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Können Sterne Lügen? Der neue Roman von Astro-Liebes-Expertin Nina Martens! Lilli weiß, worauf es im Leben ankommt: das perfekte Outfit, Körperhaltung und Sex- mit dem richtigen Sternzeichen. Um herauszufinden, welches das ist, schmiedet sie mit ihren Freundinnen Cora, Juni und Tanja einen Plan: Sex mit jedem Sternzeichen! Während ausschweifender Partynächte in den Dortmunder Szeneclubs finden sie ihre willigen Versuchskaninchen und vergessen die Sorgen des Alltags. Wahre Freundinnen halten immer zusammen! Doch dann verliebt sich Lilli Hals-über-Kopf in den gutaussehenden Studenten David. Doch Davids Sternzeichen passt überhaupt nicht zu Lilli! Abgesehen davon, dass ihre Herzlinie in der Hand ihn deutlich verzeichnete, verhält David sich auch ganz anders, als es die Astrologie lehrt. Gequält von diesem Dilemma, zweifelt Lilli an allem, woran sie glaubt. Gibt es die große Liebe doch nicht? feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Erotik: 3, Humor: 2, Gefühl: 1 »Liebe, Horoskope und andere Probleme« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!
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Seitenzahl: 354
Nina Martens
Liebe, Horoskope und andere Probleme
Roman
Knaur e-books
Für meine beste Freundin
Macht mich das dick?«
»Nein.«
»Fett?«
»Lilli, nein!«
Ich drehe mich vor dem Spiegel hin und her und begutachte mich. Mein runder Busen ist - dank Ägyptischer Erde und Double-Push-Effekt-BH - prall und gebräunt. Mein silbernes Bouclé-Seidenkleid aus Nizza rahmt ganz zauberhaft mein kurviges Dekolleté ein, das nebenbei bemerkt mein absolutes Ass im Ärmel ist. Unglaublich! Ich bin überwältigt. Das Kleid kaschiert den Bauch, als gäbe es ihn nicht. Es ist hübsch, sexy. Der Saum umspielt meine Oberschenkel und es zeigt viel Bein, was mein zweites Ass im Ärmel ist, denn meine Beine sind, das habe ich jetzt schon oft gehört, einfach wunderschön. Dazu die silbernen Peeptoes. Füßchen rein, Verschluss zugepfriemelt. Perfekt. Mein Outfit steht. Neuer Blick in den Spiegel. Oder nicht? Die breiten Träger schnüren ganz schön in meine fetten Schultern, von hinten seh ich fett aus, breit! Ich habe ein Schwimmerkreuz! Obwohl ich keine Schwimmerin bin.
»Nein, auch nicht von hinten!«, sagt Cora und schaut mich dabei aus ihren XXL-Volume-Mascara-Augen an. Sie kann meine Gedanken lesen. Oder sie ist routiniert. Denn das Spielchen kennt sie. Sie weiß, dass ich, Sternzeichen Fische und Aszendent Krebs, ein überdurchschnittliches Maß an Bestätigung brauche. Das muss man sich mal vorstellen, ich bin durch diese astrologische Kombination nicht nur extrem emotional und labil, sondern auch noch eitel. Die Eitelkeit kommt vom Krebs. Dafür kann ich nichts. Ich habe mal gelesen, dass Fische-Frauen prinzipiell sehr neidisch seien. So weit würde ich zwar nicht gehen, wenn ich mich selbst beschreiben müsste. Aber man schaut ja schon, wo man steht, nicht wahr? Vor allem wenn man neben Cora steht, Größe sechsunddreißig. Sie trägt einen schwarzen Jersey-Mini, oder besser Minimini, er bedeckt gerade mal ihre kleinen, knackigen Arschbacken. Cora gehört zu den wenigen Frauen, deren Hüftknochen sich unter der Haut andeuten, ohne dass sie dabei zu dürr wirken. Ihre Hüftknochen bilden zwei kleine symmetrische Hügelchen rechts und links unterhalb des Bauchnabels. Sie weisen pfeilartig nach unten, zum mittleren Ende des Rockes, über dem sich noch ein kleiner Hügel abzeichnet. Ihr Venushügel. Ja, richtig, das Ganze sieht aus wie ein Pfeil, der eigentlich leuchten und blinken müsste, und über ihrer Muschi müsste in bunten Lettern Nimm mich! stehen. Aber nein, sie deutet nur an. Kein Leuchtpfeil, keine blinkenden Lettern, nur Leistenknochen und Muschiknochen. Was kein Wunder ist, denn astrologisch gesehen ist ihr als Skorpion der Körperbereich der Geschlechtsorgane zugeordnet. Ja wirklich, das erklärt auch, warum Skorpion-Menschen immer so triebgesteuert sind. Man sagt ihnen auch große Talente diesbezüglich nach, was ich persönlich jetzt nicht bestätigen kann, denn der einzige Skorpion, den ich im Bett hatte, war mein Erster. Und der ist bekanntlich nie der Beste.
Vogelgezwitscher. Eine SMS.
»Von wem?«, frage ich. Cora nimmt mein Handy.
»Von ihm!«
Oh Gott, mein Herz! Ich setze den Kajalstift ab, wende den Blick von meinem Spiegelbild.
»Ja lies vor«, sage ich und tipple wie ein kleines Kind auf der Stelle. Cora grinst und liest.
Hey schöne Frau, Zwinkersmiley, heut Abend unterwegs? Sieht man sich vielleicht?
Heirate mich!
Ich bin ihm hoffnungslos ausgeliefert.
Echt. Verfallen. Ich liebe ihn.
Okay, durchatmen, ganz ruhig, ich liebe ihn nicht, ich finde ihn heiß, puh.
Ich habe den Studenten David am ersten Weihnachtstag im Purple kennengelernt. Das Purple ist ein kleiner Club in der Innenstadt, verglaste Außenfront und verspiegelte Innenwände, weiße Lederkanapees und Sitzwürfel stehen in der Lounge, die Tanzfläche ist kleiner als mein Wohnzimmer, die Kellner sind super sexy. Mit einem hatte Cora mal was, Alen, gute zwei Meter groß, ein Riese. Man könnte auch sagen ein Herkules. Aber sein glattes schwarzes Haar, immer hinters Ohr geklemmt, wäre dafür zu elegant. Er wirkt mit seinen engen Shirts mit Nippelsicht eher wie ein Flamencotänzer, wie ein Spanier, rassig, heißblütig. Grr! Stier.
Vermerk aus Starsex über Stier-Männer:
Er ist in beruflicher und persönlicher Hinsicht ein brillanter Stratege. Sein Regent Venus verlangt Qualität. Sowohl besitzergreifend als auch eifrig bemüht, steht er für Passivität: Er greift nur an, wenn er provoziert wird. Materielles hat für ihn große Bedeutung, Verlangen ist sein Motor. Ein Held, der einer dominanten Frau, die seine Ungezogenheiten toleriert, dienen will.
Sein Motto: Ich habe.
Sexuelle Vorlieben: langsamer Sex, ältere, dominante Frauen, dunkelhäutige, rundliche, kräftige Körper, verheiratete Frauen, Bondage, Gigolo-Rollenspiele, Höschen tragen.
Und deswegen ist er auch so ausdauernd, sie haben wirklich ganze vier Stunden gevögelt, und ich meine nicht gerammelt, sondern mit geschwungenen, rhythmischen Stößen von hinten, während seine riesigen Männerhände ihre Brüste so festhielten, dass sie eine Woche lang blaue Flecken von jedem einzelnen Finger hatte. Die hätte ich auch gern gehabt. Jede von uns. Dafür hatte ich mal eine richtige Bisswunde im Nacken, von einem Löwen. Die hätten auch viele gern gehabt. Jedenfalls, der Student: Ich habe ihn bisher zweimal gedatet. Ich bin verrückt nach ihm!
Sind im High, Corona-Nacht, schreibe ich. Es sollte die Nacht der Nächte werden. Seit Wochen leckt diese braungebrannte, vollbusige, blonde Modelschlampe an der Corona-Flasche und wird von Autofahrern und Fußgängern und Radfahrern und mir bestaunt, und von allen anderen, die das Werbeplakat der Corona-Nacht von überallher anspringt.
»Meinste, er kommt?«
Jeder, der was auf sich hält und Single ist, würde dorthin gehen. Oh Gott, bitte lass ihn kommen! Und bitte lass ihn Single sein! Ich muss mich umziehen. Ich kenne sein Sternzeichen noch nicht, ich kann so was ja schlecht beim Date fragen. Wie würde das denn aussehen! Als ob ich fixiert wär oder so! Das muss Juni für mich herausfinden. Die kann so was. Aber wenn ich es schon wüsste, dann hätte ich jetzt nicht so ein großes Problem mit der Kleiderfrage. Für einen Löwe-Mann würde ich Rot tragen, für einen Fisch eher Dunkelblau, für einen Schützen Jeans. Ich nehme das kleine superenge Schwarze, für Sternzeichen Mann. Jetzt hat der Abend gleich eine ganz andere Note. Ich habe Schmetterlinge im Bauch – oder Sektgeblubber?
»Wenn nicht, wär er ja schön blöd«, sagt Cora. Sie grinst mich an.
»Der ist dir doch schon verfallen!«
Sie tupft neues Gloss auf ihre Lippen. Ihr Top ist schwarz und glitzert, ein Neckholder mit Wasserfallausschnitt, der ihre trotz aller Schlankheit ungerechterweise vorhandenen, wohlgeformten Brüste noch größer wirken lässt. Ihre nackten Arme allerdings haben ein paar rote, unschöne Pickelchen, aber wen juckt’s, wenn’s in der Hose juckt. Ihr langes schwarzes Haar trägt sie offen und glatt, anmutig, glänzend, edel. Es legt sich wie ein seidenes Tuch auf ihre Schultern, ein paar Strähnen verlieren sich in ihrem Ausschnitt, und man kann nur vermuten, wo sie enden.
Ich betrachte mein Haar. Es hat eine Karamellnuance, mit Highlights. Ich lasse es mir gerade lang wachsen. Seit Jahren. Aber sobald es schulterlang ist, kriege ich Spliss. Deswegen habe ich jetzt ein neues Haarspitzenelixier. Es enthält Arganöl! Darüber habe ich mal eine Reportage gesehen. Es ist äußerst kostbar, weil es nur auf einem bestimmten Berg in Asien gewonnen werden kann. Dazu fressen kletternde Ziegen die Argannüsse direkt vom Arganbaum und kacken sie wieder aus. Die Menschen sammeln die Köttel dann auf und gewinnen durch ein kompliziertes Verfahren das angereicherte Arganöl. Als ich dann beim Friseur war, und Piedro, mein Colorist, mir das neue Elixier vorstellte, läuteten sofort die Alarmglocken. Es war nämlich fast unmöglich, an eine Flasche zu kommen, da es ja sehr rar und so gut ist, dass es quasi immer ausverkauft ist. Glücklicherweise hatte er noch genau eine Flasche für mich. Der Gute!
Jedenfalls habe ich heute jede Strähne einzeln über das Glätteisen gezogen, jede in einem anderen Winkel, sodass sie wie zufällig in verschiedene Richtungen fallen. Sie sollen feminin wirken. Beach-Look. Out-of-Bed war gestern. Ich habe das seltene Talent, mit dem Glätteisen Locken ins Haar zu drehen. Das wiederum macht mich sehr beliebt bei meinen Freundinnen.
Ich betrachte meine Frisur genauer. Ist das denn sexy?
»Machen mich meine Haare so alt?«
»Boah! Nee, ich sag dazu jetzt nichts mehr. Komm her jetzt, wir stoßen an.«
Der dominante Skorpion, voilà! Sie drückt mir ein Glas Wodka-Maracuja in die Hand, in dem kleine Penisse aus Eis schwimmen, wir stoßen an, es klirrt. »Auf uns«, sagen wir und schauen uns dabei tief in unsere hübschen Äugelein, kichern und ziehen an den pinkfarbenen Strohhalmen. Ein schönes Ritual. Hübsch machen, betrinken, feiern und auskundschaften, ob – um es mit Coras Worten zu sagen – gutes Material vorhanden ist. Mit Material meinen wir Männer, ist klar. Angesäuselt und mit einer soliden Basis Nikotin im Körper sind wir bereit für eine weitere Forschungsnacht.
Ja, Sie haben richtig gelesen, Forschung. Es mag im ersten Moment nach Amüsement klingen: Cocktails, flirten, baggern, heiße Kleider … Sex! Aber wir machen das hier nicht zum Spaß. Wir haben der ganzen Feier-Abschlepp-Bewegung einen Sinn gegeben, einen Namen und einen Wert. Mögen alle Pärchen auch kuschelnd und schmusend in stinkendem Jogger vorm Fernseher behaupten, wir machten diese ganze Szenerie hier aus Frust. Mögen unsere Mütter die Ohren verschließen vor den fragwürdigen, aber auch Neid erregenden Bekundungen unserer Wochenendgestaltung. Und mögen sich die Pärchen dann die Chipskrümel von der ungeschminkten Backe wischen, um sich einen matschigen Kuss zu geben. Euch allen soll gesagt sein: Wir sind die Anführerinnen, ja Kreateurinnen einer Bewegung, von der eure Töchter vielleicht noch zehren werden! Wir werden herausfinden, was ihr euch nie zu fragen wagtet, und am eigenen Körper durchleben, wonach es sich zu streben lohnt. Also sexuell gesehen jetzt. Und wir stehen kurz vor einer weiteren Untersuchung.
Okay, im Moment sitzen wir noch. Auf meiner extrabreiten Velours-Couch, die ich selbst in Kobaltblau bezogen habe, als ich mal eine Veränderung brauchte. Mein kleines Schwarzes passt farblich perfekt dazu. Coras Outfit ist … nein, kein Outfit, es ist ein Zustand! Der Zustand, in den jedermann geraten will. Ich sage mir in solchen Momenten dann immer: Cora ist zwar ’ne Bombe, aber ich bin mindestens eine Granate. Sie ist meine allerbeste Freundin. Glücklich mit diesem Gefühl mache ich mir noch eine an, lächle, als ich verschwommen meinen Sweet-Kiss-Lippenstift-Abdruck auf dem Mundstück sehe, schweife kurz ab.
Begonnen hat das Ganze, also die Sache mit der Forschung, als Juni vor ein paar Wochen ein Astrobuch mit zu Cora brachte. Es heißt Starsex, ein richtig dicker Schinken in Rot, der alle Sternzeichen nach Geschlecht und Sexualität aufteilt, Vorlieben, Optiken und Charakterzüge beschreibt, von 29,90 Euro auf fünf Euro reduziert war, und den wir deswegen alle kaufen mussten. Jede von uns war Single. Außer unsere entferntere Freundin Kimmi, die hat aber auch nur einmal im Monat Sex. Sie gehört quasi zu Coras Fangemeinde, die im Grunde aber auch nur aus Kimmi besteht. Sie wäre gern wie Cora, schafft es aber nicht. Deswegen hat Kimmi meistens miese Laune und zelebriert das auch noch unangebracht heftig. Ihr Freund Daniel ist auch ihr erster. Süß. Und traurig. Somit hat Kimmi wie gesagt monatlich circa einmal Sex. Und an Daniels Geburtstag. Dass das an ihren Sternzeichen liegt, wollte sie mir nie glauben. Sie ist Steinbock, Daniel Fische. Aber als wir dann in Starsex gelesen haben, dass vor allem eine tiefe Freundschaft die Steinbock-Frau mit dem Fische-Mann verbindet – und wer hat schon Sex mit seinem besten Freund? –, wurde Starsex zu unserer Bibel. Ich habe jedes Kapitel verschlungen. Sofort. Cora verstand auf einmal, dass ihre Langzeitaffäre deswegen so extrem lange und länger und laaange an ihr herumleckte, und dann auch noch mit Dreitagebart, weil Wassermänner die Zuwendung zum weiblichen Genital oft zur Meditation nutzen. Und Juni musste einsehen, dass ihr Waage-Typ, in den sie – und das würde sie vor Ihnen niemals zugeben – unsterblich verliebt ist, mehr Freiheit braucht, als sie als besitzergreifende Löwin geben kann. Nach einigen Caipis – oder in Coras Fall Piña Coladas, immer schön mit Sahne, denn Sahne setzt bei Cora niemals an – habe ich an diesem Tag irgendwie optimistisch verkündet, dass ich es wissen will. Ich wollte wissen, ob man wirklich am Sex erkennen kann, welches Sternzeichen der Mann hat. Oder ob man anhand des Sternzeichens voraussagen kann, wie der Sex wohl wird. Nach dem Motto: Heute habe ich Lust auf harten Sex – ich such mir einen Steinbock. Habe ich Lust auf primitives Rumrammeln? Dann gable ich mir einen Widdermann auf. Es stand ja alles in dem Buch! Tendenz der Penislänge, Beweggründe sexueller Rituale, Psychoanalyse des Sex könnte man sagen.
Das ist so was von tiefgründig! Wir schossen uns sowieso jeden Samstag ab und wir wollten doch wirklich alle jeden Samstag Sex. Wenige Jägermeisterrunden später, es muss sich wohl vor einem Feiertag ereignet haben, hoben wir entschlossen die Gläser.
»Auf Starsex!«
Ja. Das mag jetzt pathetisch klingen.
Keine meiner Freundinnen ist auch so überzeugt von der Wahrhaftigkeit der Astrologie wie ich. Aber sie sind alle neugierig und sexfreudig genug, mich in meiner Forschung zu unterstützen.
Um zu verstehen, wie wir uns zu diesen wissbegierigen Wesen entwickelten, möchte ich Ihnen etwas über meine Freundinnen verraten. Nicht über alle, nur über die wichtigsten. Ich weiß, es ist höchst unmoralisch und tadelnswert, eine Skala, ein, sagen wir, »Freundschaftsranking« aufzustellen. Aber im Endeffekt hat doch jede von uns eins im Hinterkopf.
Bei mir setzte es zum Beispiel ein, als Juni mir am Telefon den gestrigen Tagesablauf ihres Angebeteten deskribierte.
»Und um zehn Uhr war er dann plötzlich online! Und zufälligerweise weiß ich von …« Ihre Stimme entfernte sich, sie bildete eine dumpfe, beruhigende Hintergrundkulisse, während ich in der Vogue blätterte, von hinten nach vorne. Die Schallwellen bewegten sich rhythmisch an meinem Ohr vorbei. Ich blätterte um, ich rieb das glatte Hochglanzpapier zwischen meinen Fingern, hörte das Streifen der Seiten aneinander, spürte die scharfe Kante, fühlte den Luxus. Ich roch die Farbe. Koralle. Ich brauche Koralle, korallenfarbenes Rouge für die Schläfen, um fruchtbarer zu wirken. Männer stehen auf fruchtbar wirkende Frauen. Unbewusst. Und dazu glossige Lippen und Lidschatten ohne Glanzpartikel – und dann tutete es in der anderen Leitung. Es war Cora, auf deren Anruf ich schon gewartet hatte, weil sie mir verraten wollte, ob wir am Wochenende auf der Gästeliste stehen. Ja genau, Mesdames, in diesen Momenten schaltet sich das Freundschaftsranking automatisch ein!
»Juni? Schsch Juni? Schschsch, ich hör dich nicht mehr, ich leg auf!«
Juni ist Sternzeichen Löwe.
Vermerk aus Starsex über Löwe-Frauen:
Die Löwe-Frau ist mächtiger und entschlossener als alle anderen. Sie brennt vor Verlangen und duldet kein Hindernis. Wie die Löwin, die auf die Jagd geht, während ihr Mann auf der faulen Haut liegt, sieht sie ihre Pflicht nicht nur darin, die Brötchen zu verdienen, sondern sie auch zu schmieren. Hat sie davon genug, legt auch sie sich auf ihr Fell und gönnt sich oft und gerne ausgiebigen Schlaf.
Ihr Motto: Ich will.
Sexuelle Vorlieben: Körperbehaarung, Verführung, Wrestling, Gefilmtwerden, Exhibitionismus, Neunundsechzig, Männer-Strip-Club, Penisumfang.
Juni ist eine sehr kleine, dünne, immer mit Händen und Füßen redende Halbspanierin. Genauer gesagt ist sie eins sechsundfünfzig groß und wiegt achtundvierzig leichte Kilos. Damit trägt sie die Konfektionsgröße zweiunddreißig und ist die Dünnste von uns. Wenn ich mit Juni telefoniere, brauche ich kein Radio. Ich kann parallel zum Telefonat alles machen, solange ich zwischendurch die metakommunikativen Laute »ach« oder »ach so« oder »Nein! Echt?« in den Hörer singe. Mit passendem Gesichtsausdruck. Ob putzen, online shoppen oder Fingernägel lackieren, ich musste mich nämlich aus finanziellen Gründen leider zwischen künstlichen Nägeln und künstlicher Bräune entscheiden. Und wissend, dass ein gebräunter Körper bis zu drei Kilo schlanker wirkt, traf ich meine Wahl ausnahmsweise schnell.
Juni bekommt es einfach nicht mit, wenn der Gesprächspartner nicht zuhört. Das ist aber auch gar kein Problem für den Gesprächspartner, denn sie wiederholt alles. Mehrfach. Mit jeder Wiederholung dramatischer. Und wenn sie ihre Story live statt am Telefon erzählt, performt sie sie. Ihre Augenbrauen hüpfen dann von oben nach unten, spitzen sich zusammen, wandern nach außen, ihre strahlend blauen Augen – wirklich, blau wie der Indopazifik – springen fast aus ihrem kleinen, spitzen Gesicht, sie nickt nach Zustimmung heischend und schwingt sogar mit ihrer Hüfte à la Geht’s noch!? im Kontrapost. In diesen Momenten sehe ich sie auf der Bühne, mittig, Hotspots auf sie gerichtet, und ihr Wort hallt nach. Das ist Juni! Sie bekäme in meinem Ranking eine glatte Neun, wenn wir uns an der Skala von Das perfekte Dinner orientieren und zehn dann quasi die perfekte Freundin wäre.
Ich habe sie als Teil eines Pärchens kennengelernt, aber so richtig begonnen hat unsere Freundschaft erst, als sie den unspektakulären Jungfrau-Mann verlassen hat. Das ist jetzt fünf Jahre her. Juni ist selbstständige Fotografin. Sie ist ihr eigener Chef. Und Einzelkind. Sie steht absolut auf kleine südländische Männer. Egal, wie sie heißen, sei es Enrico, Hasan, Pablo oder auch Youssuf. Dunkelhaarig, drahtig und am liebsten arabisch. Der Löwe ist ja auch ein afrikanisches Tier. Es auf Arabisch tun, das weiß ich von Juni, heißt übrigens, den Penis, wenn er hart ist, mit bestimmten ätherischen Ölen einzureiben, bevor man loslegt. Da liegt dann die dünne, flachbusige Löwin ausnahmsweise auf dem Rücken und wartet darauf, dass ihre Beute mit ihr spielt. Der kleine Araber, für sie immer noch groß, mit gleichmäßiger glatter Körperbehaarung, einfach nur männlich, taucht seinen langen, beschnittenen Penis in eine ornamental verzierte Tonschale, die mit Wasser, Jasminöl und Moschus gefüllt ist. Ein paar Räucherstäbchen glühen auf der Fensterbank und nebeln den Raum ein, die Löwe-Frau räkelt sich sehnsüchtig dem Stecher entgegen, bis er sie packt und nimmt. Auf dem Gebetsteppich. Jawohl. Oder so ähnlich. Ob sie es wirklich gemacht hat? Man weiß es nicht. Aber sie weiß, wie man es macht. Juni ist außerdem fast immer in Love. Ehrlich, total übertrieben, sie verliebt sich teilweise schon beim Knutschen.
»Lilli, wie der mich dabei angeschaut hat! So verträumt und glücklich!« Traurig, aber wahr, meistens war es einfach nur der Ich-will-dich-ficken-und-trau’s-mich-nicht-zu-sagen-Blick. Aber welche Freundin bringt das schon über die Lippen. Trotzdem halte ich überhaupt gar nichts von Drei-Dates-Regeln oder Ich-lass-dich-erst-ran-wenn-du-mich-verliebt-anschaust-Spielchen. Das ist doch altmodisch, lächerlich und total unemanzipiert. Oder in Tanjas Worten: Man sollte die Katze nie im Sack kaufen. Deswegen rate ich Juni immer: »Bitte geh nach dem Sex einfach nach Hause und melde dich nicht!«
Schnell zum Sex kommen, Wiederholungen abwägen, laufen lassen. Dann ergibt sich alles von allein. Die einzige Regel, die ich immer befolge und mit der ich extrem gut fahre, ist: Habe Sex immer so, als wäre es das letzte Mal. Denn dann gehst du ab wie eine Rakete, das macht den Mann total heiß auf dich, und das wiederum gibt dir Bestätigung und Kraft. Dieses Uuh-ja in der Ausstrahlung. Dann ist es fast egal, was der Typ leistet. Wenn ich mich schön, sexy und begehrt fühle, komm ich schon allein von diesem Gedanken. Gratis dazu: eine reine Haut und Wahnsinnsausstrahlung durch die freigesetzten Serotonine. Und er meldet sich definitiv. Und ist Bittsteller. Dann kann man sich als begehrtes Mädel immer noch überlegen, ob man sich verlieben will oder nicht. Wenn nicht, zieht diese Wahnsinnsausstrahlung genügend andere Bewerber an. Und man ist wieder bedient. Voilà. Das hab ich Juni auch schon so oft erklärt, aber sie fällt immer wieder auf den Ich-will-dich-ficken-und-trau’s-mich-nicht-zu-sagen-Blick rein.
»Der kann was erleben, wenn ich den sehe! So nicht, Freundchen!«
Ja klar. Als ob das jemals eintrifft, dachte ich zumindest. Einen hat sie wirklich noch mal gesehen. In seinem Hausflur. Ihr Sex mit dem verliebten Blick war ein paar Wochen her. Anrufe und SMS hatte er noch nicht beantwortet. Für Juni war der Fall klar: Er konnte nicht mit der Situation umgehen, dass er Gefühle für sie entwickelt hatte. Das ist kein Scherz. Und dann sagen Sie mir mal bitte, wie man ihr als Freundin beibringen soll, dass er sie einfach nur ein einziges Mal flachlegen wollte. Leider hat auch seine vorgespielte Totalamnesie sie nicht ins Zweifeln an ihrer Theorie gebracht.
Sie hat, abgesehen von ihrer Authentizität, aber auch eine ganz ökonomische Qualität, die wir als Freundinnen sehr schätzen. Sie ist nämlich, wie Sie vielleicht schon herausgehört haben, Hobbystalkerin. Sie ist als Löwin so einnehmend und beanspruchend, dass ihr natürliches Streben nach Informationen über ihr vermeintliches Eigentum dazu führt, dass sie alles darüber herausfindet. Dadurch kennt Juni auch viel mehr Menschen, als so mancher jemals kennenlernen wird. Mehr, als Tanja jemals vögeln wird vielleicht. Das soll was heißen. Und wenn sie etwas wissen will, erfährt sie es. Neulich zum Beispiel hat sie für Tanja rausgefunden, dass der Typ, den sie da im Bett liegen hatte, zwar Single und Fußballer war, aber auch, dass er schon mal was mit Svenja H. hatte. Das ist so etwas wie Alarmstufe Rot. Svenja H. hatte ungefähr schon jeden aus Dortmund und Umgebung, und nicht nur jeden Mann, Single oder nicht, sondern auch jedes Bakterium an Geschlechtskrankheiten mittleren Grades. Wir wissen das aus erster Hand, weil ich mit ihr eine Alibifreundschaft führe: man trifft sich ein-, zweimal im Jahr auf einen Kaffee und schreibt sich bei Facebook supersüße Sachen an die Pinnwand, à la miss U oder Wann sehn wir uns denn endlich mal wieder???. Im Club begrüßt man sich mit einer langen Umarmung und dicken Knutschern. Die paar Worte allerdings, die Svenja mit mir wechselt, sind für eine Alibifreundschaft immer äußerst prekär, muss ich sagen. Ich kenne dadurch mehr Penislängen, als es die Norm vorgibt. Das hat uns schon einiges erspart. Kurz: Wenn jemand einen Mann vögelt oder ihm auch nur einen bläst, der vorher schon mal in Svenja H. war, dann konnte man sich sicher sein, bald Herpes, Genitalwarzen oder mindestens ein kleines Pilzchen zu bekommen. Directement aus Svenja H.s Muschi. Aber da war es für Tanja schon zu spät. Er lag noch in ihrem Bett, als Juni ihr simste. Dennoch: Tanja ist Krankenschwester. Tanja weiß, Svenja H. hin oder her, dass Wodka zumindest seine Mundbakterien abgetötet haben muss. Partielle Nutzung war also noch drin.
Juni ist immer zur Stelle. Man weiß nie, wo sie im Moment steckt, meistens juckelt sie mit ihrem kleinen Toyota durch die Innenstadt und besucht eine Freundin nach der anderen.
»Ich muss danach noch zu einem Kunden, soll ich später mal vorbeikommen?«
Sie würde nicht kommen. Das weiß ich. Aber sie hat daran gedacht.
Tanja ist Sternzeichen Zwillinge.
Vermerk aus Starsex über Zwillinge-Frauen:
Sie ist zuckersüß oder hart wie Leder, gute Fee oder hinterhältiges Biest in einer Person. Ihr elfenhaftes Gesicht ist am häufigsten in der Werbewelt zu finden. Fehlende väterliche Zuneigung sucht sie mit ihrem Schrei nach Aufmerksamkeit zu erlangen, meist durch provokatives Aufsehen. Sie balanciert auf einem schmalen Grat zwischen angeborener Verletzlichkeit und ihrem Recht auf Sicherheit.
Ihr Motto: Ich denke.
Sexuelle Vorlieben: verheiratete Männer, One-Night-Stands, schnelle Stöße, Bi-Pornos, Partnertausch, Nippelspiel, Telefonsex, gegenseitige Masturbation, Lehrer.
Ich würde sie als pragmatisch bezeichnen. Wenn eine von uns mit einem Date im Club zum Feiern verabredet ist, sagt sie: »Mensch, man nimmt doch keine Wurst mit zum Metzger!«
Tanja ist von uns die mit den dicksten Möpsen. Sie hat überhaupt die dicksten echten Möpse, die ich je bei einer nicht-adipösen Frau gesehen habe. Und die trägt sie mit Stolz wie auf dem Präsentierteller durch die Clubs. Und Bars. Und zur Arbeit. Sie müssen sich das so vorstellen, dass man auch als Frau gar nicht anders kann, als draufzustarren. Achtzig G. Ja, G wie Gustav! Dazu mittellanges, braunes Haar. Tanja hat dazu noch eine Wespentaille und einen ordentlichen Hintern. Ordentlich im Sinne von: Wenn sie den nicht hätte, wäre sie nicht meine Freundin. Einen Hintern, der sie sympathisch macht. Zu aller Mopserei hat sie zusätzlich noch den sexysten Job, den es neben Sekretärin auf der Welt gibt: Krankenschwester. Sie ist eine geile Krankenschwester. Ein Luder, wie Männer sagen. Eine dunkelhaarige Drecksau mit viel zu engem, weißem Kittel, oberster Knopf aufgeplatzt, die nächsten spannen den Kittel so weit auseinander, dass man ihre dicken Dinger zwischen den Knopflöchern sieht, ohne BH, und wenn sie sich über den OP-Tisch beugt, lugen ihre Arschbäckchen hervor. Und weiße Strapse. Das zumindest stellt Mann sich vor, wenn sie einem ihre Möpse quasi ins Gesicht hält und »Ich bin übrigens Krankenschwester« in sein Ohr haucht. Mit tiefer Stimme. Das macht sie wirklich.
Tanjas Mutter starb, als sie noch sehr klein war. Wir kennen sie nur ohne Mutter. Das machte Tanja aber keineswegs zu einem Kind von Traurigkeit. Im Gegenteil. Aufgewachsen mit Vater und zwei großen Brüdern ist ihr Charakter robust und klar. Einfach gestrickt könnte man sagen. Unkompliziert. Kaum geschminkt, in Jeans und Turnschuhen. Sie fehlt deswegen oft beim Shoppen, beim Pilates, bei Friseurterminen, die Cora und ich immer zusammen buchen, bei Mädchendingen eben. Dafür hat Tanja eine Dauerkarte für Borussia Dortmund und fährt Motorrad. Ihr eigenes. Aber wenn wir feiern gehen, ist sie eine Bombe, ganz Frau. Wenn sie einen Raum betritt, wird die Lage gecheckt. Noch bevor sie ihr erstes Bier bestellt, nickt sie in eine Richtung und sagt: »Den nehm ich heute mit nach Hause.«
Mit intensivem Augenkontakt, und zwar nicht mit verspielt-lieblichem Wimpernklappern à la Rotkäppchen, sondern mit fixierendem Vampirblick, schafft sie es, dass er sie binnen weniger Minuten anspricht. Wenn nicht, nimmt sie es in die Hand. Aber noch kein einziges Mal schlug ihre Methode fehl. Es ist unerklärlich. Einen Ansatz der Erklärung bietet vielleicht ihr Sternzeichen. Sie hat ein ansteckend fröhliches Wesen und ist eine Meisterin der Kommunikation und des Smalltalks. Das liegt an Merkur. Der regiert ihr Zeichen. Sie kann einfach jeden Typ Mensch in ein lockeres Gespräch verwickeln, ob Fleischfachverkäuferin oder Anzugträger.
»Soll’s no wat von der Hühnerbrust sein?«
»Nee lassen Se ma, davon hatt ich erst eine. Dafür muss ich nich noch bezahlen.«
»Da sagen Se was! Und ich hab den Schweinskopp zu Hause.«
»Ach herrje. Nee, so ’n saftiges, knuspriges Steak wär ma wieder wat Feines. Aber das krieg ich nich hier an Ihrer Theke.«
»Nee, hehe, da sagen Se was, damit kann ich nich dienen. Italienische Salami?«
»Kann ich jeden Samstag haben, da müssen Se nur mal mit inne Disse, dann sehn Se, was da rumläuft an Frischfleisch. Und alles im Sonderangebot!«
Und genau dieses Kommunikationstalent scheint in allen Zwillinge-Menschen zu stecken. Ihr Ex war auch Zwilling. Der war auch sehr kommunikativ. Und verhandeln konnte er! Nachdem er beim Sex nicht gekommen war, sagte er mal zu ihr: »Toll, ein Gummi für nichts.« Tanja bestand zu der Zeit auf Kondome, weil sie die Pille wechseln musste. Von der Yasmin hatte sie echt vierzehn Kilo zugenommen. Ich hatte die Pille auch mal abgesetzt, weil ich die erschreckende Nachricht erhalten hatte, dass unser Urin, mit Unfruchtbarkeitshormonen der Pille angereichert, durch die Toilette in die Abwasserkanäle kommt. Und von dort aus ins Grundwasser. Ganze Tiervölker sollen davon schon unfruchtbar geworden sein, weil die Weibchen das Grundwasser tranken. Irgendwann würden sie aussterben.
»Schwachsinn!«, sagte Tanja mir dazu. »So ’n Quatsch hab ich ja noch nie gehört.«
Und vor allem müsste ja dann auch der Regen irgendwann unfruchtbar machen. Dann würden auch keine Blumen mehr wachsen. Das klang schon in meinem Kopf so dumm, dass ich es nicht mehr aussprechen wollte.
Jedenfalls kam es nicht oft vor, dass ihr Ex nicht abspritzte. Sie hatte an jenem Abend zu viel Kaffee getrunken und war hellwach. Er hatte schon geschlafen. Mitten im Schlaf packte es ihn aber plötzlich, er wurde geil und wollte, dass sie ihm einen bläst. Sie hatte keine Lust dazu, war aber feucht genug für Sex. Es war gegen Ende der Beziehung, was will man erwarten. Er war tatsächlich zu müde zum Abspritzen und sagte dann eben:
»Toll ey, ein Gummi für nichts.«
Und etwas später dann: »Bläst du mir morgen früh einen?«
»Kannste dir aussuchen. Blasen oder Brote schmieren.«
Schande über ihr Haupt, sie hatte es sich wirklich gefallen lassen, ihm Brote für die Arbeit zu schmieren.
»Blasen.«
Sie war erstaunt. Sexlust vor Faulheit?
Und wenige Sekunden später: »Oder jetzt blasen und morgen Brote schmieren?«
So verhandelt Mann. Was ich ansonsten über Zwillinge-Männer sagen kann: Mädels, nehmt euch in Acht, es sei denn, ihr habt ein dickes Fell. Seiner Meinung nach war Tanjas Arsch zu fett. Und das musste sie sich nicht selten sagen lassen. Ja, das tat weh. Als sie dann aber wirklich fünfzehn Kilo abgenommen hatte, sagte er tatsächlich: »Toll, und jetzt sind deine Möpse mitgeschrumpft.«
Richtige Piesacker sind das. Viele berichten Ähnliches. Also kam der Tag, an dem Tanja ging und er es bitter bereuen sollte. Sie hatten ein gutes Jahr später noch mal ein Fresh-up, rein sexuell. Bis sie, dank Juni, erfuhr, dass er bereits wieder in festen Händen war. Sie erzählte mir mal von einem Zwilling, der unbedingt am Vormittag zum Vögeln kommen wollte, weil er dann seiner Freundin sagen konnte, er sei grad an der Uni. Nicht, dass ich vermitteln möchte, dass Zwillinge-Männer generell untreu sind. Ich meine ja sowieso, dass diese Evolutionstheorie, von wegen Erbgut in die Welt hinaustragen und so weiter, eine reine Männererfindung ist. Aber Zwillinge-Männer haben zumindest ihre Augen überall.
Genau wie Tanja.
Letztendlich hatte sie übrigens nichts mit dem Zwilling, der nicht zur Uni fuhr. Das Gummi platzte, als er eindringen wollte. Und ohne Gummi wollte er nicht, wegen seiner Freundin.
»Oh wie süß!«, rutschte es mir da im ersten Moment heraus. Tja, Liebe ist eben, wenn er beim Fremdgehen ein Gummi benutzt.
Für ihre Bodenständigkeit und ihre Menschenkenntnis bekäme Tanja eine glatte Neun. Sie stünde Juni in nichts nach.
Auf zehn Punkte in meinem Ranking käme selbstverständlich Cora. Ich kenne sie seit der fünften Klasse, seitdem sind wir beste Freundinnen. Uns verbinden die elementarsten Dinge, die eine Freundschaft beständig machen: Erstens sind wir beide Element Wasser, sie Skorpion, ich Fische. So etwas ist immer eine gute Basis. Zweitens sind wir beide extrem hübsch. Und als Kinder waren wir beide extrem hässlich. Daraus ergeben sich wichtige Eigenschaften. Kinder, die früher hässlich waren, haben meist einen guten Charakter. Soziale Bindungssucht als Kompensation der Beschimpfungen von hübschen Kindern, wie zum Beispiel als fette Kuh oder Pickelfresse, führt zu ausgeprägter Kommunikationsfähigkeit. In Verbindung mit pünktlich zur Pubertät aufblühender Schönheit kann dieses heranwachsende Persönchen ja nur ein Sahneschnittchen werden. Wir sind quasi durch die Hölle der Grundschule direkt in den Himmel der Mittelstufe gegangen. Geflogen. Wie Engel. Und nahmen ein offenes, sympathisches Gemüt sowie eine fröhliche Ausstrahlung mit. Da soll mir noch mal einer sagen, dass man nach einer schweren Kindheit nichts mehr reißen kann. In der siebten Klasse gaben wir uns Zungenküsse auf Partys und wurden so zu den heißen Schnecken der Stufe. Und zu unwillkommenen Gästen in Mädchencliquen. Das schweißte uns noch enger zusammen. Unsere Brüste wurden größer, die Ausschnitte tiefer. Die Röcke kürzer. Auf mein Nasenpiercing folgte ihr Bauchnabelpiercing. Auf ihr Arschgeweih mein Knöcheltattoo. Dennoch, sie hatte ihren ersten Sex mit vierzehn, ich wollte bis zur Ehe warten. Ich muss an dieser Stelle wohl kaum erwähnen, dass ich heute dennoch gut gevögelt und ledig bin.
Zum Abiball trugen wir beide Brautkleider und schlossen mit einer glatten Zwei ab. Und vor gut einem Jahr sind wir nach fünf Jahren gleichzeitig Single geworden – ganz unabhängig voneinander. Ehrlich. Mark war nicht mehr der Mann, den sie heiraten wollte, Ricardo nicht mehr der, der in meiner Hand als große Liebe verzeichnet war. In der linken Hand, Außenkante, die Linie unterm kleinen Finger. Dort sind die sogenannten Ehelinien eingetragen. Ich habe eine einzige, dicke Linie. Das steht für eine einzige, dicke Liebe. Cora hat da mehrere. Ich nicht. Darauf bin ich stolz.
Vermerk aus Starsex über Skorpion-Frauen:
Sie ist die Femme fatale des Sternkreises, die dieses Ich-bin-schwer-zu-bekommen erfunden hat. Sie strahlt Weiblichkeit und Egoismus gleichzeitig aus. Ihre Gefühle sind tiefer als der Ozean, nach Zusammenbrüchen erhebt sie sich wie ein Phönix noch schöner als je zuvor. Wer ihr Freund ist, wird verteidigt. Ihren Giftstachel zeigt sie vor allem Fremden.
Ihr Motto: Ich begehre.
Sexuelle Vorlieben: dunkelhäutige Männer, Pornos, Körpergeruch, Bondage und Dominanz, Analpenetration, Wassersport, Unterwäsche tauschen, Voyeurismus.
Coras Mama hatte ihren Vater verlassen, als Cora noch ein Baby war. Seine Leidenschaft für alte schöne Autos und junge schöne Frauen konnte die selbst noch junge Mutter nicht mehr ertragen. Bald heiratete sie einen Löwe-Mann. Harald, großherzig und sich verantwortungsvoll um sein Rudel sorgend, nahm Cora wie sein Eigen auf. Aber als ein Brüderchen dazukam, begann für Cora, begründet oder nicht, der Kampf. Der Kampf um Gleichberechtigung. Vielleicht auch um den Thron. Ich jedenfalls kenne keine andere Frau, nicht mal mich selbst, die so sehr für ihre Rechte kämpft, Rechte als Frau und als Mensch. Sie studiert sogar Jura, um Rechtsanwältin zu werden. Cora ist wahrhaftig eine Kämpferin. Früher kämpfte sie mit Tränen um ihr Recht auf Kontaktlinsen. Sie kämpfte um das größere Kinderzimmer, obwohl ihr kleiner Bruder schon mit seinen acht Jahren doppelt so breit war wie sie. Sie kämpfte in Mathe um die Fünf – mit einer Sechs wäre sie sitzengeblieben. Um ihren Namen und ihren Unterhalt kämpfte sie vor Gericht an der Seite ihrer Mutter. Sie heißt jetzt Lenz-Hauptmann. Nicht mehr nur Lenz. Ich sag’s Ihnen, Scheidungskinder. Da haben wir noch eine Gemeinsamkeit. Später erkämpfte Cora sich auch ein Tiger-Lily-Wohnzimmer, als sie zu Mark zog. Danach ein pinkes Schlafzimmer. Und Playboy-AAccessoires, partout. Die Eier, die sie Mark täglich abschnitt, gab sie ihm wieder, wenn sie zusammen feiern waren. Im rosa Glitzerkleid oder mit rotem Lackmini, und das ist kein Spaß. Immer eine Spur zu sexy für die Welt. Wackelig stolzierte sie von der Bar zur Tanzfläche, warf ihr offenes Haar schwungvoll über den Kopf und wieder in den Nacken, Arme hoch, Möpse raus, Tanzgesicht. Wie ein Gogo ohne Käfig. Wie eine Sexmaschine – mit Freund. Denn wenn er sich ihr näherte, spitzte sie ihre Nippel und warf sich ihm um den Hals. Enttäuschte Männerköpfe senkten sich, schrankbreite Schultern sackten herab. Die anerkennenden Blicke, die Mark dann erntete und die ihn in der Männlichkeitsskala auf den allerersten Platz hievten, waren Antrieb genug, um seiner Cora, seiner Göttin, jeden Sonntag nach dem Suff die Aufbackbrötchen ans Kunstlederbett zu bringen. Auf dem rosa Tablett. In schwarz-goldenen Bunnypuschen.
Seit einem Jahr jedenfalls feiern wir jeden Samstag ausgiebig. Und freitags. Donnerstags nur selten. Ihre Thekenjobs verschaffen uns immer super Kontakte. Wenn sie nicht gerade den Clubbesitzer kennt, der uns auf die Gästeliste setzt, dann einen Türsteher. Es ist uns schon manchmal unangenehm, wenn wir an der Schlange vorbei nach vorn gewunken werden. Aber da sagt man nicht »Nein danke, ich bleibe lieber hier hinten«, oder? Und das wahre Gold des Nachtlebens: die Barkeeper. Die würden uns wirklich jeden Wunsch erfüllen. Wenn wir sie ließen. Auch wenn wir nichts auf unserer Verzehrkarte haben, sind wir in der Regel immer die Vollsten, die um halb sechs an den Discokassen vorbeitorkeln. Hinein in den süffigen Morgen.
Cora hat ein Problem. Sie will kämpfen. Wenn der Typ ihr kein Konter geben kann, dann bringen ihm weder Bizeps noch Waschbrettbauch etwas. Sie hatte mal einen Krebs-Mann, der war unbeschreiblich schön. Notorisch schön. Der hatte einen Körper, ich glaube, den hätte wirklich jeder Mann gern. Der war perfekt. Das sage ich, obwohl ich gar nicht auf perfekte Körper stehe. Jedenfalls war dieser wunderschöne, braungebrannte, gut trainierte, eins fünfundneunzig große Krebs-Mann mit diesen gepflegten, muskulösen Händen und tiefbraunen Augen dermaßen in Cora verliebt, dass ich vor Rührung immer fast weinen musste, wenn ich ihm begegnete. In jeder seiner Gesten las man Ich liebe dich so sehr, in seinem feuchten Blick stand Sei mein geschrieben. Sie fand ihn auch in Ordnung. Ganz süß. Könnte man behalten. Doch der Krebs ist ein Kuschler, die Skorpionin eine Kämpferin.
»Bitte geh auf deine Seite, ich brauch Platz.«
»Aber ich will dich im Arm halten. Ich will dich streicheln!«
Genervter Blick. Rollende Augen.
»Okay, aber nur fünf Minuten.«
Sie sah auf die Uhr. Und legte sich nach fünf Minuten wieder ans andere Ende der Couch.
Nun ja, so ist Cora. Und wenn ich so darüber nachdenke, finde ich, verdient sie eigentlich nur eine Neun auf der Freundschaftsskala, denn die wirklich perfekte Freundin sollte auch ein klitzekleines bisschen hässlicher sein als man selbst. Nicht wahr? Ich bin eigentlich diejenige, die eine glatte Zehn verdient! Okay, dann muss ich aber die Wortwahl korrigieren, denn den Begriff der Hässlichkeit lasse ich in keiner Beziehung als Beschreibung meiner selbst zu. Auch nicht als Negation. Nicht mal als Komplementär. Sagen wir ein klitzekleines bisschen weniger attraktiv beziehungsweise weniger sexy? Nein, das stimmt ja alles nicht. Ich stehe keiner meiner Freundinnen in Sachen Attraktivität oder Sexyness etwas nach. Ich hab’s: ein klitzekleines bisschen weniger schlank. Ja, das ist es. Die perfekte Freundin sollte ein kleines bisschen mehr auf den Hüften haben als man selbst. Die perfekte Freundin bin somit ich. Für sie. Wie rührend. Dass ich für sie die perfekte Freundin bin, ist emotional wiederum so ergreifend für mich, dass ich sie auf eine Neun Komma fünf heraufstufen muss. Ja. Und Juni und Tanja dann aber, damit das Verhältnis stimmt, auf eine Acht Komma fünf runtersetzen.
Perfekt.
Was mich betrifft, kann ich nur sagen: Guten Tag, ich heiße Lilli, mein Sternzeichen ist Fische. Damit es zu keinen Missverständnissen bezüglich einiger Beweggründe für im Folgenden dargestellte Situationen kommt, skizziere ich kurz, was mich wahrscheinlich ausmacht.
Vermerk aus Starsex über Fische-Frauen:
Die unbestrittene Primadonna der Astrologie, als Kulmination aller anderen Frauen des Tierkreises, ist ein lebendes Paradox: Tugend und Laster in einem täuschend züchtigen Erscheinungsbild, zugleich Opfer und Siegerin des Lebens, das eine emotionale Angelegenheit für sie ist. Immaterialität und Inspiration sind ihr Werkzeug. Tief wie das Meer ist sie immer in Bewegung, wechselhaft und teilweise abhängig. Ihr Leben in einer Fantasiewelt macht sie derweil unaufrichtig und träge.
Ihr Motto: Ich glaube.
Sexuelle Vorlieben: Vaterfiguren und junge, sensible Männer, Vorspiel, verschlafener Sex, Schmeichelei, Dirty Talk, Geschenke, Prostituiertenrollenspiel, Künstler.
Als Freundin bin ich deswegen eine aufmerksame Zuhörerin. Außerdem bin ich Notfallstation für alle, die einen guten Rat, eine Schulter zum Anlehnen oder auf andere Weise Hilfe benötigen. Das kleingesellschaftliche Sozialamt. Schrecklich. Weil ich auch jemand bin, der nicht Nein sagen kann, passiert mir das viel zu oft. Die coolsten Jungs landeten auf Partys heulend in meinen Armen. Weil sie bei Cora nicht landen konnten. Als Botschafterin schlichtete ich auch unzählige Zickenkriege. Neulinge, Ausländer und Dicke haben dank meiner Fürsorge wieder Freunde gefunden und Selbstbewusstsein aufgebaut. Freizeitstress. Für mich war das schon immer purer Freizeitstress. Warum ich das dann mit mir machen lasse? Zugegeben, ich mag vielleicht zu den Guten gehören, doch nicht zu den Dummen. Nichts ist umsonst, und schon gar keine Dienstleistung wie Trostspendung oder Integration ersten Grades! Alles hat seinen Preis. Und viele Geheimnisse bedeuten eben auch: viel zu erzählen! Würde man von mir, der guten Lilli mit den vertrauenswürdigen Augen, natürlich nie erwarten. Ich bin ja auch keine Lästerschwester. Ich kenne meine Grenzen. Und treibe mich herzlich gern immer auf ihnen herum.
Das Interesse, das ich für meine Freundinnen hege, ist allerdings echt. Nichts ist spannender, als gemeinsam mit ihnen zu erörtern, wie es weitergeht. Knifflige Entscheidungen zu treffen. Wird es wie üblich eine Piña Colada, oder sollte sie sich an ein Flying Kangaroo trauen? Nimmt sie den Typen mit nach Hause, oder wartet sie, ob noch ein besserer kommt? Handtasche oder Lederjacke? Entscheidungen, die ein Leben verändern können. Es gibt noch genug, für die man selbst verantwortlich ist.
So entschied ich mich ziemlich eigenständig dafür, nach dem Abi erst mal Französisch und Italienisch zu studieren. Es sind die zwei wohl erotischsten Sprachen, die Stimme und Zunge hervorbringen können. Sich mit schönen Dingen – zugegeben, auch mit schönen Muttersprachlern – zu befassen und zu umgeben, macht den Alltag lebenswert. Ich liebäugle aber manchmal auch noch mit katholischer Theologie, einfach des Dramas wegen. Doch wenn ich manche Kommilitoninnen sehe, die freitagnachts noch beim After-Hour-Döner ihr Outfit wechseln, weil das achtstündige Klosterseminar um sechs Uhr morgens beginnt, klammere ich mich lieber weiter an die Romanisten. Vielleicht aber auch, weil mein Ex Ricardo ein Italiener war. So sage auch ich, wie viele andere halbemanzipierte Mädels: Nie wieder einen Italiener! Im Bett gern, kein Ding! Nackig in Zeitschriften? Unbedingt! Auch angezogen auf Werbekampagnen für Dolce & Gabbana. Ein eheähnliches Verhältnis eingehen? Im Sinne von Brotkruste abschneiden, Kerne aus der Wassermelone pulen und jeden Abend um neun Nudeln und Weißbrot essen? Nie wieder! Weder für meinen Stolz noch für meine Figur!
Um meinen Traummann etwas genauer zu beschreiben, möchte ich auf den Fische-Regenten Neptun hinweisen und auf seinen Dreizack, mit dem er die Welt des Wassers regiert, die Welt meines Herzens. Dieser steht sinnbildlich für die Dreifaltigkeit des idealen Fische-Partners: erstens ungefährliches Liebesobjekt mit seinen fast noch jungenhaften Körperzügen, androgyn bis schwul; zweitens maskulines Raubtier, das sich wild nimmt, was es will, das Alpha-Weibchen nämlich; und drittens zuverlässiger Versorger, um mich der reellen Verantwortung zu entledigen.
Das kann ich natürlich nicht so stehenlassen. Außerdem stimmt auch nicht immer alles hundertprozentig, was in einem Astrologiebuch steht. Auch wenn ich zugeben muss, dass Starsex schon immer ziemlich genau den Nagel auf den Kopf trifft.
Untypisch für mein Sternzeichen ist beispielsweise meine Figur. Nicht zierlich. Für eine klassische Fische-Frau bin ich definitiv zu fett. Ich bin nicht wirklich dick, ich passe schon in das H&M-divided-Sortiment. Ich habe mein Leben lang schon die Kleidergröße zwischen zweiundvierzig und vierundvierzig. Sagen wir, ich bin eher eine dicke Schlanke. Das trifft’s. Und ich bin als Teil-Krebs-Frau eitel genug, um dieses Verhältnis nicht umzukehren.
Der Aszendent beschreibt, wie wir nach außen wirken, welches Bild unser Umfeld von uns hat. Deswegen ist er bei der Charakteranalyse genauso wichtig wie das Sternzeichen.
Vermerk aus Starsex über Krebs-Frauen: