir falsch abgebogen. »Hier in diese düstere Sackgasse, da wollte ich doch gar nicht hin! Frau Zurhorst und die siebenundzwanzig anderen Autoren, die ich schon gelesen habe, haben doch gesagt: Es gibt einen leuchtend sanften Pfad direkt ins Paradies! Also muss dieser holprige Weg hier am Abgrund entlang der falsche sein.«
Nein, glauben Sie mir, wie gerne hätte auch ich mich in einer Sänfte auf die Schlossallee tragen lassen und dazu einen Würfel, der mich von da immer auf dem kürzesten Weg direkt über Los bringt. Aber ich finde mich selbst einfach zu oft auf irgendwelchen mir völlig unbekannten, holprigen Wegen an irgendwelchen inneren Abgründen ganz ohne Navigationssystem wieder. Zum Glück sage ich mir dann meist: »Los, komm! Wir haben doch schon anderes geschafft. Wir sind doch Profis auf unbekannten Pfaden.« Und schon setzt sich alles in mir in Gang, und ich mache mich auf zum nächsten Wegstück auf meiner Reise zu mir.
Aber unterwegs lande ich dann auf labyrinthartigen Windungen, scheinbar ohne jeden Ausgang. Und wenn ich eben noch glaubte, etwas über mich und mein Leben kapiert zu haben, fühle ich mich jetzt schon wieder komplett verwirrt. Da ist es dann vorbei mit mutig und abenteuerlustig.
Stets war an solch einem Wendepunkt ein Teil meiner äußeren Sicherheit in Gefahr. Klar war, wenn ich weitergehen wollte, müsste ich hier ein Stück meines bisherigen Lebens aufgeben. Wer will das schon? Und wer tut das freiwillig? Ich zumindest nicht. Wenn ich bisher an so einer Weggabelung angekommen bin, dann habe ich es noch immer mit existentiellen Ängsten, körperlichen Symptomen und einem verzweifelten Gefühl von Alleingelassensein zu tun gekriegt.
Egal, welches Buch ich dann aufschlug oder welchen Fachmann ich zu Rate zog, auf einmal gab es da draußen vielleicht noch richtig scheinende oder gut gemeinte Antworten, aber keine Hilfe mehr für mich. Egal, wohin ich mich umsah, da war keiner, der sagte: »Komm! Du musst nur hier geradeaus und dann zweimal links, und schon bist du wieder zurück auf dem sanften Pfad ins Paradies.« In der spirituellen Sprache gibt es für dieses Phänomen sogar einen festen Terminus: »die dunkle Nacht der Seele«. Das ist die Phase, in der das Alte kaum noch Halt bietet, aber das Neue noch nicht greift. Da können wir nicht mehr sehen, wo es hingeht. Da müssen wir uns selbst, unserer Seele vertrauen, wie wir es noch nie vorher gewagt haben. Aber genau dieses Wagnis, sich selbst über alle bisherigen Grenzen hinweg zu vertrauen, lässt uns neue Kräfte zuwachsen. Wenn wir alleine losgegangen sind und es langsam hinten am Ende des Tunnels endlich wieder hell wird, sind wir stärker und selbstsicherer, als wir es vorher jemals waren.
Also: Wenn Sie sich entscheiden, hier nicht nur weiterzulesen, sondern auch weiterzugehen, dann betrachten Sie das hier als eine Anleitung zum Schanzenspringen. Ich bin durchaus erprobt im Schanzenspringen. Daher kann ich Ihnen auch Taugliches dazu erzählen. Aber wenn Sie oben stehen und die Skier vom Plateau nach vorne auf die Schanze schieben, dann sind Sie allein. Sie rasen allein bergab. Sie fliegen allein durch die Luft und Sie kommen allein irgendwo und irgendwie auf der anderen Seite an.
Aber da unten, dort wo die Schanze aufhört und der freie Flug beginnt, da warten die Engel gleich scharenweise, um Sie zu tragen. Nicht, dass ich je einem leibhaftigen Engel die Hand gegeben hätte. Nicht mal einen vagen Umriss einer Lichtgestalt habe ich auch nur für einen Sekundenbruchteil erhascht. Ich will Ihnen nur sagen, dass einen, wenn man endlich springt, da unten am Ende der Schanze die tiefe Gewissheit erfassen kann, dass man nicht allein ist.
Was sollen diese Bilder? Sie werden immer ungeduldiger? Ihnen fehlt was Konkretes? Eine Beziehungsverbesserungstechnik? Ein klares Rezept nach dem Motto: Man nehme … Ich kann – und will – Ihnen damit nicht dienen. Ich möchte Sie dazu bewegen, über sich hinauszuwachsen. Ich möchte Sie motivieren, sich viel intensiver mit sich selbst zu beschäftigen. Ich möchte Ihnen zu mehr Verständnis Ihrer selbst verhelfen. Ich möchte Ihnen zeigen, dass Sie alle entscheidenden Veränderungen nur selbst herbeiführen können. Ich behaupte: Wenn Sie aufmerksam und ehrlich sind, wissen Sie besser als jeder Beziehungsguru, was gerade ansteht in Ihrem Leben und Ihrer Beziehung! Sie wissen, wo Sie sich drücken!
Sie müssen Ihre Schritte selbst tun. Ich kann Ihnen nur meinen Weg zeigen. Ich kann Ihnen versichern, dass ich ihn manchmal auf allen vieren gekrochen bin, dass ich ihn aber jederzeit wieder gehen würde. Denn trotz all der Rückschritte und Abstürze haben mein Mann und ich immer mehr Nähe, Verbindung und Erfüllung gefunden. Bis heute vertieft sich unsere Beziehung und wird inniger und leichter zugleich. Alles nimmt einen Verlauf, den ich mir damals nach dem Seminar gewünscht hätte, mir aber mit meinem zurückgezogenen und skeptischen Mann nicht in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können.
Aber auch das war nur eine Etappe. Selbst wenn Sie mich, nachdem ich Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest fertig geschrieben hatte, gefragt hätten, ob ich wiederum das für möglich gehalten hätte, was seitdem bis heute passiert ist – ich hätte Ihnen nicht geglaubt. Und wahrscheinlich habe ich jetzt nur eine blasse Ahnung von alldem, was noch in unser Leben kommen kann. Auf jeden Fall scheint das Abenteuer kein Ende zu nehmen, solange man sich einlässt. Ich bleibe gespannt.
Wenn Sie also unterwegs an sich zweifeln, dann ist das ein natürlicher Teil des Ganzen. Wichtig ist, was auch immer kommt und Ihnen im Wege steht – nehmen Sie es zuerst einfach einmal an. Widerstand gehört dazu, wenn wir vorangehen. Und wenn Sie gerade das Gefühl haben, wieder so richtig festzustecken, dann akzeptieren Sie diesen Zustand. Betrachten Sie ihn nur mit einer neuen Haltung: Es gibt eine Lösung, aber ich kann sie im Moment noch nicht erkennen. Seien Sie mitfühlender mit sich, und akzeptieren Sie all die Hilflosigkeit und all die Widerstände. Aber bleiben Sie beharrlich bei Ihrem Glauben an einen neuen Weg. Hinfallen ist nicht verwerflich. Nur Liegenbleiben.
3. Kapitel
Die Suche nach der Unschuld
Vielleicht nicken Sie jetzt zustimmend, aber resigniert mit dem Kopf: »Ich lenke mich nicht ab. Ich habe schon so viel für meine Beziehung getan. So viel an mir gearbeitet. Ich hab alles verstanden, und beharrlich dabeigeblieben bin ich auch. Ich ahne sogar, dass es nicht einmal um meinen Partner geht, sondern um mich. Aber trotzdem stecke ich fest.«
Vielleicht sind Sie sogar dabei, vieles aus der Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie weinen aufgestaute Tränen und spüren, dass es da jede Menge Altes gibt, das Sie lange Jahre zurückgehalten hat. Und trotzdem ändert sich nichts. Immer noch fühlt es sich leer an; will einfach keine richtige Nähe entstehen. Diese warme Verbindung, nach der Sie sich so sehr sehnen. Und vielleicht haben Sie sogar schon einiges in Ihrem Leben verändert. Liegen aber trotzdem abends im Bett und werden von Fragen verfolgt: »Hat das alles noch Sinn? Schaffen wir das? Wird es jemals wieder warm und lebendig zwischen uns?«
Für den Moment möchte ich Sie bitten, mit all diesen Fragen und Zweifeln nur eins zu machen: Nehmen Sie sie erst einmal einfach nur an. Sie sind da. Sie tun weh. Sie können Ihnen den Weg voran zeigen – auch wenn Sie das im Moment noch nicht erkennen können. Wichtig ist an ihnen nur eins: dass Sie sich ihrer bewusst werden. Denn auch diese Fragen und Zweifel werden sich als Ablenkung entpuppen vom Eigentlichen, weil auch sie unseren Fokus nach außen lenken. Aber diese Fragen sind der erste Schritt, der Sie näher an die Eingangstür zu dem Ort führt, an dem es Lösungen gibt: nach innen, in tiefere Schichten Ihres Bewusstseins. Diese Fragen mit all ihrer Resignation und Hoffnungslosigkeit sind auf dem Weg zur Liebe fast zwangsläufig. Ja, fast sind sie Indizien dafür, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Auch ich habe mir diese Fragen hunderte und aberhunderte Male gestellt, wenn es wieder nicht weiterging oder wir gar einen Rückfall erlebten. Manchmal war ich wie gelähmt von diesem Karussell aus Frustration, Wut und Selbstverurteilung.
Erlauben Sie sich diese Fragen. Diese Verunsicherung ist zwar noch nicht die Lösung, aber besser als die einstige Starre, die geschäftige Ablenkung oder das pflichtbewusste Funktionieren. Aus der Rückschau kann ich sagen: Alles, was Sie da erleben, hat seinen Sinn. Auch wenn es wehtut – es hat Sinn! Das ist das Abenteuer. Sie stecken gerade im Wandel. Sie sollen nicht mehr einfach so leben wie bisher. Sie sollen weitergehen und loslassen lernen. Etwas Neues will auf die Welt. Das ist immer mit Wehen verbunden.
Warum ist es bei mir und meinem Mann trotz all dieser Ängste, Zweifel und aller Resignation dann doch an der Stelle weitergegangen, an der es bei anderen auseinandergegangen ist? Dieses Frage ist mir fast noch häufiger gestellt worden als die nach den praktischen Schritten im Alltag. Erst wusste ich nie, was ich da sagen sollte. Denn bei uns war je eben nichts Einzigartiges oder besonders Verbindendes, das ich hätte anführen können. Wir beide waren ja gerade all die Jahre das Vorzeigekrisenehepaar unseres Freundeskreises gewesen.
Die ewige, immergleiche Frage, auf die ich selbst keine klare Antwort wusste, hat mich dazu gebracht, nachzuforschen und mir so schließlich zu mehr Bewusstsein verholfen: Ganz untendrunter hatte ich einen Motor. Etwas, das mich immer in Bewegung hielt. Ich habe nach meiner ersten befreienden Erfahrung auf dem Seminar von Chuck Spezzano nie mehr aufgehört, nach der Unschuld zu suchen. Seine Sicht auf die Welt hatte mich zum Kurs in Wundern